Ehm Welk: Mutafo
Das Ding, das durch den Wind geht.
1955 erschien im Berliner Eulenspiegelverlag ein merkwürdiges Buch mit einem noch merkwürdigeren Titel: „Mutafo. Das ist das Ding, das durch den Wind geht.“ Der Untertitel lautet: „Die unglaublichen Geschichten der rühmlichen christlichen Seefahrer Thomas Trimm und William Steinert; aufgezeichnet von Toby Swagger; aus dem Slangamischen übertragen, bearbeitet, und neu an den Tag gebracht von Ehm Welk. In 116 Bildern festgehalten von William Steinert.“
Schutzumschlag
Schlägt man das Buch auf, so fällt zunächst das handgeschriebene Titelblatt auf; dieser originellen Gestaltung entspricht das ganze Buch, dem 116 Zeichnungen (Lithographien) des Graphikers Willi Steinert beigegeben sind. Die graphische Gestaltung (Titel, Kapitelanfänge, Karte auf dem vorderen und hinteren Vorsatz, das Impressum sowie die Bildunterschriften stammen von Heinz Bormann, der auch„den Schutzumschlag zustande brachte“.
Alle Abbildungen sind mit handschriftlichen Texten versehen und von guter Druckqualität.
Die dritte Auflage von 1960 macht einen hochwertigeren Eindruck; Satz und Druck stammen von der Betriebsberufschule Rudi Arndt in Berlin. Hier wurden seit Anfang der 50er Jahre die Drucker und Setzer, Layouter und Buchbinder für alle Druckereien Berlins und den Norden der DDR ausgebildet. In den Bleisatz sind die Zeichnungen als Lithographien integriert.
Der Buchumschlag, Halbleder mit goldgeprägtem Rücken und rotem Seidenstoff wurde von der Leipziger Buchbinderwerkstatt Föste, Lüddecke, Böhnisch & Co., Leipzig hergestellt.
Zum Buch gehört noch die Broschüre „Was ist Was? Kleine Mutafo-Enzyklopädie“. Sie enthält auf neun Seiten (Format 9,2 x 14 cm) Erläuterungen zum Text.
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Zwischen Kaiserreich und Sozialismus Der Journalist und Schriftsteller Ehm Welk
Ehm Welk, eigentlich: Gustav Emil Welk, Pseudonym: Thomas Trimm (* 29. August 1884 in Biesenbrow; † 19. Dezember 1966 in Bad Doberan), war ein deutscher Schriftsteller, Journalist, Volkshochschulgründer und Professor. Seinen Spitznamen Ehm nutzte er als Rufnamen. Emil Welk wurde als Sohn eines Milchkühlers des Meierei-Unternehmens Bolle in Biesenbrow (heute Ortsteil von Angermünde) geboren. Nach dem Besuch der Dorfschule verließ er mit 16 Jahren das Elternhaus. Dem Wunsch des Vaters Gottlieb Welk (* 1847) nach sollte er den Beruf eines Lehrers einschlagen. Von 1900 bis 1905 lebte er in Stettin, wo er eine kaufmännische Ausbildung in einer Weingroßhandlung absolvierte. Die kaufmännische Arbeit machte Welk wenig Freude, und er wandte sich dem Journalismus zu. 1904 wurde er zunächst Volontär bei der Stettiner Abendpost, später Mitarbeiter bei den liberalen Stettiner Neuesten Nachrichten, daraufhin Chefredakteur bei der Provinzial-Zeitung Geestemünde-Bremerhaven. Anschließend arbeitete er journalistisch für verschiedene Zeitungen in Norddeutschland. In dieser Zeit begann er mit eigener literarischer Arbeit an einem Schauspiel über Klaus Störtebecker. Ab 1909 war er für drei Monate als Chefredakteur der Stolper Neusten Nachrichten tätig. Von 1910 an lebte er in Braunschweig und war Chefredakteur des Braunschweiger Allgemeinen Anzeigers. Bei einer Nachmusterung im Sommer 1915 wurde als kriegsverwendungsfähig eingestuft und Ende des Jahres zu einer Infanterie-Division eingezogen. Sein Einsatz führte ihn als Sanitätshundeführer nach Mazedonien. Dort infizierte er sich mit Malaria und erkrankte lebensbedrohlich. Während seiner Genesung im Lazarett in Bad Saarow begann er Antikriegsgeschichten zu schreiben. Seine Entlassung im Juli 1917 bezog sich sowohl auf die Krankenstation als auch das kaiserliche Heer. Über Biesenbrow kehrte Welk 1918 zum „Braunschweiger Anzeiger“ zurück. Ab 1919 arbeitete er als Chefredakteur der Braunschweiger Morgenzeitung. Im gleichen Jahr wurde er Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP).
