Knecht Ruprecht

 

Von drauß' vom Walde komm' ich her;

Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!

Allüberall auf den Tanenspitzen

Sah ich goldene Lichtlein sitzen;

Und droben aus dem Himmelstor

Sah mit großen Augen das Christkind hervor,

Und wie ich so strolcht' durch den finstern Tann,

Da rief's mich mit heller Stimme an:

„Knecht Ruprecht,“ rief es, „alter Gesell,

Hebe die Beine und spute dich schnell!

Die Kerzen fangen zu brennen an,

Das Himmelstor ist aufgetan,

Alt' und Junge sollen nun

Von der Jagd des Lebens einmal ruhn;

Und morgen flieg ich hinab zur Erden;

Denn es soll wieder Weihnachten werden!“

Ich sprach: „O lieber Herre Christ,

Meine Reise fast zu Ende ist;

Ich soll nur noch in diese Stadt,

Wo's eitel gute Kinder hat.“

- „Hast denn das Säcklein auch bei dir?“

Ich sprach: „Das Säcklein, das ist hier;

Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern

Fressen fromme Kinder gern.“

- „Hast denn die Rute auch bei dir?“

Ich sprach: „Die Rute, die ist hier;

Doch für die Kinder nur, die schlechten,

Die trifft sie auf den Teil, den rechten.“

Christkindlein sprach: „So ist es recht;

so geh mit Gott, mein treuer Knecht!“

„ Von drauß' vom Walde komm' ich her;

Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!

Nun sprecht, wie ich's hierinnen find'!

Sind's gute Kind', sind's böse Kind'?

 

 

Fast jeder kennt dieses Weihnachtsgedicht; viele haben es selber unter dem Tannenbaum mit klopfendem Herzen vorgetragen und sich bange gefragt, ob sie das so sehr Gewünschte auch unter den Weihnachtsgeschenken finden oder nicht. Wenige aber wissen, dass es sich um ein Gedicht von Theodor Storm handelt; man hält es für ein altes Volkslied, aber es ist gerade 130 Jahre alt.

Storm dichtete es in Heiligenstadt, als er 1862 den Auftrag bekam, eine Weihnachtsgeschichte zu schreiben, die er dann im Dezember mit dem Titel „Unter dem Tannenbaum“ in der „Illustrirten Zeitung“ veröffentlichte, die in Leipzig erschien.1

Es handelt sich um eine der wenigen Balladen Storms; der Dichter fängt die Stimmung am Weihnachtsabend ein und erzählt zugleich von einem verbreiteten Weihnachtsbrauch, der Prüfung der Kinder vor der Bescherung.

Knecht Ruprecht, der sagenhafte Begleiter vom Nikolaus, war zunächst ein böser Geist und Kinderschreck. Bei Storm handelt er im Auftrage des Christkindes und hat sich in einen gutmütigen Gesellen gewandelt, der die Geschenke bringt, aber auch moralisierend auf gutes Benehmen achtet. Er rückt im Zuge der Entwicklung der Weihnacht zum bürgerlichen Familienfest - insbesondere im protestantischen Raum - in den Mittelpunkt der Weihnachtsfeier und verdrängt ihren christlich-theologischen Gehalt mehr und mehr.

Für Storm hatte das Weihnachtsfest hohe symbolische Bedeutung; in ihm kristallisierten sich alle Vorstellungen vom geglückten Familienleben, das sich an diesen Tagen konkret erleben ließ. Immer wieder berichtete er Freunden von den intensiven Vorbereitungen zum Fest, bei denen der Weihnachtsbaum eine zentrale Rolle spielte. An den Berliner Freund und Kunsthistoriker Friedrich Eggers schrieb er er vier Jahre zuvor, am 20 Dezember 18562:

 

