Theodor Heinrich Ludwig Schnorr: Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande Bodenwerder 1800 |
[56] 3. Meine Heiratsgeschichten, Ehestandsleben u. d. gl., vom Anfange bis zu Ende.
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Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Dieser Gedanke trieb mich dann auch, nachdem ich schon ziemlich die Jahre erreicht hatte, zu dem Entschlüsse, ein Weib zu nehmen. Ich sah Mädchen genug in meinem Vaterlande, große und kleine, hübsche und hässliche, die schön waren, und es nicht wussten, es auch nicht sein wollten; aber auch Närrinnen, die hässlich waren wie die Nacht, und sich doch schön dünkten und auch von andern dafür gehalten sein wollten; reiche und arme, adeliche und bürgerliche: und keine einzige, ob sie gleich alle in der Stille|[570] um mich warben, oder durch andere, durch Helfershelfer, um mich werben ließen, aus Eroberungen Tag und Nacht ausgingen, wusste mich in die goldenen Fesseln des Ehestandes zu zwängen. Goldene Fesseln? Nun man nennt es ja in der schönen Sprache so. Warum sollte ich hier eine Ausnahme von der Regel machen? Ein feder weiß es am besten, was er hat. Und man könnte mit der Laterne des Diogenes am Tage vergnügte, zufriedene Ehen suchen. Ob man viele findet, lasse ich dahin gestellt sein. Mancher Ehemann scheint in seinem eisernen Joche äußerlich sehr zufrieden; und man frage ihn auf sein Gewissen. Und eben so manches Weib. Es heißt nun einmal in dieser subsolarischen Welt: es ist Nichts vollkommen und jener Weltweise hatte Recht, wenn er sagte: Nemo ante obitum beatus. Aber man müsste nun auch von goldenen Ehen nicht so viel Wesens machen. Wie sonderbar! Liefland und die Hauptstadt desselben, Riga, musste mir ein solches Wesen erziehen, womit ich den größten Teil meiner ehelichen Tage verleben sollte. Was ich vielleicht unendlich besser auf näherm Wege haben konnte, musste ich auf einem entfernten suchen – finden.|[58] So wie in allen Stücken mein Leben abenteuerlich sein sollte; so musste es auch meine Heirat, mein ehelichen Leben sein. Sie war, wie bekannt, ein kurzes, dickes, rundlich wabbliches Geschöpf – das war ihr vorzüglicher Reiz, übrigens ein eigensinniges, und, wie sie erst meine Frau war, ein in der Tat widerliches Wesen. Sie hatte solche wunderliche Launen, und wusste sich so wenig in Lage, Zeit und Ort zu schicken, daß sie mehr meine Plage, als meine Freude war. Geld brachte sie freilich genug mit – Aufwand machte sie wenig. Aber ist es denn das Geld, das die Menschen unter der Sonne glücklich macht? Der größte Teil glaubt es. Alles ringt nach Gelde, seufzt erschrecklich, wenn das Schicksal sparsam in Austeilung desselben war, arbeitet, kasteiet sich auf den Tod, um den Mammon zusammen zu scharren; und, wenn man nun bis zum Überfluss damit begabt ist, wie wenige wissen dann Reichtum so anzuwenden, wie sie sollten! Solche Menschen versagen sich dann oft die ersten Bequemlichkeiten. Ich will zwar nicht predigen, das sei ferne. Aber es bleibt doch wahr, was der Weise von Sion *)|[59] sagt. Oft habe ich an diese goldenen Worte gedacht, weil ich sie durch die Erfahrung so ganz bewährt gefunden habe. Und ich bin ganz seiner Meinung: „Ich sehe es für gut an, dass es fein sei, wenn man isst und trinkt und gutes Muts ist in aller Arbeit, die einer tut unter der Sonne sein Leben lang, das ihm Gott gibt; denn das ist sein Teil. *) Pred. Sal. am Ende des 5ten und zu Anfange des 6ten Kapitels. Denn welchem Menschen Gott Reichtum und Güter und Gewalt gibt, dass er davon isst und trinkt für seinen Teil und fröhlich ist in seiner Arbeit: das ist eine Gottesgabe. Denn er denkt dann nicht viel an das Elend des menschlichen Lebens, weil Gott sein Herz erfreuet. Aber es ist ein Unglück, das ich unter der Sonne sah, und das so gemein bei den Menschen ist. Einer, dem Gott Reichtum, Güter und Ehre gegeben hat, und mangelt ihm keins, das sein Herz begehret; und Gott ihm doch nicht Macht gibt, desselben zu genießen, sondern ein Anderer verzehret es. Das ist eitel und eine böse Plage.“|[60] Das ist ganz, wie aus meiner Seele geschrieben. Das Erstere ist mein Charakter, meine Denkungsart. So lebe ich; so habe ich gelebt, und so will ich leben, bis an mein seliges Ende, – und das letztere denen überlassen, die Geschmack an einem solchen Leben finden. Wer kann sie bessern? Ich kehre jetzt wieder zu der Beschreibung meines ehelichen Lebens. Wie Viele werden hierin sich selbst gezeichnet finden! Als wir uns erst einander gewohnt waren, lebten wir einen Tag wie alle Tage. Ein ewiges Einerlei – das Grab einer vergnügten Ehe – wozu sie vorzüglich geeignet war, machte uns das Leben lang und freudenleer. Wir hatten nun einmal kein Vergnügen mehr an einander. Was entsteht gewöhnlich daraus? Ein jeder geht seinen Launen, seinen Grillen, seinen Fantasien nach. Ich ging ganze Tage auf die Jagd, oder zu guten Freunden. Sie nicht. Sie blieb stets zu Hause und – unterhielt ſich den lieben langen Tag mit einer – oder ein Paar Klätscherinnen über die Nouvellen der Stadt und des Tages, oder schalt mit den Hausbedienten, die ihr nichts zu Kopfe machten. Das einzige Gute muss ich an ihr rühmen. Sie schien wenigstens nicht unzufrieden, wenn wir öfters Besuch bekamen. –|[61] Tisch- und Bechergenossen fanden sich dann aller Orten. Und ich gab ihnen gern. Niemand sollte von mir sagen: M.. war nach seiner Heirat ein anderer Mann, weniger gastfrei. Eins der größten Übel, sowohl für mich, als meine Frau, war, dass unser Ehestand nicht mit Zeugen unserer Liebe, mit Sprösslingen gesegnet war. Wir bekamen keine Kinder. Zehn Jahre und länger lebten wir in dieser Erwartung. Und – wir warteten vergebens. Um meiner Frau einen Teil der Zeit zu vertreiben, war ich schon darauf bedacht gewesen, ihr meinen kleinen Sprössling zu gelegener Zeit unterzuschieben. Vielleicht, dachte ich, hat sie dann weniger Langeweile. Nur kam es, das wusste ich, bloß darauf an, ihr den Jungen auf eine geschickte Art zu introduzieren. Gemutmaßet hat sie es wohl, aber doch nie erfahren, dass er einer fröhlichen Viertelstunde auf der Jagd sein Leben zu verdanken hatte. Das war ja wohl kein Bubenstück? Warum kommen auch die Weiber und Mädchen in den Wald? Gewiss nicht immer, um Gras zu sicheln. Frau v. M... sagte ich einst, wie ich bei merkte, dass sie guter Laune war – und dann war sie ein braves Weib: allein diese zeigte sich nur|[62] wenigemal im Jahr, und dann war sie nicht von langer Dauer. Was sie eben auch in guter Laune angenommen hatte, das verwarf sie in ihrer Migräne darum nicht.– „Ich muß ihnen et was erzählen, worüber sie gewiss nicht ganz unzufrieden sein werden. Es ist doch eine Christenpflicht, dass man sich der Armen erbarme. Wem der liebe Gott viel gab, der soll wieder geben und wohltun. Mit unsern Gütern können wir viel Gutes stiften, wenn wir wollen, und uns noch den Segen der Nachwelt verschaffen. Eben komme ich von einer vergnügten Reise zurück, wo ich mit mehreren Freunden, meinen Nachbarn und Kumpanen in Gesellschaft war. Wir hätten wacker die Humpen geleert, da schlug Freund X. vor: wir wollten ein wenig würfeln. Nun weiß der größte Teil meiner Freunde, was ich sowie in allen Dingen, also auch in diesem, für eine Stärke habe.“ Davon bin ich selbst oft Zeugin gewesen, entgegnete sie, wie sie einer ganzen Gesellschaft das Geld abnahmen; so dass sie sich fürchteten, mit ihnen zu spielen, und sie selbst am Ende kein Vergnügen mehr daran fanden. „Ich mag es auch selbst jetzt meinen Freunden gar nicht einmal mehr anbieten, weil es doch so gut ist, als wenn wir um nichts spielen. Es|[63] ist mir unmöglich, ich kann das Geld nicht behalten. Ich gebe es jetzt jedesmal zurück. – Genug, es würde ein Würfelspiel vorgeschlagen.“ Also doch wo nicht um Geld? „Nein! Ich muss es Ihnen sagen: um einen hübschen Jungen. Er heißt John. Er ist ziemlich aus dem Kleinsten heraus. Schon fünf Jahr alt, und weiß sich wacker zu benehmen. Ein Junge, wie ein Engel – aber eine vater- und mutterlose Waise.“ Und den haben sie gewonnen? „Ja! Wir würfelten drei Wurf. Wer in den drei Würfen die höchsten Augen werfen würde, der sollte ihn als völliges Eigentum haben. Mein Freund v. D. hatte funfzehn Augen, und ich – alle achtzehn. Also war es nun einmal durchs Los entschieden. Es hieß: M... hat so keine Kinder, da bekommt ihn der, welcher ihn haben muss. Er wird schon einen wackern Kerl daraus machen. Ich musste ihn also an Kindes Statt annehmen und zugleich angeloben: dass ich einen braven Jungen daraus erziehen wollte. Ich tat dies, und übergebe Ihnen hiermit diesen Knaben zu treuer Erziehung.“ Ha! dergleichen Pfiffe sind mir schon an Ihnen bekannt. Doch es sei darum. Lassen|[64] Sie den Knaben einmal hereinkommen, dass ich ihn sehe, wenn er mir dann gefällt; so will ich ihn annehmen. Der Knabe musste sogleich herein kommen. John war schon darauf abgerichtet. Er küsste Mama die Hand, und schmiegte sich mit freundlichholdseligem Lächeln an sie. Und – von Stund an hieß es: mein lieber John, und er nannte sie nicht anders, als – Mama. Wie freuete ich mich, als ich sah, dass mir der Pfiff so schön gelungen war; und noch mehr, dass der Knabe so schön heran wuchs! Er wurde schlank, wie die Tannen, und hatte einen Kopf, eine Fähigkeit, die nicht ihres Gleichen kannte; aber auch zugleich eine solche Anlage zu Torheiten, zum Eigensinne, wie man bei wenigen Kindern findet. Daneben wurde er von Mama so sehr verzärtelt und gehätschelt, ihm alles zugutegehalten, dass doch nicht wohl etwas anders aus ihm werden konnte, als – ein Taugenichts. Zum Soldaten schien er denn uns beiden geboren zu sein. Montierung, Flinten war sein Liebstes. Exerzieren konnte der Junge schon so geläufig in seinem sechsten Jahre, als mancher Unteroffizier nicht in seinem vierzigsten.|[65] Er war noch nicht dreizehn Jahr alt – wie doch die Natur spielt! – als er schon Versuche machte, mit dem andern Geschlechte, und zwar von niederer Gattung, auf einem vertrauten Fuß umzugehen. Die schon damals immer mehr zu nehmende üppige und galante Aufführung der Stadtdirnen war denn ohnehin sehr geschäftig, ihn nicht allein in ihre buhlerischen Schlingen zu locken, sondern, weil er stets Geld genug von Mama bekam, auch dies Geld ihm abzuschwatzen. So ward er denn schon im sechzehnten Jahre Papa, und damit es weiter nicht auskam, musste in aller Geschwindigkeit unser Jäger die Person heiraten. Er bekam ein Stück Geld, und schwieg. Er machte mehrere Kunststücke dieser Art; so dass es in die Länge nicht auszuhalten war. Zum Lernen, überhaupt zu einem geschäftigen Leben hatte er von jeher keine Lust, keine Neigung; zu irgendeiner Handarbeit auch nicht. Also grade, wie die jungen Herrn von – – – sich nicht gern mit ernsthaften Dingen beschäftigen, steckte ihm auch dies in der Natur. Von meiner Seite war es also schon lange beschlossen, ihn bei erster Gelegenheit in die Welt zu schicken, damit er sich versuchen mögte. Wie aber ihn los werden, damit die Frau nichts davon erführe? Denn diese hatte ihn trotz|[66] aller Torheiten und Bubenstreiche, zu lieb. Das war eine Frage, die einiges Nachdenken erforderte. Doch fand sich diese Gelegenheit bald. Frau v. M... musste, Familienangelegenheiten wegen, nach Riga reisen. In dieser Zeit musste er also seine neue Laufbahn antreten. Und zwar auf folgende Art, ohne dass er selbst einmal es argwohnte. Meine Kunst kam mir da nun wie der trefflich zu statten. Ich zähmte einige wilde Gänse, ging alle Morgen hin auf die Weide, wo sie sich gewöhnlich niederließen, und fütterte sie gut. Das ließen sie sich gern gefallen; und, so scheu sie anfangs waren, so sehr freudig flogen sie um mich herum, wenn sie mich nur kommen sahen. Sie schnatterten und schnäbelten zu meinen Füßen. Auch ließen sich einige davon, wie ich sie vier Wochen gefüttert hatte, sowohl von mir, als von meinem John, streicheln, kriegen, kurz, wir konnten damit anfangen, was wir wollten. Als ich ohngefähr bemerkte, dass sie sich zu ihrer großen Reise an schickten, nahm ich es in Acht, bepackte die eine mit Kleidungsstücken, die andere mit Proviant, und die dritte war dazu schon abgerichtet und gezäumt, dass sie den John tragen sollte. John hatte schon oft Probestückchen damit gemacht. Ich machte dem Jungen das Ding so süß, dass er es mehrere Male des Morgens versuchte,|[67] darauf fort zu fliegen. Endlich eines Morgens gaben sie das große Signal, und John war mit Sack und Pack mit den wilden Gänsen auf, und davon geflogen in die warmen Länder, und seit dieser Zeit habe ich nichts von ihm weder gehört noch gesehen.
Meine Frau kam von ihrer Reise wieder, und wollte sich beinahe tot grämen, als sie hörte, dass er fort war, und nicht so bald oder vielleicht gar keine Hoffnung wäre, ihn wieder zu sehen. Sie härmte sich, wie alle Frauenzimmer, einen Tag, am andern wurde noch wohl von ihm gesprochen – am dritten wurde seiner kaum gedacht: am vierten hatte sie ihn ganz vergessen. Als ich sie hingegen verlieren musste, und dies geschah kaum ein halbes Jahr nach dieser Zeit, verlor ich sie äußerst ungern, wie das die ganze Welt nicht anders bezeugen kann. Die Gewohnheit hat große Kraft, und wir waren nun einmal einander gewohnt. Ich konnte sie so bald nicht vergessen, wie sie mich vielleicht vergessen haben würde. Meine Empfindungen ließ ich sogar, so ungern ich auch selbst dichte, ob ich gleich ein sehr großer Freund von guten Gedichten bin, in ein Gedicht auf ihren Tod überströmen, wovon, wie von ihrem Tode, Begräbnis und übrigen Begebenheiten, im dritten Bande meiner Geschichten ein Mehreres enthalten ist. Genug, eine|[68] große Periode meines Lebens war beendigt. Ich hätte mich sollen an so vielen Beispielen spiegeln, wo der Zuschnitt zu einer zweiten Periode gemacht, oft so unglücklich gemacht wird. Aber ich tat es nicht. Und ich musste nun noch unglücklicher sein, als vorhin. Ihr Weiber! Wa seid ihr? Und was könntet ihr sein! Aber wenn ein alter Mann ein Geck ist? Und – das war ich. So pflegt es denn gewöhnlich im menschlichen Leben zu gehen. Das, was man nicht hat, will man haben: man sehnt sich darnach, wie das Kind nach der Klapper. Man hat es, und man will es nicht; man wirft es weg, man mag es nicht mehr. Man kann denken und urteilen, wie groß die Leere war, die ich nach einem Monat, nach einem halben Jahre, nach einem Jahre empfand. Es war mir, als wenn ich gar kein Herz mehr in meinem Leibe hatte. Die Leere nahm zu, so wie mein Schmachten, mein Sehnen nach einem weiblichen Gegenstande, den ich Frau nennen konnte, größer wurde. Überall kein Fleckchen auf der Welt, kein Stuhl, kein Rasen, ich dachte mich hier umgeben mit einem weiblichen Geschöpfe, das mein Alter, meine Schwachheiten, meine Leiden mit mir teilen sollte. Die Zeit kam heran, wo alle Blumen wieder in ihrer schönsten Pracht hervorgingen, wo|[69] die Nachtigallen auf meinem Berge, in meinem Bousket mir wieder so viel in die Ohren sangen: Armer! liebtest du, wie ich, du suchtest dir eine Gattin! wo alle Vögel: „Freuet euch des Lebens!“ sangen, und dies Lied so oft in meinen Ohren wiederhallete, dass es mir jetzt wie den Gassenbuben in H... zuwider wurde. |
Adam und Eva, LateinschuleAlfeld , Ostseite Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei: Redewendung, nach der eine Ehe und Familie dem Junggesellen-Leben vorzuziehen sei. Sie orientiert sich am 1. Buch Mose im Alten Testament (Gen 2, 18) nach dem der Mensch von Gott nicht als Einzelwesen zum Alleinsein bestimmt ist, sondern als Mann und Frau auf einen Partner hin erschaffen wurde: Und Gott der HErr sprach: Es ist nicht gut, daß der mensch allein sey, ich wil ihm eine gehülffin machen, die um ihn sey. Goldene Fesseln: poetisches Bild für die Bindung in einer Ehe Laterne des Diogenes: Von Diogenes wird erzählt, er sei am helllichten Tag mit einer Laterne in der Hand über den Markt von Athen gegangen. Er habe hier einem, dort einem ins Gesicht geleuchtet, seinen Kopf geschüttelt, bis ihn einer fragte, was er mit seiner Laterne wolle. Diogenes Laertius schreibt: Er zündete bei Tage ein Licht an und sagte: „Ich suche einen Menschen.“ Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Übersetzt und erläutert von Otto Appelt. Erster Band. Buch I-IV. Leipzig 1921, S. 276.
Jacob Jordaens: Diogenes mit der Laterne auf dem Markt Menschen suchend, Öl auf Leinwand, um 1642. in seinem eisernen Joche: Das Joch ist im Alten Testament ein Bild der Dienstbarkeit und Knechtschaft. So droht Gott seinem Volk, dass er es, wenn es ihm nicht dankbar und fröhlich diene, seinen Feinden unterwerfe und ihm ein eisernes Joch auf den Hals bis zur Vertilgung anlege (5. Mose 28, 48). in dieser subsolarischen Welt: Sublunarisch bedeutet, was unter dem Mond, subsolarisch, was unter der Sonne ist. Die sublunarische oder subsolarische Welt ist die Erde. Der Gegensatz dazu heißt die superlunarische oder supersolarische Welt, d. h. der Himmel. Diese Ausdrücke wurden auch für den Unterschied zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen Welt verwendet. jener Weltweise: Der römische Dichter Publius Ovidius Naso (43 v. Chr.-17 n. Chr.