um 1930 Während dieser Zeit erlebte er unmittelbar die Novemberrevolution in Braunschweig und ihre Auswirkungen mit. Seine Erlebnisse bildeten später die Grundlage für den Roman Im Morgennebel, der in wenig verschlüsselter Form reale Ereignisse und Personen im Braunschweig jener Zeit schildert. Der Roman, an dem Welk lange arbeitete, lag schließlich 1940 als Manuskript vor, wurde aber erst 1953 in der DDR veröffentlicht. 1922 reiste er in die USA und nach Lateinamerika. Ein Jahr später kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete als Schriftsteller und Journalist vor allem in Berlin und Umgebung. Zwei revolutionäre Dramen, Gewitter über Gottland (1926) und Kreuzabnahme (1927), lösten Skandale aus und mussten – trotz ihres Erfolges beim Publikum – vom Spielplan genommen werden. |
Zur Zeit der Machtergreifung Hitlers war Ehm Welk Chefredakteur der Grünen Post. In dieser Position veröffentlichte er am 29. April 1934 unter dem Pseudonym Thomas Trimm in dem Blatt einen offenen Brief, in dem er auf die zynische These Joseph Goebbels’, die schreibende Zunft in Deutschland solle doch einfach etwas mutiger sein, anstatt über die NS-Zensur zu jammern, konterte. „Sie sind, Herr Reichsminister,“ schrieb er „ein Freund des Witzes und der Ironie“. Die Zeitung wurde daraufhin für drei Wochen verboten, ihr Chefredakteur am 1. Mai 1934 um 1.30 Uhr verhaftet und kurzzeitig im KZ Oranienburg interniert. Nach seiner Freilassung, die vor allem auf massive Proteste von Journalistenkollegen aus dem Ausland zurückzuführen war, wurde er zur unerwünschten Person erklärt und mit bedingtem Berufsverbot belegt.
1937
Der Literat siedelte 1935 mit seiner ebenfalls schriftstellerisch tätigen Frau Agathe Lindner-Welk (bekannt durch den Roman Juliane Wied) – er war von 1924 bis zu seinem Tode mit ihr verheiratet – nach Lübbenau/Spreewald über und begann erneut mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit, verfasste allerdings nur noch (mindestens scheinbar) „unpolitische Bücher“. 1940 zog Ehm Welk nach Neuenkirchen bei Stettin, wo er die Protektion des Landeskulturverwalters für Pommern Kuno Popp genoss. Seit 1935 entstanden die Erfolgsromane Die Heiden von Kummerow (1937), Die Lebensuhr des Gottlieb Grambauer (1938) und Die Gerechten von Kummerow (1943), die mit viel Humor das Leben in norddeutschen Dörfern schildern. Man nimmt heute an, dass in der Person des Martin Grambauer autobiografische Züge des Autors verarbeitet sind. In der Figur des Gottlieb Grambauer setzte er seinem Vater Gottfried Welk ein literarisches Denkmal. In seinen Schilderungen des Dorflebens „hält Welk mit seiner realistischen und kritischen Sicht“ deutlichen Abstand zum NS-Regime und wird daher zu den Autoren einer „Inneren Emigration“ während der Zeit des Nationalsozialismus gezählt. 1945 musste Welk infolge der Vertreibung Neuenkirchen, das zu Polen kam, verlassen und erhielt eine Einladung vom Landrat Ueckermünde, der er im Juli 1945 folgte. Hier nahm er eine Tätigkeit auf dem Landratsamt an und trat in die KPD ein. Große Mühe verwandte er auf die Gründung der Kreisgruppe des Kulturbundes von Ueckermünde, deren erster Leiter er wurde. Im Februar 1946 wechselte er nach Schwerin. Hier schrieb er im Sommer 1946, dass er nun seine Aufgabe in der geistigen Erneuerung der Menschen sehe und verließ deshalb für einige Jahre seine literarische Laufbahn. Er gründete im Land Mecklenburg sechs Volkshochschulen. 1946 wurde er Direktor der Volkshochschule in Schwerin. Zur Erinnerung an den Neugründer wurde der Volkshochschule Schwerin 1986 der Name „Ehm Welk“ verliehen.[4] Mit der Aktivierung des PEN-Clubs wurde er 1949 als Mitglied berufen. In dieser Zeit erschien „Der Nachtmann“ im Aufbau-Verlag. Ein Jahr später zog er nach Bad Doberan und wandte sich wieder intensiv der literarischen Arbeit zu.
