Von Katzen

 

Vergangnen Maitag brachte meine Katze

Zur Welt sechs allerliebste kleine Kätzchen,

Maikätzchen, alle weiß mit schwarzen Schwänzchen.

Fürwahr, es war ein zierlich Wochenbettchen!

Die Köchin aber - Köchinnen sind grausam,

Und Menschlichkeit wächst nicht in einer Küche -

Die wollte von den sechsen fünf ertränken,

Fünf weiße, schwarzgeschwänzte Maienkätzchen

Ermorden wollte dies verruchte Weib.

Ich half ihr heim! - Der Himmel segne

Mir meine Menschlichkeit! Die lieben Kätzchen,

Sie wuchsen auf und schritten binnen kurzem

Erhobnen Schwanzes über Hof und Herd;

Ja, wie die Köchin auch ingrimmig dreinsah,

Sie wuchsen auf, und nachts vor ihrem Fenster

Probierten sie die allerliebsten Stimmchen.

Ich aber, wie ich sie so wachsen sahe,

Ich pries mich selbst und meine Menschlichkeit. -

Ein Jahr ist um, und Katzen sind die Kätzchen,

Und Maitag ist's! Wie soll ich es beschreiben,

Das Schauspiel, das sich jetzt vor mir entfaltet!

Mein ganzes Haus, vom Keller bis zum Giebel,

Ein jeder Winkel ist ein Wochenbettchen!

Hier liegt das eine, dort das andre Kätzchen.

In Schränken, Körben, unter Tisch und Treppen,

Die Alte gar - nein, es ist unaussprechlich,

Liegt in der Köchin jungfräulichem Bette!

Und jede, jede von den sieben Katzen

Hat sieben, denkt euch! sieben junge Kätzchen,

Maikätzchen, alle weiß mit schwarzen Schwänzchen!

Die Köchin rast, ich kann der blinden Wut

Nicht Schranken setzen dieses Frauenzimmers;

Ersäufen will sie alle neunundvierzig!

Mir selber! ach, mir läuft der Kopf davon -

O Menschlichkeit, wie soll ich dich bewahren!

Was fang ich an mit sechsundfünfzig Katzen! -

 

Dieses Gedicht gehört zu den wenigen balladesken Scherzgedichten, die Theodor Storm geschrieben hat. 1 Entstanden ist es in den unruhigen Jahren der bürgerlichen Revolution von 1848/49, die auch in den Herzogtümern Schleswig und Holstein zu gravierenden Veränderungen der bisherigen Machstrukturen führte. Storm, der in diesen Jahren als junger Rechtsanwalt seine Existenz aufbaute und eine Familie begründete, beteiligte sich engagiert an den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Er schrieb nicht nur pointierte politische Gedichte, sondern berichtete auch für die von seinem Freund Theodor Mommsen in Kiel redigierte „Schleswig-Holsteinische Zeitung“ über die aktuellen Ereignisse in Husum und an der Westküste.

Auf den ersten Blick scheint „Von Katzen“ gar nichts mit den politischen Ereignissen dieser Jahre zu tun zu haben; ein Scherzgedicht, das in gleichmäßigem Rhythmus leicht daherkommt und die schmunzelnde Distanz des Erzählers erkennen lässt. Der unerwartete Katzensegen erbost nicht nur die herzlose Köchin, er lässt auch den Katzenfreund verzweifelt klagen.

Storm hat derart humorvolle Texte nicht häufig geschrieben; es ist erstaunlich, dass ihm gerade in solch wirren Zeiten etwas so Lustiges aus der Feder floss. Dass aber auch dieses Produkt seiner Arbeit nicht ohne den politischen Hintergrund der Entstehungszeit zu begreifen ist, zeigt eine Änderung, die in einem nicht abgeschickten Brief an Karl Leonhard Biernatzki, den Herausgeber des „Volksbuchs für Schleswig, Holstein und Lauenburg“, enthalten ist, in dem Storm eine Reihe von Gedichten und Erzählungen veröffentlicht hat2:

 

[...] dann muss ich Ihnen aber erzählen, dass ich im Moment ein köstliches Nachspiel zu ,den Katzen' geschrieben habe; es muss gleich darunter gedruckt werden, wie die Moral unter die Fabel; und darunter erst mein Name. Es ist nemlich nicht ausgeblieben, daß man meinem ,Gesegnete Mahlzeit', ja in Heuers Holzschnitt3 dazu, bestimmte Personen hat erkennen wollen. Nun wird es tausend Spaß geben, wenn nach den Katzen folgende Tetrameter4 aufmarschiren:

 

Nachspiel

Ob ich nun mit jener Katze meine

eigene gemeint Oder Nachbars alte Katze, was nicht gar unmöglich scheint, Oder gar des Bürgermeisters, gar

des Präsidenten Vieh, Oder - was doch gar unglaublich -

Katzen aus der Phantasie, Dieses zu errathen will ich allen

Guten anempfehlen, Deren liebevolle Zähne sich mit

solchen Nüssen quälen.