Lateinschule Alfeld, Westseite Nemo ante obitum beatus: Dici beatus ante obitum nemo supremaque funera debet - Glücklich darf man keinen nennen vor seinem Tod und seinem Leichenbegängnis. Ovid. Met. Lib. III. 13. Riga: 1738 holte Anton Ulrich seinen ehemaligen Pagen in sein Regiment „Braunschweig“. Der Abschied des 18jährigen wird freilich nicht leicht gewesen sein. Eine Reise nach Rußland war eine Reise in eine andere Welt, genauso wie heute! Soweit wir wissen, haben sich Mutter und Sohn nicht wiedergesehen, denn Sibille von Münchhausen stirbt 1741. Hieronymus hat im Jahre 1739 mit einiger Bestimmtheit am russisch-türkischen Krieg teilgenommen. Nach kaum einem Jahr ernennt Anton Ulrich ihn zum Kornett und beschenkt ihn mit drei schönen Pferden, dazu Schabracken und Pistolen. Das elegant auf Pergament gedruckte, mit dem kaiserlichen Siegel versehene Patent ist vom 11. Dezember 1739 datiert, also nach dem Friedensschluß von Belgrad. Einen direkten Beweis für Münchhausens Teilnahme an den Feldzügen gegen die Türken haben wir nicht. Aber er besaß, so berichtet die Familienüberlieferung, einen Türkensäbel, den er in seinem Kleiderschrank aufbewahrte und der später in seinen Geschichten eine Rolle spielte. Dafür, daß er mit Türken gekämpft hat, sprechen auch die Themen einiger seiner Kriegsabenteuer. Wir können also seine Teilnahme an wahrscheinlich zwei russisch-türkischen Feldzügen als sicher annehmen. 1741 dürfte er dann im russisch-schwedischen Krieg in Finnland gekämpft haben. Er schreibt in dem Jahr an seine Mutter, sie möge ihm neue Wäsche schicken, da die alte „in der Campagne teils sehr gelitten habe, teils verlorengegangen sei“.::“) Aber noch vor dieser „Campagne“, nämlich 1740, ein knappes Jahr nach seiner Ernennung zum Kornett, wird Hieronymus zum Leutnant befördert. Die Tatsache, daß er dabei zwölf dienstälteren Kornetts den Rang abläuft, deutet sicherlich nicht nur auf die Tapferkeit des jungen Offiziers, sondern auch auf ein besonderes Verhältnis zwischen dem Prinzen Anton Ulrich und Hieronymus. Beider günstiger Stern schien zu steigen, denn Zarin Anna Iwanowna hatte den 1740 geborenen Sohn ihrer Nichte zu ihrem Nachfolger ernannt. Bis zu seiner Großjährigkeit sollte Biron die Regentschaft führen. Aber der allmächtige Günstling wurde von der Garde gestürzt und Anna Leopoldowna zur Regentin für ihren kleinen Sohn Iwan bestimmt. Rußland erhoffte von ihr die Säuberung der Regierung von der verhaßten Günstlingsherrschaft der Deutschen. Aber weder Anna noch Anton Ulrich verstanden die Lage zu meistern, und so folgte dem Aufstieg der jähe Sturz. Denn noch lebte die letzte natürliche Tochter Peters des Großen, Elisabeth Petrowna. Nach langem Drängen einflußreicher politischer Kreise, insbesondere der Garde, gab sie nach und übernahm nach einem Staatsstreich die Herrschaft. Anton Ulrich, der Exponent der fremden Günstlinge, wurde in einer Novembernacht des Jahres 1741 aus dem Bett geholt und gefangengenommen [...]. Trotz aller Gemeinhaltung drangen aber doch Gerüchte über die Braunschweiger an die Öffentlichkeit. Zweifellos hat Hieronymus von Münchhausen versucht, über das Schicksal seines Herrn etwas zu erfahren. Wir können uns vorstellen, wie das was man munkelte, auf ihm gelastet hat. Sein persönliches Leben nach 1741 wird überschattet von Anton Ulrichs Tragik, zumal die Ereignisse auch ihn ganz persönlich betreffen. Zwar überstand er den Umsturz heil - vermutlich, weil er zu dieser Zeit in Finnland kämpfte -, aber unter Elisabeths Herrschaft ließ eine weitere Beförderung elf Jahre auf sich warten: Münchhausen gehörte ja zu der kaltgestellten deutschen Partei! Er ist nach den Kämpfen in Finnland hauptsächlich in seiner Garnisonstadt Riga gewesen - eine Umgebung, in der er sich sehr wohl gefühlt zu haben scheint. Verständlich, denn Riga war damals ein deutsches Kulturzentrum im russischen Reich. Es besaß ein Theater, das geistige Leben war rege. Eine von Kants philosophischen Schriften ist dort gedruckt worden. Schon 1740 hatte Hieronymus an seine Mutter geschrieben: „Ich befinde mich hier in Riga sehr wohl. Es geschieht mir von den Herren Edelleuten und den Dames viel Obligeance.“ [Zitat aus A. F. von Münchhausen 1872, S. 64.] Der Lebensstil des baltischen Adels hat ihm offensichtlich gefallen, und er ist selbst auch wohl gern in diesem Kreise gesehen worden. Einige seiner Abenteuergeschichten haben Kurland zum Schauplatz, unter den Balten kursieren noch in unserer Zeit Anekdoten, die man Münchhausen zuschreibt. Mündliche baltische Überlieferung berichtet auch von einer Begegnung des Leutnants mit dem anhaltinischen Prinzeßchen, das 1744 in aller Stille durch Riga nach Petersburg reiste, wo sie später als Katharina II. so berühmt werden sollte. Auf dieser Reise soll Münchhausen in Riga vor ihrem Gemach Ehrenwache gehalten haben. Drei russische Zarinnen haben also für ihn in seinen Rußland-Jähen eine Rolle gespielt, wenn auch teils nur eine flüchtige.
Aus dem livländischen Adel holte sich Münchhausen seine Lebensgefährtin
Jacobine von Dunten aus dem Hause Ruthern. Am 2. Februar 1744 schloß er die
Ehe, die 46 glückliche Jahre währte. Die von Dunten waren ein verbreitetes
baltisches Adelsgeschlecht, an das in jüngster Zeit freilich nur noch
zahlreiche Ortsnamen erinnerten. Heute dürften auch sie, ebenso wie die
Familie selbst, erloschen sein.
meine Frau: Am 2. Februar 1744 wird er zu
Permiel in Liefland mit Jacobine v. Dunten getraut. Unterm 2. Novbr. 1750
erhielt er den erbetenen einjährigen Urlaub und am 24. Jan. 1752 auf gleiche
Zeit Verlängerung, weil seine Anwesenheit durch die
Vermögens-Auseinandersetzungen mit den Geschwistern nothwendig war, die dann
auch endlich gelang.
Mit seiner ersten Gemahlin Jakobine von Dunten lebte Hieronymus 46 Jahre in
zwar kinderloser, doch recht glücklicher Ehe. Über den Tod seiner Frau berichtet
das Kirchenbuch: „Die hochwohlgeborene Frau Jacobine, geb. von Dunten, aus dem
Hause Ruthern in Livland, des hiesigen Herrn Hieronymus Carl Friedrich von
Münchhausen, gewesener Kaiserl. Russischer und Großfürstlicher Kürassier
Rittmeisters, Erbherr auf Rinteln, Schwöbber und Bodenwerder, auch Gutsherr auf
Huntzen, Gemahlin, starb den 19. August 1790 des Abends 9 Uhr an Krämpfen, alt
65 Jahre 8 Monate im 46. Jahre ihres Ehestandes. – Sie ist 24. August in der von
Münchhausenschen Gruft in der Klosterkirche zu Kemnade begraben.“ Mammon: Mammon ist ursprünglich ein unredlich erworbener Gewinn oder unmoralisch eingesetzter Reichtum, wenn er etwa zur lebensbestimmenden Maxime wird. Heute wird mit dem Begriff abschätzig das Geld im Allgemeinen bezeichnet („schnöder Mammon“). „NIemand kan zween herren dienen, entweder er wird einen hassen, und den andern lieben, oder er wird einem anhangen, und den andern verachten. Ihr könnet nicht GOtt dienen, und dem Mammon.“ (Matth. 6, 24). der Weise von Sion: Der König Salomo bzw. Salomon war – nach der Darstellung der Bibel – im 10. Jahrhundert v. Chr. Herrscher des vereinigten Königreichs Israel. (Wikipedia) Im Inhaltsverzeichnis (predigt aus dem Salomo) und in der Anmerkung (Pred. Sal. am Ende des 5ten und zu Anfange des 6ten Kapitels) verweist Schnorr auf einen Text des Alten Testaments, Kohelet, ein Buch des Tanach, das dort zu den Ketuvim („Schriften“) gehört. In der Lutherbibel trägt das Buch den Titel Der Prediger Salomo. Schnorr zitiert Kapitel 5, 17 bis Kapitel 6, 2 aus Biblia,/ Das ist:/ Die gantze Göttliche/ Heilige Schrift/ Alten und Neuen/ Testaments,/ Nach der Teutschen Ubersetzung/ D. Martin Luthers,/ […] Büdingen 1747.
Lateinschule Alfeld, Westseite Ich ging den ganzen Tag auf die Jagd: Albrecht Friedrich von Münchhausen beschreibt in seiner 1872 veröffentlichten Geschlechts-Historie des Hauses von Münchhausen von 1740 bis auf die neueste Zeit das Leben des Hieronymus von Münchhausen folgendermaßen:
Er that manches zur Verschönerung des Gutes, lebte dort in ländlicher Stille
und spärlichen: Umgange mit Verwandten und Nachbaren, fast nur seiner
leidenschaftlichen Freude an der Jagd mit zubehörigen Hunden und seinen Pferden,
deren Vollkommenheiten und Tugenden er gern anzupreisen pflegte. Sein Jäger, der
auch in den Geschichtenfigurirt und wirklich renommirt gewesen sein muß, hieß
Rösemeyer. Er kommt einmal in den Acten vor, als ihn sammt Horn und Meute M. an
Herrn v. Ditfnrt in Dankersen verliehen hatte zu eiuer großen Jagd, —
anscheinend auf Ueberhandgenommenes Schwarzwild. Auf den: Durchzugc durch eine
preuß. Flur oder Waldung ward aber die ganze Cavalcade von den Bauern
eingefangen, weil man sie für Wilddiebe hielt. Vielleicht hatte Rösemeyer so en
imssunt seine Kunst ein wenig für eigene Rechnung versucht. Erst auf einen, bei
der Regierung zu Minden erwirkten Befehl kam er wieder in Freiheit.
Gutshaus in Bodenwerder Nouvellen: Neuigkeiten nichts zu Kopfe machten: nichts recht machten keine Kinder: Hieronymus von Münchhausens Frau Jacobine von Dunten starb 1790. Die Ehe war kinderlos geblieben. introduzieren: einleiten, einführen Periode meines Lebens: Das bittere Ende Alter und Vereinsamung mögen in Münchhausen den Wunsch geweckt haben, ein zweites Mal eine Ehe zu schließen. Auch das Gut bedurfte eines Menschen, der mit frischen Kräften die Wirtschaft im Schwung hielt. Ob der alte Hieronymus sich anderen gegenüber in diesem Sinne geäußert hat oder ob die Dinge, wie sie sich dann entwickelten, ihm selbst den Wunsch erst bewußt machten, wissen wir nicht. Jedenfalls erschien im Sommer 1793 ein flüchtiger Bekannter, der ehemalige Major von Brunn aus Polle, ein verarmter Standesgenosse, zu Besuch in Bodenwerder. Mit ihm kam seine 17jährige Tochter Bernhardine. Es schien ihnen beim alten Münchhausen gut zu gefallen, – erst nach vierzehn Tagen schieden sie. Berhardine zeigte sich von ihrer besten Seite und gewann das Herz des Hieronymus. Er warb um ihre Hand, die ihm bereitwilligst zugestanden wurde – aber er ahnte nicht, welch leichten Vogel er sich ins Nest holte! Bernhardine hatte nämlich nicht den alten Herrn selber, sondern sein Geld im Auge. Am 12. Januar 1794 fand die Hochzeit statt. In aller Stille, so hatte Münchhausen gewollt. Berhardine aber stand der Sinn anders: Was war eine Hochzeit ohne Tanz! Sie hatte also Ballgäste und Kapelle bestellt und war auch keineswegs gesonnen, um zehn Uhr abends das Fest zu verlassen. Erst um drei Uhr, nachdem Münchhausens Haushälterin energisch geworden war, fügte sie sich. Dem bösen Anfang folgten weitere unangenehme Überraschungen; Bernhardine führte nicht eben einen makellosen Lebenswandel, woran sich in der Ehe nichts änderte. Im umgekehrten Verhältnis zu ihrer ehelichen Treue standen ihre Anforderungen an des Hieronymus Geldbeutel, so daß der erboste Ehegatte ihr schon nach wenigen Wochen den Kassenschlüssel abnahm. Zwanzig Kleider, so berichtet die Geschlechtshistorie, und nicht die billigsten, ließ sie sich anfertigen. Der Schneider wurde heimlich bestellt - und dann kamen die Rechnungen! Im Sommer unternahm Bernhardine, die angeblich leidend war, eine Reise nach Pyrmont. Unter Kur und Erholung scheint sie durchtanzte Nächte und eindeutige Herrenbekanntschaften verstanden zu haben, wobei ein Offizier der Hamelner Garnison die Hauptrolle spielte. Nebenbei hatte sie ein zweifelhaftes Verhältnis zu einem Amtsschreiber aus Polle. Münchhausen sieht dem mit steigender Verbitterung zu. Die Gefahr besteht, daß ein etwaiges außereheliches Kind der Bernhardine Erbansprüche stellen könnte. Er überschreibt daher sein Gut einem Neffen, dem hessischen Hauptmann Wilhelm Christian von Münchhausen. Es war nicht unberechtigt, denn „die Bährne“, wie sie allgemein genannt wurde, brachte eine Tochter zur Welt, die aber nach wenigen Monaten starb. Münchhausen setzte durch, daß das Kind nicht seinen Namen tragen durfte. Dann leitet der Betrogene den Scheidungsprozeß ein, der sich – ein fetter Bissen für die beiderseitigen Advokaten - kostenverschlingend durch die Jahre hinschleppt und Münchhausens letzte Lebensspanne verdüstert, zumal die gegnerischen Anwälte das böse Wort vom Lügenbaron aufgreifen, um ihn als unglaubwürdig hinzustellen. Das Gut gerät in Schulden, ja er muß 1500 Taler von einem Freunde borgen. Erst die Witwe und die Söhne Wilhelm Christians können nach Jahren die letzten Anwaltsschulden abtragen. Aber auch Bernhardine ist der Ehe nicht froh geworden. Kurz nach Münchhausens Tod, im März 1797, reist sie in Begleitung eines Galans nach Holland. Sie galt dort als verschollen. Heimatforschungen von A. Tinneveld in dem holländischen Ort Didam klärten jedoch vor einigen Jahren ein Stück ihres weiteren Lebensweges auf. Sie taucht dort im selben Jahr auf, allerdings unter dem geänderten Vornamen Louise. Drei Jahre lebt sie bei dem Textilkaufmann Hendrik Lotte, etwa im Jahre 1800 heiratet sieden Drosten von Didam, sie hat zwei Söhne. – Für Vermutungen, sie habe ihre letzten Lebensjahre in Bad Münder zugebracht, geben die dortigen Akten keine Bestätigung. Ihre Spur verliert sich in Didam endgültig. (Briefliche Mitteilung an die Verf.)
Es ist schwer, die Geschehnisse um Münchhausens unglückliche zweite Ehe
wirklich objektiv zu beurteilen, denn die Geschlechtshistorie ist unsere
einzige Quelle, und es ist klar, daß sie die Dinge so darstellt, daß auf den
Namen des Geschlechtes möglichst wenig Schatten fällt. Natürlich scheint
Bernhardine ein unmögliches Frauenzimmer gewesen zu sein, aber man muß
gerechterweise sagen, daß der alte Hieronymus selber die scheinbare Liebe
der 17jährigen allzu bereitwillig für bare Münze genommen und sich über
Bernhardines Persönlichkeit zu wenig Klarheit verschafft hat. Er hat es hart
büßen müssen, und das vertieft die Tragik seiner einsamen und verbitterten
letzten Lebensjahre. Diese Darstellung korrigiert Lied Deurvorst in ihrem Buch „Het Uur van de Waarheid. Bährne Louise von Brun (1773-1839) en de mannen in haar leven“; vergl. weiter unten. Freuet euch des Lebens!: Freut euch des Lebens ist eines der populärsten deutschsprachigen Volkslieder. Den Text schrieb der Schweizer Dichter Johann Martin Usteri (1763–1827) im Jahr 1793, die Melodie im selben Jahr der Schweizer Komponist Hans Georg Nägeli (1773–1836). Aufmunterung zur Freude.
Freut Euch des Lebens
So mancher schafft sich Sorg’ und Müh’,
Freut Euch des Lebens
Wenn scheu die Schöpfung sich verhüllt
Freut Euch des Lebens
Wer Neid und Mißgunst sorgsam flieht,
Freut Euch des Lebens
Bey dem, der Lieb’ und Treue übt
Freut Euch des Lebens
Und wenn der Pfad sich furchtbar engt
Freut Euch des Lebens
Sie trocknet ihm die Thränen ab
Freut Euch des Lebens
Sie ist des Lebens schönstes Band
Freut Euch des Lebens Martin Usteri Neues Scheitzerisches Museum. Erster Jahrgang, Heft X. Zürich 1793, S. 798f.
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Es war einer der schönsten Abende im Mai. Ich sah ein lazurblaues Gewölk, mit Golde besäumt, sich neben meinem Tempel, wo ich in Betrachtungen über meinen einsamen Zustand den Vogelchören zuhörte, immer tiefer und tiefer niederlassen. Ein Wagen schien mir sich herabzulassen, sich mir zu nahen, und ich glaubte: ich sollte jetzt in die Herrlichkeit aufgenommen werden. Endlich sah ich es deutlicher, dass es ein Wagen im Luftgewölke war, und in demselben meine selige Frau. Sie erschien mir mit einem holdseligen Lächeln, und sagte: „M..., Sie gehen mir in die Seele. Hat es Gott genommen, so nehmen Sie wieder. Heiraten Sie.“ Ich? sollte wieder heiraten? Nehmen Sie mich lieber mit in jene Wohnungen des Friedens. – Ich wollte eben an den Wagen fassen, und – Wagen, Frau, Gewölke, alles verschwand mit den Worten: Ihre Stunde ist noch nicht gekommen!|[70] Welche Gedanken bemächtigten sich jetzt meiner Fantasie! Das ganze Bild wich nicht aus meiner Seele. Auch nicht einen Augenblick war ich vermögend, einen andern Gegenstand zu fassen. Ich suchte absichtlich Zerstreuung, aber vergebens. Wie ein Traum schwebte mir die ganze Wolkengestalt, mit Wagen und allem, vor Augen; ich sahe ihr schönes verklärtes Angesicht; ich hörte ihre sanfttönenden Worte. Ich ging zu Hause, und nachdem ich lange über den Gegenstand ihres Gesprächs, über ihren Rat nachgedacht hatte, fand ich: dass ich noch um keinen Schritt weiter gekommen war. Ich stand da, wie eine Säule; so dass endlich mein Johann, der mich schon oft gerufen hatte, mich anstieß, und zu Hause führte, wo ich dann fand, dass ich Essen und Trinken, Zeit und alles über diese tiefe Spekulation vergessen hatte. Der zweite Abend gab mir schon nähere Aufschlüsse. Mit derselben Pracht erschien mir die Gestalt des vorigen Abends wieder, nur nicht ganz so niedrig, dass ich sie erreichen konnte. Sie tat mir denselben Antrag. „Heiraten Sie ein Mädchen, das Ihrer würdig ist, das Sie genau kennen, das mit sympathisiert. Sehen Sie nicht auf Reichtum, sondern vielmehr auf Herzensgüte; auf eine Person, die Sie meint, und nicht bloß Ihre Güter, die in Ihrem Alter|[71] Ihre Stütze ist, und – Sie werden glücklich sein!“ Damit war sie wieder verschwunden. Gern hätte ich mich noch mehr unterrichten lassen, und – das geschah dann auch Abends darauf. Aber doch immer nicht so, wie ich wünschte. Wieder dieselbe Erscheinung in derselben Stunde, in derselben Schönheit des Tages. Schon hatte ich meine Frage überdacht: denn mehr als eine Frage ist einem Sterblichen an einen Geist oder ein überirdisches Wesen zu tun nicht erlaubt. Meine Frage war also: „Nenne mir, Botin des Friedens! nenne mir diese Person!“ Die Antwort war: „Es ist dies nicht in dem Plane der Seligen. Des Menschen Wille ist nicht gebunden. Frei muss der Mensch zum Glücke oder zum Missgeschicke wählen!“ Damit verschwand sie, und er schien mir nie wieder; so oft ich auch diesen Wunsch bei mir hegte. Jetzt ging ich Tage, Wochen, Monate mit mir zu Rate. Langsam und träge, wie auf bleiernen Schwingen, verging mir die Zeit. Und ich fand mit allem meinem Beraten Nichts. Wenn ich diesem oder jenem meiner Anverwandten etwas davon entdeckte; so fand ich stets, dass sie mir das Widerspiel hielten. Von Erscheinungen aus den Wohnungen des Friedens wollten sie nichts wissen. Da hieß es: Wer weiß, was Ih|[72]nen geträumt hat. Sie prophezeiten mir, was man freilich voraus sehen konnte, nichts, als Elend und traurige Tage. Es half aber doch alles Nichts. Ich dachte darauf, wie ich die Sache auf eine ernsthafte Weise anfinge. Und – ich beschloss, einem sehr wackern Mädchen, einem Fräulein v. B., meinen Antrag zu tun. So sauer es mir auch wurde; so schrieb ich ihr doch folgendes: Mein gutes Fräulein! Sie werden vielleicht lachen, wenn Sie den nähern Inhalt meines Briefes lesen. Ich bin ein alter Mann. Meine Frau habe ich verloren, und – ich muss wieder heiraten. Ob ich gleich alt bin; so werden Sie doch wissen, dass ich der berühmteste Mann von der Welt bin. Geld brauche ich nicht. Ich verlange nur Ihr Herz. Wollen Sie mich also heiraten, mich in meinem Alter verpflegen; so sollen Sie es gut haben. Mit dem Rückgange des Boten erwartet Ihr Ja oder Nein – Es steht völlig in Ihrem freien Willen – Ihr wohlaffektionierter H. von Münchhausen.
