Theodor Heinrich Ludwig Schnorr

Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande

Bodenwerder 1794

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Einige Anekdoten von den Charakterzügen, Leben, Meinungen und Ende meiner lieben seligen Frau.

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Ich war mit meiner teuern Hälfte noch nicht vier Wochen hier in Bodenwerder, als ihr die Zeit mit mir allein herzlich lang wurde. Sie sehnte sich nach Menschen – und gewiss, es|[96] wäre auf der Welt nichts angenehmer als der Umgang, wenn nämlich – – – – – – – – – – – – – – – – – – doch meine Leser verstehen mich schon. Das Risiko von beiden Seiten ist gleich stark.

Wenn ich denn meiner Frau noch so viel vor sagte, und allerlei auch selbst die abgedroschensten Gründe hervorsuchte; so antwortete sie mir in lauter Gemeinplätzen, hergenommen von der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens, von Verträumen der Zeit. – Was es helfe, so viele schöne Säle, schöne Gärten, schöne Weine u. d. g. zu haben, ohne sie mit Geschöpfen seiner Art zu genießen.

Sie hatte völlig Recht. Ich gab ihr nach, und so hatte sie mich richtig unter den Pantoffel. Es wurden also Kutschen und Pferde angespannt, und wir reiseten der Etikette nach, die Kavaliere zu besuchen.

Da hatte ich denn so mein tausend Verdruss, anstatt dass ich hätte Spaß oder Vergnügen haben sollen. Meine Frau war das angenehmste, niedlichste, schönste, zarteste Geschöpf unter der Sonnen, ganz für die feine Welt geschaffen. – Eben das war es, was die Augen aller auf sie zog. So sehr sie es auch in meiner Gegenwart zu verbergen suchte, mit jungen Kavalieren zu schäkern, so hatte ich es dennoch an|[97] ihrer Stille, an ihrem trübsinnigen Wesen, an ihrer Blässe weg, dass ihr Herz mit Mehltau befallen war.

Man kannte meine Neigung zur Jagd. Also – das war immer gewiss, wenn ich glaubte, mich einmal im Hause freuen zu wollen, so ward ich bald auf diese bald auf jene Hetze geladen, mit der dringendsten Bitte, meine Ehegenossin mitzubringen. Einige Herren blieben denn gewöhnlich zu Hause, und – leisteten meiner Frau Gesellschaft.

Einen Spaß, kann ich nicht umhin, meinen Lesern mitzuteilen. Wir bekamen einst Besuch von 3 sehr brillantenden Herren. Es waren die Herren von **. Es wurde sogleich eine Jagd vorgeschlagen. Zween Herren gingen mit, und – einer, war so artig, trotz alles Nötigens, meiner Frau auf Kavaliermäßig die Zeit zu vertreiben.

 Wir kamen erst spät Abends zu Hause, und es wartete auf uns eine köstliche Mahlzeit. Meine Frau führt den jungen Herrn von** obenan. Der junge Herr weigert sich, behält ihre Hand, setzt sie in den obersten Platz, und er sich neben sie. Meine Frau tat das so lieblich. Das wurmte mir. Aber nun hören sie die Dreistigkeit des jungen**! Noch nicht genug.

„Möchten wir nach 50 Jahren hier noch so vergnügt sitzen und Kirchenbuße tun!“ war seine Anrede an meine Frau. Der Einfall wurde mit einem kleinen Pst und Mundschlagen von|[98] meiner Frau, und mit einem Lächeln von der Gesellschaft begleitet. Indessen war dieser Finger zeig genug –

So lange diese Herren da waren, ließ ich mir den Spaß gefallen, und machte selbst Spaß daraus. Denn, wie sollte ich mich hier anders betragen, wenn ich nicht obendrein ausgelacht werden wollte? Aber als sie sich wegbegeben hatten, war ich darauf bedacht, dieser üblen Sache abhelfliche Maße zu leisten.

