Theodor Storm in Husum

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Theodor Storm hat wie kein anderer Dichter das Bild der Menschen von seiner Vaterstadt geprägt. In Deutschland und in aller Welt wird sein Name mit der kleinen Hafenstadt an der Nordseeküste in Verbindung gebracht. Husum, die „graue Stadt am Meer“, kann man auf den Spuren ihres größten Sohnes erwandern, denn Storm hat hier mehr als 40 Jahre seines Lebens verbracht und seine Erinnerungen und Erfahrungen in vielen Novellen beschrieben und in Gedichten zum Ausdruck gebracht. Storms Erzählungen gewähren differenzierte Einblicke in gesellschaftliche Verhältnisse vergangener Zeiten. Seine Lyrik zählt zum dem Bedeutendsten, was das 19. Jahrhundert hinterlassen hat.

 

Die Stadt

 

Am grauen Strand, am grauen Meer

Und seitab liegt die Stadt;

Der Nebel drückt die Dächer schwer,

Und durch die Stille braust das Meer

Eintönig um die Stadt.

 

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai

Kein Vogel ohn’ Unterlass;

Die Wandergans mit hartem Schrei

Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei

Am Strande weht das Gras.

 

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,

Du graue Stadt am Meer;

Der Jugend Zauber für und für

Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,

Du graue Stadt am Meer.

 

 

In der Landschaft, wo ich geboren wurde, liegt, freilich nur für den, der die Wünschelrute zu handhaben weiß, die Poesie auf Heiden und Mooren, an der Meeresküste und auf den feierlich schweigenden Weidenflächen hinter den Deichen; die Menschen selber dort brauchen die Poesie nicht und graben nicht danach.

Theodor Storm: Entwürfe einer Tischrede

 

Marktplatz

Mitten im Herzen der Stadt liegt es, das kleine, unscheinbare Haus, in dem Theodor Storm am 14. September 1817 das Licht der Welt erblickte (Markt 9). Man könnte es übersehen, würde nicht eine Tafel an die Geburt des bedeutendsten Sohnes der Stadt erinnern. Tritt man aus der Haustür ins Freie, so öffnet sich nach Süden der Markplatz, der nach Westen von der trapezförmigen Großstraße mit ihren alten Kaufmannshäusern erweitert wird.

 

In der Mitternachtsstunde zwischen dem 14. und 15. September 1817 war ein stark Gewitter über Husum, trotzdem lag irgendwo in der Gasse auf irgendeines Bürgers Kellerluke der junge Advokat Joh. Casimir Storm in einer Angst, mit der er nicht sich zu helfen wußte; denn sein schönes junges Weib lag daheim in Geburtsschmerzen von jeder Art hülfreichen Händen umgeben, die er durch die seinen zu vermehren nicht im Stande war. Von den verschiedenen Arten Mutes besaß er diesen nicht. Das war meine Geburtsstunde.

Theodor Storm: Aus der Jugendzeit

 

Im Osten dominiert die klassizistische Marienkirche, die erst im Jahre 1833 fertig gestellt wurde. Hier stand einst eine mächtige Ziegelkirche aus dem 15. Jahrhundert, die bis weit in den heutigen Marktplatz hineinragte. Zu Storms Kinder- und Jugendzeit erinnerte bloß eine freie Fläche an den mittelalterlichen Vorgängerbau, den die Husumer Anfang des 19. Jahrhunderts wegen Baufälligkeit abreißen ließen. Den scharf kalkulierenden Kaufleuten waren die Sanierungskosten für die gotische Kirche zu hoch. Also musste Storm die Marienkirche aus den Erinnerungen alter Leute und aus Quellen rekonstruieren, wenn er sie als Schauplatz in seinen historischen Novellen beschreiben wollte.

 

 

 

Die alte Zeit war aus; die einst fast mit der Stadt zugleich entstandene Kirche, vor meiner Geburt schon, glücklich abgebrochen; an Stelle des altehrwürdigen Baues stand jetzt ein gelbes, hässliches Kaninchenhaus mit zwei Reihen viereckiger Fenster, einem Turm wie eine Pfefferbüchse und einem abscheulichen, von einem abgängigen Pastor verfassten Reimspruch über dem Eingangstore, einem lebendigen Protest gegen alles Heidentum der Poesie. Die Denkmäler und Kunstschätze der alten Kirche waren auf Auktionen verkauft oder sonst verstreut; die schöne Kanzel war zertrümmert, den Altar aus Hans Brüggemann's Schule hatte ich selbst als Knabe in dem Pesel einer Branntweinsschenke stehen sehen, wo er unbeachtet allem Unfug preisgegeben war, bis er schließlich noch in einer Dorfkirche Unterkommen fand; die einst zur Seite des Altars befindliche Monstranz, ein kostbares Schnitzwerk von des großen Husumer Meisters eigner Hand, war spurlos verschwunden; nur das Muttergottesbild derselben war fast ein halbes Jahrhundert nach dem Abbruch der Kirche zwischen staubigem Gerümpel eines Hausbodens von einem kunstsinnigen Dänen aufgefunden und dann für immer der Vaterstadt des Meisters entführt worden. Keine Spur seines Lebens war in ihr zurückgeblieben, keine Spur jener Kunst, die besonders in unserem Lande sich einst zu einer Hauskunst ausgebildet hatte.

Theodor Storm: Von heut’ und ehedem

 

 

Das alte Gotteshaus bildet mehrfach die Kulisse zu Storms Chroniknovellen; in „Renate“ schildert er, wie ein vierzehnjähriger Knabe unbeabsichtigt in der Kirche eingeschlossen wird, wo ihn ein großer Hund angreift und beinahe zerreißt. Der Knabe rettet sich auf das lebensgroße Standbild des Ritters St. Jürgen, wie der mythische Drachentöter im niederdeutschen Sprachraum genannt wird, und benutzt dessen Lanze, um sich gegen die Bestie zu verteidigen. Die Ritterfigur schnitzte Hans Brüggemann in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts; nach Abriss der Marienkirche schenkte die Stadt Husum das Kunstwerk dem Nationalmuseum in Kopenhagen.

 

Nach der Einweihung des Neubaus, den der bedeutende dänische Architekt Christian Friedrich Hansen im neuklassizistischen Stil entworfen hatte, besaßen die Husumer zwar ein repräsentatives Gotteshaus, waren aber nicht besonders glücklich über ihre neue Kirche. Im selben Jahr ordnete der Magistrat das Marktwesen neu. Seit dieser Zeit findet der traditionelle Donnerstag-Markt in erster Linie auf dem Platz vor dem Kirchenportal statt, wie es Storm in einigen seiner Novellen beschrieben hat.

Die Tine auf dem gleichnamigen Brunnen wurde von dem aus Husum gebürtigen Bildhauer Adolf Brütt erst Anfang des 20. Jahrhunderts geschaffen, da war Storm schon seit über zehn Jahren tot. Mit ihrem Blick in Richtung Hafen erinnert sie an die wirtschaftliche Bedeutung, die Fischfang und Schifffahrt in früheren Jahrhunderten für die Stadt an der Westküste Schleswig-Holsteins hatten; die durstigen Ochsen im Brunnen symbolisieren das zweite wirtschaftliche Standbein der Stadt im 19. Jahrhundert, den Ochsenhandel.

 

Zweimal in der Woche kam die Post von Hamburg; dann war »Posttag« und die Kaufleute saßen bis spät in ihren Kontoren am Schreibtisch; sie brachte auch den Altonaischen Mercur, der eben aus Kleinoktav in Kleinquart Format übergegangen war; viel mochte die Zeitung damals nicht zu berichten haben; es war in der langen Friedenszeit nach Napoleons Sturz. Die Fürsten und ihre Minister regierten wieder; die in der Not versprochenen Verfassungen wurden nicht gegeben; wie aus blauem Himmel fiel dann und wann den Leuten eine Verordnung oder ein Reskript auf den Kopf; doch wurde es bei uns wohl mäßig damit gehalten. Derweilen saßen die klugen Leute am Sonntag nach der Kirche im Weinhaus, kannegießerten eine Weile und gingen dann zum Sonntagsbraten. Es war eine praktisch unpolitische Zeit; die französische Revolution und das Kaiserreich nahmen auf Jahrzehnte die Gedanken der Menschen in Anspruch; aber meistenteils nur als Vergangenheit, wie eine ungeheure Tragödie.

Theodor Storm: Aus der Jugendzeit

 

Frauen-Ritornello

 

Blühende Myrte –

Ich hoffte süße Frucht von dir zu pflücken;

Die Blüte fiel; nun seh' ich, dass ich irrte

 

Schnell welkende Winden –

Die Spur von meinen Kinderfüßen sucht' ich

An eurem Zaun; doch konnt' ich sie nicht finden.