Sehnsuchtsvoll erwartete ich mit jeder Stunde die Zurückkunft des Boten und die Antwort des Mädchens. Hier ist der Brief.|[73] Sie sind sehr gütig, gnädiger Herr! mir Ihre Hand zu bieten. Einem Manne, wie Sie, der so weltberühmt und bekannt ist, dessen Taten noch immer unnachahmlich und für Jahrhunderte interessant bleiben werden, dessen Werke in hundert Sprachen übersetzt worden sind – eine abschlägige Antwort geben, hieße denselben lästern und zum größten Zorne die nächste Veranlassung geben. Gern komme ich also Ihren Wünschen, Ihren Bitten entgegen, wenn Sie mir es aber auch gütigst nicht verargen wollen, dass ich mir einige Nachsicht von Ihnen erbitte. Ich bin jung, kaum achtzehn Jahre alt, und Sie sind schon über die siebenzig hinaus. Ich werde das Alter ehren, das versiebt sich von selbst. Ich werde in Ihnen den Mann, den Greisen, den Vater ehren; aber sie werden auch eben so gütig gegen mich denken, und mir, da ich einmal sehr viel jugendliches Feuer habe, einige anständige Freiheiten erlauben, die weder den Wohlstand beleidigen, noch mir und Ihnen nachteilig sein können. Ich bin schön. Nie bin ich ohne Anbeter gewesen, und werde es also auch in der Folge nicht bleiben. Sollten Ihnen kleine Zudringlichkeiten, Scherze, Küsse junger Mannspersonen verdächtig sein, sollten Sie darüber eifersüchtig werden oder mir gar darüber einen Hass zuwerfen; so wäre es besser, wir blieben getrennt. Ich bin nicht reich.|[74] Aber auch Reichtum bedürfen, verlangen Sie nicht. Hierüber haben Sie Sich also zu erklären. Übrigens sein Sie versichert, dass ich im Stande bin, Ihnen Ihre alte Tage zu versüßen, und dass ich Alles anwenden werde, Ihnen gefällig zu sein. Bekomme ich morgen hierüber keine Antwort; so ist unser Bund so gut als geschlossen, und ich bin schon übermorgen bei Ihnen. Ihre treugesinnte A. von B.
Wenn man verliebt ist – und man will behaupten: alte Leute wären noch verliebter, als junge – so sieht und hört man nicht. Konnte ich mir aus diesem Briefe, der übrigens sehr gut abgefasst war, nicht schon meine ganze Zukunft enträtseln? Ich tat dies nicht. Ich bewunderte den schön geschriebenen Brief, las ihn tausendmal zu Hause, im Garten, im Tempel, überall, und fand so viel Behaglichkeit an meinem neuen Stande, dass ich vor Freuden fast außer mir war, und ich den Tag kaum erwarten konnte, wo der Liebling meines Herzens, den ich einst in jüngern Jahren als Kind, aber jetzt seit zehn Jahren nicht gesehen hatte, erscheinen würde. Und sie erschien, die lang ersehnte Morgenröte des kommenden Tages, und mit ihr die Sonne, die den Tag verherrlichen sollte.|[75] Jetzt rasselte der Wagen den Hofplatz hinauf, wie schlug mir mein Herz! Mit meinen podagrischen Beinen hinkte ich, so geschwind ich konnte, zum Kutschenschlage, und – ich ward bezaubert. Eine schöne Person sah ich, die Schönste ihres Geschlechts, vom Kopfe bis zur Fußzehe ohne Tadel. Die Zyprische Venus – das Ideal der vollkommenen Schönheit, kann nicht so schön gemalt werden, wie sie es war. Noch an demselben Tage, nachdem die Ehestandspräliminarien in Richtigkeit gebracht waren, reisete sie mit ihren Begleitern wieder ab, und – nach wenigen Wochen war sie – meine Frau. Ich konnte diese Zeit kaum abwarten. O, dachte ich: wäre es möglich, dass eine wohltätige Fee dir den Zaubertrank reichen mögte, wodurch du auch nur um zwanzig Jahre verjüngt werden könntest! Die Hochzeit ward dann, weil ich nicht gut Mehr reisen konnte, sehr solenn in meinem Hause vollzogen, alle gute Freunde dazu eingeladen und gezecht und geschmauset bis Mitternacht, wo ein Jeder seines Weges reisete. Man sagt es wohl, aber es ist auch wahr: es ist wohl nichts Lächerlicheres und Unausstehlicheres, als ein alter Kerl, der verliebt ist. Warum sollte ich es nicht sagen, da es die Wahrheit ist? Kein Hahn kann wohl so verliebt um seine liebste Henne herum gehen, als ich um dies schöne junge|[76] Mädchen. Die Blüte der Gesundheit lachte aus ihren Rosenwangen, strahlte aus ihrem holden blauen Augenpaar. Schon in der ersten Nacht äußerte sich nicht sowohl meine Besorgnis, ihr ein Genüge leisten, zu können. Ich konnte nicht umhin, ihr bei ihren zu heftigen Zudringlichkeiten es geradezu zu gestehen, dass ich ein alter Mann sei, dem sie nicht allein diese, sondern auch manche andere Schwächen zu gute halten müsse. Amor sei nicht mehr so geschäftig, indem er nur die Kohlen im Kamine der ehelichen Liebe zusammen zu schüren und im Glimmen zu erhalten suche: die eigentliche Flamme sei längst erloschen. „Sie werden, hub ich an, gewiss zufrieden sein, wenn ich ihnen alle Quatember meine Pflicht leiste.“ Quatember! das Wort verstehe ich nicht. Wie viele Quatember giebt's denn in einer Nacht? Bei dieser Frage musste ich laut auflachen. – „Ein sehr naiver Scherz!“ sagte ich, schlug die lose Schäkerin auf die Wangen. „Sie werden es schon sehen.“ Sie seufzte – wandte sich herum und schlief ein. Die Flitterwochen des ehelichen Lebens gingen ziemlich vergnügt vorüber. Abgerechnet|[77] daß sie unendlich mehr forderte, als ich zu leisten vermogte, und sie schon in den ersten Tagen ein wenig misslaunig wurde. Ich war sehr nachsichtig, und sie war, wie die meisten Weiber, klug genug, anfangs solide zu tun, bis sie erst festeren Fuß gefasst hätte. Als aber auch diese vorüber waren, so gingen auch meine Leiden an, und vermehrten sich mit jedem Tag und jeder Stunde. Ich war ein eingezogenes, stilles Leben gewohnt, und schätzte die häuslichen Freuden und die Ruhe des Alters über alles. Sie hingegen fand je länger, desto weniger ein Behagen daran. Sie ging, sich ihrer Freiheit zu bedienen, aus einem Hause ins andere, in die Kaufmannshäuser, in die Apotheken, kurz, sie konnte zuweilen gerade, wie sie gestimmt war und sich eben keine Gesellschaft einfand, die nach ihrem Gout war, in Einem Nachmittage die völlige Runde machen. Und wie denn die Welt ist, selten rät sie zum Guten! Da gab es denn viele, die auch ihr Öl zum Feuer gossen, das gute junge Weib bedauerten u. d. gl. |
lazurblaues: himmelblaues Botin des Friedens: Die Illustration zeigt einen Wagen, der von Schwänen gezogen wird. Das deutet auf die Liebesgöttin Venus, von der Ovid sagt, dass er unter anderen Tieren auch von Schwänen gezogen wird. Mit der Bötin könnte aber auch Eirene, die Göttin des Friedens gemeint sein.
Attikarelief am Brandenburger Tor unterhalb der Quadriga. In der Mitte ein Triumphwagen mit der Göttin des Friedens, der von vier Eroten gezogen wird. Modell von Johann Gottfried Schadow nach einem Entwurf von Bernhard Rode, ausgeführt durch den Bildhauer Conrad Nicolaus Boy, 1791. bleiernde Schwingen: Flügel; bildlicher Ausdruck für das Gefühl der langsam vergehenden Zeit
Fräulein v. B.:
Nach dem Tod seiner Frau 1790 warb der alte Münchhausen um sein Patenkind, die
erst 17-jährige Tochter des Majors von Brunn aus Polle: Am 12. Januar 1794
ehelichte er die 20-jährige Bernhardine Brunsig von Brunn (1773-1839). Schon kurz nach der
Hochzeit kam es zu schlimmen Zerwürfnissen. Wegen ehelicher Untreue reichte der
73-jährige Baron die Scheidung ein. In einem drei Jahre lang andauernden und aufsehenerregenden, ruinösen Scheidungsprozess endete die Ehe. Der Baron verlor
dadurch fast sein ganzes Vermögen. 1794 musste er daher das Gut Bodenwerder
formell an seinen Neffen Wilhelm abtreten, blieb jedoch dort wohnhaft.
Bernhardine von Brunn sollte, wie es hieß, auf einer Reise in die Niederlande
verschollen sein. Dort heiratete sie aber im Jahre 1800 den holländischen
Drosten Abraham de Both
aus Didam.
Bernardine von Brun. Fotografie eines verschwundenen Gemäldes, Museum Bodenwerder Lied Deurvorst hat das Leben ihrer Urururgroßmutter Bährne Brunsig von Brun aus dem Weserbergland erforscht und in ihrem Buch „Het Uur van de Waarheid. Bährne Louise von Brun (1773-1839) en de mannen in haar leven“ beschrieben. Darin druckt sie auch Dokumente aus dem Nachlass Börries von Münchhausen in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ab. Deurvorst, Lied. BÄHRNE LOUISE (1773-1839): Hieronymus von Münchhausens verstossene zweite Ehefrau (German Edition). Kindle-Version Hier einige Auszüge: Justus von Brun (1729-1799) diente als Soldat und brachte es im Jahre 1761 zum. Er muss über 34 Jahre alt gewesen sein als er im Jahre 1763 in den Ruhestand trat. Aus seiner Ehe mit m Johanna von Adlerstein (1730-1795) gingen sechs Kinder hervor. Von den ersten drei sind nur die Geburtsdaten bekannt. Das vierte Kind, Johanna Wilhelmina, heiratete später Graf von Kottulinsky. […]. Zwischen ihr und Friederika Bernhardine Louise war ein Brüderchen, Joseph Karl Friedrich. Er wurde im Jahre 1770 am Tag vor Weihnachten getauft. Bemerkenswert ist, dass sein Pate Hieronymus Karl Friedrich von Münchhausen von Bodenwerder war. Das Ehepaar von Münchhausen war offenbar seit langem sehr gut mit den Bruns befreundet. Die Übersiedlung der Familie Brunsig von Brun zwischen 1763 und 1767 von Nienover in den 40 Kilometer entfernten Flecken Polle soll, trotz der Tatsache dass Major von Brun und seine Frau nicht viel Staat machen konnten, eine Bereicherung für den benachbarten Adel gewesen sein. Major von Brun war ein leidenschaftlicher Jäger und obwohl er weder das Geld noch die Güter für eine eigene Jagd besaß, soll der Major, ein netter und ruhiger Mann, ein vorzüglicher Partner bei den lebendigen Jagdpartien die Hieronymus in seiner Grotte veranstaltete, gewesen sein. Bei Hieronymus, der immer selber das große Wort führte, waren Leute willkommen die nicht zu viel redeten, gut und gerne zuhörten und ihm nicht widersprachen. Major von Brun war als Landedelmann, Reiter, und vor allem Weidmann, die Jagd war damals Hauptsache im Leben eines Edelmannes, ein perfekter Freund. Die Kunde dass Bährne zum Zeitpunkt ihrer Heirat im Januar 1794 siebzehn Jahre alt war, ist unbegründet. Sie war zwanzig als sie heiratete. Die Taufbücher beweisen, dass Bernhardine Friederike Louisa von Brun am 3. August 1773 in Polle an der Weser getauft wurde. Auch war es nicht so, dass Hieronymus von Münchhausen Bährne ein paar Monate vor der Hochzeit zum ersten Mal begegnete und dass ihr Vater die Absicht hatte sie auf einem Silbertablett anzubieten um sich selber zu bereichern. Hieronymus war Pate bei der Taufe von Karl Friedrich Joseph von Brun, Bährnes Bruder, der drei Jahre vor Bährne zur Welt kam. Hieronymus und seine Frau Jacobine waren schon seit langem sehr gute Freunde der Bruns. Sie hatten an Bährnes Wiege gestanden und sie aufwachsen gesehen. Die Hochzeitspläne scheinen nach Angaben des Münchhausen Museums in Bodenwerder einen Anfang genommen haben, als Hieronymus im August 1790 verwitwet wurde. Die wichtigste Tatsache ist jedoch, dass Hieronymus selber der Initiator seiner zweiten Ehe war. Deurvorst 2015
Südansicht von Polle - Stich; Originaltitel: "POLLE UND RUINE EBERSTEIN - AN DER WESER"; Stahlstich von J. Umbach nach Vorlage einer Zeichnung von L. Rohbock. 1850 Meine liebe Tochter, Ganz unerwartet ist mir die eingegangene Nachricht, jedoch von Herzen angenehm da du einen Mann bekommst der den übrigen Partien deiner Schwestern nicht widerspricht. Ich gebe dir also hierdurch meine Einwilligung unter Mütterlichen Segen. Die Wege der Vorsehung sind sonderbar. Ich bete sie an, und hoffe daß es dir wohlgehen werde. Morgen ein Mehreres, ich küsse dich in Gedanken und bin liebe Berngen, deine getreue Mutter J. von Brun geb. von Adlerstein. Fr. den 23. Dec. 1793 Johannetta von Brunn an ihre Tochter Bernhardine. Mein lieber Herr Gevatter, Am 5. Jan [1794], wird meine Tochter und Ihrer Schwester, der Feldmarschall Leutnantin hier sein, einliegend ist der Consent von Ihrer Mutter ich wünsche, daβ Sie vor ihrer Herkunft hierher kämen, so könnten wir die Ehe Pacten regulieren. Gestern haben wir eine große Sau geschossen, noch 30 sind zu haben, ich empfehle mich gehorsamst v Brun
Justus von Brun an Hieronymus von Münchhausen,
meinen podagrischen
Beinen: Die Gicht, auch Urikopathie
oder Arthritis urica, ist eine Stoffwechselerkrankung, die durch hohe
Harnsäurekonzentrationen im Blut unbehandelt zu Veränderungen an Gelenken und
Nieren führt. Durch Ablagerungen von Harnsäurekristallen (Urat) in verschiedenen
peripheren Gelenken und Geweben kommt es zu einer gelenknahen Knochenresorption
und Knorpelveränderungen (Gichtarthritis). Zudem kann es zur Schädigung der
Nieren kommen, die langfristig letztlich zur Niereninsuffizienz („Gichtniere“)
führt. Die Schädigung der Nieren verläuft schmerzlos, ist aber wegen der
Bedeutung der Niere als Ausscheidungsorgan als kritischer anzusehen als die
schmerzhaften Gichtattacken an den Gelenken.
Da der 70jährige, nun alleinstehende Hieronymus bei seiner zunehmenden
Alterschwäche größerer Pflege bedurfte und auch nicht mehr allein seiner
Wirtschaft vorstehen konnte, entschloss er sich zu einer zweiten Heirat. Zyprische Venus: Die Geburt der Venus ist ein Gemälde von Sandro Botticelli. Es stellt die Göttin Venus dar. Das Bild befindet sich in den Uffizien in Florenz. Entgegen dem Bildtitel ist nicht die Geburt der Venus, sondern eigentlich die darauf folgende Landung der Venus am Strand von Zypern dargestellt. Nach Hesiod ist Aphrodite eine Tochter des Uranos. Dessen Sohn Kronos schnitt ihm, auf Rat seiner Mutter Gaia, die Geschlechtsteile mit einem Sichelhieb ab und „warf diese hinter sich“ ins Meer. Das Blut und der Samen vermischten sich mit dem Meer, welches ringsum aufschäumte und daraus Aphrodite gebar, die dann von Zephyros geleitet zunächst nach Kythera, dann an der Küste von Zypern an Land ging und ihre Blöße hinter einem Myrtenstrauch verbarg. Die Darstellung der dabei auf einer Muschel gleitenden Venus wird vermutlich von den „stanze per la giostra“ von Poliziano übernommen. Venus (griechisch Aphrodite, „die Meerschaumgeborene“) wurde in der griechischen Mythologie aus einer Muschel geboren, die ihrerseits nach antiker Meinung aus dem Meerschaum entstand. Die Muschel wird hier als Jakobsmuschel dargestellt. Die Venus steht leichtfüßig auf einer Muschelschale, die vom Westwind Zephyr an die Gestade von Kypros getrieben wird. Allerdings handelt es sich um eine idealisierte Landschaft, die auch italienische Züge tragen könnte. Eine Interpretation besagt, dass Zephyr in seinen Armen Aura, die Göttin der sanften Morgenbrise, trägt. Andererseits kann man auch – in Anlehnung an das andere große Gemälde Botticellis, Primavera – in der Umarmung die Nymphe Chloris sehen, die sich nach der Vorlage von Ovids Fasten (5, 195 ff.) erst nach der Umarmung durch Zephyr in „Flora“, die Göttin der Frühlingsblüte, verwandelt. Erst die Umarmung ist also die Voraussetzung für frühlingshaftes, sich fortpflanzendes Geschehen: „genitalis aura favoni“, wie es in Lukrez’ Lehrgedicht „De rerum natura“ heißt (Buch 1, 11). Ein Erkennungsmerkmal für Chloris ist gemäß der Ovidschen Vorlage die Tatsache, dass sie beim Sprechen Rosenblüten aus ihrem Mund verliert. Somit wäre dieses Bild eine thematische Variation zu Primavera, wo Venus ebenfalls eine zentrale Position im Bild einnimmt. Venus und Primavera bilden somit in Botticellis Werk zwei einander ergänzende Allegorien, was ganz der antiken Vorstellung entspricht. Von rechts reicht der Venus eine der Horen, Göttinnen der Jahreszeiten, einen Mantel. Die Landschaft zeigt sich hier vereinfacht und idealisiert. Einfache kurze Gräser bedecken das Land. Zwei Rohrkolben, Pflanzen, die am Meeresstrand real gar nicht gedeihen, deuten sparsam und symbolhaft die Ufervegetation an, drei kerzengerade Stämme hartlaubiger Bäume einen Hain. Das Meer mit seinen leicht gekräuselten Wellen und dem Meeresschaum an der Küste sind ähnlich sparsam und dabei doch anschaulich dargestellt. Das eingestreute Gold auf den Wellen, die in dreieckigen und gewellten Linien gezeichnet sind und das Gold auf den Gräsern symbolisieren ein göttliches Licht. Umso auffälliger sind im Gegensatz zur Darstellung von Landschaft und Meer die Myrten der Aura zu sehen und noch mehr die Prächtigkeit des von der Hore dargebotenen Gewandes, in das ornamentale Gänseblümchen kunstvoll eingewoben sind. Im Gewand der Hore sind schmucke Kornblumen zu sehen. Trotz ihrer Nacktheit ist die Göttin kein Symbol der körperlichen, sondern der geistigen Liebe. Die keusche Pose ist wohl einer venus pudica (einer schamhaften Venus) nachempfunden. Die Anatomie der Venus entspricht nicht dem klassischen Realismus von Leonardo oder Raffael, der (zu) lange Hals oder die anatomisch nicht korrekte Haltung der linken Schulter sind eher ein Vorgriff auf den Manierismus, sie betonen jedoch die Schönheit der Venus.
