Jordanwasser auf dem Prinzipalmarkt

 

Das wohl am wenigsten wahrgenommene Kunst-Projekt Münsters befindet sich mitten auf dem Prinzipalmarkt vor Haus Nummer 34 zwischen den Standorten der ehemaligen Häuser von zwei Bürgermeistern der Wiedertäufer.

 

 

 

Hier hat der Designer, Bildhauer und Architekt Adolph W. Knüppel (1933-2017) die Skulptur „Wasser in Münster“ in das Straßenpflaster eingelassen. Ein paar Meter vom Bürgersteig mit dem Bogengang entfernt sind fünf Steine und ein Gefäß aus Glas und Metall zu erkennen, die zusammen ein lateinisches Kreuz darstellen, das in Richtung Rathaus weist.

Zwei weitere Steine im Pflaster des Bürgersteigs vor den Häusern Nr. 29 und Nr. 41 begleiten die Skulptur. Sie zeigen – direkt vor der Fahrbahnkante – ebenfalls die beiden Wassersymbole sowie die Texte 1534/ WIEDERTÄUFER und die Namenszüge Gerhard Kibbenbrock und Bernd Knipperdollinck.

 

          

 

Die Inschrift auf dem Rahmen des Wasserbehälters lautet: SEPTEMBER 2000/ WASSER AUS ALTEM BRUNNEN/ VOR 1500   SÜDENDE/ PRINZIPALMARKT   UND/ JORDANWASSER. Der Querbalken des Kreuzes besteht aus zwei Steinen; der linke zeigt zwei Symbole für Wasser, der rechte trägt die Inschrift: 1534/ WIEDER/ TÄUFER. Der Längsbalken wird von drei Steinen mit eingelegten weißen Scheiben und dem Wassergefäß gebildet. Sie sind wie die Symbole für das Wasser geformt; links oben ist eine fliegende Taube eingraviert, die einen Ölzweig im Schnabel trägt. Sie steht in der Tradition der Friedenstaube, wie sie von Pablo Picasso 1949 für den Pariser Weltfriedenskongress entworfen und lithographiert wurde. Seitdem ist die Friedenstaube ein weltweites Symbol für den Frieden und die Friedensbewegung.

 

     

 

Picasso ließ sich durch die Erzählung von der Sintflut inspirieren, nach der eine von Noach aufgelassene Taube mit einem frischen Olivenzweig im Schnabel zur Arche zurückkehrt (Genesis 8,11).

 

 

 

Knüppels Installation korrespondieret mit anderen Denkmälern, die an die Wiedertäufer erinnern; so die Käfige am Turm von St. Lamberti, die 1987 von Lothar Baumgarten zu den „Drei Irrlichtern“ umgestaltet wurden oder das Wiedertäuferkapitell am Rathaus von Paul Waldow, der 1963 in eine der Säulen die Köpfe von Bernd Knechting, Jan van Leiden und Bernd Knipperdollinck einmeißelte.

 

 

 

Die Täufer (früher auch Wiedertäufer genannt) sind Anhänger einer radikalen reformatorischen Bewegung, die im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts in den deutsch- und niederländischsprachigen Teilen Europas gleichsam als der linke Flügel der Reformation entstand.

Da die Täufer die Säuglingstaufe als unbiblisch und demzufolge als ungültig ansahen, war die von ihnen vollzogene Taufe der Gläubigen in ihren Augen eine Ersttaufe. Eine Sonderrolle innerhalb der Täuferbewegung spielten die münsterschen Täufer, die an eine zeitnahe Wiederkehr von Jesus Christus glaubten, der ein tausendjähriges Reich errichten würde.

 

 

Johann Karl Ulrich Bähr; Jan van Leiden tauft ein Mädchen (1840). Westfälische Landesmuseum, Münster. Im Türbogen die beiden anderen Anführer der münsterschen Täufer, Stadtschreiber Bernd Krechting und der Scharfrichter und spätere Statthalter Bernd Knipperdolling. Im Bildhintergrund der Turm von St. Ludgeri.