 

Muskathyazinthen –

Ihr blühtet einst in Urgroßmutters Garten;

Das war ein Platz; weltfern, weit, weit dahinten.

 

Dunkle Zypressen –

Die Welt ist gar zu lustig;

Es wird doch alles vergessen.

 

Auf der Westseite des Marktplatzes, direkt neben der Einmündung zur Krämerstraße, kann der Besucher einen farbig gefassten Sandstein erkennen, der aus einem Vorgängerbau hier eingefügt wurde. Der plattdeutsche Spruch lautet ins Hochdeutsche übertragen: „Gleich so wie Rauch und Staub verschwindet,/ Also sind auch die Menschenkinder'“. Dieser Vergänglichkeitsspruch zieht in Storms Novelle „Aquis submersus“ einen jungen Mann wie magisch an; er betritt das Haus und versetzt sich durch die Lektüre alter Handschriften in die Vergangenheit zurück, in der er den Spuren eines ertrunkenen Knaben nachgeht und das Rätsel seines Todes auflöst.

 

 

Norderstraße und Großstraße

 

An einem Markttage war es gewesen; er hatte sich von seinem Hause an durch die Reihen der Bauernwagen und der Eier- und Gemüsekörbe durchgedrängt; er hatte hier und dort einer Marschbäuerin die Hand geschüttelt und sie bei Vor- und Zunamen begrüßt; ja sogar ein Rezept hatte er stehend und aus freier Hand auf seine Brieftafel schreiben müssen. […] Auf dem Flur vor dem Laden drängten sich die Käufer. Der Lehrling konnte nicht allen Händen genügen, die ihre Körbe und Kannen vor ihm hinschoben. Aber er hatte eine Gehülfin bekommen; dort auf dem Ladentritt stand eine schlanke Mädchengestalt und hantierte in den obersten Schubladen des Repositoriums.

Theodor Storm: Drüben am Markt

 

Die Norderstraße führt von Osten in die Stadt hinein, es schließt sich der Markt mit seiner Bebauung im Norden an, der sich nach Westen in die Großstraße fortsetzt. Hier war das wirtschaftliche Herz Husums mit Kirche und Rathaus.

Westlich von Storms bescheidenem Geburtshaus steht das sogenannte Herrenhaus (Markt 1 und 3) aus der Zeit um 1520. Es weist architektonische Elemente der Gotik und frühen Renaissance auf und diente zunächst als Münze der Gottorfer Herzöge, später als Wohnsitz eines Bürgermeisters, schließlich wurde es als Kaufmannshaus genutzt, wovon die Seilrolle an seinem rückseitigen Giebel noch heute zeugt. Die „Rebellenköpfe“ an der Marktseite werden im Volksmund mit den 1472 hingerichteten Bürgern der Stadt in Verbindung gebracht, die sich an einem Aufstand gegen den dänischen König Christian I. beteiligt hatten.

Das Rathaus mit seiner schlichten modernen Fassade wurde 1601 errichtet, zwei Jahre später erhielt Husum Stadtrechte; heute steht es weitgehend leer und wird nur noch von der Tourist-Information genutzt. Der Ratskeller allerdings dient nach wie vor den leiblichen Bedürfnissen der Husumer und der Besucher von nah und fern.

Die Schwan-Apotheke aus dem Jahre 1656 hat ihr äußeres und inneres Aussehen bis heute bewahrt. Schräg gegenüber (Großstraße 30) leuchtet die weiße Fassade eines Hauses, das Storm als Schauplatz seiner Novelle „Drüben am Markt“ gewählt hat; der Erzähler schildert anschaulich den Betrieb in seinem solchen Kaufmannshaus.

 

Zu Storms Zeiten reihte sich Bürgerhaus an Bürgerhaus mit zum Teil prächtigen Fassaden; viele sind im späten 19. Jahrhundert zeittypischen Neubauten gewichen. Nur noch wenige Kaufmannshäuser mit Treppengiebeln wie das Werner‘sche Haus an der Südseite der Großstraße (Nr. 18) zeigten eine solche viel gegliederte Backsteinfassade. In dem hier einst ansässigen Weinkeller hat Storm als junger Advokat manchen Schoppen getrunken. Die Bebauung an beiden Seiten dieser Ost-West-Achse der Stadt zeigt heutigen Besuchern den wechselnden architektonischen Geschmack der letzten vier Jahrhunderte.

Vor dem Herrenhaus stehen zwei Beischlagwangen aus Sandstein. Sie dienten früher als Begrenzungen zweier Bänke, so genannte Beischläge, auf denen die Bürger am Abend saßen und ausruhten. Von solchen Steinen standen viele vor den repräsentativen Bürgerhäusern. Ihre Ornamentik und die Inschriften erzählen von den damaligen Bewohnern und ihren Berufen. Heute sind nur noch zwei Paar dieser steinernen Zeugen erhalten; ein weiteres aus dem Jahre 1616 ziert das Haus Norderstraße 21, das heute als Speisegaststätte dient.

 

 

Es ist nur ein schmuckloses Städtchen, meine Vaterstadt; sie liegt in einer baumlosen Küstenebene und ihre Häuser sind alt und finster. Dennoch habe ich sie immer für einen angenehmen Ort gehalten, und zwei den Menschen heilige Vögel scheinen diese Meinung zu teilen.

Theodor Storm: In St. Jürgen

 

 

 Schlossgang, Schloss vor Husum, Schlossgarten

 

Als der Schleswiger Herzog Adolf von Gottorf die Schenkung eines Grundstücks zum Bau des Rathauses bestätigte, das sein Vater den Bürgen gnädigst gewährt hatte, verfügte er, die Husumer sollten zum Schloss einen Weg „also groß und weit lassen, dass man mit dem Pferd und Wagen dadurch kommen und passieren könne.“ Deshalb ist in der Nordseite des Markts eine Durchfahrt vorhanden, die am Gelände der ehemaligen Brauerei entlang führt und heute auf beiden Seiten mit hübschen Häusern bebaut ist. Die Husumer Bürger sollten wissen, dass ihr Landesherr sie jederzeit überwachen konnte.

Im Norden schimmert das von 1577 bis 1582 errichtete Schloss vor Husum durch die Bäume. Es wurde auf dem Gelände eines nach der Reformation aufgelassenen Franziskanerklosters aus dem späten 15. Jahrhundert im Stil der niederländischen Renaissance erbaut und diente im 17. Jahrhundert als Witwensitz der Herzöge von Schleswig. Bemerkenswert in seinem Inneren sind vor allem die prächtigen Kamine des 17. Jahrhunderts. In der Mitte des 18. Jahrhundert ließ der dänische König das Schloss umbauen; von nun an war es nur noch ein Verwaltungsgebäude, heute arbeitet hier die Kreismusikschule und das Gebäude wird für Veranstaltungen und Ausstellungen benutzt.

 

 

Im großen Rittersaal des Husumer Schlosses waren noch in meinen Knabenjahren die Wände dicht mit alten Ritterbildern behangen, meist in Lebensgröße. Darunter war auch das Bild eines Ritters, das musste rot werden, wenn man es fest anschaute; wir Knaben machten uns oft dies Vergnügen, aber immer mit heimlichem Grauen. Jetzt sind alle Bilder nach Kopenhagen geschafft, und man weiß nicht, ob das Bild da noch so verschämt geblieben ist.

Theodor Storm: Anekdoten, Märchen, Sagen und Sprichwörter aus Schleswig-Holstein

 

 

 

Linker Hand erreicht man das Torhaus von 1612 mit seinen frühbarocken Schweifgiebeln. Das künstlerische Programm zur Gestaltung der Fassade hat Herzogin Augusta entworfen, die Witwe des Herzogs von Schleswig; es zeigt die drei griechischen Göttinnen Aphrodite, Hera und Athene. Sie symbolisieren die Weiblichkeit der Herzogin sowie ihre Rolle als Mäzenin der Künste und als Landesmutter.

Weiter nach Westen liegt in einem alten Garten das sogenannte Kavaliershaus, das den adligen Besuchern des Schlosses als Wohnung diente. Hier wohnte im 19. Jahrhundert die Familie des späteren Soziologen Ferdinand Tönnies, mit dem Theodor Storm eng befreundet war.

Gegenüber öffnet sich der Schlosshof, von zwei Löwen bewacht, die das herzogliche Wappen tragen. Theodor Storm ging hier bereits als Knabe ein und aus, denn er war mit den Kindern des Amtmanns von Husum befreundet. Nach der preußischen Justiz- und Verwaltungsreform hatte das Amtsgericht hier seine Geschäftsräume, dem Storm lange Jahre angehörte. Er befreundete sich mit der Familie des neuen Landrats, des Grafen zu Reventlow, und machte ihm und seiner Frau eines Tages – die Straßenbeleuchtung war noch nicht erfunden − eine Handlaterne und ein Gedicht zum Geschenk. Im Schlosshof lädt heute ein modernes Café zum Verweilen ein.

