Theodor Heinrich Ludwig Schnorr

Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande

Bodenwerder 1794

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[84]Begebenheiten in Bodenwerder. 

 

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Das größte Unglück, welches ich je erlebt, war das: Mein rechter Arm wurde mir hier neun und neunzigmal zu gleicher Zeit vom Gewitter zerschmettert. Denken sie sich nun, meine Leser! den Schmerz, die Lähmung. Ich könnte hier die fürchterlichste Beschreibung des Gewitters geben, wenn ich Lust hätte, Bogen zu füllen oder zu langweilen. In meiner Kladde steht sie. Ich strich sie weg, weil sie nur für Naturkündiger, nicht aber für solche Menschen ist, die gern bloße Geschichten lesen.

Das Gewitter war das fürchterlichste – das ist alles, was ich davon sagen will. Ich lag bei meiner geliebten Hälfte in bona pace. Bei verschiedenen heftigen Schlägen ward uns bange. Sie stand auf. Die Kammerjungfer brachte Licht. Alles war in Alarm. Jetzt schien es vorüber zu sein – als auf Einmal ein heftiger Schlag ins Haus, und von da in mein Bette fuhr, mit einer solchen Heftigkeit, dass ich hoch unter die Decke flog. Die Schwere meines Körpers brachte mich wieder unten hin. Der Blitz kam wieder – und so war ich wieder in der Höhe, und so ging es neun und|[85] neunzigmal, und immer traf er nichts, als meinen Arm.

Alles war in größtem Schrecken, und niemand wagte es, mir zu Hülfe zu kommen. Ich hätte es auch niemandem raten mögen. Endlich verließ mich dieser unangenehme Gast, indem ich über und über in blauem Dunste und Schweiße gebadet war. Mein Arm war bei der Besichtigung so zerschmettert, dass auch nicht ein Knöchelchen ganz geblieben war. Es kostete große Mühe, ihn wieder zurecht zu bringen. Ich musste ihn vier ganzer Jahre im Bande tragen.

 

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in bona pace: in gutem Frieden

 

Podagra, welches ich schon, wie sich das für Kavaliere schickt, seit meinem dreißigsten Jahre gehabt hatte; die vielen Lähmungen in meinem rechten Arm; und noch so andere kleine Uebel, die man nicht gern laut sagt, trieben mich nach

 

Nenndorf,

 

das Bad zu gebrauchen, und zugleich auch den Pyrmonter-Brunnen daselbst zu trinken. Und nicht leicht habe ich vergnügtere, angenehmere Tage gehabt, als hier. – Alles war um mich|[86] her. Ich suchte auch, wie natürlich, den Badegästen die Zeit so angenehm zu vertreiben, als möglich, indem ich ihnen meine Abenteuer erzählte, die sie recht gern anhörten.

Es wurde eines Morgens eine Partie verabredet, zu einem ein halb Stündchen davon gelegenem Gehölze. Wir kamen dahin, und sahen? –

Eine ganz besondere Art Geflügel. Wir untersuchten alles genau, und es waren nichts anders, als wilde Kapaunen, die hier in einer so großen Menge waren, dass man sie in allen Formen sah, groß und klein, jung und alt. Man sah hier ihre Begattung, ihre Nester u. d. g.

Sonderbar! dacht’ ich und alle meine Begleiter. Ich sann darüber nach, und es fiel mir ein, dass ich einst Kapaunen von meinem Machwerk aus Petersburg nach Deutschland schickte. und dass mir es nachher erzählt wurde, dass dem Boten, der sie hatte tragen, und diese Gegend passieren müssen, einige aus seiner Kiepe entflohen wären. Diese mussten sich nun in der Zeit hier so sehr vermehrt haben. Anders konnte es nicht sein.|[87]

Wir belustigten uns ungemein an der Schönheit dieser Tiere. Besonders die Damen, die wir bei uns hatten, freueten sich über nichts mehr, als über das Begatten derselben.

Nun gab ich auch dem guten Herrn Landgrafen von Hessen-Cassel, der eben daselbst gegenwärtig war, einige kleine Schauspiele.