Welks Wohnhaus in Bad Doberan, Dammchaussee 23, wurde auf seinen
Wunsch hin 1979 als kulturelle Begegnungsstätte der Öffentlichkeit übergeben.
Teile des Ehm Welk-Hauses dienen heute als Ausstellungsräume und werden für
Lesungen oder kleine Konzerte genutzt. Auf dem Vorplatz wurde das von seinem
Freund, dem Bildhauer Reinhard Schmidt, geschaffene Relief „Die Heiden von
Kummerow“ aufgestellt. |
1956 erschien in Westdeutschland die ebenfall aufwändig gestaltete Ausgabe des Düsseldorfer Droste-Verlags.
Mutafo. Das ist: Das Ding, das durch den Wind geht. Die unglaublichen Geschichten der rühmlichen christlichen Seefahrer Thomas Trimm und William Steinert. Aufgezeichnet von Toby Swagger; aus dem Slangamischen übertragen, bearbeitet, und neu an den Tag gebracht von Ehm Welk. In 116 Bildern festgehalten von William Steinert. Düsseldorf: Droste Verlag 1956.
Der langjährige Leiter des Rostocker Hinstorff-Verlags, Konrad Reich, schreibt in seiner Biographie: „Aber noch sonderbarer sind die Geschichten selbst, wirklich-wahre und erfunden-wahre, wie der Autor behauptet: Die See-, Hafen- und Matrosengeschichten zweier Seefahrer interessieren einen geschäftstüchtigen Verleger, der daraus ein Buch machen will, nicht ohne vorher die beiden Garnspinner zu einer Autorengestalt, eben dem Toby Swagger, zu verschmelzen. Was dieser nun an hanebüchenen Schatz- und Goldgräberstorys zum Besten gibt, was er erzählt von Seemannslieben und Seemannsleiden, vom Kampf mit Eisbären und -bergen, von steinernen schwanzlosen Eidechsen, von australischen Wüstenrennen und von den Hintergründen der Weinherstellung strotzt förmlich vor Phantasie und Fabulierfreude.
Doch im Unsinn liegt Sinn. Und der Zweck heiligt hier einmal die
Mittel. Verspottet werden kapitalistische Unkultur und ein paar heimische
Plattitüden: Phrasendreschen und Schlagwortmanie beispielsweise. Der scheinbare
Unsinn hat immer einen, manchmal auf der Hand liegenden, manchmal verborgenen,
Sinn.“
Konrad Reich: Ehm Welk. Der Heide von Kummerow. Die
Zeit. Das Leben. Rostock 2008, S. 408.
Bei Konrad Reich finden sich noch folgende Informationen über Entstehung und Rezeption des Buchs in der DDR:
Den intelligenten Nonsens und leicht irritierenden Tiefsinn, die Grenzenlosigkeit der Einfälle haben also manche Leser wortwörtlich genommen. Viele Menschen mit Sinn für Humor, insonderheit für diese Spielart von philosophischer Spaßhaftigkeit, die an Morgenstern und Ringelnatz erinnert, finden Gefallen an den „unglaublichen Geschichten der rühmlichen christlichen Seefahrer Thomas Trimm und William Steinert". Aber ebenso viele sind fast bereit, Welk die Freundschaft aufzukündigen. Und es erreichen ihn Briefe, vorwurfsvoll fragende: darf man dafür in unserer (DDR-)Zeit „kostbares Papier für so etwas verschwenden“? „Mutafo“-Autor Welk schickt einen „seriösen Stoßseufzer“, wenige Wochen nach Erscheinen des Buches, in den Wind und gen Himmel:
Ein deutscher Schriftsteller hat es nicht leicht. Da ist man nun zu einem gewissen Alter und zu gewissen Würden gekommen, trifft Freunde, mit denen man in jüngeren Jahren Sieger auf sieben Weltmeeren war, läßt sich von ihnen und einer erlebnishungrigen Leserschaft verleiten, die als hehre Trauerflöte gebrauchte Schriftrolle an die Muse Kalliope, also an die Muse der erzählenden Dichtkunst, zurückzureichen, das Schifferklavier zur Hand zu nehmen und ein paar fröhliche Shanties zu singen. Hat die Freude, sogleich einige zwanzigtausend Menschen fröhlich mitsingen zu hören, bekommt Einladungen zu Schiffstaufen von Dingern, die durch den Wind gehen, und dann –pardautz, schleudern Mißvergnügte Tranpötte in die Gemeinde. Und warum? Sie haben in einer Tierhandlung eine schwanzlose Eidechse gekauft und behauptet, sie habe sich zu Hause in einen Seebären verwandelt... Zusammengefaßt und mit Ernst und Würde und der Bitte um Nachsicht gegenüber meinen gelegentlichen übermütigen Sprüngen durch Morgennebel und Abendwind.
Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts ist dieser Mann, der sich seine übermütigen Sprünge nicht vermiesen lassen will, fünfundsiebzig Jahre alt. Woher nimmt er, fragen wir uns, die Kraft für eine so extreme Kreativität? Weil er, können wir antworten, mit seiner Arbeit glücklich ist, mit seiner geliebten Agathe und dem Leben in Doberan an der Ostsee. Ein gewisser Liebesanspruch an die Welt, hat Thomas Mann gesagt, sei der Arbeitsimpuls des Schriftstellers. So ist es bei Welk. Ausnahmslos. Und er kannte das Goethe-Wort: „Wenn man mit sich selbst einig ist, ist man es auch mit anderen.“ Er lebte danach. Immer.
Konrad Reich 2008, S. 409-412.
Die in mehreren Auflagen erschienene Ausgabe des Hinstorff Verlags enthält nur noch 18 Zeichnungen von Willi Steinert.
Mutafo. Das ist: Das Ding, das durch den Wind geht. Die unglaublichen Geschichten der rühmlichen christlichen Seefahrer Thomas Trimm und William Steinert. Aufgezeichnet von Toby Swagger. Aus dem Slangamischen übertragen, bearbeitet, und neu an den Tag gebracht von Ehm Welk. In 18 Bildern festgehalten von William Steinert. Rostock: VEB Hinstorff Verlag 1963.
Außerdem gab der Verlag der Nation 1965 eine Taschenbuchausgabe ohne Abbildungen heraus.
Mutafo das ist: Das Ding, das durch den Wind geht. Die unglaublichen Geschichten der rühmlichen christlichen Seefahrer Thomas Trimm und William Steinert; aufgezeichnet von Toby Swagger; Aus dem Slangamischen übertragen, bearbeitet und neu an den Tag gebracht von Ehm Welk. Berlin: Verlag der Nation (1965). Ohne Abbildungen.
Nachdem zu Beginn des 18. Jahrhunderts durch die sonst so seriöse „Vossische Zeitung“ die „Seeschlange“ in die Welt gesetzt worden war, wuchs dieses Meer-Wunder mit der käuflich gewordenen Sensationslüge von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, bis dann aber die „Ente“ (franz.: donner des canards – einem etwas aufbinden) im allgemeinen Sprachgebrauch vorzuherrschen begann. Ganz ausgestorben ist dieses Meerungetüm allerdings auch in unserem aufgeklärten Jahrhundert nicht, denn von Zeit zu Zeit wird nach wie vor ein solches Biest irgendwo in den Wogen des Atlantischen Ozeans gesichtet.
Ehm Welk begnügt sich mit einer „steinernen schwanzlosen Eidechse“, die bequem in einem Seesack Platz hat (dafür aber auch nicht mehr und nicht weniger als eine liberianische Gottheit darstellt: MUTAFO – das Ding, das durch den Wind geht), um ein Symbol, vor allem aber einen Titel für seine „ebenso interessanten wie wahren Berichte“ zu finden.
Kurz vor der berüchtigten „Seeschlange“ waren „Reiseromane in Mode gekommen. Aufschneider, Lügenbeutel, Schelme, (see)fahrende Leute kreuzten allerorts auf und schwindelten von unerhörten Abenteuern in fremden Ländern. „Schelmuffskys wahrhafftige curiöse und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und zu Lande“ (1696) von Christian Reuter will als Satire („eine artige Lug-Ente“) gegen diese damals im Schwange befindlichen fragwürdigen „Reisebeschreibungen“ verstanden werden.