Schon als junger Mann hat Storm sich für die Sagen und Spukgeschichten interessiert, die mit den alten Gemäuern in Verbindung gebracht wurden; eine davon wurde 1845 in einer Sammlung schleswig-holsteinischer Sagen veröffentlicht. Seine Erlebnisse in den weiträumigen Gemächern und Sälen des repräsentativen Gebäudes verarbeitete Storm während seiner Zeit in Heiligenstadt in der Novelle „Im Schloss“, in der er seine ablehnende Haltung zum Adel ausgedrückt hat. Diese Erzählung erreichte 1861 in der populären Zeitschrift „Die Gartenlaube“ eine große Leserschaft im ganzen deutschen Kulturraum.

 

In unserem zu dem früher herzoglichen Schlosse gehörigen, seit Menschengedenken aber ganz vernachlässigten »Schloßgarten« waren schon in meiner Knabenzeit die einst im altfranzösischen Stile angelegten Hagebuchenhecken zu dünnen, gespenstischen Alleen ausgewachsen; da sie indessen immerhin noch einige Blätter tragen, so wissen wir Hiesigen, durch Laub der Bäume nicht verwöhnt, sie gleichwohl auch in dieser Form zu schätzen; und zumal von uns nachdenklichen Leuten wird immer der Eine oder Andere dort zu treffen sein.

Theodor Storm: Aquis submersus

 

 

Im Schlossgarten trifft man auf die Storm-Büste von Adolf Brütt, einem in Husum gebürtigen Bildhauer, der auch an der künstlerischen Gestaltung des Reichstages in Berlin beteiligt war. Das Denkmal wurde im Jahre 1898 in Anwesenheit der Storm-Familie feierlich eingeweiht.

Irgendwann zwischen Mitte Februar und Ende März leuchten im Schlossgarten dunkelblau Millionen kleiner Krokusblüten, die ihre Kelche in einem hellen Violett öffnen. „Crocus napolitanus“ heißt er und soll der Legende nach von Mönchen des alten Klosters, das auf dem Gelände des heutigen Schlosses stand, in ihrem Kräutergarten gepflanzt worden sein. Das „Blütenwunder des Nordens“ lockt jährlich tausende Besucher in die Storm-Stadt.

 

Mit einer Handlaterne

 

Laterne, Laterne!

Sonne, Mond und Sterne,

Die doch sonst am Himmel stehn,

Lassen heut sich nimmer sehn;

Zwischen Wasserreih’ und Schloss

Ist die Finsternis so groß,

Gegen Löwen rennt man an,

Die man nicht erkennen kann!

 

Kleine freundliche Latern,

Sei du Sonne nun und Stern;

Sei noch oft der Lichtgenoss

Zwischen Wasserreih’ und Schloss

Oder - dies ist einerlei -

Zwischen Schloss und Wasserreih’!

 

 

Neustadt

 

Wieder zurück zum Torhaus, die Schlossstraße führt rechts zur Neustadt. Die Häuser an beiden Seiten der Neustadt Richtung Norden wurden erst errichtet, als die beiden mittelalterlichen Siedlungen Oster- und Westerhusum längst zur grauen Stadt am Meer zusammengewachsen waren mit ihren zwei wirtschaftlichen Zentren, dem Marktplatz und dem Hafen. An ihrem nördlichen Ende öffnete sich der Husumer Viehmarkt, einst der größte im Norden. Die Straße säumten fast nur Gasthäuser, in deren tief gestaffelten Ställen das Vieh untergebracht werden konnte. Noch heute sind hier viele Kneipen angesiedelt.

1818 kaufte Storms Vater das alte Doppelhaus Neustadt 56, das in seinem Giebel die Jahreszahl 1675 trägt. Im Jahre 1845 eröffnete sein Sohn dort eine Rechtsanwaltspraxis. Theodor richtete das Haus für Constanze Esmarch ein, mit der er sich im Winter 1844 verlobt hatte. Nach ihrer Heirat im Jahre 1846 wurden die drei Söhne Hans, Ernst und Karl geboren. Hier schrieb Storm seine Novelle „Immensee“ und das berühmte Gedicht „Die Stadt“. Hier erlebte die Familie das Scheitern der schleswig-holsteinischen Erhebung und musste von 1853 bis 1864 ins preußische Asyl ausweichen.

 

 

„Hinter der Neustadt“ heißt die kurze Straße, in die man nach Westen einbiegt, um den Totengang zu erreichen. Er begrenzt im Osten den Neustädter Friedhof, auf dem bis heute die Husumer ihre Toten bestatten. Ganz im Westen findet man die Gräber der Eltern von Theodor Storm und das seiner Tochter Gertrud. An der westlichen Begrenzungsmauer zeigen alte Steine Spuren von Steinmetzarbeiten: Profile, Blattornamente und Bohrungen zur Aufnahme von Metallklammern. Dieser Bauschutt scheint vom Abbruch des Franziskanerklosters zu stammen, das im 16. Jahrhundert dem Schloss vor Husum weichen musste. Da der Friedhof des alten Klosters beim Abriss aufgegeben wurde, weihte man am 16. Sonntag nach Trinitatis des Jahres 1573 hier den neuen Friedhof ein.

Im Mittelgang wurde ein Denkmal für die Gefallenen im Krieg gegen Dänemark (1848-1850) errichtet, der Storm seine Bestallung als Rechtsanwalt im Königreich Dänemark kostete, zu dem das Herzogtum Schleswig und damit auch die Stadt Husum bis 1864 gehörte. Nach dem Sieg Österreichischer und Preußischer Truppen über Dänemark bei Düppel wurde Nordfriesland ein Teil der selbständigen Herzogtümer Schleswig und Holstein. Aber nur für kurze Zeit, denn 1866 okkupierte Preußen die Provinzen und gliederte sie in sein Königreich ein. Storm war wie viele Nordfriesen ein entschiedener Kritiker der arroganten preußischen Herrschaft.

 

 

1. Januar 1851

 

Sie halten Siegesfest, sie ziehn die Stadt entlang;

Sie meinen Schleswig-Holstein zu begraben.

Brich nicht, mein Herz! Noch sollst du Freude haben;

Wir haben Kinder noch, wir haben Knaben,

Und auch wir selber leben, Gott sei Dank!

 

 

 

Seit Anfang 1851 existiert hier bereits ein weiteres Kriegerdenkmal. Nur zwanzig Schritte von dem späteren Mahnmal für die Schleswig-Holsteiner entfernt wurde es für die dänischen Gefallenen errichtet, die ihr Leben bei der Erstürmung von Friedrichstadt verloren hatten. Die Art der damaligen Feierlichkeiten ließ den empörten Dichter zur Feder greifen und eines seiner schärfsten politischen Gedichte schreiben.

Storm hat seine Sicht der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Dänemark und Schleswig-Holstein ausführlich in der Novelle „Ein grünes Blatt“ dargestellt. Sie entstand in Potsdam, wo der Jurist sich auf seine Tätigkeit als Amtsrichter im thüringischen Heiligenstadt vorbereitete, in dem er mit der Familie von 1856 bis 1864 lebte.

 

Gode Nacht

 

Över de stillen Stråten

Geit klår de Klokkenslag;

God' Nacht! Din Hart will slåpen,

Un morgen is ok en Dag.

 

 

 

Din Kind liggt in de Weegen,

Un ik bün ok bi di;

Din Sorgen un din Leven

Is allens um un bi.

 

Noch eenmål låt uns spräken:

Goden Åbend, gode Nacht!

De Månd schient op de Däken,

Uns' Herrgott hölt de Wacht.

 

 

Hohle Gasse

 

Zurück in die Neustadt, diesmal nach Süden, wo ihre Verlängerung Hohle Gasse heißt, die zum Hafen hin etwas abfällt. Genau an der Stelle, bis wohin vor der Errichtung des Sperrwerks vor dem Husumer Hafen die Nordsee bei hohen Sturmfluten wie der von 1825 auflief, steht linker Hand ein repräsentatives Bürgerhaus. Es wurde um 1700 erbaut und 1788 von Storms Urgroßvater Friedrich Woldsen für seinen Sohn Simon und seine Schwiegertochter Magdalena Feddersen eingerichtet. Das Äußere zeigt eine schlichte Backsteinfassade und eine zentrale Eingangstreppe. Im Inneren des Geburtshauses von Storms Mutter sind bis heute die dezenten und geschmackvollen Stuckaturen und Holzeinbauten zu sehen. Das nach Süden anschließende Kontorgebäude wurde im 20. Jahrhundert abgerissen, um einer Einfahrt Platz zu machen.