Wir gingen in einen kleinen Dickicht spazieren, und es stieß ein ganzes Rudel Hochwildpret auf uns. Ein Hirsch der ersten Größe zeichnete sich merklich aus. Ich bat die Gesellschaft, dass sie ein wenig zurückbleiben möchte, welches sie auch tat. Ich lief voraus, drückte mich dicht an einem Baum, wo ich vermutete, dass der Hirsch herkommen sollte. Er kam, streifte sein Geweih in dem Baume. Ich packte zu, hatte ein kleines Strick, band sein Geweihe, womit er den Baum umgeben hatte, vorn zusammen – und nun war er gefangen. Seine Sprünge waren so seltsam und spaßhaft anzusehn, dass alles nicht genug, darüber lachen konnte. Es hatte mir aber auch Künste gekostet, und mein Arm hätte mich beinahe verlassen.

Unterdessen ließ sich ein Brausen in der Luft hören, als eines gewaltigen Windes. Ich hatte|[88] schon von ferne gehört, wie große Eisberge durcheinander karbatschet wurden, und ich sahe voraus, dass sich ein gewaltiges Hagelwetter ergeben würde. Ich eilte geschwind voraus, und als meine Gesellschaft ankam, war ich schon in voller Beschäftigung, alle Fenster an der Seite einzuschlagen, wo das Hagelwetter herkam.

Man wunderte sich nicht wenig über meine ganz erstaunliche Tätigkeit, und wusste sich dieselbe gar nicht zu erklären.

Die Natur muss freien Lauf haben – und - wie sie selbst wissen, man muss ihr freien Lauf lassen, sagte ich. Geben Sie Achtung.

Und damit hagelte es gewaltig in die Zimmer hinein. Die Hagelstücken, wovon die kleinsten zehn und mehrere Pfunde hielten, schienen vor Freuden zu springen, dass ihnen nichts im Wege stand, und legten sich zu Münchhausens Füßen – gerade als ob sie ihm danken wollten.

Zwei besonders große Stücken, die uns herauf gebracht wurden, ließen wir wägen, und befanden, dass jedes über 30 Pfund Hamb.|[89] Gewicht hatte*) Eins nahm ich in Verwahrung, das andere behielt der Herr Landgraf. Das meinige habe ich noch konserviert, und können es Lieblustige in meinem Keller im Glase sehen. Nur hat es freilich etwas an seiner Schwere verloren.

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*) Im Jahre 1537 sind in Italien um Bomonien Hagelsteine gefallen, die 28 Pfund gewogen. Man sehe D. Nic. Börners Physic, Seit. 260. Anmerkung des Verlegers.

 

Nach abgehaltener Brunnen- und Badezeit schrieb ich an meinen Bauch:

Renovatum est. 1790.

und begab mich wieder zu Hause.

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Das Bad hatte den herrlichsten Effekt getan. Ich ward dadurch ganz verjünget, wie ein Adler. Die ehemals verstopften Poren waren jetzt alle offen. Auch hatte ich vor allen übrigen Kurgästen gewiss den größten Profit. Denn von nun an brauche ich für mein ganzes Haus weder Butter, noch Schmalz, noch Oel zu kaufen. Denn

1) Meine Ohren geben alle Morgen eine so große Menge Schmalz, dass ich nach einem|[90] Jahre, außer der Konsumtion fürs Gesinde, wenigstens noch für 5 Pistolen verkaufen kann. Besonders nehmen es mir die Apotheker gerne ab und die Juden. Sie bezahlen mir jedes Pfund mit einem Reichstaler. Ehemals hat das Loth einen Dukaten gekostet.

2) Ich habe es jetzt nicht mehr nötig, die Milch mit dem Rahm zu verschlingen, um zu buttern – meine Augen geben mir überflüssige Butter. Ich gehe alle Stunden in meine Speisekammer, woselbst die Buttergefäße in Bereitschaft stehen, und hole mit einem eigends dazu eingerichteten Löffel die Butter aus den Augenecken und den Augenliedern hervor, so haben wir mehr, als wir brauchen. Den Überschuss verkaufe ich an Herrn Vetter Bauer, der seine Gäste damit servieret, und alle sagen: dass ihnen nirgends die Butterbröte schöner schmecken, als da. Und das ist ganz natürlich.

3) Den Öl gibt mir meine Perücke. Mein Kopf hat eine solche Menge Fetteile, die sich auflösen, das es zum Erstaunen ist. Abends kommt alles zu mir, was Lampen im Hause gebraucht – eben so, wenn Salat gegessen werden soll. Dann nehme ich meine Parücke ab, welche von Öl träuft. Wenn es Not ist, drücke ich sie auch wohl einmal aus, und die Gefäße fließen von Öle über.|[91]

 

 

 

Ob mir das nun auch gleich einige Unbequemlichkeiten verursacht; so bin ich doch in diesem Falle ein glücklicher Mann, weil ich das alles nicht zu kaufen brauche.

