Theodor Storm sammelt Spuk und Gespenstergeschichten
aus Husum, Nordschleswig und Dänemark
Als Theodor Storms im Herbst 1842 in seine Vaterstadt Husum zurückkehrte und hier Anfang des folgenden Jahres eine Rechtsanwaltspraxis eröffnete, legte er eine Sammlung von Märchen, Sagen und Spukgeschichten an, für die er regionale Chroniken auswertete. Diese Dokumente übermittelte er seinem Studienfreund Theodor Mommsen, unter dessen redaktioneller Leitung ein umfangreiches Konvolut von Liedern, Sprichwörtern, Märchen und Sagen aus den Herzogtümern Schleswig und Holstein zusammengetragen wurde. An dem Projekt arbeiteten neben einer Gruppe von Studienfreunden aus Kiel auch Pastoren, Lehrer und Heimatforscher in den Herzogtümern mit. Die umfangreiche Sammlung bildete den Grundstock für Karl Müllenhoffs Buch „Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg“, das 1845 in Kiel veröffentlicht wurde.
Theodor Storm (1817-1888) Daguerreotypie aus dem Jahre 1852; Storm-Archiv, Husum.
Storm hat sich bereits in seiner Jugend für Spukgeschichten begeistert und sich selber gerne unheimliche Ereignisse ausgedacht, wie aus seinen autobiografisch gefärbten „Geschichten aus der Tonne“ hervorgeht. Von der Bäckertochter Lena Wies habe er das Erzählen gelernt, berichtete er später in einem Rückblick auf diese Zeit:
Und dann – ja, dann erzählte Lena Wies; und wie erzählte sie! – Plattdeutsch, in gedämpftem Ton, mit einer andachtsvollen Feierlichkeit; und mochte es nun die Sage von dem gespenstischen Schimmelreiter sein, der bei Sturmfluten Nachts auf den Deichen gesehen wird und, wenn ein Unglück bevorsteht, mit seiner Mähre sich in den Bruch hinabstürzt, oder mochte es ein eignes Erlebnis oder eine aus dem Wochenblatt oder sonst wie aufgelesene Geschichte sein, Alles erhielt in ihrem Munde sein eigentümliches Gepräge und stieg, wie aus geheimnisvoller Tiefe, leibhaftig vor den Hörern auf.
In diesem Umfeld sammelte Storm auch Sagen von Spukerscheinungen sowie Gespenstergeschichten, die er zu einem Teil aus gedruckten Quellen zusammentrug, von denen er aber auch eine ganze Reihe nach mündlichen Erzählungen niederschrieb. Das zum Druck vorbereitete Manuskript, das er als „Neues Gespensterbuch“ bezeichnete, erschien aber zu seinen Lebzeiten nicht als Buch.
Thomas Burke: The Nightmare, Kupferstich nach Johann Heinrich Füssli (1783); Kupferstich im Wohnhaus der Familie Storm, Hohle Gasse 3 in Husum.
In Kiel hatte er damit begonnen, allerlei Reime, Rätsel, Sprichwörter und ähnliches „in einem schmalen Büchlein in Oktav“ zu vereinigen; nach Storms Rückkehr nach Husum blieb er vor allem durch die Korrespondenz mit Theodor Mommsen der „Clique“, wie sich der Freundeskreis in Kiel nannte, verbunden. Aus den Briefen, die er seit November mit Theodor Mommsen in Kiel wechselte, geht hervor, wie intensiv Storm in Husum und Umgebung nach Sagen und verwandten Erzählungen forschte.
Jetzt sammelte er Sagen und Spukgeschichten in der Hattstedter Marsch, im Meggerskoog, in der Wilstermarsch und in Segeberg. Er schrieb auch unheimliche Begebenheiten nieder, die ihm berichtet wurden, die er selber erlebte oder auch – wie von der Putzmacherin Doris Stamp – schriftlich übergeben wurden.
Storm berichtet in seinem Brief an Theodor Mommsen vom 1. Dezember 1842 (Briefe Mommsen, S. 40) von den ersten Eindrücken, die er nach seiner Rückkehr vom Studium in Husum erfahren hat:
Ich kann die kurze Zeit meines Hierseins nach ihrem verschiedenen Charakter schon in Perioden einteilen; in der ersten P[eriode] war der erneute Eindruck des alten Familienhauses und der alten Vaterstadt vorherrschend; Erinnerung sah mich aus allen Winkeln an mit tausend Augen; dabei sammelte ich Sagen und Volksglauben und Märchen, die mir von allen Seiten zuflossen; wegen meines Unwohlseins ging ich nicht aus; nur zu einer alten halbverrückten Person, die in einem unsrer Hinterhäuser in einem zimmerartigen Verschlage haust, bin ich Abends mehrmals gegangen, um mir unter den sonderbarsten Exclamationen und Gebehrden Stücke von ihr erzählen zu lassen. Dabei schnurrte in den Pausen das Spinnrad, der Kater lag unter dem Ofen und schnarchte wie ein Kind; denn er war krank und medizinirte; auf dem Tisch brannte eine Trahnlampe – vollkommner Hexenapparat. Da verbreitet sich noch obendrein folgende Geschichte wie Brand durch die Stadt.
In dem Dorfe Rantrum brannte voriges Jahr ein Haus aus, wie man sagt durch Anzünden des Eigenthümers, er erbaute ein neues Haus auf der Stelle; das er an einen jungen Roßkamm verkaufte. Dieser nahm sich den letzten Herbst eine junge Frau; aber in der Hochzeitsnacht erkrankten beide, er starb nach 14 Tagen, sie liegt noch zu Bett und ist, obgleich die Aerzte es wollen, nicht zum Aufstehen zu bewegen; sie kann nicht vor Grauen aus dem Bett. In dem Pesel des Hauses ist plötzlich eine Hand aus der Wand gewachsen, vollkommen mit Gliedern und Gelenken; man hat sie abgeschnitten und sie in einer Schachtel bewahrt. – Ich versichere Sie, am Abend, da die Dienstmädchen diese Geschichte mit so sicherm Glauben erzählten, fühlte ich so recht, wie mir der Spuk faustdick unter die Nase kam, und die poetische Betrachtung mußte dem Grauen weichen. Sie müssen wissen, meine Stube ist, wie es hier im Hause heißt, gewaltig unruhig, und wahr ist es, es kracht und flüstert mitunter wunderlich, als wenn die Nacht mit tausend Zungen spräche, und von Zeit zu Zeit fällt ein schwerer Seufzer zu Boden.
Unter anderen Geschichten hat man Storm diese Sage vom Dorf Rantrum bei Husum erzählt, die von Dienstmädchen als wahre Begebenheit ausgegeben wurde.
Roßkamm: Roßtäuscher, Pferdehändler
Pesel: großer Raum im hinteren Teil des Bauernhauses
Einige Sagen von unheimlichen Erscheinungen lieferte ihm Charlotte von Krogh, die Tochter des Husumer Amtmanns Godske von Krogh, die regelmäßig Verwandte in Nordschleswig besuchte und dort – wohl auch auf Storms Bitte – Erzählungen von unheimlichen Ereignissen mitbrachte.
Carl Hartmann: Charlotte von Krogh1845/46. Det Nationalhistoriske Museum på Frederiksburg Slot, Hillerød.
Das Herzogtum Schleswig (dänisch Hertugdømmet Slesvig) entwickelte sich ab etwa 1200 und existierte bis 1864. Es umfasste im Wesentlichen das heutige Nordschleswig (Dänemark) und Südschleswig (der Norden des deutschen Bundeslandes Schleswig-Holstein). Hauptort war die Stadt Schleswig, bedeutendste Siedlung Flensburg. Vorläufer des Herzogtums war im frühen Mittelalter das Jarltum Süderjütland (Sønderjylland). Die Herrschaft über das Herzogtum war im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder umstritten und umkämpft. Schleswig war vor 1864 zusammen mit dem Herzogtum Holstein Teil des multi-ethnischen Dänischen Gesamtstaates. Anders als Holstein gehörte Schleswig als dänisches Reichs- und Königslehen nicht zum Römisch-Deutschen Reich oder Deutschen Bund. Die Grenze zwischen Schleswig und Holstein wurde dabei durch die Flüsse Eider und Levensau markiert. Sprachlich war Schleswig im 19. Jh. gemischtsprachig deutsch-dänisch-nordfriesisch geprägt, wobei sich die dänische und friesische Sprache früher weiter nach Süden erstreckten, dort seit der Frühen Neuzeit aber zunehmend vom Deutschen abgelöst wurden.
Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 herrschten Österreich
und Preußen gemeinsam über Schleswig und Holstein. Ab der Gasteiner
Konvention von 1865 verwaltete Preußen Schleswig. Nach dem Deutschen Krieg
1866 wurde Schleswig ein Teil der neuen preußischen Provinz
Schleswig-Holstein, die Provinzialregierung hatte ihren Sitz dabei bis 1917
in der Stadt Schleswig. Nach einer Volksabstimmung 1920 wurde das ehemalige
Herzogtum in das heute dänische Nord- und das deutsche Südschleswig geteilt.
Nordschleswig ist heute Teil der 2007 geschaffenen Region Syddanmark,
Südschleswig ist Teil des 1946 gegründeten Landes Schleswig-Holstein. |
Die rot markierten Teile sind königlich dänische Enklaven. |
Charlotte von Krogh (1827-1913) wurde als Tochter Ernst von Krogh (1778-1852) und seiner Frau Agnes von Warnstedt (1788-1829) im ehemals herzoglich-gottorfischen Schloss vor Husum, geboren. Sie war ein Nachkömmling; der Altersunterschied zu ihren vier Geschwistern war erheblich. Die Ältesten, das Zwillingspaar Wilhelm (1811-1853) und Auguste (1811-1885), waren fast sechzehn Jahre, ihr Bruder Ferdinand (1815-1891) fast zwölf Jahre und ihre Schwester Louise (1819-1874) immerhin noch sieben Jahre älter als sie. […] Von Krogh war 1826 in der Nachfolge seines Schwagers Christoph von Levetzow (1754-1829) zum Amtmann von Husum und Bredstedt und Oberstaller der Landschaft Eiderstedt ernannt worden. Er stammte aus einem norwegisch-dänischen Adelsgeschlecht, dessen männliche Angehörige seit Generationen als Offiziere und Beamte im Dienst des dänischen Königs standen, dessen Wurzeln jedoch in Deutschland lagen. Wie sein Vater, der Jägermeister und Geheime Konferenzrat Friedrich Ferdinand von Krogh (1737-1829), hatte Godske seine Laufbahn als Page am Hof in Kopenhagen begonnen, war dann aber Offizier geworden. Seine Schwerhörigkeit zwang ihn indessen zum Ausscheiden aus dem Militärdienst. Bis zu seiner Ernennung zum Amtmann war er Oberlandwegeinspektor im Herzogtum Schleswig und wohnte auf dem Hof Faurvraa (Favervrä) in der Nähe der Herrnhuter Siedlung Christiansfeld. Dort wurden auch die beiden mittleren Kinder Ferdinand und Louise geboren. Hier, im nördlichen Schleswig, war Godske von Krogh beheimatet. Der väterliche Hof in Aastrup (Aastrupgaard), auf dem er und seine zahlreichen Geschwister aufgewachsen waren, lag einige Kilometer östlich von Hadersleben und blieb bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts im Besitz seines jüngsten Bruders. Zwei weitere Brüder waren in der Nähe von Aastrup auf den Anwesen Nygaard und Marienlust ansässig, ein dritter lebte als Amtmann in Tondern.
Das im südlichen Teil des Herzogtums gelegene Husum war die letzte Station in der Laufbahn von Kroghs. 1829, zwei Jahre nach der Geburt Charlottes, starb, erst vierzigjährig, seine Frau. Von Krogh hat diesen Schlag offenbar nur schwer verwunden; er heiratete nicht wieder. Die jüngeren Kinder scheinen im wesentlichen unter der Obhut der ältesten Tochter Auguste und, zumindest eine Zeit lang, einer Gouvernante aufgewachsen zu sein. […]
Das Husumer Schloss, der Amts- und Wohnsitz des Amtmannes, befand sich seit 1721 im Besitz des dänischen Königshauses. Im ausgehenden 16. Jahrhundert in den reichen Formen der niederländischen Renaissance errichtet, war es in der Mitte des 18. Jahrhunderts einschneidend umgebaut und dabei verkleinert und stark vereinfacht worden. Später wurde auch noch die charakteristische, hoch aufragende Spitze des Mittelturms abgebrochen. In dieser eher nüchternen, schmucklosen Gestalt diente es nicht nur der Amtsverwaltung, sondern auch als 'Quartier' des dänischen Königs bei dessen gelegentlichen Besuchen in Husum und als Dekor der Huldigungen, die die Bürger der Stadt ihm darbrachten. Für Charlotte von Krogh war das Schloss indessen vor allem das Elternhaus, nach dem sie später »oft Sehnsucht« verspürt habe, wie sie als über Achtzigjährige ihrem Freund, dem Pastor Nicolai C. Nielsen (1848-1932) bekannte. Ihrem auf dänisch geschriebenen Brief war ein Gedicht in deutscher Sprache beigefügt, das sie in jüngeren Jahren verfasst hatte - eine in Fragen gekleidete Beschwörung einer fernen, erfüllten Vergangenheit. Die erste Strophe lautet: »Steht noch, mit seinen dunklen Sagen,/ Am grauen Meer, das alte Schloß ?/Wo ich in sommerlichen Tagen,/ der Kindheit volles Glück genoß?« Weiter ist von Störchen auf dem alten Dach, von einer »sturmgebeugte(n) Linde« und blühenden Veilchen die Rede. In »einer reinen Welt« habe sie damals gelebt, heißt es in der letzten Zeile. Doch hat sich in diesem Schloss, in dem eine Prinzessin eingemauert worden sein soll und das Porträt eines verbrecherischen bleichen Ritters bei längerer Betrachtung angeblich errötete, wohl auch ihre spätere Vorliebe für 'Spuckgeschichten' entwickelt.