Botticellis Bild ist vielleicht inspiriert von einem
Homerischen Hymnus, in dem er die Ankunft der Göttin auf der Insel besingt:
„Aphrodite die schöne, die züchtige will ich besingen … die der meerumflossenen
Kypros Zinnen beherrscht, wohin sie des Zephyros schwellender Windhauch sanft
hintrug auf der Woge des vielaufrauschenden Meeres im weichflockigen Schaum… und
die Horen nahmen mit Freuden sie auf.“ Der Einfluss von Ovids Metamorphosen und
seinen Fasti sowie der von Polizianos Versen ist ebenso spürbar. In einer Ära,
in der fast alle Gemälde biblische Themen darstellten, ist die Geburt der Venus
in ihrer Darstellung antiker mythologischer Figuren eine Ausnahme. Ehestandspräliminarien: Präliminarien sind etwas, was einer ins Auge gefassten Sache einleitend, vorbereitend vorausgeschickt wird; vorbereitende, einleitende Verhandlungen.
Stadtkirche St. Nicolai von Norden, Marktplatzseite. St. Nicolai, Inneres nach Süden, Foto: Uwe Barghaan Hochzeit: Darüber meldet das Kirchenbuch: „Der Hochwohlgeborene Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen, Erbherr auf Rinteln, Schwöbber und Bodenwerder mit Huntzen, Kaiserlicher russ. Wirklicher Rittmeister bei dem Großfürstlichen Leib-Garde-Regiment, ein Witwer, ist mit dem hochwohlgeb. Fräulein Bernhardine Luise von Brunn, des Hochwohlgeb. Königl. Großbrit. Und Churfürstlich Braunschweig. und Lüneburg. Majors bei dem Hamelnschen Garnison-Regiment, Herrn Justus Hertwig v. Brunn Fräulein Tochter, am 12. Jan. 1794 im Hause getraut worden.“
Eine Nachschrift besagt dann: „NB! Im Monat Juli a. c. trennte sich Herr
von M. wegen angeschuldigter Liederlichkei dieser jungen Dame wieder von
ihr, so daß sie wiedre nach Polle zu ihrem Vater, dem Major von Brunn, zog,
worauf der Prozeß sich anfing.“ solenn: feierlich, festlich
längst erloschen: 23. September 1794 ACTUM
Bodenwerder den 26ten September 1794 auf dem Gut vom Münchhausenschen Hofe.
Dato ließe der hiesige Russischer Kaiserliche Rittmeister Herr Hieronymus
Carl Friedrich von Münchhausen mich, den Bürgermeister und Stadtsecretaire
Lindenberg, anrufen mich zu ihm zu verfügen, indem er in seiner Prozesssache
gegen seine Ehefrau mir etwas zu eröffnen habe. Nachdem ich mich nun zu ihm
auf das sein hochadliges Haus verfüget, und da selbst den hiesigen Herrn
Pfarrer Cludius vorfand, deklarierte geehrter Herr Rittmeister von
Münchhausen: der er zuverlässig erfahren, daß seine Frau schwanger sei; so
erkläre er hiermit vor Gott und der ganzen Welt, daß er nicht Vater zu
diesem Kinde sei, nachdem er am 12. Januar dieses Jahres als dem
Hochzeitstage, zwar die eheliche Beiwohnung und den Beischlaf mit derselben
versucht habe, allein damit nicht zum Zweck gekommen sei. Nach der Zeit aber
habe er den ehelichen Beischlaf niemals mit ihr getrieben. Er sei bereit
diese seine Aussage auf höheres Verlangen jederzeit mittels körperlichen
Eides zu bestärken. Laut dieses hierüber aufgenommen Protokolle seinem
Neffen dem Hauptmann Wilhelm von Münchhausen von der Kasselschen Garde, der
bei ihm gegenwärtig sei, in forma probante zustellen zu lassen, damit
derselbe solches bei Königlichen Konsistorium zu Hannover produzieren könne,
welches demselben versichert dieses abgehaltene Protokoll sowohl von mir als
auch dem hiesigen Herrn Pfarrer Cludius eigenhändig unterschrieben worden.
Quatember: Mit Quatember bezeichnet man
viermal im Jahr stattfindende, ursprünglich durch Fasten, Abstinenz, Gebet und
Almosengeben ausgezeichnete Bußtage im Kirchenjahr der römisch-katholischen
Kirche. Ihre Terminierung fällt ungefähr mit dem Beginn der vier Jahreszeiten
zusammen. Gout: franz. Geschmack die völlige Runde machen: herumerzählt werden, an Bekanntheit erlangen |
Sandro Botticelli: Die Geburt der Venus, Tempera auf Leinwand um 1485/86.
Albrecht Friedrich von Münchhausen, geboren 1798 in Rinteln, verbrachte seine Kindheit in der Nähe von Bodenwerder. In seiner 1872 veröffentlichten Geschlechts-Historie des Hauses von Münchhausen von 1740 bis auf die neueste Zeit beschreibt er das Leben Hieronymus von Münchhausen auf der Grundlage der Familienarchivs (heute in der Niedersächsischen Staats- und Universität Göttingen) und seiner Erinnerungen:
[...] Nach dem Tode seiner geliebten Frau fühlte der siebenzigjährige Mann, daß er bei seiner zunehmenden Altersschwäche größerer Pflege bedürfe und nicht mehr allein seine Wirthschaft zu übersehen im Stande sei. Er hatte solches mehrfach gegen Bekannte ausgesprochen. Da, – im Sommer 1793, – kam eines Tages der, in Polle miethweis wohnende, ganz vermögenslose vormalige Major v. Brunn, (den M. nur ganz oberflächlich von einiger Begegnung auf Jagden kannte,) – sammt jüngster Tochter, nach Bodenwerder, ward dort, wie jeder Besuch, freundlich aufgenommen und blieb ohne Weiteres 14 Tage. Beide über boten sich in zuvorkommenden Aufmerksamkeiten, besonders aber zeigte sich die Tochter „sehr liebreich und gefällig“. Sie erreichten ihren Zweck: – bei dem alten Herrn die Gedankenfolge zu erwecken, daß Bährne Brunn, (sie hieß Bernhardine) die auf nichts eben große Ansprüche und Lebenshoffnungen zu bauen hatte, wohl die Person sei, die in den Pflichten seiner stillen Häuslichkeit ihr Glück finden und seine Zufriedenheit schaffen könne. Leider hatte er mit keinem Menschen seine Absicht besprochen, es wäre sonst wohl keiner verlegen gewesen um die Antwort. Seine Bewerbung ward von Eltern und Tochter bereitest acceptirt. – Der Vater, (der M. immer „Herr Gevatter“ nennt,) konnte kaum schreiben, die Mutter aber, eine geb. Adlerstein, war sichtlich in Schrift und That sehr gewandt. In ihrem Consensbriefe gratulirt sie der Tochter mit dem Zusatz: Du wirst einen Mann bekommen, der der Partie deiner Schwester nicht widerspricht, (nicht unähnlich ist). Diese hatte sich nämlich einen alten General gekapert, einen Grafen K – – linsky. Er mochte vielleicht reich sein, aber jedenfalls war sie ein starkes Saugwerk zur Erleichterung seines Beutels und reiste auch gern umher. In unserem Roman spielt sie in Bodenwerder nur einmal eine Nebenrolle bei einem Hergange, der nicht gut erzählt werden kann. Sie wird hier nur vorgeführt als Schlaglicht auf die ganze Familie. Um 1806 war sie bei einem in Rinteln garnisonnirenden Hauptmann v. Brunn zum Besuch. Das pomphafte Auftreten, – die Gräfin, – sogar die polnisch benamte, – die Feldmarschallin die Ercellenz erfüllte das ganze Tagesgespräch der kleinen Stadt. Ich war dort als Knabe im Hause meiner Großmutter und erhielt die Erlaubniß, in den erleuchteten Gesellschaftssaal zu sehen, wo sie am Spieltisch saß. Eine lebhafte Gestalt, sperrige schwarze Lodenfrisur, mit Putz und glitzerndem Schmuck überhängt, bei der Conversation mit feurigen Blicken umherfuchtelnd, – das war das Meteor, was auf der bescheidenen Folie der Rintelnschen Volée glänzend sich abhob. Sie glich den Königinnen auf den Groschenbildern, die ich mir von meinem Marktgelde erstand. Unreimbar war mir deshalb das Geflüster, was selbst den Knabenohren nicht entging: das ganze Meteor sei nur – cine Avantürière. – Bild und Name ist mir nie aus dem Gedächtniß entschwunden, obwohl ich nicht ahnen konnte, daß mir 60 Jahre später diese Persönlichkeit noch in einem Zusammenhange unter die Feder kommen würde.
Am 12. Januar 1794 war die Hochzeit, die M., den Verhältnissen gemäß, in einfacher Stille wollte gefeiert wissen. Sie fand in Bodenwerder statt, da Brunns so wenig Raum als Geld dazu hatten.
Nachmittags aber traf den alten Herrn die erste Überraschung, als sich plötzlich eine hannoversche Musikbande hören ließ und Ballgäste zuströmten; – alles eigenmächtig vom sauberen Schwiegervater bestellt, auf Münchhausen's Rechnung. Die zweite Überraschung war, daß die junge Frau Abends 10 Uhr die Aufforderung ihres Mannes zum Schlusse ihrer Tanzfreuden, – und erst Morgens nach 3 Uhr durch die etwas kräftige Vorstellung der Haushälterin, (Frau Nolte,) bewogen ward, das Fest zu verlassen.
M. hatte in seiner Zurückgezogenheit nichts davon gehört, daß Bährne mit dem jungen Amtsschreiber Ch. Zu Polle sich in einem so straßenkundigen Liebesverhältniß herumzog, daß sie mehrfach die beschönigende Äußerung nöthig gefunden hatte: sie sei mit ihm heimlich verlobt.
Nun ging es Schlag auf Schlag. Gleich in den ersten Monaten schaffte sie sich zwanzig Kleider an, darunter ein gesticktes für 30 Reichsthaler. Ein heimlich ins Haus genommener Schneider mußte diese Stoffe kunstgerecht verarbeiten. Die von Hannover darüber eingehenden Rechnungen öffneten M. schrecklich die Augen. Sie ließ Champagner kommen, um damit u. a. einen Mann zu beschenken, in dessen Hause sie nach wie vor der Ehe, die Zusammenkünfte hielt mit dem Charmant. Sie sprach den Geldvorräthen derartig zu, daß M. ihr schon nach wenigen Wochen die Cassenschlüssel abnehmen mußte. Sie half sich mittelst heimlicher Verkäufe aus dem Haushalt. Fast offen sprach sie gegen verschiedene Personen aus: ihr Streben müsse auf die Schaffung eines Erben gehen, das werde ihr aus Bodenwerder die Mittel liefern zu demnächstiger Heirath mit ihrem verlobten Amtsschreiber. Mehrere Anzeichen machten das Gerücht auftauchen: daß sie sich mit jener Schaffung bereits stark verfrühet habe, im Vergleich mit dem Hochzeitstage, was fatal werden konnte. Doch Bährne war nicht verlegen. Sie machte Freundschaft mit dem Apotheker, der sich durch zugetragene Mittel, Rath schläge und hülfreiche Hand gefällig zeigte und wonach dann auch jenes Gerücht wieder verflog. Übrigens fehlte sie bei keiner erreichbaren Lustbarkeit, was sie in ihrer ersten Proceßschrift, als etwas durchaus harmloses, auch vollständig zugiebt. – Daß aus dem Haushalte auch tüchtig nach ihren Eltern verschleppt wurde, versteht sich von selbst.
Von einem Besuche in Cassel zurückkehrend, hatte sie M.ʼs Wagen bis Forst bestellt, wo mit ihr zugleich, von Polle her, auch ihr Vater und der Amtsschreiber eintraf. Sie ging sofort mit diesem in ein oberes Zimmer des Wirthshauses, und ihr Vater so lange vor dem Hause auf und ab. — Details über dieses rendezvous sind zu übergehen.
Nicht lange nachher ward dieser handgreifliche Vorfall, sowie: daß sie für schwanger gehalten werde, zwar anonym, aber von kennbarer Freundeshand, Münchhausens Neffen und Lehnfolger, dem hessischen Hauptmann angezeigt, der Bährne sofort darüber zur Rede stellt und unterm 21. April 1794 ein motivirtes schriftliches Zeugniß bekommt, des Inhalts: Ein Kind von ihrem Manne sei unmöglich. Würde sie schwanger, so könne es nur die Frucht schlechter Aufführung sein, der sie fälschlich beschuldiget werde. Sollte es dennoch geschehen, so autorisire sie den Vetter zu jedem beliebigen Gebrauch von diesem Atteste. Das Zeugniß schließt mit den Worten: „So geschehen, meine Unschuld zu beweisen. Bodenwerder am 21. April 1794.“
Im July 1794 stellt sie sich leidend, um nach Pyrmont zu kommen, schreibt von dort über ihre stille Zurückgezogenheit, ihre Beinschwäche u. dergl., legt einen Brief bei, der vom Brunnenarzt Geh. Rath Trempel sein soll und volle Genesung verspricht, wenn sie noch 10 Tage dort bleibe und schließt mit den Worten: „ich bin, wie immer, Ihre treue (!! ) Frau.“ Zugleich kommen aber mündlich und schriftlich Nachrichten über ihr dortiges Treiben. Mit ihr fast a tempo traf der Hauptmann B. ein, (von der Hamelnschen Garnison,) fragt gleich den Kutscher nach ihrem Zimmer, nimmt in demselben Hause Quartier und ist fast den ganzen Tag mit ihr, selbst frei am offenen Fenster vor aller Augen. Sie versäumt keine Tanznacht. Ihre Kammerjungfer bezeugt, daß sie täglich mehrfach neu das Bett machen müsse. – Schon früher kommt eine Wallfahrt vor, die sie, in Begleitung des Hauptmanns zum Liboriusfest nach Paderborn gemacht, sowie, daß der Hauptmann die ersten süßen Früchte aus dem Gutsgarten als souvenir heimlich von ihr erhielt.
Überhaupt trat immer mehr ans Licht, wie liebreich (nur nicht eben gegen dieselbe Person, wie bei dem ersten vierzehntägigen Bodenwerderschen Besuch) – sie in großer Allgemeinheit war, wie freigebig sie ihre vertraulichen Brief- und Geschenkbeförderer und andere Freundesdienste belohnte.
Das Maaß war voll. In Hieronimus Auftrage schrieb ihr der Hauptmann nach
Pyrmont: Sie solle sich in Bodenwerder nicht wieder sehen lassen, ihre
Kleider sollten ihr nach Polle geschickt und die Scheidungsklage solle
sofort eingereicht werden.