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Aber mein größtes Fatale ist mein Bein. Daran habe ich nun schon seit 24 Jahren den kalten Brand. Das ist ein abscheuliches Bein. Ich mag es noch so viel in Acht nehmen, mag es noch so warm halten – es hilft alles nichts. Trotz des Bades habe ich doch von Zeit zu Zeit die grausamsten Schmerzen, so dass ich selten ohne Krücken gehen kann.

Nun! was will das sagen, „der Gerechte muss viel leiden, und – der Gottlose hat auch seine Plage;“ antwortet mir dann der Herr Pastor.

„Wer von uns beiden Recht hat – das weiß Gott am besten,“ sage ich dann. „Wir sind alle „arme Sünder.“

So legen wir uns einander die Schrift aus.

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Podagra: Gicht

Nenndorf: Seit der Teilung der Grafschaft Schaumburg 1647 gehörte Nenndorf zu Hessen-Kassel. Die Heilkraft der 1546 erstmals auf dem „Dübelsdreck“ beurkundeten Schwefelquellen, zwischen Groß und Klein Nenndorf gelegen, wurden später von der Landbevölkerung zu Heilzwecken genutzt. Nach einem ärztlichen Gutachten der Universität Rinteln wurde sie auf Befehl des hessischen Landgrafen Friedrich II. eingefasst. Landgraf Wilhelm IX. von Hessen-Kassel überzeugte sich 1786 persönlich von dem Wert der Schwefelquelle und gründete 1787 nach einem Gesamtplan des Hofarchitekten Simon Louis du Ry den Gutsbezirk Nendorff mit den Badeeinrichtungen und dem Kurpark. Erster Brunnenarzt wurde der Rintelner Medizinprofessor Ludwig Philipp Schröter, der das neue Bad durch Veröffentlichungen bekannt machte. Interessanter wurde der Aufenthalt auch durch erstmals 1787 konzessionierte Glücksspiel. Gespielt wurde vornehmlich Pharo, zunächst in den Räumen einer Apotheke, in der auch Kaffee und Kakao ausgeschenkt wurde.
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Hieronymus von Münchhausen hat Bad Nenndorf zur Linderung seiner Gicht-Erkrankung besucht.

Nach seiner Manier eignete sich der noch vor wenigen Jahren in dieser Gegend lebende Herr von Münchhausen, spaßhaften Gedenkens, die Entdeckung dieser Schwefelquellen zu. Er erzählte, er habe eines Tages einen Hirsch verfolgt und ihn an einem Schenkel verwundet; jeden Augenblick glaubte er das Thier niederstürzen zu sehen, allein plötzlich sey es in den Teufelspfuhl gerathen, und frisch und gesund mit heilem Beine hervor und davon gesprungen.
Korrespondenz und Notizen. Das Nendorfer Bad. In: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 134. Freitags den 12. SAugust 1809, Sp. 1072.

Pyrmonter Brunnen: schwefelhaltiges Quellwaser aus Bad Pyrmont

Landgrafen von Hessen-Cassel: Wilhelm I. von Hessen-Kassel (1743-Februar 1821) aus dem Haus Hessen war als Wilhelm IX. ab 1760 Graf von Hanau, ab 1764 dort Regent und ab 1785 regierender Landgraf von Hessen-Kassel.

 

Wilhelm Böttner: Portrait von Wilhelm IX. Landgraf von Hessel-Kassel, Öl auf Leinwand, um 1795.

Hochwildpret: Wildpret ist das Fleisch vom Hochwild, also von Hirschen, Rehen und Wildschweinen.

Hamb. Gewicht: Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit war das Pfund als Gewichtsmaß in ganz Europa verbreitet, sein Gewicht wich jedoch oft von Stadt zu Stadt ab. In Hamburg entsprach 1 Pfund der Masse von 484,6 g.

D. Nic. Börners Physic: Der Hagel oder die Schlossen entstehen gleichfalls von Schnee-Wolcken, wenn nemlich in der obern Luft durch warme Winde die Schnee-Theile in Wasser-Tropfen verwandelt, im Herunterfallen aber von kalten Winden, deren manchmal zwey gegen einander wehen, zusammen getrieben werden, daß daraus gantze Stücken Eiß erwachsen: Kommen nun solcher Tropfen viel zusammen, so wird der Hagel auch sehr groß, also, daß er manchmal wie Tauben- Hühner- Gänse- und Strausen-Eyer auf die Erde fället, als wodurch so viel Schaden geschiehet, ja es soll 1537. in Italien um Bononien Hagel-Steine geworfen haben, welche 28. Pfund gewogen.
D. Nicolai Börners Physica, Oder Vernünftige Abhandlung Natürlicher Wissenschaften, [...]. Franckfurth und Leipzig 1735.

