Too late. Steamer left!

Wie eine Postkarte aus Antwerpen den Reichspostdampfer „Bülow“ verpasste und ihn erst in Japan einholte.

 

Diese Postkarte sollte eigentlich nur vom belgischen Antwerpen nach Port-Said in Oberägypten reisen. Da sie aber den Adressaten verpasste, dessen Anschrift ein Reichspostschiff des Norddeutschen Llyod war, wurde sie um die halbe Erde verschifft und erreichte den Empfänger erst nach einer 37tägigen Reise in der japanischen Hafenstadt Yokohama. Dadurch wurde sie zu einem Postdokument besonderer Art.

Die Karte mit eingedrucktem Wertzeichen aus dem Königreich Belgien ist eine sogenannte Weltpostkarte für den internationalen Versand. Nach den Vorschriften des Weltpostvereins zeigt sie den Aufdruck Carte Postale für die Korrespondenzkarten und eine zweisprachige Adress-Seite in französischer und niederländischer Sprache. Solche Karten deckten auf der Grundlage des Berner Postvereinsvertrags vom 1. Juli 1875 und durch den Weltpostvertrag vom 1. Juni 1878 die Taxe für Orte auf dem größten Teil der Erde ab. In unserem Fall waren es 10 Centime in belgischer Währung. Der Ganzsacheneindruck zeigt König Leopold II. und entspricht der Marke von 1905. Damit war die Postkarte nach den Bestimmungen des Weltpostvereins ausreichen frankiert.

Das Etikett „Ne pas livrer le dimanche“ war als Hinweis für die Postboten gedacht, aus religiöser Rücksichtname keine Sonntagszustellung vorzunehmen; wer dies doch wollte, konnte das Etikett abreißen oder auf der Ganzsache durchstreichen.

Die Karte ist datiert Antwerpen d. 28 Juli 1911 und adressiert an Herrn J<an> Janssen| I Off. R. P. D. Bülow (Nordd. Lloyd)| Port Said und wurde in der flandrischen Hafenstadt bei der belgischen Post aufgegeben.

Die Anschrift ist recht ungewöhnlich, denn als Bestimmungsort ist die Stadt Port Said in Ägypten angegeben, aber statt einer dort ansässigen Firma oder einer Straße wird ein Schiff benannt, das seinen Standort ständig wechselt.

Ein Bekannter oder Verwandter des ersten Schiffsoffiziers schreibt: „L<ieber> Jan.| Deinen Brief gestern Abend empfangen, ich möchte Dich bitten es so mitzubringen wie es auf dem Bild nach Nummern aufgeschrieben ist, also 2 Partien.| Mit den besten Grüßen| Dein C. V.“

Die Entwertung erfolgte mit zweisprachigem Kreisstempel ANTWERPEN – ANVERS, 28. VII. <19>11, 17-18. Die Abfahrt des Postschiffs von Antwerpen kann wohl für den 28. Juli 1911 angenommen werden.

Die Ankunft in Port-Said wurde fünf Tage später (am 2. August) mit einem Stempel der Ägyptischen Post PORT-SAID - بور سعيد, 2. VIII. <19>11 7 AM bestätigt.

Port-Said (arabisch بور سعيد, Būr Saʿīd) ist eine Hafenstadt im Nordosten Ägyptens; sie liegt im Mittelmeer an der nördlichen Einfahrt in den Suezkanal.

Hier aber konnte die Karte nicht zugestellt werden, da der Reichspostdampfer bereits abgelegt hatte, wie die handschriftlichen Vermerke auf der Rückseite belegen: too late und steamer left.

Der Schiffsoffizier Jan Janssen fuhr auf der „Bülow“, einem Dampferschiffstyp der Feldherren-Klasse des Norddeutschen Lloyd, von dem in den Jahren 1903 bis 1908 auf den Reichspostdampferlinien nach Ostasien und Australien elf Schiffe eingesetzt wurden. Das im Jahre 1906 von der Werft J. C. Tecklenborg in Geestemünde gebaute Schiff sollte nach Australien, Südamerika und in den fernen Osten fahren. Es besaß einen Schornstein und zwei Masten und erreichte eine Geschwindigkeit von 14 Knoten. Die Bülow konnte 108 Passagiere in der 1. Klasse, 106 in der 2. Klasse und 1828 in der 3.Klasse befördern. Der Stapellauf erfolgte am 21.April 1906; ihre erste Fern-Ost-Reise begann am 26. September von Bremen aus.

Die von der Rederei Norddeutscher Lloyd unterhaltenen Schiffe der Postschifflinien wurden Reichspostdampfer genannt; sie vermittelten einen regelmäßigen Post-,Fracht- und Personenverkehr nach den Stationen ihrer jeweiligen Linien. Den Postverkehr an Bord versahen Schiffsoffiziere.

