Herrn Larifaris Theatererlebnisse

oder

Kalifaxia, die Hexe als Wölfin

 

Dramatische Abrechnung mit dem Publikumsgeschmack in drei Bildern

 

 

1. Bild

HEXE: Sieht mir alten Hexe ähnlich; da hab ich Luder mir doch auf der letzten Walpurgisnacht die Zähne am Blocksberg ausgebissen. Jetzt besitze ich bloß noch einen Zahn und kann nur noch Grießbrei essen. Und der letzte mir verbliebene Zahn fault auch schon. Dabei habe ich so einen Appetit auf einen knusprigen Braten.

Ich werde mich in einen Wolf verwandeln, um in dieser Gestalt ein Schaf zu jagen, es zu zerreißen und In wölfischer Gier zu verspeisen. Knusper, knusper Schäfchen, dann gönn ich mir ein Schläfchen! Ha, ha, ha! (Sie verwandelt sich in einen Wolf. Der Wolf trollt ab.

 

 

2.Bild

KASPERL: Es ist entsetzlich! Immer habe ich Pech, immer geht es mir schlecht. Gerade hat der Theaterdirektor mich entlassen und des Theaters verwiesen, dabei habe ich nur ein Gläschen Rotwein in der Theaterkantine mit dem Inspizienten getrunken, oder auch zwei... Und da bin ich eingeschlafen und habe meinen Auftritt als Jäger in unserem Kinderstück Rotkäppchen verpatzt.

O Himmel, O Schicksal! Was habe ich verschuldet, als dass ich Schulden in der Theaterkantine gemacht habe, viele Schulden, große Schulden!

 

(Eine Fee erscheint)

FEE: Wawiluwaluwatsch wiluwahuhu!

KASPERL: Wie? Wawiluwaluwatsch wiluwahuhu?

FEE: Ja, Wawiluwa...

KASPERL: schon gut, schon gut!

FEE: Wisse: Jeder, der dies fehlerfrei sprechen kann, hat drei Wünsche frei, denn ich als die gute Fee des Waldes sehe mit Schrecken, wie die Sprache selbst in diesem Theater immer mehr verflacht und die Schauspieler kaum noch ohne Souffleuse auskommen.

KASPERL: Ha, ha, ha! das glaubst du doch selber nicht! Du und eine Fee! Dich schickt bestimmt der Herr Direktor, um mich zu ärgern. Diesem scheußlichen Menschen wünsche ich, dass er hier auf der Stelle in ein blödes Schaf verwandelt wird!

(Der Direktor erscheint und wird in ein Schaf verwandelt. Die Fee erstarrt. Ein Wolf erscheint. Das Schaf läuft blökend davon.)

KASPERL: Das geschieht dem Herrn Direktor recht. Nun ist der auch mal davongelaufen, wo ihm sonst seine Zuschauer immer weglaufen. Ha, ha, ha!

FEE: Mein Gott, was hast du getan? Den ersten Wunsch vergeudet, den Direktor verwandelt und den Wolf gereizt. Das kann ein böses Ende nehmen. Nun bleiben dir nur noch zwei Wünsche übrig: verwende sie weiser!

(Fee verschwindet.)

KASPERL: Au weh, au weh! Der Herr Direktor ist zwar ein Schinder und in künstlerischen Angelegenheiten manchmal ein Ignorant, doch daß er vom Wolf gefressen wird, das ist allzu hart. Da werde ich hinterherlaufen, um alles wieder gutzumachen.

 

 

3.Bild

SCHAF: Gerade konnte ich dem Wolf noch entfliehen, doch es ist gar schwierig, im wilden Wald dem Wolfe zu entweichen. Als Theaterdirektor hatte ich kräftige Beine, um den widrigen Winden des Zeitgeistes zu widerstehen, der mir häufig ins Gesicht wehte und ein dickes Fell. Als Schaf habe ich zwar immer noch ein dickes Fell, doch die Beine sind nicht mehr geeignet, vor der Gefahr wegzulaufen, die von einem wilden Wolf ausgeht, und ich fürchte, auch mein wolliges, dickes Fell wird mir gegen die reißenden Wolfszähne nicht schützen.

