Gottfried August Bürger

Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande

London 1788                                                              

        Zurück zur vorigen Seite 

 

 

Nächste Seite  

Zweites See-Abenteuer

 

 

[71] Zweites See-Abenteuer.

Im Jahr 1766 schiffte ich mich zu Portsmouth auf einem englischen Kriegsschiffe erster Ordnung, mit hundert Kanonen und vierzehnhundert Mann, nach Nord-Amerika ein. Ich könnte hier zwar erst noch allerlei, was mir in England begegnet ist, erzählen; ich verspare es aber auf ein anderes Mal. Eins jedoch, welches mir überaus artig vorkam, will ich nur noch im Vorbeigehen mitnehmen. Ich hatte das Vergnügen, den König mit großem Pompe in seinem Staatswagen nach dem Parlament fahren zu sehen. Ein Kutscher mit einem ungemein respektablen Barte, worein das englische Wappen sehr sauber geschnitten war, saß gravitätisch auf dem Bocke und klatschte mit seiner Peitsche ein ebenso deutliches als künstliches *)

 

*) Georg rex.] – |

B1 und B2: Des Freiherrn von Münchhausen See-Abenteuer.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

Portsmouth: Hafenstadt mit Marinestützpunkt an der Südküste Englands, die größtenteils auf Portsea Island liegt. Sie ist bekannt für ihre maritime Geschichte und den Portsmouth Historic Dockyard.

auf einem englischen Kriegsschiffe erster Ordnung: Ein Schiff erster, zweiter oder dritter Klasse wurde als „Linienschiff“ bezeichnet. Schiffe der ersten Klasse hatten drei oder vier Decks und 100 und mehr Kanonen, sowie 850-950 Mann Besatzung. Die Geschütze waren auf den durchgehenden Decks angeordnet.

In dem englischen Sequel, einem zweiten Band von Raspes Munchausen, der 1792 erschien, gelingt es Munchausen, das Wrack der berühmten, 1782 gesunkenen „Royal George“ zu heben. Mit der indirekten Erwähnung dieses Schiffs beginnen auch die Seeabenteuer in der zweiten Ausgabe des Munchausen von April 1786, […]. Der first-rate English man of war bezeichnet ein außerordentlich großes Schlachtschiff, und die 100 Kanonen verweisen auf das Genannte: Dieses später so berühmte Schiff hatte Raspe 1779 im Hafen von Portsmouth im Bau gesehen, „den St. George von hundert Kanonen, oder vielmehr sein Gerippe“. Diese Beobachtung ist notiert in dem 1784 publizierten Teil des Journals, das Raspe als Leiter einer Reisegruppe um den kurländischen Baron Offenberg führte. (Anonym: Bemerkungen auf einer durch die westlichen und nördlichen Provinzen Englands im Jahre 1779 gemachten Reise, in: Mitauische Monatsschrift, April 1 784, Mitau 1784, S. 103f.) Hierin finden sich noch weitere Bezüge zu den Munchausen-Editionen und damit Belege für Raspes Autorschaft.
Wiebel 2005b, S. 122

Nach Nord-Amerika: Die in diesem Reise-Abenteuer erzählte Seereise spielt auf Raspes Überlegungen an, in die Nordamerikanische Kolonie Pennsylvania auszuwandern. Er hatte den amerikanischen Gelehrten und Staatsmann Benjamin Franklin auf dessen Deutschlandreise in Hannover kennen gelernt und ihm die von ihm gerade edierte politischen Gedanken von Gottfried Wilhelm Leibnizʼ vermittelt. Sie hatten Einfluss auf Franklins spätere Beiträge zur Unabhängigkeitserklärung und zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Ende August 1766 muss Raspe bei Franklin angefragt haben, ob dieser eine berufliche Perspektive in seinem Heimatland sehe. In seinem Brief vom 9. September antwortetet Franklin:

Mit gleicher Post schicke ich Ihnen die Karte der Nördlichen Kolonien Großbritanniens […]. Es wäre mir eine große Freude, Sie hier oder in Amerika oder an irgendeinem anderen Ort, der Ihnen gefällt, begrüßen zu können. Aber bitte machen Sie sich nicht zu schnell auf den Weg. Verdienste, wie die Ihrigen, die durch den Erwerb immer neuer wertvoller Kenntnisse nur noch größer werden, können, dort wo sie leben, nicht länger unbemerkt und ohne Unterstützung bleiben. Hier bei uns leben Fremde lange im Hintergrund und unter Schwierigkeiten, ehe sie Fuß fassen können; und, außer in einer Hinsicht, sehe ich keine Perspektive für Sie in Amerika. Denn Sie werden sich kaum dazu entscheiden, eine Plantage zu bewirtschaften, um davon zu leben zu können. Die Möglichkeit, von der ich sprach, ist die Tätigkeit als Richter an unseren Gerichten. Und auch das würde, wenn ich mich nicht irre, kaum Ihren Neigungen entsprechen, obwohl ich glaube, dass die Grundlagen des Zivilrechts, über die Sie verfügen, Ihnen beim Studium des Englischen Rechts und dem besonderen Recht unserer Provinz* sehr helfen würden. Sollten Sie ernsthaft diesem Beruf nachgehen wollen, dann könnte Amerika eine Option für Sie sein, zumal Ihre Kenntnis der deutschen Sprache Sie dazu qualifizieren würde, für Leute hier von Nutzen zu sein. Hingegen sehe ich keinen anderen Grund, Sie zu ermutigen, sich auf den Weg zu machen.

*Franklin lebte in Philadelphia (Pennsylvania)
Benjamin Franklin an Rudolf Erich Raspe, London, Sept. 9. 1766, Landesbibliothek, Kassel. The Papers of Benjamin Franklin; https://franklinpapers.org/

Zugleich spielt die Erzählung auf die Verschiffung hessischer Truppen nach Canada an, die 1776 nach der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung erfolgte.

Benjamin Franklin (1706-1790) war Journalist, Schriftsteller, Drucker, Politiker und Diplomat im Dienst der nordamerikanischen Kolonien. Mitte des 18. Jahrhunderts war er vor allem als Erfinder und Naturwissenschaftler bekannt und geachtet, zum Ende desselben war er als amerikanischer Freiheitsheld in aller Munde. Vom 19. bis 21. Juli 1766 besuchte er Göttingen. In einem Brief an den Biblothekar Rudolf Erich Raspe schrieb er im September 1766: „Empfehlen Sie mich bitte ganz herzlich den Professoren in Göttingen, deren Wissen und Höflichkeit mich über die Maßen beeindruckt haben. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Universität jedweden Erfolg für die Zukunft. (Übersetzung: Annette Eversberg)

Als einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten beteiligte er sich am Entwurf der Unabhängigkeitserklärung und war einer ihrer Unterzeichner. Während der Amerikanischen Revolution vertrat er die Vereinigten Staaten als Diplomat in Frankreich und handelte sowohl den Allianzvertrag mit den Franzosen als auch den Frieden von Paris aus, der den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg beendete. Als Delegierter der Philadelphia Convention beteiligte er sich an der Ausarbeitung der amerikanischen Verfassung.

 

Joseph Duplessis: Benjamin Franklin um 1785

den König: Georg III. Wilhelm Friedrich (1738-1820), von 1760 bis 1801 König von Großbritannien und Irland, danach bis zu seinem Tod König des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland. Im Heiligen Römischen Reich regierte er als Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg, seit dem Wiener Kongress als König von Hannover (1814).

 

Allen Ramsey: King George III; Öl auf Leinwand, 1765

Staatswagen: Staatskarosse

Parlament: Der Palace of Westminster (auch Westminster Palace), deutsch Westminsterpalast, ist der Sitz des britischen Parlaments in London, das aus dem House of Commons (Unterhaus) und dem House of Lords (Oberhaus) besteht. Der alte Palast bestand bis in die 1820er Jahre.