Kammerherr Godske Hans Ernst von Krogh und seine Familie, Nicolaisen 2007, S. 17.
Die Familien von Krogh und Storm pflegten einen freundschaftlich-vertrauten Umgang miteinander. Man besuchte sich gegenseitig, 'verplauderte' ein paar Stunden oder spielte L'Hombre. Storm besorgte sich Rosen und Reseden »aus des Kammerherrn Garten« und erfreute die siebzehnjährige Charlotte damit, dass er ihr einen Ring, den Constanze ihm geschenkt hatte, eine Weile überließ. Gelegentlich wurden auf der Bühne des Schlosses Singspiele aufgeführt, »die Storm gedichtet und angeblich auch in Musik gesetzt haben soll«. Die besondere Atmosphäre im Hause von Krogh hat Storm in einem Brief an Constanze eindrucksvoll beschrieben: »Ich bin bis jetzt ohngefähr bei Kroghs gewesen, um Guste Adieu zu sagen; es war recht behaglich da, wir saßen alle um den erleuchteten Theetisch, auch die alte Kammerherrin Stemann [die Schwester Godske von Kroghs, DN] (...); man wollte mich immer nicht weglassen (...). Mir war übrigens ganz wunderbar in dem alten lang nicht gesehenen Kreise geworden, (...) als saß ich im Anfang einer romantischen Novelle von Fouque; drinnen die freundliche stille Gesellschaft und draußen raste der Sturm um das alte Schloß, pfiff in den Kaminen und schlug mit den offenen Thüren. Endlich ging ich, mir war's ganz spuckhaft (...). «
Die Vorliebe für alles 'Spuckhafte' teilte Storm mit Charlotte. Jahre später – sie lebte längst als Malerin in Hadersleben – erinnerte sie ihn daran, dass sie einst in Husum »im sogenannten kl[einen] Schloßgarten« über den Plan gesprochen hätten, »ein Buch 'Theolot', mit lauter Spuckgeschichten zu schreiben«. Selbstironisch fügte sie hinzu: »Sie werden an meinem Briefstyl erkennen, daß ich klüger gethan habe, den Pinsel zu ergreifen - und Ihnen die Feder allein zu überlassen!« In ihren jungen Jahren scheint sie Storm jedoch zahlreiche Geschichten zugetragen zu haben, unter anderem verschiedene Sagen, die sich auf das Geschlecht der Grafen Schack auf Gramm und Schackenburg bezogen.
Nicolaisen 2007, S. 16ff.
Theodor Storm hat dem Amtmann und Kammerherrn in seinen autobiographischen Aufzeichnungen ein bemerkenswertes Denkmal gesetzt: „ein unstudierter Mann von gesundem Menschenverstände und gutem, wenn es sich sagen ließe, oft unbewußtem Humor. Wenn in den hohen bespornten Stiefeln die stattliche Gestalt drohend durch die langen Korridore seiner Amtswohnung, des alten herzoglichen Schlosses, schritt, so klang daraus das volle Bewußtsein eines Oberbeamten über das Amt Husum und Bredstedts und eines Oberstallers über die Landschaft Eiderstedt. Er war ein tüchtiger und von dieser Eigenschaft vollkommen überzeugter Mann, etwas schwerhörig, dabei mit einem überlegenen Lächeln und die Namen der ihm nicht nahe und nicht höher stehender Personen gern, als sei das seine Sache nicht, dergleichen zu behalten, mit irgendeiner Verdrehung handhabend; dabei im Amt, wie im Hause ein wohlwollender Mann. Auf Reisen und wenn er im L'Hombre verloren hatte zahlte sein Bedienter, der dann die Kasse führte. (LL 4, S. 430f.)
Kammeherr Godske Hans Ernst von Krogh. Danmarks Adels, Aarborg 1898.
Schloss vor Husum (Husum Slot)
Das Schloss vor Husum – so genannt, weil es zu seiner Erbauungszeit vor der Stadtgrenze lag – befindet sich in Husum im Kreis Nordfriesland in Schleswig-Holstein. Es war ursprünglich eine Nebenresidenz des herzoglichen Hauses Schleswig-Holstein-Gottorf und diente im 18. und 19. Jahrhundert als gelegentliche Residenz des dänischen Königshauses. Bereits während dieser Zeit nahm das nun „königliche Schloss“ die Amtsverwaltung auf, die sich nach 1864 fast auf das ganze Haus ausdehnte und hier bis ins 20. Jahrhundert verblieb.
Das Schloss vor Husum 2009.
Das Schloss vor Husum ist der einzige erhaltene Schlossbau an der schleswig-holsteinischen Westküste. Es dient heute als Schlossmuseum und als Kulturzentrum, ist der Öffentlichkeit zugänglich und kann besichtigt werden. Der Schlosspark ist während der alljährlichen Krokusblüte eine überregional bekannte Attraktion.
An der Stelle des heutigen Schlosses befand sich seit dem späten 15. Jahrhundert das so genannte Graukloster, ein möglicherweise 1494 gegründetes Kloster der Franziskaner, benannt nach der Farbe des Habits der Ordensleute. Es bildete mit den Franziskanerklöstern in Lunden, St. Maria in Kiel und dem Graukloster in Schleswig die Kustodie Holstein der dänischen Ordensprovinz Dacia und kam 1520 mit diesen zur franziskanischen Reformprovinz Saxonia S. Crucis. Wie viele weitere in Schleswig-Holstein wurden auch alle diese Klöster im Zuge der Reformation aufgelöst. Die Brüder mussten in Husum 1527 ihr Kloster verlassen.
Die Ländereien gingen an den Landesherrn, den dänischen König, über. Das alte Klostergebäude diente ab 1528 als Armen- und Siechenhaus; mit den Einkünften finanzierte der Rat auf Anregung des Reformators Hermann Tast die Gründung einer Lateinschule.
Herzog Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorf war der erste Landesherr des 1544 begründeten Herzogtums Schleswig-Holstein-Gottorf, und er unterstrich seinen Rang – er war ein Halbbruder des dänischen Königs Christian III. – mit einer Fülle von Neubauten im Stile der Niederländischen Renaissance. Zu den zahlreichen Bauwerken seiner Regierungszeit gehörten unter anderem das Schloss in Reinbek, das Schloss in Tönning oder der Nordflügel des bis dahin mittelalterlich geprägten Gottorfer Schlosses. Auch in Husum plante er ein neues Schloss, als Bauplatz wurde – wie auch in Reinbek – das Gelände des früheren Klosters bestimmt. Das Armenhaus wurde dafür abgerissen und in Husum stattdessen das so genannte Gasthaus zum Ritter St. Jürgen gegründet, das noch heute als ein Seniorenheim besteht.
Das Husumer Schloss wurde für Adolf I. von 1577 bis 1582 errichtet. Damals lag das Gelände noch außerhalb des Stadtbezirks, wovon der heutige Name des Schlosses herrührt, der sich allerdings erst im 19. Jahrhundert einbürgerte. Das Schloss sollte für Aufenthalte des herzoglichen Hofs an der Westküste als Residenz dienen. Die dortigen Gebiete Eiderstedt, Teile Nordfrieslands und das nördliche Dithmarschen bildeten den größten zusammenhängenden Besitz des Gottorfer Territoriums, das einem Flickenteppich gleich über Schleswig und Holstein verteilt war. Nach Herzog Adolf I. nutzten auch seine Nachfolger Friedrich II., Philipp und Johann Adolf die Husumer Schlossanlage. Stammschloss und Regierungssitz blieb aber Gottorf bei Schleswig. In der Landesgeschichte spielte die Husumer Residenz keine bedeutende Rolle.
Ab dem 17. Jahrhundert wurde das bis dahin nur sporadisch genutzte Husumer Schloss ebenso wie das Schloss in Reinbek zum Leibgedinge, also zum Witwensitz bestimmt. Herzogin Augusta, die Witwe Johann Adolfs, bewohnte das Husumer Schloss von 1610 bis 1639 regelmäßig. Für ihre Versorgung erwarb sie die benachbarten Güter Arlewatt, Hoyerswort und den Roten Haubarg. Unter ihr und der nachfolgenden Herzogin Maria Elisabeth erlebten die Stadt und das Schloss eine kurze kulturelle Blüte. Künstler wurden an den Hof geholt und das Schloss wurde erweitert und mit einer frühbarocken Ausstattung versehen. Maria Elisabeth, die Witwe von Friedrich III., lebte von 1660 bis 1684 fast ausschließlich hier. Nach ihrem Tod wurde das Schloss selten genutzt, wie z. B. zwischen 1710 und 1713 als Wohnsitz des damaligen Amtmannes von Husum und Schwabstedt und späteren Holstein-Gottorfschen Geheimratspräsidenten Henning Friedrich von Bassewitz. Im Übrigen stand es zumeist leer.
Ab 1721 gingen Schloss und Stadt Husum infolge des verlorenen Nordischen Krieges an das Königreich Dänemark. Das dänische Königshaus, das durch diese politische Entwicklung und die damit verbundene partielle Entmachtung der Gottorfer in den Besitz mehrerer Schlösser im Herzogtum Schleswig gelangte, hatte nur ein mäßiges Interesse daran, die fern vom dänischen Kernland liegenden Gebäude zu erhalten. So wurde beispielsweise das Tönninger Schloss geschleift, die barocken Umbauarbeiten am Gottorfer Schloss eingestellt und die alte Residenz zum Sitz der dänischen Statthalter bestimmt. Das Husumer Schloss indessen stand weiterhin leer und wurde nur notdürftig unterhalten. Erst der dänische König Friedrich V. zeigte wieder Interesse an einem gelegentlichen Wohnsitz im Westen der Herzogtümer. So ließ er in Glückstadt, wo das dortige Schloss bereits 1708 abgerissen werden musste, das Wasmer-Palais erwerben und plante am Husumer Schloss eine Modernisierung, die in den großen Umbauarbeiten von 1750 bis 1752 ihre Umsetzung fand. Das alte und zum Teil bereits baufällige Husumer Renaissanceschloss wurde durch den Landesbaumeister Otto Johann Müller in reduzierter Form erneuert und mit barocken Elementen dem Geist der Zeit angepasst.
Seit 1752 nahm das Schloss auch die Amtsverwaltung des Amtes Husum mit der Wohnung des Amtmannes auf. Dieser wohnte mit seiner Familie in den Räumen nördlich des Turms, wie auch die Familien anderer königlicher Beamter. Die Amtsverwaltung bestand aus drei Räumen im Erdgeschoss. Für mögliche Aufenthalte des Königs waren die Räume vorgesehen, die südlich des Turms in beiden Etagen lagen. Die Amtsverwaltung verblieb im Schloss, die Nutzung durch das dänische Königshaus beschränkte sich jedoch auf wenige Besuche. Dennoch kam es im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts zu einer erneuten Vernachlässigung der Bausubstanz. 1792 musste der Hauptturm weitgehend abgetragen werden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Schloss wieder vermehrt für königliche Besuche genutzt. Hier sind vor allem König Friedrich VI., der in den zwanziger Jahren häufiger nach Husum kam, und Christian VIII. zu nennen, der sich in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts um Husum bemühte (er starb 1848). Unter ihm wurde das Schloss teilweise modernisiert. Den Besuch des Königs im Jahre 1845 schilderte Theodor Storm sehr anschaulich in einem Brief an seine damalige Verlobte Constanze Esmarch.
Nachdem Schleswig-Holstein im 19. Jahrhundert infolge des Deutsch-Dänischen Krieges in preußische Verwaltung übergegangen war, zogen die Kreisverwaltung des Kreises Husum und das Amtsgericht in das Schloss. Theodor Storm diente hier von 1867 bis 1880 als Amtsrichter und Gerichtsrat. 1871 wurde die Schriftstellerin Fanny zu Reventlow, die Tochter des Landrats Ludwig Graf zu Reventlow, auf dem Schloss geboren. Nach dem Ende des Deutschen Kaiserreichs kaufte der Kreis Husum das Gebäude aus dem ehemaligen Kronvermögen. Allmählich weitete sich die Verwaltung immer mehr aus und beanspruchte bis auf die Landratswohnung fast das ganze Haus. Die Zeit der Weltkriege des 20. Jahrhunderts überstand das Schloss ohne Zerstörungen.
