Wandlungen des Faust-Stoffes von der Wanderbühne zum Marionettentheater
Die Geschichte von Doktor Johannes Faust, der einen Pakt mit dem Teufel schließt und schließlich an seinem Hochmut zugrunde geht, zählt zu den verbreiteten Stoffen der europäischen Literatur seit dem 16. Jahrhundert. In Goethes Faust-Dichtung erlebte er einen Höhepunkt, wirkte aber bis weit ins 20 Jahrhundert nach, etwa in Thomas Manns Epochenroman „Doktor Faustus“.
Goethes berühmtes Zeugnis von der Puppenspielfalbel, die vieltönig in ihm „klang und summte“ (Dichtung und Wahrheit)[1] und sein vermutlicher Besuch einer Faust-Aufführung der Ilgnerschen Gesellschaft 1770 in Straßburg[2] sowie des Geißelbrechtschen Marionettentheaters 1804 in Weimar deuten an, wie sehr die Faust-Tradition aus den Niederungen der volkstümlichen Unterhaltungskultur die Autoren der Goethezeit beeinflusst hat. Erst der Vergleich der aus der Tradition übernommenen Motive mit der Dichtung, an der Goethe 6 Jahrzehnte arbeitete, belegt die Breite der stofflichen Kontinuität. Neben den sogenannten Volksbüchern waren es die Stücke der wandernden Schauspielgruppen und der Marionettentheatern, die den Stoff auch im Bewusstsein der Autoren der Goethezeit wachhielten.
Um die Mitte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lassen sich wichtige Veränderungen in der Stoffgeschichte des „Faust“-Komplexes erkennen. Gerade fünfzig Jahre vorher war mit dem Faustbuch des „Christlich Meynenden“ ein Bestseller erschienen, der mit seinen ca. 30 Auflagen einen Großteil des gebildeten Publikums erreichte und die Kenntnisse vom Teufelsbündner zum Gemeingut machte. Für die Nichtgebildeten und des Lesens Unkundigen gab es seit Anfang des 17. Jahrhunderts den „Faust“ der Marionettentheater, der sich in einer parallelen Entwicklung von den Stücken der Wanderbühnen ableitete, die eine theatralischen Tradition aus dem letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts fortsetzten. Nach dem intellektuellen Höhenflug von Marlowe’s „Doctor Faustus“ im Jahre 1592 siedelten die wandernden Komödianten ihr davon abgeleitetes Faust-Spiel neben Jokus und Klamauk an und trugen entscheidend zu jener Trivialisierung des Stoffes bei, die von der Aufklärung so vehement bekämpft wurde.
Unsere Kenntnisse von jenen Stücken, die zunächst die wandernden Komödianten und dann die Marionettenspieler zwischen 1660 und 1775 zur Aufführung brachten, ist denkbar gering. Manuskripte der Wanderbühnen haben sich nicht erhalten, so dass wir allein auf Theaterzettel und sekundäre Zeugnisse angewiesen sind. Das früheste vollständige Faustspiel der Marionettenbühnen wurde erst 1804 von dem Mechanikus Georg Geißelbrecht aufgeschrieben. In den Manuskripten dieses Puppenspielers die Endstufe einer zweihundertjährigen Entwicklung greifen, die uns einen Marionetten-Faust hinterlassen hat, in dem die vielfältigen Entwicklungen und Veränderungen des Faust-Stoffes genau dokumentiert sind.
Die Bedeutung dieser Tradition ist eine zweifache. Zunächst hatte die dramatisierte Fassung der Faustsage eine weitaus größere Publikumswirkung als die verschiedenen Faustbücher von 1587, 1599, 1674 und selbst von 1725; nicht diese Bücher, sondern die viel unterhaltsameren Haupt- und Staatsaktionen und der Klamauk auf der Matrionettenbühne trugen zu einer außerordentlichen Popularität des Stoffes bei. Zum anderen ist der Einfluss dieser Traditionslinie auf die Dichter seit Lessing immer wieder unterschätzt worden. Bis in die Struktur von Goethes „Der Tragödie zweiter Teil“ wirken Elemente der theatralischen Faust-Fabel nach, deren Reise zum Hofe des Kaisers ebenso wie die Beschwörung Helenas Eingang in die Dichtung gefunden haben.[3]
Schon kurze Zeit nach dem Erscheinen der ersten Buchausgabe der „Historia von D. Johann Faust“ (1587) schrieb der englische Dramatiker und Shakespeare-Zeitgenosse Christopher Marlowe ein Faustdrama mit dem Titel „Doktor Faustus“, das nachweislich 1594 in London erstmals aufgeführt wurde. Marlowe verwandelt den negativen Helden der „Historia“, der als religiös motiviertes abschreckendes Beispiel für den Pakt mit dem Teufel dargestellt wird, in einen Renaissance-Gelehrten, der die Grenzen der menschlichen Erkenntnis sprengen will und deshalb das Bündnis mit dem Bösen eingeht.
Englische Komödianten brachten dieses Stück um 1600 auf den Kontinent und auch nach Deutschland; hier wurde es zuerst in englischer Sprache gegeben, dann nach und nach ins Deutsche übertragen. In einem allmählichen Assimilationsprozess verwandelten die Wanderschauspieler Marlowes „Doktor Faustus“ in ein deutsches Faustspiel, dessen Szenenfolge manche Parallelen zum Drama des Engländers aufweist, die sich aber immer weiter von ihrem Vorbild entfernte. Während die Fausthandlung mit Beschwörung, Teufelspakt, der Reise zum Hofe des Kaisers und der Höllenfahrt Fausts weitgehend erhalten blieb, wurden die Szenen der lustigen Figuren verändert. Aus den ursprünglich mehreren Clowns der englischen Vorlage wurde die Gestalt des einen Lustigmachers, der sich allmählich zur Kontrastfigur des Helden weiterentwickelte. Ein Prolog aus einem Drama von Thomas Dekker wurde dem Faust-Spiel vorangestellt, in dem die höllischen Furien vor Pluto erscheinen und von ihm die Erlaubnis erhalten, Faust zu versuchen.
In dieser Gestalt begegnet uns das Faust-Drama nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges in mehreren deutschen Städten. Es war nun zu einer der Haupt- und Staatsaktionen geworden und gehörte zum unverzichtbaren Repertoire der Wanderbühnen.
Wie viele andere populäre Stoffe der Theaters wurde auch das Faustthema in Wien aufgegriffen und dort zu Beginn des 18. Jahrhunderts nachhaltig verändert. Wien als Residenzstadt und Metropole der Donaumonarchie bildete im 18. Jahrhundert ein Zentrum, in dem sich viele kulturelle Einflüsse trafen; wichtiges Merkmal des sogenannten Wiener „Volkstheaters“ ist der Hanswurst, eine lustige Figur, deren Vorgänger im 17. Jahrhundert bereits unter dem Namen Pickelhäring bekannt war, und daher der direkte Erbe der Clowns der englischen Komödianten.
Hanswurst kommentiert in vielen Stücken - und nicht nur im Faust-Spiel - die Handlung, indem er das Publikum vertraulich anspricht; er fällt aus seiner Rolle heraus und durchbricht die Fiktion der Bühnenhandlung durch gezielte Flegeleien. Seine derbe bäuerliche Art steht in Kontrast zur feinen Etikette der höfischen Welt. Er vertritt eine materialistische Weltsicht und setzt seine Freß-, Sauf- und Geldgier dem Pathos der Helden entgegen, mit denen er im selben Stück agiert. Ihn zeichnen keine moralischen Fähigkeiten aus, vielmehr ist er ein feiger Aufschneider, der mit fäkalischen und sexuellen Ausdrücken eine Ventilfunktion für das im Alltag durch enge Moralvorschriften und Zensur eingeengte Publikum übernimmt.