 

Britische Matrosen vom Linienschiff HMS Edgar am Pier von Portdsmouth.
From a Sketch taken at Portsmouth by W. H. Bunbury Esqr., William Henry Bunbury, 1785, British Museum.

Die HMS Edgar war ein Schiff der Royal Navy, das 1779 in den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg verwickelt war. Sie wurde unter ihrem ersten Kapitän John Elliot im Mai 1779 in Dienst gestellt. Ihr erster Einsatz fand am 16. Januar 1780 statt, als sie in der Schlacht von Cape St. Vincent als Teil der Flotte von Admiral Sir George Rodney kämpfte. Nach einer zweistündigen Verfolgungsjagd war Edgar eines der ersten Schiffe, das die zahlenmäßig unterlegene spanische Flotte angriff.

Raspe begleitete eine Reisegruppe um den kurländischen Baron Heinrich von Offenberg (1752–1827), Hofmarschall beim Herzog von Kurland und Semgallen, kaiserlich-russischer Geheimer Rat, Präsident des kurländischen Oberhofgerichts auf einer von ihm organisierten Reise durch England von April bis September 1779. In seinem Reisejournal hielt er seine Eindrücke von Portsmouth fest:

Portsmouth ist, wie die Docken, mit Morästen, einem regelmäßigen Hauptwalle, Kontregarden, Navellins, wohlpalisadirten Kontrescarpen und Glacis, und einer sehr ansehnlichen Artillerie, befestiget. […] Morgens darauf besuchte uns der Lieutenant Lohman; und weil er Erlaubniß bekommen hatte, am Bord des Thunderer, Kapitän Walsingham, mit Admiral Darbys Flotte von zwölf Linienschiffen der westindischen Flotte entgegenzugehen, die bey erstem guten Winde absegeln sollte, so war er gleich darauf bedacht, uns mit dem russischen Kapitän Aprelef persönlich bekannt zu machen, an welchen wir auch von dem russischen Gesandten in London ein Schreiben abzugeben hatten. […] Nach Tische wiederholten wir den Spaziergang auf dem Walle, der, zu unsrer Verwunderung, jedem offensteht; und Lieutnant Lohman machte uns im Nachhausegehen mit Sir Charles Douglas, welcher den Duke kommandirt, bekannt, damit wir durch selbigen auf der Flotte und hier, nach seinem Abgange, weiter kommen möchten. Es war dieß eine uns höchst schätzbare Bekanntschaft; denn Sir Charles erbot sich ohne Komplimente zu allem, und that wirklich mehr, als er versprach. […]

Den Morgen darauf hatte uns Sir Charles, ehe wir noch wach waren, durch einen seiner Bedienten sagen lassen: „Er werde bey uns ansprechen und uns in seiner Schaluppe mit zur Flotte nehmen.“ – Wir konnten also nicht mit Lieutenant Lohman, der Abrede gemäß, an Bord des Thunderers gehen: – gleichwohl waren wir in Begriff, es zu thun, weil es hieß, die Division, wozu das Schiff gehörte, werde sogleich in See gehen. – Und wäre uns Sir Charles nicht eben noch zur rechten Zeit nachgekommen, so hätten wir uns um die Weise um eine der schätzbarsten Bekanntschaften gebracht, die wir jemals auf der Fotte und in Portsmouth machen konnten. Seine Schaluppe mit acht Rudern brachte uns in seiner Gesellschaft und angenehmen Unterhaltung bald drey Meilen nach Spithead an Bord des Duke, eines Schiffs vom ersten Range, von achtundneunzig Kanonen, welches unter seinen Befehlen stand. […] Zufälliger Weise fieng die Victory, ein Schiff von hundertundzehn Kanonen, dicht bey uns eben damals an, mit Kanonenfeuer zu exerciren, mit einzelnen Schüßen, und Lageweisen.– An sich ein großer erwünschter Anblick, der aber unsern Ohren wehe that. […] Ehe man sichs versahe, ward eine Plotonsalve von vier Neunpfündern an einer Seite, darauf eine zwote von eben so viel Achtpfündern auf einer andern, und endlich auf dem untern Verdeck eine eben dergleiche Salve aus vier Zweyunddreyßigpfündern gegeben. […] Kaum waren wir zu Portsmouth wieder angelangt, als sich die ganze Division des Admiral Darby vor unsern Augen unter Segel begab. Es war ein schöner Anblick, zehn Schiffe von der Linie nebst einer Fregatte und einem Magazinschiffe unter Segel zu sehen!
Rudolf Erich Raspe: Fortsetzung der Bemerkungen auf einer durch die nördlichen und westlichen Provinzen Englands im Jahre 1779 gemachten Reise. In: Mitauische Monatsschrift. Mitau Mai 1784, S. 99ff.

