Der Fächer von Tante Fränzchen

 

Storm beschreibt seine Herkunft in seinen autobiografischen Aufzeichnungen „Aus der Jugendzeit“ (1884/87); der Familie seiner Mutter erweist er außerdem in der kulturhistorischen Skizze „Von heut’ und ehedem“ (1873) seine Reverenz. Als Dichter hat er seiner Tante Fränzchen in der Novelle „Im Sonnenschein“  ein literarisches Denkmal gesetzt.

Tante Fränzchen oder auch Fritzchen hieß eigentlich Friederica  Woldsen (1766-1795) und war die Tochter von Storms Urgroßvater Friedrich Woldsen (1725-1811). Der Senator und Kaufmann aus Husum heiratete Lucia Woldsen geb. Petersen (1730-1806), ihr Sohn Simon Woldsen II (1754-1820) war mit Magdalena Feddersen (1766-1854) verheiratet. Ihre gemeinsame Tochter Lucie war Storms Mutter.

Tante Fränzchen ist bereits vor ihrer Hochzeit gestorben. In seinen literarischen Texten hat Storm Erinnerungen an verschiedene Familienmitglieder miteinander vermischt und ein feines Genrebild der Menschen aus der „Puder- und Zopf-Zeit“ gestaltet. Die Novelle „Im Sonnenschein“ spielt in dem „Großvaterhause“ von Joachim Christian Feddersen (1740-1801) und seiner Frau Elsabe (1721-1829), der Mutter von Magdalena Feddersen, Ecke Schiffbrücke/Twiete. Das Haus wurde abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Den Fächer hat Storm wahrscheinlich unter anderen Altertümern im Hause seiner Großeltern gefunden, als er dort nach Dokumenten aus der Vergangenheit seiner Familie suchte. Dieses Haus in der Hohlen Gasse bewohnten seine Eltern nach dem Tode des Großvaters Simon Woldsen seit 1820. Hier wuchsen Theodor und seine Geschwister auf; das Gebäude ist u. a. Schauplatz der „Geschichten aus der Tonne“, später lässt er dort den äußeren Rahmen des "Schimmelreiter" spielen.

Der Fächer wurde dem Storm-Haus von Nachkommen Theodor Storms im Mai 2004 geschenkt. Seine Geschichte hat man sich in der Storm-Familie von Generation zu Generation weitererzählt. Er besteht aus Elfenbein mit Metallverzierungen, Seidenmalerei und Paillettenstickerei und wurde in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts angefertigt.

In den geschnitzten und bemalten Außenstäben sind Haare in Medaillons eingelegt; vermutlich stammen sie von Friederica Woldsen, einer Großtante Storms, und ihrem Verlobten, einem „braven Major“, dessen Name unbekannt ist. Das darüber angebrachte Bildchen zeigt zwei Tauben im Nest und symbolisiert Liebe und Ehe.

Lächelnd und immer tiefer senkte sich der Kopf der jungen Leserin auf das Blatt in ihrer Hand, als hätten die lieben Worte sie zu sich herabgezogen. Sie hörte nicht den jugendlichen Schritt, der jetzt über die knirschenden Muscheln sich ihr nahte, nicht das rasche Zuschlagen eines Fächers; erst, als ein Arm sich um ihren Leib legte, blickte sie tief aufatmend in die ernsten Augen ihrer Schwiegerin.

Theodor Storm: Von heut’ und ehedem

 

 

Tante Fränzchen

Miniaturmalerei, 2. Hälfte des 18. Jhds.