Storms Eltern zogen 1820 in das Haus ein; hier eröffnete Casimir Storm, Sohn eines Müllers aus der Gegend bei Rendsburg und studierter Jurist, seine Anwaltskanzlei, hier wuchs Theodor Storm mit seinen Geschwistern auf. Storms Vater genoss in Husum und Umgebung eine große Reputation als Rechtsanwalt und Notar; er war gewählter Deputierter der Ständeversammlung in Schleswig und engagierte sich für die Eigenständigkeit der Herzogtümer im dänischen Gesamtstaat.

 

Mein Vater war Advokat und Notar, und wegen seiner Tüchtigkeit und Rechtschaffenheit sowie wegen der Bescheidenheit, womit er seine Anfodrungen für die Bemühungen seines Berufes stellte, im ganzen Lande geachtet. »De Ole verdarvt uns de Priis«, sagte ein jovialer Anwalt der Nachbarstadt.

Theodor Storm: Aus der Jugendzeit

 

 

Das Haus der Familie lag inmitten der Stadt in einer nach dem Hafen hinabgehenden Straße. Es hatte einen weiten, hohen Flur mit breiter Treppe in das Oberhaus, zur Linken neben der mächtigen Haustür das Wohnzimmer, in dem lang gestreckten Hinterhause die beiden Schreibstuben für die Kaufmannsgesellen und den Prinzipal; darüber, im oberen Stockwerk, lag der nur bei feierlichen Anlässen gebrauchte große Festsaal. Auch was derzeit sonst an Raum und Gelaß für eine angesehene Familie nötig war, befand sich in und bei dem Hause; nur Eines fehlte: es hatte keinen Garten, sondern nur einen mäßig großen Steinhof, auf welchen oben die drei Fenster des Saales, unten die der Schreibstuben hinaussahen.

Theodor Storm: Die Söhne des Senators

 

Meine Eltern lebten stets in wohlhabenden Verhältnissen; im Hause war viel Gastlichkeit. Mein Vater, jetzt wie damals, ein kleiner schmächtiger Mann von heftigem Temperament und der tiefsten Innigkeit des Gemüthes, die er gern verbirgt und unterdrückt, noch jetzt, weil er sich davon nicht übermannen lassen will. Er liebt uns sehr, und hat uns und seiner so sehr geliebten Frau doch oftmals weh gethan.

Theodor Storm an Emil Kuh, 13. August 1873

 

 

 

In einigen Erzählungen über die Jugendzeit beschwört Storm die anheimelnde Atmosphäre des Hauses und der umliegenden Gebäude. Hier traf sich die weitläufige Familie vor allem an hohen Festtagen und man feierte gemeinsam. Von hier aus durchstreifte Theodor mit seinen Freunden die Stadt in allen Winkeln, von hier aus ging er später an jedem Wochentag zur Gelehrtenschule neben der Marienkirche. So hat er eine bürgerliche Welt erfahren und erlebt, die ihr Selbstverständnis aus dem längst verflossenen 18. Jahrhundert gewann.

Wie er als Knabe das Erzählen gelernt hat, erfährt der heutige Leser aus den „Geschichten aus der Tonne“ und aus seinen „Erinnerungen an Lena Wies“, einer Bäckersfrau, mit der er sich angefreundet hatte. Sie wohnte gleich um die Ecke in der Langenharmstraße. Als er 1842 von seinem Jura-Studium in Kiel und Berlin zurückkehrte, konnte der junge Advokat miterleben, wie diese alte Zeit zu Ende ging.

Storms Vater war Koogsschreiber und Syndikus für die Südermarsch bei Husum, königlich bestellter Administrator der Fürstlich Reußischen Güter und Marsch-Köge südwestlich von Bredstedt und Kommittierter des 3. Schleswiger Deichbandes für die Aufsicht über die Unterhaltung der landschaftlichen Deiche in den Kirchspielen Simonsberg, Westerhever, Ording und St. Peter. In seinem Vaterhause lernte Storm bedeutende Persönlichkeiten seiner Zeit kennen, darunter die holländischen Ingenieure Gebrüder Beyring, die als Sachverständige die Pläne für den neuen Dockkoog begutachteten, und den Prinzen Friedrich von Augustenburg, der als Kommandierender eines Dragoner-Regiments ebenfalls in seinem Elternhaus Quartier nahm. Storms Wissen über Deichbau und Entwässerungstechnik stammt aus dieser Zeit; später hat er seine Kenntnisse für seine Meisternovelle „Der Schimmelreiter“ genutzt.

Aber nicht immer herrschten Frieden und Eintracht in der weitläufigen Familie; welche hartnäckigen Auseinandersetzungen sich gelegentlich ereignet haben, hat Storm in seiner Novelle „Die Söhne des Senators“ erzählt. Vorbild sind zwei Brüder aus der Familie Woldsen, die in den Häusern gegenüber gewohnt und gearbeitet haben, sich aber über die gemeinsame Mauer zwischen ihren Grundstücken nicht einig werden konnten. Es ist eine der wenigen Novellen Storms, die einen versöhnlichen Schluss aufweist. In den meisten seiner Erzählungen, die man in Husum oder Nordfriesland verorten kann, werden Familienbeziehungen beschrieben, die tragisch enden.

 

Oktoberlied

 

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

Schenk’ ein den Wein, den holden!

Wir wollen uns den grauen Tag

Vergolden, ja vergolden!

 

Und geht es draußen noch so toll,

Unchristlich oder christlich,

Ist doch die Welt, die schöne Welt,

So gänzlich unverwüstlich!

 

Und wimmert auch einmal das Herz, –

Stoß an, und lass es klingen!

Wir wissen's doch, ein rechtes Herz

Ist gar nicht umzubringen.

 

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

Schenk’ ein den Wein, den holden!

Wir wollen uns den grauen Tag

Vergolden, ja vergolden!

 

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,

Doch warte nur ein Weilchen!

Der Frühling kommt, der Himmel lacht,

Es steht die Welt in Veilchen.

 

Die blauen Tage brechen an;

Und ehe sie verfließen,

Wir wollen sie, mein wackrer Freund,

Genießen, ja genießen!

 

 

 

 

Wasserreihe

 

Ein paar Schritte von Storms Elternhaus entfernt in der Hohlen Gasse öffnet sich die Schiffbrücke nach Osten vor dem Hafenbecken. Rechts führt die Wasserreihe parallel zur Hafenstraße nach Westen. Auch hier hat die Geschichte Husums in den Straßennamen Spuren hinterlassen, denn die Wasserreihe liegt heute gar nicht mehr am Wasser. Bis ins 18. Jahrhundert hinein war der Hafen nicht durch Kaimauern befestigt; die Hafenstraße mit den Speicherhäusern, wie wir sie heute kennen, ist erst zu Lebzeiten Theodor Storms entstanden. In der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Pläne zum Bau eines großen Hafens im dafür errichteten Dockkoog zu den Akten gelegt wurden, hat man den heutigen Binnenhafen auf drei Seiten mit steinernen Mauern befestigt.

Die Wasserreihe weist eine uneinheitliche Bebauung auf; neben größeren Kaufmannshäusern und Speichern findet man auch kleine Häuser der Handwerker, darunter eines aus dem Jahre 1594. Ein geräumiges Gebäude ist das Haus Wasserreihe 31, ein Kaufmannshaus aus der Zeit um 1730. Erbaut im Stil des Rokoko weist es im Inneren auch klassizistische Elemente des 19. Jahrhunderts auf. Der spitze Giebel zur Straßenseite mit seinen hölzernen Luken der übereinander liegenden Kornböden und der Seilrolle an der Rückseite verweisen auf die Nutzung als Lagerhaus. Im Parterre befanden sich Verkaufs- und Kontorräume, während das Obergeschoss zu Wohnzwecken diente. Der geräumige Keller könnte als Lager für Weinfässer gedient haben, denn die Husumer unterhielten enge Geschäftsbeziehungen zu Weinhändlern in Bordeaux und importierten – ähnlich wie die Lübecker – größere Mengen von Rotwein.

 

Inserat

 

Die verehrlichen Jungen, welche heuer

Meine Äpfel und Birnen zu stehlen gedenken,

Ersuche ich höflichst, bei diesem Vergnügen

Womöglich in so weit sich zu beschränken,

Daß sie daneben auf den Beeten

Mir die Wurzeln und Erbsen nicht zertreten.

