Ein Dämon

 

An den Pfeilern des Hauptschiffes der Lambertikirche hocken kaum sichtbar für Gläubige und Besucher zwei Dämonen. Mit dem Kopf tragen sie Plinthen, die eine Basis für marmorne Weihwasserbecken bildet. Der auf der Südseite glotzt den Betrachter, der sich vor ihn hinhocken muss, aus großen Augen an und spreizt seine Ohren. Die Tierfigur ist mit Fledermausflügeln ausgestattet und besitzt Hufe. Richtig böse sieht der Kerl nicht aus, aber der Bildhauer hat ihn sicherheitshalber an die Kette gelegt, obwohl dem Volksglauben nach solche Dämonen mit Weihwasser gebannt werden können.

In mittelalterlichen Kirchen trifft man häufig auf Teufels- und Dämonendarstellungen, denn die Gotteshäuser stellen Abbilder des gesamten Kosmos und seiner Geschichte dar, und dazu gehören Himmel, Erde und auch die Unterwelt, die nach damaligem Glauben von allerlei Dämonen bevölkert war.

Als Dämon haben die Alten einen Geist oder eine Schicksalsmacht verstanden, die ihre warnende oder mahnende Stimme erhoben. Mit Aufkommen des Christentums wandelte sich die Bedeutung zu Teufel, Satan oder Luzifer, die im Höllenreich eine ganze Heerschar von Unterteufeln und Dämonen befehligten. Die systematische Beschreibung solcher Wesen bezeichnet man als Dämonologie. Deren geistige Grundlage stammt vom Kirchenlehrer Augustinus, der ein paar Schritte von unserem Dämonchen entfernt von einem der südlichen Pfeiler der Chorerweiterung herabblickt.

Danach sind die Dämonen gefallene Engel, die wirksam in den Lauf der Dinge eingreifen können, allerdings nur, soweit Gott es zulässt. Nach der neutestamentarischen Offenbarung des Johannes findet während des Tausendjährigen Reiches einen Kampf zwischen den Kräften des Guten (Erzengel Michael und seine Engel) und Satan statt, der mit dem Höllensturz endet, bei dem der Teufel und seine Anhänger auf die Erde geworfen werden. (Offenbarung 12)

Die Kirchengeschichte verzeichnet allerdings schon sehr früh einzelne Bischöfe und Synodalbeschlüsse, die wahrsagerischen Handlungen, die mit Hilfe der Dämonen ausgeführt wurden, jeglichen Wirklichkeitsgehalt absprachen. Erst durch Martin Luther wurde der zur Reformationszeit grassierende Teufels- und Hexenglaube von entscheidender Bedeutung für die Heilsgeschichte und folglich ein zentrales Thema für die reformierte Theologie: Ohne den Teufel hätte Christus nichts und niemanden zu überwinden, er hätte keinen Anlass, die Unzulänglichkeiten des Hier und Jetzt abzuschaffen und das Reich Gottes herbeizuführen. Aufgrund der Sünde unterliegt die Welt der Macht des Teufels; Christus kommt, um diese Macht zu brechen und die Entfernung zwischen der Menschheit und Gott zu überwinden.

Auch in der katholischen Kirche spielten Dämonen eine bedeutende Rolle: Papst Innozenz VIII. bezeichnete das Hexenwesen 1484 in der Hexenbulle feierlich als etwas Reales. Der Vorwurf, der den Hexen und Hexenmeistern damals gemacht wurde, war, dass sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hätten. Dem Hexenwahn fielen zwischen 1552 und 1635 allein in der Stadt Münster insgesamt 40 Männer und Frauen zum Opfer.

 

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