Ein Kaiserpaar

         

Kaum einer von den vielen Passanten, die vom Alten Steinweg über den Kirchplatz zum Prinzipalmarkt eilen, wirft einen Blick auf den gotischen Chor der Marktkirche St. Lamberti. Wer aber einhält und nach oben auf das dunkle Gemäuer schaut, kann die aus Sandstein gemeißelten lebensgroßen Statuen eines berühmten deutschen Kaiserpaares aus dem Mittelalter sehen.

Links steht Heinrich II. (973 oder 978 bis 1024) und rechts seine Gemahlin Kunigunde von Luxemburg (um 980 bis um 1033). Am 14. Februar 1014 krönte Papst Benedikt VIII. in der Basilika St. Peter zu Rom den letzten König aus dem Geschlecht der Ottonen zum Kaiser und seine Gattin zur Kaiserin. Rom überließ der Kaiser der Herrschaft des Papstes sowie den diesen stützenden Adelsgeschlechtern und verzichtete auf Einmischungen in die Politik Italiens und des Kirchenstaates. Nach seinem Tod wurde Heinrich heilig gesprochen; am 13. Juli 1147 erfolgte seine feierliche Erhebung zur Ehre der Altäre durch Papst Eugen III. in Bamberg. Da die Verbindung mit Kunigunde kinderlos geblieben war, behauptete die Legende, Heinrich und Kunigunde hätten eine Ehe in Keuschheit geführt. Papst Innozenz III. bekräftigte dieses Idealbild, als er die Heiligsprechung Kunigundes 1200 mit ihrer beständigen Jungfräulichkeit begründete

Die Geschichtsschreibung machte Heinrich II. zum Schöpfer der mittelalterlichen Reichsverfassung. Man sah in seinem Regierungsantritt im Jahr 1002 die Voraussetzung für eine Neuordnung des Heiligen Römischen Reiches; Heinrich galt als Begründer der freien Königswahl, als Schöpfer des Kurfürstenkollegs und des gesamten Verfassungsgefüges. Heutige Geschichtsforschung sieht in Heinrichs Herrschaftsauffassung die „Idee des Moses-Königtums“, in deren Zentrum die Stellvertreterschaft Gottes im Königtum steht.

Das Kaiserpaar bildet gemeinsam mit anderen Heiligen, die in einer historischen Beziehung zu Münster und dem Münsterland stehen, einen geschlossenen Zyklus großfiguriger Statuen, die im Zusammenhang mit der Restaurierung von St. Lamberti im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts geschaffen wurden. Die beiden stehen an den Außenseiten des Hauptchores und blicken nach Osten in Richtung Berlin, wo seit 1871 das neue deutsche Kaiserpaar residierte. Dazu bemerkt der Kunsthistoriker Hans Josef Böker in seiner Publikation Die Marktpfarrkirche St. Lamberti zu Münster: „Als Reminiszenz an den zurückliegenden kirchlich-stattlichen Interessenkonflikt des preußischen Kulturkampfs, der sich erheblich auf die Bautätigkeit an der Lambertikirche um 1870 ausgewirkt hatte, bekommt das Figurenprogramm damit einen eminent zeitpolitischen Aussagewert.“

 

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