Renovatum est. 1790.: Inschrift an Gebäuden: wurde 1790 renoviert

Konsumption fürs Gesinde: Lebensmittel für die Dienstboten

Pistolen: Eine Pistole war ursprünglich eine spanische Geldmünze aus amerikanischem Gold, die seit 1566 als doppelte Goldkrone geprägt wurde. Sie zeigte das spanische Wappen und die Säulen des Herakles. Ab 1640 führten auch Frankreich und Genua die Pistole ein. In Deutschland bezeichnete man im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts Goldmünzen im Wert von fünf Talern wie den Friedrich d’or als Pistole.
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das Loth einen Dukaten gekostet: Das Lot (früher auch Loth geschrieben) ist eine Maßeinheit der Masse, die hauptsächlich im deutschen Sprachgebiet und in Skandinavien gebräuchlich war.

kalten Brand: eine durch den Rauschbrandbazillus hervorgerufene Infektionskrankheit der Rinder, charakterisiert durch das rasche Auftreten blutig-seröser Ergießungen, verbunden mit Gasentwicklung (Emphysem) im Unterhautzellgewebe und den Muskeln, verläuft meist schnell und tödlich.

Pastor: sinngemäße Zitate aus den Psalmen 32-34

 

 

 

Noch etwas zur Ergänzung, meinen Garten, Grotte, u. d. g. betreffend.

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So sehr man auch alles genau geschildert bat, was meinen Garten, Grotte u. d. g. betrifft, so muss ich hier doch noch manches ergänzen.

1) Man hat gar nicht der vielen Sorten von Rosen gedacht, die ich in meinem Garten habe. Ich bin gegenwärtig am zweiten Tausend. Man hat nicht so viele Arten von Nelken, als ich Rosen. Ich erziele sie durch die Mischung des Samenstaubes, durchs Propfen, Okulieren und Ableger. Wem damit gedient ist, der beliebe sich postfrei an mich zu wenden. Er soll auf die prompteste Weise auf Kavaliers-Parole mit allen denjenigen Sorten bedient werden, die er nur namhaft macht, alles ohnentgeldlich.

2) Die Lorbeerbäume, die in meinem Garten ohne alle Pflege ganz wild wachsen, sind ganz vergessen worden. Ich habe in dieser Gegend das Klima verändert, indem ich damals, als ich in Persien war, den Sonnenaufseher, welcher mein sehr guter Freund war, bat, die Sonne einige Grade Deutschland näher zu setzen.|[93] Es käme nur darauf an, dass man hier eine eigene Sonne zulegte, worüber man mich zum Aufseher bestellen könnte – dann wollten wir hier Coffe, Zuckerrohr, Reis und Rosinen bauen. Das wären doch sehr nötige Artikel. So mag man mir es danken: dass ich es durch meine Kunst so weit gebracht habe, dass im hiesigen Klima Lorbeerbäume können gezogen werden. Zween stehen nicht weit von meinen Statuen, worunter ich gewöhnlich zu weilen und meine Gesellschafter und Gesellschafterinnen zu unter halten pflege. Auch davon biete ich gerne meine Dienste an, weil ich eine Baumschule davon habe, womit ganz Europa auf den Notfall kann versorgt werden. Die Menschenkinder in hiesigen Landen sind nur nicht sehr dafür, weil sie lieber Äpfel, Birnen und Kartoffeln essen mögen. Ich finde nun einmal ein großes Vergnügen daran, unter meinen eigenen Lorbeeren auszuruhen.

3) Die Büsten, welche am Eingange meines Gartens stehen, sind die genau getroffensten Bildnisse von meiner sel. Frau und mir. Der wunderbare Künstler muss einen besondern Geist gehabt haben. Er hatte uns nie gesehen, und dennoch so zum Sprechen getroffen. Besonders meine liebe selige Frau. Nur der bloße|[94] Anblick dieser Büste reißt die Wunde meines Herzens immer von neuem wieder auf. Man kann es offenbar sehen, ohnerachtet der heilen Haut, worin ich lebe, tröpfeln doch beständig so oft ich an sie denke, oder die Büste ansehe, einige Blutstropfen weg.