A. F. von Münchhausen 1876, S. 69ff.
Sie führte ein sehr verschwenderisches Leben. In zwei Monaten hatte sie|[78] über – – – *) Taler ausgegeben. Das war doch sehr viel. Aber wie konnte das anders sein? Ich war das nicht gewohnt. Denn meine selige Frau, die ich nicht einmal erwähnen durfte, machte keinen Aufwand. Sie war nun einmal nach dem feinem Geschmack in den Galanterien unseres Zeitalters erzogen. Und dazu gehört viel. Die jungen Herren machten ihr jetzt alle Tage die Cour, schlugen Lustpartien mit ihr vor, und – mich alten Mann ließen sie zu Hause. Und das nahm gar kein Ende. Kaum war der eine junge Herr weg; so kam der andere wieder. Das ging an ein Herzen und Küssen u. d. gl., und das in meiner Gegenwart. Himmel! dachte ich, wenn das am grünen Holze geschieht, was wird am dürren werden! *) Die Zahlen waren im Manuskript nicht deutlich genug geschrieben. Es ging immer weiter. Jetzt wurden schön größere Lustreisen mit jungen Herren nach Hannover, Kassel, Pyrmont u. a. gemacht; so dass ich meinen Unwillen darüber mehreremal zu erkennen gab. Aber darauf wurde nicht einmal geachtet. Dazu gehört mehr als ein geduldiger Magen. Nach einiger Zeit, wie das nicht anders zu vermuten war, ließen sich denn auch Spuren blicken*) – – – – – – – – – – – –|[79] – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – *) Hier konnte ich wieder das Manuskript nicht lesen. Küper. Sie reisete einst mit mehreren jungen Kavaliern nach Pyrmont ohne meine Einwilligung – und von hier aus, was sollte ich anders tun, und war würde ein jeder Andere in meiner Lage getan haben? musste sie nolens volens wieder zu ihrer Heimat zurückkehren. Ich klagte auf die Ehescheidung. Sie gebahr während dieser Zeit eine Tochter. die aber bald wieder das Zeitliche segnete. Und mir – ward zuerkannt, da wir von Tisch und Bette geschieden wären, ihr jährlich eine Pension zu geben. Tausendmal wünschte ich, was ich nie erlangen konnte, meine selige Frau wieder zurück. Ich nannte sie freilich zuweilen den seligen Satan, aber doch immer mehr aus Scherz, als aus wirklicher Meinung. Es bleibt doch dabei, und der selige Weise hatte Recht, wenn er behauptete:
Das allerbeste Weib Ich habe ihr inzwischen alle ihre Fehler vergeben; alle ihre Kränkungen, alle ihre Lästerun|[80]gen gegen mich, deren ich vielleicht mehrere erfahren habe, als sie selbst gesagt hat. Die Fama ist geschäftig. Ich mochte auch zuletzt nichts mehr davon hören. Nichts wünsche ich mehr, als dass es ihr wohlgehen möge. – Wir können oft selbst für manche unserer Handlungen nicht. Ein unsichtbares Destinee leitet uns bis zum Grabe, und oft erst am Rande desselben finden wir Ursach, zu überdenken und es uns zu sagen: so und nicht anders hätten wir handeln sollen. Man soll über die Geistlichen nicht richten. Aber in den jetzigen Zeiten geben sie den Menschen, sehr oft Gelegenheit dazu. Sie bleiben nicht mehr bei dem Buchstaben des Gesetzes, und wollen es besser wissen, wie unsre Vorfahren, die doch alle auf den alten Glauben gestorben sind. Die verfluchte Kantische Philosophie, und eben so sehr der Fichtische und Forbergsche Atheismus haben viel Unglück in der Welt angerichtet. – Und was soll das alles auf der Kanzel und für die Erziehung des Menschengeschlechts, insbesondere der geringern Klasse desselben? So viel ist gewiss: oft habe ich darüber den gemeinen Mann urteilen hören, wenn der Pastor auf eine neue Art die Menschen taufte, kopulierte u. d. gl., der Pastor machte was daher, hieß es, das weder Saft noch Kraft hatte, und dachte Wun|[81]der, was er tat. Er sollte es doch bei den Alten lassen – das verstehen wir. Mit seiner Trauungszeremonie war ich vollends nicht zufrieden. Man ist freilich wohl jetzt hin und wieder der Meinung: das Alte sei vergangen, und man müsse nicht abergläubisch sein – aber ich dachte doch nachher oft darüber nach, dass das vielleicht Mitursache unsers Missvertrages im Ehestande war, dass er uns nicht ordnungsmäßig nach der alten Kirchenagende kopuliert hatte*). Selbst den Segen, dies fiel mir vorzüglich auf, so dass ich den Kopf schüttelte, als|[82] wir fertig sein sollten – worauf die Alten so sehr rechneten: der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs füge euch zusammen, und gebe seinen Segen reichlich über euch – ließ er ganz weg. War das Recht? *) Auch ich bin derselben Meinung. Die langjährige Erfahrung hat mich gelehret: dass das Volk durch das Neue, das es doch nicht versteht, um nichts gebessert wird, so wenig als durch das Alte, welches es zu verstehen glaubt, weil es Worte hört, die ihm gewöhnlich sind. Die Kirchenagende hat die Sanktion, und ist um deswillen dem Volke ehrwürdig. Der größte Teil des gemeinen Volks ist, wie das liebe Vieh. Es tut alles mechanisch, ohne das mindeste dabei zu denken, und fühlt sich, wo nicht glücklich, doch ruhig dabei, und glaubt es steif und fest, seiner Pflicht ein Genüge zu leisten. Das Volk zum Denken hinzuleiten, ist eine Sache von der äußersten Unmöglichkeit. Was hilft es also, so viel darüber zu schreiben, zu reden, und sich zu kasteien? In Erfüllung der Amtspflichten sollte jeder so denken, wie ich und jener Klosterbruder: Offeium meum perago taliter qualiter etc. Küper. Meine zweite Lebensperiode war also wieder in so weit beendiget. Ich hatte nun wohl keine Frau, aber auch keinen so bittern täglichen Gram mehr, der mich stündlich und augenblicklich auffraß. Demohnerachtet hatte doch meint Konstitution gelitten, und ich fühlte je länger, desto mehr, wie meine Kräfte abnahmen. Das Alter tat wohl etwas, aber bei einer guten Verpflegung von den Händen eines gutmütigen Weibes; wie blühend hätte da auch der Winter meines Lebens sein können! Es gibt Jünglinge, die schon mit den Schwächen des Alters kämpfen; und Greise, die Jünglingen ähnlich sind. Es kostete erst Mühe, Anstrengung; ehe die Wunden einigermaßen verharschten. Die Zeit, die beste Trösterin in unsern Schicksalen, tat denn auch das Ihrige. Tage vergingen, Wochen verstrichen, Monate schwanden, und – ein Jahr war vorüber, als ich schon wieder anfing, an den Freuden der Freundschaft, der Geselligkeit, Teil zu nehmen. Meine vorherigen guten Freunde, die mich während dieser Periode nicht ganz so häufig besuchten, stellten sich wieder ein, und taten|[83] ein Großes, um mich wieder in meiner Einsamkeit aufzuheitern. Einer meiner Verwandten, ein wackerer vor trefflicher Jüngling, kam einst aus Göttingen, um die Ferien bei mir zuzubringen. Er brachte das schöne Lied mit: Hier sitz ich auf Rasen, von Veilchen ums kränzt ⁊c. Dies sangen wir recht oft bei einem heitern Tage. Mittags nach Tische, wo wir uns alle ins Grüne niedergesetzt hatten. Mein Johann und mein Jäger akkompagnierten mit Waldhörnern dazu in einiger Entfernung: das war mir ein Ohrenschmaus, eine Empfindung, die über alles ging: Ich vergaß alles – allen meinen Kummer, mein Ungemach, meine Schmerzen an meinem Körper, mein Podagra. Ich versetzte mich so ganz in meine Jugendzeit, wenn der junge Mann dies mit so vielem Anstand und mit eben so viel Feuer sang. Dies Lied gefiel mir so sehr, dass ich bei fröhlicher Laune eine Parodie darüber machte. Dies ward nun, wenn gute Freunde bei mir waren, für die Zukunft, mein Lieblingslied. Ich teile es hier allen denen mit, die noch Freude am Leben und am Trinken, am geselligen Leben haben, und gern fröhlich zu sein wünschen. Schon die Melodie desselben heitert den tiefsinnigsten Menschen auf, und das Lied selbst erinnert uns an sehr alte Wahrheiten.|[84]
Hier sitz ich am Tische, von Freunden umkränzt: Drum will ich auch trinken :,: Bis lächelnd am Abend der Hesperus glänzt.
Das menschliche Leben eilt schneller dahin, Als Räder am Wagen – Ja schneller als Blitze die Lüfte durchziehn.
Wir alle, vom Weibe geboren, sind Staub, Der früher, der später – Wir alle sind einstens des Sensenmanns Raub.
Und deckt uns des Grabes stockfinstere Nacht, Was hilftʼs uns im Tode – Wenn man uns auch prächtige Denkmäler macht.
Drum lieber auf Erden; so lang es noch geht! Es lebe die Freundschaft! – Wohl dem, der sein Gläschen zu trinken versteht!
So will ich mich freuen bei Wein und bei Kuss, Bis dass ich hinunter – Ins traurige Reich der Schattenwelt muss.
–––| |
verschwenderisches Leben: Die Zeugnisse
vermitteln einen Eindruck, woran das Geld ausgegeben wurde. Fräulein
Kauffmann, Nolte, die Nolten und Riepenhausen sagten aus… „daß der Schneider
Riepenhausen viele Wochen lang in des Producenten (Hieronymus von
Münchhausens) Hause gearbeitet, daß solches für Producenten sorgfältig
verheimlicht worden, daß Schneider Riepenhausen dermalen eine große Menge
neue Kleider für Productin (Bernhardine von Münchhausen-Brunsig von Brun)
verfertiget habe, daß Productin damit eine große Summe Geldes verschwendet
habe, daß Producenten von dem alles nichts gewusst habe. Fräulein Kauffmann
und Frau Nolten fügten hinzu, daß Productin eine Zeit lang den Schlüssel zu
Producentens Geld gehabt und daß, (Frau Nolten hatte ihren Namen in den
folgenden Zeugenerklärungen streichen lassen) Productin das zu jenem großen
Aufwande und Verschwendung so vieler neuer Kleider erforderlichen Geld dem
Producenten heimlich entwand habe, daß von der Productin oft große Summen
Geldes für allerhand Putz und Galanterie an den Kaufman Klingsor nach
Hannover gesandt, daß Producenten von dieser großen Aufwande Productin nicht
gewusst habe. Nolte, die Nolten und Opperman erklärten daß sowohl Früchte
als auch andere Victualiën und Haushaltsbedürfnisse von Productin heimlich
nach Polle an ihren Vater den Major von Brun gesandt wurden.“ die cour: einer Frau den Hof machen; eine Liebesbeziehung mit jemandem anstreben, flirten, um eine Dame werben. Der Offizier aus Hameln Die hier folgenden Aussagen zeigen wie junge Frauen sich benehmen können, wenn sie versuchen einige Aufregung in ihre langweiligen Tagen zu bringen. Ein Flirt mit jungen attraktiven Männern schadet doch nicht, meinten sie. Dreiunddreißig Kilometer entfernt von Bodenwerder bei Höxter an der Weser, liegt immer noch das Tausend Jahre alte Benediktinerkloster Corvey. Das war das Ziel der Reise, da wurde ein Winterfestival abgehalten. Es war die erste große Reise die Bährne als verheiratete Frau im Frühjahr des Jahres 1794 machte. Sie wurde von Angelika begleitet. Nolte und die Knechte auf dem Bock des Reisewagens haben sich sicherlich auch gefreut, denn mit dem alten Herrn Baron war es langweilig geworden. Bei Lichtlingen mußte der Reisewagen auf die Fähre warten und dort haben die Mädchen die Offiziere aus Hameln kennengelernt. Nachher war es wirklich gemütlich zusammen. Ein Winterfestival kann nicht später als vor Anfang der Fastenzeit stattfinden. Mit Ostern am 20. April kann man die Zeit dieses Ausflugs festlegen auf spätestens Anfang März. Fräulein von Kauffmann, Nolte und die beiden Knechten sagten aus: daß Zeugen auch mit Productin nach Corveijzum Winterfest gefahren, daß bei Lichtringen an der Fähre Offiziers aus Hameln zu ihnen zustoßen, daß Productin von Lichtringen ab bis Corveijmit dem einen Offizier zu Fuß gegangen, daß diese beiden Offiziere auch mit Productin zu Corveij (gingen) und dann im selben Wirtshaus logiert, daß Productin bis am folgenden Tag zu Corveij geblieben, daß diese beiden Offiziere sie am folgenden Morgen bis Holzminden begleitet, daß aber besonders der eine Offizier, mit welche Productin tags zuvor beständig gegangen, ihr auch noch bis Rühle das Geleite gegeben. Für diesen Offizier aus Hameln, dessen Namen nirgends erwähnt wird, führte der Apotheker Grave seine Dienstleitungen als Postillon d'amour aus. Er kam ab und zu mit Freunden nach Bodenwerder. In Pyrmont, wo Bernhardine später eine Kur machte, erschien er wieder auf der Bühne. Deurvorst 2015 Herzen und Küssen: Frau Nolten sagte auch aus, dass Bährne von ihr verlangte, dass sie Münchhausen nichts erzähle von Stelldicheins mit anderen Männern. Als Dank bekam sie hin und wieder Kleinigkeiten zugestopft. Auch andere Angestellten bestätigten dies. Um dies als Schweigegeld zu betrachten hatte nur die Absicht Bernhardines Namen in dem juridischen Kampf anzuschwärzen. Es scheint, dass Hieronymus keinen Widerstand geleistet hat, dass Bährne den Amtschreiber auch nach der Hochzeit treffe. Ebenfalls hatte er nicht beanstandet, zumindest am Anfang, dass der Amtschreiber regelmäßiger nach Bodenwerder käme. Dass es manchmal außer Kontrolle geriet, wird klar wenn man die Zeugenerklärungen liest. Fräulein Kauffmann und Jäger Nolte sagten aus „daß der Amtschreiber aus Polle auch einige Mahle mit Vorwissen des Producenten in dessen Hause zu Bodenwerder des Nachts geblieben, (nur Nolte) daß mit dem Amtschreiber zugleich auch der Productin‘s Vater Major von Brun und dessen Schwester der Generalin Kottulinsky daselbst logierte, daß Productin damals abends nach 10 Uhr und nachdem die Gesellschaft im Hause schon aus einander, und jeder auf sein Schlafzimmer gegangen gewesen, nachher noch eine geraume Zeit allein bei dem Amtschreiber aus Polle auf dessen Schlafzimmer gewesen, daß Productin damals unter dem Vorwand, daß sie mit ihrer Schwester noch abends zu sprechen habe, sie auch in das Haus gegangen wo die Fremden logiert hätten. (Frau Nolten) Daß Zeugin selbst von Producenten endlich und nach Verlauf einer geraumen Zeit hinausgeschickt worden ist, um Productin von ihrer Schwester abzurufen, daß Zeugin die Productin so wenig bei ihrem Vater als bei ihrer Schwester und auch deren Schlafzimmer angetroffen, daß der Major Brun darauf selbst die Productin auf dem Vorsaale vor dem Zimmer wo selbst der Amtschreiber aus Polle ganz allein logiert habe, wiederholt und etliche Mahle bei Nahmen gerufen, daß Zeugin selbst gesehen daß Productin endlich aus des Amtschreibers Schlafzimmer gekommen, daß Productin in der Zeugins Gegenwart dem Producenten eingeredet, sie sei bei ihrer Schwester gewesen.“ Angelika, Magd Sophie und das Ehepaar Nolte sagten aus, „daβ der Amtschreiber aus Polle auch mehrere Male des Nachts heimlich und besonders ohne Wissen des Producenten [Münchhausen] in dem Hause des Producenten gewesen sei, daβ der Amtschreiber aus Polle alsdann des Abends spät wann alles im Hause, besonders aber Produzent, zu Bett gewesen, sich heimlich hinterwärts über die kleine Brücke ins Haus geschlichen habe, daβ der Amtschreiber aus Polle so des Morgens ganz früh wieder heimlich über die kleine Brücke vom Hofe gegehen sei und daβ der Amtschreiber aus Polle alsdann des Nachts bei der Produktin [Bernhardine] in ihrem Zimmer allein zugebracht habe.“ Otto, Otten, Magd Otten, Riepenhausen und Magd Brun sagten aus „daβ Productin [Bernhardine], verheiratet gewesen noch öfters geheime Zusammenkünfte mit dem Amtschreiber aus Polle gehabt, daβ auch diese geheime Zusammenkünfte oft bis spät in die Nacht gedauert.“ Otto, Otten, Magd Otten, Frl. Kaufmanns, Nolte und Nolten: „daβ Productin auch als sie schon verheiratet gewesen, noch eine geheime Correspondenz mit dem Amtschreiber aus Polle geführt.“ Frl. Kaufmanns und Nolten: „daβ Zeugen selbst der gleiche Briefe des Amtschreibers zu Polle an die Productin, als sie schon verheiratet gewesen, gesehen und gelesen haben, daβ Zeugin wisse daβ Productin und der Amtschreiber zu Polle sich in ihren Briefen sogar geduzt, und einander darin Du genannt, daβ Productin gewöhnlich solche Briefe an den Hauptvoigt Otto zu Polle adressiert habe.“ Bussmann, Mademoiselle Bussmann, Ohmen sagten aus: „daß unter anderen auch Frau von Münchhausen zweimal in das Hauptmann Bussmann Hause zu Börrie gewesen, daß damals Frau von Münchhausen mit dem Amtschreiber aus Polle sehr lange und dem größten Teil des Zeits auf einem Zimmer allein gewesen, und daß dabei das Zimmer verschlossen gewesen, daß damals die Anwesenheit des Amtschreibers von den Domestiquen verheimlicht werden müßte, daß Frau von Münchhausen auch des Nachmittags mit dem Amtschreiber aus Polle auf dem Bett gelegen, daß die Tür der Zimmer dabei verschlossen gewesen.“ Die Bussmanns, Nolten, Frl. Kauffmann und Otten: „daß Productin selbst der Zeugin ihre Liebe zum Amtschreiber zu Polle entdeckt habe.
Otto, Otten, Magd Otten, Hauptmann Bussmann, Mad. Bussmann, und Frl.
Kauffmann später hinzugefügt: „wahr und Zeugin überzeugend sagte,
daß Productin so wohl vor als nach ihrer Verheiratung sich wirklich mit dem
Amtschreiber von Polle fleischlich vereinigt habe.“ wenn das am grünen Holze geschieht, was wird am dürren werden: Lukas 23,31: Denn so man das thut am grünen holtz, was wil am dürren werden? Redewendung in der Bedeutung, wenn man schon in jungen Jahren so ist, wie soll das erst im Alter werden?
Hannover: Während des Dreißigjährigen
Krieges machte Herzog Georg von Calenberg 1636 die festungsartig ausgebaute
Stadt zu seiner Residenz. Als Residenzstadt erlebte Hannover in den
folgenden 80 Jahren eine erneute Blütezeit. Hannover war ab 1692 das 9.
Kurfürstentum des Heiligen Römischen Reiches (offizieller Name:
Chur-Braunschweig-Lüneburg, inoffiziell auch Chur-Hannover, Kurhannover oder
Hannover), nachdem Herzog Ernst August als Voraussetzung 1682 die
Primogenitur eingeführt hatte. Nachdem Kurfürst Georg Ludwig als Georg I.
1714 den britischen Thron bestiegen hatte, verlegte er seine Residenz von
Hannover nach London. In Hannover festigte sich dadurch in der inneren
Verwaltung ein Kreis von Adeligen- und Beamtenfamilien. Die Residenzstadt,
die in den Jahren zuvor stark vom Hof abhängig war, verödete dabei immer
mehr. Auch Schloss und Garten Herrenhausen wurden bald nicht mehr genutzt.
Diesem Umstand ist es letztlich zu verdanken, dass der Garten nicht mehr
zeitgenössisch umgebaut wurde und der ursprüngliche Barockzustand erhalten
blieb.
Kassel: Anfang des 16. Jahrhunderts
entwickelte sich Landgraf Philipp zu einem wichtigen Protagonisten der
Reformation. Entscheidend prägte Landgraf Karl das Stadtbild ab 1700 durch
seine ambitionierten barocken Bauprojekte wie die Karlsaue oder den
Herkules. Im Siebenjährigen Krieg kämpften mehrmals die preußisch-britischen
Alliierten, zu denen auch Hessen-Kassel gehörte, und die Franzosen auf
Seiten der Habsburgerin Maria Theresia um die Stadt. Die Messe Kassel wurde
1763 gegründet.
Pyrmont: Bad Pyrmont wurde als Kurbad in den
Jahren 1556/57 berühmt, als 10.000 Menschen aus ganz Europa herbeikamen
(„großes Wundergeläuf“), um Heilung zu finden und die wundertätige Quelle
zu erleben. Die bis heute einmalige Dunsthöhle, wo natürliche Kohlensäure
(als Mofette) an die Oberfläche steigt, wurde schon durch den 1712 nach
Pyrmont gekommenen Brunnenarzt Johann Philipp Seip wissenschaftlich
untersucht. Diese Kohlensäure wird auch als therapeutisches Mittel
eingesetzt. Genutzt werden heute sechs Heilquellen, von denen auch die
Hufelandtherme – ein öffentliches Wellness-Schwimmbad mit Saunalandschaft –
versorgt wird. 1681 fand die Große Fürstenversammlung in Pyrmont statt, der
sogenannte Fürstensommer. 1712 wurden die Grafen von Waldeck und Pyrmont
durch Kaiser Karl VI. in den erblichen Fürstenstand erhoben. 1720 erfolgte
die Verleihung der Stadtrechte an die „Neustadt Pyrmont“
Zweyte Ansicht der Promenade vom Bad zu Pyrmont Wegen Bährnes Beschwerden, schwache Beine und etwas mit ihrer Verdauung, entschied Hieronymus sich sie in Pyrmont seinen persönlichen Arzt besuchen zu lassen. Der gesamte Club mit Jäger Nolte, Knecht Lange und Angelika fuhr mit dem Reisewagen in das 25 Kilometer von Bodenwerder entfernte Pyrmont. Aus Pyrmont schrieb Bernadine nach Bodenwerder: Lieber Münchhausen. Daß wir gestern glücklich hier ankamen, haben Sie durch die Knechte gehört, und geht es hier im Hause recht gut, wir haben eine ruhige Stube wo die Fenster in dem Hof gehen und folglich nicht dem Lärm von der Straße offen sind. Der geehrter Rath Trampel besucht mich alle Tage einige mal, er hat mir den Salzbrunnen mit Pulver vermischt und das Bad verordnet, ich bin aber noch recht nicht wohl [unleserlich], gestern waren wir nicht mit dem Fuß aus dem Hause, diesen Morgen um 8 Uhr musste ich nur eine Stunde in der Allée um den Brunnen da zu trinken, meine Beine wollen gar nicht fort, und Trampel will nicht haben da? ich mehr gehen soll als ich mit Gemächlichkeit kann. Übrigens sind hier unzählige kranke Menschen, die allen sich hier erholen wollen, und die meistens alle Trampel besuchen, er versucht mich ganz zu kurieren, allein ich muss bei meinem Diät bleiben, nichts als Citronen, Maisbrot und eingemachte Früchte essen, nicht ein Mal will er mir ein wenig Forellen zu essen erlauben, doch ich verstehe mich zu allem gern wenn mir der lieber Gott nur helfen will. Inzwischen habe ich niemand als [unleserlich] angetroffen. Wenn ich so weit bin daß Trampel mich weglassen will, so werde ich einen Boten an Sie schicken und die Pferde bestellen. Cousine läßt sich vielmals empfehlen und ich bin wie immer ihre treue Frau Münchhausen.
