Frauen auf dem Männerklo

Wer auf Münsters Domplatz an Markttagen oder zu anderen Anlässen ein dringendes Bedürfnis verspürt, kann eine der beiden Treppen der WC-Anlage hinuntersteigen, die rechts für "Frauen" und links für "Männer" in jene "anrüchigen" Sphären führen, die von den meisten Zeitgenossen nach Möglichkeit gemieden werden. In Münster aber lohnt der Besuch in doppelter Hinsicht.
Steigt man nämlich in die Tiefe unter dem Marktplatz, so bekommt man zur erhofften Erleichterung noch ein ästhetisches Erlebnis der Extraklasse dazu. Und das gratis, denn die Toilettenanlage unter dem Domplatz ist kein normales Klo, sondern ein Kunstwerk.

Die stinkende Kellerarchitektur aus dem Jahre 1955 wurde anlässlich der "Skulptur Projekte Münster 2007" neu gestaltet und reiht sich offiziell als "WC-Anlage am Domplatz" in die über die Stadt verstreuten 34 Kunstprojekte ein.

Der Düsseldorfer Künstler Hans-Peter Feldmann (geb. 1941) hat sein naturgemäß recht populäres Projekt in der zentralen Bedürfnisanstalt Münsters inszeniert, um den Benutzern jene ästhetische Negativerfahrung zu ersparen, die zu solchen Örtlichkeiten in aller Welt dazu zu gehören scheint. Deshalb versteht der Künstler seinen Beitrag als Dienstleistung für eine breite Öffentlichkeit. Die wertschätzende Wahrnehmung war somit vorprogrammiert, obwohl viele Zeitgenossen überhaupt nicht mitbekommen, dass sie ein Kunstwerk für ihre profanen Zwecke benutzen.

Die Treppenschächte, die hinabführen, sind oben züchtige fünf Meter voneinander getrennt. Unten aber hat man die beiden Abteilungen Wand an Wand gebaut, und miteinander nur durch den Raum der Toilettenfrau verbunden.

Normalerweise funktioniert die traditionelle Geschlechtertrennung auf deutschen Klos ganz gut. Manchmal aber entstehen Notsituationen, so auf Autobahnraststätten, wenn Reisebusse ihre vielen Insassen ausspeien. Dann kann man beobachten, wie sie dann eilig in lockeren Formationen die Toiletten ansteuern, wo es wegen des kleinen anatomischen Unterschieds zu langen Warteschlangen vor den Abteilungen für Damen kommen kann. Die Männer haben gelernt, dass beherzte Frauen dann das Tabu brechen und die für das andere Geschlecht reservierten Kabinen mit Beschlag belegen. Aber das sind Ausnahmen, von der Not geboten. Ganz anders in Münster.
Kein Mann, der die Toilettenanlage am Domplatz für ein kleines Geschäft benutzt, darf sich wundern, wenn eine Kette neugieriger Frauen diesen Verbindungsraum betritt, um durch das Männerklo wieder ans Tageslicht zu steigen. Herabgestiegen waren sie ordnungsgemäß über die zulässige Frauentreppe. Nicht aber die Überfüllung der sechs für sie reservierten Kabinen hat sie zur Tabuverletzung veranlasst, sondern bloße Neugier. Denn die eigentliche Bedeutung dieser Toiletten liegt in ihrer künstlerischen Gestaltung. Und die Männer müssen es ertragen lernen, dass Frauen ihnen gelegentlich beim Pinkeln zusehen.

Da soll selbst der in modernen Kunstprovokationen erfahrene Kurator Kasper König nicht schlecht gestaunt haben, als er von diesem Projekt erfuhr. Was Hans-Peter Feldmann dann auf die Beine stellte, ist eigentlich gar keine Kunst, sondern modernes Design. Die neuen Gitter über den Treppen wiederholen in beleuchteten Buchstaben die Funktion der Anlage: Männer links, Frauen rechts. Ergänzt sind die beiden Wörter durch international bekannte Piktogramme. Wer hinabsteigt, sieht modern gestylte Sanitäreinrichtungen, wie sie sonst nur in Privathäusern oder in Restaurants und Hotels der gehobenen Klasse zu finden sind. Funktional, schlicht und dennoch schön. Hygienisches Weiß herrscht vor; farbliche Akzente setzen die grünen Waschtischunterbauten und die Sichtschutzwände bei den Männern. Die Klinken der Kabinentüren stechen in beiden Bereichen rot hervor. Bei den Handwaschbecken hängen aufwändige Kronleuchter aus farbigem Glas. Die Wände gegenüber den Eingängen sind mit Blumenbildern dekoriert: Iris bei den Männern und Lilien bei den Frauen.

So weit, so schön. Aber zur Kunstaktion wird das Ganze erst, wenn man die Provokation mit bedenkt, die darin besteht, ausgerechnet den intimsten Tabubereich unserer Gesellschaft seiner naturbedingten Anrüchigkeit zu entkleiden und ihn zu einem schön anzusehenden öffentlichen Treffpunkt umzuwidmen, in dem es auch noch gut riecht.
Nach einem Abstieg in die öffentlichen Gruben, bei dem Mann und Frau einen Blick in die eigentlich verbotene Gegenseite werfen sollten, darf jeder Skulptur-Projekt-Besucher zufrieden sagen: "Auch ich war in den Münsteraner Toilettenanlage am Domplatz."

 

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