Durch die Ausweitung der Hanswurst-Szenen entstand eine Kontrasthandlung zu den älteren Faust-Auftritten; sämtliche wichtigen Szenen erscheinen nun doppelt: Der Beschwörungsszene Fausts folgt eine Beschwörungsparodie des Hanswurst; dem Teufelspakt wird eine Szene nachgestellt, in der Hanswurst die Teufel foppt usw. So entstand innerhalb der Wiener Umarbeitung der Faustkomödie ein Spiel im Spiel, das von Wanderschauspielern um 1750 nach Süd-, Mittel- und Norddeutschland gebracht wurde. Einen einheitlichen Text, den man einem individuellen Autor zuschreiben könnte, hat es nie gegeben; vollständig ausgeschriebene Rollentexte für das Menschentheater sind nicht überliefert. Über den Inhalt der Stücke wissen wir lediglich aus zeitgenössischen Beschreibungen und kennen die Szenarien, die sich auf Theaterzetteln befinden und manchmal bis zu knappen Inhaltsangaben ausgeweitete wurden.
Auch Marionettenspieler nahmen das umgestaltete Faust-Spiel in ihr Repertoire auf. Bei ihnen wurde der Hanswurst zur eigentlichen Hauptfigur; selten hieß er „Arlequin“ später meistens „Kasperl“. Lediglich von diesen Marionettenspielen haben wir vollständige Manuskripte, die allerdings alle erst nach 1800 niedergeschrieben wurden.
Auf den Jahrmärkten des 17. Jahrhunderts wurde das eingedeutschte und mannigfach veränderte Schauspiel vom Doktor Faust in primitiven Bretterbuden aufgeführt; manche dieser Theaterdirektoren gaben gleichzeitig auch Vorstellungen mit Marionetten. Puppenspieler haben seit Mitte des 17. Jahrhunderts neben den Wanderschauspielern die Jahrmarktbesucher und anderes Publikum in den Städten mit ihren Künsten unterhalten. Die an Fäden oder Drähten von oben geführten Gliederpuppen wurden von ihren Prinzipalen benutzt, um das Spiel auf den Brettern der großen Bühnen zu kopieren, auf denen lebendige Menschen agierten. Die Grenzen zwischen dem Puppen- und Menschentheater blieben fließend; die Überlieferung der Faustspiele läßt sich von beiden Gruppen des fahrenden Volks nicht lösen.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts regte sich Kritik am rohen Spiel der Wanderbühnen; eine Theaterreform, die von Gedanken der Aufklärung geprägt war und mit dem Namen Gottsched verbunden ist, versuchten, das Theater zu didaktisieren und moralisch zu reinigen. Dies und die Tatsache, dass die fahrenden Schauspieler von den Bürgern nicht anerkannt wurden, da man ihnen wegen ihres niederen sozialen Status mancherlei unehrenhafte Absichten unterstellte, führte zu einer Diskriminierung vieler alter Stücke, darunter vor allem des „Doktor Faust“, den man zu Zeiten Lessings als unwürdig für die deutsche Bühne betrachtete. Gleichwohl war es Lessing, der ein Faust-Drama plante und sogar einige Entwürfe hinterlassen hat, ohne ein Konzept zur Vollendung des Stücks zu finden. Erst die junge Generation um Goethe nahm sich in der Epoche des Sturm und Drang der Stoffe aus der Vorzeit wieder an und fand Interesse an der Faustgestalt.
Von den Puppenspieler dieser Zeit, von denen einige mit einer ganzen Gesellschaft, später nur noch mit wenigen Gehilfen umherzogen, ist wenig bekannt; die ehrbaren Bürger erfreuten sich zwar gerne am bunten Treiben in ihren Buden und ließen sich von den derben Späßen und Zoten unterhalten; von den Spielern selber wollte man aber nichts wissen und achtete streng darauf, dass sie nur wenig Gelegenheit hatten, gegen die Regeln der städtischen Ordnung zu verstoßen. Strenge Vorschriften reglementierten ihre Wirkungskreise und schränkten ihre Auftrittsmöglichkeiten oft bis zur Grenze der ökonomischen Existenz ein; ein Teil der Schausteller wurde durch überharte Vorschriften und eine permanente gesellschaftliche Ausgrenzung sogar kriminalisiert. Waren im frühen 17. Jahrhundert noch vagierende Studenten am Wandlungsprozess der Faustspiele beteiligt, so entspricht der Bildungsstand der Marionettenspiele des 18. Jahrhunderts eher dem der Handwerker; man erkennt dies vor allem an den verderbten griechischen und lateinischen Sentenzen, die von den Spielern zwar noch gesprochen, nicht aber mehr verstanden werden.
Diese Entwicklungen haben den Faustspielen nicht gutgetan und - da es nur eine mündliche Überlieferung gab - den Dialogen sehr geschadet. In dieser heruntergekommenen theatralischen Gestalt haben die Gebildeten der Goethezeit die Faustsage kennengelernt.
Das Faustspiel, das den Wanderbühnen im 17. Und 18. Jahrhunderts als Grundlage für ihre Aufführungen gedient hat, ist als Manuskript nicht überliefert; es lassen sich aber durch Vergleich der Quellen die Szenen bestimmen, aus denen es zusammengesetzt war, bei folgendem Schema handelt sich also um die durch Abstraktion gewonnene idealtypische Struktur der in ihren einzelnen Aufführungen vielgestaltigen Stücke.
Vorspiel in der Hölle
Monolog Fausts in der Studierstube
Hanswursts Monolog
Zwei Studenten bringen Faust ein magisches Buch
Aufnahme Hanswursts durch Wagner als Diener
Faust beschwört die Teufel
Hanswurst parodiert die Beschwörung
Fausts Pakt mit dem Teufel
Hanswurst foppt die Teufel
Reise Fausts an den Hof des Herzogs von Parma
Hanswurst reist ihm mit einer Furie nach
Hanswurst foppt den Herzog
Faust beschwört am Hofe Gestalten der Antike
Bestrafung Hanswurst und Rückkehr nach Wittenberg
Ablauf der Frist, Fausts Reue
Der Teufel schickt eine Furie in Gestalt der schönen Helena
Hanswurst kündet als Nachtwächter die Mitternacht an
Fausts Höllenfahrt
In gleicher Gestalt wurde der Faust auch von Marionettenspielern gegeben. Bereits aus dem Jahr 1661 ist ein Anschlagzettel überliefert, auf dem eine Truppe von Marionettenspielern ihre Künste den Bürgern von Oldenburg ankündigt.[4] Aus dem 18. Jahrhundert kennen wir eine Fülle von Dokumenten, die von Auftritten der Marionettenspieler berichten. Für die sich allmählich herausbildende bürgerliche Kultur bedeutete die Jahrmarktksbelustigung zunächst wenig, erst die Romantiker erkannten die Bedeutung der alten Stoffe und Überlieferungen.
