7. Erscheinung auf der Hallig

 

Iven Johns und Carsten in der Abenddämmerung auf dem Deich

 

Carsten             Komm, Iven, das ist nichts Gutes;
lass uns nach Hause gehen!

Iven Johns        Ei was! Es ist eine lebige Kreatur,
eine große! Wer, zum Teufel,
hat sie nach dem Schlickstück hinaufgejagt!

Carsten             Wonach guckst Du denn so?

Iven Johns        Sieh’ nur, nun reckt’s
den Hals zu uns hinüber!
Nein, es senkt den Kopf;
es frisst! Ich dächt’, es wär’
dort nichts zu fressen!
Was es nur sein mag?

Carsten             Oha! Da geht ein Pferd – ein Schimmel –
das muss der Teufel reiten –
wie kommt ein Pferd nach Jevershallig?

Iven Johns        Weiß nicht, Carsten;
wenn’s nur ein richtiges Pferd ist!

Carsten             Ja, ja, Iven; sieh nur,
es frisst ganz wie ein Pferd!
Aber wer hat’s dahin gebracht;
wir haben im Dorf so große Böte gar nicht!
Vielleicht auch ist es nur ein Schaf;
Peter Ohm, sagt, im Mondschein
wird aus zehn Torfringeln ein ganzes Dorf.
Nein, sieh! Nun springt es –
es muss doch ein Pferd sein!

Der Mond scheint durch die Wolken.

Iven Johns        Es wird heller, ich sehe deutlich
die weißen Schafgerippe schimmern!

Cartsen             Ich auch. Iven, das Pferdegerippe,
das sonst dabei lag, wo ist es?
ich kann’s nicht sehen!

Iven Johns        Ich seh’ es auch nicht! Seltsam!

Carsten             Nicht so seltsam, Iven! Mitunter,
ich weiß nicht, in welchen Nächten,
sollen die Knochen sich erheben
und tun, als ob sie lebig wären!

Iven Johns        So? – Das ist ja Altweiberglaube!

Carsten             Kann sein, Iven.

Iven Johns        Hör’, Carsten! Du giltst ja
für einen Allerweltsbengel; ich glaub’,
Du möchtest das am liebsten selber untersuchen!

Carsten             Ja, das möchte’ ich, Iven!

Iven Johns        Ist das Dein Ernst? –
Dann lösen wir unser Boot;
Du fährst nach Jeverssand;
ich bleib’ so lange auf dem Deiche stehen.

Carsten             „Ja, das geht!
Ich nehme meine Peitsche mit!

Iven Johns        „Tu das!“

Carsten             Mach’ nur das Boot los, Iven!

Iven Johns        Nun, steig nur ein! Ich bleib’,
bis Du zurück bist!
Zu Osten musst Du anlegen;
da hat man immer landen können!

Der Junge fährt mit seiner Peitsche in die Mondnacht hinaus; der Knecht wandert unterm Deich zurück und besteigt ihn wieder an der Stelle, wo sie vorhin gestanden haben. Bald sieht er aus der Dämmerung den Jungen gegen sich am Deich.

Iven Johns        Nun, Carsten, was war es?

Carsten             Nichts war es! – Noch kurz
vom Boot aus hatte ich es gesehen;
dann aber, als ich auf der Hallig war –
der Henker weiß,
wo sich das Tier verkrochen hatte;
der Mond schien doch hell genug;
 als ich aber an die Stelle kam,
war nichts da als die bleichen Knochen
von einem halben Dutzend Schafen,
und etwas weiter lag auch noch
das Pferdsgerippe mit seinem weißen Schädel
und ließ den Mond in seine leeren Augenhöhlen scheinen!

Iven Johns        Hm! – Hast auch recht zugesehen?

Carsten             Ja, Iven, ich stand dabei;
ein gottvergessener Kiewiet,
der hinter dem Gerippe sich zur Nachtruh’ hingeduckt
flog schreiend auf, dass ich erschrak
und ein paar Mal mit der Peitsche klatschte.

Iven Johns        Und das war Alles?

Carsten             Ja, Iven; ich weiß nicht mehr.

Iven Johns        Es ist auch genug! –
Dort, siehst Du etwas, Carsten?

Carsten             Wahrhaftig, da geht’s ja wieder!

Iven Johns        Wieder? Ich hab’ die ganze Zeit hinübergeschaut;
es ist gar nicht fortgewesen;
Du gingst ja gerade auf das Unwesen los!

                         Komm! wir wollen nach Haus.
Von hier aus geht’s wie lebig,
und drüben liegen nur die Knochen –
das ist mehr, als Du und ich begreifen können.
Schweig aber still davon, man darf
dergleichen nicht verreden!

 

 

 

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