Das Schloss vor Husum Anfang des 20. Jahrhundert in dem baulichen Zustand der Storm-Zeit. Grunsky 1990, S. 163.
Nach dem Zusammenschluss der Kreise Eiderstedt, Husum und Südtondern 1970 zum neuen Kreis Nordfriesland mit dem Sitz in Husum wurde eine neue Kreisverwaltung auf dem Gelände des nahe gelegenen ehemaligen Viehmarkts errichtet. Das nun funktionslose Schloss wurde ab 1973 bis in die 1980er Jahre restauriert und einer kulturellen Nutzung zugeführt. Dabei wurde unter der Leitung des dänischen Architekten Karsten Rønnow die Gestalt des Gebäudes nach dem Umbau von 1750 bis 1751 angestrebt. Eine Rückführung auf den Zustand der Renaissancezeit war aufgrund der später erfolgten Eingriffe in die Bausubstanz und des damit verbundenen Aufwands nicht mehr möglich.
Wikipedia
Das Gemeinsame eines Teils der von Storm niedergeschriebenen und zu kurzen Erzählungen erweiterten Texten ist die Herkunft aus dem Adelsfamilien von Krogh und der Grafenfamilie Schack, mit denen die von Krogs durch mehrfache Einheirat verwand waren. Von Storm selber stammt die im Rittersaal des Husumer Schlosses spielende Geschichte Das errötende Bild sowie die Ergänzung zur Sage Die schwarze Greth.
Blick in den Rittersaal des Husumer Schlosses, Borzikowsky 2009, S. 60.
Charlotte von Krogh erzählte Storm die Schackensage, Die Gräfin Schack, Das Gespenst auf Gram, Das liebe Brot, Der Untergang der Schackenburg, Das Gesicht des Nachtwächters, Das Thurmgemach und Die Karossen. Von Frau von Stemann, einer Schwester Godske von Kroghs (Hedwig Auguste von Krogh, 1781-1848), stammt Der Schlossbrand auf Kopenhagen. Auch zwei der mit Tondern verbundenen Sagen und Spukgeschichten könnte Charlotte von Krogh vermittelt haben: Friesische Sage und Die verhängnisvolle Stelle. Die dritte, Hel, hat Storm bei einem Besuch in Tondern selber niedergeschrieben.
Diese Sagen und Spukgeschichten wurden zum Teil in der Müllenhoffschen Sagesammlung veröffentlicht, andere sind Teil des „Neuen Gespensterbuchs“, ein druckfertiges Manuskript, das zu Storms Lebzeiten nicht veröffentlicht wurde.
Frontispiz zu Karl Müllenhoff (Hrsg.): Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel: Schwers’sche Buchhandlung 1845. |
Das Thurmgemach, Handschrift von Theodor Storm in: Neues Gespensterbuch. Beiträge zur Geschichte des Spucks. (Storm-Archiv, Husum) |
Handlungsorte und Personen
Schloss Gram
Schloss Gram (dänisch Gram Slot) befindet sich in der süderjütländischen Ortschaft Gram in der dänischen Region Syddanmark. Es beherbergt heute ein Hotel, ein Veranstaltungszentrum sowie einen ökologischen Landwirtschaftsbetrieb. 2021 beginnt der Aufbau eines Landwirtschaftsmuseums.
Schloss Gram (dänisch Gram Slot), August 2022.
Das Schloss geht auf einen mittelalterlichen kongsgård zurück, einen befestigten Wirtschaftshof in königlichem Besitz. 1232 wird es im Erdbuch von König Waldemar als Kammergut erwähnt. Der mittelalterliche Hof lag etwas 3 Kilometer vom heutigen Schloss entfernt. 1314 war eine Burg im Besitz von Herzog Erich II. von Schleswig, jedoch ist die genaue Lage in Vergessenheit geraten. Es kommen mehrere Wallanlagen in der Umgebung in Betracht.
Claus Limbeks Sohn Henneke übernahm Gram Ende des 14. Jahrhunderts. 1467 erhielt Ditlev Reventlow die Besitzungen. Die Reventlows wählten den heutigen Standort um das Jahr 1500. Teile des Ostflügels stammen aus dieser Zeit. Der Hauptflügel wurde um 1670 von Feldmarschall Hans Schack errichtet. Die Schacks hielten Gram bis 1821. Die Linie Brockenhuus-Schack veräußerte den Adelssitz erst 2007.
Das Schloss ist eine aus Backstein errichtete, dreiflügelige Anlage. Der Ostflügel bildet den ältesten Teil des Schlosses, er wurde vermutlich im frühen 16. Jahrhundert unter den Reventlows erbaut. Der Südflügel stammt aus der Zeit Hans Schack. Der Westflügel wurde um 1752 von seiner Nachfahrin Gräfin Anna Sophie Schack erbaut.
Die Baustile (Nordische Renaissance, Barock, Klassizismus) der unterschiedlichen Bauphasen sind erhalten geblieben.
Das Schloss liegt auf einer Insel im aufgestauten Schlossteich.
Nördlich schließt sich der Bereich des Wirtschaftshofes an, südwestlich befindet
sich der Schlosspark. Er zählt zu den großzügigsten in Sønderjylland und geht in
seiner Grundform auf einen von Gräfin Anna Sophie Schack errichteten
Barockgarten zurück. Vom Hauptflügel des Schlosses führt die Hauptachse an zwei
Wasserbecken vorbei auf symmetrisch angelegte Blumenrabatten zu.
Wikipedia (dänisch)
Schloss Schackenburg
Schloss Schackenborg (dänisch Schackenborg Slot) ist ein von dem deutsch-dänischen Feldmarschall Hans von Schack angelegtes Barockschloss in Møgeltønder bei Tønder (Tondern) in Süderjütland. Das Schloss war von 1993 bis 2014 Wohnsitz von Prinz Joachim von Dänemark, der hier einen Landwirtschafts- und Forstbetrieb mit 969 Hektar betrieb.
Charlotte von Krogh: Schackenborg, Öl auf Leinwand 1864, Nicolaisen 2007, S. 118.
Møgeltønderhus, erstmals 1233 erwähnt, war ursprünglich ein Lehen des Bischofs von Ribe. 1536 wurde es im Zuge der Reformation, wie der gesamte weltliche Besitz der Kirche, von der Krone konfisziert.
Kurz nachdem Hans von Schack das Lehen 1659 übernommen hatte, übereignete ihm König Frederik III. 1661 das Anwesen für seine Verdienste im Dänisch-Schwedischen Krieg. Die Burg war baufällig und auch nicht mehr zeitgemäß. Er riss sie größtenteils ab und baute in den Jahren 1662–1666 das Barockschloss Schackenborg.
Es handelt sich um eine dreiflügelige Anlage mit symmetrisch angelegtem Garten, ursprünglich umrahmt von großen Wirtschaftsgebäuden. Die Längsachse der Gartenanlage verbindet den Haupteingang mit dem Osttor, die Querachse verbindet Torhaus und Reitstall. Vor dem Schloss liegen sechs leichte schwedische Feldschlangen aus Bronze, Teil der reichhaltigen Kriegsbeute des Reichsfeldherrn, hier vermutlich als Salutkanonen verwendet.
Hans Schack wurde 1671 in den Grafenstand erhoben. Zehn
Generationen folgten ihm. Gut und Schloss wurden vom Vater auf den Sohn vererbt,
die abwechselnd Hans und Otto Didrik hießen. Um 1750 wurde das Schloss im Stil
des Rokoko ausgeschmückt. Um 1770 wurden die Wirtschaftsgebäude abgerissen,
einzig die rote Mauer auf der nördlichen Seite des Gartens erinnert an sie. Bei
einem weiteren Umbau um 1790 erhielt das Schloss außerdem klassizistische Züge.
Wikipedia (dänisch)
Anna Sophie Rantzau (1689-1760)
Anna Sophie Rantzau war die Tochter des Hof- und Landrats Christian Rantzau (1649–1704) und der Margrethe Rantzau (1642–1708) und wuchs bei ihrer Tante Anna Pogwisch in Weißenhaus in Holstein auf und heiratete am 22. April 1711 Hans Schack, Graf von Schackenborg und besaß außerdem das große Gut Gram in Nordslesvig.
Anna Sophie Schack (1689-1760) und Hans Schack (1609-1676), https://gramslot.dk/om-os/historie.
Hans Schack war im Jahr zuvor Witwer geworden und hatte aus erster Ehe einen Sohn, Otto Didrik Schack. Anna Sophie Schack gebar ihm eine Tochter. 1712 gelang Hans Schack die Aufnahme in den Schleswig-Holsteinischen Ritterstand, zu dem seine familiären Bindungen zu den alten Adelsgeschlechtern in den Herzogtümern beigetragen haben müssen.
Hans Schack starb bereits 1719, und seine Frau stand nun an der Spitze der Grafschaft Schackenborg und des Gutes Gram als Vormund des kaum zehnjährigen Stiefsohns. Im folgenden Jahr verlor sie ihre Tochter an Pocken, die auch den Stiefsohn infizierten, aber Anna Sophie ließ ihn nach Berlin verlegen, wo er behandelt wurde und überlebte.
Der Tod mehrerer Familienmitglieder machte Anna Sophie Schack zufällig für einige Jahre zur Gutsbesitzerin. 1741 starb der Stiefsohn Otto Didrik im Alter von nur 31 Jahren. Erbe war sein ältester Sohn, der ebenfalls den Namen Hans Schack trug. Er wurde 1735 geboren, also noch ein Kind, und seine Mutter musste daher die Güter für ihn verwalten. Nach ihrem frühen Tod 1748 trat Anna Sophie erneut ein und übernahm die Leitung der Grafschaft.
1726 lieh Anna Sophie ihrem Freund, dem Oberkriegssekretär Christian Carl Gabel, 50.000 Reichstaler gegen eine Hypothek in Giesegård, Spanager und Ottestrup in Midtsjælland Die Freundschaft zerbrach jedoch und ein Vorschlag von seiner Seite wurde abgelehnt. 1734 kündigte sie das Darlehen und erhielt 1736 die Urkunde auf die drei Güter. Von dem Stiefsohn, der Schackenborg und Gram nun als Erwachsener übernommen hatte, kaufte sie Gram im selben Jahr. 1733-36 pachtete sie das Gut Seekamp in Holstein, das dem Gut Schackenborg zugeschlagen wurde.
Im Laufe der Jahre wurde ihre Tätigkeit als Grundbesitzerin immer umfangreicher, insbesondere auf den Grundstücken, die sie selbst besaß. In Giesegård baute sie ein neues Hauptgebäude und in Gram baute sie das Schloss wieder auf. In Seeland vergrößerte sie 1752 ihren Gutskomplex mit Juellund, und in Nordschleswig erwarb sie 1754 das Gut Nybøl. Im Jahr zuvor hatte sie den heutigen Thotts-Palast am Kongens Nytorv gekauft, und 1754 bewies sie ihre Finanzkraft, indem sie das von Severin Leopoldus Løvenskiold im Bau befindliche Herrenhaus Amalienborg übernahm. Der Auftraggeber hatte Schwierigkeiten, die Aufgabe finanziell zu bewältigen. Stattdessen übernahm Løvenskiold einen Bauernhof, den Anna Sophie Schack am Amagertorv besaß. Nach einem Brand wurde Schacks Palais, das jetzige Palais Christians IX., 1757 endgültig fertig gestellt. 1751 hatte sie den von Königinwitwe Sophie Magdalene 1732 gestifteten Orden l'union parfaite erhalten.
Aber durch diesen Baueifer und Kaufwunsch baute sie gleichzeitig eine beträchtliche Schuld auf, die Giesegård bis 1818 anhaftete. Gleichzeitig ist es nicht verwunderlich, dass einer energischen und wohlhabenden Frau dieser Zeit Misstrauen entgegengebracht wurde und sie oft mit ihren Bauern in Konflikt geriet. Deshalb erinnert man sich in Schackenborg an sie als „die böse Gräfin“, wie Ingeborg Skeel und andere. Ihre Beziehung zu dem Stiefsohn, dessen Ausbildung und Karriere sie arrangierte, war nie die beste und verschlechterte sich im Laufe der Jahre. Dasselbe gilt für ihre Beziehung zu seinem Sohn und Erben. 1758 musste eine Kommission zur Beilegung der Streitigkeiten eingesetzt werden, kurz vor ihrem Tod verfasste sie ein Testament, in der sie Hans Schack komplett umging und entschied, dass Giesegård mit Juellund, Ottestrup und Spanager sowie Gram und Nybøl als Familienhaus für seinen jüngeren Bruder Frederik Christian Schack angelegt werden sollte.
Sie beteiligte sich auch am kulturellen Leben der Zeit, insbesondere am Kreis um die Brüder Christian Ludvig und Carl Adolph von Plessen, und tauschte Briefe mit dem gelehrten Historiker Hans Gram, dem Protegé der Gebrüder Plessen.
Wikipedia (dänisch)
Tonderner Marsch
Møgeltønder (deutsch: Mögeltondern) ist ein dänisches Dorf westlich von Tønder nahe der deutsch-dänischen Grenze. Es gehört zur Kommune Tønder in der Region Syddanmark und zum Kirchspiel Møgeltønder Sogn. Die 799 Einwohner (1. Januar 2022) heißen Mögeltonderaner (dän. møgeltøndringer). Im südwestlichen Sønderjylland liegt das größte Marschgebiet Dänemarks – die Tønder-Marsch.