 

Jan van Leiden (1509-1536) war eine führende Persönlichkeit der Täufer und späterer „König“ des Täuferreichs von Münster. 1533 lernte er in der Stadt Leiden Jan Matthys kennen und ließ sich von ihm taufen. Sein Interesse für die neue christliche Bewegung war schon zuvor erwacht, als er bei einem Besuch in Münster einige Predigten von Bernd Rothmann hörte. Jan Matthys sandte Jan van Leiden als Apostel nach Münster, um die dortigen Täufer zu unterstützen. Bald wurde er neben Matthys ihr Führer in der Stadt. Die Täufer errangen die Mehrheit im Rat und machten Münster zu einer ihrer Hochburgen. Der vertriebene Bischof Franz von Waldeck belagerte die Stadt jedoch seit dem Februar 1534 mit Hilfe von Landsknechtstruppen des Landgrafen Philipp von Hessen.

Als Matthys bei einem Ausfall aus der belagerten Stadt ums Leben kam, stieg van Leiden zum alleinigen Führer der Täufer in Münster auf. Er nahm als Johann I. den Königstitel an, errichtete das „Königreich Zion“ und umgab sich mit einem glänzenden Hofstaat. Mit Hilfe von „12 Aposteln“ als seinem Rat und zusammen mit seinem Statthalter und Scharfrichter Bernd Knipperdolling und seinem „Reichskanzler“ Heinrich Krechting übte er ein Schreckensregiment aus. In Vorbereitung auf die vermeintlich nahende Endzeit ließ er alle Bücher und Dokumente des Stadtarchivs verbrennen, schaffte das Geld ab und führte eine urchristliche Gütergemeinschaft ein. Verstöße gegen die Zehn Gebote wurden mit Todesstrafe belegt. Außerdem führte er die Vielehe ein und heiratete 16 Frauen.

Das Täuferreich endete, als die Truppen des Bischofs und des Landgrafen von Hessen in der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1535 Münster einnahmen. Van Leiden, Knipperdolling und Krechting wurden am 22. Januar 1536 mit glühenden Zangen auf qualvolle Weise gefoltert und anschließend erdolcht. Ihre Leichen hängte man zur Abschreckung in eisernen Körben am Turm von St. Lamberti auf.

 

 

Augsburg 1536

 

Adolph W. Knüppels Denkmal erinnert an die zentrale Lehre der Täufer. Die Erwachsenentaufe wiederholt mit dem Wasser aus einem Brunnen in Münster symbolisch die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer, die im Markusevangelium (MK 1,9–11) beschrieben wird: „Und es geschah in jenen Tagen, da kam Jesus aus Nazaret in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen. Und sogleich, als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel aufriss und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“ Die Taufe ist das erste und grundlegende Sakrament, durch das ein Mensch in die Glaubensgemeinschaft der Christen aufgenommen wird. Sie gilt in der katholischen Kirche als Realsymbol für die besondere, unauflösbare Gemeinschaft des Getauften mit Jesus Christus, durch den die Erbsünde ihre Macht über den Täufling verloren hat.

 

 

Taufe Christi, Miniatur aus dem Hitda-Evangeliar, um 1020

 

In dem gerade erschienene Buch Der „Wiedertäufermythos“ (Münster: Aschendorf 2019) stellt der Historiker Jan Matthias Hoffrogge die Ereignisse des Täuferreichs kurz dar und dokumentiert die verschiedenen Phasen der Erinnerung an diese Ereignisse und die damit verbunden Denkmäler; er beschreibt darüber hinaus ausführlich die Rezeption dieser Geschehnisse seit dem 16. Jahrhundert und den Streit über den Umgang mit den Täuferkörben von 1992 bis 2017.

 

 

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