Amalie von Gallitzin

Adelheid Amalia von Gallitzin (1748-1806) entstammte einer altungarischen Familie und war Tochter des preußischen Feldmarschalls Samuel Reichsgraf von Schmettau. 1768 lernte sie auf einer Reise nach Spa den mit Voltaire und Diderot befreundeten russischen Diplomaten Fürst Dimitri Alexejewitsch Golizyn (Gallitzin) kennen, den sie im gleichen Jahr heiratete. Nach der Trennung von ihrem Mann 1774 zog sie mit ihren Kindern nach Scheveningen, wo der niederländische Philosoph Franz Hemsterhuis Einfluss auf sie gewann. 1779 veranlassten sie die Schulreformen des Franz von Fürstenberg im Bistum Münster, mit ihren Kindern und mit Hemsterhuis dorthin überzusiedeln. Neben ihren eigenen Kindern unterrichtete sie ihre Nichte Amalie sowie Georg Arnold Jacobi in den Fächern Griechisch und Latein, Englisch, Französisch und Deutsch, Geschichte und Erdkunde, Mathematik und Psychologie, Religion und Naturlehre.

Amalie von Gallitzin stand mit vielen prominenten Zeitgenossen in regem Kontakt, unterhielt Briefverkehr u.a. mit Herder, Lavater und Friedrich Heinrich Jacobi, und war mit Matthias Claudius bekannt, der sie in Münster aufsuchte. Die Fürstin, der ein weiter Bildungshorizont und eine außergewöhnliche Ausstrahlung zugeschrieben wurden, konvertierte 1786 zum Katholizismus. Um sie bildete sich der sog. „Kreis von Münster“ (die „familia sacra“), der für pädagogische Verantwortung aus religiösem Bewusstsein eintrat. Beeinflusst war sie in dieser Zeit auch von dem Königsberger Philosophen und Schriftsteller Johann Georg Hamann, der sie 1787/1788 persönlich in Münster kennen lernte, der dort überraschend starb und in ihrem Garten begraben wurde. Sein Grab liegt heute auf dem historischen Überwasser-Friedhof nördlich des Schlossparks, auf dem zwischen 1808 und 1887 bestattet wurde.

1785 traf Amalie von Gallitzin den von ihr bewunderten Goethe in Weimar, der sie wiederum Anfang Dezember 1792 auf dem Rückweg von der „Campagne in Frankreich“ in ihrem Haus in Münster besuchte. Goethe ließ sich über die Promenade kutschieren und besichtigte Gebäude am Domplatz. In den Abendgesellschaften traf er neben Franz von Fürstenberg den Juristen Anton Matthias Sprickmann und weitere Mitglieder des Kreises um die Fürstin. 1789 siedelte der Priester und Pädagoge Bernhard Overberg in ihr Haus über. Der Gallitzin-Kreis prägte maßgeblich das literarische Klima Münsters und seiner Umgebung Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts. Amalie von Gallitzin starb am 27. April 1806 in Münster. Sie wurde an der Kirche von Angelmodde begraben.

Theobald von Oer: Die Fürstin von Gallitzin im Kreis ihrer Freunde auf dem Landsitz in Münster-Angelmodde. Ölgemälde, 1863/64

Der aus Münster stammende Maler Theobald von Oer (1807–1885) stellte das großflächige Ölgemälde, das den "Kreis von Münster" im Jahre 1800 auf dem Landsitz der Fürstin von Gallitzin in Münster-Angelmodde zeigt, 1863/1864 in Dresden fertig. Familien der rheinischen und westfälischen Aristokratie unterstützten den verarmten, adeligen Künstler finanziell bei der Schaffung des Historienbildes. Anschließend wurde es dem Bischof von Münster geschenkt und sollte als eine Art "Auftragsarbeit" zur Unterstützung der katholischen Kirche aufrufen, deren gesellschaftspolitische Einflussnahme im preußischen Staat zunehmend geschwächt worden war. Das Bild ist historisierend, eine Zusammenkunft in dieser Form hat nicht stattgefunden, seine Intention ist daher idealisierend.

In den Mittelpunkt des Gemäldes wurde Fürstin Amalie von Gallitzin, die zentrale Integrationsfigur des Kreises von Münster, gerückt. Auf dem Bild reicht Fürstin von Gallitzin dem Grafen Leopold zu Stolberg die Hand, der am 1.6.1800 zum katholischen Glauben konvertierte. Neben ihm ist seine zweite Gemahlin, Gräfin Sophie, zu sehen, die acht Jahre später mit der großzügigen Spende von 20.000 Reichstalern ihren Beitrag zur Errichtung des Ordens der Barmherzigen Schwestern leisten sollte.