Charlotte von Krogh: Sonnenuntergang bei Møgeltønder; Öl auf Leinwand, Nicolaisen 2007, S. 61.
Der Ort ist für Schloss Schackenborg bekannt, das von 1993 bis 2014 Prinz Joachim von Dänemark als Wohnsitz diente. Der Ort wird erstmals um 1150 als Tundira erwähnt, 1288 als Mykæltundær, von altdänisch mykil (groß) und tønder (womöglich Zunderschwamm). Der heute große Nachbar Tønder hieß um 1313 noch Lytlætunder, Klein-Tondern.
Sein Heranwachsen verdankte der Ort dem Herrensitz, zunächst einer Burg der Rantzaus (Møgeltønderhus, erstmals 1233 erwähnt). Ursprünglich ein Lehen des Bischofs von Ribe, wurde Møgeltønderhus mit dem zugehörigen Gebiet 1536 im Zuge der Reformation – wie der gesamte weltliche Besitz der Kirche – von der Krone konfisziert. Der Bezirk wurde als Enklave ins Königreich inkorporiert, während das Umland weiter zum Herzogtum Schleswig gehörte. Ab 1661 befand sich das Gut im Besitz der Familie von Schack, nach denen es den Namen Schackenborg trägt. 1662 bis 1666 wurde das heutige Schloss errichtet und der Gutsbetrieb erneuert. 1680 ließ Otto Didrik Graf Schack die Schlossstraße anlegen und zog durch Steuerbefreiung Händler und Handwerker in den Ort.
Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg gehörte das Dorf ab 1867 zu Preußen und ab 1871 zum Deutschen Reich. Bei der Volksabstimmung in Schleswig 1920 stimmten 712 Mögeltonderaner für Dänemark und 113 (13,7 Prozent) für Deutschland. Da es in der nördlichen Abstimmungszone I lag, fiel das Dorf gemäß Versailler Vertrag an Dänemark.
Møgeltønder gehörte bis 1970 zur Harde Møgeltønder Herred in
Tønder Amt und von 1970 bis 2007 zur Kommune Tønder in Sønderjyllands Amt. Im
Zuge der Kommunalreform zum 1. Januar 2007 wuchs die Kommune zur neuen Tønder
Kommune an.
Wikipedia (dänisch)
Die im Folgenden dokumentierten Erzählungen Storms stammen aus dem Herzogtum Schleswig, das bis 1864 Teil des Königreichs Dänemark war. Als Nordschleswig (dänisch: Nordslesvig) wird der seit 1920 zum Königreich Dänemark gehörende Teil des ehemaligen Herzogtums Schleswig bezeichnet. Der bei Deutschland gebliebene Teil wird Südschleswig genannt.
Das Herzogtum Schleswig im Königreich Dänemark, (Denmark, London 1834, Ausschnitt). Markiert sind die Schauplätze der Schloss-Geschichten.
Das errötende Bild
Der sogenannte Rittersaal des Husumer Schloßes, war noch in meinen Knabenjahren dicht behangen mit den Porträts alter Ritter und Damen, meist in Lebensgröße. Jetzt sind die Bilder nach Kopenhagen geschafft. Darunter aber war das Bild eines Ritters, der konnte mußte erröthen, wenn mans ansah; wir machten uns als Knaben oft mit heimlichen Grauen dieß Vergnügen.
Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten 2017, S. 97.
Herzog Adolf von Schleswig-Holstein Gottorf (1526-1586), Ölgemälde von Unbekannt um 1600, Schloss vor Husum.
Erstdruck: Müllenhoff (Hg.): Sagen, Märchen und Lieder, S. 547 als Nr. 548. In Storms Sammel-Handschrift „Meine Gedichte“ (Storm-Archiv, Husum), S. 108 ist folgende Fassung enthalten:
Der sogenannte Rittersaal des Husumer Schloßes, war noch in meinen Knabenjahren dicht behangen mit den Porträts alter Ritter und Damen, meist in Lebensgröße. Jetzt sind die Bilder nach Kopenhagen geschafft. Darunter aber war das Bild eines Ritters, der konnte mußte erröthen, wenn mans ansah; wir machten uns als Knaben oft mit heimlichen Grauen dieß Vergnügen.
Von Karl Müllenhoff hat sich eine mit der Druckfassung fast identische handschriftliche Fassung erhalten (Müllenhoff-Nachlass, Humboldt-Universität Berlin, Kapsel 31, Mappe 173):
Das erröthende Bild.
Mein Freund Storm erzählte mir: Im großen Rittersaal des Husumer Schloßes waren noch in meinen Knabenjahren die Wände dicht mit alten Ritterbildern behangen, meist in Lebensgröße. Darunter war auch das Bild eines Ritters, das mußte roth werden, wenn mans fest an schaute; wir Knaben machten uns oft dies Vergnügen, aber immer mit heimlichem Grauen. Jetzt sind alle Bilder nach Kopenhagen geschafft, und man weiß nicht, ob das Bild da noch erröthet zu schämen braucht so verschämt geblieben ist.
Storm hat das Motiv des errötenden Bildes später in seiner Novelle „Im Schloss“ (1862) verwendet.
Mein Lieblingsaufenthalt im Hause war der große Rittersaal, der das halbe obere Stockwerk in seiner ganzen Breite einnimmt. Leise und nicht ohne Scheu vor der schweigenden Gesellschaft drinnen schlich ich mich hinein; über dem Kamin im Hintergrunde des Saales, aus Marmor in Basrelief gehauen, ist der Krieg des Todes mit dem menschlichen Geschlechte dargestellt. Wie oft habe ich davor gestanden und mit neugierigem Finger die steinernen Rippchen des Todes nachgefühlt! –Vor Allem zogen mich die Bilder an; auf den Zehen ging ich von einem zu dem andern; nicht müde konnte ich werden, die Frauen in ihren seltsamen roten und feuerfarbenen Roben mit dem Papageien auf der Hand oder dem Mops zu ihren Füßen zu betrachten deren grelle braune Augen so eigen aus den blassen Gesichtern herausschauten so ganz anders als ich es bei den lebenden Menschen gesehen hatte. Und dann dicht neben der Eingangstür das Bild des Ritters mit dem bösen Gewissen und dem schwarzen krausen Bart von dem es hieß er werde rot, sobald ihn Jemand anschaue. Ich habe ihn oftmals angeschaut fest und lange; und wenn wie es mir schien sein Gesicht ganz mit Blut überlaufen war, so entfloh ich und suchte des Oheims Tür zu erreichen.
Theodor Storm: Im Schloß, LL 1, S. 492f.
Hier nach dem Erstdruck.
Die schwarze Greth
Auf dem Holm, wo die Schleswiger Fischer wohnen, erzählte man vor fünfzig Jahren, und erzählt man vielleicht noch, folgende Sage. –
Zwei arme Fischer hatten die ganze Nacht vergeblich gearbeitet, und zogen zum letzten Mal ihre Netze wieder leer herauf. Als sie nun traurig heimfahren wollten, erschien ihnen die schwarze Greth, die sich öfters den dortigen Fischern zeigt; sie kommt vom andern Ufer her, wo eine Stelle im Dannewirke in der Nähe von Haddebye von ihr Margrethenwerk heißt, und erscheint in königlicher Pracht mit Perlen und Diamanten geschmückt, aber immer im schwarzen Gewande – ganz so, wie sie früher auf dem Husumer Schloß im sogenannten Margrethensaal im Bilde zu schauen war. Die sprach zu den Fischern: Legt eure Netze noch einmal aus, so werdet ihr einen reichen Fang thun; den besten Fisch aber, den ihr fangt, müßt ihr wieder in’s Wasser werfen. – Sie versprachen’s und thaten, wie die Greth gesagt; der Fang war so überschwenglich groß, daß ihn der Kahn kaum fassen wollte. Einer der Fische aber hatte Goldmünzen statt der Schuppen, smaragdene Flossen und Perlen auf der Nase. Das ist der beste Fisch, sprach der Eine, und wollte ihn wieder in’s Wasser setzen. Aber der Andre wehrte ihm und versteckte den Fisch in den übrigen Haufen, daß die Greth ihn nicht sähe; dann ruderte er hastig zu, denn ihm war doch bange. Ungern folgte ihm sein Gefährte. Aber wie sie so hinfuhren, fingen die Fische im Boote allmählig an zu blinken, wie Gold, denn der Goldfisch machte die übrigen auch golden. Und der Nachen wurde immer schwerer und schwerer, und versank endlich in die Tiefe, in die er den bösen Gesellen mit hinabzog. Mit Noth entkam der Andere und erzählte die Geschichte den Holmer Fischern.
Erstdruck: Volksbuch 1844, S. 87 f. Diese Sage wurde von Mommsen zur Sammlung beigetragen und durch Storm ergänzt; Storm schreibt am 9. Januar 1843:
Zu der von Ihnen mitgeteilten Sage von der schwarzen Greth muß ich Ihnen doch bemerken, daß in einem Seitengebäude unseres Schlosses ein ungeheurer Saal ist, der jetzt zur Reitbahn benutzt wird, früher aber elegant mit blau und weißem Marmor ausgelegt war. Dieser Saal heißt der Margarethensaal und ältere Leute erinnern sich darin eines großen Bildes der Königin Margaretha, genau wie sie es in der Sage angegeben, schwarz in königlichem Schmuck; jetzt ist alles verschwunden. –
Mommsen hat diesen Hinweis Storms in das Manuskript aufgenommen und auch Müllenhoff druckt die Sage mit dieser Ergänzung als Nr. 215, S. 157f. wortgetreu ab.
Holm: Fischersiedlung in Schleswig am nördlichen Ufer der Schlei
Dannewirke: Dannewerk, mittelalterliche Befestigungsanlage der Dänen vom Ende der Schlei nach Westen bis zur Treene-Niederung
Haddebye: Haitabu, Stadt der Wikinger am Ende der Schlei; heute noch besteht die Siedlung Haddeby
Hier nach dem Erstdruck.
Schacken-Sage
Man hat viele Sagen von dem alten gräflichen Geschlecht Schack, von denen wir jetzt nur Eine mittheilen wollen. – Des Grafen Schack auf Gramm Sohn liebte die schöne Tochter des Müllers im Dorfe und wollte sie heirathen; aber so lange der Vater lebte, wußte er, daß an die Ehe nicht zu denken war, und der Vater wollte nicht sterben. Da wurde ihm erzählt, wer die Mitternacht zwischen dem alten und dem neuen Jahre betend in der Stammgruft verharre, der werde in die Gruft versinken sehen, wer das Jahr über von der Familie sterben werde; und so beschloß er zu thun. In der nächsten Neujahrsnacht ging er in die Kirche hinein und stieg in das Grabgewölbe, wo er eifrig betete, in der Hoffnung, wenn es Mitternacht schlüge, seinen Vater einsinken zu sehen. Aber als es zwölf geschlagen, hört er draußen auf dem Kirchhofe ein Geräusch und sieht seine Braut, die Müllerstochter, im Sterbekittel sich in ein Grab legen. Da wurde er tiefsinnig; seine Braut aber starb im neuen Jahr.
Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten 2017, S. 91.
Schloss Gram (Gram Slot), Gartenseite August 2022.
Erstdruck: Volksbuch 1844, S. 89. Nach brieflicher Äußerung von Theodor Mommsen (an Theodor Storm vom 5. Februar 1843) hat Storm eine Reihe von Sagen über das Geschlecht der Grafen Schack gesammelt. Auf dem Gut Gramm in Nordschleswig, ca. 30 km von Hadersleben entfernt, wurde Hans Ernst Godsche von Krogh (1778–1852) geboren, seit 1826 Amtmann der Ämter Husum und Bredstedt mit Sitz in Husum sowie Oberstaller von Eiderstedt. Zur Familie des Amtmannes, der im Schloss vor Husum wohnte, unterhielten die Storms enge Kontakte. Müllenhoff 1845 bringt die Sage mit einigen unwesentlichen Änderungen mit dem Hinweis „Durch Herrn Storm“ unter dem Titel „Der Graf und die Müllerin“ als Nr. 52.
Hier nach dem Erstdruck.
Die Gräfin Schack
1.
Die Gräfin A n n a S o p h i a S c h a c k, Besitzerin der Güter Schackenburg und Gramm, war eine sehr hoffärtige, alte Dame. Sie war kurze Zeit mit einem Grafen Ranzau verheiratet, und lebte auf ihrem Gute Gramm. Ihren einzigen Sohn, Graf Otto Ranzau, ließ sie heimlich enthaupten, als sie einmal mit ihm in Streit gerieth. Da erschien ihr die Ahnfrau des Hauses und verkündigte ihr, daß sie keine Ruhe im Grabe finden, sondern unsichtbar neben ihrem kopflosen Sohn umgehen solle. Von Stund an ward die Gräfin bigott und wollte mit Beten und Fasten ihre Sünden abbüßen. Aber bis auf den heutigen Tag erfüllt sich die Verkündigung. Der junge Graf soll wirklich kopflos in seinem Sarge liegen.