4) Noch ist zu merken, dass ich, Jahr aus Jahr ein, meinen Wein von meinen eigenen Trauben presse. Ich halte eine förmliche Weinlese, so stark, wie sie der größte Privatmann in der Champagne zu halten vermag. Die größten und besten Trauben sind die Russischen – und daraus wird auch der wohlschmeckendste Wein, besonders wenn er erst einige 50 Jahr alt geworden. Ich habe noch neulich, weil es mir für meine künftige Ernte zu eng in meinem Keller wird, einige hundert Ohm nach St. Petersburg geschickt – auch verschiedene Stückfässer an meinen Freund, den jetzigen König in ***

5) Auch sind berühmt und weltbekannt meine Tulpen - und Nelkenbäume, worunter auch einige sind, die nur in der Christnacht blühen.

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Unter den Seltenheiten meiner Grotte darf man nicht zu bemerken vergessen:|[95]

1) Ein Stück von der Ägyptischen Finsternis. Es ist das schönste, was davon in der Welt sein soll. Es ist in einem Stücke weißen Glases damals aufgefangen worden. Seitdem ich das in der Grotte habe, ist es dreimal so finster darin geworden, und sobald ich es heraus nehme, wird es helle. Es verdunkelt alle Gegenstände, die ihm nahe kommen, ja es frisst alles Licht weg, was man ihm vorsetzt. Ich hatte es vor einigen Jahren benebst

2) einem Stück von der Leiter, die Jacob einst im Traume gesehen, von Ihro Päpstl. Heiligkeit für die versteinerte Hirschlosung bekommen, mit einem sehr verbindlichen Schreiben – und so sind diese beiden Partikeln meiner Grotte einverleibet worden.

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Kavaliers-Parole: Versprechen eines Adligen auf Treu und Glauben

Coffe: alte Schreibweise für Kaffee

Champagne: Landschaft und historische Provinz im nordöstlichen Frankreich. Herkunftsgegend des Champagners.

Ohm: auch Ahm, Ohme, Saum, Sauma, Soma, Sohm war eine Volumeneinheit, die sich vom lateinischen Namen des Eimers, „ama“, ableitet. Das Maß war in Deutschland, Dänemark, den Niederlanden (hier Aam), Estland, Schweden und der Schweiz verbreitet. Ein Ohm entsprach zwischen 134 und 174,75 Litern. Angewendet wurde der Begriff beinahe ausschließlich auf Flüssigkeitsvolumina und dabei auch, aber nicht ausschließlich, auf Wein.
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Seltenheiten meiner Grotte: Seine „Grotte“ beschreibt Schnoor bereits im ersten Band seiner Münchhausiade (Kopenhagen 1789), und zwar in der „Beschreibung von der Stadt Bodenwerder und dem Landsitz des Herrn Baron von Münchhausen, und deren Merkwürdigkeiten desselben“.

Auch hier kann Schnorr auf Erinnerungen an seine Studentenzeit in Helmstedt zurückgreifen, und zwar auf seine Erinnerungen Professor Beireis, den der Karl-May-Forscher Rudi Schweikert (Münchhausen aus Mühlhausen 2004, S. 144) folgendermaßen beschreibt: „ein Zeitgenosse des historischen Münchhausen, zehn Jahre nach diesem geboren (1730) und 1809 in Helmstedt, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte, gestorben. Beireis, bereits zu Lebzeiten eine Legende und wie May ein ›Star‹, zu dem man neugierig-verehrungsvoll pilgerte, war der Inbegriff des etwas wirren Polyhistors und gelehrten Sonderlings, freilich mit viel Schalk im Nacken und großer pseudologisch fundierter Überzeugungskraft, der durch Übertreibungen zu beeindrucken suchte, sich seinerseits aber durch rationale Einwände, anekdotischer Überlieferung zufolge, überhaupt nicht beeindrucken ließ.“

Über diesen Sonderling berichtet Johann Karl Sybel in seinen „Biographische(n) Nachrichten über den zu Helmstädt verstorbenen Hofrath und Doktor G. C. Beireis, die er 1809 in verschiedenen Wochenblättern und 1811 als Buch veröffentlichte.

Schnorr wird als Student dieselben Schnurren und Anekdoten gehört haben, zum Teil aus dem Munde von Beireis, die Sybel aus eigener Erinnerung und dem Zeugnis anderer Zeitgenossen für seine Darstellung verwendet.