Mit Kapital und Sensationslüge stieg die Flut der Kolportage: nach Coopers „Lederstrumpf“ leiteten Buffalo-Bill-Hefte die große Wildwestschau ein, und Karl May wurde von dieser Welle auf den Gipfel seines literarischen Ruhms geführt. Daniel Defoe folgten unzählige, zum größten Teil minderwertige idyllische Robinsonaden; und nach Swifts „Gulliver“ entstanden Reiseabenteuer, die mit den kritischen Anliegen der berühmten Vorgänger gar nichts mehr gemein hatten. Die bürgerliche Aufklärung verflachte zum Ramsch. Opfer waren und sind die Jugendlichen; doch auch das Alter ist gegen Groschenhefte nicht gefeit.
Ehm Welk persifliert die Jagd nach der Sensation im kommerzialisierten Literaturbetrieb aus der kritischen Sicht unserer Gegenwart. Die parodistischen Partien verweisen meist auf vielgelesene Repräsentanten der Abenteuer- und Seegeschichten, für die geschäftslüsterne Verleger fieberhaft Nachfolger suchen. Gesucht wird ein „neuer Jack London“ für weitere Alaska-Kids; gesucht wird ein B. Traven für weitere Schätze aus irgendeiner Sierra.
Der Autor lockt den Leser ins Garn, spinnt ihn fabulierfreudig ein und stülpt dabei die Welt auf den Kopf. Seine „Seeschlangen“ und „Enten“ haben oft einen verborgenen Sinn. Geschäftskundige Epigonen mit ihren Hintermännern werden kräftig verulkt; ehemalige repräsentative Erfolgsautoren werden durch die Parodie wiedererweckt. Humor, Witz und groteske Übertreibung geben sich hier ein ungewöhnliches Stelldichein.
Der Erzähler spaltet sich, um die erforderliche satirische Distanz zu gewinnen, gleich in zwei christliche Seefahrer: in William Steinert, auf allen Weltmeeren als Bill Stone oder Jamaika-Bill bekannt, und in Thomas Trimm, dessen Gestalt uns bereits in Welks Roman Der Nachtmann (1950) begegnet ist.
Diese „Geschichte einer Fahrt zwischen hüben und drüben“ geht auf Erlebnisse in den Jahren 1922/23 zurück, als Ehm Welk alias Thomas Trimm als Decksmann im Dienste der „United States Lines“ die Meere befuhr. Später bereiste er die Staaten, „war Gast reicher Amerikaner, arbeitete als Holzfäller im Camp und als Nachtmann auf Schiffen“ (Ehm Welk, Einiges über mich, 1964).
Hinter dem Autor lag damals die Nachkriegsmisere, die Enttäuschung über die gescheiterte Novemberrevolution (dargelegt im Roman Im Morgennebel, 1953) und das Kriegserlebnis an der Front in Mazedonien. Der Trip nach Amerika öffnete ihm die Augen. Ehm Welk kehrte als Sozialist nach Deutschland zurück.
Bereits seit dem Jahre 1904 hatte er an verschiedenen liberalen und demokratischen Zeitungen meist als Chefredakteur gearbeitet. In den zwanziger Jahren erregte er Aufsehen durch die revolutionären Theaterstücke Kreuzabnahme (1928) und Gewitter über Gottland, das1927 an der Berliner Volksbühne in einer Inszenierung Erwin Piscators uraufgeführt wurde. Als Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Grüne Post“ wagte es Ehm Welk (unter dem Pseudonym Thomas Trimm), im April 1934 in einem aggressiven Leitartikel, „Herr Reichsminister, ein Wort, bitte!“, mit den braunen Halbgöttern anzubinden. Goebbels ließ die genannte Wochenzeitung für drei Monate verbieten und den Chefredakteur im Konzentrationslager Oranienburg festsetzen. Proteste ausländischer Journalisten in Berlin erzwangen die Freilassung.