 

 

Theodor Storm kaufte das geräumige Haus 1866, ein Jahr nach Constanzes Tod, um mit seiner zweiten Frau Dorothea und den sieben Kindern und zwei Hausmädchen hier einzuziehen. Von den Schwierigkeiten, die seine neue Frau in der ungewohnten Mutterrolle zunächst hatte, erzählt Storm in der Novelle „Viola tricolor“, in der er sein neues Wohnhaus so detailgetreu beschreibt, dass man diese Erzählung getrost als Führer durch das Gebäude benutzen kann. Die Geburt einer Tochter half der Mutter bei der Bewältigung dieser Probleme. Theodor hatte bereits als junger Ehemann ein Verhältnis zu Dorothea Jensen, das viel Leid über die junge Familie brachte.

 

Es war sehr still in dem großen Hause; aber selbst auf dem Flur spürte man den Duft von frischen Blumensträußen. Aus einer Flügeltür, der breiten in das Oberhaus hinaufführenden Treppe gegenüber, trat eine alte sauber gekleidete Dienerin. Mit einer feierlichen Selbstzufriedenheit drückte sie hinter sich die Tür ins Schloß und ließ dann ihre grauen Augen an den Wänden entlang streifen als wolle sie auch hier jedes Stäubchen noch einer letzten Musterung unterziehen; aber sie nickte beifällig und warf dann einen Blick auf die alte englische Hausuhr deren Glockenspiel eben zum zweiten Mal seinen Satz abgespielt hatte.

Theodor Storm: „Viola tricolor“

 

 

 

Heute ist hier das Storm-Museum untergebracht, das von der Theodor-Storm-Gesellschaft im Jahre 1972 eröffnet wurde. Gezeigt werden Möbel, Bilder und Dokumente aus der Storm-Familie, um ein Lebensbild des Dichters und Zusammenhänge zwischen seiner Biographie und seinem Werk zu vermitteln. Außerdem sind Materialien zu Leben und Werk sowie eine Ausstellung zur Altersnovelle „Der Schimmelreiter“ zu sehen.

Im „Poetenstübchen“, Storms Arbeitszimmer, das er im neugotischen Stil hat einrichten lassen und in dem seine umfangreiche Bibliothek stand, hat er mehr als 20 Novellen geschrieben, darunter „Poppe Poppenspäler“, „Aquis submersus“ und „Carsten Curator“. 1880 ließ sich Strom pensionieren und die Familie zog von Husum fort in einer großzügige Villa nach Hademarschen in Holstein.

Der Garten neben dem Haus entstand 1856 nach Abriss des Nebenhauses; heute ist er mit dem Waschhaus und dem Hof mit alter Pumpe so gestaltet, wie es Theodor Storm in Briefen beschrieben hat. Nur der Nutzgarten fehlt.

Im östlichen Nachbargebäude befindet sich das Storm-Archiv, das allen an Storms Werk Interessierten offen steht; beide Institutionen bilden seit 2005 das Theodor-Storm-Zentrum Husum; hier werden Vorträge, Lesungen und Liederabende veranstaltet sowie die Internationale Storm-Tagung im September eines jeden Jahres.

 

Noch einmal

 

Noch einmal fällt in meinen Schoß

Die rote Rose Leidenschaft;

Noch einmal hab' ich schwärmerisch

In Mädchenaugen mich vergafft;

Noch einmal legt ein junges Herz

An meines seinen starken Schlag;

Noch einmal weht an meine Stirn

Ein juniheißer Sommertag.

 

 

Kleikuhle, Porren- und Dockkoog

 

Die Wasserreihe mündet im Westen in einen quadratischen Platz, die Kleikuhle. Von hier betritt man nach Norden das Westerende, wo Fischer und einfache Leute wohnten. Besonders schön ist die „Kleine Straße“ erhalten mit ihren bescheidenen Häusern des 18. und frühen 19. Jahrhunderts und den wunderschönen alten Rosenstöcken. In der Rosenstraße bieten andere “Rosen“ ihre Dienste an, aber nur, wenn die roten Lampen leuchten. Das war schon so, als Theodor Storms Söhne heranwuchsen und nach erotischen Abenteuern suchten, und hat sich bis heute kaum verändert.

Wenn man die Stadt über die Bahnlinie nach Westen verlässt, kommt man am modernen Wirtschaftshafen vorbei. Nach Norden blickt man in den Porrenkoog, der früher die der Stadt vorgelagerte Marsch von der Husumer Bucht abgrenzte. Weit draußen liegt der Dockkoog, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Nordfriesland noch zum Königreich Dänemark gehörte, den geplanten modernen Großhafen aufnehmen sollte. Daraus ist aber nach der Abtrennung des Herzogtums Schleswig vom Dänischen Gesamtstaat nichts geworden, denn die Herzogtümer Schleswig und Holstein wurden zunächst preußische Provinz und später Teil des 1871 gegründeten Deutschen Reiches. Für einen weiteren Nordseehafen gab es nun keinen Bedarf mehr.

Ein paar Schritte hinter dem historischen Trockendock befanden sich im 19. Jahrhundert die Badeflöße, von denen aus die Husumer im Sommer in die Fluten der Nordsee steigen konnten. Theodor Storm erzählt davon in seiner Novelle „Psyche“. Da wird ein unvorsichtiges junges Mädchen von zwei Männern vor dem Ertrinken gerettet und der Dichter nutzt die Möglichkeit, das Marschland westlich vor seiner Heimatstadt zu beschreiben. Pikant an dieser Novelle ist die Vorstellung, dass die jungen Menschen nackt gebadet haben; als Storm diesen Text veröffentlichen wollte, haben das Freunde als unschicklich empfunden.

Was man heute noch sehen kann, ist ein alter Deich, der früher den Porrenkoog und die westlichen Teile der Stadt vor den Sturmfluten schützte. Er führt von der Dockkoogstraße nach Norden in Richtung auf den Schobüller Berg. So heißt hier ein Geesthügel, der Grund dafür ist, dass die Küste nördlich von Husum ein paar Kilometer nicht eingedeicht werden muss. Das ist erforderlich, um die Nordsee daran zu hindern, ins tiefer gelegene Land einzudringen, das man seit dem 13. Jahrhundert dem Meer abgerungen hat. Ein paar Kilometer weiter nördlich erreicht man die Hattstedtermarsch, die Storm als Handlungsraum für seine Schimmelreiter-Novelle gewählt hat.

 

Sie hatten während dieses Gespräches ihre Kleider abgeworfen und traten nun auf die offene Galerie hinaus, bereit, sich in das Meer zu stürzen.

Man hätte wünschen mögen, daß nicht eben der Künstler der noch Schönere von ihnen gewesen wäre, oder lieber noch, daß außer ihnen noch ein anderes Künstlerauge hätte zugegen sein können, um sich zu künftigen Werken an der Schönheit dieser jugendlichen Gestalten zu ersättigen.

Noch standen sie gefesselt von dem Anblick der bewegten Wasserfläche, die sich weithin vor ihnen ausdehnte. Rastlos und unablässig rollten die Wellen über die Tiefe, wurden flüchtig vom Sonnenstrahl durchleuchtet und verschäumten dann, und andere rollten nach. Die Luft tönte von Sturmeshauch und Meeresrauschen; zuweilen schrillte dazwischen noch der Schrei eines vorüberschießenden Wasservogels. Eine starke Woge zerschellte eben an dem Gerüst, worauf die jungen Männer standen, und übersprühte sie mit ihrem Schaum.

Theodor Storm: Psyche

 

Und jetzt ging sie, die Stadt im Rücken lassend, auf dem schmalen Wege weiter, der zwischen den zu ihrer Rechten sich hinziehenden Gräben und dem hohen Deiche entlang führte. Da der Wind aus Nordwest kam, so war sie demselben hier noch mehr als an der Seeseite des Deiches ausgesetzt. Ein Mal wurde der Strohhut, den sie auch jetzt in der Hand trug, ihr entrissen und gegen den Deich geschleudert; ein paar Mal musste sie stehen bleiben, um das flatternde Tuch sich fester unter das Kinn zu knüpfen. Dann blickte sie ängstlich hinter sich zurück, aber kein Mensch war zu sehen; nur ihr zu Häupten schoss mitunter ein Strandvogel von draußen in das Land hinein, oder ein Kiebitz flog schreiend aus dem Kooge auf.

Theodor Storm: Psyche

 

 Und jetzt legte sich ein dunkles Wasser vor ihren Weg; vor Hunderten von Jahren hatte die Flut den Deich durchbrochen und hier sich eingewühlt. Aber der Deich, wie er gegenwärtig lag, war vor dem Rand der Wehle zurückgetreten; das Wasser spritzte auf den Weg, als das Mädchen daran vorüber eilte; zwei graue Tauchenten, die inmitten der schwarzen Tiefe sich auf den Wellen schaukeln ließen, verschwanden lautlos unter der Oberfläche.