Bernhardine von Münchhausen an Hieronymus von Münchhausen, Juli 1794.
Dr. Johann Erhard Trampel (1737-1817) hat in seinem Buch Kurzgefasste
Anweisung zum Gebräuche der Pyrmonter Mineral-Wasser (1808) seine Spuren
hinterlassen. In der Brunnenstraße 3 hat er praktiziert. Da hat er auch
seine Patienten untergebracht. Ehescheidung: Die Zeugen [im Scheidungsprozess] waren: - aus dem Hause Hieronymus von Münchhausen in Bodenwerder: Jäger Nolte, der auch Kutscher war, seine Frau Nolten/Noltin, die Haushälterin und die Knechte Opperman, Schüman und Lange. - aus dem Hause von Brun zu Polle: Major von Brun, Bernhardines Vater, die Magd Bruns und der namenlose Diener des Majors von Brun. - aus dem Freundeskreis von Bernhardine: ihre Cousine und Vertraute, Angelika von Kauffmann, Oberamtmann Otto zu Polle mit seiner Frau Otten und Magd Otto/Otten - Selminde Rippenhausen/Riepenhausen, der Schneider, - aus dem Hause von Bußmann zu Borrie: Hauptmann von Bußmann, Frau Hauptmann, auch Mad. Bußmann genannt und Knecht Bußmann - Fridrike Ohm, die Zofe - Pfarrer Leo aus Bodenwerder. Oberamtmann Otto von Polle und seine Frau sagte aus, „daß Bernhardine schon vor ihrer Heirat mit einem gewissen der eine sehr vertrauten Umgang hatte, daß sie auch schon vielmals geheime Zusammenkünfte mit diesem Amtschreiber zu Polle gehabt habe, die auch in Zeugens eigener Hause gehalten wurden.“ Magd Otto, und ebenfalls auch Magd Bruns sagten aus, dass Bernhardine diese Rendezvous selbst regelte. Ein solcher Termin mit dem Amtschreiber hatte sie auch im Haus Otto gehabt, als sie aus Erfurt zurückkam um Hieronymus von Münchhausen zu heiraten. Die Mädchen fügten hinzu, dass Bernhardine „auch damals und vor ihrer Verheiratung oft bis früh in die Nacht heimlich mit dem Amtschreiber zu Polle Zusammenkünfte gehabt hatte, und daß sie sich mit dem Amtschreiber zu Polle auf einem Zimmer ganz allein befanden und daß bei solchen geheime Zusammenkünfte die Türe des Zimmers verschlossen gewesen.“ Sie hatte es noch bunter getrieben, erzählte Magd Bruns. „Der Amtschreiber hatte Bernhardine bevor sie geheiratet hatte auch in ihrem Schlafkammer besucht; sie hatte selbst den Amtschreiber aus Polle zu Bernhardine in ihrem Schlafkammer begleitet und Bernhardine hatte mit dem Amtschreiber aus Polle in einem Bett gelegen.“ Magd Otten und Magd Bruns hatten Geschenke bekommen um „dies nicht zu entdecken sondern geheim zu halten.“ Fast alle Zeugen stellten fest, „daß schon ehe Bernhardine sich mit Hieronymus von Münchhausen verheiratet, daß von ihr das allgemeine Gerücht gegangen, das selbige schwanger sei und daß der Amtschreiber zu Polle selbst zu Zeugen gesagt, als Bernhardine sich mit Hieronymus von Münchhausen verheiratet gehabt, sie müsste sich einen Erben oder ein Kind zu verschaffen suchen, sonst könnte ihr die Heirat nichts helfen.“ Schlimmer noch. Bußmann, Magd Bußmann, Otten, Magd Otten und Fräulein Kauffmann sagten aus: „daß Bernhardine Zeugen auch selbst gestanden, sie habe Hieronymus von Münchhausen nur darum zu heiraten sich entschlossen, um Vermögen zu bekommen und nach seinem Tode umso eher sich mit dem Amtschreiber aus Polle verheiraten zu können.“
Dass Bährne den Chüder gern hatte ist sicher. Ehrlich und ohne
Zurückhaltung hatte sie mit engen Freunden von einer fernen Zukunft mit ihm
gesprochen und ihren Freunden gegenüber zugegeben, dass die Ehe mit
Münchhausen für sie ein Sprungbrett wäre um schließlich ihre wahre Liebe,
den Amtschreiber, zu heiraten. Tochter: Wie sehr Schnorrs Münchhausiade auf die Kenntnis der Biographie Hieronymus von Münchhausen eingewirkt hat, zeigt das Stichwort „Münchhausen“ in der ersten Auflage von Piers Universal Lexikon aus dem Jahre 1835:
Später lieferte H. Th. L. Schnorr eine, weit weniger geglückte
Fortsetzung, die mit dem ersten wieder gedruckten Bändchen, in 4 Bden.,
Bodenwerder (Göttingen) 1794-1800, erschien. M. verheirathete sich spät zum
zweitenmal mit einer ganz jungen Frau u. da aus dieser Ehe völlig unerwartet
ein Knabe entsprang und so der Rebenlinie die Erbschaft entzogen wurde, so
entstand hierüber nach M.s Tode (1797) ein höchst ärgerlicher Proceß. Dieser Abschnitt wurde in den späteren Auflagen entfernt. Über das, was in Pyrmont passierte, gibt es manche Zeugenaussagen. Angelika von Kauffmann, Nolte, Knecht Lange und namentlich Sophie, die Zofe: „daß Zeuge mit Productin als sie zum zweiten Mal nach Pyrmont gereist, um daselbst die Kur zu gebrauchen, nach Pyrmont gefahren, daß Productin gleich am anderen Morgen, als sie nach Pyrmont gekommen, an einen Officier nach Hameln geschrieben, und ihn einzuladen auch nach Pyrmont zu kommen, daß dieser Officier geantwortet daß er nicht kommen könne, daß danach dieser Officier nebst noch einem anderen am folgenden morgen früh um 10 Uhr nach Pyrmont gekommen, daß Frau von Münchhausen diesen Officiers, als sie angekommen, so gleich entgegen gelaufen sei, daß beide Officiers gleichfalls ihr Logis in eben dem Hause genommen wo Frau v. Münchhausen logiert, daß beide Officiers vom Sonntag bis zum Freitage in Pyrmont geblieben, daß diese Officiers oft bis gegen Mitternacht bei Frau v. Münchhausen allein auf ihrem Zimmer gewesen, daß eben dieser Officier, wann Frau v. Münchhausen im Bett gelegen, bei ihr auf dem Bett gesessen; wahr und Zeugin selbst gesehen, daß Frau v. Münchhausen und dieser Officier sich oft umarmt und oft geküsst, daß Frau v. Münchhausen oft gesagt sie könne küssen wann sie Lust habe, daß Frau v. Münchhausen sich sogar öffentlich mit diesem Officier geküsst wann sie mit ihm am Fenster gelegen, daß Zeugin oft für Productin das Bett des Tages über wohl zurecht und mehrmals auf neu machen müsste. Es gibt keine Anhaltspunkte weshalb der Aufenthalt in Pyrmont zu einem plötzlichen Ende kam. Bis zum 13. Juli, drei Wochen nach ihrer Ankunft, gibt es noch kein dunkles Wölkchen am Himmel, nur die Notiz von Dr. Trampel der Münchhausen berichtet, dass seine Frau noch ein paar Tage in Pyrmont bleib soll.
Sehr hochgeborener Vielleicht hat Doktor Trampel ihr endlich gesagt, dass sie schwanger sei und gab er ihr mit der Anforderung zur Abreise an ihren Ehemann noch zehn Tage die Zeit um diese Mitteilung zu verkraften. Wahrscheinlich hat sie die Meldung von ihrer Schwangerschaft mit Angelika geteilt und verbreitete diese Nachricht sich wie ein Lauffeuer nach und durch Bodenwerder. Sicher ist, dass Trampels Brief in Bodenwerder das Fass den Boden ausschlug. Aus einer Alimenten Angabe geht hervor, dass sie den Tag nach Trampels Brief, am 14. Juli 1794, verstoßen wurde. Diejenige, die vom Ernst der Lage äußerst ergriffen war, war Bährnes Mutter, die geborene von Adlerstein, 64 Jahre alt, die vielleicht aus Gesundheitsgründen endgültig zu ihrer Tochter in dem 200 Kilometer entfernten Erfurt gezogen war. Sie schrieb ihrem Schwiegersohn einen dringenden Brief. Weder Bernhardine noch ihr Mann hatten sie direkt über die katastrophal abgelaufene Ehe informiert. Sie hatte diese skandalöse Nachricht einen Monat später aus der Klatschgeschichte vernommen. Sie war entsetzt.
Erfurt, den 23 Augusts 1794 Hochwohlgeborener Herr, Teuerster und lieber
Herr Schwiegersohn O entschuldigen Sie dieses, teuerster Herr von Münchhausen, für dies Mal, Sie wird ihn bessern. Ich habe ihr ihre Unart, ihr Vergehen vor Augen gestellt, hoffentlich selbst um Vergebung flehen, lassen Sie dann auch die beigefügte Bitte einer unglücklichen Mutter, selbst wieder gütigst an und auf zu nehmen, stattfinden, die sonst tröstlich sein müsste und die sonst keinen anderen Wunsch hatte als Sie beiden zufrieden und glücklich zu wissen, ach wie gerne würde ich von meiner Seite alles beitragen Ihre Tage so heiter als möglich zu machen. Oft wenn ich Sie und Berne wie sonst innig und zärtlich dachte, so wünsche ich Zeuge davon zu sein, und Teil daran zu nehmen. Jetzt drückt das Gegenteil mein gefühlvolles Herz. Indessen, ich hoffe noch, und in dieser Hoffnung umarme ich Sie in Gedanken beharrend mit Zärtlichkeit und Hochachtungsvoll sehr hochwohlgeborenen, gehorsame Dienerin und Schwiegermutter von Brun, geb. Fr. von Adlerstein.
Um mich gegen einen schlechten Verdacht, welche durch einen Brief ohne
Nahmen auf mich entstanden ist, legitimieren zu können, so habe ich diesen
Schein von mir gestellt. Ich Unterschriebenes bekenne, daß es nicht möglich
ist von meinem itzigen Gemahl, dem Rittmeister von Münchhausen zu
Bodenwerder ein Kind zu bekommen, sollte also der Fall eintreten, daß ich in
dieser Ehe ein Kind bekäme oder schwanger würde, so deklariere (ich) dieses
Kind selbst für unehelich denn es kann nicht anderes als durch eine
schlechte Aufführung entstehen, ich unterwerfe mich auch alsdann alsdann als
eine schlechte Person behandelt zu werden, bezeuge aber hierdurch daß ich
unschuldig bin beschuldigt worden. Gebe auch zugleich meinen Vetter, dem
Hauptmann von Münchhausen, an welchen der Brief ohne Namen ist geschrieben
worden, Macht und Gewalt, daß wann der Fall eintreten könnte daß ich
schwanger würde, von diesem Schein Gebrauch zu machen, wie der selbst will,
so geschehen, meine Unschuld zu beweisen. Deurvorst 2015 Der Russisch Kaiserliche Rittmeister Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen zu Bodenwerder hat gegen der Patemität in Ansehung des Kindes sich Protestando verwehrt, weshalb den Ausgang des führenden Prozesses ab zu warten ist und demnächst ad marginem hierneben annotiert werden soll. Speciale mandato reg. Consistorei dd. 24 Febr. H.a. sic scriptum
A. Kahlek, P. Heim
Bernardine von Münchhausen gebar am 16. Februar 1795 eine Tochter Maria
Wilhelmina; das Kind, dessen Vater mit großer Wahrscheinlichkeit der
Amtsschreiber zu Polle war, starb noch im gleichen Jahr. Holzminden, 20 Dezember 1795 Hochwohlgeborener Herr, Gnädiger Herr, Verehrungswürdigen Herr Hauptmann! Ich muss wohl den Stillstand der Correspondence unterbrechen. Es ist was Wichtiges. Eben komme ich von Polle. [Der Herr Vogt von Alten läßt sich bestensempfehlen]. Der Himmel sorgt am besten für ihren Onkel. Das Kind ist tot- mausetot- es ist zu Münder bei Nolten am Schnüwgen (Jammer) gestorben. Also hat der Himmel: 1. Zu Euren Größen Gunsten den Streit geendet. 2. Großen Kosten entscheidend coupiert 3. Den dem Kinde im Testament eventualiter bestimmte Erbteil circa 10 bis 15.000 Th. dem besseren Erben zufließen lassen 4. Alle nach dem Tode des Herrn Rittmeisters entspringenden Differenzen coupiert. Ho ho und abermal – ho ho! – wie viel Sorgen, Ärger, von der guten lieben Seelen meines gnädigen Herrn Hauptmanns abgewischt. Letzterer Ursache halber stoßen wir eins an. Hoch! Dem(oiselle) Chüder ist also heidi. Eine Frau aus Polle war als Botenfrau hingewesen, auch waren Briefe nach Polle gekommen. Am 12. Dezember war ich auch in Polle, es hieß der Herr Rittmeister wäre tot, ich hin aber, es war Wind. Münchhausen liegt nur zuBett. Nebst Empfehlung an die gnädige Frau, bitte ich Ehrens zu Liebe euer Hochwohlgeborenen etc. etc. Mengen Nun wird sich das hohe Alimentationsquantum von 300 Thaler vermindern.
Holzminden, 20. Dezember 1795 seliger Satan: Satan ist ein Begriff, der einen oder mehrere Geistwesen, häufig Engel ausgestattet mit dem Menschen übelwollende Funktionen, bezeichnet. Er hat seine Ursprünge im jüdischen Monotheismus und enthält antike persische religiöse Einflüsse, besonders des Zoroastrismus. Satan ist vor allem der Ankläger im göttlichen Gerichtshof, der die religiöse Integrität von Menschen testet und Sünden anklagt, wie es beispielsweise aus den biblischen Büchern Ijob und Sacharja bekannt ist. In den Leben Adams und Evas und der islamischen Literatur wird der Satan aus dem Himmel verbannt, weil dieser sich weigert sich vor dem ersten Menschen zu verneigen. Im Äthiopischen Henochbuch wird eine ganze Heerschar von Satanen, sowohl als Verführer sowie auch als Strafengel erwähnt. Die Vorstellung von einer Vielzahl an Satanen hielt auch Einzug in den Koran. Später wurde Satan mit Bedeutungen wie gegen Gott rebellierende gefallene Engel, der Verkörperung des Bösen; dem Teufel oder Götzen (falscher Gott) in Verbindung gebracht. Das allerbeste Weib: Lied von Christian Felix Weiße. Im Inhaltsverzeichnis steht ein Hinweis auf Schnorrs Quelle: Weißen, den Kreissteuereinnehmer in Leipzig – eine Stelle, aus der Komödie: der Teufel ist los. Das allerbeste Weib bleibt doch Des Mannes ärgste Plage: Doch quält sie ihn mit Zank und Schreyn; So hängʼ er ihr den Brodkorb hoch, Und sorge, ihr mit jedem Tage Den Rücken zehnmal abzubläun. [Christian Felix Weiße:] Die verwandelten Weiber, oder: Der Teufel ist los. Eine komische Oper in drey Aufzügen. Zweyte Auflage. Leipzig 1772, S. 7.
die Fama ist geschäftig: Fama ist in der römischen Mythologie sowohl die Gottheit des Ruhmes als auch des Gerüchts. Destinee: franz. Schicksal Buchstaben des Gesetzes: die zehn Gebote des Alten Testaments
Kantische Philosophie: Immanuel Kant (1724-1804) war ein
deutscher Philosoph der Aufklärung. Kant zählt zu den bedeutendsten Vertretern
der abendländischen Philosophie. Sein Werk Kritik der reinen Vernunft
kennzeichnet einen Wendepunkt in der Philosophiegeschichte und den Beginn der
modernen Philosophie. Fichtische und Forbergsche Atheismus: Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) war ein deutscher Erzieher und Philosoph. Fichte hinterließ keine systematisch ausgearbeitete Religionsphilosophie. Im Atheismusstreit, den Friedrich Karl Forberg mit einem Artikel im Philosophischen Journal mit einem zustimmenden Nachwort von Fichte 1798 ausgelöst hatte, postulierte Fichte mit Forberg, die Existenz Gottes sei nicht notwendig für die Errichtung einer moralischen Wertordnung, allerdings sei der Glaube an Gott, verbunden mit einer göttlichen Moral, unumgänglich. Während Kant von der Existenz Gottes ausging und seine These untermauerte, die Existenz Gottes sei notwendig im Hinblick auf die Bedingungen der Möglichkeit sittlichen Handelns, sah Fichte nur die Notwendigkeit zu einer „moralischen Weltordnung“. Diese müsse nicht zwingend auf eine höhere Instanz – also Gott – zurückgeführt werden. Die aktive Weltordnung selbst (ordo ordinans) könne man als Gott bezeichnen. Wer dies aber tut, der „verkennt die unmittelbare Beziehung des Gottesbegriffs zum moralischen Bewusstsein“ und ist, so Fichte, „der wahre Götzendiener und Atheist.“
Friedrich Karl Forberg (1770-1848) war ein deutscher Philosoph und Philologe.
1798 Forberg den Atheismusstreit aus, als er in Friedrich Immanuel Niethammers
und Fichtes „Philosophischem Journal“ den Aufsatz „Entwickelung des Begriffs der
Religion“ publizierte, den Fichte mit einem Nachwort verteidigte. Für Forberg
ist Religion ein praktischer Glaube als Voraussetzung des moralischen Handelns.
Dieser Glaube besteht lediglich in dem Wunsch, dass das Gute in der Welt die
Oberhand erhalten möge. Die Existenz Gottes ist für Forberg, nach der Kritik
Immanuel Kants an den Gottesbeweisen, weder durch Offenbarung noch durch
theoretische Spekulation begründbar und daher nur im Sinne einer Als-Ob-Existenz
im Dienst der Moralphilosophie anzunehmen. Theologie wird mit
Religionsphilosophie gleichgesetzt. Erziehung des Menschengeschlechts: „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ (1780) ist das religionsphilosophische Hauptwerk Gotthold Ephraim Lessings (1729-1781). Vordergründig vergleicht Lessing in der Schrift die Entwicklung der menschlichen Vernunft mit der Entwicklung der Vernunft beim einzelnen Menschen, wobei Gott als eine Art Erzieher der Menschheit erscheint. Die göttliche Offenbarung ist dabei für das Menschengeschlecht das, was die Erziehung für den einzelnen Menschen ist. Diese „Erziehung“ erfolgt im Wesentlichen in drei Stadien: Im ersten geschieht sie durch unmittelbare sinnliche Strafen und Belohnungen (=AT); im zweiten Stadium werden durch die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele Lohn und Bestrafung ins Jenseits verlagert (=NT); und in einem dritten Stadium wird es keine Belohnungen und Strafen mehr geben, weil die menschliche Vernunft so weit entwickelt ist, dass die Menschen das Gute tun, weil es das Gute ist (=Ewiges Evangelium). Diese drei Stadien durchlaufen alle Völker, so dass man an ihren positiven Religionen den jeweiligen Entwicklungsstand ihrer Vernunft erkennen kann.
