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Angewandte Erzählforschung: „Der Schimmelreiter“ in der Schule.

Vortrag anlässlich des Deutsche Germanistentags in Kiel 2013

 

„Keine Frage! Goethe war ein Genie seiner Zeit, aber in unser Gegenwart würde kaum noch ein junger Leser sein Buch anfassen, weil die Werte wie Respekt vor der Natur zwar immer noch ein Thema für uns sind, aber niemand heute Goethes Novelle lesen braucht, um darüber Bescheid zu wissen. Ein Schüler, der von einen Lehrer gezwungen wird, diesen Text zu lesen, ist wenig beneidenswert. Der Text wird analysiert und bis zum letzten Tropfen ausgesaugt, obwohl man nach spätesten 6 Deutsch-Stunden endgültig genug hat. Eine Geschichte ist wie ein Kaugummi, je länger man darauf rumkaut, desto fader und bitterer schmeckt er. Und die Novelle läst an einigen Stellen wirklich zu wünschen übrig. Da ist es kein Wunder, wenn der Schüler das Buch zweckentfremdet und unter einen leicht kippelnden Stuhl legt. Da zum Beispiel der letzten Teil , wo dieser Jüngling aus den Morgenland sein Liedchen trällert. Wenn ich mir dieses Lied Zeile für Zeile anschaue, kommt ein die Galle sprichwörtlich hoch. Das ist reines, kitschiges, utopisches Gelabere eines alten Mannes. Ich verstehe nicht wie sich ein Löwe von so einen Geschwätz in den Schlaf singen lässt. Diese Strophe ist am schlimmsten!“

gez. Christian B. (Silberhand)[1]

 

Meine Damen und Herren, ich zitiere aus diesem Interneteintrag nicht, um Sie zu erheitern, sondern weil ich meine, dass wir solche Hilferufe sehr ernst nehmen müssen, denn der ratlos wirkende Schüler hat seinen Text ins Netz gestellt, um Rückmeldungen von anderen Schülern in seiner Situation zu erhalten.

Sie haben als Deutschlehrer sicher auch schon solche Schüleräußerungen gehört. Meine Frage lautet: Was ist da im Deutschunterricht schief gelaufen, dass es zu einer solchen Fehlleistung kommen konnte? – Untersuchen wir zunächst die Erwartung, mit der unser Schüler an die Lektüre von Goethes „Novelle“ herangegangen ist.

Ich greife zwei zentrale Aussagen aus dem Text heraus, der offenbar eine schriftliche Hausarbeit oder vielleicht auch eine Klausur wiedergibt. Nur nebenbei möchte ich bemerken, dass dieser Schüler einen Text ins Netz gestellt hat, der 1440 Wörter umfasst und mehr als 60 Fehler aufweist; die Verstöße gegen die Regeln der Grammatik, der Rechtschreibung und der Zeichensetzung stellen eine ungenügende Leistung dar. Aber es geht hier nicht um die formale Schreibkompetenz, sondern um die Wirkung literarischer Texte auf unsere Schüler. Mit welcher Erwartungshaltung lesen junge Erwachsene mit einer ca. zehnjährigen Schulbildung einen poetischen Text des 19. Jahrhunderts?

Unser Schüler erwartet, bei der Lektüre dieser Novelle etwas über die „Beziehung zwischen den Menschen und den Kräften der Natur“ zu erfahren und akzeptiert, dass im Deutschunterricht „Werte wie Respekt vor der Natur“ thematisiert werden. Er meint aber, niemand müsse heute einen Text von Goethe lesen, „um darüber Bescheid zu wissen“. Er zitiert eine Satzperiode Goethes, in der die Natur beschrieben wird, und bewertet sie aufgrund seines eigenen unzulänglichen Sprachvermögens als unangemessen, ja als „Kitsch“. Seine anschließende Inhaltsangabe reproduziert das, was er im Unterricht erfahren hat: „Diese Burgruine schildert Goethe so, als wäre es das verlorene Paradies! Nach meinen Geschmack alles Schönrederei, da so eine Welt nie Wirklichkeit wird! Ein Junge, der einen Löwen durch ein Liedchen betört, existiert nicht in der Realität. […] Das ist reines, kitschiges, utopisches Gelabere eines alten Mannes. Ich verstehe nicht wie sich ein Löwe von so einen Geschwätz in den Schlaf singen lässt.“

Ich stelle zwei Fragen an diese freiwillige Selbstdarstellung: 1. Wie liest dieser Schüler den Text? und 2. Was findet er im Text?