Bei Sybel lesen wir unter anderem:

Der verstorbene Professor und Hofrath Dr. Beireis zu Helmstädt, gehört unstreitig zu den Interessantesten Männern, und ich hoffe, die öffentliche Mittheilung einiger Nachrichten über denselben, werde um desto willkommener seyn, da mehrere Zeitschriften vor Kurzem öffentlich dazu aufforderten. In der Gesellschaft eines der gelehrtesten Ärzte Deutschlands brachte ich im Jahre 1798 einen ganzen Tag im Hause des Verstorbenen zu, lernte die Schätze seines reichhaltigen Kunstkabinets, sowie die Gemäldesammlung kennen, und genoß durch seine lebendige Unterhaltung ein großes Vergnügen.

Wir besuchten darauf mit ihm den botanischen Garten, überzeugten uns aber gar bald, daß hier das Feld seines Wissens sehr beschränkt sey, und er lieber von sich und seinen Merkwürdigkeiten spreche, als sich in wissenschaftliche Gespräche einlasse. Kamen diese mitunter vor, so wußte er geschickt abzuspringen, und forderte unsere Bewunderung, indem er bald als vorzüglicher Reiter das wildeste Pferd zu Neapel gebändigt, bald als Kenner aller Sprachen, von der Russischen Kaiserinn zum Dollmetscher gebraucht war, um die Begrüßung Indischer und Chinesischer Gesandtschaften zu beantworten.

Es gab übrigens keine Fertigkeit, keine Kenntniß, keine Vollkommenheit, welche er nicht besaß, und in den heterogensten Sachen war er bewandert. Als Reiter riß er die Bewunderung Neapels an sich und erhielt zuerst den ihm oft ertheilten Beinamen des Göttlichen. Als Jäger wurde er beneidet vom Hofe zu Dessau. Als Tänzer und Voltigeur war seines Gleichen nirgends zu finden, und in Hinsicht auf körperliche Schönheit sahe man in ihm das Ideal männlicher Vollkommenheit. Der Sprachen aller Völker war er kundig, denn die lebenden hatte er auf Reisen, die todten in unablässigen Studium ihrer vorzüglichsten Schriftsteller sich angeeignet. Kein Gebiert menschlichen Wissens war ihm fremd, und er beurtheilte den Mahler und Musiker, den Baumeister und Krieger ganz richtig.

Mit bewundernswürdiger Gnade nahm ihn der König von Neapel auf; ein Vergnügen wechselte mit dem andern, und die langen Tage des italienischen Himmels wurden ihm wundervoll verkürzt. Mit Wohlgefallen musterte er den Marstall, und bleibt mit seinem Blicke haften auf der nie gesehenen Schönheit des Wuchses, der Zartheit der Knochen und des Feuers in den Augen eines Zelters. Nur die Äußerung des Königs, daß er zum reiten untüchtig sey, vermag das ethusiastische Lob zu unterbrechen. Mehrere Versuche bezeugen sogleich die Wahrheit dieser Äußerung, und das neugierig versammelte Volk sieht, wie schon oft, die fähigsten Reiter scheitern an der Unmöglichkeit, oder mit schmerzenden Spuren ihrer zu großen Kühnheit zurück weichen.

Lächelnd nähert sich Beireis dem neuen Bucephalus, stellt sich der Sonne entgegen, sitzt auf, und führt mit sicherm Zügel das Thier gleich einem Lamme. Beifallklatschen des Hofes und Jubel des Volkes erfüllen die Luft, und der Markt und die Straße hallen wieder vom Rufe: il vive, il divino Beireisio!

Vom jagdliebenden Hofe zu Dessau eingeladen, wurde er bei einem Triebjagen vortheilhaft gestellt, und das Wild strömte auf ihn ein. Er fehlte nie, und ermüdete zwei Jäger, welche die Huld des Fürsten ihm zur Seite gegeben, um die abgeschossenen Doppelbüchsen durch frischgeladenen immer zu ersetzen. Ehrenvoll und als der bewährteste Schütze verließ er den Park und suchte auf dem Ruhebette einige Erholung, als er staunend gestört wird durch den Krampf des rechten Zeigefingers, den das unzählige Abdrücken des Hahns noch in fortdauernder Bewegung erhält.
Sybel 1811, S. 5 passim