Die zentralen Kategorien des benutzten Vergleichs sind „Offenbarung“ und
„Erziehung“ auf der einen und „Vernunft“ und „Entwicklung“ auf der anderen
Seite. In der gesamten Schrift gibt es sowohl Belege für eine angenommene
Dominanz der Offenbarung (§§ 7, 77) als auch für ein Primat der Vernunft (§§ 4,
65, 84, 91). kopulierte: verheiratete nach der alten Kirchenagenda: Als Agende wird in den evangelischen Kirchen das Buch (bzw. die Bücher) bezeichnet, in welchen die feststehenden und wechselnden Stücke (Ordinarium und Proprium) des regulären Gottesdienstes sowie der Amtshandlungen (Kasualien) aufgeführt sind. Eine Agende enthält also neben Liturgiemodellen, die den historisch gewachsenen Gottesdienstablauf und seine Gestaltungsvarianten darstellt, die nach jedem Sonn- und Feiertag im Kirchenjahr ausgerichteten Gebete und Texte gemäß der Perikopenordnung. Segen reichlich über euch: Segnungsformel der protestantischen Kirch bei Eheschließungen nach Tobias 7: Der GOtt Abraham, der GOtt Isaac, und der GOtt Jacob sey mit euch, und helffe euch zusammen, und gebe seinen Segen reichlich über euch. Hier sitz ich auf Rasen, von Veilchen ums kränzt ⁊c.: Gedicht von Klamer Eberhard Karl Schmidt 1781. In: Göttinger Musenalmanach 1790. Neuer Vorsatz. (Nach Anakreon 1781) 1. Da liegʼ ich auf Rosen 2. Zum Schenktische machʼ ich 3. Ach! menschliches Leben 4. Vom Weibe geboren, 5. In graulichen Grabes 6. Ach lieber, so langʼ es 7. Ich will mich noch letzen
Anakreon: Anakreon (um 575/570-495 v. Chr.) war ein griechischer Lyriker,
der zum Kanon der neun Lyriker gezählt wird. Anakreontik ist eine nach dem
altgriechischen Lyriker Anakreon benannte Stilrichtung der deutschen und
europäischen Dichtung Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie ist verspielt-galant
und kreist um die Themen Liebe, Freundschaft, Natur, Wein und Geselligkeit.
Die Anakreontik geht auf die Lyriksammlung Anakreonteia zurück.
Nietzky: Da man einst, beym König, Von den Egyptischen Mumien sprach, so
beklagte einer, daß es Schade wäre, daß eine so große Kunst verloren
gegangen – Das ist sie nicht, antwortete der Abt Bastiani, denn der
Professor Nietzky zu Halle, will diese Kunst wieder erfunden haben , und an
einen jungen Grafen Schimmelmann, (der in der Saale ertrank) ist der Versuch
mit glücklichen Erfolg gemacht worden – Ja sprach der König, wer nur einige
tausend Jahre leben könnte um zu wissen, ob Nietzky gelogen habe oder
nicht, ich will unterdessen, lieber meinen Staub, der Erde zurückgeben, als
von Jahrhundert, zu Jahrhundert, als Mumie daliegen. akkompagnierten: einen Gesangsvortrag auf einem Instrument begleiten |
Die Pyrmonter Hauptallee, kolorierter Kupferstich, 1784
Diese Ehegeschichte, für die Schnorr auf seine offenbar intimen Kenntnisse der Verhältnisse auf dem Gute des Hieronymus von Münchausen in Bodenwerder zurückgegriffen hat, nimmt er in seinem erotischen Roman Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande und Abentheuer des Fräuleins Emilie von Bornau, verehlichte von Schmerbauch. (Frankfurt 1801) wieder auf. Diesmal lässt er Emilie selbst von ihrem Leben und von einer Ehe mit Herrn von Schmerbauch erzählen. Es handelt sich um die Beschreibung nach dem Muster des 3. Abschnitts von „Des Freiherrn von Münchhausen eigene Erzählungen“ „Meine Heiratsgeschichten, Ehestandsleben u. d. gl., vom Anfange bis zu Ende“ (Schnorr 1800).
Herr von Schmeerbauch ist dem Baron von Münchhausen auf Bodenwerder nachgebildet, Emilie wird nach dem Muster von Bernhardine Friederike Louise von Brünn gestaltet.
Der Inhalt ihrer Schilderung (S. 138-160) lässt sich dem Inhaltsverzeichnis entnehmen:
Emilie weiset alle Schmetterlinge, die nur bloß – – um Blumen buhlen, zurück.
– lebt ein ganzes Jahr sehr zufrieden in Bellingen.
– wird auf eine schreckliche Probe gestellet.
– erhält einen Brief von einem Edelmann, Herrn – von Schmerbauch, der in Extenso mitge theilet wird.
– erliegt – auf das Zureden des Oncles von Bornau.
Was Emilie darauf antwortet.
Oncle von Bornau reiset mit Emilien hin.
Emilie ist in einer Zeit von drey Tagen verlobt
– und vermählt.
Der Castellan des Herrn von Schmerbauch hatte alles Erforderliche besorgt.
Dem alten Herrn von Schmerbauch gefällt das nagelneue Trauungsformular des Herrn Pastors nicht.
Was er dagegen einzuwenden hat.
Urtheile der Hochzeitsgesellschaft über Braut und Bräutigam.
Beschreibung des Hochzeitsmahls, wo Emilie klar zu Tage legt, daß sie Thümmels Wilhelmine gelesen.
Was sonst bey dem Mahle vorgeht.
Herr von Schmerbauch macht um 11 Uhr Schicht und führt seine Braut zu Bette.
Emilie beschreibt die erste Nacht beym Herrn von Schmerbauch.
Die erste Attake mißlingt.
Die zwote bringt sie in ein Meer von –
Emilie wird über und über be –
Bettücher werden von Bedienten und Wäscher innen besehen und bekritikakelt.
Der Alte brummt viel, hat das Podagra.
Wie ihn Emilie besänftigt.
Der alte Herr von Schmerbauch sieht Emilien durch die Finger.
Wer am wenigsten damit zufrieden war, daß der Alte geheyrathet.
Emilie geht mit jungen Herren auf Reisen.
Anecdote von Emilien und ihrem Oncle, auf einem Balle in Frankfurt.
Wirkungen der vielen Reisen der jungen Frau von Schmerbauch.
Herr von Schmerbauch kann nichts mehr halten. Muß alle Augenblicke ein anderes Beinkleid anziehen. Seine Entschuldigungen.
Emilie ist schwanger.
Anfängliche Freude des Alten.
Emiliens Ausschweifungen, selbst während der Schwangerschaft.
Emilie ist sehr beliebt unter ihren bürgerlichen Freunden und Freundinnen.
– macht es zu toll.
Herr von Schmerbauch hängt ihr einen Ehescheidungsprozeß an den Hals.
Wem es der Alte Schuld giebt.
Emilie darf nicht wiederkommen. Der Alte läßt sie mit Sackund Pack nach Bellingen bringen.
– ist es zufrieden, wird aber in Bellingen vom Oncle nicht ganz sanft aufgenommen.
Emilie kömmt nieder im Beyseyn eines Notarius und zween Zeugen mit einem Mädchen, welches aber bald nach der Geburt stirbt.
Herr von Schmerbauch muß ihr lebenslang jährlich tausend Thaler Pension auszahlen laut Urtheils des Ehescheidungsprozesses.
Emilie lebt jetzt in Mainz, überdenkt ihre Schicksale – die Ursachen ihres Hanges zu Ausschweifungen.
Emiliens letzter Ausruf mit Salomo: Es ist alles eitel!
S. 172-174.
In seinem 1801 veröffentlichten erotischen Roman lässt Schnorr eine Tochter Münchhausens erzählen.
Vorbericht.
Die wunderbaren Reisen zu Wasser und zu Lande, und lustigen Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen in Bodenwerder sind so bekannt, daß selbst der größere und kleinere Hans Hagel aller Länder, Städte und Dörfer in allen Theilen der Welt diese Geschichten weiß, und sie sich zum Zeitvertreibe bey müßigen Stunden erzählt. Sie sind in alle Sprachen der Welt übersetzt, und sie verdienten es auch der komischen Launen, des Witzes und der Einbildungskraft ihres Erzählers wegen.
Da aber alles in der Welt sich gattet, – selbst die größten Natur kundiger behaupten: daß die Steine, diese uns empfindungslos scheinenden Wesen, in den Gebürgen sich gatten, und auf diese Art wachsen und sich fortpflanzen, – es in allem Betrachte in dem ganzen weiten Reiche der Natur Gleiches nichts giebt, wozu sich nicht ein Gleiches fände: so bestätiget sich auch diese große allgemeine Wahrheit. Es erscheint hier ein Pendant zu jenem wichtigen Volksbuche – das Seitenstück – ein Frauenzimmer als Heldin des Buchs in lauter abentheuerlichen Zügen.
Alle Buchhändler in der Welt glauben durch den Verkauf dieses Werkes, besonders in Hinsicht auf die Un terhaltung sowohl als auf den moralischen, physikalischen und pädagogischen Inhalt desselben dem Publikum einen ebenso wichtigen Dienst zu leisten, als mit der Verbreitung jenes allgemein bekannten und beliebten Buches.
Giebt doch so mancher Herr, so manche Dame einen Gulden aus, um ein Schauspiel zu sehen, welches oft sowol wegen der Acteurs als auch in Ansehung des Stücks selbst keinen Dreyer werth ist. Gehen sie oft aus diesem Hause ohne die mindeste Unterhaltung gefunden zu haben. Hier – werden sie für ihren Gulden – und was ist denn jetzt ein Gulden? – schon genug bekommen.
Aufgeschauet also! Der Vorhang wird aufgezogen.
Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande und Abentheuer des Fräuleins Emilie
von Bornau, verehlichte von Schmerbauch. Von ihr selbst erzählt. Frankfurt 1801.
Der Rezensent der Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek meint: „Soll ein Gegenstück zu des berühmten Münchhausens Abentheuer seyn; ist aber ein sehr verünglücktes. Über so abgeschmackte Mährchen lacht kein Mensch. Der langweilig schleppende Ton, in dem sie erzählt, und die moralische Wassersuppe, mit der sie begossen werden, machen sie übrigens zu einem trefflichen Opiat. Bey Rec. Wenigstens haben sie drey Abende hintereinander unausbleiblich den Schlaf befördert.“
Neue allgemeine deutsche Bibliothek. 84. Band, erstes Stück. Erstes bis Viertes Heft. Berlin und Stettin, 1803, S. 89.
1804 erlebte das Buch mit verändertem Titel eine zweite Auflage.
Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande und Abentheuer des Fräuleins Emilie von
Bornau, verehlichte von Schmerbauch. Von ihr selbst erzählt. Frankfurt 1801.
Verlag: Franzen und Grosse: Stendal.
Leben und seltsame Abentheuer des Fräuleins Emilie ***, einer natürlichen
Tochter des Freyherrn von Münchhausen in Bodenwerder. Als Zugabe zu den
wunderbaren Reisen zu Wasser und Lande. Mit Kupfern. Hannover, 1804.
Verlag: Franzen und Grosse: Stendal. Verändertes Titelblatt; Titelauflage
der Erstausgabe von 1801; Druck vom Satz der Erstauflage.
Zu den äußerlich unkenntlichen Erotica […] gehört der anonyme [...] Roman
[...], dessen Heroine schon in jungen Jahren vom Vater stimuliert, dann
nacheinander von Kammerzofe und Hauslehrer verführt wird, eine erst horizontale,
dann aber abschüssige Karriere als Buhldirne macht, mit einem Großonkel
verkehrt, schließlich den 70-jährigen Herrn von Schmerbauch heiratet, der
bereits inkontinent ist, so dass die Hochzeitsnacht ein ekliges Desaster wird
ein Buch, das zudem mit einigen dezidiert aufklärerischen Einlassungen
durchsetzt ist, das aber, soweit ich sehen kann, nirgendwo verboten wurde, da
vom Titel her unverdächtig.
Archiv für Geschichte des Buchwesens Bd. 72 2017, S. 74.
[85] Letzte Stunden des Freiherrn von M... sein Tod und Begräbnis, samt dem, was sich Wunderbares dabei zugetragen hat.
–––
Schon im Anfange des Herbstes 1796 fing sich allmählig die Periode an, wo M... Kräfte zusehends abnahmen. Seine Heiterkeit, seine frohe Laune verlor sich. Seine Neigung zu Erzählungen und sich etwas erzählen zu lassen, war dahin. Er mogte nicht so oft mehr gute Freunde um sich sehen. Vorzüglich verbat er alle Tendenz zum Lustigsein. Er schien oft ganz vertieft. Tief und hohl lagen ihm seine Augen. Es war, als wenn er sich einzig und allein mit dem Gedanken an den Sensemann, an das Schattenreich, an Tod und Grab beschäftigte. Zwischen|[86]durch brachte er mehren Tage im Bette zu. Nur selten, wenn Sonnenblicke dieses Herbstes, der sich durch seine vorzügliche Güte in diesem Jahre besonders auszeichnete, nach Mittage einfielen, und er dann vergnügt aus seinem Schläfchen erwachte, ließ er sich unter die Arme fassen, und ging so mit seinem Partisan, dem Baron v. A. und mir, weil ich in dieser Zeit fast Tag und Nacht nicht von seiner Seite kam, indem er von mir rühmte, dass ihn niemand sanfter auzufassen verstände, auch niemand achtsamer auf seine geringste Winke wäre, als ich, hinaus, um der schönen reinen Himmelsluft zu genießen, und sich an dem Anblicke der Natur zu weiden, wovon er von jeher ein sehr großer Liebhaber war. Dann stellte er Betrachtungen über die täglich abnehmende Schönheit derselben an, wie die Blätter der Bäume ihre gelbe Farbe bekämen, und ihr Kleid von sich würfen – und wandte dann dies Bild gar oft auf den Menschen, ganz vorzüglich auf sich selbst an. Baron v. A. und ich suchten auf alle nur mögliche Art, ihn aufzuheitern. Allein, in den letztern Tagen waren unsere Bemühungen vergebens. Er hatte oft nicht einmal gehört, was wir gesagt hatten. Seine Sinne, seine Organe wurden stumpfer und stumpfer. Er aß wenig|[87] oder nichts. Er gebrauchte auch keine Ärzte. Man durfte ihm nicht einmal davon sagen. Sein Podagra, welches er schon seit langen Zeiten hatte, setzte ihm jetzt viel heftiger zu, als jemals. Er kam vierzehn Tage vor seinem Ende nur äußerst selten von seinem Bette. „Ich werde den kommenden Frühling nicht erleben!“ sagte er mit kaum hörbarer Stimme. Ein Kranker kann nicht so krank sein, er kann wieder gesund werden; erwiderte Baron v. A. „Und ein Gesunder nicht so gesund sein, er kann sterben.“ Lange kapitulierten Beide über diesen Gegenstand. Als der Streit anfing, ernsthaft zu werden, ging ich hinaus. Ich begriff anfangs nicht, wie beide Freunde, die sich sonst so sehr liebten, hierüber uneinig werden konnten. Ich kam wieder herein, und A... sagte: Lassen Sie die albernen Grillen fahren, M... Man muss sich nie Sorgen vor der Zeit machen. Wie es kommt; so kommt es. „Und ich, sagte er: fordere Sie hierdurch auf ein Paar Pistolen heraus. Sie sind Kavalier, ich auch. Ich muss meine Ehre retten.“|[88] A... wollte zuerst nicht eingehen. Es half aber nichts. Er kannte seinen Charakter, seine Launen. Er musste sich bequemen; so weh es ihm auch tat. Einige Viertelstunden suchte er ihn durch abweichende Gespräche auf andere Gedanken zu bringen, weil er anfangs glaubte, dass vielleicht die Hitze eines Fiebers ihn auf diese Phantasie geleitet hätte. Aber nein! es war M... völliger Ernst. „Wir wollen diese schönen Sonnenblicke nützen. Hier sind zwei geladene Pistolen. Sie wählen. Wir gehen in den Garten, und schießen – beide zugleich. Wer von uns beiden fällt, der fällt. An meiner elenden Hütte ist doch so gar viel nicht mehr gelegen. Er hatte mit solcher Stärke, mit solchem Enthusiasmus für seine Sache gewiss in einem Vierteljahre nicht gesprochen. Sonderbar war der Antrag. A... fand ihn gar nicht der Ordnung gemäß. Allein, es half alles Nichts. Er schien alle seine Kräfte aufzubieten. Der lange Spaziergang im Garten wurde zu dem Platze bestimmt, wo der Zweikampf beginnen sollte, und so traten wir dann den mühseligen Weg an. Kaum, dass wir im Stande waren, so sehr er sich auch half, ihn mit aller unsrer Anstrengung hinaus zu bringen. Es hat niemand|[89] mehr Schwere, als ein Solcher, der sich selbst nicht zu helfen weiß, und fast nicht mehr Herr von seinem Körper und von seinen Beinen ist.