2.
Dieselbe Gräfin Schack ließ sich einmal, als sie einen Jagdzug zurückerwartete, von ihrer Kammerjungfer zum Empfang der Gäste putzen. Da dies nicht recht vorwärts gehen wollte, ward sie ungeduldig und schleuderte das Mädchen gegen das Kamingesimse, daß sie für tot da lag. Gleich nach der That hörte sie den Zug unten im Hofe ankommen, und um das Geschehene zu verbergen, schiebt sie die Ohnmächtige in den Kamin, legt ein großes Feuer an, setzt die Thür vor und verbrennt sie. Die Bluttropfen am Gesimse blieben, bis man es in neuester Zeit ganz umgelegt hat.
Theodor Storm: Anekdoten, Märchen, Sagen, Sprichwörter und Reime aus Schleswig-Holstein 2005, S. 63.
Anna Sophie Schack (1689-1760), Gemälde von Unbekannt 1720, Gram Slot, Danmark
Erstdruck: Müllenhoff (Hg.): Sagen, Märchen und Lieder, S. 52f. Diese beiden Sagen gehören mit der „Schacken-Sage“ zu den Erzählungen über das Geschlecht der Grafen Schack, die Storm aufgeschrieben hat. Müllenhoff bringt sie mit dem Hinweis „Durch Herrn Adv. Storm“ unter Nr. 57. Das Motiv der grausamen Behandlung von Mägden durch adlige Herrschaften hat Storm später in der Novelle „Eekenhof“ (1879) aufgegriffen, wo es von der Jungfer Benedicte heißt (LL 2, S. 688):
Seit jener Zeit hatte die Jungfrau an ihrer Aussteuer nur noch emsiger gesponnen als je zuvor. Des Tages über saß sie allein an ihrem Rade und spähte unterweilen aus ihren kleinen Augen auf die vorbeiführende Heerstraße, ob nicht zu Roß oder zu Wagen ein Freier angefahren komme; am Abend, zumal im Winter, wenn die Wirtschaftsarbeit abgetan war, schnurrten auch die Räder der leibeigenen Mägde um sie her, und war die Herrin zum Schlaf in ihre Kammer gegangen, so mußten die Dirnen stundenlang noch in der kalten Stube weiterspinnen; klagten sie am anderen Morgen, daß sie mit den steifen Fingern den dicken Wocken, den sie ihnen zur Nacht noch aufzustecken pflegte, nicht völlig hätten zwingen können, so wickelte sie den Flachs um ihre Finger und sengte ihnen denselben daran ab. Sie soll dabei gesagt haben: „Nun wird’s wohl heiß genug sein für die ganze Woche.
Vergl. die Kommentare zur „Schacken-Sage“ und zu „Das Gespenst auf Gramm“.
Storm verwendet zur Charakterisierung der Grausamkeit der Gutsherrin ein Motiv, das in der von Müllenhoff unter Nr. 58 („Böse Herrinnen“) gedruckten Sage vorkommt. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr neben Storms eigenen Beiträgen zur Sagensammlung auch die Materialien anderer auf die Erzählungen des Dichters eingewirkt haben. Da Storm auf der Suche nach Motiven und Stoffen für seine Novellen immer wieder alte Chroniken und historische Dokumente zu Rate zog, finden wir in vielen seiner späteren Novellen Bezüge zu Müllenhoffs Sagensammlung.
Hier nach dem Erstdruck.
Bigott: frömmelnd, scheinheilig
Das Gespenst auf Gram
Die Gräfin Anna Sophia Schack war früh Witwe geworden. Sie lebte nun auf Gramm in Saus und Braus und führte die leichtsinnigste Wirthschaft. Zuletzt verschwor sie dem Teufel ihre Seele. Diese sollte er nach einer bestimmten Zahl von Jahren an dem und dem Abend holen, sobald ihr Wachslicht auf dem Tische niedergebrannt wäre; und von nun an giengs fast noch toller auf Gramm her, als früher. Der Abend kam und das Wachslicht stand vor der Gräfin, die nun mit einem Male von namenloser Angst ergriffen ward. Sie ließ den Prediger rufen und vertraute ihm ihr Geheimnis: da rieth er ihr die Kerze auszulöschen und das noch übrige kleine Stück in der östlichen Mauer der Kirche einmauern zu lassen. Das geschah und der Böse hatte keine Macht über sie. Bald aber brach Feuer in der Kirche aus. Es war früh am Morgen und die Gräfin war noch im Bette als sie die Nachricht erhielt. Sogleich aber sprang sie auf und in ihrem leichten Morgenanzuge ohne Schuhe an den Füßen eilte sie nach der eine Viertelmeile entfernten Kirche und ermunterte durch ihre eifrigen Zureden und Bitten das Landvolk zum Löschen des Feuers, so daß wenigstens die östliche Mauer geschützt ward. Seit dieser Zeit war die Gräfin ganz verwandelt, Frohsinn und Heiterkeit waren dahin und ein nagender Kummer brachte sie ins Grab. Doch um Mitternacht wird im Schlosse eine schöne Frauengestalt in schneeweißem Kleide gesehen, die händeringend mit gesenktem ängstlichen Blick und angehaltenen Schritten von einem Zimmer zum andern wandelt, und zuletzt sich in den obern Saal des Mittelgebäudes begiebt, wo sie vor die Ofennische tretend, einige Minuten auf ein paar Blutflecke unbeweglich hinstarrt und dann wehklagend verschwindet. – Eine junge Gräfin, die in spätern Jahren einmal auf Gramm zum Besuche war und eben am Clavier saß und spielte, hat das Gespenst so erschreckt, daß sie bald darnach starb. Niemand geht noch ohne Grauen auf das alte Schloß.
Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten 2017, S. 92.
Erstdruck: Müllenhoff 1845, S. 180 als Nr. mit dem Hinweis: „Schriftliche Mittheilung“ und einem Verweis auf Nr. 57 („Die Gräfin Schack“).
In einem Brief an seine Braut Constanze Esmarch berichtet Storm am 29. Mai 1844 (Brautbriefe I, S. 95) von einem Besuch bei Charlotte von Krogh: „sie hatte gewaltig viel mit mir zu conversiren, da sie mittlerweile auf Gram gewesen“. Möglicherweise bezieht sich der durch einen Gedankenstrich von der eigentlichen Sage abgesetzte Schlussabsatz auf ein Erlebnis der damals 18jährigen Charlotte von Krogh, von dem sie bei diesem Besuch erzählt hat.
Hier nach dem Erstdruck.
Vergleiche die Kommentare zu „Das Thurmgemach“ und zur „Schacken-Sage“.
Das liebe Brot
Von einer tiefen Wiese bei Galhus im Gute Schackenburg geht folgende Sage. – Ein Mädchen hatte aus der Stadt (Mögeltondern) für ihre Mutter Brodt vom Bäcker geholt. Der Rückweg aber war sehr tief, und das Mädchen war geputzt und hatte die neuen Tanzschuhe an, denn es war Sonntag. Wie sie nun an einen Pfuhl kam und ihre schönen Schuhe nicht verderben wollte, legte sie die Brödte hinein und trat darauf, um so trockenen Fußes hinüber zu kommen; aber die Brödte trugen sie nicht, sie wichen unter ihren Füßen und sie versank vor den Augen der Leute, die sie zu retten herbeigekommen waren, indem sie sie vor dem Hochmuth warnte und vor der Verachtung des lieben Brodtes.
Theodor Storm: Anekdoten, Märchen, Sagen, Sprichwörter und Reime aus Schleswig-Holstein 2005, S. 57.
Erstdruck: Volksbuch 1844, S. 91. Von Müllenhoff mit einigen unwesentlichen Änderungen unter Nr. 200, S. 145f. aufgenommen mit der Anmerkung: „Früher konnte man von Amrum nach Silt gehen, über einen hingelegten Pferdekopf, oben S. 34; ein Mädchen gebrauchte dazu einmal ein Brot und versank in der Rinne.“ Mommsens Sagenheft im Müllenhoff-Nachlass enthält auf Seite 14 drei Sylter Sagen. Nr. 1 lautet:
Das Wasser zwischen Sylt u Amrum soll früher nicht breiter so schmal gewesen sein als d<a>ß man vermöge eines Kopfes von einem umgekommenen Pferde trockenen Fußes von einer Insel zur andern hinübertreten konnte. Es wird erzählt, d<a>ß einst ein Mädchen von Amrum nach Sylt ging; da warf sie um trocken hinüber zu kommen eines davon in die Rinne und trat darauf. Sie wurde aber vom Sturm erfasst und ertrank.
Hier nach dem Erstdruck.
Galhus: Gallehus ist eine Siedlung in Südjütland in der Gemeinde Møgeltønder, nordwestlich von Tønder (um die Schackenburg herum).
Untergang der Schackenburg
Im Gute Schackenburg geht die Sage, es solle dasselbe durch Feuer zu Grunde gehen, wenn dort zwei goldne Hörner und ein Tisch mit einem goldnen Service gefunden werden. Die ersten sind schon gefunden; ein Kind stolperte auf dem Schulwege über etwas hartes, das aus der Erde hervorragte; als man nachgrub, fanden sich zwei goldene Trinkhörner, die auf die Kunstkammer in Kopenhagen gebracht sind. Wenn nun aber der Tisch gefunden wird, wird das Schloß untergehn.
Theodor Storm: Anekdoten, Märchen, Sagen, Sprichwörter und Reime aus Schleswig-Holstein 2005, S. 92.
1907, als Süderjütland/Nordschleswig deutsch war, wurden in Gallehus zwei Gedenksteine aufgestellt. Der Historiker Peter Lauridsen hatte die genauen Fundstellen lokalisiert und Otto Didrik von Schack kontaktiert, auf dessen Gutsbesitz Schackenborg der Fundort lag. Zweck der Gedenksteine war, durch den Verweis auf die nordgermanischen Prunkobjekte den dänischen Anspruch auf ein urdänisches Territorium festzuschreiben. Wäre eine dänische Inschrift von den preußischen Behörden nicht genehmigt worden, hätten auch die Namen der Finder allein (Kristine Svensdatter und Erik Lassen) die gewünschte nationale Aussage ermöglicht, so die Meinung der Initiatoren. Jedoch konnte das Projekt auch in dänischer Sprache verwirklicht werden, nachdem Nordschleswig 1920 wieder zu Dänemark gekommen war. Ironischerweise mussten die Steine aus dem Harz herangeschafft werden, weil das Marschland der Umgebung keine Findlinge aufweist und der Import von Granit aus Bornholm zu kostspielig geworden wäre. https://www.wikiwand.com/de/Goldh%C3%B6rner_von_Gallehus
Erstdruck: Müllenhoff (Hg.): Sagen, Märchen und Lieder, S. 248. Diese Sage gehört mit den in dieser Ausgabe gedruckten Texten zu den Sagen über das Geschlecht der Grafen Schack, die Storm aufgeschrieben hat. Müllenhoff bringt sie mit der Anmerkung „Herr Storm.“ unter Nr. 342.
Hier nach dem Erstdruck.
goldene Hörner: Trinkgefäße in Form eines Kuhhorns
Kunstkammer: Vorläufer der Museen; Räumlichkeiten oder Gebäude, in denen seit der Renaissance Kunstsammlungen aufbewahrt und präsentiert wurden, deren Bestände später Grundstock für viele Museen wurden.
Die Goldhörner von Gallehus waren zwei aus Gold gefertigte Trink- oder Blashörner, die 1639 bzw. 1734 in Gallehus nördlich von Mögeltondern in Süderjütland gefunden wurden. Sie werden in die Zeit um 400 n. Chr. (germanische Eisenzeit) datiert und gehören zu den berühmtesten archäologischen Funden Dänemarks. Auf ihnen befand sich eine frühe Runeninschrift in nordwestgermanischer Sprache.
Die Hörner erlangten wegen der rätselhaften Bildmotive und der für die germanische Sprachwissenschaft wertvollen Runeninschrift auf dem kürzeren Horn große Bekanntheit. 1802 wurden die Hörner von dem Goldschmied Niels Heidenreich gestohlen und eingeschmolzen. Sie sind heute nur durch Zeichnungen (Stiche) und Beschreibungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert bekannt. Bereits kurz nach dem Diebstahl entstanden Nachbildungen der Hörner, allerdings nicht aus Massivgold wie die Originale, sondern aus vergoldetem Silber. Diese Kopien wurden im September 2007 aus dem Nationalmuseum in Jelling ebenfalls entwendet,[1] zwei Tage nach dem Diebstahl aber wieder gefunden.
Rekonstruktion der aus dem 5. Jahrhundert stammenden Goldhörner von Gallehus im Dänischen Nationalmuseum
Das längere Horn wurde am 20. Juli 1639 zufällig von einer Frau namens Kristine Svendsdatter in Gallehus bei Møgeltønder entdeckt. Später schenkte König Christian IV. es seinem Sohn Christian. Es wurde restauriert und gelangte in die königliche Kunstkammer. Die wichtigste Beschreibung des längeren Horns liefert der universalgelehrte Altertumsforscher Olaus Wormius 1641 in einer Abhandlung mit dem Titel De aureo cornu, die auch einen Kupferstich von Simon de Passe beinhaltet. Das Horn maß ca. 52 cm in der Länge, ca. 71 cm den Unterlauf entlang, hatte einen Durchmesser von ca. 10 cm bei der Öffnung und wog ca. 3,1 kg.
