Gesindeordnung im Münsterland

 

Diese frankierte Dienstsache An/ das Amt/ zu/ Wadersloh wurde zunächst mit einer karminroten Marke (Michel-Nr. 41 I a) freigemacht und durch einen doppelten Abdruck des Einkreisstempels LIESBORN/ 1.6./81/7-8V entwertet und dokumentiert.
Die linke Seite des Briefbogens fehlt; doch geht aus dem erhaltenen Teil des Dokuments hervor, worum es sich gehandelt haben muss. Das Verschluss-Sigel stammt vom Amt Liesborn, Kreis Beckum.

Der Knecht Peter Brüggenties wurde nach einem Wortwechsel vom Landwirt Austerhoff so misshandelt, dass es seinen Dienst verließ und nach Hause ging. „Darauf packte er mich bei den Ohren, und warf mich auf den Hauffen, daß meine Ohren bluteten. Ich ging nun nach Hause, packte meine Sachen zusammen und verließ den Dienst, glaube auch nicht verpflichtet zu sein, denselben nach solcher Mißhandlung fortzusetzen.“

Der Brief trägt auf der Rückseite den Eingangsstempel WADERSLOH/ 1.6./81/ 6-7N.

Die entwertete Briefmarke und der Dokumentationsstempel wurden mit Federzug durchgestrichen und danach der Brief mit einer gleichen Marke erneut frei gemacht. Die zweite Frankatur, die offenbar zehn Tage später aufgeklebt wurde, zeigt wieder den Stempel des Postamts Liesborn, diesmal mit dem Datum 11.6.81 7-8V.
Daraus geht hervor, dass die Dienstsache (wohl per Boten) von Wadersloh nach Liesborn zurück befördert wurde.

Im 19. Jahrhundert hatten Knechte und Mägde das Recht, das Dienstverhältnis aufzukündigen, wenn durch eine Misshandlung Lebensgefahr bestand oder die Gesundheit verletzt wurde. Das regelte die Gesindeordnung und darauf berief sich der Knecht Peter Brüggenties.

 

Offenbar folgte der Amtmann dieser Auffassung aber nicht. Es herrschte ein ungleiche Verhältnis zwischen den Rechten der Dienstherren und den Pflichten der Bediensteten. Gesinde konnte, wenn es unerlaubt der Arbeit fernblieb, polizeilich gesucht und zurückgeführt werden; lange Zeit unterlagen sie der herrschaftlichen Hauszucht.

Auf der rechten Seite des ursprünglichen Doppelblatts unterrichtet der Amtmann von Liesborn, Anton Theissing, seinem Kollegen in Wadersloh darüber, dass der Knecht Peter Brüggenties seinen Dienst beim Bauern Austerhoff wieder aufzunehmen hat.
Der Beschluss (Resolut) des Amtmanns beruht auf der damals gültigen Gesindeordnung, die das Verhältnis zwischen „Gesinde“ (Dienstboten) und der „Herrschaft" (Dienstherr) regelte. Und darin gab es kein Züchtigungsrecht der Herrschaft mehr, da es vom Bürgerlichen Gesetzbuch des Deutschen Kaiserreichs ausdrücklich verboten war.

Reichsgesetz über die Gesindeverhältnisse; Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch.

Dazu schickt er ihm mit Datum vom 14. Juni 1881 den diesbezüglichen Beschluss (Resolut) gemäß der Gesindeordnung. Außerdem teilt er mit, dass es dem Knecht freistehe, binnen 10 Tagen freistehe, Widerspruch (Recurs auf gerichtliche Entscheidung) einzulegen. Er bittet seinen Amtskollegen um „Aushändigung des angeschlossenen Resoluts.“ Weiter heißt es: „Sollte der P. Brüggenties dem Resolute keine Folge leisten, so bitte ich, denselben zum H. Austerhoff zwangsweise zuführen zu lassen.“
Ob Peter Brüggenthin den Widerspruch eingelegt hat, ist nicht ersichtlich; wahrscheinlich hätte er aber keinen Erfolg gehabt, weil damals Rügen und „leichte Tätlichkeiten“ seitens der Herrschaft von der gerichtlichen Ahndung befreit waren.

Diesmal muss das Dokument ohne Hilfe der Post erneut nach Wadersloh befördert worden sein.
Mit Datum vom 15. Juni 1881 bestätigt nämlich der Amtmann von Wadersloh, Arnold Hennemann, die Aushändigung des Beschlusses. Darunter notiert er neun Tage später (Wadersloh, 24.Juni 1881), dass er die Verfügung dem Knecht zugestellt und dieser dem Bauern sodann polizeilich zugeführt wurde.

 

Hof in Welstorf bei Lemgo. Aus dem Wochenblatt für Landwirtschaft & Landleben, Münster

Wadersloh ist heute eine Gemeinde im südöstlichen Teil des Kreises Warendorf in Nordrhein-Westfalen; sie besteht aus den drei Dörfern Wadersloh, Diestedde und Liesborn. Von 1816 bis 1974 gehörten die Dörfer zum Kreis Beckum im Regierungsbezirk Münster.

Topographische Karte der Kreise des Regierungs-Bezirks Münster, Blatt 10 – Kreis Beckum, 1843 (Ausschnitt)