Ich weinte – „Du weinst? sagte M... Ich bin alt und lebenssatt. Wie viele Millionen meiner Brüder kommen im Kriege auf dieselbe Art um! Jene sterben auf dem Bette der Ehren. Ich war Soldat – und das will ich auch.“ Der Platz wurden nach Schritten bestimmt. Fünfzehn Schritte, und nun – auf ein gegebenes Zeichen sollte ein Jeder zugleich schießen – in einem und demselben Augenblicke. Was geschah? Münchhausen hatte das Kommando übernommen. „Eins! zwei! drei!“ die Schüsse flogen zu gleicher Zeit aus ihren Pistolen. Und – wer hätte es denken sollen; beide Kugeln trafen mitten im Laufe gegen einander, und flogen auseinander, die eine hierhin, die andere dorthin. Wäre ich nicht selbst Augenzeuge gewesen: ich hätte es nicht geglaubt. Aber so kann und darf ich es nach der glaubwürdigsten Wahrheit bekräftigen, dass es so und nicht anders zugegangen. „Pardon!“ riefen beide, wie aus einem Munde, da sie sahen, dass niemand beschädigt|[90] war. Beide Freunde umarmten sich, und nun – gingen wir wieder, woher wir gekommen waren. So vergnügt und heiter war M… langer Zeit nicht gewesen, als am Abende dieses Tages. Er sprach mehrere Tage mit Heiterkeit über diesen wunderbaren Vorfall. Doch zeigten sich bald darauf mehrere Symptome, welche befürchten ließen, dass es so ganz lange nicht mehr mit dem braven, aber sonderbaren Manne dauern würde. Alles war dann auch bereit, jeden Wink des Herrn in demselben Augenblicke zu erfüllen. Er forderte oft in einer einzigen Minute Zehnerlei, und – manchesmal rannten Bediente, Jäger und Mädchen einander um. Und auch dabei blieb es nicht. Ein seltsames Ohngefähr wollte, dass wenige Tage vor seinem Tode der Johann mit der Küchenmagd, die eben Tee herein bringen wollte, zusammenrannten, und beide ein Opfer des Todes wurden, weil sie einander die Hirnschalen zersprengt hatten. Ob man beide gleich in möglichster Geschwindigkeit vom Zimmer schaffte; so blieb ihm dies doch nicht unbemerkt. Er deutete es als ein Omen auf sich. Er behielt aber doch noch immer so viel Gegenwart des Geistes, dass er die Art, wie sie begraben werden sollten, selbst anordnete. Nämlich da sie sich im Leben|[91] oft zusammengebettet hätten; so sollten sie in einem Sarge beigesetzt werden: welches denn auch geschah. Er sprach jetzt häufig wie im Schlafe, oder so, dass man nur selten einige Töne vernehmen konnte. Unter andern: Jakob und mehrere Erzväter, Isaak und wie sie alle heißen, hätten noch kurz vor ihrem Tode geweissagt. Er wolle auch Einiges hinterlassen. Er befahl mir, genau zu zu hören. Fragen mogte ich nicht. Es war ihm auch Nichts unangenehmer, als wenn man zweimal fragte. So ist dann von den vielen – vielen Weissagungen: denn er redete und murmelte über vier und zwanzig Stunden ohne Aufhören – einige kleine Zwischenzeiten ausgenommen, wo er eine Tasse Tee nahm, nur dies wenige übrig, welches ich – vielleicht auch nicht einmal ganz, wie er es dachte, verstanden habe. Gewaltige Revolutionen würden statthaben. Sie würden ohne Ende sein und sich über die ganze Welt verbreiten. Alle Reiche würden sich zuletzt empören und über einander fallen. In einer Zeit von hundert Jahren würde die ganze Welt eine einzige unzerteilte Republik sei. Im Jahre 2440 würde das Firmament unsere künftige Wohnung werden, indem dasselbe sich all|[92]mählig niedersenken und unter unsere Füße geraten, die Erde sich aber hinauf begeben werde. Die Sonne würde dann bei Nacht, und der Mond bei Tage scheinen. Vieles wollte ich darum geben, wenn ich alles hätte verstehen können. Ich hätte dann der Welt unzuberechnende Schätze dadurch zugewandt. Aber die bekannte Regel: ultra posse nemo obligatur, wird man mir auch hier angedeihen lassen. Über nichts sprach er am Ende seines Lebens mehr, als dass man doch ja dafür Sorge tragen möchte, dass er nicht lebendig begraben würde. Er bestimmte deswegen schon im Voraus, wie alles gleich nach seinem Tode und bei seiner Beerdigung gehalten werden sollte. Viele Schriften hatte er gelesen über das zu frühe Beerdigen der Leichname, über Leichenhäuser und die Errichtung derselben, welche ihn auf solche Weise furchtsam gemacht hatten, seine Reise in jene Welt anzutreten. Meines Erachtens sollte man die Sache doch auch nicht zu sehr übertreiben. Er befahl also: man sollte ihn nach seinem Tode wenigstens drei Tage auf dem Paradebette liegen lassen. Alsdann ihn offen im Sarge auf|[93] einem Leichenwagen so langsam als möglich zu seinem Erbbegräbnisse fahren. Es sollten an diesem Tage alle seine Freunde zu einem Trauerkondukt eingeladen werden, und dieser Zug Abends um neun Uhr anheben, weil dies seit langen Jahren seine gewöhnliche Zeit zu Bette zu gehen gewesen. Übrigens sollte man es an nichts fehlen lassen, die Gäste gehörig zu bewirten u. dgl. Nach dieser Anordnung hatte derselbe wieder einige Stunden, wo es schien, als wenn das Lebenslämpchen noch einmal wieder Licht schöpfen wollte. Mit starkem, heroischem Mute fing er an, sich im Bette aufzurichten und eine Zeit lang aufrecht zu sitzen. Ich bin doch ein großer Krieger gewesen. Meine Taten sind in die Tagebücher der Nachwelt verzeichnet. Es ist doch nicht kavaliermäßig, auf dem Bette seinen Geist aufgeben. „Ich muss auf dem Bette der Ehre sterben.“ Mit diesen Gedanken hatte er sich, wie schon bekannt, so lange beschäftiget, und er konnte die Grille nicht aus dem Kopfe fahren lassen. Überall verfolgte ihn diese Idee; so dass er gar keine Ruhe finden konnte. Und eben dies war es, wie ich nachher erfuhr, worüber ihn sein Partisan so angetastet und welches M... übel genommen habe.|[94] Er fühlte wieder einige Kräfte, oder vielmehr die Hitze des Fieberparorismus raffte nun sein letztes Endchen Lebensfaden, das kleine glimmende Docht, welches noch einmal auflodern und dann verlöschen wollte, zusammen. Er fing an, wieder mit seinem Partisan, der erst nicht einmal auf seine Idee gemerkt hatte, zu streiten. Sein Partisan ward hitzig, da er sah, dass er mit allen seinen Gründen Nichts auszurichten vermochte. Es half nichts; M... wollte sich schlagen, und sein Partisan musste einwilligen. „Wie leicht wäre es mir, sagte Baron v. A., eine solche schwache, elende Hütte, wie sie, über den Haufen zu werfen?“ Das werden wir sehen! antwortete M... Ich musste ihm den besten Säbel aussuchen. Das könnten wir ja hier im Zimmer tun? tat Baron v. A, den Vorschlag. Nein! ich will auf dem Bette der Ehre sterben. M... wurde also wieder mit größter Mühe ich auf den vorigen Platz gebracht. Er tat einen Ausfall auf seinen Partisan – allein, sein Gegner brauchte nicht einmal zu parieren. Er sank nieder – ich griff ihn auf. Entweder die Luft, die ihn umgab, oder die Anstrengung, oder das Podagra, welches ihm in die Brust treten mochte, und wozu sich vielleicht zu gleicher Zeit der Schlag|[267] gesellete: eins oder mehrere von diesen Stücken zugleich mochte die Ursache sein, dass er seinen Wunsch nicht umsonst getan hatte, auf dem Bette der Ehre zu sterben. Sein Gesicht hatte sich nicht verzogen. Völlige süße Heiterkeit und Ruhe war der ganze Ausdruck desselben. „Ich sterbe!“ war sein letztes Wort. Sein Partisan, der ihn so sehr liebte, und der fast beständig der Gefährte und Freund seines ganzen Lebens gewesen war, drücke ihm die Augen zu und einen Kuss auf seine kalte Lippen. Er wandte sich ums und wischte eine Träne aus seinem Auge. So brachten wir ihn wieder zurück in sein Haus, und Alles jammerte und wehklagte um den besten Herrn. Der Partisan und ich richteten dann Alles nach seiner Verordnung ein. Jener das Äußere, ich das Innere, das Glockenspiel, und was sonst gebräuchlich ist bei der Beerdigung großer Herren, damit auch im geringsten kein Versehen bei den Trauerzeremonien obwalten möchte. Es konnte uns auch gewiss nichts zur Last gelegt werden. Er wurde in Offiziersuniform, wie er es bestimmt hatte, drei Tage lang auf dem Paradebette zur Schau ausgesetzt, wo ihn dann Alt und Jung gesehen haben.|[96] Am Vierten Nachmittags kam die ganze Trauergesellschaft zusammen. Es fehlte hier an nichts, wie ein jeder weiß, der derselben beigewohnt hat. Als Marschall hatte ich denn, mit einem Stabe mit Flor umwunden, die große Ehre den Leichenkondukt anzuführen. Es nahm sich gewisse nicht übel aus, Abends um neun Uhr bei hundert blendenden großen Laternen, die den ganzen Zug begleiteten, dieser Szene zuzusehen. M. lag, wie derselbe befohlen hatte, offen im Sarge, auf einem Leichenwagen mit sechs Pferden, in langen Zügen, die Pferde, wie es gebräuchlich ist, schwarz behangen, und jedes Paar von der Dienerschaft des seligen Herrn geleitet. Vier und zwanzig Träger in langen Mänteln, mit bis auf die Erde reichenden Flören, gingen neben dem Sarge in eben so langsam feierlichen Schritten; so dass es beinahe aussah, als käme man gar nicht erst vorwärts. So wurde er fortgeführt bis zur Kirche, wo er so offen vor dem Altare niedergesetzt, und dann erst, nach Absingung einer Kollekte, in das Erbbegräbnis gebracht werden sollte. Aber was begab sich, mitten auf diesem Zuge. Gewiss etwas Mirakulöseres lässt sich nicht denken. Ein Jeder, der dem Leichenzuge mit beiwohnte,|[269] sowohl als die unsägliche Menge von Zuschauern roch gewiss, dass die Zeichen des Todes schon lange da waren. Und doch – Einer von dem Kondukte, oder von dem Volke, ich weiß es nicht gewiss, ob vom Rausche oder des etwas benebelt, rief laut aus: Es lebe Münchhausen! Und der Tote – alles erschrak und entsetzte sich, die Pferde schnoben und wollten keinen Schritt aus der Stelle – richtete sich auf, sah alle Umstehenden an, und rief eben so laut: In Ewigkeit! Worauf er sich wieder niederlegte. Noch größer ward der Schrecken – als die hundert Laternen auf einmal mit seinem Niederlegen erloschen, und – nach einigen Augenblicken wieder heller brannten, als vorhin. Da man weiter keine Spuren des Lebens an ihm merkte, und man sich von dem großen Schrecken erholt hatte, setzte man den Zug fort in die Kirche. Von hieraus wurde er in das Gewölbe gebracht, und neben dem Sarge seiner seligen Frau, wie er das lange vorher bestimmt hatte, beigesetzt. Im Zweifel, ob er auch wieder erwachen könnte oder würde, übernahm ich es, jeden Tag|[98] einigemal auf ihn zu achten. Und nach Ablauf von vierzehn Tagen deckte ich den Deckel darauf, schrob den Sarg zu und verschloss das Gewölbe. Im Frieden ruhe die Asche des gutmütigen Biedermanns, dessen aufrichtige, liebevolle Gesinnungen gegen Jedermann, insbesondere für seine Freunde, allgemein bekannt sind; dessen feuriges, lebhaftes Temperament auch keinen Gegenstand aus der ganzen Natur für seine Fantasie ungebraucht ließ, um in frohen Lebensstunden diesen Stoff zu verarbeiten, und dessen Kunst, das Zwergfell zu erschüttern, Leben und Seele seinen Unterhaltungen zu geben, dessen ganzes Leben – über alles irdische Lob erhaben ist. Requiescat in Pace! Und Amen! sagen alle, die ihn kannten und liebten.
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Letzte Stunden: Seine Vereinsamung ist fast vollständig. Der einzige Mensch, der um ihn gewesen ist, und für ihn gesorgt hat, war Frau Holte, die Gattin seines letzten Leibjägers. Aber dennoch bricht aus aller Verdüsterung hin und wieder noch einmal die Fabulierlust durch. Wenige Tage vor seinem Tode, so erzählt man, habe Frau Nolte entdeckt, daß ihm zwei Zehen fehlten - abgefroren in Rußland. „Ach, was ist denn das?“ ruft sie erschrocken. Münchhausen lächelt und erwidert: „Das hat mir ein Eisbär abgebissen auf'der Jagd!“
Das letzte Wort hat das Kirchenbuch:
Die ehemalige Klosterkirche St. Marien ist eine dreischiffige romanische
Kirche in Kemnade, einem Ortsteil von Bodenwerder (Niedersachsen). Sie dient
heute als Pfarrkirche der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde
Bodenwerder-Kemnade im Kirchenkreis Holzminden-Bodenwerder der Landeskirche
Hannover.
Über den Tod und die Beisetzung des Hieronymus v. M. berichtet das Kirchenbuch: „Herr Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen, gewesener Russisch. Kaiserlicher Rittmeister bei dem Großfürstlichen Kürassier-Regiment, auch Erbherr auf Rinteln, Schwöbber und Bodenwerder, wie auch Gutsherr auf Huntzen, starb den 22. Februar des Morgens kurz vor 10 Uhr am Krampf und Schlagfluß, alt 76 Jahre 9 Monate. Er starb ohne eheliche Erben.
– Den 27. Februar, des Nachmittags gegen 3 Uhr, wurde die Leiche in
Begleitung von 12 Trägern und 4 Trauermännern, die in einer Karosse
nachfuhren, in dem voin Münchhausenschen Begräbnis in der Kemnader Kirche
vor dem Altar unter dem Geläute aller Glocken abgefahren und beigesetzt.“
Sensenmann: Der Sensenmann (auch Gevatter
Tod oder Schnitter) ist eine aus dem Mittelalter stammende personifizierte,
anthropomorphe Allegorie des Todes. Der Tod wird oft als gerippenhafte
Gestalt (Skelett) dargestellt, die mit einer Sense die Menschen dahinmäht.
Schattereich: Ort der Toten, die Unterwelt Sonnenblicke: das einmalige hervorblitzen, durchbrechen der sonne (DWB) kapitulierten: kapitulieren hier in der Bedeutung. über etwas verhandeln auf ein Paar Pistolen: sie vereinbaren ein Pistolen-Duell Pardon: Bitte um Verschonung geweissagt: 1783 veröffentlichte der Pfarrer und Schriftsteller Franz Adam Zieger, geboren 1775, Prophezeiungen im Stil der biblischen Propheten.
Das Buch Joseph. Geschrieben von einem Seher des achtzehnten Jahrhunderts. Halb Geschichte halb Prophezeiung. Im Tone der Bibel. Herausgegeben von F. A. Zieger: Prag 1783.
Im Jahre 2440: L’An 2440 ist ein
sozial-kulturell orientierter utopischer Roman, in dem die Realität des
französischen Absolutismus dem Ideal einer freien, auf vernünftigen
Übereinkünften basierenden Gesellschaft gegenübergestellt wird. Dabei nimmt
die Kritik der bestehenden Zustände und der herrschenden Schicht, der das
Schicksal der „Massen“ egal ist, einen großen Teil ein. Der Ich-Erzähler des
Romans schläft im Paris des Jahres 1769 ein und erwacht im Jahr 2440 als
alter Mann. Vor seiner Tür erwartet ihn ein Paris, in dem nach einer
erfolgreichen und friedlichen Revolution Vernunft und Gemeingeist herrschen.
Die Aristokratie existiert nicht mehr und alle Bürger der Stadt sind
Intellektuelle, das Verkehrswesen ist rücksichtsvoll geregelt, Behinderte
bekommen Hilfe für ihre alltäglichen Erledigungen; ferner nimmt die
Religiosität eine andere Stellung ein: So repräsentiert sie nicht mehr eine
Unsterblichkeit der Seele, sondern ein persönliches Testament, das alle
Bürger abfassen, übernimmt diese Rolle. Louis-Sébastien Mercier: Lʼ AN DEUX MILLE QUATRE CENT QUARANTE. Rêve s’il en fut jamais. A LONDRES. MD CCLXXII.
Das Jahr Zwey tausend vier hundert und vierzig. Ein Traum aller Träume London 1772 [Louis-Sébastien Mercier; deutsch von Christian Felix Weiße]. ultra posse nemo obligatur: Über das Können hinaus wird niemand verpflichtet. lebendig begraben: In Märchen und Sagen erwachen Menschen aus dem Todesschlaf, klopfen von innen an den Sarg oder steigen aus ihrem Grab. Unter Gebildeten galt das als Phantasie und Fabulieren des einfachen Volkes. Das änderte sich , als der französische Arzt Jean Jacques Bruhier 1742 seine Dissertation über Die Unsicherheit der Kennzeichen des Todes veröffentlichte. Auf 500 Seiten listet er Vorfälle auf, bei denen Verstorbene oder Totgeglaubte wieder zum Leben erwachen. Hingerichtete werden vom Galgen abgenommen und laufen einfach davon, ein blutender Trompeter entsteigt dem Grab, die verblichene Großmutter erhebt sich vom Totenlager. Als das Buch 1754 auf Deutsch erschien, löste es eine gewaltige akademische Diskussion über den Scheintod aus. Neben aller reißerischen und anekdotischen Übertreibung aber ist Bruhiers Grundaussage richtig: Die Anzeichen des Todes sind trügerisch. Ein jeder ist in Gefahr, zu früh und damit lebendig begraben zu werden. Einzig die Fäulnis zeigt den sicheren Tod an.
Jaques Jean Bruhier, der Arzeneygelehrtheit Doctors, Abhandlung von der Ungewißheit der Kennzeichen des Todes, und dem Misbrauche, der mit übereilten Beerdigungen und Einbalsamirungen vorgeht. Aus dem Französischen übersetzet, und mit Anmerkungen und Zusätzen vermehret herausgegeben von D. Johann Gottfried Jancke. […]. Leipzig und Coppenhagen 1754.
Trauerkondukt: Ein Trauerzug (veraltet auch
Leichenzug, selten auch Begräbniszug, vereinzelt auch Sargzug oder Totenzug)
ist bei einer Bestattung der Zug der Trauernden, die hinter dem Sarg mit dem
Leichnam hergehen, wenn dieser auf seinem letzten Weg zum Friedhof und Grab
gefahren oder getragen wird, um ihn dort zu beerdigen; synonym auch als das
letzte Geleit bezeichnet. Fieberparorismus: Parorismus: Der Anfall, die Verdoppelung, oder jene Zeit, da die Krankheit am heftigsten ist. Lebensfaden: Ursprünglich in der griechischen und römischen Mythologie Symbol für das menschliche Leben. Er wird von den drei Moiren bzw. Parzen gesponnen. Dann der Docht des Lebenslichts.
Säbel: Ein eroberter Türkensäbel, den er in
seinem Kleiderschranke verwahrte, spielt mehrfach eine Rolle in seinen
Erzählungen.
sich schlagen: Ein Duell (lat. duellum
‚Zweikampf‘) ist ein freiwilliger Zweikampf mit gleichen, potenziell
tödlichen Waffen, der von den Kontrahenten vereinbart wird, um eine
Ehrenstreitigkeit auszutragen. Das Duell unterliegt traditionell
festgelegten Regeln. Duelle sind heute in den meisten Ländern verboten.
kolorierter Kupferstich, England 1763.
der Schlag: Ein Schlaganfall auftretende
Lähmung, die oft mit Bewusstlosigkeit verbunden ist, und stellt eine
zerebrovaskuläre Erkrankung des Gehirns dar, die oft zu einem länger
anhaltenden Ausfall von Funktionen des Zentralnervensystems führt und durch
kritische Störungen der Blutversorgung des Gehirns verursacht wird. Glockenspiel: Und weiter heißt es im Kirchenbuch: „Nachschrift: Gleich am Sterbetage wurde mittags zwischen 12 und 1 Uhr das Trauergeläut in 3 Pulsen hier in Bodenwerder angefangen und damit bis zum Begräbnistage fortgefahren. Der Herr von Alten in Polle, dem die Besorgung des Begräbnisses von dem neven des Sel. Herrn, dem Hessischen Capitän v. Münchhausen bei der Garde, aus Rinteln, als dem Erben des Sel. Herrn Rittmeisters aufgetragen war, schrieb mir hernach unter dem 22. Februar 1799, daß das Trauergeläute für die Calembergsche Ritterschaft eigentlich auf 4 Wochen bestimmt sei, allein hier blieb es bei 6 Tagen, und dafür wurden an die Kirche täglich 30 Groschen und an die Läuter 12 Groschen bezahlt.
Die Gemeinde zu Kemnade hatte bei dem Amte Wickensen gegen das Begraben
in ihrer Kirche protestiert. Allein am 24. Februar war ihr durch den
Hochgrafen der Amtsbefehl vorgelesen, daß sie sich nicht unterstehen sollte,
sich diesem Begräbnis zu widersetzen. Im Gewölbe standen nur der Vater
dieses sel. Herrn Otto von Münchhausen, der dieses sonst von Eslebensche
Gewölbe für 50 Thaler gekauft, Chur. Hannoverscher Obristleutnant, und
dessen Schwiegertochter Frau Jakobine, geb. von Dunten, die am 19. Aug. 1790
gestorben (M.s erste Frau), und dieser letzte sel. Herr Rittmeister. Der
Obristleutnant, war im Jahre 1724 gestorben. Für eine große Leiche war noch
Platz.“
Marschall: Das Wort stammt
von Althochdeutsch marahscalc, zusammengesetzt aus marah, „Pferd, Mähre“
und scalc „Knecht, Diener“. Es bezeichnet ursprünglich den „Roßknecht“. Mit
dem Titel seines Herrn steigt – wie auch bei Mundschenk „Tafeldiener“,
Kämmerer „Kammerdiener“ – auch seine Bedeutung, zu „Stallmeister“ (Marstaller)
und später zu allgemeiner Bedeutung im Sinne „Kommandeur der Reiterei“. Flören: Ein Trauerflor ist ein schwarzer Stoff zum Ausdruck offizieller Anteilnahme in einem Todesfall. Es kann ein langes textiles Band, eine Schleife oder eine Armbinde sein. Kollekte: kurzes Altargebet etwas Mirakulöseres: etwas Wunderbares, auf einem Wunder beruhendes Im Zweifel, ob er auch wieder erwachen könnte: Heinrich Theodor Ludwig Schnorr: Was lassen uns jene ältern und neueren Sagen von dem Pochen in den Gräbern schließen, und wovon giebt es uns einen Beweis? In Neues Hannoverisches Magazin. 28tes Stück. Freitag, den 6ten April 1792, Sp. 438-444. Biedermanns: ein ehrenwerter Mann Requiesciat in pacem!: Ruhe in Frieden! |