[...] das kluge jugendliche Köpfchen aber in dem amarantfarbenen Mieder, mit dem roten Röschen auf der mäßig hohen Puderfrisur, das seinen Platz über dem Medaillon des Urgroßvaters hat, ist dessen und der Urgroßmutter Tochter, Mamsell Fritzchen, die gern dem Vater in seinen kaufmännischen Rechnungen half, deren Liebe zu dem braven Major aber an dessen hartem Willen sich verbluten mußte. Zwei ihrer Liebeslocken, weiß gepudert wie das Haupthaar, hängen ihr vom Nacken aus je zu einer Seite um den Hals; an einer einfachen dunklen Litze liegt ein schwarzes Medaillon auf ihrer Brust. Ich hatte, schon als Knabe, es oft auf ihrem Bilde angeschaut: was mochte wohl darin enthalten sein? -

Theodor Storm: „Aus der Jugendzeit“

 

 

Vier Miniaturbilder

2. Hälfte des 18. Jhds.
Beschriftet:     Simon Woldsen II      Tante Fränzchen.
                                      Friedrich Woldsen      Lucia Woldsen geb. Petersen

Foto von H. Knittel, Husum (um 1900)

Der Bedeutendste dieses Geschlechtes war mein Urgroßvater mütterlicherseits, Senator Friedrich Woldsen in Husum, der vor meiner Geburt verstorben ist; der letzte große Kauffherr, den die Stadt gehabt hat, der seine Schiffe in See hatte und zu Weihnachten einen Marschochsen für die Armen schlachten ließ. Unter den Miniatur-Familienbildern, die in silbervergoldeten Medaillons jetzt an meiner Wand hängen, sieht auch sein Antlitz unter gepudertem Haar, mit dem strengen Zug um den Mund noch heute auf den Urenkel; aber auch die freundlichen blauen Augen, die ihm von Großmutter und Mutter zugeschrieben wurden, glaubt dieser in dem Bildchen zu erkennen.

Aus dem daneben hängenden Medaillon schaut das Antlitz der Urgroßmutter unter dem halbmondförmigem hohen Spitzengewebe ruhig und ernst in die Welt hinaus; [...] Mir ahnte damals nicht, daß ich als Mann vielleicht der Einzige sein würde, der außer ihr selbst es jemals würde geöffnet haben. Und doch - es mag gegen das Jahr 1848 gewesen sein, als unsere von dem genannten Urgroßvater einst auf dem Klosterkirchhof für sich und seine, Friedrich Woldsens Erben erbaute Gruft einer Reparatur bedurfte, und die Maurer mit diesem Werk unter den Särgen, welche auf eisernen Stangen in der Tiefe standen, beschäftigt waren. Da<,> eines sonnigen Nachmittags, während ich mit meiner Mutter in dem Wohnzimmer des elterlichen Hauses am behaglichen Teetisch saß, wurde an der Tür gepocht und auf unser »Herein!« trat ein Maurergesell ins Zimmer und überreichte uns ein kleines Medaillon, das, wie er berichtete, bei der Arbeit in der Gruft in einem eingestürzten Sarge gefunden war. Durch näheres Befragen wußte meine Mutter, daß der eingestürzte Sarg der Tante Fritzchens sei; ich sah nach ihrem Bilde hinüber, das damals mit den anderen dort über dem Sofa hing, und auf dem das dunkle Medaillon sich deutlich abzeichnete. »Hier ist es«; sagte ich zu meiner Mutter; »sie hat es mit ins Grab genommen.« Als ich es dann öffnete, lag eine dunkle Haarlocke darin; von wem, darüber waren wir nicht zweifelhaft. »Laß es in die Gruft zurückbringen!« sagte meine Mutter; und so geschah es, nachdem ich die Kapsel wiederum geschlossen hatte.

Theodor Storm: Aus der Jugendzeit

 

 

Friedrich Woldsen

Großvater Theodor Storms. Schattenriss, 2. Hälfte des 18. Jhds.

Foto: H. Knittel, Husum (um 1900)

 

 

Joachim Christian Feddersen

Urgroßvater Theodor Storms. Schattenriss, 2. Hälfte des 18. Jhds.