Ausgeschaltet und zurückgezogen, im Spreewald lebend, schrieb Ehm Welk den Roman Die Heiden von Kummerow (1937). In diesem Werk beleben sich für einen kurzen Zeitabschnitt Jugenderinnerungen des Autors im Dorf Biesenbrow bei Angermünde, wo er als Sohn des Bauern Gottfried Welk am 27. August 1884 geboren worden war. In dem Roman Die Lebensuhr des Gottlieb Grambauer (1938) läßt Ehm Welk seinen Vater als Neunzigjährigen rückerinnernd die Lebens- und Zeitgeschichte erzählen. Dann erschienen der Kriegsgefangenenroman Der hohe Befehl (1939) sowie die Tierbücher Die wundersame Freundschaft (1940) und Die stillen Gefährten (1943). Die Erinnerungsromane wurden durch Die Gerechten von Kummerow (1943) fortgesetzt.
Nach dem zweiten Weltkrieg erwarb sich Ehm Welk große Verdienste um die demokratische Erneuerung Deutschlands. Er richtete in Mecklenburg sechs Volkshochschulen ein und stand der Volkshochschule in Schwerin als Direktor vor. Er gab eine Auswahl der Theaterkritiken Theodor Fontanes (Parkettplatz 23) heraus und arbeitete bei Drehbüchern mit (Familie Benthin, Kein Hüsung).
Der Band Erzählungen Der Hammer will gehandhabt sein (1958) behandelt in humorvoller Weise Probleme der moralischen Entwicklung meist kleinbürgerlicher Menschen beim Aufbau des Sozialismus in der DDR. Zu MUTAFO (1955) gesellt sich 1959 noch ein zweiter satirischer Roman, Der wackere Kühnemann aus Puttelfingen. Wichtigp biographische Stationen Welks finden wir in seinem Lebensbuch Mein Land, das ferne leuchtet (1952).
Der siebzigste Geburtstag Ehm Welks war bereits mit vielen Ehrungen verbunden. So erhielt er für sein literarisches Gesamtwerk den Nationalpreis II. Klasse; die Städte Angermünde und Bad Doberan, wo Ehm Welk seit 1950 wohnt, verliehen ihm das Ehrenbürgerrecht.
In dem Aufsatz „Einiges über mich“ schrieb Ehm Welk: „Das Unabhängigkeitsgefühl und der Hang zum humorigen Philosophieren über Leben, Handeln und Sterben mögen vom rebellischen Vater geerbt sein, das Lachenkönnen ohne Spott und das Gefühl der Verbundenheit mit Mensch, Tier, Natur, also mit dem Leben in seiner Ganzheit, sicher von der stillen, frommen Mutter.“
Der rebellische Vater Gottfried Welk (Welk wendisch – Wolf) alias Gottlieb Grambauer bestimmte den Geist der Kummerow-Romane: Zweifel gegen Kirchenglauben und Obrigkeit beherrschen die Armen des Dorfes; und die heidnischen Bräuche, die von den Kindern trotz Verbot gepflegt werden, konfrontieren in ihrer Auswirkung die Entrechteten und insgeheim Aufbegehrenden mit den Reichen. Im zweiten Band zeichnen sich die Konturen der Klassen im Dorfe noch deutlicher ab, diesmal sichtbar gemacht durch die widersprüchliche Moral der begüterten Bevormunder. Einer solchen Kritik waren in der Zeit des Hitlerfaschismus gefährliche Grenzen gesetzt, so daß der Autor durch seine heiter-besinnliche Fabulierart die Kerngedanken zu verdecken suchte. Während der Grambauer humorig philosophiert und dem Pastor Widerpart bietet, versuchen bereits die Kinder, in ihrer naiven Weise Solidarität gegen Obrigkeit zu üben und Gerechtigkeit in die Tat umzusetzen.
Frohes Lebensgefühl, Fabulierlust und Humor bestimmen Ehm Welks Gesamtwerk. In den Kummerow-Büchern tritt er meist gutmütig auf, den bäuerlichen Schalk im Nacken, wenn sich die „Heiden“ rühren. Der Kummerow-Humor ist vergleichbar mit den Dorfgeschichten Oskar Maria Grafs; er erinnert aber vor allem in der „Lebensuhr“ auch an Jean Paul und an die humorverklärte Menschlichkeit Charles Dickens'.