 

Sir Charles Douglas, 1. Baronet of Carr (1727–1789) war ein Nachkomme der Earls of Morton und ein angesehener britischer Marineoffizier. Er wurde vor allem durch seine Rolle in der Battle of the Saintes während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges bekannt, wo er die Taktik „Breaking the Line“ mitbegründete. Nach Beginn des Krieges im Jahre 1775 erhielt Douglas das Kommando über ein Geschwader, um Québec von der Belagerung zu befreien. 1778 wurde er Kommandant der HMS Duke, einem Linienschiff der Kanalflotte mit 98 Geschützen. 1781 wurde Sir Charles Captain-of-the-Fleet unter Baron Rodney und befehligte das Flaggschiff Formidable. Sir Charles war als mechanisches Genie bekannt, und viele seiner Vorschläge zur Verbesserung von Marineschiffen wurden von der Admiralität für die gesamte Royal Navy übernommen.

 

Nicholas Pocock: The Battle of the Saints, 12 April 1782, links im Vordergrund die “Duke” auf dem Weg, die französischen Linien zu durchbrechen. Royal Museums Greenwich.

 

Die HMS Duke war ein Schiff der Royal Navy mit 98 Kanonen, das am im Oktober 1777 in Plymouth von Stapel lief. Im Jahre 1782 war die Eroberung Jamaikas das Hauptziel der Franzosen in Westindien. Von Fort Royal, Martinique unter dem Comte de Grasse, wurde ihre Flotte erstmals am 9. April von der britischen Westindischen Flotte unter Admiral Sir George Brydges Rodney vor Dominica angegriffen. Rodneys Sieg erwies sich als Gegengewicht zum Verlust der britischen Kolonien in Amerika und ermöglichte es Großbritannien, die Überlegenheit über die Franzosen in der Karibik beim darauf folgenden Vertrag von Versailles zu sichern, der den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 1783 beendete. Als die gegnerischen Kampflinien sich parallel positionierten, ermöglichte ein leichter Windwechsel Rodney, durch die französische Linie zu segeln und sie in Unordnung zu bringen. Es folgte eine allgemeine Verfolgungsjagd und das französische Flaggschiff „Ville de Paris“ mit 104 Kanonen ergab sich dem Konteradmiral Sir Samuel Hood. Das Gemälde zeigt die britische Flotte, die die französische Linie durchbricht. Im zentralen Hintergrund hat Rodney im „Formidable“ durchgebrochen, gefolgt von der „Namur“, „St Albans“ und der „Canada“. Im linken Vordergrund bewegt sich die „Duke“, um die Linie zu durchbrechen und zwei französische Schiffe zu entern.

 

Plan der „Duke“ im Maßstab 1:48, wie in Plymouth Dockyard gebaut.

 

John, Sr. Cleveley: The ‘Royal George’ at Deptford showing the launch of the ‘Cambridge’. Öl auf Leinwand 1757.

Die Royal George war ein britisches Linienschiff erster Klasse mit nominell 100 Kanonen, das 1756 vom Stapel lief, am Siebenjährigen Krieg und am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg teilnahm und 1782 im östlichen Solent, Spithead genannt, sank. Das zwischen 800 und 950 Toten fordernde Unglück gilt als die größte Schiffskatastrophe ohne Kriegseinwirkung in britischen Gewässern.