Foto: H. Knittel, Husum (um 1900)

 

 

Haus Hohle Gasse 3

Storms Elternhaus, erbaut um 1770, Stammhaus der Familie Woldsen. Rechts Kontorhaus von 1777 (heute abgerissen). 1788 ließ Friedrich Woldsen das Haus für seinen Sohn Simon und seine Schwiegertochter Magdalena Feddersen einrichten.
Foto: H. Knittel, Husum (um 1900)

[...] aber gegenüber der altmodische buntfurnierte Schrank mit dem hohen Aufsatz ließ mich diese widerstrebenden Gefühle überwinden. Auch erstand in feierlichem Schweigen und wie zur ewigen Ruhe gestellt; allein ich respektierte dieses Schweigen nicht; ich wußte die Schubladen zu öffnen - noch höre ich dabei das Klirren der vergoldeten Messinggriffe - und mit lüsternem Grauen durchstöberte ich das in ihnen eingesargte Spielzeug einer vergangenen Zeit. Da lagen Perücken und schwarzseidene Haarbeutel; da war ein Kästchen mit den Fächern der Großmutter, ein anderes mit den Bräutigamsmanschetten des Urgroßvaters; [...].

Theodor Storm: Von heut’ und ehedem

 

 

Haus Schiffbrücke 16

Von Theodor Storm als „Urgroßvaterhaus“ in mehren Novellen beschrieben, u. a. in der Rahmenerzählung des „Schimmelreiter“.
Foto: H. Knittel, Husum (um 1900)

 

Theodor Storm

Foto nach einer im Dezember 1852 in Berlin aufgenommenen Daguerreotypie.
In: Ludwig Seeger (Hg.): Deutsches Dichterbuch aus Schwaben [...]. Mit sechzehn photographirten Dichterportraits. Stuttgart 1864, nach S. 424.

 

 

  

Theodor Storm: Aus der Jugendzeit.

Seite aus dem Manuskript „Von Mutters Seite“ in Storms Handschrift.
Original im Goethe und Schillerarchiv, Weimar; Kopie im Storm-Archiv, Husum.

 

 

Theodor Storm: Im Sonnenschein. Drei Sommergeschichten.   Berlin 1854.

Exemplar im Storm-Archiv, Husum

„Rechne ein andermal, Fränzchen!“ sagte der junge Mann.

Sie schüttelte den Kopf. „Morgen ist Klosterrechnungstag; ich muß das fertig machen.“ Und sie setzte ihre Arbeit fort.

„Du bist ein Federheld!“

„Ich bin eine Kaufmannstochter!“

Er lachte.

„Lache nicht! Du weißt, wir können die Soldaten eigentlich nicht leiden.“

„Wir? Welche wir sind das?“

„Nun, Constantin“- und dabei rückte ihre Feder addierend die Zahlenreihen hinunter- „wir, die ganze Firma!“

„Du auch, Fränzchen?“

„Ach! ich“-- Und sie ließ die Feder fallen und warf sich an seine Brust daß sich ein leichtes Puderwölkchen über ihren Köpfen erhob. Sie strich mit der Hand über seine glänzend schwarzen Haare. Wie eitel Du bist!“ sagte sie, indem sie den schönen Mann mit dem Ausdruck wohlgefälligen Stolzes betrachtete.

Von der Stadt herüber kam der Schall einer Militärmusik. Die Augen des jungen Kapitäns leuchteten. „Das ist mein Regiment!“ sagte er, und hielt das Mädchen mit beiden Armen fest.

Sie bog sich lächelnd mit dem Oberkörper von ihm ab.

„Es hilft Dir aber Alles nicht!“

„Was soll denn daraus werden?“

Sie hob sich auf den Fußspitzen zu ihm heran, und sagte: „Eine Hochzeit!“

„Aber die Firma, Fränzchen!“

„Ich bin meines Vaters Tochter.“ Und sie sah ihn mit ihren klugen Augen an.

 

Die hier abgebildeten Dokumente waren 2004 und 2005 im Husumer Storm-Museum zu sehen.

 

 

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