Bei den unglaublichen Geschichten des vorliegenden Bandes dominiert die Komik: der Klabautermann ist zum Witzbold geworden, der an morsche Schiffswände pocht, damit ein Lügenbold siebenmal den Atlantischen Ozean durch den lecken Kahn hindurchpumpt. Groteske Situationen bietet jeder Konvoi; manchmal fährt er Zickzack oder pendelt über die Datumsgrenze, bestückt mit rauhen Seebären und ehrbaren Frauen, beladen mit sauren Gurken, viel Branntwein und einer sich verjüngenden alten Lady. Fabulierkunst, Phantasie und Ehrgeiz des Toby Swagger bieten ein Labskaus, gemixt nach der Devise eines rührigen Hamburger Verlegers: „Geld stinkt nicht.“ Ehm Welk, der ja nur die Aufzeichnungen dieses Toby Swagger „aus dem Slangamischen übertragen, bearbeitet und neu an den Tag gebracht“ hat, kann sich deshalb erlauben, auf die Quellen zu verweisen, aus denen das nicht stinkende Geld so lustig sprudelt. Dabei gebraucht er nicht etwa den „pädagogischen Zeigefinger“ in der Art lästiger Kommentatoren, nein, mit schmunzelnder Miene stupst er uns darauf.
Parodien sind ein heikles Anliegen. Ehm Welk betreibt nicht nur ein freies Spiel mit den stilistischen Mitteln der Originale, sondern er verwendet auch deren Stoff. Wenn zum Beispiel „das prachtvolle Bouquet“ eines berühmten Klosterweins wiedergewonnen wird durch einen alten Stiefel des Abts im Gärbottich, so wird hier Gustav Meyrinks „Bocksäure“ variiert, um aber andererseits mehrmals Meyrinks Persiflagen zu persiflieren. Oder wenn Bill am heißen Äquator runde Löcher in die eisernen Planken spuckt, so befinden wir uns auf B. Travens „Totenschiff“, dessen Stilmittel vor allem im ersten Konvoi zum Ausdruck kommen und dessen Wesensart durch den dritten Teil der Einführung geprägt wird. Hier haben wir Beispiele dafür, wie Parodien eine besondere Art der Literaturkritik darstellen können. Ehm Welk läßt auch erkennen, daß die Themen durch ständige, zeitbedingte und -bestimmte Wiederholungen parodistische Variationen ganz von selbst mit einschließen: es begann beim „ollen Griechen Odysseus“, der sich schon herumtrieb; und Moses hatte auch schon kuriose Eingebungen ... Aber an solchen Stellen fließt die Parodie bei Ehm Welk über in den Klamauk, der wiederum die beabsichtigte Persiflage verschärfen soll.
Alles in allem: Toby Swagger ist schon ein wahrer Teufel; und die beiden „christlichen Seefahrer“ Bill S tone und Thomas Trimm ergeben eine ganze Schwefelbande. Aber ein unabhängig-humoriger Teufel ist immer noch angenehmer als ein gebundener Engel, vor allem dann, wenn er Seemannsgarn so unterhaltsam zu spinnen vermag.
Rolf Recknagel: Schlussbemerkung. In: Mutafo das ist: Das Ding, das durch den Wind geht. Berlin 1965, S. 332-336.
Hauptquelle ist das 1930 im Ulstein Verlag von Ehm Welk herausgegebene Buch „Seebär – ahoi!“.
Seebär ahoi! Seltsame Geschichten und Abenteuer des Seefahrers Willi Steinert. Berlin: Verlag Ulstein 1930.
Welk dazu an einen sehr aufmerksamen Leser 1958:
Also: Ehm Welk und Willi Steinert sind zwei Personen, dicke Freunde und beide ehemalige Seefahrer. Ehm Welk ist Schriftsteller; Willi Steinert ist Maler, der gelegentlich schriftlich Seemannsgarn spann. Als Willi Steinert 1930 schwer krank und in seiner Tätigkeit sehr behindert war, gab ich Geschichten von ihm und von mir heraus, zu denen Willi Steinert die Zeichnungen geliefert hatte. Das Euch im Ullstein Verlag hieß „Seebär – ahoi". Dieses Buch hatte einen guten Erfolg, ging dann aber mit dem Ullstein Verlag den Weg in die Vergangenheit. Als Steinert und ich vor vier Jahren mal bei einem guten Trunk mit Freunden beisammensaßen, wurde das Verschwinden dieses Ruches „Seebär ahoi" bedauert, gleichzeitig aber auch die Ansicht ganz allgemein vertreten, es müßte bei einer Neuauflage vertieft werden; das heißt also, aus den Döntgens müßten zeitbezogene Geschichten gemacht werden. Ich setzte mich darauf mit meinem Freund Steinert einige Male zusammen, und wir fuhren mit Volldampf zurück in die Vergangenheit und von ihr wieder durch die Gegenwart. Das heißt also, ich schrieb das Ruch neu, vermehrte seinen Inhalt um hundert Prozent, und Steinert zeichnete die Bilder dazu.