 

Zu 1

Unsere Erfahrung als Deutschlehrer lehrt uns, dass es Zugangshemmnisse zur Literatur gibt. Schüler sagen, wir lesen schon, aber nicht die Bücher des Deutschlehrers. Sie nützen uns nichts. Wenn wir lesen, dann Sachbücher: Biologie, Physik, Elektronik – aber auch Romane, die uns gefallen, weil sie als Alternative zu einer als öde verstandenen Welt stehen. Darüber hinaus sagen sie, jeder Mensch verfüge über dasselbe Sachwissen, es bestehe darüber Konsens und es gäbe keine subjektiven, extravaganten Standpunkte. Die Wahrheit sei nachprüfbar und eins. Die erlebbare Welt erscheint ihnen nicht mehr rätselhaft, sie ist ihnen zur Genüge bekannt und erkennbar, sie kann im Computer archiviert und jederzeit abgerufen werden. Die Erkenntnisse, die Dichter vermitteln, werden von Schülern nicht als Gewinn aufgenommen. Sie werden unmittelbar als Ballast, als weltfremd, als nutzlos betrachtet, weil sie keine Zusammenhänge zwischen den im Unterricht behandelten Texten und ihrer Welterfahrung sehen.

Unser Schüler hat die Novelle von Goethe zunächst als Sachtext gelesen und erwartet, aktuelle Informationen über das Verhältnis von Mensch und Natur zu finden. Dieser Erwartungshaltung bin ich sehr häufig in Kursen der gymnasialen Oberstufe begegnet. Von einem guten Sachtext darf der Schüler auch erwarten, dass alle sprachlichen und bildlichen Zeichen eine klare und eindeutige Bedeutung haben, die er begreifen kann.[2]

Offenbar ist der Lehrer im Unterricht der Lesemethode und dem Textbegriff gefolgt, die von der KMK im Jahre 2003 im ersten und obersten Bildungsstandard festgelegt wurde: Ziel ist die Entwicklung der Lesekompetenz um „geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.”[3]

Das „Verstehen“ oder die „Analyse“ eines literarischen Textes verlangt aber etwas ganz anderes. Goethes „Novelle“-Text besteht aus einer Fülle von komplex strukturierten Beschreibungen und mehrdeutigen Kommunikationssituationen; er vermittelt zwar auch Informationen, diese müssen aber vom Leser über ihren Informationsgehalt hinaus als rhetorische Sprachbilder, Metaphern und Symbole gelesen und das heißt verstanden werden.

Goethe versteht unter einem Symbol die aufschließende Kraft, die im Besonderen das Allgemeine darzustellen vermag: „Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, dass die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe.“[4]

Das Besondere im Text ist das, wovon erzählt und geredet wird, das können Schüler erfassen und herausarbeiten. Damit haben sie aber noch nichts vom Allgemeinen begriffen, auf das der Text zielt. Dafür müssen sie textanalytische Methoden beherrschen, mit denen sie sprachliche Bildkomplexe und Symbole erschließen können. Dies zu vermitteln heißt fachspezifische Methodenkompetenz zu entwickeln.

 

Zu 2

Über die Zähmung des Löwen schreibt unser Schüler „Angenommen so eine Utopie gäbe es wirklich, so wäre sie für mich die Hölle auf Erden.“ Das macht deutlich, dass ihm der Begriff der Utopie fremd geblieben ist. „Eine Utopie ist der Entwurf einer fiktiven Gesellschaftsordnung, die nicht an zeitgenössische historisch-kulturelle Rahmenbedingungen gebunden ist“ definiert Wikipedia. Im Unterricht hätte die Frage gestellt werden müssen, welche historisch-kulturelle Rahmenbedingungen der Text beschreibt und mit welchem Entwurf er sie konfrontiert. Das hätte konkretisiert werden können durch eine Beschreibung des fürstliche Personals und seiner Tätigkeiten sowie durch die Erlebnisse der Fürstin während ihres kurzen Besuchs auf dem Markt. Am Beispiel der Menagerie könnte man Goethes Konzept von „Wildheit“ erarbeiten und ihre symbolische Darstellung durch Vergleiche mit späteren Konzeptionen des 19. und 20. Jahrhunderts relativieren. Die Beschreibung von wilden Tieren, ihrer Abbilder auf Schildern der Menagerie und ihrer Wirkung auf die Protagonisten der Erzählung liefert Material für einen solchen Analyseprozess, in dem frühere Vorstellungen von Wildheit und Exotik mit unseren eigenen konfrontiert werden können. Das wiederum sollte Schüler und Lehrer „zum Nachdenken und zum Entdecken von Sinnzusammenhängen anregen“.

