Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

66. Gerhard E.                                                  Solingen, den 26.11.63

Meine liebe Susanne!

Vielen Dank für Deinen netten Brief!

Du bist schön dumm, wenn Du glaubst, Du könntest keine Briefe schreiben. Mir hat er sehr gefallen. Du magst vielleicht, oder sogar sicher recht haben, wenn Du meinst, wir sähen uns zu oft. Ich will das bloß nie glauben. Ich glaube immer, ich versäume etwas, wenn ich nicht bei Dir sein kann. Als wir uns in den Sommerferien lange nicht sahen, so war das sicher ganz gut. Mein Vater sagte einmal in einer Jugenddichtung:

Trennung ist für die Liebe, was der Wind für das Feuer. Ist es schwach, so wird es ausgeweht; ist es aber stark und groß, so wird es angefacht.

Du schreibst etwas von großen Enttäuschungen und von Hemmungen mir gegenüber. Glaubst Du etwa, ich wäre davon verschont?

Wenn ich selbstsicher und stolz erscheine, so ist das nur Maske. Denke nicht, ich habe nie Enttäuschungen erlebt! Es ist ja nicht nur, daß ich meine Heimat, meine Familie verlassen musste; nein, das ist in unserem Alter leicht zu verschmerzen. Auch mit meinen Eltern bemühe ich mich, obwohl auch sie mich nicht immer verstehen. Nein, auch daran liegt es nicht. Aber dreimal habe ich mich in meinen Freunden getäuscht. Kannst Du Dir das vorstellen, wie es ist, wenn der Mensch, dem Du Dich kameradschaftlich verbunden fühlst, sich gegen Dich kehrt, Dich beleidigt? Aber auch das habe ich überwunden. Dann glaubte ich, bei einem Mädchen von der übelsten Sorte Liebe zu finden. Ich war zu dumm und zu unerfahren, um zu merken, an wen ich geraten war. Wie demütigend es doch ist, ausgelacht zu werden, vor gemeiner Hemmungslosigkeit zu stehen!

Ich habe erst in der Zeit, als ich Dich kannte, zu mir selbst gefunden; langsam beginnt mein Selbstvertrauen wieder echt zu werden. Herr G. hat auch dazu beigetragen; aber es ist doch ein großer Unterschied zwischen Bewunderung und Liebe!

Außerdem bin ich von ihm und von Schwester L. tief enttäuscht worden. Du glaubst gar nicht, was für Kämpfe gerade um den Glauben in mir vorgehen!

Ich habe aber auch direkte Hemmungen Dir gegenüber. Das wirst Du noch bis vor kurzem gemerkt haben. Aber langsam hoffe ich auch das zu überwinden. Wenn Du mir dabei hilfst, gelingt es bestimmt!

Ich habe Dir das alles erzählt, damit Du mich besser verstehen lernst. Ich versuche dasselbe bei Dir. Es ist nur furchtbar schwer. Ich glaube auch, daß ein Leben ohne Gefahren und Probleme langweilig ist. Erst wenn man selber Schweres erlebt hat, kann man andere verstehen.

Glaube bloß nicht, ich wollte so einfach von Dir fortgehen! Das ist Unsinn. Wenn Du wenig Zeit für mich hast, ändert das nichts daran, daß ich Dich liebe!

Es ist nun mal so, daß keiner dem anderen ganz vertraut. Wir aber sollten es versuchen. Erst Vertrauen macht eine Freundschaft zu dem, was sie sein sollte: Eine Gemeinschaft!

Wenn unsere Interessen auch so grundverschieden sind, so sollten wir uns gerade darin ergänzen. Es ist doch ganz einfach, alle diese Probleme aus der Welt zu schaffen. Es gehört nur Mut dazu und – Vertrauen!

Ich verbleibe (in der Hoffnung, daß Du mir glaubst) in großer

Liebe als Dein treuer Gerhard.