Nach der Reichsgründung von 1871 hatte die Reichregierung nach dem Vorbild anderer Staaten subventionierte Dampferlinien nach Übersee eingerichtet. 1885 nahm der Norddeutsche Lloyd eine regelmäßige Schiffsverbindung von Bremerhaven nach China mit dem Anschluss nach Japan auf. Im Jahre 1911 fuhren Schiffe im 14tägigen Turnus von Hamburg oder Bremerhaven nach Yokohama in Japan.

Der Postdampfer „Bülow“, auf dem der Schiffsoffizier Jan Janssen fuhr, war also auf der Route des Ostasiatischen Dienstes der „Kaiserlich-Deutschen Reichspostdampder-Linie“ unterwegs; die einzelnen Anlauf-Häfen listet die Rederei auf ihrem Werbeplakat auf.

Mit welchem Postschiff die Karte von Antwerpen nach Ägypten transportiert wurde, lässt sich nicht auf dem Dokument erkennen, es muss sich aber um ein Dampfer gehandelt haben, das auf der gleichen Linie fuhr, wie der vorausfahrende Reichspostdampfer „Bülow“.

Den Zielort Port Said hat der Postbeamte mit roter Tinte durchgestrichen und durch die neue Adresse C. Melchers & Co| Shanghai ersetzt. Auch für den Weitertransport finden sich keine Hinweise auf ein bestimmtes Postschiff

Nach der Durchquerung des Suezkanals wurde noch am selben Tag (2. August) ein zweiter Stempel der Ägyptischen Post abgeschlagen: PORT TAUFIQ بورتوفيق, T. P. O.| 2. VIII.<19>11 T.103.

Port Tawfik oder Port Taufiq (arabisch بورتوفيق) bezeichnet die südliche Einfahrt in den Kanal bei Suez Port; dort bestand ein Temprary Post Office (T. P. O.).

Von der Weiterreise durch das Rote Meer, den Golf von Aden, den Indischen Ozean und das Südchinesische Meer erzählt unsere Postkarte nichts; aber nach 29 Tagen erreichte sie das chinesische Festland, wie einer der beiden rückseitig abgeschlagenen Stempel der Britischen Post Shanghai dokumentiert: SHANGHAI BṞ. P. O.| F| AU<GUST> 31| 1.

Die Britische Post in China war ein Postdienst, der zwischen 1844 und 1922 in chinesischen Hafenstädten bestand. Durch den Vertrag von Nanking 1842 wurden fünf chinesische Häfen für britische Handelsunternehmen geöffnet. In jedem Hafen gab es ein britisches Konsulat, das seit 1844 die Post der Handelsunternehmungen annahm und nach Hongkong weiterleitete. Durch die der Pekinger Konvention von 1860 wurden weitere elf Häfen ausländischen Händlern geöffnet. Über die britische Post waren die Vertragshäfen ab 1876 in das Postnetz des Weltpostvereins eingebunden, die kaiserliche chinesische Post wurde erst 1896 gegründet

Die Firma C. Melchers & Co in Shanghai ist ein weltweit agierendes Unternehmen, das 1806 in Bremen gegründet wurde und bis heute dort seinen Hauptsitz hat. Außerdem verfügt das Unternehmen seit 150 Jahren über ein Netzwerk von über 20 Niederlassungen und Repräsentanzen in Asien, betrieb Chinahandel und gründete 1866 eine Niederlassung in Hongkong. Das Unternehmen war am Norddeutschen Lloyd beteiligt und übernahm 1887 die Vertretung der Reederei in China und Hong Kong. Die Schiffe des Reichspostdienstes bedienten in Shanghai die dortige Niederlassung der deutschen Firma.

Die Niederlassung von Melchers & Co. in Tientsin (China) 1908

 

Der Reichspostdampfer „Bülow“ war auch von Shanghai bereits abgefahren, sodass der britische Postbeamte die neue Adresse wiederum mit roter Tinte strich und durch eine dritte Anschrift H. Ahrens & Co. N<ach>f<ol>g<er>| Yokohama ersetzte.

Der zweite Stempel der Britischen Post dokumentiert die Weiterbeförderung der Karte am 1. September: SHANGHAI BṞ. P. O.| C| S<E>PTEMBER 1| 11.

Die beiden blauen Stempel auf der Vorderseite dokumentieren die Ankunft der Karte in Japan; NAGASAKI JAPAN| 3 .9. <19>11 sowie YOKOHAMA JAPAN| 5 .9. <19>11.

In Yokohama oblag die Betreuung der monatlich in die Häfen einlaufenden Reichspost-Dampfer einschließlich der Überwachung der Löschung der Ladung der Firma H. Ahrend & Co. Nachf., die seit der Eröffnung der Reichspostdampferlinie im Jahre 1886 die Vertretung des Lloyd für Yokohama und Kobe inne hatte.

Hier konnte die Karte nun endlich dem Schiffsoffizier Jan Janssen ausgehändigt werden.