Nach dem Ausbruch des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs wurde die Royal George 1777 wieder in Dienst gestellt und der Home Fleet in britischen Gewässern zugeteilt. 1779 sah sich dieser Verband einem erneuten spanisch-französischen Invasionsvorhaben gegenüber, das darauf abzielte, die Flotte zu vernichten und eine französische Armee für einen Angriff auf Portsmouth und die Isle of Wight und einen anschließenden Vorstoß auf London überzusetzen. Die Royal Navy war durch Zersplitterung auf verschiedene Kriegsschauplätze und massive politische Spannungen weitgehend gelähmt. Flottenkommandeur Sir Charles Hardy sah sich deshalb genötigt, gegenüber dem weit überlegenen gegnerischen Verband eine abwartende Strategie zu verfolgen und darauf zu hoffen, dass die gegnerischen Flotten durch Krankheiten und Stürme dezimiert würden. Hardys Verband, der mit den drei 100-Kanonen-Linienschiffen Royal George, Victory und Britannia sowie dem 90-Kanonen-Schiff Prince George über die kampfstärksten Kriegsschiffe seiner Zeit verfügte, beschränkte sich deshalb darauf, sich einem direkten Kampf zu entziehen und auf Zeit zu spielen. Diese Strategie war schließlich erfolgreich, da die Franzosen das Invasionsvorhaben im September 1779 aufgaben und mit 8.000 Kranken an Bord ihrer Schiffe nach Brest zurückkehrten. Sie war aber bei den Besatzungsmitgliedern der Royal George so verhasst, dass diese die Galionsfigur ihres Schiffes mit ihren Jacken verhüllten, damit sie die Schande, einem Kampf ausgewichen zu sein, nicht sähe.

Eine aktivere Rolle spielte das Linienschiff in der Seeschlacht bei Kap St. Vincent vom 16. Januar 1780, in der eine britische Flotte unter Sir George Rodney einen spanischen Verband unter Don Juan de Lángara besiegte. Ihren letzten Erfolg erzielte die Royal George im Januar 1781, als sie auf dem Weg nach Gibraltar vor Portugal zwei spanische Linienschiffe eroberte. Anschließend wurde sie in Plymouth überholt und segelte von dort im August 1782 nach Spithead, um sich dort einem 50 Kriegsschiffe und 300 Handelsschiffe umfassenden Flottenverband unter Admiral Richard Howe anzuschließen, der die spanische Blockade Gibraltars aufbrechen sollte. Für diese Operation sollte das von Kapitän Martin Waghorn geführte Linienschiff als Flaggschiff von Konteradmiral Richard Kempenfelt dienen.
Wikipedia

Den St. George von hundert Kanonen, oder vielmehr sein Gerippe, sahen wir nahe dabey auf den Slips, oder Stocks, auf welchen er schon einige Jahre in freyer Luft gestanden hatte, um desto reifer zu werden, (to be better seasoned) Dicht dabey war eine Fregatte angefangen, und weiter hin lagen noch zwey andere große Schiffe auf dem Stapel. Drey, zu der großen bey Spithead liegenden Hardyschen Flotte gehörig, befanden sich an der Außenseite der Docke im Hafen, um gereiniget zu werden; anderer nicht zu erwähnen, deren Zahl im Hafen sehr ansehnlich war.Rudolf Erich Raspe: Fortsetzung der Bemerkungen auf einer durch die nördlichen und westlichen Provinzen Englands im Jahre 1779 gemachten Reise. In: Mitauische Monatsschrift. Mitau Mai 1784, S. 104.

 

Karikatur von 1766, die die Aufhebung des Gesetzes als Beerdigung zeigt.

Ausschnitt aus einem Londoner Stadtplan von 1746.

