3. Hauke als Gehilfe des Deichgrafen

 

In der Stube des Deichgrafen; auf dem Tisch brennen zwei Unschlittkerzen, vor den beiden in Blei gefassten Fenstern sind von außen die Läden vorgeschlagen und von innen zugeschroben; draußen poltert der Wind.

Deichgraf (ruft nach draußen) He, Hauke, komm herein;
nun magst Du weisen,
ob Du rechnen kannst!

Hauke (von draußen)    Uns’ Weert, ich soll aber erst
das Jungvieh füttern!

Deichgraf          Elke! Wo bist Du, Elke! –
Geh’ zu Ole und sag’ ihm,
er sollte das Jungvieh füttern;
Hauke soll rechnen!

Elke (draußen)  Hauke soll kommen.
Der Wirt will, dass du
Haukes Arbeit machst, Ole Petersen!

Ole Peters (schlägt draußen mit einer Trense gegen den Ständer):

                         Hol’ der Teufel den verfluchten Schreiberknecht!

Elke und Hauke treten ein.

Deichgraf          Nun?

Elke                  Ole will es schon besorgen.

Sie setzt sich Hauke gegenüber auf einen grobgeschnitzten Holzstuhl, nimmt aus einem Schubkasten einen weißen Strumpf mit rotem Vogelmuster, an dem sie nun weiterstrickt. Hauke setzt sich ihr gegenüber an den Tisch und vertieft sich in seine Rechnerei. Der Deichgraf ruht in seinem Lehnstuhl und blinzelt schläfrig nach Hauke’s Feder. Mitunter hebt Hauke seinen Kopf von der Arbeit und blickt einen Augenblick nach den Vogelstrümpfen oder nach dem schmalen ruhigen Gesicht des Mädchens. Aus dem Lehnstuhl hör man plötzlich einen lauten Schnarcher, und ein Blick und ein Lächeln fliegen zwischen den beiden jungen Menschen hin und wider; dann folgt allmählich ein ruhigeres Atmen.

Hauke Haien     Wo hast Du das gelernt, Elke?

Elke                  Was gelernt?

Hauke Haien     Das Vogelstricken.

Elke                  Das? Von Trien’ Jans
draußen am Deich;
sie kann allerlei;
sie war vor Zeiten einmal
bei meinem Großvater
hier im Dienst.

Hauke Haien     Da warst Du aber wohl
noch nicht geboren?“

Elke                  Ich denk wohl nicht; aber
sie ist noch oft ins Haus gekommen.

Hauke Haien     Hat denn die die Vögel gern?
Ich meint’, sie hielt es nur mit Katzen!

Elke                  Sie zieht ja Enten und verkauft sie;
aber im vorigen Frühjahr,
als Du den Angorer totgeschlagen hattest,
sind ihr hinten im Stall
die Ratten dazwischen gekommen;
nun will sie sich vorn am Hause
einen anderen bauen.

Hauke Haien     So, dazu hat sie von der Geest
sich Lehm und Steine hergeschleppt!
Aber dann kommt sie in den Binnenweg; –
hat sie denn Konzession?

Elke                  Weiß ich nicht.

Der Deichgraf fährt aus seinem Schlummer auf.

Deichgraf          Was Konzession?
Was soll die Konzession?

Hauke Haien     Die alte Trien’ Jans hat sich
 einen Entenstall gebaut und ist damit
in den Binnenweg am Deich gekommen.
Dazu braucht sie eine Konzession, uns Werth.

Deichgraf          Ei was, der Binnenweg ist breit genug;
Gott tröst’ den Deichgrafen, sollt’ er sich
auch noch um die Entenställe kümmern!

Hauke Haien     Aber uns’ Weert, es tät’ wohl Dem
und Jenem ein kleiner Zwicker gut,
und wollet Ihr ihn nicht selber greifen,
so zwicket den Obervollmächtigen,
der auf die Deichordnung passen soll!

Deichgraf          Wie, was sagt der Junge?

Hauke Haien     Ja, uns’ Weert. Ihr habt doch schon
die Frühlingsschau gehalten;
aber trotzdem hat Peter Jansen
auf seinem Stück
das Unkraut nicht gebuscht;
im Sommer werden
die Stieglitzer da wieder
lustig um die roten
Distelblumen spielen!
Und dicht daneben,
ich weiß nicht, wem’s gehört,
ist an der Außenseite
eine ganze Wiege in dem Deich;
bei schön Wetter immer
liegt es voll von kleinen Kindern,
die sich darin wälzen; aber –
Gott bewahr’ uns vor Hochwasser! –
Und dann ...

Deichgraf          Was dann noch Junge?
Bist Du noch nicht fertig?

Hauke Haien     Ja, dann, uns’ Weert;
Ihr kennt die dicke Vollina,
die Tochter vom Gevollmächtigten Harders,
die immer ihres Vaters Pferde aus der Fenne holt, –
wenn sie nur eben mit ihren runden Waden
auf der alten gelben Stute sitzt,
hü hopp! so geht’s allemal schräg
an der Dossierung den Deich hinan!

Der Deichgraf schlägt mit der Faust auf den Tisch.

Deichgraf          Da soll das Wetter dreinschlagen!“
Zur Brüche! Notier’ mir das dicke Mensch
zur Brüche, Hauke, zur Brüche!
Die Dirne hat mir im letzten Sommer
drei junge Enten weggefangen!
Ja, ja, notier’ nur, ich glaub’ sogar,
es waren ihrer vier!

Elke                  Ei, Vater“, war’s nicht die Otter,
die die Enten nahm?

Deichgraf          Eine große Otter! Werd’ doch
die dicke Vollina und eine Otter
auseinander kennen!
Nein, nein, vier Enten, Hauke! –
Aber was Du im Übrigen schwatzest,
der Oberdeichgraf und ich,
nachdem wir zusammen hier
in meinem Hause gefrühstückt hatten,
sind im Frühjahr an Deinem Unkraut
und an Deiner Wiege vorbeigefahren
und haben’s doch nicht sehen können.
Ihr Beide aber danket Gott,
dass ihr nicht Deichgraf seid!
Zwei Augen hat man nur und
mit hundert soll man sehen. – –
Nimm dir die Rechnungen , Hauke,
und sieh sie nach;
die Kerls rechnen oft zu liederlich!

Der Deichgraf lehnt sich wieder in seinen Stuhl zurück, ruckt den schweren Körper ein paar Mal, und überlässt sich bald dem sorgenlosen Schlummer.

 

 

 

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