Ein Sonntagnachmittag an der Werse

Im Osten von Münster, an der Bahnlinie nach Warendorf, liegt der Nobis Krug. Auf dem gelben, gründerzeitlichen Ziegelgemäuer steht in Stein gemeißelt: "Si Deus est pro Nobis, quis contra Nobis?" Wer will bei so selbstgefälligem Gottvertrauen noch dagegenhalten?

Durch die staubigen Scheiben sehe ich Gäste im Speiseraum, die wohl - wie es eine Tafel verheißt - "Dicke Bohnen" und "Frische Pfifferlinge" essen. Im schattigen Garten spachteln einige auch "Hausgemachter Kuchen". Das Gebäude klagt mir, dass es MDCCCLXXXVI zum letzten Mal renoviert wurde, also schnell weiter.

Rechts schlängelt sich die Werse zwischen Haselnussdickichten, aus dem fröhliche Kinderstimmen rufen und hinter dem mahnende Väter eifrig belehren, es riecht intensiv nach Wildkräutern und duftet nach blühenden Sommerlinden. Die Ufer sind von den typischen Monokulturen moderner Feldwirtschaft umgeben, Mais, Gerste, mal etwas Weizen und immer wieder Mais. Zwischen Strommasten klingt der Sonntagsausflugsverkehr gedämpft zu mir herüber.

Auf dem Wasser dümpeln schwarz-rote Kanus. Darin sitzen Leute mit blauroten Schwimmwesten und blauroten Paddeln. Sie sind so mit dem Umpaddeln der gelben Mummelteppiche beschäftigt, dass sie die Zuschauer auf der Brücke nicht wahrnehmen, auch die Herkulesstauden am Ufer nicht. Die recken ihre weißen Blütenkugeln unschuldig zwei, drei Meter der Sonne entgegen, werden aber schon von Wanderern misstrauisch beäugt, die über ihre giftigen Blätter spekulieren. Da keimt ein Hass auf, der sich wie in jedem Jahr bald in einer wilden Köpf-Orgie entladen wird.

Manchmal tauchen aus dem grünen Dickicht Bootshäuser renommierter Münsteraner Ruderklubs und Gartenhäuser auf winzigen Grundstücken auf, die sich zwischen Flüsschen und Uferweg zwängen, einige zu richtigen Minihäusern erweitert, alle mit kleinen Bootsstegen. Ihre Minigärten sind akkurat en façon gehalten. Radfahrer beherrschen die Ufer; Enten kreuzen geschäftig den schmalen Wasserlauf; einige werden von lautem Kindergeschrei aufgescheucht: "Du bist zu blöd zum Paddeln!"

In einer unübersichtlichen Kurve rast ein blau behelmter Junge auf seinem Mountainbike auf mich zu, kriegt eben noch die Kurve, stürzt aber dabei mit seinem Rad. Seine Mutter keift mich an: "Sie hätten doch mal anhalten können!" Ihm ist nichts passiert, ich verkneife mir meine Kritik am Fahrstil ihres Sprösslings und radle mit weichen Knien langsam weiter.

In der Pleister Mühle und drum herum ist ordentlich was los. Keine Bahn der Minigolfanlage bleibt unbespielt. Das alte Mühlengebäude dämmert zeitlos vor sich hin; vorne geht's volkstümlich zu; die Gäste holen sich ihre Getränke an einer Holzbude selber ab und sitzen miteinander auf Holzbänken. Vor einem Schuppen kann man sich die schwarz-roten Boote stundenweise mieten und kriegt gratis blaurote Schwimmwesten dazu. Paddelprofis kreuzen erhobenen Hauptes die Pfade der Sonntagsamateure. Frauen bitten ihre Begleiter um eine Flasche Wasser; Männer starren auf die gelben Sonnenschirme, die verheißen: "Prinzregent Luipold Weissbier". Am Mühlenteich liegt der Biergarten jetzt voll in der Nachmittagssonne. Familien mit Kindern trinken Limo oder Cola und essen Waffeln mit Kirschen und Sahne; Gruppen älterer Ehepaare, die Männer in uniformierter Freizeitkleidung, bestellen ungeduldig Kaffee; Kellner aus Osteuropa bieten Stachelbeer- und Apfelkuchen mit Sahne feil. Kühles Bier gibts zum Glück auch.

zurück zur Titelseite