Konrad Reich: Ehm Welk. Der Heide von Kummerow. Die Zeit. Das Leben. Rostock 2008, S. 409.
Biographische Angaben zu Willi Steinert sind dünn gesät, laut Friedrich-Ebert-Stiftung sei er Jahrgang 1886 und Bergmann gewesen, habe aber nach einem Arbeitsunfall den Beruf gewechselt und sei dann also Karikaturist geworden. In seinem 1930 bei Ullstein erschienenen Buch „Seebär – ahoi! Seltsame Geschichten und Abenteuer des Seefahrers Willi Steinert“ (mit einem Vorwort von Ehm Welk, Abb. siehe unten) dagegen heißt es, er sei erst Maler (Kunstmaler? Anstreicher?) gewesen, dann gegen den Willen des Vaters zur See gefahren. Aber das kann natürlich Seemansgarn sein. Dazu passen würde aber, dass er für den List Verlag Kiplings „Fischerjungs“ illustriert hat (1930). Eine dritte Spur führt nach Breslau, wo 1932 in von Steinert mitillustriertes Buch oberschlesischer Humoresken erschien (vgl. unser Onlinebestand: P.W. von Marienburg: Flimmergold. Humoresken mit lustigen Bildern von Willi Steinert und Waldemar Görnitz. Wahlstadt-Verlag, Breslau) – wieso Breslau? Fakt ist aber, dass Steinert beginnend im Kaiserreich und dann die Weimarer Republik durch zahlreiche Karikaturen für sozialdemokratische Satireblätter schuf, also für den „Wahren Jakob“, zeitweise umbenannt in „Lachen links“, und auch für den „Ulk“. Ein Sterbedatum ist nicht bekannt, bei eART wird noch ein Berufsverbot während des NS angeführt, kaum überraschend, betrachtet man die etwa im Wahren Jakob erschienenen Anti-Nazi-Karikaturen. Sicher ist aber, und hierfür können diese beiden Originalzeichnungen als Beleg gelten, dass Steinert ein Könner war, der sicherlich weiteren Recherchen und Würdigung verdienen sollte.
Ein kurzer Blick in „Seebär – ahoi!“ zeigt klassisches
Seemannsgarn, phantastische Begebenheiten, bei denen Gin und andere Spirituosen
sozusagen immer an Bord sind. Inwiefern letzteres Steinert gut bekommen ist darf
bezweifelt werden, hatten wir doch mal ein drittes Blatt von ihm, das in
zahlreichen kleinen Szenen die Tücken des Teufels Alkohol verdeutlicht. (Das ist
aber schon weg) Dazu enthält das Buch eine Fülle von Illustrationen, von denen
manche aber, etwa die zu in Afrika spielenden Geschichten, heute vielleicht so
nicht mehr erscheinen würden. Andererseits geht es z.B. bei der ersten
Geschichte auch um einen Streik der schwarzen Stauer, was ja wieder schön
sozialdemokratisch ist. Typisierungen scheinen aber sowieso ein Grundproblem
gezeichneter Satire zu sein. (Das wäre mal eine Frage an die Profis…)
http://prometheus-antiquariat.de/zwei-originalzeichnungen-von-willi-steinert-sozialdemorkratische-tourismus-kritk-aus-den-zwanziger-jahren
„Seebär – ahoi!“ enthält 83 Zeichnungen von Willi Steinert, die als Lithographien (ausgeführt mit Tinte und Kreise) in den Text eingedruckt wurden. Steinerts Zeichnungen sind ausdrucksstarke Karikaturen in expressionischer Manier. Die meisten davon übernahm Ehm Welk in den Erstdruck von „Mutafo“.
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Ulstein Verlag 1930 | Eulenspiegel Verlag 1955 | Droste Verlag 1956 |
Das Beispiel zeigt die unterschiedliche Druckqualität; die Drucke von 1930 und 1955 stammen von Litho-Steinen, der Druck von 1956 ist ein gerasterter Siebdruck.