Stückfässer: oft verkürzt nur Stück, ist ein veraltetes Volumenmaß, das nach dem Gebinde für Wein benannt wurde. Das alte Weinmaß hatte etwa 10–12 Hektoliter für Rheinwein. Ein Stückfass war regional unterschiedlich, aber ein Richtwert wäre 1 ½ Fuder, oder 7 ½ Ohm, oder 15 Eimer.
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Ägyptischen Finsternis: bezeichnet die Sandstürme, die am Nordrand der Sahara vorkommen und die Sichtweite bis auf einige Meter reduzieren können. Der oft auch als Redewendung verwendete Begriff geht auf die biblische Textstelle (Ex 10,22 EU) zurück, bei der eine der zehn über Ägypten verhängten Plagen beschrieben wird. Die durch den Sandsturm einkehrende Dunkelheit kann mehrere Tage anhalten. In der Region nennt man diese Stürme Dunkelmeer.
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Jacob: Die Jakobsleiter oder Himmelsleiter ein Auf- und Abstieg zwischen Erde und Himmel, den Jakob laut der biblischen Erzählung in Genesis 28 während seiner Flucht vor Esau von Be’er Scheva nach Harran in einer Traumvision erblickt. Sie stand auf der Erde und ihre Spitze reichte in den Himmel . Auf ihr sieht er Engel Gottes, die auf- und niedersteigen, oben aber steht der Herr, der sich ihm als Gott Abrahams und Isaaks vorstellt und die Land- und Nachkommenverheißung erneuert.

 

Lateinschule in Alfeld. Brüstungstafel an der Östliche Traufenseite: Jakobs Traum von der Himmelsleiter.

Päpstl. Heiligkeit: Pius VI. (bürgerlich Giovanni Angelo Graf Braschi; 1717-1799) war Papst in den Jahren von 1775 bis 1799. Zuvor war er ab 1758 Priester und ab 1773 Kardinal. Sein Pontifikat gehört mit 24 Jahren zu den längsten der Kirchengeschichte.
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Pius VI (1717 - 1799), Kupferstich um 1780

 

 

Im Anhang seiner Schrift „Nachrichten über Gottfried Christoph Beireis, Professor zu Helmstedt von 1759 bis 1809. Berlin 1860“ zitiert Carl von Heister folgende Erinnerungen an den schrulligen Professor:

 

Nr. 44. Urtheile zweier Anonymi in der Casseler Allgemeinen Zeitung vom Jahre 1810 über Beireis.

Alle, welche ihn näher kannten, kommen in ihren Urtheilen in zwei Stücken überein, erstlich, daß er ein liebenswürdiger Mann, ein gelehrter und glücklicher Arzt, ein Genius der ersten Größe und ein ganz vorzüglicher Kopf war; und zweitens, daß er einen übertriebenen Hang zum Windbeuteln hatte, und diesem Hang nur gar zu oft freien Spielraum ließ, besonders wo es darauf ankam, seine Schätze und Herrlichkeiten zu zeigen. […]

Von seinen Reise-Windbeuteleien erzählt man folgende Anekdote, deren Wahrheit ernste Männer verbürgen. Beireis befand sich in Harbke, bei dem Vice-Hauptmann von Beltheim, in einer größeren Gesellschaft, zu welcher auch der Hofrath Schrader, ein witziger und satirischer Kopf, auch als Dichter nicht ganz unbekannt, gehörte. Man setzte Beireis in Athem und ließ ihn von seinen Reisen erzählen. Schrader setzte sich bei Seite und zeichnete genau auf, wie lange sich Beireis an jedem Ort aufgehalten haben wollte. Am Ende fragte Schrader: „Wie alt sind Sie, Herr Hofrath?“ Beireis, welcher diese Frage selten beantwortete, nannte diesmal eine bestimmte Zahl. „Nun, bei Gott, erwiedert Schrader, – „Sie sind doch in Allem außerordentlich und wunderbar. Sie sind bereits dreizehn Jahr vor Ihrer Geburt gereist.“ Diese und ähnliche Sarkasmen brachten den Mann durchaus nicht aus der Fassung, und er verstand die Kunst, die Unterhaltung augenblicklich so zu leiten, daß man an das Vorhergegangene nicht mehr dachte. – (S. 361f.)

 

Nr. 45. Professor Dr. Lebrecht Petri über Beireis, am Erinnerungsfest 1822 (A. d. Latein.)