Unter diesen Marktschreiern ist der Marionettenspieler Georg Geißelbrecht (geboren 1762 in Hanau; gestorben 1826) in vielerlei Hinsicht eine bemerkenswerte Gestalt; sein Repertoire repräsentiert das gesamte Spektrum der damals vom Publikum begehrte Stoffe, darunter hat der „Doktor Faust“ immer das Zugstück gebildet. An seinem Wirken kann Typisches über die geistigen und sozialen Bedingungen des Marionettentheaters in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts veranschaulicht werden.[5] Zwar gab es neben Geißelbrecht noch eine Reihe weiterer Marionettentheater-Besitzer, die den „Doktor Faust“ ebenfalls in ihrem Bestand hatten; über keinen ist allerdings so viel Material aus Archiven zusammengetragen worden, keiner hat auch zu Lebzeiten eine solche Fülle von Spuren sowohl in Verwaltungsakten als auch in den Köpfen der Gebildeten hinterlassen.[6]
Geißelbrechts Wirkungskreis reichte von der Schweiz bis nach Dänemark, vom Oberrhein bis nach Ostpreußen; als Spielorte sind belegt Solothurn (1790), Nürnberg (1796/97), Rastatt (1797/98), Frankfurt am Main (1800, 1801, 1802, 1825), Erfurt, Weimar, Zeitz, Leipzig und Berlin (1804), Lüben (1805), Brslau und Glatz (1806), Breslau, Königsberg (1809), Berlin (1811/12), Güstrow (1814 und 1820), Hamburg (1814-1816), Flensburg und Kopenhagen (1816), Hadersleben (1816/17), Husum, Kiel, Traventhal, Rendburg (1817), Glückstadt (1818), Lübeck (1819), Salzwedel (1821), Offenbach, Hanau, Darmstadt (1825) sowie Heidelberg (1826).
Die dokumentierten Theaterzettel belegen, dass Geißelbrechts Bühne 75 verschiedene Marionettenstücke im Repertoire führte und dass von seiner Truppe 16 Personenstücke und 15 verschiedene Schattenspiele sowie 5 Feuerwerke zu unterschiedlichen Themen aufgeführt wurden.
Die erste Nachricht, dass Geißelbrecht ein Faustspiel im Repertoire führt, haben wir bereits vom Dezember 1796, als er in Nürnberg dieses Stück neben seinen berühmten Ombres Chinoises ankündigte.[7] Der Mechanikus ließ im Januar des folgenden Jahres gleich die Fortsetzung auf der Bühne erscheinen, ein Wagner-Spiel.[8]
Dem „Faust“ blieb der Marionettenspieler treu; so hören wir aus Rastatt ein wenig später:[9] „Am Rastadter Congress klagte die Direktion des französischen Theaters über die Abnahme des Zuspruchs, weil alles nach dem Marionettentheater eines gewissen Geißelbrecht lief [...].“
Als der Mechanikus Geißelbrecht mit seiner Truppe Anfang Mai 1804 nach Weimar[10] einzog, konnte er auf ein gutes Geschäft hoffen. Das gebildete Publikum in der kleinen Residenzstadt versprach einen guten Zuspruch besonders bei den traditionellen Marionettenspielen, für die der Mechanikus berühmt war. Der reisende Theaterprinzipal aus dem Hessischen konnte sich ausrechnen, dass die „geschätzten Liebhaber“ aus dem gebildeten Bürgertum seine Darbietungen so reputierlich finden würden, dass eine Verlängerung des Gastspiels ohne große Probleme genehmigt würde.
Die Existenzsicherung war zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht leicht für wandernde Marionettentheater wie das Geißelbrechtsche; die Polizeivorschriften der deutsche Kleinstaaten verlangten allerhöchste Spielerlaubnisse, die nur schwer und zu bestimmten Anlässen zu bekommen waren. Das Ansehen der Puppenspieler war gering; sie galten als „fahrendes Volk“, dem nicht über den Weg zu trauen war. In Residenzstädten mit stehenden Theatern empfanden die Schauspieler die hölzernen Akteure gar als Konkurrenz und sorgten dafür, dass die Spielerlaubnis für die Marionetten nur zeitlich begrenzt erteilt wurden. Für Geißelbrecht ließ sich die Sache in Weimar gut an; er spielte neben dem „Faust“ die Kotzebue-Parodie „Herodes von Bethlehem“ von August Mahlmann und lieferte seinem Publikum auf dem Rathaussaal damit eine anspruchsvolle Kost, die in ihrer Art neben den Darbietungen der Weimarer Hofschauspieler durchaus Bestand hatte. Damit es gar nicht erst zu einer direkten Konkurrenz zwischen den Marionetten und den Schauspielern kommen konnte, hatte die „General Policei Direction“ zur Bedingung gemacht, „Dass an den Schauspieltagen nicht gespielt werden sollte.“[11]
Die Gesellschaft muss sich ordentlich betragen haben, denn eine kurze Verlängerung des Gastpiels wurde erteilt, man erlaubte Geißelbrecht, insgesamt 11 Vorstellungen in Weimar zu geben. Ein besonders an den Marionetten interessierter Besucher des Geißelbrechtschen Theaters war Johann Daniel Falk, der nach eigenen Angaben gemeinsam mit Goethe den „Doktor Faust“ besuchte.[12] Falk war aus verschiedenen Gründen an Geißelbrechts Theater interessiert und versuchte, eine weitere Verlängerung der Spielerlaubnis für Geißelbrecht zu erwirken. Dieser Versuch schlug nicht nur fehl, Falks besondere Bemühungen um den Marionettenspieler führte sogar zu einer vorzeitigen Beendigung des Weimarer Gastspiels, nachdem Geißelbrecht auf Drängen Falks einen satirischern Prolog verlesen hatte, in dem die Schauspieler des Hoftheaters angegriffen wurden. Goethe persönlich bewirkte daraufhin die Ausweisung Geißelbrechts aus Weimar.[13] Die Affäre hatte ein kurzes publizistisches Nachspiel[14], wurde aber schnell vergessen. Allerdings zerschlugen sich so die Pläne Falks, in der Residenzstadt ein stehendes Marionettentheater zu etablieren, von dem er sich gemeinsam mit seinem Freund August Mahlmann eine Reform des in Konventionen erstarrten Theaters erhoffte.[15] Wir verdanken dem Interesse Falks an dem Puppenspieler Geißelbrecht eine umfangreiche Sammlung von Manuskripten, die der Marionettenspieler in den folgenden Jahren für seinen Gönner zumeist aus dem Gedächtnis niederschrieb und die Manuskripte nach Weimar sandte. Unter den 144 handschriftlichen Manuskripten der Sammlung „Volkstheater“ im Goethe-Schiller-Archiv befinden sich 75 Stücke für das Marionettentheater; davon lassen sich etwa 50 Texte mit Geißelbrechts Theater in Verbindung bringen; 23 stammen von Geißelbrechts Hand (an 8 davon haben auch andere Schreiber mitgearbeitet), 20 weitere wurden von Schreibern niedergeschrieben, die zu Geißelbrechts Truppe gehörten, 3 weitere sind Abschriften von Texten Geißelbrechts; weitere Texte lassen sich den Titeln nach seinem Theater zuordnen. Es handelt sich bei fast allen Handschriften um Hefte, in die Repertoire-Stücke dieses Marionettentheaters niedergeschrieben wurden; sie stammen aus den Jahren von 1804 bis etwa 1815.[16] Diese Sammlung volkskundlicher Dokumente ist bisher in ihrer Bedeutung nicht erkannt worden, auch nicht von der Puppenspielforschung. Wenn man die Stücke mit der Repertoire-Liste vergleicht, die ich von Geißelbrecht veröffentlicht habe[17] und die ca. 50 Stücke umfasst, so wird deutlich, dass es sich bei der Weimarer Sammlung um das vollständige Repertoire dieses Marionettenspielers handelt, das er in den ca. 40 Jahren seines nachweisbaren Wirkens zwischen um 1785 bis 1826 in weiten Teilen des deutschen Sprachraums zur Aufführung gebracht hat. Wir verdanken diese einmalige Dokumentation einer um 1800 äußerst lebendigen Volksbelustigung dem Interesse des bereits erwähnten Johann Daniel Falk, auf dessen Drängen hin der ihm mehrfach verpflichtete Machanikus die nur mündlich tradierten und vielfach extemporierten Stücke innerhalb eins Zeitraums von zehn Jahren aufgeschrieben hat. Hier interessieren nur die Faust-Texte, die innerhalb des Gesamtrepertoires eine bedeutende Stellung einnehmen.[18]