Es wird Weihnachten; vergnügte Weihnachten also! - Mein ganzes Haus riecht schon nach braunen Kuchen - nach dem Recept meiner Mutter - und ich sitze so zu sagen, schon seit einer halben Wochen im Schein des Tannenbaums. Wie ich den Nagel meines Daumen jetzt besehe, so ist er auch halbwege vergoldet; denn ich arbeite Abends jetzt nur in Schaumgold, Knittergold und bunten Papieren; [...]. Gestern Abend habe ich sogar den Frauen Mandeln und Citronat für die Weihnachtskuchen hacken helfen; auch Kardemum dazu gestoßen und Hirschhornsalz, mit welchem letztern man sich in einem messingenen Mörser sehr in Acht nehmen muß; den Vormittag war ich stundenlang im Walde umhergekrochen, um die Tannäpfel zu suchen; ja Ihr hättet mich sogar mit meinen dicken Winterpelz hoch oben in einer Tannen sitzen sehn können, um einen besonders schönen Zapfen abzubrechen. Freilich hatte ich mich vorher gehörig umgesehen; denn der Herr Kreisrichter durfte sich doch nicht auf ganz offenbarem Waldfrevel ertappen lassen. Jeden Morgen kommt der Postbote und bringt Päckchen und Briefe aus der Heimath und der Fremde von Freunden und Verwandten; die Weihnachtszeit ist doch noch grade so schön, wie sie in meinen Kindertagen war. Wenn nur noch Schnee kommen wollte; wir wohnen hier außer der Stadt zwischen den Bergen; da würde der Weihnachtsbaum, wenn er erst brennt, prächtig in die Winterlandschaft hinausleuchten.

 

Auch bei Storms Weihnachten spielte „Knecht Ruprecht“ eine wichtige Rolle; seine Söhne lernten es nicht nur auswendig, ihr Vater inszenierte sogar eine Aufführung, für die er das Gedicht szenisch erweiterte3:

 

Vater              Die Kinder sind wohl alle gut,

                       Haben nur mitunter was trotzigen Mut.

Ruprecht        Ei, ei, für trotzgen Kindermut

                       Ist meine lange Rute gut;

                       Heißt es bei euch denn nicht mitunter:

                       Nieder den Kopf und die Hose herunter?

Vater              Wie einer sündigt, so wird er gestraft;

                       Die Kinder sind schon alle brav.

Ruprecht        Stecken sie die Nas auch tüchtig ins Buch,

                       Lesen und schreiben und rechnen genug?

Vater              Sie lernen mit ihrer kleinen Kraft.

                       Wir hoffen zu Gott, daß es endlich schafft.

Ruprecht        Beten sie denn nach altem Brauch

                       Im Bettchen ihr Abendsprüchlein auch?

Vater              Neulich hört ich im Kämmerlein

                       Eine kleine Stimme sprechen allein,

                       Und als ich an die Tür getreten,

                       Für alle Lieben hört ich sie beten.

Ruprecht        So nehmet denn Christkindleins Gruß,

                       Kuchen und Äpfel, Äpfel und Nuß;

                       Probiert einmal von seinen Gaben,

                       Morgen sollt ihr was Besseres haben.

                       Dann kommt mit seinem Kerzenschein

                       Christkindlein selbst zu euch herein.

                       Heut hält es noch am Himel Wacht.

                       Nun schlafet sanft; habt gute Nacht.

 

Die dialogische Struktur eines großen Teils der Weihnachtsballade kommt einem solchen Ansinnen entgegen; die Verse sind einfach komponiert, lassen sich gut auswendig lernen und vermitteln ein intensives Weihnachtserlebnis. Darauf kam es Storm an; der Gefühlsgehalt von Weihnachten war ihm wichtig, nicht die christliche Botschaft. Weihnachten als Familienfest erlaubte Besinnung auf Frau und Kinder; die Idealisierung der familiären Harmonie, der Zauber des Weihnachtsfestes schufen so eine gefühlsmäßige Verbindung von den Erlebnissen der Kindheit zu den gemeinsamen Erfahrungen mit den eigenen Kindern. Die Erfahrung von Geborgenheit in der Tradition mehrere Generationen schuf eine emotionale Sicherheit, die für das seelische Gleichgewicht in einer Zeit der grundlegenden sozialen Veränderungen von großer Bedeutung war. Storm vermag seine subjektiven Empfindungen in der Ballade in einer Weise zu verallgemeinern, dass sie auch für den Leser erfahrbar wird.

So erleben bis heute von vielen Menschen das Weihnachtsfest; Storms „Knecht Ruprecht“ trägt immer noch viel dazu bei, das Familienfest mit den erwünschten Gefühlen aufzuladen.

 

Anmerkungen

1 Theodor Storm: Unter dem Tannenbaum. In: Illustrirten Zeitung (Leipzig), Nr. 1016 vom 20.12.1862, S. 443-447.

2 Nach der Handschrift in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek, Kiel.

3 Handschrift in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek, Kiel; gedruckt in: Theodor Storm. Sämtliche Werke, Bd. 1, hg. von D. Lohmeier, Frankfurt am Main 1987, S. 846f.

 

 

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