Goethe in Münster

Worüber mag diese Heiligenfigur gerade sinnieren? Sie blickt vom Westportal der Lambertikirche hinab auf die Menschenströme, die über den Prinzipalmarkt flanieren. Das aus dem Jahre 1911 stammende und im späthistoristischen Stil geschaffene Werk trägt die Gesichtszüge des Dichterfürsten aus Weimar. 1792 besuchte Goethe auf der Rückreise vom Frankreichfeldzug Amalie Fürstin von Gallitzin. Was ist ihm von seinem Besuch in Münster in Erinnerung geblieben?

Im Haus der Fürstin an der Grünen Gasse traf sich ein Kreis gebildeter Münsteraner, der von Zeitgenossen ironisch „familia sacra“ genannt wurde. Anfang der 1770er Jahre begann sich Fürstin Amalie aus der Perspektive der philosophischen Aufklärung mit Fragen der Religion zu beschäftigen; sie wurde in ihrem Denken von dem Königsberger Philosophen Johann Georg Hamann beeinflusst, den sie 1787/1788 in Münster kennen lernte und der dort überraschend starb. Hamann wurde in ihrem Garten begraben. Zum Kreis der Gräfin gehörten u. a. die Brüder Kaspar Max und Clemens August Droste zu Vischering und später auch Friedrich Leopold Graf von Stolberg. Der Münstersche Kreis um Amalie von Gallitzin hatte große Bedeutung für die innere Erneuerung des deutschen und insbesondere des westfälischen Katholizismus. In Münster entfaltete die Fürstin eine weit gefächerte karitative Tätigkeit für die französischen Emigranten.

 

 

Über die Nacht vom 6. zum 7. November schreibt Goethe in seiner Campagne in Frankreich:

„Der Fürstin angemeldet, hoffte ich gleich den behaglichsten Zustand; allein ich sollte noch vorher eine zeitgemäße Prüfung erdulden: denn auf der Fahrt von mancherlei Hindernissen aufgehalten, gelangte ich erst tief in der Nacht zur Stadt. Ich hielt nicht für schicklich, durch einen solchen Überfall gleich beim Eintritt die Gastfreundschaft in diesem Grade zu prüfen; ich fuhr daher an einen Gasthof, wo mir aber Zimmer und Bette durchaus versagt wurde; die Emigrierten [Der Gasthof war mit französischen Emigranten überbelegt G.E.] hatten sich in Masse auch hierher geworfen und jeden Winkel gefüllt. Unter diesen Umständen bedachte ich mich nicht lange und brachte die Stunden auf einem Stuhle in der Wirtsstube hin, immer noch bequemer als vor kurzem, da beim dichtesten Regenwetter von Dach und Fach nichts zu finden war.
Auf diese geringe Entbehrung erfuhr ich den andern Morgen das Allerbeste. Die Fürstin ging mir entgegen, ich fand in ihrem Haus zu meiner Aufnahme alles vorbereitet. Das Verhältnis von meiner Seite war rein, ich kannte die Glieder des Zirkels früher genugsam, ich wusste, dass ich in einen frommen sittlichen Kreis herein trat, und betrug mich darnach. Von jener Seite benahm man sich gesellig, klug und nicht beschränkend.“

 

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