(Der Wolf erscheint, Jagd das Schaf und frisst es auf. Er ist satt und verwandelt sich in die Hexe.)

HEXE: Das war wieder mal ein richtiger Braten. Und mit den scharfen Wolfszähnen ging’s schön rasch und gierig. Das habe ich besonders gerne, wenn ich so richtig hinunterschlingen kann. Nun bin ich satt, Knusper, knusper Schäfchen, jetzt mache ich das zu Beginn erwähnte Schläfchen!

KASPERL (Tritt auf): Herr Direktor, Herr Direktor! – Huch, eine Hexe! – Haben Sie vielleicht ein Schaf gesehen?

HEXE: Ha, ha, ha!

KASPERL: Ja, was lachen Sie denn so dämlich! – (zum Publikum) Igitt, die ist mir vielleicht zuwider mit ihrem widerlichen faulen Zahn. Wenn sie doch bloß nicht so hässlich wäre!

(Die Hexe verwandelt sich in die schöne Isolde.)

ISOLDE: Ich danke dir! Ich bin erlöst und muss nicht mehr als garstige Hexe Kalifaxia immer nur Unheil stiften. Früher war ich eine große Schauspielerin  und an international bedeutenden Bühnen engagiert; doch dann verfolgte mich ein lüsterner Inspizient. Ich erhörte seine Anträge nicht und weil er zugleich ein großer, schrecklicher Zauberer war, verwandelte er mich in eine böse Hexe. Doch durch deinen Wunsch bin ich erlöst.

KASPERL: Das ist ja herrlich! Du, da geht es mir fast ebenso wie dir; auch ich habe Ärger mit dem Theater und meine hervorragenden Talente werden nicht angemessen gewürdigt. Gerade hat der Herr Direktor mich – doch warte, hast du vielleicht ein Schaf gesehen, was hier vorüber gelaufen ist?

ISOLDE: Zwar muss ich kein Unheil mehr verüben, doch dies kann ich nicht mehr rückgängig machen: Das Schaf ist gefressen!

KASPERL: Au weh, der Direktor ist hin. Was habe ich getan? Wie kann ich das je wiedergutmachen? –  –  Hu, hu, hu! Ich will auch nie wieder zu viel trinken, wenn nur der Herr Direktor wieder da wäre! (Direktor erscheint.)

DIREKTOR: Großartig, einfach großartig. Das ist eine Fabel, wie ich sie mir schon immer einmal für mein Theater gewünscht habe. Die böse Hexe wird zur guten Jungfrau und das Schaf lässt sich nicht verdauen. Das ist modernes Theater, kompromisslos und avantgardistisch! Den Titel weiß ich schon: "Kalifaxia, Hexe wider Willen". Und dieses holde Wesen soll die Hauptrolle spielen, zwar ist es nicht üblich, dass Jungfrauen auf deutschen Theaterbrettern.

ISOLDE: Aber Herr Direktor!

DIREKTOR: Nun ja, doch soll es die glänzende Krönung meiner künstlerischen Laufbahn werden. –  Und Sie, Herr Larifari, der Sie diese spannende Verwirrung ausgelöst haben, Sie sollen den Kasperl spielen!

KASPERL: Na was denn sonst, Herr Direktor, lieeeber Herr Direktor! Das nennt man Glück im Unglück. Hätte ich die drei Wünsche der Fee nicht unglücklich vergeudet, wäre dem Theaterdirektor kein neues Stück eingefallen und ich hätte keine Stelle mehr. –  Darauf wollen wir einen trinken, Herr Direktor!

DIREKTOR: Aber Herr Larifari, denken Sie an ihren guten Vorsatz.