Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

64. Gerhard E.                                                  Solingen, den 21.11.63

Meine geliebte Susanne!

Du sagst, es sei schwer, einen Liebesbrief zu schreiben. Ich will versuchen, Dir zu zeigen, wie leicht das ist. Du mußt Dich nur hinsetzen, Papier und einen Stift ergreifen und – anfangen!

Schreib’ einfach das, was Dir gerade einfällt. Ein Brief ist dann gut, wenn Du einfach so schreibst, wir Dir „der Schnabel gewachsen“ ist.

Ein Liebesbrief handelt, wie der Name schon sagt, von der Liebe. Das soll aber nicht unbedingt verbindlich sein! Du kannst Dich auch ruhig über alles andere „auslassen“.

Versuche, in ein wenig altertümlichem Stil zu schreiben. Das zu erreichen ist von allzugroßer Schwierigkeit nicht. Verschrobene und verschnörkelte Wendungen in Red’ und Ausdruck solltest Du geflissentlich vermeiden. Gedenk’, wie leicht der Empfänger des Briefes durch leichthin angefertigte, aus seinen Fingerspitzen gesogene Red’wendungen eines verwirrten Umstands unterliegen könnte.

Bitt’, acht’ mit emsigen Fleyße darauf, ob Dir nicht beym Schreyben übertriebene Federschnörkel widerfahren seyn!

Doch wieder zurück zum Thema!

Es ist auch sehr übertrieben, wenn in jeder Zeile des Briefes die Liebe überschwinglich versichert wird. Ich meine, wir kennen uns jetzt lange genug, daß wir wissen, daß wir uns lieben ( – ... – hoffe ich!).

Ich schreibe trotzdem jetzt zum Beispiel: Ich liebe Dich! Denn ich finde das nicht albern, sondern sehr ernst und wichtig.

Da ich gerade davon spreche:

Bitte glaub’ nicht von mir, ich wollte nichts mit Dir zu tun haben!

Ich habe mich nur in letzter Zeit geärgert, daß Du Dich so wenig bemühst, Dich mit mir zu treffen. Ich komme mir dann immer vor wie ein Parasit. Außerdem hast Du mir oft versichert, Dir sein an mir nicht viel gelegen. Ich habe Dir das nie geglaubt; und wenn es wahr sein sollte, ist es eine Schande, wie sehr Du mich getäuscht hast. Also, wenn Du es ehrlich meinst, sei nicht so oft so furchtbar reserviert und beweis’ mir, daß Du mich liebst!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

(Im Vertrauen, so viele Ausrufungszeichen, – das ist Papierverschwendung.)

Kunstpause! Jetzt ist mir der Stoff ausgegangen!

Wenn Dir das passiert, so schreib’ einfach weiter, wie ich jetzt!

Es ist übrigens keine Schande, wenn man auch aus dem Brief entnehmen kann, daß Du in der Rechtschreibung nicht hieb- und stichfest bist. Wenigstens nicht in einem Liebesbrief.

Um wieder etwas vom Thema abzuweichen: Wenn es mir manchmal nicht möglich ist, Dir zu zeigen und zu sagen, was ich für Dich empfinde, so liegt es daran, daß ich immer noch gehemmt Dir gegenüber bin. Hilf mit bitte, das zu überwinden!

So ein Liebesbrief ist übrigens ein geeignetes Medium, den Partner darauf hinzuweisen, wenn er sich irgendwie falsch benommen hat. Man kann ihn auch direkt aufmerksam machen, wenn er dies oder das vermissen lässt!

Nun schreib’ mir aber nicht, meine Schrift sei scheußlich. Dafür kann ich nicht. Das ist Schicksal!

Der Liebesbrief kann auch dazu beitragen, das gegenseitige Verständnis zu fördern. Ich glaube, das ist bei uns sehr nötig. Wir sind so oft voneinander enttäuscht, und das nur, weil jeder nach seiner eigenen Auffassung urteilt.

Dies Problem kann auf einfache Weise umgangen werden. Ich liebe und achte Dich aber viel zu sehr, um Dich zu behandeln, wie irgend ein „Mädchen“, das man wechselt wie ein schmutziges Hemd!

Manchmal wird es Dir seltsam vorkommen, daß ich unbedingt mit Dir Hand in Hand gehen will. Wenn ich es nicht tue, habe ich das Gefühl, ich versäumte etwas. Das mag vielleicht komisch klingen, ist es aber nicht.

Ich brauche eben etwas, um Dir und mir meine Zuneigung zu beweisen! Und ich kann mir nicht vorstellen, daß es Dir so unangenehm ist.

Wenn Du dann aber zu mir sagst, „ich tue das nur, um mir die Hände zu wärmen“, so finde ich das nicht nur deprimierend, sondern geschmacklos und Deiner unwürdig! (Nicht natürlich, wenn es scherzhaft gemeint ist.) Ha, ha, ha, ha …. ha!

Noch etwas zum Thema Scherz und Humor. Humor und Ironie sind nur so lange schön, bis sie Dir nicht entgleisen und beleidigend werden!

Ich hoffe, ich habe Dir nun genug Anregungen gegeben zu haben, mir auch einmal zu schreiben. Es würde mich sehr freuen!

Viele Grüße und noch mehr Küsse

sendet Dir in aufrichtiger Liebe

Dein Gerhard.

[senkrecht neben den beiden vorletzten Zeilen:] Das stimmt!