Erika Mann: Warum ich Kinderbücher schreibe“ – Aktionen, Erfahrungen und Erlebnisse
Warum ich Kinderbücher schreibe? Weil es mir Freude macht. Und warum macht es mir Freude? Weil ich selbst ziemlich kindisch bin. Will sagen: was ich als Kind getan und erfahren, was mich damals beschäftigt, bewegt, belustigt, verzaubert, berührt oder geärgert hat, ist mir noch heute nah und verständlich. Ich kann es „mir“ nachfühlen – manchmal besser und genauer als Erlebnisse, die ich gestern gehabt.
Erika Mann: Warum ich Kinderbücher schreibe? Typoskript, Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, S. 4.
Das schrieb Erika Mann, als sie 1953 bis 1956 an den vier Bänden ihrer „Zugvögel“-Reihe arbeitete, die sie ihre Neffen Frido Mann widmete. Rückblickend bemerkt sie: Mein erstes Kinderbuch schrieb ich für meine kleinen Geschwister“. (Typoskript, S. 2)
Das war 1932; damals erschien ihr erstes Jugendbuch „Stoffel fliegt übers Meer“ mit der Widmung „Für Medi und Bibi,/ weil sie meine Geschwister sind,/ und weil sie es gerne wollten.“
Bereits ein Jahr zuvor war das Kinderstuck Jan‘s Wunderhündchen in Darmstadt aufgeführt worden. In den nächsten Jahren widmete sich Erika Mann vor allem ihrem Kabarett Die Pfeffermühle, das sie zunächst in München und nach der Machtübernahme der Nazis im Schweizer Exil betrieb. 1934 erschien in Basel ein weiterer Roman für Kinder unter dem Titel Muck der Zauberonkel.
In New York veröffentlichte sie 1938 unter dem Titel School for Barbarians. Education under the Nazis ein Buch über die Erziehung im Dritten Reich. Die deutsche Ausgabe Zehn Millionen Kinder erschien mit einem Geleitwort von Thomas Mann im von Fritz H. Landshoff geleiteten Querido Verlag, Amsterdam.
Ein weiteres Jugendbuch A Gang of Ten (dt. Zehn jagen Mr. X) brachte der Verlag L. B. Fischer von G. B. Fischer und Fritz H. Landshoff im Herbst 1942 in New York heraus.
Nach der Rückkehr der Familie Mann (Erika Mann lebt mit ihren Eltern nun in der Schweiz) erschien 1952 eine Neuausgabe von Unser Zauberonkel Muck als erstes ihrer Kinderbücher im Münchner Franz Schneider-Verlag. 1953 folgte die Wiederauflage von Stoffel fliegt übers Meer unter dem Titel Christoph fliegt nach Amerika. In den Jahren 1953 bis 1955 schrieb Erika Mann die Zugvogel-Kinderbuchserie über Reisen und Erlebnisse von Sängerknaben: Wenn ich ein Zugvogel wär (1953); Till bei den Zugvögeln (1954); Die Zugvögel auf Europa-Fahrt (1954) und Die Zugvögel singen in Paris und Rom (1956).
Die folgende Übersicht zeigt, wie die Texte für Kinder in Leben und Wirken Erika Manns eingebettet waren:
1905 Am 9. November: wird Erika (Julia Hedwig) Mann als erstes Kind von Thomas Mann und Katia Mann in München geboren. Ihre Mutter stammt aus der großbürgerlichen jüdischen Familie der Pringsheims.
1908 Die Familie Mann mietet bei Bad Tölz ein Ferienhaus und kauft ein Grundstück, worauf das Tölzhaus errichtet wird. Dort verbringt man ab 1909 die Sommermonate.
1910 Erika erlebt mit ihren Geschwistern Klaus (1906), Golo (1909), Monika (1910), Elisabeth (1918), Michael (1919) eine aufregende Kindheit; die wohlhabende Familie kann sich Kinderfrauen und Hausangestellte leisten. Die Kinder spielen zunächst untereinander in der Familie, wo sie vielfältige Anregungen erfahren. Der Vater liest ihnen vor und erzählt Geschichten, sie dürfen früh an musikalischen Veranstaltungen teilnehmen. Zunächst erhalten Erika und Klaus Privatunterricht.
1912–14 Erika und Klaus besuchen eine private Schule, lernen schnell, fühlen sich aber unterfordert. Sie freunden sich mit anderen Kindern an, darunter auch Richard (Ricki) Hallgarten, Sohn des Juristen und Germanisten Robert Hallgarten und der Frauenrechtlerin Constanze Hallgarten, sowie Lotte und Marguerite (Gretel) Walter, Töchter des Generalmusikdirektors Bruno Walter.