Ich zitierte meine Frau vor das Gardinengericht. Sie erschien. Ich gab ihr meinen Unwillen über ihre Galanterien auf eine verblümte Art zu verstehen, wogegen sie die schrecklichsten Verwünschungen gegen mich und ihr Schicksal ausstieß. Sie wollte sich umbringen. Sie wollte fort. Doch endlich verwandelte sich ihre Wut in – eine Ohnmacht. Was sollte ich nun machen? Ich brachte sie zu Bette.

Von dieser Zeit an war sie völlig stumm, als wenn der Schlag ihre Zunge gelähmt hätte. Nun war es noch nicht besser. Ein junger Doktor untersuchte ihre Krankheit, und fand, dass es der Spleen war. Sie gab dem Doktor ein jährliches Gehalt, und behielt ihn als Leibarzt bei.

Nun hatte ich eine stumme Frau. Aber mit der Kammerjungfer, Haushälterin, Köchin, mit den Bedienten konnte sie wohl sprechen. Ja! ich hörte oft im Walde ihre Stimme aus dem Hause|[99] tönen, ärger als die Stimme meines Hifthorns. – Ich kam, und sie sprach keine Silbe, weder beim Tee, noch beim Kaffee, weder beim Mittags- noch Abendessen. Kam ich vor ihr Schlaf gemach, so war es verriegelt.

Ich schüttelte den Kopf, und sann lange, wie ich diesem Übel abhelfen wollte. Münchhausen, den sein Genie noch nie verließ, erfand auch hier ein Mittel, ein wahres Arcanum, welches ich mir teuer bezahlen lassen könnte. Doch ich bin von jeher zu uneigennützig. Nur wollte ich aber doch allen Männern ohnmaßgeblich raten, es denen Frauen so viel als möglich zu verhehlen, denn wissen es die Frauen erst, so hat man ihnen wieder nichts ab. Und beinahe gibt es keinen Kopf mehr für neue Erfindungen in diesem Fache, so sehr ist alles erschöpft. Ich rief:

Christian!

Christ. Gnädiger Herr!

Ich. Ein Licht. (Christian brachte Licht). Es war heller Mittag. Schon hatte ich mich vorher hier und da in den Winkeln umgesehen. Jetzt nahm ich das Licht, kniete und kroch in der ganzen Stube herum.

Meine Frau. Was suchst du?

Ich. Dein Maul – liebe Frau!

Das war das erste Wort, was ihr seit langer Zeit gegen mich aus dem Munde ging.|[100]

Ich hatte meinen Zweck erreicht. Sie lachte überlaut. Ich blies das Licht aus, und sie – sprach von Stund an über nichts mehr, als über den herrlichen Einfall.

Aber von Stund an wagte ich es auch nie wieder, ihr das Mindeste über ihre Galanterien zu sagen. Ich störte sie nie; sondern war der geduldigste Ehemann von der Welt – und ich hatte die freundlichste beste Frau.

In der Ehe kommt es immer erst darauf an, dass man sich kennt; und dass man sich in die Maximen des einen, wie des andern, zu finden weiß; so kann man ganz vergnügt leben.

Und ich – hatte doch eigentlich die größesten Vorteile davon.

Als der Herbst kam, und die Blätter allgemach anfingen zu welken, abzufallen – da genoss ich nach Herzenslust, und hatte ihr Herz ganz allein. Darum möchte ich fast allen jungen Herren raten, keine gar zu schöne und gar zu junge Person zu heiraten, oder – sich bis aufs Alter zu getrösten.

Im Herbste und Winter meines Lebens habe ich die frohesten Tage gehabt. Das kann ich mit Wahrheit sagen. Niemand war mir mehr zugetan, als meine liebe selige Frau. Alle ihre Eigenheiten hatten sich in sanfte Güte gegen mich umgewandelt. Nichts als Zärtlichkeit strömten ihre Lippen gegen mich, und ich freuete mich so|[101] ganz meines Lebens. Mein Podagra war das Einzige, was mir bisweilen hart zusetzte; aber dann wusste sie mir durch ihre Aufmerksamkeit, durch ihre zuvorkommende Gefälligkeit, durch ihre Schäkereien die Zeit so angenehm zu vertreiben, dass mir die Tage wie Minuten verstrichen.