Das kürzere Horn fand der Bauer Erik Lassen am 21. April 1734 in der unmittelbaren Nähe des ersten Fundortes. Die Forschung stützt sich hier auf den Bericht des Archivars Joachim Richard Paulli von 1734. Die genauen Maße des kurzen Horns sind unbekannt, man weiß aber, dass es mit ca. 3,7 kg mehr gewogen hat als sein längeres Pendant. Das zweite, kurze Horn trägt die im älteren Futhark verfasste längere Runeninschrift.
Beide Goldobjekte sind aus einem inneren Horn und mehreren darübergestülpten,
mit Tier- und Menschenfiguren verzierten Ringen gefertigt. Nur die äußeren Ringe
hatten einen hohen Goldgehalt.
Wikipedia
Das Gesicht des Nachtwächters
(erzählt von Frl. Sof.)
In dem Städtchen O.... hatte sich eines Nachts im Herbste, als der Wind gar zu kalt durch die Gassen fegte, der Nachtwächter in ein leer stehendes Schilderhaus geflüchtet und war dort sanft entschlummert. Grade gegenüber wohnten dicht neben einander zwei Aerzte. Der Nachtwächter mochte eine Zeitlang geschlafen haben, als es ihm vorkam, er höre den Gesang eines Todtenliedes, womit der Küster und seine Schule bei Begräbnissen den Leichenzug zu begleiten pflegte. Er hörte es anfangs halb im Traum, dann aber immer deutlicher, und als er endlich die Augen öffnete und vor sich nach den beiden vor ihm liegenden Häusern hinüberblickte, sah er aus jeder Hausthür einen Leichenzug mit großem Gefolge herauskommen. Er erkannte fast alle Personen des Gefolges, und sah die Stadtschule dabeistehen und fortwährend den ihm wohlbekannten Choral absingen. Der Nachtwächter, der im Gesangbuch wohl bewandert war und alle Melodien inne hatte, auch jeden Sonntag Morgens und Nachmittags in der Kirche ein gewaltiger Sänger war, konnte der Versuchung nicht widerstehen, er stimmte mit ein, und begleitete mit lauter Stimme den Gesang bis zu Ende aus. Darüber wurden die anwohnenden Bürger aus dem Schlafe und aus den Betten geschreckt, rissen die Fenster auf und blickten auf die Straße hinab. Da sie aber nicht, wie der Nachtwächter, die Leichenzüge sahen und den Gesang der Schule hören konnten, so mußten sie natürlich sehr erstaunt sein, die wohlbekannte Stimme ihres Nachtwächters aus dem Schilderhause mit lautem andächtigem Vortrage einen Leichengesang singen zu hören. – Indeß war das Lied zu Ende, die Fenster wurden zugeklappt, die beunruhigten Bürger und ihr treuer Nachtwächter schliefen glücklich wieder ein.
Die Sache war jedoch zu Vielen bekannt geworden, und die Polizei hielt es für nöthig, den Nachtwächter wegen seines frommen Gesanges in Verhör zu nehmen; dieser zog es nun freilich vor, der hohen Behörde über seine Beweggründe keine näheren Erläuterungen mitzutheilen; erzählte dagegen allen andern die Geschichte desto bereitwilliger, daß sie gar bald in Jedermanns Ohren war. – Kaum waren vier Wochen vergangen, so starben wenige Tage nacheinander die beiden Aerzte, und aus den Häusern kamen die Leichenzüge mit Gefolge und Gesang, wie der Nachtwächter es im Spiegel des Gesichtes gesehen hatte.
Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten 2017, S. 58f.
Neues Gespensterbuch. Beiträge zur Geschichte des Spucks. Storm-Archiv, Husum, Nr. 41 mit der Überschrift Das Gesicht des Nachtwächters.; darunter (erzählt von Frl. Sof.), Handschrift von Theodor Storm, Blattnummern 106.
Frl. Sof.: Abkürzung des Namens Charlotte von Krogh; siehe den Kommentar zu „Das Thurmgemach“.
In dem Städtchen O...: möglicherweise ist Odense auf der dänischen Insel Fünen gemeint.
Das Thurmgemach
(erzählt von Frl. Ch. v. K.)
Das Herrenhaus des Gutes A... auf Seeland ist ein sehr altes Schloß, welches von dem Gutsbesitzer, dem Grafen L. nur zum Theile benützt wird. – Vor einigen Jahren wurde in dem Flügel, wo sich das Schlafgemach der beiden Töchter des Gutsherrn befand, eine durchgreifende Reparatur erforderlich und der Graf sah sich genöthigt, den beiden jungen Damen in währender Zeit ein unbewohntes Zimmer in dem obern Stockwerke eines alten Thurms des Schlosses zum Schlafgemach einrichten zu lassen. – Den jungen Damen war diese Einrichtung zwar nicht ganz nach Wunsch, denn der Thurm lag am äußersten Ende des andern Flügels; indes die Sache war nicht zu ändern; auch nahm sich das alte Zimmer, nachdem die Comforts der jungen Damen hineingeschafft waren, gar so übel nicht aus. Den ersten Abend, an welchem die neuen Bewohnerinnen es bezogen, begaben sie sich zeitig zu Bette und versanken bald darauf in den gesunden Schlaf der Jugend. – Sie mochten einige Stunden geschlafen haben, als die Älteste durch ein Geräusch erweckt wurde, welches aus der Mauer zu kommen schien, an welcher ihr und ihrer Schwester Bett stand. Sie weckte diese nun gleichfalls und die beiden jungen Mädchen saßen bald ängstlich mit verhaltnem Athem horchend aufrecht im Bette. Das Geräusch hatte sich verloren; bald indeß schien es wieder aus der Tiefe herauf zu kommen, und sie vernahmen nun deutlich, als wenn in der Mauer Jemand langsam eine Treppe hinaufsteige; dazwischen klirrte es als wenn es eine schwere Kette trüge, die mitunter auf steinernen Treppenstufen hintenach schleppte oder zu beiden Seiten an eine Mauer schlüge. So tappte es langsam nach oben; dann stand es still und tappte dann eben so wieder hinunter tiefer und tiefer, bis endlich alles ruhig wurde.
Die jungen Damen fanden indeß vor Grauen den verlorenen Schlaf nicht wieder, und traten am andern Morgen mit ziemlich überwachten Gesichtern ins Wohnzimmer, wo sie beim Morgentee ihrem Vater sogleich die überstandne Angst mittheilten. Dieser wollte jedoch nichts davon wissen und behauptete, seine Töchter hätten geträumt; denn in jenem Thurme gäbe es keine Treppe, welche neben, geschweige denn in jener Mauer sich befinde; als sie ihn indeß darauf aufmerksam machten, daß sie beide ganz genau dasselbe gehört hätten und betheuerten, unter keiner Bedingung allein wieder in jenem Zimmer schlafen zu können, so versprach der Graf, die nächste Nacht bei ihnen zu wachen, um so die Sache selbst gehörig untersuchen zu können. – Dies geschah; die beiden jungen Damen begaben sich zu Bett, während ihr Vater sich mit Zeitunglesen an einem nahestehenden Tische beschäftigte. So verstrich einige Zeit nach Mitternacht; da rührte sich etwas wie in der Tiefe der Grundmauern; dann tappte es langsam, wie in der vorigen Nacht in der Mauer hinauf, welche die eine Wand des Zimmers bildete; dann stand es still; dann tappte es ebenso stufenweise wieder hinab; daneben klang es mitunter wie von einer eisernen Kette; tief unten endlich verschwand es. – Der Graf hatte Alles gehört; die Thatsache war nicht mehr zu bezweifeln. Er suchte daher seine beiden Töchter zu beruhigen, versprach sie nicht zu verlassen und brachte den Rest der Nacht schlafend in einem Lehnstuhl zu.
Am andern Morgen ließ der Graf Maurer kommen und von dem Zimmer aus ein Loch in die Mauer brechen. Bald bemerkte man, daß dieselbe hohl sei, und entdeckte nach vollendeter Arbeit einen Treppengang, welcher in die Tiefe hinabführte und so schmal war, daß sich kaum ein Mensch seitwärts darin hinabbewegen konnte. Zwei Maurer entschlossen sich mit einer Laterne in den Gang hinabzusteigen und die Obenstehenden hörten das Geräusch ihrer Tritte tiefer und tiefer wie unter den Grundmauern des Thurms verschwinden. Dann war’s eine Zeitlang still; die Obenstehenden hielten den Atem an. Plötzlich drang ein kreischender Schrei zu ihren Ohren, der aus der tiefsten Tiefe kam, und bald hörten sie die Schritte der Hinabgegangenen in augenscheinlicher Eile wieder nach oben kommen. Endlich stiegen sie mit entsetzten Gesichtern wieder hinauf ans Tageslicht und berichteten, der enge Gang führe immer in der Mauer durch den ganzen Thurm hinab und wohl noch tief unter denselben in ein enges von keinem Tageslicht berührtes Verlies. Als sie sich in demselben umgesehen, hätten sie in der einen Ecke ein altes Bettgestell mit etwas verfaultem Stroh erblickt und auf demselben in sitzender Stellung mit Ketten an Händen und Füßen das vollständig erhaltene Gerippe eines Menschen. Vor Entsetzen hätten sie den oben gehörten Schrei ausgestoßen, wobei ihnen die Laterne aus der Hand gefallen und das Licht erloschen sei.
Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten 2017, S. 60f.
Neues Gespensterbuch. Beiträge zur Geschichte des Spucks. Storm-Archiv, Husum, Nr. 42 mit der Überschrift Das Thurmgemach.; darunter (erzählt von Frl. Ch. v. K.), Handschrift von Theodor Storm, Blattnummern 107 –108.
Frl. Ch. v. K.: Neben dieser Erzählung hat Storm auch einen weiteren Text mit einem Hinweis auf den Erzähler „Frl. Ch. v. K.“ versehen.
Die Spukgeschichte „Das Thurmgemach“ wurde durch ein Ereignis angeregt, über das Storm am 8. Juli 1846 an seine Braut Constanze berichtete: „Im Zimmer der Kamm‹er›h‹e›rrin Stemann hat man beim Schloßbau den Eingang zu einem unterirdischen Gang aufgefunden; Br‹inkmann› und ich ließen uns gestern an einer Leiter mit einem der Maurer hinunter, erst ungefähr 15 F‹uß› tief, dann senkt er sich noch bis auf acht Fuß Tiefe mehr und geht nach Osten parallel mit der Norderstraße ohngefähr 35 Schritte fort, dann ist er eingestürzt. Wir hatten eine Laterne mit uns und mußten gebückt gehen, eine Menge Backsteine lagen am Boden, von denen man nicht sagen konnte, wie sie dahin gekommen; denn das Gewölbe des Ganges war einige Bröckeleien abgerechnet, gut erhalten; der Eingang von oben ist so eng, daß man sich eben durchdrängen kann. Der Kammerherr wird den Schutt wohl nicht wegräumen und das Ziel des Ganges verfolgen lassen, was sehr interessant wäre, da gar kein Zweck erkennbar ist. Uebrigens geht in der Schloßmauer, da wo der Gang anfängt eine Art schmaler Schornstein oder Gang von unten bis ans Dach hinauf; wenn man in den Stuben, wo dieser Gang vorbeileitet, das Getäfel wegnimmt, so kann man etwas in den unterirrdischen hineinwerfen. Das ist ein Räthsel, das die Vorwelt uns aufgiebt.“ (Brautbriefe 2, S. 348.)