1914 Die Familie bezieht eine Villa im Stadtteil Bogenhausen-Herzogpark in unmittelbarer Nähe der Isar; während des Ersten Weltkrieges wechseln Erika und Klaus in die Volksschule. Mit ihren Freuden spielen sie den Nachbarn Streiche
1919 Der Freundeskreis um Erika und Klaus führt eine Reihe von Stücken im Familienkreis auf.
1922 Wegen des zunehmend undisziplinierten Verhaltens werden Erika und Klaus in die reformpädagogische »Bergschule Hochwaldhausen« bei Fulda geschickt. Dort bleibt Erika nur vier Monate; dann kehrt sie nach München zurück und bereitet sich auf die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium vor.
1924 Nach dem Abitur im März mietet Erika Mann ein Zimmer in Berlin, um sich dort bei Max Reinhardt und dem Stimmbildner Oskar Daniel zur Schauspielerin ausbilden zu lassen.
1925-30 Erika erhält Engagements als Schauspielerin am Bremer Schauspielhaus, in München an den Kammerspielen, dem Staatstheater und dem Volkstheater sowie in Berlin, Frankfurt und Hamburg, wo sie den Schauspieler und Regisseur Gustav Gründgens kennenlernt.
1926 Heirat mit Gründgens; die Ehe wird 1929 nach einem Zerwürfnis zwischen Gustav, Klaus und Erika geschieden.
1927/28 Gemeinsam mit Klaus unternimmt Erika eine Reise in die USA und Fernost.
1929 Scheidung von Grundgens; Filmrolle im Ufa-Klassiker Mädchen in Uniform; „Rundherum“ – Die Geschwister Mann auf Weltreise (Oktober 1927 – Juli 1928) zusammen mit Klaus Mann Verfasserin von Rundherum. Abenteuer einer Weltreise.
1929 Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Thomas Mann für den Roman Buddenbrooks.
1931 Erste Publikationen: Plagiat (Komödie); das Kinderstuck Jan‘s Wunderhundchen wird in Darmstadt uraufgeführt; Das Buch von der Riviera, Gemeinschaftsarbeit mit Klaus Mann, erscheint in der Was nicht im Baedeker steht – Serie des Piper Verlags.
1931: Die 10.000-Kilometer-Rallye quer durch Europa
1932 Veröffentlichung des Kinderbuchs Stoffel fliegt übers Meer.
1933 1. Januar: Erster Auftritt des Kabaretts Die Pfeffermühle in München.
1933 13. Marz: Emigration in die Schweiz; Besuch am Urlaubsort der Eltern.
1933 April: Kurze, unbehelligte Rückkehr ins Elternhaus in München; Mitnahme von Manuskripten des Vaters, so zum Joseph-Roman.
1933 Oktober: Wiederaufnahme der Pfeffermühle im Schweizer Exil. Bis 1936: Die Pfeffermühle erregt bei Gastspielen in der Schweiz, der Tschechoslowakei und den Benelux-Ländern Aufsehen und politischen Anstoß; innenpolitische Kontroversen und diplomatische Interventionen des Deutschen Reichs. Mit 1034 Vorstellungen erzielt die Truppe um Erika Mann und Therese Giehse ein enormes Echo und ist eine der erfolgreichsten Unternehmungen des Exils.
1934 Der Kinderroman Muck der Zauberonkel erscheint in Basel.
1935 Ausbürgerung durch das Deutsche Reich; Aberkennung der Staatsbürgerschaft
1935 15. Juni: Heirat mit dem Dichter W. H. Auden, einer zentralen Figur der englischen Linken; seitdem britische Staatsbürgerin.
1936/1937 Der Versuch, The Peppermill in New York zu etablieren, scheitert schon nach ersten Auftritten Ende Dezember 1936; im Januar 1937 fallt das Ensemble auseinander.
1937 Rednerin bei einer Kundgebung des »American Jewish Congress« im Madison Square Garden; positives Schlüsselerlebnis fur die Karriere als Vortragsrednerin.
1937 Juni: Reise nach Europa, Aufenthalte in Osterreich und der Schweiz.
1938 Beginn der Lecturer-Tätigkeit; Vortragsreisende in den USA
1938 Zehn Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich erscheint, mit Geleitwort von Thomas Mann, im von Fritz H. Landshoff geleiteten Querido Verlag, Amsterdam. Im selben Jahr US-Ausgabe unter dem Titel School for Barbarians. Education under the Nazis in New York.