Dies alles hat der Deutschunterricht nicht geleistet und dadurch die Erwartungen dieses Schülers nicht erfüllt und ihn ratlos zurückgelassen. Ihm kann die erbärmliche schriftliche Leistung aber nur zum Teil angelastet werden. Es wurde im Unterricht versäumt, ihm eine andere Lesekompetenz zu vermitteln, als die, von der nach Pisa überall gesprochen wird.

Dagegen stellen wir unsere These: Die Literatur vermittelt ein Wissen (Welt- und
Menschenwissen), das nur durch die Literatur zugänglich ist. Die Schüler brauchen eine Ersatzwelt, die sie irritiert und herausfordert. Insofern liefert Lesen weitere Weltdeutungsmuster als die naturwissenschaftliche Beschreibung unserer Lebenswelt.

Die Verantwortung des Lehrers besteht darin, diese andere Welt ernsthaft zu erschließen. Weil sie fiktiv ist, braucht sie einen kompetenten Leser, der andere Leser begleitet, damit er die Augen auf die sachlichen Informationen im Text und auf die sprachlichen Eigentümlichkeiten richtet.

Der kompetente Lehrer weiß, dass Erzählen eine grundlegende menschliche Tätigkeit ist, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf. Denn alle unsere Vorstellungen von individueller Entfaltung und von gelingenden sozialen Beziehungen werden als Geschichten überliefert, an denen wir uns orientieren und die wir benutzen, wenn wir unsere eigenen Lebensentwürfe erfinden. Wenn wir die Welt begreifen, in der wir leben und handeln, erzählen wir einander Geschichten; auf diese Weise geben wir unsere Erfahrungen beim Sprechen wieder. Das „das autobiographische Selbst“ (António Damásio) speichern nicht bloß diese Erfahrungen, es erweitert und verändert sie, indem es Vorstellungen in Sprache verwandelt. Unser Gedächtnis ist wie ein literarischer Erzähltext strukturiert. Mit den Erinnerungen an unser gelebtes Leben verknüpfen wir Erfahrenes und Vorgestelltes zu einem Ganzen, das wir wie einen Erzähltext strukturieren und damit unsere Erwartungen an die Zukunft formen.

Der Literaturunterricht als wesentlicher Teil des Deutschunterrichts beschäftigt sich vorrangig mit der Analyse und dem Verstehen von Texten. Ein didaktischer Aspekt zielt auf die Auswahl von Texten, Kontexten und Bildern sowie ihre Aufbereitung zu kommentierten Unterrichtsmaterialien für Lernsequenzen in der Schule bzw. ihre Verwendung im Rahmen der Erwachsenenbildung.

Das Ergebnis des Leseaktes ist immer MEHR als das, was an der Oberfläche zu erlesen ist. Es kommt aber ein Punkt, an dem wir nicht weiter in den Text eindringen können. Das liegt an der hermeneutischen Struktur von Verstehensprozessen. Es bleiben in guten literarischen Texten immer rätselhafte Stellen zurück; die fiktive Welt lässt sich nicht vollständig entschlüsseln, zur Deutung gehört auch, dass wir einen Rest des Textes nicht vollkommen verstehen können.

Der Gewinn für Leser ist nicht zu operationalisieren, affektive Lernziele kann man nicht in Schemata pressen, dafür sind sie zu immateriell, zu subtil, zu subjektiv. Sie dürfen aber auch nicht vernachlässigt werden, indem man sie durch bloße pragmatische Zugänge ersetzt, weil sie den Text zu einer sinnlich wahrnehmbaren Dimension reduzieren. Sich den Text handelnd aneignen, wie es zurzeit in der Methodik des Deutschunterrichts Mode ist (visualisieren, akustisch umsetzen), bedeutet den Text zu individualisieren; das kann ein Weg sein, darf aber nicht ausschließliches Ziel des Deutschunterrichts werden. Zusatzinformationen biografischer, historischer, landeskundlicher, und kultureller Art sind unerlässlich, weil sie zur Textentstehungsgeschichte gehören, und ihr Verstehen bedingen, genügen aber für den Prozess des Verstehens ebenfalls nicht.

