Briefe an Susanne                                                                   Kommentar

 

69. Brigitte W. und Mutter                              [Berlin–Pankow,] 2.12.63

Liebe Susanne!

Heute will ich Dir endlich mal schreiben. Du mußt schon entschuldigen, aber ich sitze meistens bis 11.00 Uhr abends an Schularbeiten und dann habe ich auch keine Lust mehr zu schreiben.

Habe recht herzlichen Dank für deinen Brief. Wir haben schon gedacht, bei Euch ist die Tinte eingefroren. Auch Christiane hat noch nichts von sich hören lassen. Wie so mußt du denn noch so lange zur Schule gehen? Bei uns ist was los, kann ich dir sagen. Die Arbeitsstellen werden nur noch über die Schule vergeben. Wer kein gutes Zeugnis hat, kann Gullitieftaucher werden. Wenn man Tierärztin werden will, muß man erst Rinderzüchterin mit Abitur werden. Mein Antrag für Kindergärtnerin liegt bei der Abteilung Volksbildung. Bei der Zeugnisabschrift hat Mutti ausgerechnet Staatsbürgerkunde vergessen, das kommt nur, weil sie so nervös ist. Also werdet ihr bestimmt einen schönen Klitschkuchen bekommen. Wir freuen uns schon sehr darauf, wenn ihr kommt. Im Januar werde ich wohl auch zur Tanzstunde gehen. Mal sehen, wie Mutti das zaubert. Bei uns kostet ein Kursus 50, – DM. Wieviel kostet er denn bei Euch? Sag mal, mußt du Schulgeld bezahlen? Entschuldigen bittet, daß sich danach frage, aber wir haben neulich im Deutschunterricht darüber gesprochen. Am Sonnabend waren wir in der Staatsoper zur Premiere von „Hänsel und Gretel“. Das war sehr schön.

Liedern Susanne, ich möchte mich noch recht herzlich bei deiner Klasse für das Paket bedanken. Mutti will icht zu Weihnachten eine Schallplatte und eine Wäschegarnitur schenken. Früher war es viel schöner, da habe ich ihr ein schönes Stück Seife und eine Flasche Petra geschenkt. Von Mutti bekomme ich ein paar ganz schicke Stiefel. Die waren auch sehr teuer. Erst sollte ich ja eine Nyltestbluse bekommen, aber die fällt ja nun ins Wasser. Die sind ja hier auch sehr teuer und nicht einmal schön. Mutti wünscht sich bitte von euch zu Weihnachten Zigaretten „Reyno“ und Kaffee und würdet Ihr mir bitte ein paar Perlonstrümpfe Größe 9½ schicken? Ich hoffe doch Christiane und Du legt zusammen. Die Tageszeitschrift schicke ich dir noch. Soll ich dir die schicken, wo sie von der Ermordung Kennedys schreiben? Es trifft doch immer den Falschen, findest du nicht auch? Für heute schließe ich den Brief. Recht herzlichen Grüße sendet Dir Brigitte und Mutti.

P.S. Entschuldigen bitte die Schrift, aber ich bin furchtbar müde.