Aus Geißelbrechts Korrespondenz mit Falk wird deutlich, warum wir nur so wenige Manuskripte von Marionettenspielen besitzen. Geißelbrecht schreibt am 22.9.1804 aus Merseburg, nachdem Falk ihm erneut um eine Abschrift seines Faust-Spiels gebeten hatte: „Ich mochte es nicht gerne abschreiben lassen durch einen Fremden, denn es ist denen Studenten nicht zu trauen. Sie könnten es auch für sich abschreiben, und einem andern Marjonetten Spieler verkaufen; [...].“ Anfang Oktober (Brief vom 7.10.1804) ist er endlich dazu gekommen, sich den „Faust“ vorzunehmen, und hat sich dabei an die Anfänge seiner Laufbahn als Puppenspieler erinnert: „[...] werde Ihnen nun zuerst den Doctor Faust abschreiben, weil sie so befehlen, so will ich Ihnen die derbesten Ausdrücke, wie mans vor 20 und mehr Jahre aufgeführt hat, hinschreiben [...].“
Mitte Oktober scheint diese Arbeit für Geißelbrechts Verhältnisse zügig vorangegangen zu sein, denn er kann Falk nun versichern: „Den ersten Act vom Doctor Faust habe schon fertig, und ehe wir von hier abreisen sollen Sie Ihn noch bekommen.“ Geißelbrecht schickte das Faust-Manuskript erst Ende Oktober 1805 an Falk.[19]
Auch in den folgenden Jahren bleibt der „Doktor Faust“ in Geißelbrechts Repertoire erhalten; zeitgenössische Berichte über Vorstellung[20] und eine Fülle von Theaterzettel und Anzeigen belegen, dass er das alte Stück immer wieder aufgeführt hat.[21]
Wie das Faust-Manuskripte aus dem Besitz des preußischen Offiziers Oberst von Below, der davon im Jahre 1832 einen Privatdruck in wenigen Exemplaren herstellen ließ[22], mit dem Namen Geißelbrecht in Verbindung gebracht wurde, ist ungeklärt. Bei diesem Text muss es sich um ein späteres Manuskript Geißelbrechts handeln, in das er handschriftliche Notizen eintrug, unter anderen: „Alles was unterstrichen ist, bewegt mich, dass ich Fausten nie wieder aufführen werde.“ Es handelt sich vor allem um gotteslästerliche Stellen in Fausts Monologen, so dass wir auf eine stärkere religiöse Bindung des Mechanikus im Alter schließen können. Da bisher nur diese Version des Marionettenfaust mit dem Namen Geißelbrecht in Verbindung gebracht wurde, hat man die viel besseren Fassungen innerhalb der Manuskriptsammlung übersehen und ihre Bedeutung nicht erkannt.
Das Faustspiel Geißelbrechts besteht also aus einem ganzen Konvolut von Handschriften, unter denen sich frühere und spätere Fassungen unterscheiden lassen. Die beiden vollständigen und früheren Versionen innerhalb der Sammlung „Volkstheater“ im Weimarer Goethe-Schiller-Archiv geben uns den Text so wieder, wie er ihn bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts gespielt hat. Das erste Manuskripte ist ein gebundenes Textbuch, das 94 Doppelseiten von Geißelbrechts Hand aufweist.[23] Nach Briefen Geißelbrechts an Falk handelt es sich um das Manuskript, das in den Jahren 1805 bis 1806 entstand. Das zweite Manuskript[24] stammt ebenfalls von Geißelbrechts Hand und umfasst 64 Doppelseiten. In das Heft sind Reste eines Faust-Zettels eingeklebt, die das Personal des Stücks verzeichnen. Im Text und auf dem Vorsatzblatt finden sich Notizen von Johann Daniel Falk.[25] Sehr weit können die beiden Manuskripte nicht auseinanderliegen, denn der Duktus der Handschrift ist in beiden Heften identisch. Möglicherweise ist No. 10 kurz nach No. 8 entstanden, weil das zuerst geschriebene Manuskript eine Reihe von Details der Handlung nur andeutet, die dann in 10 ausgeführt wurden. Ob Falk um ein ausführlicheres Manuskript gebeten hat, läßt sich nicht mehr feststellen, da seine Briefe an Geißelbrecht nicht erhalten sind.
Im Lichte dieser neu erschlossenen Quellen wird deutlich, dass die Manuskripte Geißelbrechts uns den alten Marionetten-Faust in der Gestalt zeigen, wie ihn in der Mitte des 18. Jahrhunderts Wanderschauspieler und Marionettenspieler von Wien nach ganz Deutschland gebracht haben.
Szenenfolge in Geißelbrechts Faustspiel
Monolog Fausts in der Studierstube; guter und böser Genius
Wagner kündet zwei Studenten an, die Faust ein magisches Buch bringen
Hanswursts Monolog
Aufnahme Hanswursts durch Wagner als Diener
Faust beschwört die Teufel
Hanswurst parodiert die Beschwörung
Fausts Pakt mit dem Teufel
Reise Fausts an den Hof des Herzogs von Parma
Hanswurst reist ihm mit einer Furie nach
Hanswurst foppt die Herzogin
Faust spricht mit der Herzogin
Mefisto warnt Faust
Bestrafung Hanswurst und Rückkehr nach Hause
Fausts Reue
Der Teufel schickt eine Furie in Gestalt der schönen Helena
Hanswurst kündet als Nachtwächter die Mitternacht an
Fausts Höllenfahrt
Casper (!) foppt die Teufel
Äußerlich erweist sich dieser Marionetten-Faust im Vergleich mit meiner Rekonstruktion der Szenenfolge des älteren Stück der Wanderbühnen als weitgehend vollständig. Zwar ist das Vorspiel in der Hölle wie bei den meisten Marionettenspielen verschwunden[26], im Szenenbestand hat es lediglich einige Umstellungen gegeben. Betrachtet man aber den Inhalt, so werden gravierende Veränderungen erkennbar. Sie betreffen zunächst die Faust-Handlung, die insgesamt auffällig reduziert erscheint. Ausgeweitet wurden hingegen die Szenen mit Hans Wurst, der sich als Held auf dem Marionettentheater deutlich in den Vordergrund drängt. Dies hat nur zum Teil mit dem Bedürfnis des Publikums nach klamaukhafter Unterhaltung zu tun; deutlich wird gerade bei der Geißelbrechtschen Überlieferung, dass dem wenig gebildeten Puppenspieler trotz jahrzehntelanger Vertrautheit mit dem Stoff Themen und Motive der Faust-Handlung fremd geblieben sein müssen.
Das Manuskript enthält eine Fülle von Spuren der älteren Faust-Handlung der Wanderthearter-Tradition, so die Verwechslung von Faust und Fust, also die falsche Zuschreibung der Erfindung der Buchdruckerkunst, aber auch Anklänge an die literarische Faust-Tradition der neuerer Zeit. Die Beschwörung der Furien durch Faust ähnelt sehr der entsprechenden Szene bei Lessing und belegt, dass unmittelbar nach der schriftlichen Fixierung oraler Überlieferungen eine Erstarrung der im Fluss befindlichen Traditionsstränge einhergeht.