Daß Beireis, ein Mann, der sich durch seine ungeheure Gelehrsamkeit im In- und Ausland einen solchen Ruhm erworben hat, wie er sich über ein halbes Jahrhundert ausbreitet, daß er außer einigen Commentationen leichteren Inhalts, gedruckt nichts hinterlassen hat, das ist sehr zu beklagen. Er wollte entweder dem Beispiel der Thales folgen, – den er ja bei der Untersuchung der Geheimnisse der Natur und in der Philosophie dahin nachahmte, daß er auf die Betrachtung der Gegenstände selbst zurückging – und mißachtete das vergängliche Papier und versagte dem verdienten Ruhm der Bildsäulen; oder er war durch sein vielen Geschäfte, welche ihm selbst die nächtliche Ruhe störten, zu sehr in Anspruch genommen. Es ist gewagt und bedenklich, über diesen eigenthümlichen Mann ein Urtheil zu fällen. Niemand wird seine außerordentlichen Kenntnisse leugnen, daß er wohlunterrichtet in den verschiedenen Wissenschaften war, daß er einen ungemeinen Scharfblick im Entdecken des Sitzes der Krankheit besaß, gleichsam als wenn ihm die sonst dunkle Natur offen gelegen hätte und er Adern und Nerven überschaue. Alles das ist sonnenklar und wird durch die vielen Kranken aller Art erwiesen, denen seine Hülfe zu Theil wurde. Auf wundersame Weise aber erfreute er sich daran, die Leichtgläubigkeit der Menschen auszubeuten und sich sowohl von Katheder herab als in den Erzählungen, welche er in den Gesellschaften zum Besten gab, der unglaublichsten Dinge zu rühmen. Es scheint vom Schicksal bestimmt gewesen zu sein, daß eine so hohe wissenschaftliche Zierde, hingegeben jeder und der lächerlichsten Eitelkeit und Ehrsucht, sich mit dem Ruf tröstete, den er bei Menschen erlangt, welche nach Genie und Geschicklichkeit sehr tief standen (sequioris farinae mortales).

Allein die Mißgunst ergeht sich an den Lebenden; sie ruhe, wo sich die Geschicke erfüllt haben. (S. 364f.)

 

Nr. 46. Carl Weber über Beireis.

Eine lebendige Merkwürdigkeit Helmstedts, die nicht mehr ist, darf nicht vergessen werden. Der große Diamant, die physikalischen Instrumente, alte Drucke, Gemälde, selbst Correggioʼs Nacht – versteht sich lauter Originale, erregen denn doch in den Händen eines Privatmanns Staunen, bei allen – Lügen, welche hundert compurgatores nicht zur Wahrheit machen können. Beireis war der eitelste aller Gelehrten, und das will viel sagen; er soll chemische Geheimnisse besessen haben, die er teuer verkaufte. Die Eitelkeit machte ihn zum lächerlichsten Lügner, der auch von weiten Reisen sprach, ob er gleich nie weiter gekommen zu sein scheint, als von seinem Geburtsort Mühlhausen bis Helmstedt. Offenbar herrschte bei dem Mann weit mehr Wind als bei Conring, der seine Braut recht pedantisch fragte: In welcher Fakultät sie wolle, daß er Doktor werde. (S. 365.)

 

Nr. 47. W. H. Riehl, Culturstudien aus drei Jahrhunderten. Stuttg. 1859. S. 139f.

Jener wunderliche Bund der Charlatanerie und der Wissenschaft, zeichendeutender Mystik mit scharfblickender Beobachtung, der in der Renaissance in großen gelehrten Gruppen, als der Astrologen, Alchymisten, Theosophen ⁊c. gleichsam zünftig geworden, klingt in der Roccocozeit in einzelnen Wundermenschen aus. Mesmer, Lavater, Athanasius Kircher, Caglistro sind solche Roccocofiguren mitten in dem Zopfe. Professor Beireis in Helmstädt, der sich im achtzehnten Jahrhundert noch aufʼs Goldmachen legte, mit seinen Curiositätensammlungen unglaubliche Gaukelei trieb, und seinen aufgeklärten Zeitgenossen weiß machte, daß er einen Diamant von 6400 Karat Gewicht besitze, den der Kaiser von China bei ihm versetzt habe, würden in früheren Zeiten, wofern man ihn nicht rechtzeitig als Hexenmeister verbrannt hätte, das Haupt einer Schule geworden sein. Im achtzehnten Jahrhundert blieb er nur ein geheimnißvoller Originalmensch, dessen bunter Kram von allen Reisenden angestaunt wurde, halb Charlatan, halb Gelehrter, jedenfalls aber ein wunderbarer Virtuos der Persönlichkeit. In unseren Tagen wäre auch schon eine solche vereinzelte Originalfigur gar nicht mehr möglich. Sie ist durchaus Roccoco. (S. 366.)

 

 

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