Literarische Texte tragen Bedeutungen, die interpretiert werden müssen, um sie zu verstehen: Die Hermeneutik als praktische Theorie des Lesens, Analysierens und Interpretierens bietet Modell an, die es erlauben, die Pole des Textverstehens (Autor, Leser, Text und Kontexte) in ein produktives Verhältnis zu bringen.[5] Seit zwei Jahrzehnten hat die Narratologie als theoretisch-systematische Beschäftigung mit dem Erzählen neue Methoden der Erschließung literarischer Texte erarbeitet, die auch für die Analyse von Lesetexten für den Deutschunterricht verwendet werden können.[6]

Wir fragen also: Welche Aspekte der Erzählforschung gehören zum Fachwissen, das für den Deutschunterricht besonders relevant ist?

Die Antworten dürfen aber nicht nur dem Lehrer gefallen, sie dürfen nicht nur Kopfgeburten für Intellektuelle sein. Den Schüler ernst nehmen, bedeutet, ihm zur Seite stehen, wenn er die Welt (ob reell oder die fiktive) wahrnimmt, erarbeitet und kritisch deutet. An der Literatur kann der Leser sich im Weltverstehen einüben, dann wird die Literatur als Beitrag zur Eingliederung in eine Gesellschaft, die Menschen mit Sachwissen und mit Sinn für Individualität braucht. Literatur liefert literarische Zeitdokumente, die mit literarischen Mitteln entschlüsselt werden müssen.

Es ist hier nicht der Ort, um didaktische Konzepte des poetischen Verstehens zu entfalten. Das kann an anderer Stelle nachgelesen werden.[7] Ich möchte mit einem Text von Kaspar H. Spinner antworten, der seinen Beitrag zum Thema „Symbolisches Verstehen als Kernkompetenz des poetischen Verstehens“[8], aus dem ich bereits zitiert habe, mit fünf Wünschen abschließt, die ihm im Zusammenhang mit seiner Unterrichtsmethodik wichtig sind:

Ich wünsche mir,

– dass endlich unsere Schülerinnen und Schüler nicht mehr lernen, dass der Dichter in einem poetischen Text etwas anderes meint, als er sagt,

– sondern dass sie darin unterstützt werden, sich imaginierend auf die literarischen Texte einzulassen

– und dass sie dadurch intuitiv und zunehmend auch explizit und bewusst erfahren, wie sich Bedeutungen erweitern, wenn man sich auf einen Text einlässt,

– dass den Schülerinnen und Schülern bewusst ist: Ein literarischer Text ist nicht dann entschlüsselt, wenn man eine Intention des Autors formuliert oder beim multiple-choice-Test das passende Sprichwort als Globaldeutung angekreuzt hat,

– sondern dass die Faszination literarischer Texte darin besteht, dass sie Assoziationen auslösen, zum Nachdenken und zum Entdecken von Sinnzusammenhängen anregen und dass oft ein rätselhafter Rest des Unausdeutbaren bleibt.

 

Nun fragen Sie mit Recht: Wie soll das in der Praxis gehen?

Für jedes erfolgreiche Handeln im Deutschunterricht ist nach wie vor Voraussetzung, dass der Lehrer die Sache beherrschen muss. Daran schließt sich eine didaktische Reflexion an, bei der ermittelt wird, was an den ausgewählten Inhalten für die Schüler bedeutsam werden soll. Es geht also vor jeder methodischen Reflexion immer zuerst um die Frage nach dem Gehalt eines Bildungsinhalts.

Früher bedeutete das zunächst den Rückgriff auf Studienerfahrungen sowie auf didaktische Fachliteratur, in der vor einer Sachanalyse ausgehend Unterrichtsmodelle entfaltet wurden, aus denen sich der Lehrer Elemente für seine eigene Unterrichtsplanung zusammenstellen konnte. Heute bieten viele Verlage Unterrichthilfen mit fertigen Stundenentwürfen und Kopiervorlagen (oder auch schon als Dateien für Computer aller Art) an, die den Lehrer bei der Vorbereitung entlasten.