Zu Beginn des Stücks erscheinen die Faustszenen auf ihr wesentliches Handlungsgerüst reduziert; im weiteren Verlauf verdünnt der Marionettenspieler seinen „Faust“ bis zur Unkenntlichkeit. Schon die Motivation Fausts, sich mit der Magie zu beschäftigen, scheint ihm fremd und unverständlich zu sein. Die Erinnerung an die beiden Studenten, die bereits bei Marlowe ein seltenes magisches Buch zu Faust brachten, ist dürftig ausgeprägt und nicht mit der Teufelsbeschwörung verbunden. Faust Unzufriedenheit kann sich der brave Marionettenspieler gar nicht recht erklären; nachdem er - wie übrigens alle lateinischen und auch die wenigen griechischen Texte, denn er war der alten Sprachen nicht mächtig - den Gemeinplatz „Nemo sua sorte contentus“ verballhornt hat, trägt er formelhaft die Kritik an der ständischen Gesellschaft vor:[27]
ein Bauer möchte gerne Bürger, Ein Bürger Edelmann, ein Edelmann Graf, ein Graf Fürst, ein Fürst König: und ein König Kaiser sein. Und wenn einer alles dieses ist, so ist er doch nicht mit sich zufrieden; Er möchte gerne ein Alexandro, ein Bezwinger der ganzen Welt sein [...].
Für Geißelbrechts Faust bedeutet dies aber nur:
Ein gewisses etwas in mir, das ich mir selbst nicht erklären kann, ein Streben nach einem mir unbekannten Dinge, ists, was mich in beständiger Unruhe erhält; mein Herz sehnt sich immer nach etwas; und ist dieses etwas befriedigt, so ist schon wieder ein anderer Wunsch in meiner Seele reif.
Ebenso einfältig fallen die Wünsche beim Teufelspakt aus: Faust will nie an Geld Mangel leiden müssen, überall hin durch die Luft reisen und „kategorische“ Antworten in weltlichen und geistigen Dingen haben.
Man hat den Eindruck, dass dieser blasse Teufelsbünder nur deshalb auf der Marionettenbühne agiert, um dem Hanswurst Anlässe zum Hervorbringen seiner Zoten zu bieten.
Die Handlung bei Hofe ist noch stärker reduziert; die Beschwörung antiker Gestalten tritt in den Hintergrund. Nur notdürftig motiviert reisen Faust und Mefistopheles zurück nach Wittenberg. Zu Hause angekommen zeigt sich Faust von Reue zermürbt, fragt den Teufel nach der Hölle und wird schließlich mit der Erscheinung Helenas betrogen. Vom Ablauf der vereinbarten Frist ist nicht mehr die Rede. Schnell wendet sich die Handlung nun dem Ende zu. Gerade im Schlussteil wird deutlich, dass die Erinnerung an Details der Fausthandlung bei den Marionettenspielern zunehmend verblaßt ist. Lediglich die uralten Alexandriner, die noch aus dem 17. Jahrhundert stammen mögen, haben sich in der oralen Tradition behaupten können. Hier ein paar Beispiele aus Faust lamoryanten Klagelitanei - die Verse sind nicht immer gut erhalten:
Zuvor in Purpurkleiderpracht prangt her, der stolze Prasser,
nun sitzt er in der Höll, und schmacht, nach einem Tröpfchen Wasser.
Lazarus, war arm, und bloß, ließ sich von Hunden lekken.
Er sitzet nun in Abrahams-Schoß, läßt sich von dem Himmel schmecken.
Judas, hat durch bloßen Kauf, sein Glück und Heil verschwendet.
Zuletzt nahm der Herr den Schächer auf, der sich zu ihm gewendet.
O so wende ich mich auch zu dem Heil, ach Herr gedenke meiner,
schenk mir doch deinen Gnadenteil<,> denn ohne dich, hilft keiner.
[...]
Später klagt er:
Nun bin ich schon verklagt! - verklagt von meinen Sünden.
Wo werd ich armer Faust, Trost, Rath, und Hilfe finden?
Vor Angst wird mir zu klein die weit und breite Welt.
Hier liegt der Höllenhund; der ins Gewissen bellt.
Lernt Sünder, lernt von mir, des Satans Neze fliehen,
wenn er euch nicht wie mich, soll nach der Hölle ziehen.
O hartes Donnerwort, hört was der Satan sagt!
Faust, Faust! Du bist bei Gott verklagt.
Und unmittelbar vor der Höllenfahrt heißt es:
Verdammt? - in alle Ewigkeit verdammt, zu jenen Finsternissen,
Was werd ich armer Faust, allda empfinden müssen!
Verflucht hab ich gelebt! Verflucht fahr ich dahin!
Mein Ende ist also, wie ich gewesen bin.
Verdammt sei alle Kunst, und alle Wissenschaft.
Verdammt sei alles Tun, sobald es lasterhaft.
Verdammt sei Faustens Leib, verdammt sei Faustens Seel.
In alle Ewigkeit, o weh! o weh!
Und unter Anteilnahme des verehrten Publikums wird Faust in den Höllenrachen zur unendlichen Pein gezerrt, was der Hans Wurst prosaisch so kommentiert:
Glückliche Reise, glückliche Reis. Pfou Teufel, der hat schöne Kammerdiener, die können einander zurufen, Brüder tret<e>t mir nicht auf den Schwanz!
Dem Hans Wurst aber können die Teufel nicht anhaben, der ist gegen alle ihren Angriffe, Verführungen und Machenschaften gefeit. Seine Souveränität beruht auf seiner Unabhängigkeit von all der Zauberei und intellektuellen Verstiegenheit seines Professors, dessen geistige Welt er nicht begreif und der für ihn nur ein „Brotfresser“ ist. Hans Wurst dient seinem Herren nicht eigentlich, er nutzt lediglich die Kulissen der Haupthandlung, um seine eigene Person angemessen inszenieren zu können. Und das heißt für den Lustigmacher: sich selbst gebührend in den Vordergrund zu schieben. Mit diesem Protagonisten seines Metiers bewegt sich der Puppenspieler auf vertrautem Fuß; darin liegt wohl auch der Hauptgrund dafür, dass es die Hanswurst-Szenen sind, die in Geißelbrechts „Faust“ eindeutig dominieren. Solche Akzentverschiebungen weisen übrigens auch andere Stücke des Marionettenspielers auf.
In einem Brief vom 21. Oktober 1804 meldete Geißelbrecht seinem Gönner Falk aus Wittenberg: „Noch etwas neues! Der Hanswurst hat seinen Namen verlohren, und heißt Casperl, weil ihn Dreher und Schüz[28] so tauften, so muss ich ihn auch so nennen[29] - - -.“
Hans Wurst oder modern „Casper“ ist die Lieblingsgestalt des Marionettenspielers, ihn setzt er mit allem ihm zur Verfügung stehenden Mittel in Szene. Der Holzkopf „Casper“ hat in Geißelbrecht einem ihm gemäßen Meister gefunden. Schon der erste Auftitt „Caspers“ beginnt mit einem überlangen Monolog, in dem er dem Publikum seine Geistesart zum besten gibt. Seine Späße sind zweideutig-eindeutig sexuell und fäkalisch dominiert. Zunächst erzählt er, wie er das Buch seines jungen Herrn auf dem Abtritt missbraucht hat - wofür man ihn zuerst entlassen und dann durchgeprügelt hat, dann entdeckt er Fausts Bücher.
Was Teufels da sind ja Bücher; und eins ist aufg'schlagen; potz Blitz! wenn ich nur a bissel lesen könnt, nu wart ich will mal a bissel buchstabieren. Das ist a Buchstab der ist so groß wie a Scheunentor. Das ist g'wiß ein a. richtig ein a.
er buchstabiert
a. r. s. ch. Schnupfstabacksdose. Aha.
v. o. tz. Feuerzeug.