Dieser Humor gefällt mir außerordentlich, und beleidigt, Gott sei Dank, auch nicht das Poelsche Schaamgefühl5; denn sie wissen ja leider, daß das bei mir nicht sicher ist.

 

Vielleicht ist aber diese politische Deutung des Katzengedichts gar so ernst nicht gemeint, denn schon manche von Storms Zeitgenossen haben es als bloßen lyrischen Scherz genommen. Eduard Mörike zum Beispiel, dem Storm im November 1850 sein erstes selbständiges Buch „Sommergeschichten und Lieder“ zugeschickt hatte, schrieb am 26. Mai 1853 an den Verfasser über das darin enthaltene Gedicht6:

Das von den Katzen wusste ich bald auswendig und habe Manchen schon damit ergözt. Von Wem ist das? frug ich unlängst einen Freund. Nu, sagte er lächelnd, als wenn es sich von selbst verstünde – von dir!

Storm war von diesem Lob des damals bereits berühmten Dichters, zu dem er den Kontakt selbst gesucht hatte, natürlich sehr angetan und antwortete am 12. Juli nicht ohne eine gehörige Portion Selbstbewusstsein:

„Wenn Ihnen die Katzen zugeschrieben werden und Sie dieß nicht ganz ohne Behagen erfahren, so wollen Sie nicht vergessen, daß Eduard Mörike ganz besonders zu den Dichtern gehört, die auf die Ausbildung meines kleinen Talentes von Einfluß gewesen sind."

Damit stellte sich Storm in eine Reihe mit dem von ihm sehr verehrten schwäbischen Dichter, den er mehrfach - neben Claudius, Goethe und Heine - als einen seiner Lehrmeister bezeichnet hat und dessen Gedichte einen nachhaltigen Einfluß auf Storms eigene Lyrik gehabt haben.

Von Katzen“ ist in der Tat eines der herausragenden Gedichte Storms; nicht so sehr wegen der Form, die ist eher konventionell, denn der Dichter folgt den traditionellen Gleisen der Balladendichtung. Was überrascht, ist die unbekümmerte Art, in der hier erzählt wird. Balladen berichten oft von mystischen Geschehnissen oder stellen bedeutsame geschichtliche Ereignisse dar. Theodor Fontane, Storms Freund aus der Berliner Zeit, beherrschte diese Gattung meisterhaft und hat uns in „John Maynard“ oder „Die Brück am Thay“ unsterbliche Balladen hinterlassen, die allerdings einige Jahrzehnte später entstanden. Manche seiner und Storms Zeitgenossen repräsentieren mit ihren Texten aber bereits den Verfall der Ballade, die immer mehr zu neoromantischer Butzenscheibenmalerei entarte. Storms Gedicht ist - anders als seine Ballade „In Bulemanns Haus“ – durch Ironie gekennzeichnet; dadurch gewinnt er im Unterschied zu den oft schwerblütigen Themen der traditionellen Balladendichtung Distanz zu seinem Gegenstand.

Wir können das Gedicht heute als harmlosen Scherz lesen, ohne an die Tradition der Balladendichtung oder die mit der Entstehung des Textes verbundenen historischen Ereignisse erinnert zu werden.

 

Anmerkungen

1 Erstdruck in: Volksbuch auf das Jahr 1849 für Schleswig, Holstein und Lauenburg. Herausgegeben von K. L. Bier-natzki. Altona 1848, S. 79f.

2 Ein Brief Theodor Storms. Mitgeteilt von Dr. Alfred Simon: In: Hannoversche Landeszeitung vom 16. 9. 1923. (Nach einer von F. Schmeisser im Mai 1920 in einer nicht ermittelten Berliner Zeitung veröffentlichten Notiz. Storm-Archiv Husum.)

3 Storms Gedicht „Gesegnete Mahlzeit“ war im Volksbuch auf das Jahr 1848, S. 120 mit einem Holzschnitt von Wilhelm Heuer erschienen. Es ist eine Satire auf die politischen Machtverhältnisse in den deutschen Ländern.

4 Tetrameter: vierhebiger Vers.

5 Peter Poel (gest. 1867), Redakteur des damals in den Herzogtümern weit verbreiteten Altonaer Mercurs, der im selben Verlag wie Biernatzkis Volksbuch erschienen ist.

6 Theodor Storm – Eduard Mörike. Briefwechsel. Hg. v. H. und W. Kohlschmidt. Berlin 1978.

 

 

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