6. Haukes Vision

 

Elke auf der Warft des Deichgrafenhofes, dann Hauke

Hauke Haien     Sie reden im Wirtshaus und klagen
über die neuen Deichlasten;
alle Sielen und Schleusen,
die sonst immer gehalten hätten,
seien jetzt reparaturbedürftig;
am Deiche fänden sich immer neue Stellen,
die Hunderte von Karren Erde nötig hätten,
der Teufel möchte die Geschichte holen!

Elke:                 Lass sie; die wären Alle gern, was Du bist!

Hauke:              Aber Ole Peters sagte ihnen:
„Der alte wurde Deichgraf von seines Vaters,
der neue von seines Weibes wegen.“

Elke                  Hat denn Ole Peters sich
nicht selber eingefreit?

Hauke Haien     Das hat er, Elke; aber was er mit Vollina freite,
das reichte nicht zum Deichgrafen!

Elke                  Sag lieber: er reichte nicht dazu!
Hier steht der Deichgraf.
Nur wer ein Amt regieren kann, der hat es!

Hauke Haien     Du hast nicht unrecht, und doch ...
Nun, Elke; ich muss zur Osterschleuse;
die Türen schließen wieder nicht!

Elke                  Komm, sieh mich erst einmal an!
Was hast Du, Deine Augen sehen so ins Weite?

Hauke Haien     Das Vorland dort, direkt am Deich.
Das lässt sich dämmen!

Elke                  Aber der starker Meeresstrom,
der fast das ganze Vorland von dem Festlande trennt
und zu einer Hallig macht ...

Hauke Haien     Ich will, dass das große Vorland,
das unserer Hofstatt gegenüber beginnt
und dann nach Westen ausgeht,
zu einem festen Kooge eingedeicht werde:
die hohen Fluten haben fast
ein Menschenalter uns in Ruh’ gelassen;
wenn aber eine wiederkommt
und den Anwachs stört,
so kann mit einem Mal
die ganze Herrlichkeit zu Ende sein;
nur der alte Schlendrian
hat das bis heut’ so lassen können!

Elke                  So schiltst Du Dich ja selber!

Hauke Haien     Das tu’ ich, Elke; aber es war bisher
auch so viel Anderes zu beschaffen!

Elke                  Ja, Hauke; gewiss, Du hast genug getan!

Hauke Haien     Das gäbe einen Koog von circa tausend Demat,
nicht groß just; aber ...

Elke                  Hast Du denn guten Mut dazu?

Hauke Haien     Das hab’ ich, Elke!

Elke                  Sei nicht zu rasch, Hauke;
das ist ein Werk auf Tod und Leben;
und fast Alle werden Dir entgegen sein,
man wird Dir Deine Müh’ und Sorg’ nicht danken!

Hauke Haien     Ich weiß!

Elke                  Und wenn es nun nicht gelänge!
Von Kindesbeinen an hab’ ich gehört,
der Priel sei nicht zu stopfen,
und darum dürfe nicht daran gerührt werden.

Hauke Haien     Das war ein Vorwand für die Faulen!
Weshalb denn sollte man den Priel
nicht stopfen können?

Elke                  Das hört’ ich nicht; vielleicht,
weil er gerade durchgeht;
die Spülung ist zu stark.
Als ich Kind war, hörte ich
einmal die Knechte darüber reden;
sie meinten, wenn ein Damm dort halten solle,
müsse was Lebigs da hineingeworfen
und mit verdämmt werden;
bei einem Deichbau auf der anderen Seite,
vor wohl hundert Jahren,
sei ein Zigeunerkind verdämmt worden,
das sie um schweres Geld
der Mutter abgehandelt hätten;
jetzt aber würde wohl Keine
ihr Kind verkaufen!

Hauke Haien     Da ist es gut, dass wir keins haben;
sie würden es sonst noch von uns verlangen!

Elke                  Sie sollten’s nicht bekommen!

Hauke lacht.

                         Und die ungeheuren Kosten?
Hast Du das bedacht?

Hauke Haien     Das hab’ ich, Elke; was wir dort herausbringen,
wird sie bei Weitem überholen,
auch die Erhaltungskosten des alten Deiches
gehen für ein gut Stück in dem neuen unter;
wir arbeiten ja selbst und haben auch
über achtzig Gespanne in der Gemeinde,
und an jungen Fäusten ist hier auch kein Mangel.
Du sollst mich wenigstens nicht umsonst
zum Deichgrafen gemacht haben, Elke;
ich will ihnen zeigen, dass ich einer bin!

Elke                  Ich muss weiter zu meinem Tagewerk,
tu’ Du das Deine, Hauke!

Hauke Haien     Amen, Elke! Arbeit ist für uns Beide da!

Elke ab.

Hauke Haien     Es muss gehen! Sieben Jahr’ im Amt;
sie sollen nicht mehr sagen, dass ich nur
Deichgraf bin von meines Weibes wegen!

 

 

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