Und so geht es weiter, sicher zum Vergnügen der Zuschauer, die ihm genau auf Maul geschaut haben werden. Die Hanswurst-Szenen sind zu einem Stück im Stück weiterentwickelt und kontrastieren die verblassende Haupthandlung in satirischer Absicht. Neben den Alexandrinern, die der Mechanikus seinem Doktor Faust in den Mund legt, gibt es eine weitere Spur, die bis ins frühe 17. Jahrhundert zurückweist; die Szene in Parma, in der Stallknecht und Köchin dem zecheprellenden Hanswurst nachlaufen, ist bereits nach dem Dreißigjährigen Kriege ins deutsche Faust-Drama hineingekommen. So wie in der älteren Faust-Tradition auf dem Menschen-Theater der Kaiser durch den weniger verfänglichen „Herzog von Parma“ ersetzt wurde, zieht es auch bei Geißelbrecht Faust nach Parma. Hanswurst ist allerdings vor seinem Herrn da und fällt der Herzogin vor die Füße. Vermutlich änderte der Mechanikus das Spiel deshalb, weil die Anzüglichkeiten des rüden Caspers gegenüber einer Frau noch unverschämter und damit publikumswirksamer waren. Vor der Herzogin im fernen Parma geht Casper aufs Ganze; er verspricht ihr einen großes Zauberkunststück, ein Feuerwerk ohne Rauch und Dampf:
Moral, oder Schmiral, das ist mir ein Ding, nun gehts nur a bißle beiseit dass euch nichts ins Gesicht sprizt. er hebt den Fuß auf.
Hokes bockes, rictus malagus. [...]
Ne gute Sache will Weil haben, nu kommts, nu paßt auf, nu kommts. er läßt einen tüchtigen Knall los, er geht auf die Herzogin los.
So gewinnt der Allerweltskerl die Sympathien seiner Zuschauer, weil er vor nichts und vor niemandem Respekt hat, weder vor einer Herzogin, noch vor einem Professor und vor einem Teufel schon gar nicht. Seine dumm-dreiste Unverfrorenheit ermöglicht es ihm, einen fiktiven Raum der Anarchie zu erzeugen, in dem - zumindest auf der Marionettenbühne - eine Alternative zur alten Welt von Faust und Mefistopheles aufscheint. Der ungehobelte Bediente aus 4. Stand spielt kurz nach der Französischen Revolution die hohen Herrschaften an die Wand und besudelt ihr unzeitgemäßes Pathos mit Unflat. Dass diese subversiven Tendezen dem vorsichtigen Geißelbrecht nach seinen Erfahrungen mit der Zensurbehörde in Weimer selber unheimlich waren, geht aus seinem oben bereits zitierten Brief an Falk vom 7. Oktober 1804 hervor, in dem er zu den „derbsten Ausdrücken“ in seinem Faust-Manuskript anmerkt: „wo man sich gleich jetzt nicht unterstehen darf, so etwas zu sagen“.
Geißelbrechts Faust-Manuskripte geben uns einen repräsentativen Einblick, wie das Faustspiel am Ende des 18. Jahrhunderts ausgesehen haben muss. Falk war also gut beraten, als er sich von diesem Mechanikus die seiner Zeit populären Spiele der Marionettenbühnen hat aufschreiben lassen.
Deutlich wird an diesem Stück also, dass die eigentliche Fausthandlung auf der Marionettenbühne allmählich verblasste, wodurch der Stoff aber dennoch der literarischen Tradition nicht verlorenging, da er ja um das Jahr 1775 für die bürgerliche Dichtung wiedergewonnen wurde. Was für die Marionettenspielern nach dieser Akzentverschiebung übrig blieb, war beileibe kein Rest, es war Fleisch von ihrem Fleisch und sicherte Geißelbrecht und seinen Zunftkollegen für weitere knapp einhundert Jahre das Überleben auf den Jahrmärkten.
Die von Karl Simrock um die Mitte des 19. Jahrhunderts angefertigte Rekonstruktion des Puppenspiels vom Doktor Faust erscheint aus der Sicht der Geißelbrechtschen Manuskripte als typisch bildungsbürgerliches Produkt, in dem die ältere Fausthandlung – wie bereits von Günther Mahal in seinem Nachwort der Reclam-Neuausgabe kritisch bemerkt – in konservierender Absicht rekonstruiert wird, was der wirklichen Tradition der Marionettenspieler gänzlich entgegenläuft. Folgerichtig blendet Simrock in seiner glättenden Absicht auch alles Sexuelle und Fäkalische aus, was doch gerade bei Geißelbrecht & Co. den Schwerpunkt bildet und wohl auch für den nachhaltigen Publikumserfolg von nicht geringer Bedeutung gewesen sein muss.
Was seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zwischen den Buchseiten und später auch auf den Theaterbühnen über Faust zu erfahren war, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Der bereits erwähnte Carl Julius Weber beschreibt die Schlussszene der von ihm Ende des 18. Jahrhunderts besuchten Faustaufführung Geißelbrechts in Rastatt folgendermaßen:[30]
[...] und doch war das Witzigste, was ich von ihm hörte, dass er im Faust als Hanswurst erzählte, was er mit seinem Herrn in der Hölle gesehen habe. 'Da sah ich auch einen Saal, wo Leute über glühende Bänke immer hin- und hersteigen mussten, und das waren die Leute, die in Rastadt immer vom Sechskreuzerplatz nach dem Zwölfkreuzerplatz hinübergestiegen waren.' Man denke sich das Gelächter, das zugleich dem Unfug einigermaßen abhalf. [...] Mein Marionettenspieler Geißelbrecht endete seinen Faust, wie in der Regel der arme Schwarzkünstler endet, Mephistopheles als Hanswurst kapitulirt mit dem Gott sei bei uns! der ihm aber seinem Herrn nachschicken will. 'Wer bist du denn?' fragt der Teufel. 'Ich - bin ein Rastädter' (vermuthlich ist er überall von der Stadt, wo er gerade auftritt). Der Teufel flieht, und der Hanswurst macht seinem verehrlichen Publikum das Kompliment: 'Meine Herren! Sie sehen, der Teufel hat Respekt vor den Rastädtern!'
Mit seiner Beschreibung erweist sich Weber als genauer Chronist seiner Zeit, denn in der Stadt Goethes und Schillers ließ Geißelbrecht seinen „Casper“ zum Publium sagen:
Ich gratuliere, ich gratuliere, wer von Weimar ist<,> den holt der Teufel nicht, aber ich muss mich weg packen denn er möchte es gewahr werden, dass ich nicht von Weimar bin, und könnte mich abholen.
Gute Nacht.
Anmerkungen
[1] Einen Beleg für die Aufführung des Puppenspiels vom Doktor Faust haben wir für Frankfurt am Main in den Jahren 1756 und 1757. Vergl. Faust-Spiele der Wanderbühnen. Knittlingen 1988, S. 79.
[2] Dass die Truppe von Peter Florenz Ilgner 1770 in Straßburg einen „Doktor Faust“ aufführte, geht hervor aus Andr. Meyer: Brief eines jungen Reisenden durch Liefland, Kurland und Deutschland. Erlangen 1777. In: Archiv für Litteraturgeschichte. Leipzig 8.1878, H. 3, S. 359f.
[3] Einige Literaturhinweise: Helmut G. Asper: Hanswurst. Studien zum Lustigmacher auf dem deutschen Theater im 17. und 18. Jahrhundert. Emsdetten 1980. Olaf Bernstengel u.a. (Hg.): Beiträge zur Geschichte der lustigen Figur im Puppenspiel. Frankfurt am Main 1994. Gerd Eversberg: Doctor Johann Faust. Die dramatische Gestaltung der Faustsage von Marlowes >Doktor Faustus< bis zum Puppenspiel. Phil. Diss. Köln. 1988 Peter Schmitt: Schauspieler und Theaterbetrieb. Studien zur Sozialgeschichte des Schauspielerstandes im deutschsprachigen Raum 1700-1900. Tübingen 1990 (Theatron, Bd. 5).
[4] Kurt Asche: Marionettenspieler und Gaukler mit kaiserlichem Privileg. Drei norddeutsche Programmzettel des 17. Jahrhunderts. In: Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, Berlin 1988, H. 34/35, S. 61-73.