Theodor Storm: Psyche

 

 

 

Hafen

 

Der Husumer Hafen hat sich in den letzten hundert Jahren grundlegend verändert. Wo früher Segelschiffe fest machten und Waren gestapelt wurden, ist heute eine Art Fleet entstanden, ein beidseitig bebautes Becken, das mit den Gezeiten zweimal täglich leer läuft. Zwei Brücken trennen den alten Hafen von den modernen Wirtschaftsanlagen. Die eine trägt die Eisenbahntrasse der Marschbahn, die von Hamburg bis nach Westerland auf Sylt fährt. Bei der anderen handelt es sich um eine moderne Straßenbrücke, Teil der neuen Westtangente.

Die Hafenstraße dient mit ihren Geschäften und Restaurants den Touristen als Flaniermeile. Nach Osten erweitert sie sich zur Schiffbrücke, wo noch zu Storms Zeiten Fässer, Kisten und Ballen gestapelt wurden und von wo aus die Waren mit Karren zu den Speicherhäusern in der Stadt gebracht wurden. Ein Kran erleichterte den Arbeitern das Be- und Entladen der Schiffe. Die Slipanlage hinter dem neuen Rathaus auf der Hafensüdseite erinnert an die Husumer Schiffswerft, deren Anlagen heute weiter westlich im neuen Wirtschaftshafen liegen.

An den Kais der Hafenstraße und der Schiffbrücke legten Frachtensegler aus aller Welt an, denen Husum im 16. und 17. Jahrhundert seinen Reichtum verdankte. Die kleine Husumer Au, die unscheinbar im Osten durch die Zingelschleuse in den Hafen fließt, erweitert sich westlich des Hafens zur Hever, einem Gezeitenstrom, der durch das nordfriesische Wattenmeer verläuft. Der Strom verbindet den Hafen durch das Wattenmeer mit der offenen Nordsee. Diese breite Zufahrt gibt es erst, seit die Nordsee bei der großen Sturmflut von 1362, der großen „Manndränke“, bis nach Husum durchbrach. Erst nach diesem Ereignis konnte sich der Flecken Husum zur bedeutendsten Hafen- und Handelsstadt an der Westküste der Herzogtümer Schleswig und Holstein entwickeln. Mehr als 500 Schiffe fuhren einst unter dem Kommando Husumer Kapitäne nach England, Holland und Nordfrankreich, aber auch nach Übersee und landeten begehrte Waren an, die von Husum aus auf dem Landweg bis in den Ostseeraum transportiert wurden.

Der Hafen hat heute ausgedient; nur noch die „Nordertor“ liegt fest vertäut am Kai und wurde in einen Restaurationsbetrieb umgebaut. Die Husumer Stadtführer haben einen Pfahl in den Hafenschlick rammen lassen. Auf ihm sind durch Messingschilder die Wasserstände der großen Sturmfluten des 14. bis 20. Jahrhunderts markiert und lassen die Besucher schaudern.

 

 

An der Ost-Ecke der Schiffbrücke führt die schmale Twiete zur Großstraße. Hier stand das Haus von Storms Urgroßvater, dem Bierbrauer Johann Christian Feddersen und seiner Frau Magdalena. Immer wieder hat es Storm als Vorbild für seine Schilderungen Alt-Husumer Kaufmannshäuser benutzt, so in seinen Novellen „Immensee“ und „Carsten Curator“. Selbst die äußere Rahmenhandlung seines Alterswerks „Der Schimmelreiter“, den der greise Dichter 1887 in Hademarschen schrieb, spielt hier im Urgroßmutterhaus.

 

Und leise blähten sich die Segel und leise schwamm das Schiff; man hörte das Wasser vorn am Kiele glucksen. Nach einer Stunde hatten wir die nachbarliche große Insel hinter uns und trieben nun auf der breiten Meeresflut. Eine Möwe schwebte über dem Wasser dicht an uns vorüber; ich sah, wie ihre gelben Augen in die Tiefe bohrten. »Rungholt!« rief der Schiffer, der eben das Segel umgelegt hatte. […] Einst zu König Abels Zeiten, und auch später noch, stand es oben im Sonnenlichte mit seinen stattlichen Giebelhäusern, seinen Türmen und Mühlen. Auf allen Meeren schwammen die Schiffe von Rungholt und trugen die Schätze aller Weltteile in die Heimat; wenn die Glocken zur Messe läuteten, füllten sich Markt und Straßen mit blonden Frauen und Mädchen, die in seidenen Gewändern in die Kirche rauschten; zur Zeit der Äquinoktialstürme stiegen die Männer, wenn sie von ihren Gelagen heimkehrten, vorerst noch einmal auf ihre hohen Deiche, hielten die Hände in den Taschen und riefen hohnlachend auf die anbrüllende See hinab: »Trotz nu, blanke Hans!«

Theodor Storm: Eine Halligfahrt

 

 

Meeresstrand

 

An’s Haf nun fliegt die Möwe,

Und Dämm’rung bricht herein;

Über die feuchten Watten

Spiegelt der Abendschein.

 

Graues Geflügel huschet

Neben dem Wasser her;

Wie Träume liegen die Inseln

Im Nebel auf dem Meer.

 

Ich höre des gärenden Schlammes

Geheimnisvollen Ton,

Einsames Vogelrufen –

So war es immer schon.

 

Noch einmal schauert leise

Und schweiget dann der Wind;

Vernehmlich werden die Stimmen,

Die über der Tiefe sind.

 

 

Süderstraße

 

Von der Schiffbrücke führt die Krämerstraße zum Marktplatz. Verlässt der Besucher den Markt im Süden und wandert nach Osten, so geleitet ihn die Süderstraße hinaus aus der Stadt. Links hinter der Marienkirche stand das längst abgerisse Gebäude der im Jahre 1527 gegründeten Husumer Gelehrtenschule, die Theodor Storm von 1826 bis 1835 besuchte und wo er im Altsprachlichen Unterricht sein poetisches Handwerk lernte. Einige frühe Gedichte legen Zeugnis davon ab, dass sich bereits der Primaner zum Dichter berufen fühlte.

   

Ich will zum Kirchhofe gehen; es stillt die Unruhe, in den Blättern dieses grünen Stammbuches zu lesen. Auf dem Wege dahin sieht hie und da ein übrig gebliebener Treppengiebel vertraut auf mich herab. Ob droben in der Tertia der nun abgesetzten »Gelehrtenschule« das halbzerschnittene Pult noch steht, vor dem ich einst »Üb' immer Treu' und Redlichkeit« so weltvertrauend deklamierte? Mir ahnte damals noch nicht, daß die Redlichkeit nur soweit geübt werden dürfe, als sie nicht verboten ist. Jetzt weiß ich es und begreife nur nicht, warum man die Kinder Dinge lernen läßt, die ihnen später so gefährlich werden können.

Theodor Storm: Der Amtschirurgus – Heimkehr

 

Elegie

 

Bleib! Was fliehest du mich, Kalliope, liebliche Muse,

Einmal nur wende dein Aug lächelnd dem Sterblichen zu!

Doch sie eilet hinweg, sie flieht in die Arme Apollos;

Wehe, den Sterblichen ist keine der Himmlischen hold.

Lorbeer sprießet im Hain, hoch ragen die herrlichen Zweige,

Freund, doch nirgend erschaust du ein gebrochenes Reis.

 

Schon auf der Husumer Schule hatte ich mich in Versen versucht, aber es war eine inhaltslose Spielerei; in Lübeck wurde der Ton ein etwas anderer; aber es war immerhin nur noch ein schülerhaftes Flügelprüfen; auch aus der Universitätszeit ist nur Weniges stehn geblieben.

Theodor Storm: Entwürfe einer Tischrede

 

Rechts sieht man das Königliche Gymnasium, das vor einigen Jahren in ein Hotel umgebaut wurde. Der geräumige Klinkerbau von 1867 ersetzte die zu klein gewordenen Räume der alten Gelehrtenschule. Heute besuchen die Husumer Gymnasiasten längst zwei moderne Schulen in der Nähe des Bahnhofs. Die Hermann-Tast-Schule setzt die Tradition der Husumer Gelehrtenschule fort und bewahrt in ihrer Schulbibliothek neben wertvollen Büchern aus dem 15. bis 19. Jahrhundert viele Dokumente aus der Storm-Zeit. Vor dem von der Straßenflucht zurückspringenden Alten Gymnasium zeugt die 1872, also ein Jahr nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges, gepflanzte Eiche von der Friedens-Sehnsucht vieler Husumer, die kein martialisches oder vaterländisches Kriegerdenkmal setzen wollten.