Rechts hinter der Fürstin steht der Schulreformer Bernhard Overberg, der 1789 in ihr Haus in der Grünen Gasse gezogen war und auch als Beichtvater der Fürstin fungierte. An Overbergs rechter Seite ist Clemens August von Droste-Vischering, der spätere Kölner Erzbischof, abgebildet, der die Begegnung der beiden prominenten Konvertierten aus seinem Freundeskreis ergriffen, mit der linken Hand auf dem Herz, verfolgt. Zwei Brüder von Clemens August waren dem Gallitzin-Kreis ebenfalls sehr verbunden. Links von ihm steht Franz Otto, und Caspar Max unterhält sich mit Marianne Prinzessin Gallitzin, der gemeinsamen Tochter der Fürstin und des Fürsten Gallitzin. Von der rechten Bildseite aus beobachten die Gelehrten Kistemaker, Sprickmann und Katerkamp das Geschehen.

Bei dem jungen Priester, der im Bildhintergrund zum Kruzifix betet, handelt es sich um den Prinzen Dimitrij Gallitzin, dem Bruder Mariannes, der nach seinem Vater benannt worden war. Bereits einige Jahre vorher war er nach Amerika ausgewandert, um dort missionarisch zu arbeiten. Dieser räumlichen Distanz wurde auf dem Gemälde, ebenso wie der ständigen geistigen Präsenz des Sohnes, stilisierend Ausdruck gegeben. Der vom linken Bildrand ankommenden Gruppe geht der Theologe Kellermann voran, mit ihm die beiden Söhne des Grafen Stolberg, für die er als Hauslehrer verantwortlich war.

Anfänglich hatte man sich zu einem literarisch-philosophischen Zirkel zusammengefunden, der – dem Geiste der Aufklärung entsprechend – ein pädagogisches Umdenken im Sinne des humanistischen Bildungsprinzips propagierte. Der einflussreiche Minister Franz von Fürstenberg (1729-1810) konnte diese fortschrittlichen Ideen politisch erfolgreich umsetzen (1773 Gründung der Universität, 1775 Errichtung des "Komödienhauses" in der sog. "Alten Fleischscharne" am Roggenmarkt, 1776 Medizinalverordnung, bis 1788 Schulreform). Ein Hauptanliegen des Gallitzin-Kreises stellte die karitative Beschäftigung mit den gesellschaftlich Schwachen dar. Die katholische Kirche sollte – alleinverantwortlich – für die Schaffung von sozialen Einrichtungen wie die Armen- und Krankenfürsorge aufkommen. Dieser Lösungsweg, der dem Staat seine soziale Verantwortung abnahm, kam sowohl den französischen als auch den preußischen Machthabern zunächst sehr gelegen. Mit der Industrialisierung sollte die "soziale Frage" dann zu einem grundlegenden Streitpunkt zwischen der katholischen Kirche und dem preußischen Staat werden, der während der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zu heftigen Auseinandersetzungen führte. In der späteren Phase, die äußerlich von Konversionen zum Katholizismus geprägt war, wandelte sich der "Kreis von Münster" hin zu einer tiefen, religiösen Innerlichkeit, die bezeichnend wurde für die deutsche Frühromantik. Die Verbreitung des katholischen Glaubens und Weltbildes wurde zu einer missionarischen Aufgabe, die asketische Lebensform zu einer vorbildlichen erklärt und der kulturelle Fortschritt nunmehr abgelehnt. Graf Stolberg verfasste das 15-bändige Werk "Geschichte der Religion Jesu Christi", das nicht mehr dem humanistischen, sondern dem religiösen Bildungsprinzip entsprach. Nicht nur die romantische Rückbesinnung auf die idealisierten Werte des Mittelalters, die auch der "Kreis von Münster" fortan propagierte, löste diese rückwärts gerichtete Lebensanschauung aus. Auch die Befürchtung, daß der katholischen Kirche durch die weltlichen Machthaber jeglicher Einfluß auf das öffentliche Leben genommen werden könnte (Laizismus), verursachte diese Art der Flucht in die Religiosität mit. Eine Vielzahl von reaktionären Schriften versuchte über lange Zeit hinweg, den Herrschaftsanspruch der katholischen Kirche (Klerikalismus) zu stärken. Demgegenüber standen einige Kritiker, Befürworter eines modernen Staates, die weiterhin die Ideen der Aufklärung verbreiteten. Sie bezeichneten den "Kreis von Münster" nun spöttisch als "familia sacra". "Galliziniaden und travestirte Overbergs, und verwandelte Stollbergs mönchisiren schon wieder durchs Münsterische Wochenblatt immer mehr in die späteren Klassen hinab." Aber auch nachdem der "Kreis von Münster" nicht mehr bestand, blieb sein weitreichender geistiger Einfluß erhalten und seine antipreußische Einstellung fand beim westfälischen Adel großen Zuspruch. Als der Kölner Erzbischof, der Münsteraner Clemens August von Droste-Vischering 1837 von der preußischen Regierung verhaftet wurde, eskalierten diese Gegensätze in dem Kölner Kirchenstreit um die Mischehen.

Silke Elsermann: Münster in napoleonischer Zeit. Münster 1994, Westfalen im Bild, Reihe: Historische Ereignisse in Westfalen. Hg. von Wolfgang Linke. Heft 8, S. 21f.)

 

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