Mein Pastor wunderte sich oft darüber, wenn ich sie so zärtlich in meine Arme schloss, weil er mein Principium vom Körper des Menschen kannte, und ich oft von meiner Frau geäußert hatte: „So lange sie lebte, wäre sie meine liebe Frau sobald der Mensch tot wäre, wäre er Aas (Luder).“

Sie ward krank. Ich ließ also sogleich einen Sarg machen. Und was konnte ich vernünftiger tun? Sich vorbereiten auf die im Leben möglichen Fälle, grade dann, wenn man es kann; grade dann, wenn man noch alle Besinnungskraft hat, das war von jeher mein Grundsatz, ist der Grundsatz eines jeden Weisen gewesen, und muss es auch beständig sein.

Dem ohngeachtet hatte man es mir übelgenommen, bös ausgelegt.

„Gott!“ sagte die Pastorin, als sie eines Morgens meine liebe Frau besucht hatte, und ich sie begleitete, „was habe ich gehöret: Sie haben ihr schon den Sarg machen lassen?“

Ja wohl, tat ich das in der Zeit, antwortete ich, weil mich ihr Tod zu sehr niederbeugen|[102] würde, als dass ich mich dann irgendworan erinnern könnte.

Und das war ja nun auch der Fall. Meine Frau starb den Tag darauf, und ganzer acht Tage wusste ich nicht, was ich tat. Ich legte mich zu ihr, küsste sie noch im Sarge, und wollte erst nicht von ihr ablassen, ohnerachtet mich der Pastor oft Fall erinnerte: dass es Aas wäre.

Der Fall beugte mich so sehrt nieder, dass ich noch jetzt krumm gehe. Mein Tränenstrom versiegt nie. Noch jetzt rinnen meine Augen; besonders mein linkes Auge, welches vom Herzen kömmt, weint beständig. Schon sind drei Jahre verflossen, und es weint noch immer unwillkürlich; so oft ich an meine liebe selige Frau denke, und eine tiefe Furche geht die Wange hinab.

Doch ich soll sie nicht in ihrer Ruhe stören – Sanft ruhe also ihre Asche.

Jetzt muss ich mich nun mit der Frau meines Jägers behelfen. Die soll nun mein pflegen und warten bis an mein sanft seliges

Ende.[103]

 

Gardinengericht: Gardinenpredigt: strafrede, die der gatte von der gattin hinter der gardine, d. h. im bette gehalten bekommt. (GWB)

Spleen: (aus englisch spleen entlehnt) – auch Fimmel, Tick sowie eine Marotte oder Schrulle – bezeichnet umgangssprachlich meist abwertend eine leichte Verrücktheit oder fixe Idee. Der Begriff wird oft im Zusammenhang mit Exzentrikern verwendet. (Wikipedi)

Hifthorns: einfaches, aus einem ausgehöhlten Stierhorn angefertigtes Jagdhorn

Arcanum: oder große Arkanum (abgeleitet von lateinisch arcanum = Geheimnis) bezeichnet im esoterischen Zusammenhang einen Begriff aus der Alchemie. Autoren wie Jakob Böhme oder Paracelsus haben ihn verschiedentlich in ihren Schriften benutzt, und Emanuel Swedenborg hat ihn als Titel seines Hauptwerkes verwendet. Über seine genauere Bedeutung ist aber wenig bekannt. Das Arcanum galt seiner Natur nach offenbar als Bestandteil oder Gesamtbezeichnung einer Geheimlehre. Theoretisch kann der Begriff zweierlei Bedeutung haben, nämlich zum einen den einer ganz bestimmten Sache, auf die er sich bezieht, die jedoch geheim ist, und zum anderen den einer weniger präzisierten sprachlichen Verwendung im Sinne von ‚geheim‘ (lat.: arcanum), wobei er zwar jeweils auf unterschiedliche Dinge bezogen sein kann, die jedoch in einem mehr oder weniger bestimmten Kontext (Vorgänge, Zusammenhänge) stehen, der selbst als „hermetisch“ gilt. Der erste Fall hätte ein präzises Wissen vorausgesetzt, der zweite lediglich eine allgemeine Bedeutungsvermutung. (Wikipedia)

