Weiterfranco von Pforzheim nach Husum

Post- und Währungsverhältnisse vor der Gründung des deutschen Reichs

 

Dieser Brief aus dem Großherzogtum Baden (Firmenstempel CHR. L. OECHSLE| PFORZHEIM) dokumentiert die komplizierten Post- und Währungsverhältnisse im Deutschland in den Jahren vor der Reichsgründung von 1871. Er ist adressiert an Herrn| S. W. Nagel| Rechnungsführer des Gymnasiums| in| Husum| Schl<e>sw<i>g-Holstein.

Die Vorderseite zeigt die Porto-Taxen, die im Jahre 1866 zu beachten waren. Der Brief ist frankiert mit einer Baden 9 Kreuzer-Marke (Michel-Nr. 20a; ausgegeben am 1.3.66) und entwertet mit dem Fünfringstempel Ortsnummer 109; der Rechteckstempel PFORZHEIM| 6 Mrz A 4. dokumentiert Ort und Zeit der Absendung. Außerdem wurden verschiedene Taxbeträge angeschrieben: mit Rötelstift 5 und durgestrichene 2; mit blauer Tinte 3 und 2⅔ rechts über 3.

Auf der Rückseite dokumentieren sechs Stempel den Reiseweg: Zweikreisbahnpoststempel GR. BAD. BAHNPOST| 7| MRZ 66| Z 26; Zweikreisstempel CARLSRUHE| 7| MRZ| 8-9 N; Einkreisstempel HAMBURG| 8| 3| 9V-10; Einkreisstempel Stadtpostamt Hamburg St.P.A. HAMBURG| 8| 3| 9-10N; Dreizeiliger Rechteckstempel K.PR. EISENB. POST-BÜR: II| NACH SCHLESWIG| 8/3; Zweikreisstempel HUSUM| 8 3| 66| 5-6 N. Außerdem wurde rechts mit Rötelstift 2g (Sgr.) notiert.

Daraus lässt sich rekonstruieren: Der Brief wurde in Carlsruhe am 7. März aufgegeben und per Bahn nach Hamburg transportiert, wo er am 8. 3. vormittags ankam. Von Altona aus reiste er dann wieder mit der Eisenbahn nach Husum, wo er am Nachmittag desselben Tages eintraf.

Er enthält die Quittung für eine Geldsendung vom 3. März 1866, mit der der Rechnungsführer des Husumer Gymnasiums eine Rechnung der Firma Oechsle aus dem Vorjahr beglichen hatte. Diese Rechnung vom 30. Juni 1865 begleitete eine Lieferung von technischen Geräten für den naturwissenschaftlichen Unterricht. Dass sie erst ein knappes Jahr später bezahlt wurde, ist für die Interpretation der auf dem Brief angeschriebenen Tax-Beträge bedeutsam.

Die Husumer Gelehrtenschule kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Gegründet wurde sie während der Reformation im Jahre 1527 und diente bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts der Vorbereitung für den Besuch der Schleswig-Holsteinischen Landesuniversität in Kiel. Nach den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Herzogtümern und Dänemark wurde sie 1852 aufgehoben und als Höhere Bildungsschule unter dänischer Leitung weitergeführt.

Nach dem zweiten deutsch-dänischen Krieg wurde 1864 ein Gymnasium gegründet, das die Tradition der Gelehrtenschule fortsetzten und sich darüber hinaus „für den Unterricht in den Realien“ weiterentwickeln sollte. Damit waren die Naturwissenschaften gemeint, für die eine entsprechende Gerätesammlung angelegt werden musste.

In den Pforzheimer Werkstätten produzierte der Mechanikus Christian Ludwig Oechsle Waagen, Thermometer und andere Geräte, die für den Physikunterricht benutzt wurden. Aus einem Katalog der Firma bestellte der Direktor des Gymnasiums Geräte im Werte von 60 Gulden.

Das Großherzogtum Baden war von 1806 bis 1871 ein souveräner Staat, der von 1815 bis 1866 Mitglied des Deutschen Bundes war. Seit den 1860er Jahren hatten sich die Dienstleitungen der Postanstalten gegenüber den Verhältnissen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts enorm erweitert. Durch den Bau von Eisenbahnlinien verkürzte sich die Zeit zwischen der Aufgabe und der Zustellung von Briefen auf wenige Tage. Außerdem wurden Paketsendungen verbilligt und die Post übernahm auch einen Großteil des damaligen Zahlungsverkehrs durch Geldbriefe und Postanweisungen, die in altdeutschen Postgebieten zwischen 1865 und 1867 eingeführt wurden.

Der Rechnungsführer des Husumer Gymnasiums hat die Rechnungssumme von 60 Gulden und 30 Kreuzer süddeutscher Währung zunächst in die preußische und danach in schleswig-holsteinische Courant-Währung umgerechnet und diese Summe am 3. März 1866 in einem Geldbrief nach Darmstadt geschickt: 86 Reichsbankthaler und 9 Schillinge. 