 

 

Ein paar Schritte weiter nach Osten erreicht man das Haus Süderstraße 12, eines der fünf noch erhaltenen Gebäude in der Stadt, die Theodor Storm einst bewohnt hat. In dieses schmale Haus zog er mit der großen Familie ein, nachdem man ihn 1864 noch vor Beendigung der Kämpfe zwischen Dänen, Preußen und Österreichern in seiner Vaterstadt zum Landvogt gewählt hatte. Storm kündigte im preußischen Innenministerium, kehrte sofort aus dem Exil zurück und begann seine Arbeit, die Kriminal- und Zivilsachen sowie Vormundschafts- und Polizeiangelegenheiten umfasste. Von den Aufgaben eines solchen Landvogts erzählt er in seiner Novelle „Draußen im Heidedorf“. Am 20. Mai 1865 starb hier Constanze Storm an den Folgen der Geburt ihres siebten Kindes.

 

Tiefe Schatten

 

In der Gruft bei den alten Särgen

Steht nun ein neuer Sarg,

Darin vor meiner Liebe

Sich das süßeste Antlitz barg.

 

Den schwarzen Deckel der Truhe

Verhängen die Kränze ganz;

Ein Kranz von Myrtenreisern,

Ein weißer Syringenkranz.

 

 Was noch vor wenig Tagen

Im Wald die Sonne beschien,

Das duftet nun hier unten:

Maililien und Buchengrün.

 

Geschlossen sind die Steine,

Nur oben ein Gitterlein;

Es liegt die geliebte Tote

Verlassen und allein.

 

Vielleicht im Mondenlichte,

Wenn die Welt zur Ruhe ging,

Summt noch um die weißen Blüten

Ein dunkler Schmetterling.

 

 

Noch weiter hinaus liegt der Schützenhof (Süderstraße 42), der Storm als Schauplatz für den ersten Teil der Novelle „Pole Poppenspäler“ diente. Die Lektüre versetzt den Leser in die Atmosphäre der kleinen Stadt am Meer, wie sie um 1825 gewesen sein muss, als man vom Haus gegenüber nach Osten noch Wiesen und Felder sehen konnte.

Im Saal auf der ersten Etage des Schützenhofes lässt Storm den Mechanikus Joseph Tendler die Puppen tanzen und Paul verliebt sich in die kleine Lisei. Wenn Storm die beiden als Erwachsene wieder zusammenführt, dann erzählt er uns davon vor dem Hintergrund seines thüringischen Exils Heiligenstadt. Am Ende aber darf Paul seine Lisei nach Husum heimführen. Da hat der Dichter, ohne es zu wollen, die spätere Städtepartnerschaft zwischen Husum und Heiligenstadt vorweggenommen, die 1988 geschlossen wurde.

 

 

 

 

 

Neben unserer Haustür stand damals eine kleine weiße Bank mit grünen Stäben in den Rück- und Seitenlehnen, von der man nach der einen Seite die lange Straße hinab bis an die Kirche, nach der anderen aus der Stadt hinaus bis in die Felder sehen konnte. An Sommerabenden saßen meine Eltern hier, der Ruhe nach der Arbeit pflegend; in den Stunden vorher aber pflegte ich sie in Beschlag zu nehmen und hier in der freien Luft und unter erquickendem Ausblick nach Ost und West meine Schularbeit anzufertigen.

Theodor Storm: Pole Poppenspäler

 

 

 

St. Jürgen

 

Von der Süderstraße aus erreicht man über den Plan das Osterende, die Verlängerung der Norderstraße nach Osten. Zunächst geht man am Scharfrichterhaus vorüber, dessen Keller einst als Verlies für die Delinquenten vor ihrer Hinrichtung diente. Theodor Storm hat den letzten Gang des Raubmörders Peter Liekdoorn hin zum Galgenberg in seiner Novelle „Im Brauerhause“ anschaulich beschrieben. Ein paar Schritte weiter springt gleich rechts das mächtige Grab der Familien Woldsen und Storm ins Auge, wo Theodor Storm neben mehr als dreißig Mitgliedern seiner Familie die letzte Ruhe gefunden hat. Die Woldsens haben bedeutende Kaufleute und Bürgermeister der Stadt hervorgebracht; das Grab beherrscht zwischen den alten Linden den kleinen Friedhof St. Jürgen, der östlich vom Altenstift der Stadt Husum begrenzt wird.

 

Die Wände nach der Straße und nach dem Kirchhofe hatten eine Reihe Fenster, mit kleinen in Blei gefassten Scheiben; und in jeder fast war ein Name, meist aus mir bekannten angesehenen Bürgerfamilien, mit schwarzer Farbe eingebrannt; darunter „Speisemeister dahier anno –“ und dann folgte die betreffende Jahreszahl. „Siehst Du, das ist Dein Urgroßvater“, sagte Hansen, indem sie auf eine dieser Scheiben wies; „den vergesse ich auch nicht; mein Vater hat bei ihm die Handlung gelernt und später oft Rat und Tat bei ihm geholt; leider, in der schwersten Zeit, da hatte er schon seine Augen zugetan“.

Theodor Storm: In St. Jürgen

 

 

Seit dem 15. Jahrhundert hat hier ein Siechenhaus gestanden, wo die Präbendare wohnten, wie man die pflegebedürftigen Menschen noch heute nennt. Nach einem vorübergehenden Aufenthalt im aufgehobenen Franziskanerkloster wurde ein neues Gebäude um eine 1563 erbaute Kirche errichtet, die noch immer als Kapelle dient. Aus dieser Zeit stammt auch der Name „Kloster“, der sich im Volksmund erhalten hat.

Im Jahre 1571 konnte das neue „Gasthaus zum Ritter St. Jürgen“ eingeweiht werden. Nach vielen Umbauten erhielt es Ende des 19. Jahrhunderts eine historistische Backsteinfassade; auf einem Relief über dem Eingangstor kann man ihn sehen, den Heiligen Georg, wie er den Drachen tötet. Im Innenhof hängt die Klosterglocke aus dem Jahre 1505. In der Novelle „In St. Jürgen“ hat Storm diese mildtätige Stiftung seiner Vaterstadt anschaulich beschrieben.

Auf einer der großen Holztafeln im Eingangsbereich findet man den Namen von Theodor Storms Sohn Ernst, der 1908 Speisemeister war. Er bekannte sich damit zu einer Tradition, die bis heute fortgesetzt wird: Husumer Bürger übernehmen für einige Jahre ehrenamtlich die Verwaltung der Stiftung.

Das Grabgewölbe auf dem Kirchhof ist 6,6 m lang und reicht 3,2 m in die Tiefe. Errichtet wurde es 1807 von Storms Urgroßvater, dem Senator Friedrich Woldsen, und zwar aus Material der abgerissenen gotischen Marienkirche. Man kann noch heute Reste der Inschriften auf den großen Deckplatten entziffern, die einmal als Grabplatten auf dem Boden der alten Marienkirche gedient haben.

Hier musste Theodor Storm am 24. Mai 1865 seiner geliebten Constanze das letzte Geleit geben. Von diesem Tag zeugt ein ergreifendes Gedicht: „Tiefe Schatten“. Der Dichter selber starb am 4. Juli 1888 in seinem Haus in Hademarschen. Er wurde am 7. Juli unter großer Anteilnahme der Husumer in der Familiengruft beigesetzt.

Heute ist der alte Friedhof aufgehoben und die Familiengruft der Woldsens und Storms wurde in ein Denkmal umgestaltet. Storm-Freunde aus aller Welt besuchen das Grab und legen einen stillen Blumengruß vor  das von mächtigen Linden beschattete Grabgewölbe.

 

Dat is de Dot, de Allens fritt,

Nimmt Kunst un Wetenschop di mit;

De kloke Mann is nu vergån,

Gott gäw em selik Uperstån.

Theodor Storm: Der Schimmelreiter

 

 

 

 

 

Theodor Storm 1817 - 1888

 

Elternhaus, Vorfahren, Schule und Studium (1817-1842)

 

1817                Hans Theodor Woldsen Storm wird am 14. September in Husum, Markt 9, als Sohn des Rechtsanwalts Johann Casimir Storm (1790-1874) geboren; Mutter: Lucie, geb. Woldsen (1797-1879).

1826                               Theodor tritt in die Quarta der Husumer Gelehrtenschule ein und erwirbt eine humanistische Grundbildung.

1834                Erste Gedichtveröffentlichung „Sängers Abendlied“ im Husumer Wochenblatt vom 27. Juli 1834.

1835                Im Herbst Umschulung in die Prima des Katharineums in Lübeck; dort Freundschaft mit Ferdinand Röse, der ihn mit zeitgenössischer Literatur bekannt macht.

1837                Beginn des Jura-Studiums in Kiel; Storm schreibt ein Märchen und Gedichte für Bertha von Buchan.

1839                Rückkehr zur Universität Kiel; Freundschaft mit Theodor und Tycho Mommsen.

1842                Bertha von Buchan weist Theodors Heiratsantrag zurück. Juristisches Staatsexamen in Kiel. Beginn der Sammlung von Sagen  aus Schleswig-Holstein. Seit Herbst lebt Theodor wieder in Husum.