 

A map of the British and French dominions in North America, with the roads, distances, limits, and extent of the settlements, humbly inscribed to the Right Honourable the Earl of Halifax, and the other Right Honourable the Lords Commissioners for Trade & Plantations. London 1755.

 

A general map of the middle British colonies, in America; viz. Virginia, Mariland, Delaware, Pensilvania, New-Jersey, New-York, Connecticut, and Rhode Island: Of Aquanishuonîgy, the country of the Confederate Indians; comprehending Aquanishuonîgy proper, their place of residence, Ohio and Tïiuxsoxrúntie, their deer-hunting countries, Couxsaxráge and Skaniadarâde, their beaver-hunting countries; of the Lakes Erie, Ontário, and Champlain, and part of New-France: Wherein is also shewn the antient and present seats of the Indian nations. Philadelphia 1755.

 

[72] Anlangend unsere Seereise, so begegnete uns nichts Merkwürdiges, bis wir ohngefähr noch dreihundert Meilen von dem St. Lorenzflusse entfernt waren. Hier stieß das Schiff mit erstaunlicher Gewalt gegen etwas an, das uns wie ein Fels vorkam. Gleichwohl konnten wir, als wir das Senkblei auswarfen mit fünfhundert Klaftern noch keinen Grund finden. Was diesen Vorfall noch wunderbarer und beinahe unbegreiflich machte, war, dass wir unser Steuerruder verloren, das Bugspriet mitten entzweibrachen und alle unsere Masten von oben bis unten aus zersplitterten, wovon auch zwei über Bord stoben. Ein armer Teufel, welcher gerade oben das Hauptsegel beilegte, flog wenigstens drei Meilen weit vom Schiffe weg, ehe er zu Wasser fiel. Allein er rettete noch dadurch glücklich sein Leben, dass er, während er in der Luft flog, den Schwanz einer Rotgans ergriff, welches nicht nur seinen Sturz in das Wasser milderte, sondern ihm auch Gelegenheit gab, auf ihrem Rücken, oder vielmehr zwischen Hals und Fittigen so lange nachzuschwimmen, bis er endlich an Bord genommen werden konnte. Ein anderer Beweis von der Gewalt des Stoßes war dieser, dass alles Volk zwischen den Verdecken empor|[73] gegen die Kopfdecke geschnellt ward. Mein Kopf ward dadurch ganz in den Magen hinabgepufft, und es dauerte wohl einige Monate, ehe er seine natürliche Stellung wieder bekam. Noch befanden wir uns insgesamt in einem Zustande des Erstaunens und einer allgemeinen unbeschreiblichen Verwirrung, als sich auf einmal alles durch Erscheinung eines großen Walfisches aufklärte, welcher an der Oberfläche des Wassers, sich sömmernd, eingeschlafen war. Dies Ungeheuer war so übel damit zufrieden, dass wir es mit unserm Schiffe gestört hatten, dass es nicht nur mit seinem Schwanze die Galerie und einen Teil des Oberlofs einschlug, sondern auch zu gleicher Zeit den Hauptanker, welcher, wie gewöhnlich, am Steuer aufgewunden war, zwischen seine Zähne packte, und wenigstens sechzig Meilen weit, sechs Meilen auf eine Stunde gerechnet, mit unserm Schiffe davoneilte. Gott weiß, wohin wir gezogen sein würden, wenn nicht noch glücklicherweise das Ankertau zerrissen wäre, wodurch der Walfisch unser Schiff, wir aber auch zugleich unsern Anker verloren. Als wir aber sechs Monate hierauf wieder nach Europa zurücksegelten, so fanden wir eben denselben Walfisch, in einer Entfernung weniger Meilen|[74] von ebender Stelle tot auf dem Wasser schwimmen, und er maß ungelogen der Länge nach wenigstens eine halbe Meile. Da wir nun von einem so ungeheueren Tiere nur wenig an Bord nehmen konnten, so setzten wir unsre Boote aus, schnitten ihm mit großer Mühe den Kopf ab, und fanden zu unserer großen Freude nicht nur unsern Anker, sondern auch über vierzig Klafter Tau, welches auf der linken Seite seines Rachens in einem hohlen Zahne steckte. Dies war der einzige besondere Umstand, der sich auf dieser Reise zutrug. Doch halt! Eine Fatalität hätte ich beinahe vergessen. Als nämlich das erste Mal der Walfisch mit dem Schiffe davon schwamm, so bekam das Schiff einen Leck, und das Wasser drang so heftig herein, dass alle unsere Pumpen uns keine halbe Stunde vor dem Sinken hätten bewahren können. Zum guten Glück entdeckte ich das Unheil zuerst. Es war ein großes Loch, ohngefähr einen Fuß im Durchmesser. Auf allerlei Weise versuchte ich es, das Loch zu verstopfen, allein umsonst. Endlich rettete ich dies schöne Schiff und alle seine zahlreiche Mannschaft durch den glücklichsten Einfall von der Welt. Ob das Loch gleich so groß war, so füllte ichs dennoch mit meinem Liebwertesten aus, ohne meine|[75] Beinkleider abzuziehen; und ich würde ausgelanget haben, wenn auch die Öffnung noch viel größer gewesen wäre. Sie werden sich darüber nicht wundern, meine Herren, wenn ich Ihnen sage, dass ich auf beiden Seiten von holländischen, wenigstens westfälischen Vorfahren abstamme. Meine Situation, solange ich auf der Brille saß, war zwar ein wenig kühl, indessen ward ich doch bald durch die Kunst des Zimmermannes erlöset.