Das Herzogtum Schleswig (dänisch: Hertugdømmet Slesvig) existierte bis 1864 und umfasste im Wesentlichen das heutige Nordschleswig (Dänemark) und Südschleswig (Deutschland, Schleswig-Holstein). Hauptort war die Stadt Schleswig. Vorläufer des Herzogtums war im frühen Mittelalter das Jarltum Süderjütland (Sønderjylland). Die Herrschaft über das Herzogtum war im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder umstritten und umkämpft. Anders als Holstein gehörte Schleswig als dänisches Reichs- und Königslehen nicht zum Römisch-Deutschen Reich oder Deutschen Bund.

Während des Schleswig-Holsteinischen Krieges 1848 1850/51 gründete die Provisorische Regierung Schleswig-Holsteins ein eigenständiges deutsch-schleswig-holsteinisches Postwesen, das die königlich-dänische Postverwaltung in den Herzogtümern ablöste. Im Juli 1850 übernahm wieder das Königreichs Dänemark die Verwaltung des Postwesens in Schleswig, Holstein und im Herzogtum Lauenburg.

Nach dem „Wiener Frieden“ vom 30.10.1864, durch den der zweite deutsch-dänische Krieges beendet wurde, schlossen Preußen und Dänemark im Juni 1865 einen neuen Postvertrag ab. Die alten preußisch-dänischen Tarife vom 19.12.1853 verloren ihre Gültigkeit. Daher war eine Neuregelung zwischen den Postbezirken der Herzogtümer und dem durch Preußen vertretenen Deutsch-Österreichischen Postverein erforderlich. Die Herzogtümer wurden nicht Mitglieder des DÖPV.

Die „Provisorische Portotaxe“ als Übereinkunft zwischen der Königlich Preußischen Postverwaltung und der Postverwaltung für die Herzogtümer Schleswig-Holstein und Lüneburg regelte ab dem 1.8.1865 den Postverkehr zwischen den Herzogtümern und dem DÖPV.

Ab dem 12. August galten aber für einfache Briefsendungen von und nach Schleswig-Holstein folgende Taxen:

-              - Frankiert nach den Ländern des Postvereins 3 Sgr.; unfrankiert 4 Sgr. bzw. 14 Kr. nach den Ländern der Kreuzerwährung.

-              - Aus den Ländern des Postvereins frankiert 3 Sgr. bzw. 12 Kr.; unfrankiert 4 Sgr.

Bei unserem Brief aus Pforzheim deckte die 9 Kreuzer-Marke den Betrag von 3 Sgr (1 Silbergroschen entsprach 3 Kreuzern) nur für Sendungen innerhalb des DÖPV ab, also nur bis Hamburg. Es fehlten daher 3 Kr. Anteil für die Schleswig-Holsteinische Postverwaltung und der Brief ist unterfrankiert. Deshalb ist unter der Marke mit roter Tinte 9 wf geschrieben: das Weiterfranco, also die Gebühreneinheit, die einer fremden Postverwaltung zusteht. Von den 12 Kreuzern, die der Brief aus Pforzheim nach der „Provisorischen Portotaxe“ kostete, standen dem Großherzogtum Baden 8 und dem Königreich Preußen 4 Kreuzer zu.

Als Franco hat der Postbeamte mit Rötelstift 5 angeschrieben und 2 gestrichen; das meint die 3 Sgr. für die Beförderung innerhalb des DÖPV und 2 Sgr. von Hamburg nach Husum ins Herzogtum Schleswig. Diese Beträge sind auch in der Abrechnung des Gebührenbaums zu finden: 3 und 2⅔. Der Postverwaltung des Herzogtums Baden im DÖPV standen gemäß der damals gültigen Portotaxe für Briefe 2⅔ Sgr zu. Das Husumer Gymnasium musste 2 Sgr. Nachporto bezahlen.

Die unzureichende Frankierung lässt sich aus den komplizierten Postverhältnissen der Herzogtümer Schleswig-Holstein erklären. Als nämlich die Firma Oechsle Ende Juni 1865 ihre Geräte samt Rechnung nach Husum expedierte, galten noch die alten Tarife des preußisch-dänischen Postvertrages vom 19.12.1853. Danach kostete ein Brief aus einem der Mitgliedsstaaten des DÖPV nach Husum im Königreich Dänemark 5 Sgr., was 15 Kr. entsprach. Nach der Neuordnung des Postwesens für die Herzogtümer Schleswig-Holstein regelte seit August 1865 die „Provisorische Portotaxe“ den Postverkehr zwischen den Herzogtümern und dem Postverein. Man glaubt in Pforzheim wohl, dass die Herzogtümer nun dem Postverein angehörten und frankierte daher mit dem Betrag von 9 Kr., was 3 Sgr. entsprach, also der innerhalb des DÖPV gültigen Taxe.

Da Schleswig-Holstein nicht Mitglied im Postverein war, rechneten die süddeutschen Länder mit dem tatsächlichen Wert 1 Sgr. = 3,5 Kr. (oder 4 zu 7 wie der Husumer Rechnungsführer, denn ein preußischer Thaler entsprach 30 Silbergroschen und ein rheinischer Gulden 60 Kreuzern), während die Parität innerhalb des Postvereins nur 1 Sgr. = 3 Kr. betrug. Kein Wunder, dass es bei diesen komplizierten Verhältnissen zu falsch frankierten Postsendungen kam.