Zwei graue Doppelspiegel für ein Pendel

 

 

Der Titel für die Installation, die Gerhard Richter der Stadt Münster geschenkt hat, verweist darauf, dass es sich bei dem Foucaultschen Pendel, das unter der Kuppel der Dominikanerkirche schwingt, nicht um ein physikalisches Messgerät handelt, sondern um ein komplexes Kunstwerk.

Die Kirche an der Salzstraße war Teil einer Klosteranlage, von der nur noch eine Wand als Ruine erhalten ist, die an die Sandsteinfassade der Kirche angrenzt. Sie wurde in den Jahren 1708 bis 1725 nach Entwürfen des Architekten Lambert Friedrich Corfey (1668–1733) erbaut und diente bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Konventskirche der Dominikaner in Münster. Der Kirchbau besteht aus einem erhöhten Mittelschiff sowie Querhaus und zwei niedrigen Seitenschiffen. Die barocke Kuppel über der Vierung ist innen rund (Durchmesser circa neun Meter), außen achteckig. Nach Aufhebung des Dominikanerklosters im Jahre 1811 ging die Anlage in staatlichen Besitz über und wurde ab 1826 für militärische Zwecke genutzt. 1880 erwarb die Stadt Münster die Kirche und nutzte sie ab 1889 als Schulkirche für das städtische Realgymnasium. Nach Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und Wiederaufbau in den 1960er-Jahren wurde die Kirche von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität verwaltet und von der katholischen Universitätsgemeinde für Gottesdienste genutzt.

Im November 2017 wurde das Gotteshaus profaniert. Es wird nun als Museum und Veranstaltungsraum genutzt.

Der international renommierte Künstler Gerhard Richter aus Köln realisierte in der Kirche seine spektakuläre Installation mit dem Pendel in der Mitte, das in 29 m Höhe aufgehängt ist. Es schwingt über einer Bodenplatte von ca. 5 m Durchmesser aus einem 380 Millionen Jahre alten grau-braun imprägnierten Sedimentgestein. Der äußere Kranz aus unbehandeltem hellgrauem Stein zeigt eine 360° Winkelmaßskaldierung. Der Nullpunkt liegt in der Längsachse der Kirche und weist nach Westen.

Das Pendel besteht aus einer Metallkugel von 40 cm Durchmesser und einem Gewicht von 48 kg. Sie wird durch einen Magnetantrieb in ununterbrochener Bewegung gehalten. Vorbild für diesen Teil der Installation ist das Pendel, das der französische Physiker Jean Bernard Léon Foucault (1819-1868) am 26. März 1851 im Panthéon der Öffentlichkeit vorstellte. Am unteren Ende des Pendelkörpers befand sich eine Spitze, die mit jeder Schwingung eine Spur in einem Sandbett auf dem Fußboden markierte. Dies war ein aufsehenerregender Nachweis der Erdrotation. Seither wird dieser Versuch foucaultscher Pendelversuch genannt.

Richter Installation besteht aber aus einer weiteren Komponente, nämlich vier hochgestellten Rechtecken aus Glas, deren Vorderseiten verspiegelt sind. Die Glasbahnen sind mit 4 cm Abstand so an den Seiten der Querhauswände aufgestellt, dass sie das Pendel rahmen. Durch eine unterschiedliche rückseitige Emaillierung zeigen sie drei unterschiedliche Grautöne.

Das Pendel schwingt immer in der selben Richtung, aber die Erdoberfläche dreht sich unter ihm im Uhrzeigersinn hinweg; wegen der geographischen Länge der Stadt Münster von 51° 58′ Nord scheint die schwingende Pendelebene sich in ca. 30 Stunden um 360° zu drehen. Der Betrachter beobachtet aber nur seine eigne Drehung auf der Erdoberfläche und kann sehen, wie die Ebene unter dem Pendel sich gegen den Uhrzeigesinn um ca. 12° in der Stunde dreht. Dabei kann er sein eigenes Spiegelbild betrachten, in dem die jeweiligen Besucher des Kunstwerks ebenso erscheinen, wie das Pendel und seine Bodenplatte.

Dadurch wird die Installation – nach der im Kirchenraum ausliegenden Besucherinformation der Kunsthalle Münster, die das Projekt organisiert – zu einer abstrakten Mischung von Malerei, Skulptur, Architektur und einem Tableau Vivant, das durch die Betrachter ergänzt wird. „Sie spannen ein fließendes, immerzu perpetuierendes System auf, in das der Kircheninnenraum und alles darin Befindliche unweigerlich einbezogen werden.“

 

 

 

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