1939 Juni, Juli, August, September: Europaaufenthalt.
1939 Weitere Gemeinschaftsproduktion mit Klaus Mann: Escape to Life, ein Querschnitt durch deutsche Exilkultur in den USA für das dortige Publikum (dt. erstmals 1991).
1940 Veröffentlichung von The Lights Co Down in New York und in London (dt. Wenn die Lichter ausgehen, Rowohlt Verlag, 2005); gemeinsam mit Klaus Mann Buchveröffentlichung The other Germany: Versuch, einem US-Publikum Deutschland in seiner Widersprüchlichkeit und Hitlers Aufstieg zu erklaren.1940: während der deutschen Bombenangriffe auf London August bis Oktober: Rundfunkpropagandaansprachen an deutsche Hörer.
1940 Aus eigenem Antrieb Angebot, für das FBI als Informantin tätig zu werden; Zusammenarbeit bis in die frühen fünfziger Jahre.
1941 Erneute Tätigkeit für den Deutschen Dienst der BBC in London (Juni bis Oktober).
1942 Weitere Zusammenarbeit mit US-Diensten wie dem OWI (Office of War Information).
1942 A Gang of Ten (dt. Zehnjagen Mr. X) erscheint, vermutlich im Spätherbst, im Verlag L. B. Fischer von G. B. Fischer und Fritz H. Landshoff in New York.
1943/1944 Kriegsberichterstatterin bei der 9th US-Army von verschiedenen Kriegsschauplatzen (Nordafrika, Ägypten, Palästina, Persien; Frankreich, Belgien, Deutschland).
1944 Zurück in New York.
1945/46 Kriegsberichterstatterin und Auslandskorrespondentin in Europa; Berichte u. a. über Polen, aus der Tschechoslowakei; aus Deutschland, so von den Nürnberger Prozessen.
1947 Mitarbeiterin von Thomas Mann. 1947/1948: Weitere Vortragstätigkeit in den USA.
1949 Reise nach Europa. Mit Thomas Mann zusammen zu Goethe-Feiern in Weimar und Frankfurt a. M.
1949 Der Bruder Klaus Mann stirbt in Cannes an einer Überdosis Schlaftabletten.
1950 Reise nach Europa.
1952 Rückkehr nach Europa; gemeinsames Leben mit ihren Eltern in der Schweiz; ab 1954 in Kilchberg am Zürichsee.
1952 Unser Zauberonkel Muck erscheint als erstes ihrer Kinderbücher im Münchner Franz Schneider-Verlag.
1953 Wichtige Rolle bei der Verfilmung von Romanen ihres Vaters: Königliche Hoheit (1953); Felix Krull (1957); Buddenbrooks (1959).
1953 Wiederauflage von Stoffel fliegt übers Meer: Christoph fliegt nach Amerika.1953-1955: Zugvogel-Kinderbuchserie über Reisen und Erlebnisse von Sängerknaben: Wenn ich ein Zugvogel war; Till bei den Zugvogeln; Die Zugvogel auf Europa-Fahrt; Die Zugvogel sin-gen in Paris und Rom.
1955 Reisen mit Thomas Mann in DDR und BRD.
1955 12. August: Thomas Mann stirbt in Kilchberg.
1956 Das letzte Jahr. Bericht über meinen Vater.
1958 Unfall.
1960 Erneuter Unfall; langwierige stationäre Behandlung.
1961 Herausgeberin gesammelter Briefe von Thomas Mann; Nachlassverwalterin von Thomas und Klaus Mann.
1969 Krankheit; 27. August: Tod in einer Zürcher Klinik.
Sie reden auch von »gemütlichen Abenden«, die es nur noch für die Kinder gibt, »die wir nicht haben«. Nun, - ich habe sie freilich auch nicht und bin trotzdem rastlos für die lieben Kleinen tätig, indem ich ein Kinderbuch nach dem anderen zu Papier bringe. Für die Erwachsenen zu schreiben ist mir längst zu blöd. Lassen Sie mich hoffen, daß inzwischen bei Ihnen alles nach Wunsch geht, – so gesundheitlich, wie beruflich, wie in jeder Beziehung.
Erika Mann an Curt Bois, Erlenbach/Zürich, 17.3.1953. In: Erika Mann: Briefe und Antworten. Band II: 1951-1969. Hrsg. von Anna Zanco Prestel. München 1985, S. 14.