[5] Vergl. Gerd Eversberg: Der Mechanikus Georg Geißelbrecht. Zur Geschichte eines wandernden Marionettentheaters um 1800. In: Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, Berlin 1988, H. 34/35, S. 105-128.
Johannes Richter: Mechanikus Geißelbrecht – Wanderkomödianten im 19. Jahrhundert. Pole Poppenspälers Vorfahren in Güstrow. In: Stier und Greif. Blätter zur Kultur- und Landesgeschichte in Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin 1991, S. 70-77.
[6] Bei der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts intensiv geführten Diskussion über die Faustdichtung vor Goethe wurde nach einer Urfassung des Marionetten-Fausts gesucht, deren Entstehung man im späten 17. Jahrhundert vermutete und mit dem ideologisch belasteten Terminus „Voksschauspiel“ zu einer von Christopher Marlowes „Doktor-Faustus“ unabhängigen, rein deutschen Dichtung zu stilisieren versuchte. Dass hierbei der nationalistische Wunsch der Vater des Gedankens war, läßt sich durch Szenenvergleiche leicht zeigen; heute ist die Ansicht allgemein anerkannt, dass es der englische Shakespeare-Zeitgenosse war, der auf der Grundlage des Faustbuchs von 1587, von dem er eine englische Übersetzung benutzte, die erste dramatische Bearbeitung der Faustsage schuf. Vergl. auch Günther Mahals Nachwort zur Neuausgabe von „Doktor Johannes Faust. Puppenspiel in vier Aufzügen, hergestellt von Karl Simrock.“ Stuttgart 1991.
[7] Theaterzettel (1. Dec.): Ombres Chinoises: Der große magische Zauberer; mit großen mechanischen Figuren: Der Doktor Faust. Stadtbibliothek Nürnberg, Nor. 293.
[8] Theaterzettel (21. Januar 1797): Mit wohlgekleideten Kunstfiguren oder Marionetten: Christoph Wagner, gewesener Famulus bei dem Dokter Faust. Ein Lustspiel in 5 Aufzügen; Das phisikalische Feuerwerk; Ombres Chinoises. Stadtbibliothek Nürnberg, Nor. 293.
[9] Carl Julius Weber: Die Marionetten. In: C.J.W.: Democritos. oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen. Bd. 12, Stuttgart 1849, S. 93-95.
[10] „Als der Marionettenspieler Geisselbrecht in Weimar war, fand derselbe durch seine Vorstellungen viel Beifall [...].“ Aus Goethe's Leben. Wahrheit und keine Dichtung. Von einem Zeitgenossen [d. i. Johann August Ludecus]. Leipzig 1849, S. 47.
[11] J. C. R. Ridel an Falk vom 17.5.1804. Goethe-Schiller-Archiv Weimar.
[12] Johann Daniel Falk an Christine von Reitzenstein; Brief vom 29.12.1811. Goethe-Schiller-Archiv Weimar.
[13] „Weil bei S<einer>. General Policei Direction bekannt war, dass Durchl<aucht>. der Herzog mehrmalen Marionetten Komödien hier zu spielen erlaubt, und sie Selbst besucht hatte, so fand man auch für dieses mahl kein bedenken der Geisselbrechtschen Gesellschaft die Erlaubniß dazu zu ertheilen - Der Jahrmarckt gab Veranlassung dass die Gesellschaft um Verlängerung bat, die ihr auch in der Rücksicht zugestanden ward. Man hatte um dem hiesigen Theater keinen Schaden in der Einnahme zu veranlassen gleich anfangs zur Bedingung gemacht, dass an den Schauspieltagen nicht gespielt werden sollte. Gleichwohl sagte mir gestern H<er>r. Geh<eimer>. Rath Voigt, H<er>r. Geh<eimer>. Rath von Göthe hätten geäussert dass die Theater Casse dadurch Schaden litte, und sie wünschten dass künftig nicht so lange von der Ge<ehrte>n. Pol<izei>. Direct<ion>. die Erlaubniß ertheilt würde. Da nun das Hof-Theater allerdings allen übrigen vorgehen muss, so ist die Ge<ehrte>n. Pol<izei>. Direct<ion> nicht im Stande der Geisselbrechtsch<en>. Gesellschaft noch eine längere Erlaubniß zu verstatten, wenn es nicht die Theater Direction selbst veranlaßt. (Die Marionetten haben zu eilf Vorstellungen Erlaubniß, wovon die heutige die achte ist.) Dies will ich Ihnen, lieber Freund, zu Ihrer Notiz melden. Können Sie besondere Gründe zu der längeren Erlaubniß bei der Theater Direction veranlassen, so gebe ich das Ihnen anheim. Aber ohne dass der H<er>r. Geh<eime>. Rath von Göthe entw<eder>. H<er>rn von Fritsch oder mich schriftlich veranlasst der Truppe noch mehrere Vorstellungen zu erlauben, kann es nicht geschehen<.>“ Brief C. J. R. Ridels an Johann Daniel Falk vom 17.5.1804; Goethe-Schiller-Archiv Weimar; in spitzen Klammern: Ergänzungen von G. E.
[14] Bericht von einem lustigen Kriege: zwischen Geisselbrechts Marionetten und den Hofschauspielern in Weimar. In: Zeitung für die elegante Welt (Leipzig), Nr. 69 vom 9.6.1804. Sowie: Krieg zwischen den Marionetten und den Weimarschen Hofschauspielern. Neueste Zeitungsberichte. Ebenda, Nr. 88 vom 24.6. Verfasser dieser Satire ist J. D. Falk.
[15] Im Goethe-Schiller-Archiv Weimar befinden sich eine Reihe unveröffentlichter Briefe von Georg Geißelbrecht sowie von August Mahlmann an J. D. Falk; die 22 Briefe Geißelbrechts erlauben vielfältige Einblicke in den Alltag einer reisenden Marionettenbühne; aus den Briefen Mahlmanns läßt sich die Absicht zur Begründung eines stehenden Marionettentheaters entnehmen.
[16] Goethe-Schiller-Archiv (Sig. Q 683,1-144); unter den Marionettenspielen befinden sich folgende Handschriften von Faust-Stücken:
No. 8 Doctor Faust. Eine Volcks-Sage in 5. Aufzügen. Handschrift von Geisselbrecht; 64 Doppelseiten.
No. 9 Doctor Faust. Volksschauspiel in 4 Ackten für Marionetten eingerichtet, 23 Doppelseiten.
No. 10 Doctor Faust. Eine alte Volcks-Sage aus den Zeiten des 12ten Jahrhunderts. in 5 Aufzügen. Handschrift von Geisselbrecht; 94 Doppelseiten.
No. 11 Doctor Faust. uraltes Marionettenspiel. Manuskript, wie es viele hundert Jahre in Deutschland gespielt worden ist, und dem Goethihen(so!) Faust zur Grundlage gedient hat. Dem berühmten Marionettenspieler Geisselbrecht in Breslau abgetauscht. Abschrift von No. 8; Schreiber Goetze, 30 Doppelseiten.
No. 12 Der travestirte Doctor Faust. Ein großes Trauerspiel in zwei kleinen Acten. Nebst Prolog und Epilog des Caspers, 118 Doppelseiten; Verfasser: Siegfried August Mahlmann, 1806.
No. 13 Faustina, das Kind der Hölle. Posse in einem Act; aus den Zeiten der Kreuzzüge. Handschrift von Geisselbrecht; 36 Doppelseiten; Am Schluss ausführliche Schilderung von Erlebnissen des Caspers in der Hölle; inhaltlich wie Schluss von No. 8. Vergl. Georg Ellinger: Ein deutsches Puppenspiel: Alceste. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 18.1886, S. 257-301.