 

Als Rechtsanwalt in Husum (1843-1852)

 

1843                Zunächst arbeitet Storm in der väterlichen Kanzlei; Anfang des Jahres eröffnet er eine eigene Rechtsanwaltspraxis; Gründung eines gemischten Gesangvereins.

                       Veröffentlichungen im „Volksbuch auf das Jahr 1844“ und im „Liederbuch dreier Freunde“.

1844                Verlobung mit seiner Cousine Constanze Esmarch, Tochter des Bürgermeisters von Segeberg. Teilnahme am Nordfriesenfest in Bredstedt.

1845                Einzug in das Haus Neustadt 56. Karl Müllenhoff gibt die Sagensammlung mit vielen Beiträgen von Storm zum Druck.

1846                Eheschließung mit Constanze; aus dieser Eher entstammen sieben Kinder. Weitere Arbeiten für die „Volksbücher“.

1847                Liebesverhältnis zu Dorothea Jensen, leidenschaftliche Liebesgedichte, z. B. „Rote Rosen“; „Marthe und ihre Uhr“ im „Volksbuch“ veröffentlicht.

1848                Storm engagiert sich für die nationale Unabhängigkeit Schleswig-Holsteins und verfasst Berichte für die „Schleswig-Holsteinische Zeitung“ aus seiner Vaterstadt Husum.

1850                Niederlage der Schleswig-Holsteiner bei Idstedt; Beschießung von Friedrichstadt.

1852                Storms Bestallung als Rechtsanwalt wird kassiert; er ist nicht bereit, eine Loyalitätserklärung gegenüber der Dänischen Krone abzugeben.

                       Stellungssuche, erste Reise nach Berlin. Mit der Veröffentlichung von „Immensee“ wird Storm im deutschsprachigen Kulturraum als Dichter bekannt.

                       Die erste Sammlung der „Gedichte“ erscheint.

 

Im preußischen Exil (1853-1864)

 

1853                Storm bemüht sich in Berlin um eine Stelle im preußischen Justizdienst; schließlich wird er zum preußischen Gerichtsassessor ernannt; Wohnung in Potsdam.

                       Storm schließt sich dem „Tunnel über der Spree“ an. Bekanntschaft mit Fontane, Paul Heyse, Franz Kugler, Friedrich Eggers u.a.

1856                Ernennung zum Kreisrichter in Heiligenstadt; Übersiedlung nach Thüringen. In Heiligenstadt entstehen bedeutende Erzählungen, so die Novellen „Auf dem Staatshof“ und „Veronika“,

                       in denen Storm seine zunehmend kritischere gesellschaftspolitische Position darstellt.

1862                „Knecht Ruprecht“; neben der Novelle „Im Schloß“, in der er seine demokratische Gesinnung  veranschaulicht, konzipiert Storm eine Reihe von Märchen

                       („Bulemanns Haus“, „Die Regentrude“, „Der Spiegel des Cyprianus“).

 

Landvogt und Amtsrichter in Husum (1864-1880)

 

1864                In Folge des Deutsch-Dänischen Krieges besiegen preußisch-österreichische Truppen die Dänen. Storm wird zum Landvogt von Husum gewählt; er scheidet aus dem preußischen Staatsdienst aus

                        und kehrt nach Husum zurück. Im März tritt Storm sein Landvogt-Amt in Husum an.

1865                Tod Constanzes. Gedichtzyklus „Tiefe Schatten“; Novelle „Von Jenseit des Meeres“. Reise nach Baden-Baden zu Iwan Turgenjew.

1866                Vermählung mit Dorothea Jensen; Umzug in das Haus Wasserreihe 31, wo Storms achtes Kind geboren wird.

1868                Nach Aufhebung des Amtes des Landvogts wird Storm preußischer Amtsrichter; die erste Auflage der „Sämtlichen Schriften“ erscheint.

1870                Storm stellt das „Hausbuch aus deutschen Dichtern seit Claudius. Eine kritische Anthologie“ zusammen.

1872                „Draußen im Heidedorf“; Reise nach Leopoldskron bei Salzburg.

1874                Ernennung zum Oberamtsrichter; „Pole Poppenspäler“ entsteht als Auftragsarbeit; es handelt sich um Storms einzige eigens für die Jugend geschriebene Erzählung.

1876                „Aquis submersus“; „Meine Erinnerungen an Eduard Mörike“. Storms Söhne belasten durch überlange Studienzeiten die familiären Finanzen.

1877                Beginn der Freundschaft und des Briefwechsels mit Gottfried Keller und mit Erich Schmidt; „Carsten Curator“. Storms Novellistik entwickelt sich in Richtung auf eine kompromisslose Realistik.

1878                In der Novelle „Renate“ thematisiert Storm gesellschaftspolitische Veränderungen seiner Zeit im Gewand der Geschichtserzählung (Chroniknovellen).

1879                Gedicht „Geh nicht hinein“, eine auf die Moderne verweisende Auseinandersetzung mit dem Tod.

1880                Storm wird auf eigenen Wunsch pensioniert und beschließt, mit seiner Familie Husum zu verlassen.

 

Alter in Hademarschen (1880-1888)

 

1880                Umzug nach Hademarschen, um „als Poet noch eine neue Periode zu beginnen“; Neubau einer großzügigen Villa; „Die Söhne des Senators“.

1881/2             Mit seinen Erzählungen  „Der Herr Etatsrat“ und  „Hans und Heinz Kirch“ setzt Storm die Kritik am Bürgertum der Gründerzeit fort und thematisiert den Verfall der Familie.

1886                Reise nach Weimar zur Jahresversammlung der „Goethe-Gesellschaft“; Beginn der Niederschrift des „Schimmelreiters“. Schwere Krankheit. Tod des ersten Sohnes Hans.

1887                „Ein Doppelgänger“; „Ein Bekenntnis“; Reise nach Sylt; „Sylter Novelle“ (Fragment). Zur Feier seines 70. Geburtstags wird der Dichter in ganz Deutschland geehrt. Arbeiten am „Schimmelreiter“.

1888                Vollendung der Novelle „Der Schimmelreiter“; Tod Storms am 4. Juli; Beisetzung am 7. Juli in der Familiengruft auf dem Husumer St. Jürgen-Friedhof.

 

 

 

Die Gedichte und Zitate Storms sind folgenden Ausgaben entnommen:

Theodor Storm: Sämtliche Werke in 4 Bänden. Herausgegeben. von Karl Erst Laage und Dieter Lohmeier. Frankfurt a.M. 1987/89.

Theodor Storm: Anekdoten, Märchen, Sagen und Sprichwörter aus Schleswig-Holstein. Herausgegeben von Gerd Eversberg. Heide 2005.

Theodor Storm: Gedichte. Herausgegeben. von Gerd Eversberg. Heide 2007.

Theodor Storm: Briefe. Herausgegeben von Peter Goldammer. 2 Bände, 2. Auflage Berlin 1984.

 

Alle Abbildungen: Storm-Archiv Husum

 

Literaturhinweise

Karl Ernst Laage: Theodor Storm. Leben und Werk. Husum 1989.

Karl Ernst Laage: Theodor Storm in Husum und Nordfriesland. Heide, 2. Auflage 1988.

Ulf von Hielmcrone: Husum. Kleiner Führer durch die Storm-Stadt. Husum, 2. Aufl. 1995.

Gerd Eversberg: Theodor Storm lässt grüßen. Beobachtungen im Land des Schimmelreiters. Heide 2009.

 

 

Anschrift:

Theodor-Storm-Gesellschaft
Wasserreihe 31
D − 25813 Husum

Tel.: 04841 8038630

Das Storm-Museum in der Wasserreihe 31 zeigt Handschriften, Dokumente, Möbel, Bilder und Bücher von Theodor Storm und seiner Familie.

Zusammen mit dem Archiv bildet es das Theodor-Storm-Zentrum Husum, das von der Theodor-Storm-Gesellschaft unterhalten wird. Es handelt sich um die weltweit umfangreichste Sammlung von Handschriften, Dokumenten und Büchern zu Theodor Storm und dient der internationalen Storm-Forschung als Grundlage für Editionen und Publikationen zu Leben und Werk des Husumer Dichters, eines bedeutenden poetischen Realisten des 19. Jahrhunderts.

Öffnungszeiten:

April-Oktober: Di.-Fr. 10-17 Uhr, Sa. 11-17 Uhr, So. u. Mo. 14-17 Uhr;
Nov.-März: Di., Do. u. Sa. 14-17 Uhr.

 

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