Storms Erlebnis steht im Zusammenhang mit einigen baulichen Sicherungsmaßnahmen, die 1846 ausgeführt wurden. Das Husumer Schloss war für Herzog Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorf von 1577 bis 1582 außerhalb des Stadtbezirks erbaut worden. An der Stelle des heutigen Schlosses befand sich seit dem späten 15. Jahrhundert das sogenannte Graukloster, ein Kloster der Franziskaner. Ab dem 17. Jahrhundert wurde das bis dahin nur sporadisch genutzte Husumer Schloss zum Witwensitz der Herzöge. 1721 gingen Schloss und Stadt Husum infolge des verlorenen Nordischen Krieges in den Besitz des Königreichs Dänemark über. Der dänische König Friedrich V. ließ das Husumer Schloss in den großen Umbauarbeiten von 1750 bis 1752 modernisieren. Seit 1752 nahm das Schloss auch die Amtsverwaltung des Amtes Husum mit der Wohnung des Amtmannes auf. Dieser wohnte mit seiner Familie in den Räumen nördlich des Turms, wie auch die Familien anderer königlicher Beamter, darunter seit 1845 auch die Witwe des Kammerherrn Julius von Stemann. Die Amtsverwaltung bestand aus drei Räumen im Erdgeschoss. Für mögliche Aufenthalte des Königs waren die Räume vorgesehen, die südlich des Turms in beiden Etagen lagen. Die Amtsverwaltung verblieb im Schloss, die Nutzung durch das dänische Königshaus beschränkte sich jedoch auf wenige Besuche. Dennoch kam es im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts zu einer erneuten Vernachlässigung der Bausubstanz. 1792 musste der Hauptturm weitgehend abgetragen werden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Schloss wieder vermehrt für königliche Besuche genutzt. König Friedrich VI. kam in den zwanziger Jahren häufig nach Husum und Christian VIII. ließ das Schloss in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts modernisieren. Im Sommer 1846 wurde in den Räumen der alten Schlosskapelle ein Speisezimmer eingerichtet; im Zusammenhang mit diesen Baumaßnahmen hat Theodor Storm den geheimnisvollen Gang im Mauerwerk erkundet. In einem Brief an Pastor Nicolai C. Nielsen erinnerte sich Charlotte von Krogh im Jahre 1902: „Es gab im Husumer Schlossflügel in der Mauer ein merkwürdiges vergittertes Loch, wo eine Prinzessin eingemauert worden sei – so wurde erzählt.“ (Brief vom 13. Januar 1902, aus dem dänischen Original übersetzt von Dörte Nicolaisen, Husum; Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig, Flensburg. Zitiert nach Holger Borzikowsky: Im Schloss vor Husum. Sinnbild, Sage und Spuk. Husum 2009, S. 86. Dort auch weitere Hinweise auf Spukerzählungen im Umkreis des Schlosses von Husum.) Storms Freund und Kollege Christian Ulrich Beccau veröffentlichte im Jahre 1854 in seiner „Geschichte Husums“ Bruchstücke einer damals in der Stadt volksläufigen SchlossSage: „Die Sage von einer eingemauerten Nonne in den Kellergewölben von dem alten Kloster her, welches nur Mönche zu Bewohnern hatte, entbehrt jeglichen Grundes, so wie ein menschliches Skelet, welches einmal in den Gewölben gefunden sein soll, wohl nicht mit dem Schlosse und dessen Bewohnern in Verbindung stehn kann und eher aus den Begräbnissen des eingegangenen Kirchhofs herstammt. Indeß hängt das Volk nun einmal gerne an große Baulichkeiten seine wunderbaren Mährchen und so wird denn hier erzählt, es führe von dem Schlosse aus der Zeit der Mönche noch ein unterirdischer gewölbter Gang unter dem jetzigen Rathause durch nach der Marienkirche, dessen sich diese zum Besuch des Gottesdienstes bedient.“ (Versuch einer urkundlichen Darstellung der Geschichte Husums bis zur Ertheilung des Stadtrechtes; von Christian Ulrich Beccau. Schleswig 1854, S. 213.) Aus diesen Erzählungen und dem gemeinsamen Erlebnis mit seinem Freund, dem Amtssekretär Hartmuth Brinkmann, hat Storm die Spukgeschichte konzipiert und ihr durch den geographischen Hinweis auf ein „Herrenhaus des Gutes A... auf Seeland“ den Anschein gegeben, es handele sich um eine in Dänemark erzählte Gespenstergeschichte.
Storm hat offenbar im Dialog mit Charlotte von Krogh die Motive der damals umlaufenden Sagen vom Schloss vor Husum mit den gemeinsamen Erlebnissen bei den Renovierungsarbeiten am Schlossturm verknüpft, dabei sein „Abenteuer“ bei der Erkundung des unterirdischen Ganges eingeflochten und alles zu einer stimmigen und spannenden Gespenstergeschichte ausgestaltet. Er camoufliert seine Autorschaft, indem er einer wirklichen Erzählerin den Text mit einem Hinweis auf ein anderes Schloss in den Mund legt, wo diese die erzählten Begebenheiten nur vom Hörensagen erfahren haben will. Damit reiht er seine Erzählung in die Dokumente des „Neuen Gespensterbuchs“ ein, mit denen er zeigen will, „dass Spukgeschichten zwar dem heimischen Ort verpflichtet sind, aber weltweit und zu allen Zeiten in Erscheinung treten und somit ein Stück Menschheitsgeschichte darstellen.“ (Theodor Storms Neues Gespensterbuch. Beiträge zur Geschichte des Spuks. Hg. von Karl Ernst Laage. Heide 2011, S. 156.)
Comforts: Komfort (vom englischen comfort für „Bequemlichkeit“ oder „Behaglichkeit“) ist die Bequemlichkeit, die auf der Präsenz von bestimmten, Gegenständen oder Anlagen beruht. Hier sind Möbel wie Betten und Sessel gemeint. (Vgl. Eversberg 2016, S. 108ff.)
Die Karossen
(erzählt von Frl. Ch. v. K.)
In dem alten Schlosse des Grafen F. in Jütland soll außer den freundlichen Bewohnern und den Gästen, welche dort in großer Anzahl gesehen werden, noch manches Andre hausen, was nicht der lebendigen Gegenwart angehört; mancher Nachhall verschollener Zeiten soll auf den breiten Treppen und durch die alterthümlichen Corridors wandeln.
Eines Sommerabends als schon die Dämmrung stark hereingebrochen war stand Graf B., welcher seit einigen Tagen zum Besuche eingekehrt war, abgesondert von den Übrigen in einer Fensternische des großen Gesellschaftszimmers mit einer jungen Dame in ein Gespräch über Ahndungen und Geistererscheinungen vertieft. Die junge Dame war gläubig; Graf B. hielt den Widerpart, und bestritt lächelnd die überweisendsten Beispiele seiner schönen Gegnerin. „Ich will mich in Geduld geben, sagte diese endlich, vielleicht könnten Sie noch hier andern Sinns werden.“
Schlosshof Schackenborg, August 2022.
Im selben Augenblick hörten beide eine, wie es schien, mit Vieren bespannte Kutsche rasch über das Steinpflaster des Schloßhofes rasseln und dann ebenso plötzlich anhalten. – „Das war gut gefahren!“ sagte B. und fuhr dann in seinem Gespräche mit der jungen Dame fort, ruhig erwartend, was für neue Gäste die Gesellschaft vermehren würden. Es schienen indeß keine zu kommen; wohl aber fuhr eine zweite Kutsche ebenso über den Schloßhof und hielt ebenso plötzlich vor dem Thore still. Auch diese schien keine Gäste zu bringen; und nach einer Weile hörte Graf B. dasselbe Geräusch, das rasche Anfahren und Stillhalten noch einmal. Die Sache schien ihm ungewöhnlich, und er beschloß hinunterzugehn; als er jedoch die Thür aufgestoßen und seinen Jagdhund, der sich zufällig im Zimmer befand, mit hin unter nehmen wollte, war das Thier auf keine Weise zum Mitgehn zu bewegen. Graf B. faßte es daher bei den Ohren und zog es so gewaltsam auf den Corridor hinaus; kaum hatte er indeß den Hund wieder losgelassen, als er heulend mit eingeklemmtem Schwanze die Treppe hinunterjagte.
Dem Grafen B. ward es unheimlich, zumal da unten der weite Flur öde und leer war, er auch durch die Fenster noch gar wohl erkennen konnte, daß383 draußen auf dem Hofe sich weder Kutschen noch Menschen befanden. Um ihn her aber ward es wunderlich lebendig; er hörte deutlich, wie schwere seiden Gewändern an ihm vorbei die Treppe hinauf rauschten, so dicht oft, daß er seine Kleider gestreift fühlte.
Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten 2017, S. 71f.
Neues Gespensterbuch. Beiträge zur Geschichte des Spucks. Storm-Archiv, Husum, Nr. 53 mit der Überschrift Die Karossen; darunter (erzählt von Frl. Ch. v. K.), Handschrift von Theodor Storm, Blattnummern 119.
Frl. Ch. v. K.: siehe den Kommentar zu „Das Thurmgemach“.
überweisendsten: überzeugendsten
Der Schlossbrand von Kopenhagen
(erzählt von der K.S.)
Kurz vor dem Brande des alten Kopenhagener Königschlosses trat ein junges Mädchen in den Dienst der Herzogin L. A., welche damals im Schlosse wohnte. Man wies ihr eine kleine Schlafstube an, worin zwei Thüren, einander grade gegenüber befindlich waren. Nachts erwacht sie von einem Lärm, als wenn Alles in der Stube über einander geworfen würde; beide Thüren schlagen auf, und ein starker Zugwind streicht durch das Zimmer; sie setzt sich aufrecht im Bette, und sieht scharf hin nach allen Seiten, sieht aber nichts; wie sie nun immerwährend so scharf hinsieht, verschwindet Alles nach und nach, und sie sieht, daß auch die Thüren wieder dicht zu sind. Sie denkt durchaus nichts Anders, als daß die Dienerschaft der neu Angekommenen einen Schrecken habe machen wollen, und beschließt, nichts zu sagen, aber ihre Thüren fest zu verschließen, was sie auch den andern Abend ins Werk richtet. Grade im Einschlafen begriffen, wird sie von demselben Lärm geweckt, auch die Thüren werden aufgerissen, und der Zugwind streicht ihr übers Gesicht. Zufällig schlägt sie den Blick in die Höhe, und sieht die blaue klare Luft mit allen Sternen, aber wieder wie vorhin verschwindet alles nach und nach vor ihrem scharfen angestrengten Blick. (Man sagt daß es mit solchem Gesicht immer so sei, daß es dem scharfen Untersuchungsblick nicht stehe, sondern dann allmählich vergehe).
Københavns Brand 6. juni 1795. Billedet forestiller Gammeltorv, med rådhuset i midten.
So sehr sie sich es aber auch in der Nacht vornimmt, so wagt sie dennoch am Tage nicht sich Jemandem von all den fremden Leuten mitzutheilen, aus Furcht, verlacht zu werden. Wie es sich aber die folgende Nacht alles so wiederholt, sie auch wieder einen Augenblick die klare Luft mit den Sternen sieht, als ob das große massive Gebäude gar kein Dach habe, da wendet sie sich am andern Morgen an die Herzogin selber, ihr alles mitteilend. Diese aufgeklärte geistreiche Frau verlachte sie recht herzlich, erbarmte sich dennoch ihrer Schwäche, und ihres erbärmlichen Aussehens und ließ ihr ein andres Zimmer dicht neben dem ihrigen anweisen, wo sie ruhig schlief. Nicht lange nachdem wurde diesem großen Gebäude seine starke Decke genommen durch den weitbekannten Brand, der sieben Tage dauerte; und von Mariens Stube sah man zum hellen Himmel auf, und der Wind pfiff ungehindert durch die leeren Räume.
Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten 2017, S. 51f.
Neues Gespensterbuch. Beiträge zur Geschichte des Spucks. Storm-Archiv, Husum, Nr. 34 mit der Überschrift Der Schloßbrand zu Kopenhagen. Darunter in Storms Handschrift: (erzählt von der K. S.). Handschrift der Erzählung von Schreiber 2, Blattnummern 91–92.
K. S.: Kammerherrin von Stemann. Die besondere Atmosphäre im Hause von Krogh hat Storm in einem Brief an Constanze eindrucksvoll beschrieben: „Ich bin bis jetzt ohngefähr bei Kroghs gewesen, um Guste Adieu zu sagen; es war recht behaglich da, wir saßen alle um den erleuchteten Theetisch, auch die alte Kammerherrin Stemann [die Schwester Godske von Kroghs, DN] (...); man wollte mich immer nicht weglassen (...). Mir war übrigens ganz wunderbar in dem alten lang nicht gesehenen Kreise geworden, (...) als saß ich im Anfang einer romantischen Novelle von Fouque; drinnen die freundliche stille Gesellschaft und draußen raste der Sturm um das alte Schloß, pfiff in den Kaminen und schlug mit den offenen Thüren. Endlich ging ich, mir war's ganz spuckhaft (...).“ Nicolaisen, 2007, S. 24.
Brande des alten Kopenhagener Königschlosses: 1736 ließ der dänische König Christian VI. das erste Schloss Christiansborg errichten. Am 26. Februar 1794 nachmittags brach vermutlich durch einen Kachelofen ein Brand im Hauptflügel aus, bei dem das Schloss mitsamt der Schlosskirche und der königlichen Musikbibliothek bis in die frühen Morgenstunden des Folgetages ausbrannte.
Friesische Sage
Die Brokenkoogswisch in der Tonderschen Marsch bei dem Kanzleihof Iresmade hat ihren Namen von einem reichen Bauer, Namens Brok, der vor seinem Tode all sein Vermögen unter seine drei Söhne theilte bis auf diese schöne Wiese, über welche sie sich brüderlich vereinbaren sollten. Als nun der Vater gestorben war, machten die Drei unter sich aus, daß dem die Wiese gehören solle, der bei der ersten Maht auf ihr die meisten Schwaden schlüge. Beim Mähen aber in die Wette wurden sie eifersüchtig auf einander, und erschlugen sich zuletzt Einer den Andern mit den Sensen.
Seit der Zeit tanzen auf der Brokenkoogswisch allnächtlich drei Irrlichter herum, die das Wettmähen und den Bruderzwist nachmachen, und eins nach dem andern verlöschen.
Theodor Storm: Anekdoten, Märchen, Sagen, Sprichwörter und Reime aus Schleswig-Holstein 2005, S. 57.