Principium: Grundlage

Meine Frau starb: Mit seiner ersten Gemahlin Jacobine von Dunten lebte Hieronymus 46 Jahre in zwar kinderloser, doch recht glücklicher Ehe. Über den Tod seiner Frau berichtet das Kirchenbuch: „Die hochwohlgeborene Frau Jacobine, geb. von Dunten, aus dem Hause Ruthern in Livland, des hiesigen Herrn Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen, gewesener Kaiserl. Russischer und Großfürstlicher Kürassier Rittmeisters, Erbherr auf Rinteln, Schwöbber und Bodenwerder, auch Gutsherr auf Huntzen, Gemahlin, starb den 10. August1790 des Abends 9 Uhr an Krämpfen, alt 65 Jahre 8 Monate im 46. Jahre ihres Ehestandes. – Sie ist 24. August in der von Münchhausenschen Gruft in der Klosterkirche zu Kemnade begraben.“
Rose 1937, S. 290.

 

 

Meiner seligen Frau zum Andenken verfertigte ich nachfolgendes Gedicht:

 

Elegie.

 

So bist du nun dahin geschieden,

Mein allgeliebtes Weib,

Für mich gibt’s hier nun keinen Frieden,

Und keinen Zeitvertreib.

 

Ich fühle lief des Schicksals Leiden,

Wie zentnerschwere Last;

Seit durch den Tod du alle Freuden

Mit weggenommen hast. 

 

O Weib, du musstest von mir gehen,

Von deinem alten Mann,

Der nun beinahe nicht mehr gehen,

Und nicht mehr stehen kann! 

 

Wer wird mich Alten nun verpflegen?

So gerne um mich sein?

Mir Tag und Nacht zurechte legen

Mein armes krankes Bein?

 

Wer wird die Schmerzen mit mir teilen,

Wenn sie zu heftig sind?

Wer wird mit Wonne zu mir eilen,

Wenn sie vorüber sind?|[104]

 

So lange gingst du mir zur Seiten

Seit vierzig Jahren schon,

Und glücklich dacht' ich mir von weitem

Der goldnen Liebe Lohn.

 

Mit dir in einem Bett mich wiegen,

Das war mir wonniglich;

Mit dir in einem Sarg zu liegen,

Noch mehr als königlich.

 

Doch diesen Wunsch mir zu gewähren,

Vergönnt das Schicksal nicht,

Ich oll des größten Glücks entbehren,

Mit weinendem Gesicht.

 

So will ich klagen, weinen immer

Um dich, geliebtes Weib!

Will einsam bleiben in dem Zimmer,

Will keinen Zeitvertreib. 

 

Will stets in deine Urne weinen

Um dich, mein trautes Kind!

Will immer still und traurig scheinen –

Bis einst mein Sand verrinnt.|

 

Elegie: Elegie oder Klagegedicht bezeichnet ein in Distichen verfasstes Gedicht, das traurige, klagende Themen zum Inhalt hat. Seit den römischen Elegikern Tibull, Properz und Ovid wurde ein Trauer- und Klagecharakter sowie eine sehnsuchtsvolle, schwermütige Grundstimmung zum dominierenden Inhalt. In der englischen Literatur meint elegy seit dem 16. Jahrhundert primär eine Totenklage oder allgemein ein Gedicht über das Thema Tod. So entstand die sogenannte „Gräberpoesie“ (Graveyard School), zu deren ersten Beispielen Robert Blairs 1743 erschienenes Lehrgedicht The Grave gehört und die Autoren wie Edward Young und Thomas Gray zu ihren wichtigsten Vertretern zählt. Wie einflussreich diese Friedhofspoesie in Deutschland war, zeigen Autoren der Empfindsamkeit wie etwa Klopstock oder Hölty, dessen Elegie auf einen Dorfkirchhof zwar „Keine Nachahmung des Gray, sondern nur eine Ausführung derselben Idee“ sei. Höltys Elegien sind Ausdruck einer „süßen melancholischen Schwärmerey in Gedichten“, wie er in einem Brief an Johann Heinrich Voß formuliert. (Wikipedia)