Bettler

In Bankog, flussabwärts hinter dem großen Palast, kommt man an Schüsseln vorbei, die fingerhoch mit Wasser gefüllt sind. Darin lagern kleine Schildkröten und warten auf Tempelbesucher, die ihre Seele erleichtern wollen. Die können nämlich die niedlichen Tiere kaufen und sie im Angesicht Buddhas aus ihrer Haft entlassen.

In Münster hockt vor der Tür im Süden von St. Lamberti ein Bettler, der in demütiger Haltung jeden, der die Kirche unter der Wurzel Jesse betritt, mit "Guten Morgen" oder "Guten Tag" begrüßt. Er muss lange warten, bis eine ältere Frau ihm eine Münze in seinen leeren Kaffee-Becher legt. Die meisten Passanten versuchen ihn im Vorbeigehen mit missbilligenden Blicken zu ignorieren. Überall diese Bettler. Sollen doch arbeiten, statt hier den ganzen Tag herumzulungern!

Im christlichen Mittelalter war das Betteln ein allgemein anerkannter und kaum in Frage gestellter Broterwerb für die Armen. Bettlerinnen und Bettler wurden allgemein toleriert. Die Armen hatten ein religiös motiviertes Recht auf Hilfe und die Reichen eine Pflicht zur Hilfeleistung. Seit 1500 ging man immer mehr dazu über, unterstützungsbedürftige und nicht unterstützungsbedürftige Arme zu unterscheiden. Herumziehende Bettlerinnen und Bettler konnten freilich nicht einfach ignoriert werden. So kam es häufig zu der Praxis, dass man ihnen eine einmalige Hilfeleistung gab, ein Essen, vielleicht einen kleinen Geldbetrag, eine Möglichkeit zum Übernachten - aber dann forderte man sie auf, die Stadt wieder zu verlassen.

Vor der Kirche war die Spendenbereitschaft der Wohlhabenden in früherer Zeit aus zwei Gründen besonders groß. Zum einen waren sie hier sehr stark an ihre christliche Pflicht der Mildtätigkeit erinnert. Zum anderen wussten sie, dass ihnen hier das Fürbittgebet der Armen sehr sicher war. Am Samstag, kurz vor der 9Uhr-Messe sah ich einen Bettler vor der Nordportal sitzen und hörte, wie er mit leiser Stimme aus dem Lukas-Evangelium las, vielleicht das zehnte Kapitel.

Eigentlich sollten wir dem Bettler dankbar dafür sein, dass er uns täglich Gelegenheit gibt, ein bisschen Gutes zu tun. Denn auf die wohlige Wirkung, die es auf unser Gemüt hat, wollen wir nicht verzichten. Alle tun Gutes: Die Superreichen stiften, die Prominenten streicheln arme Negerkinder, die Politiker spenden auf medienwirksamen Wohltätigkeitsveranstaltungen. Der kleine Mann hilft bei Erdbeben, Überschwemmungen und Vulkanausbrüchen. Wir aber besitzen ein Dauer-Los der Glücksspirale, haben aber dennoch ein ungutes Gefühl: Wir müssen mehr Gutes tun! Aber wie?

Wenn wir fair gehandelte Bananen, Kaffee und Schokolade kaufe, dann bleibt trotz des guten Willens doch ein Hauch schlechten Gewissens. Von Bananen werden wir dick, Kaffee ist ein Genussmittel und Schokolade macht süchtig. Wenn wir uns davon etwas gönnen, dann nur in Maßen. Denn Diät, Genussverzicht und kontrolliertes Suchtverhalten sind heute untrennbare Bestandteile unseres zeitgemäßen Gutmenschentums. Daher schleicht unser schlechtes Gewissen auch dann hinter uns her, wenn wir im Weltladen oder im Bio-Supermarkt einkaufen und uns dadurch als verantwortungsbewusste Konsumenten outen, denen das Wohl artgerecht gehaltenen Federviehs ebenso wichtig ist, wie der weltweite Kampf gegen Hunger und Unterdrückung. Aufs Auto verzichten, um CO2 zu sparen? Kommt nicht infrage! Ein Paar Schuhe weniger, weil sie von Kindern zusammengenäht wurden? Nö. Und fair gehandelte Nutten hat der Edelpuff zurzeit auch nicht zu bieten. Da fällt Guttun richtig schwer.

Aber halt! Die Bettler in unseren Einkaufstraßen bieten uns doch eine wohlfeile Alternative an: Gelobt sei das gute alte Almosengeben! Das ist noch pures Gut sein, denn wir handeln uns dafür keine Produkte ein, für deren Kauf wir uns auch noch rechtfertigen müssten. Ihre Dienstleistung erzeugt das reinste Gutmenschengefühl, wenn auch ohne Nachhaltigkeit.

Und selbst in Münster muss man dafür nicht einmal zerknirscht eine Kirche betreten. Steigt man nämlich den Domberg hinauf zum samstäglichen Wochenmarkt, hockt dort am Wegesrand ein Bettler und bietet jedem Vorübergehenden seine Dienste an. Wohl dem, der sich vor seinen Wochenendeinkäufen daran erinnert, dass Geben seliger ist denn Nehmen! Ein Euro oder - an Tagen nach durchsoffenen Nächten auch mal zwei - und schon beflügelt den Gebenden das wohlige Pfadfindergefühl, eine gute Tat getan zu haben. Auf einmal bleibt unser schlechtes Gewissen hinter uns zurück, wir können uns den Gang in den Dom sparen und zwischen den Einkäufen getrost einen heißen Kakao genießen, aber bitte mit Sahne!

 

zurück zur Titelseite