Erstdruck: Volksbuch 1844, S. 90 f. Von Müllenhoff mit einigen unwesentlichen Änderungen unter Nr. 257, S. 187 f. als „Die Mäher“ aufgenommen.
Hier nach dem Erstdruck.
Tonderschen Marsch: niedriges, eingedeichtes Land um die Stadt Tondern
Maht: Mahd, erstes Mähen des Heus
Schwaden: Reihen gemähten Grases oder Getreides
J. P. Trap: Statistisk-topografisk beskrivelse af Hertugdømmet Slesvig. Bd. 1, efter s. 134. - København, 1864.
Die verhängnißvolle Stelle
erzählt von Herrn H.
An einem schönen Sommertage des Jahres 183x machte eine Gesellschaft junger Leute aus T. zusammen eine Lusttour. Da sie durch die benachbarte Marsch fuhren, so rollte der Wagen rasch und glatt dahin und die zwei tüchtigen Braunen zogen ihn wie ein Spielwerk; denn bekanntlich sind die Wege in den Marschen bei trocknem Sommerwetter so schön, daß keine Chaussee den Vergleich mit ihnen aus zu halten vermag. Die jungen Herrn waren in allerlei lebhaftes Gespräch und Disput verwickelt; die auf den vordersten Stühlen des offnen Wagens Sitzenden drehten sich um und nahmen in dieser unbequemen Stellung an dem allgemeinen Gespräche Antheil, und die Zungen gingen eben so flink als die Räder. Plötzlich verstummte der junge Kaufmann L. mitten in der lebhaftesten Unterhaltung, und sagte dann, nachdem der Wagen eine Strecke weiter gerollt war: „Gottlob, daß wir über die Stelle weg sind!“ Die Andern sahen ihn an und konnten nicht verstehen, was er mit diesen Worten sagen wollte.
„Ueber die Stelle? fragte Einer, über welche Stelle meinst Du?“
„Ach, erwiederte er, da war eine häßliche Stelle im Wege.“
„Ich verstehe Dich nicht, sagte der Andre, wie denn häßlich? Wir fahren ja immer auf dem schönsten Sommerwege.“
„Ja, erwiederte L, es war doch nicht gut71 darüber wegzukommen.“
Dabei blieb es; keiner konnte verstehen, was L. an jener Stelle des Weges, welche den andern überall nicht aufgefallen und über welche der Wagen ebensoleicht wie über alle andern Wegestrecken hinweggerollt war, Unangenehmes aufgefallen sein konnte; und dieser selbst erklärte sich auch nicht weiter. So wurde der kleine Vorfall bald vergessen und die Tour erst spät Abends in aller Fröhlichkeit beschlossen.
Acht Tage danach machte L. nach derselben Richtung hin eine kleine Geschäftsreise zu Pferde, und seine Eltern erwarteten ihn schon selbigen Abends wieder zurück. Sie hörten auch zur73 erwarteten Zeit sein Pferd vor die Hausthür traben; als sie aber hinausgingen fehlte der Reiter. Sogleich wurden die nöthigen Leute den Weg hinausgeschickt, um ihn aufzusuchen und zu sehen, ob ihm ein Unglück wiederfahren. Es dauerte nicht lang, so wurde sein Leichnam zu rück gebracht; er war vom Schlage getroffen und so vom Pferde gestürzt. – Die Stelle aber, wo ihn der Tod ereilt hatte, war dieselbe, welche ihm vor acht Tagen in froher Gesellschaft ohne alle scheinbare Ursache so schwer zu überkommen deuchte.
Der Herr Erzähler war an jenem Tage Mitglied der kleinen Gesellschaft und daher Augenzeuge; auch ist derselbe ein durchaus unbefangener vorurtheilsfreier Mann.
Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten 2017, S. 19f.
Neues Gespensterbuch. Beiträge zur Geschichte des Spucks. Storm-Archiv, Husum, Nr. 7 mit der unterstrichenen Überschrift Die verhängnißvolle Stelle.; darunter: erzählt von Herrn H. von T.; von T. gestrichen. Handschrift von Theodor Storm, Blattnummern 19–20.
Der Text wurde von Storm später für die Erzählung „Am Kamin“ verwendet.
aus T.: aus Tondern, einer Stadt im nördlichen Schleswig, heute Tønder in der Region Syddanmark.
Lusttour: Vergnügungsfahrt; Wortschöpfung Storms
Marsch: flaches eingedeichtes Land aus angeschwemmten Sedimenten zwischen Meer und Geest
Hel
In Tondern trabt noch jede Nacht um Mitternacht ein altes dreibeiniges, graues (oder weißes) blindes Pferd klappernd durch die Straßen. Vor welchem Hause es stehen bleibt und wo es hineinkukt, muß jemand sterben. Alte Leute haben das oft erlebt und den Tod dann bestimmt vorhergesagt. Man nennt auch da das Pferd Hel, und es sei herrenlos, sagen einige; doch behaupten andre, daß eine schwarzgekleidete alte Frau darauf sitze. Nachts fährt in Tondern auch oft ein feuriger Rollwagen durch die Osterstraße zum Westerthore hinaus.
Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten 2017, S. 96.
Erstdruck: Müllenhoff 1845, S. 244. Dort als Nr. 335 mit der Anmerkung: „Arnkiel Cimbr. Heidenrelig. I. 55. 125. – Herr Pastor Hansen in Jordkirch. Mehrere Mittheilungen aus Tondern.“.
Storm hat den Tondern betreffenden Teil der Sage beigesteuert, wie aus seinem Brief an seine Braut vom 19. bis 22. Mai 1844 hervorgeht:
Heut Abend gings auf Spuckgeschichten los; das alte Nest hier ist ganz voll von allen Teufeleien; ein dreibeinigesPferd, was sie Hel nennen geht nachts umher und sieht in die Häuser, wo es eine Leiche giebt; vielleicht stehts in Verbindung mit dem Namen der nordischen Todesgöttin, die mein ich Hele heißt; wenn ein Vornehmer sterben wird läuten die Glocken der Kirche und des Hospitals zusammen, und wenn ein Storch auf der Thurmspitze sitzt, stirbt ganz bestimmt ein Rathsherr. (Brautbriefe. 1, S. 78.)
Davor druckt Müllenhoff folgende Version ab:
Der Hel ist der Tod selber und reitet bei Pestzeiten auf einem dreibeinigen Pferde umher und erwürgt die Menschen. Daher sagt man, wenn eine Seuche wüthet, der Hel geht umher, oder wenn Nachts die Hunde ungewöhnlich bellen und heulen, der Hel i s t bei den Hunden; wenn die Seuche an einem Orte anfängt, der Hel i s t angekommen, oder wenn sie aufhört, der Hel i s t verjagt. Man kann nemlich den Hel von einem Orte zum andern verjagen; man weiß Geschichten davon zu erzählen und gewisse Leute zu nennen, die aus dieser oder jener Stadt und Dorfschaft den Hel vertrieben. Wenn jemand totkrank liegt, sagt man er hat seine Helsoot; kommt ein solcher wieder auf, heißt es, er hat sich mit dem Hel abgefunden (han har for denne Gang kjöbt af med ä Hel). Man sagt dann auch, er hat sich mit ihm versöhnt, ihm was geopfert, ihm einen Scheffel Hafer gegeben, sein Pferd damit zu füttern. Wenn jemand in einem eiligen Gewerbe ausgesendet wird und dann zu lange wegbleibt, sagt man noch heute: „Du er god at skikke efter ä Hel,“ (Du bist gut nach dem Hel zu schicken). Bei Jordkirch in der Nähe von Apenrade gieng das böse Wesen früher oft auf einem abgelegenen Wege, der Langfort hieß, umher, und machte ein Geräusch wie ein an allen vier Hufen wohlbeschlagenes Pferd auf dem Steinpflaster. Es soll kopflos sein. –
In Tondern besuchte Storm seinen Studienfreund Georg Friedrich Wildenradt (1816 –1900), der dort eine Buchhandlung betrieb. Der Text ist ein Beispiel für die Überlieferung volksläufiger Erzählungen aus dem dänisch-sprachigen Teil des Herzogtums Schleswig, wie die von Müllenhoff übernommenen Redewendungen in dänischer Sprache belegen. Das Herzogtum Schleswig ist mehrsprachig, neben Reichsdänisch und Hochdeutsch wird Plattdänisch und Plattdeutsch gesprochen; im Nordwesten Nordfrieslands auch Friesisch in mehreren Dialekten; in Städten wie Tondern dominierte in der Mitte des 19. Jahrhunderts die deutsche Sprache, im bäuerlichen Umfeld Jütlands war „Sønderjysk“ Umgangssprache, ein dänischer Dialekt. Storm hat die Erlebnisse am Abend des 19. Mai 1844 zusammen mit der Gespenstergeschichte vom dreibeinigen Totenpferd Hel später in seine Erzählung „Am Kamin“ (1862) eingefügt, in der man sich zur Unterhaltung Spukgeschichten erzählt:
Vor einigen Jahren führten mich Geschäfte nach der kleinen Stadt T. im nördlichen Schleswig, welche mitten in der nach ihr benannten Marsch liegt. Am Abend war ich in der Familie des dortigen Landschreibers. Nach dem Essen, als die Zigarren angezündet waren, gerieten wir unversehen in die Spukgeschichten, was dort eben nicht schwer ist; denn die alte Stadt ist ein wahres Gespensternest und noch voll von Heidenglauben. Nicht allein, daß allezeit ein Storch auf dem Kirchturm steht, wenn ein Ratsherr sterben soll; es geht auch Nachts ein altes glasäugiges dreibeiniges Pferd durch die Straßen und wo es stehenbleibt und in die Fenster guckt, wird bald ein Sarg herausgetragen. ‚De Hel‘ nennen es die Leute, ohne zu ahnen, daß es das Roß ihrer alten Todesgöttin ist, welche selbst zu Gunsten des Klapperbeins seit lange den Dienst hat quittieren müssen. (LL4, S. 54).
Hier nach dem Erstdruck.
Hel: in der nordischen Mythologie die Herrscherin der gleichnamigen Unterwelt, auch Helheim genannt.
Literatur
Volksbuch für das Jahr 1844, mit besonderer Rücksicht auf die Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Mit Beiträgen von [...], J. Th. Mommsen, [...], Th. Woldsen-Storm, [...], herausgegeben von K(arl) L(eonhard) Biernatzki. Kiel: Schwers’sche Buchhandlung <1843>. Darin: Schleswig-Holsteinische Sagen. Von Th. Woldsen-Storm und Jens Th. Mommsen, S. 80–96.
Karl Müllenhoff (Hrsg.): Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel: Schwers’sche Buchhandlung 1845.
Theodor Storm: Sämtliche Werke in 4 Bänden, hrsg. von Karl Ernst Laage und Dieter Lohmeier, Frankfurt a. M. 1987/88 (abgekürzt: LL mit Band und Seitenzahl).
Theodor Storm Anekdoten, Märchen, Sagen, Sprichwörter und Reime aus Schleswig-Holstein. Texte, Entstehungsgeschichte, Quellen. Unter Berücksichtigung der von Theodor Mommsen beigetragenen Sagen nach den Handschriften und Erstdrucken herausgegeben von G. E. Heide 2005.
Theodor Storms Neues Gespensterbuch. Beiträge zur Geschichte des Spuks. Hg. von Karl Ernst Laage. Heide 2011.
Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten – Kritische, kommentierte Ausgabe. Herausgegeben von Gerd Eversberg. Berlin 2017.
Theodor Storm – Constanze Esmarch. Briefwechsel. Hrsg. Von Regina Fasold, 2 Bde, Berlin 2002. (Brautbriefe).
Theodor Storms Briefwechsel mit Theodor Mommsen. Hrsg. Von Hans-Erich Teitge. Weimar 1966. (Briefe Mommsen).
Christian Ulrich Beccau: Versuch einer urkundlichen Darstellung der Geschichte Husums bis zur Ertheilung des Stadtrechtes. Schleswig 1854
Konrad Grunsky (Hrsg.): Schloß vor Husum. Husum 1990.
Dörte Nicolaisen: Von Husum nach Hadersleben. Die Malerin Charlotte von Krogh (1827-1913). Fra Husum til Haderslev. Malerinden Charlotte von Krogh (1827-1913). Ausstellungskatalog. Museum Sønderjylland – Arkæologie Haderslev, Museumsverband Nordfriesland, Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel 2007.Holger Borzikowsky: Im Schloss vor Husum. Sinnbild, Sage und Spuk. Husum 2009.
Gerd Eversberg: „Das Thurmgemach“. Theodor Storm schreibt eine Gespenstergeschichte. In: Beiträge zur Husumer Stadtgeschichte 2016, Band 15, S. 108-122.
Gerd Eversberg: „Es ist das leerste Gefasel und die unbegreiflichste Trivialität“ (Julian Schmidt). Über die Modernität von Theodor Storms Spukgeschichten. In: Louis Gerrekens, Valérie Leyh und Eckart Pastor (Hrsg.): Konventionen und Tabubrüche. Theodor Storm als widerspenstiger Erfolgsautor des deutschen Realismus. Berlin 2019, S. 233-250.