[17] Vergl. Gerd Eversberg: Der Mechanikus Georg Geißelbrecht. Zur Geschichte eines wandernden Marionettentheaters um 1800, S. 123f.
[18] Ohne die Manuskripte mit dem Namen „Geißelbrecht“ in Verbindung zu bringen hat Oskar Schade No. 8 und No. 10 als Vorlagen für eine Kompilation verwendet: „Das Puppenspiel Doctor Faust.“ In: Weimarisches Jahrbuch, Hannover 1856; bis heute ist der Forschung unbekannt geblieben, dass es sich bei beiden Manuskripten um Handschriften Geisselbrechts handelt. Die von Schade vorgelegte Edition an sehr abgelegenem Ort entspricht heutigen Anforderungen nicht mehr und müsste erneuert werden.
[19] „Hier übersende Ihnen die verlangten Stücke, verzeihen Sie dass es nicht möglich dieselbe eher zu Schicken, denn wir haben dieser Zeit viel Kummer gehabt [...].“ Geißelbrecht an Falk, Löwenberg, 18.10.1805, Goethe-Schiller-Archiv Weimar.
[20] Im Frühjahr 1809 besuchte Wilhelm von Humboldt Geißelbrechts Faust-Spiel, wie er Caroline von Humboldt am 30. Mai 1809 aus Königsberg mitteilte. Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, hg. von Anna von Sydow, Bd. 3, Berlin 1909, S. 170.
[21] 1814, Güstrow: „Mit reichgekleideten Kunstfiguren: Fausts Leben, Thaten u. Höllenfahrt. Eine Zauber-Komödie in 5 Aufzügen; Ballet und Ombres Chinoises.“ Theaterzettel o. D., Heimatmuseum Güstrow.
1815, Hamburg: „Dabei bemerkte ich, dass ich 1814 <richtig: 1815!> in Hamburg ebenfalls nicht nur den Faust, (von Geisselbrecht, aus Wien) sondern auch den Don Juan aufführen sah [...].“ J. P. Lyser in einer Rezension von Simrock: Doktor Johann Faust (Frankfurt am Main 1846). In: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode. Wien 1846, Nr. 87, S. 347.
4.5.1817, Husum: „Anzeige des Mechanikus Geisselbrecht: Mit Figuren Doctor Faust, eine Zauberkomödie in 5 Aufzügen; mit Personen: Das Strudelköpfchen. Ein Lustspiel in 1 Act von Michaelsen.“ In: Beilage zum Königlich privilegirten Wochenblatt Nr. 18 v. 4.5.1817.
Juni - August 1819, Lübeck: „24.6. Doctor Faust, Volkssage in 5 Aufzügen. 15.7. Auf Verlangen: Doctor Fausts Leben, Thaten und Höllenfaht, eine Volkssage der Vorzeit in 5 Aufzügen.“ Lübeckische Anzeigen Juni - August 1819.
1820, Güstrow: „Mit Kunst-Figuren: Doctor Faust. Volks-Sage der Vorzeit, in fünf Acten; mit Personen: Die beiden Billets. Lustspiel in einem Acte, von Anton Wall.“ Theaterzettel o. D., Heimatmuseum Güstrow.
18.9.1825, Frankfurt am Main: „Repertoir, von Geisselbrechts Marionetten. Sonntag den 18. Doctor Faust, Volkssage in 5 Aufzügen.“ In: Iris. Unterhaltungsblätter für Freunde des Schönen und Nützlichen, Frankfurt am Main, Nr. 186 vom 17.9.1825, S. 744.
30.9.1825, Frankfurt am Main: „Repertoir, von Geisselbrechts Marionetten. Freitag den 30. Faustina, das Kind der Hölle. Zum Nachspiel: Die lächerliche Hoftrauer.“ In: Iris. Unterhaltungsblätter für Freunde des Schönen und Nützlichen, Frankfurt am Main, Nr. 194 vom 28.9.1825, S. 776.
[22] Doctor Faust. oder: der große Negromantist. Schauspiel mit Gesang in fünf Aufzügen. Berlin, ganz neu gedruckt o. J. [1832]. Faksimile-Nachdruck: Leipzig 1912. Das Stück wurde 1847 von Scheible (Das Kloster. Bd. 5. Stuttgart 1847, S. 747-782.) wieder abgedruckt und als „Geißelbrechtscher Faust“ bekannt. Diese Version zog Karl Simrock für seine Nachdichtung des Faust-Spiels neben anderen Texten zu Rate.
[23] No. 10 (Q 68310) Dafür spricht der Vermerk „Logau“ oben auf dem Titel, denn in Glogau hielt Geißelbrecht sich im Juni 1805 auf. Außerdem erwähnt der Marionettenspieler in seinem Brief vom 21. Oktober 1804 die Änderung des Namens der lustigen Figur. Geißelbrecht schrieb das Manuskript also zwischen Oktober 1804 und Ende 1805 und schickte es an Falk nach Weimar.
[24] No. 8 (Q 6838)
[25] Von dieser Handschrift wurde No. 11 abgeschrieben, die wörtlich übereinstimmt. Datierung: No 8 ist kürzer und enthält weniger Details als No. 10. Viele Einzelheiten stimmen aber bis ins Kleinste überein, so dass beide Handschriften nicht weit auseinander liegen können. Dafür, dass No. 8 die ältere Handschrift ist, sprechen folgende Indizien: 1. 8 ist kürzer, warum sollte Geißelbrecht später eine weniger ausführliche schreiben? Abgesehen von veränderten Schluss enthält 8 nichts, was nicht auch in 10 vorkommt. 2. Auf diesen Schluss weist Carl Julius Weber in seinem Bericht über Geißelbrechts Auftritt in Rastatt (um 1798) hin. Es könnte sein, dass dieses ältere Manuskript bereits in Weimar von Geißelbrecht an Falk gegeben wurde. 3. In No. 8: Bazen (süddeutsche Währungsbezeichnung) In No. 10: Groschen, in Sachsen, Thüringen und Schlesien gebräuchlich. Das verweist für No 8 auf die Zeit, in der Geißelbrecht in Süddeutschland reiste, also vor 1804. Nach der Ausweisung aus Weimar bereiste Geißelbrecht zunächst Ost-und dann Norddeutschland.
[26] Lediglich im Ulmer Puppenspiel hat sich dieser von Thomas Dekker herkommende Prolog erhalten; vergl. Gerd Eversberg: Doctor Johann Faust. Die dramatische Gestaltung der Faustsage von Marlowes >Doktor Faustus< bis zum Puppenspiel.
[27] Bei den folgenden Zitaten aus der Handschrift No. 10 aus der Sammlung „Volkstheater“ (Sig. Q 683) im Goethe-Schiller Archiv handelt es sich um diplomatische Transkriptionen.
[28] Das Marionettentheater von Schütz und Dreher gastierte in Berlin seit 1803 fast jährlich mit großem Erfolg; die beiden Puppenspieler setzten durch ihr Repertoire und die Puppenführung Maßstäbe und fanden auch im Kreis der Berliner Romantiker Beachtung. Auf Besuche in ihren Faust-Aufführungen gehen Mitschriften vom „Doktor Faust“ zurück, die Simrock später für seine Nachdichtung verwendete. Vergl. auch Alexander Weigel: „Denen sämtlichen concessionirten Puppenspielern hierselbst“. Das Marionettentheater und die Theaterpolizei in Berlin 1810. In: Manfred Wegner (Hg.): Die Spiele der Puppe. Beiträge zur Kunst- und Sozialgeschichte des Figurentheaters im 19. und 20. Jahrhundert. Köln 1989, S. 20-33.
[29] Im Manuskript No. 10 heißt der Hanswurst ab Blatt 73 „Casper“.
[30] Carl Julius Weber: Die Marionetten (wie Anm. 9).