Der Lehrer braucht also keine fachwissenschaftliche Vorinformation mehr und kann auch auf die didaktische Analyse verzichten, da auch sie bereits von den Verfassern der U-Materialien geleistete wurde. Allerdings werden aus Platzgründen die Sachinformation zugunsten von Vorschlägen zur Inszenierung von Unterricht immer mehr verkürzt. Umso wichtiger wird die fachliche Kompetenz der Autoren solcher Unterrichtsmaterialien und die Qualität ihrer didaktischen Herleitung von Unterrichtszielen und methodischen Vorgehensweisen. In den letzten zwanzig Jahren habe ich eine Reduktion der fachlichen Beschreibung und Analyse von literarischen Unterrichtsgegenständen beobachtet, die eine Tendenz zur Oberflächlichkeit zeigt.

Im Zusammenhang mit unseren Forschungsarbeiten zu Theodor Storm spielen Fragen der Erzählforschung eine zentrale Rolle. Neben Untersuchungen zum Textkorpus, zur Biographie des Autors und zu historischen Kontexten greifen wir die Frage auf: Welche Aspekte der Erzählforschung gehören zum Fachwissen, das für Schule und Gesellschaft besonders relevant ist?

Am Beispiel von Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ soll die Methode der systematischen Beschreibung von Darstellungsformen (das Wie der Darstellung) nicht nur mit traditionellen Analysekategorien wie Zeit, Modus und Stimme des Erzählers angewendet, sondern erweiterte Kategorien erprobt werden, die aus einer Analyse von Text und Kontexten des „Schimmelreiter“-Komplexes gewonnen wurden. Grundlage dafür liefern die Analyse von Storms Erfahrungen, seiner Schreibprozesse und seiner Quellenstudien, die ein halbes Jahrhundert umfassen und sich um einen geographischen Sonderraum in seiner ca. vier Jahrhunderte umfassenden kulturellen Entwicklung ordnen lassen. Besonders die Untersuchungen zur Materialität von Storms Texten liefern Hinweise, die als Bedingungen poetischen Verstehens begriffen und Grundlagen einer Deutung sein können.

In ähnlicher Weise werden Handlung und erzählte Welt (das Was der Darstellung) erforscht, indem auf biographische, historische und topographische Grundlagen zurückgegriffen wird.[9]

Gemeinsam mit Dr. Jean Lefebvre (Nordsee-Gymnasium, Büsum) erarbeite ich eine Handreichung für Lehrer, deren Erscheinen in der neuen Reihe „Klassische Schullektüren“ im Cornelsen-Verlag für 2014 geplant ist.

Wir wollen unser didaktisches Konzept auf der Grundlage der Forschungen am „Schimmelreiter“-Komplex unter der Leitfrage zu erläutern: Wie werden welche Ereignisse erzählt und welche Elemente des Erzählens lassen sich in einer didaktischen Analyse für den Einsatz im Unterricht der Sekundarstufe I und II elementarisieren und im Kontext eines modernen Deutschunterricht schülerorientiert inszenieren?


 


[2] Vergl. Martin Huber: Literarische Zeichenordnungen. In: M. H.: Methoden der Textanalyse. Hagen 2011, S. 19.

[3] Jürgen Baumert u.a.(Hg.): Deutsches PISA-Konsortium. PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen 2001, S. 23.

[4] Goethe: Maximen und Reflexionen 1113.

[5] Martin Huber, S. 40.

[6] Matias Martinez und Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. München: C.H. Beck 1999. – Silke Lahn und Jan Christoph Meister: Einführung in  die Erzähltextanalyse. Stuttgart: Metzler 2008.

[7] Ich führe zwei Beispiel an: Günter Waldmann: Produktiver Umgang mit Literatur im Unterricht. Grundrisse einer produktiven Hermeneutik. Hohengehren 42004. – Iris Winkler, Nicole Masanek, Ulf Abraham (Hg.): Poetisches Verstehen. Literaturdidaktische Positionen – empirische Forschung – Projekte aus dem Deutschunterricht. Baltmannsweiler 2010.

[8] ebenda, S. 65.

[9] Die Ergebnisse dieser Studien liegen vor in meiner Darstellung „Der echte Schimmelreiter. So (erfand) Storm seinen Hauke Haien. Heide 2010“ sowie in folgenden Aufsätzen: Raum und Zeit in Storms Novelle „Der Schimmelreiter“. In: Schriften der Th.-Storm-Gesellschaft 58.2009, S. 15-23. sowie gemeinsam mit Jean Lefebvre: Du siehst Gespenster! Ein Dialog über Storms „Schimmelreiter“. In: Schriften der Th.-Storm-Gesellschaft 59.2010, S. 21-43.