 

–––|

nichts Merkwürdiges: Dass es sich bei dieser eigentlich sinnlosen Seereise um eine Parodie handelt, wird erst durch einen Blick in die britische Geschichte erkennbar.

In der deutschen Textfassung „begegnet Münchhausen vor der Abfahrt seines Kriegsschiffs King George, der mit Pomp durch die Straßen zum Parlament fährt und dessen Name durch Peitschenhiebe angekündigt wird. Er lässt sich in eben jenes Parlament kutschieren, dessen Entschlüsse die Unruhen in Nordamerika ausgelöst haben. 1765 verabschiedet es den sogenannten Stamp act, eine Art Briefmarkenpflicht für alle öffentlichen Dokumente, die dazu beitragen soll, den Schutz der Kolonien zu finanzieren. Keiner erwartet, dass diese kleine Steuer Probleme bereiten wird. Doch sie wird nach der Einführung einer ganzen Reihe anderer Gesetze und Zölle wie des Sugar act oder des Currency act zum berühmten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Eine Protestwelle setzt sich in Gang, führende amerikanische Kaufleute bilden Vereinigungen zur Bekämpfung der Einfuhr britischer Waren. Die Geschäfte stocken, und der Handel mit Großbritannien geht im Sommer 1765 stark zurück. Das Volk unterstützt mit Massenaktionen die Bewegung. Im Oktober 1765 tritt zum ersten Mal ein Kongress auf Eigeninitiative der Kolonien zusammen, der in mehreren Deklarationen wirtschaftliche wie politische Emanzipationsbestrebungen zum Ausdruck bringt. Angesichts der Ausmaße des Widerstandes und des Drucks der englischen Kaufleute, die die negativen Folgen der Boykotte zu spüren bekommen, machen das englische Parlament und der König einen Rückzieher. Der Pomp und die Peitschenhiebe, die dieser in Bürgers Münchhausen zur Schau stellt, können nicht verdecken, dass er gegen das mobilisierte Bürgertum verloren hat. 1766 wird der Stamp act widerrufen und der Sugar act stark verändert. Nicht das Militär, sondern der Handel siegt.“
Beese 2014, S. 186
.

Raspe beschreibt eine Reise von Porthmouth zu den neuenglischen Kolonien mit einen der größten Kriegsschiffe der britischen Admiralität unmittelbar nach dieser Aufhebung. Es findet nichts statt, dass sich zu erzählen lohnt, außer einem Zusammenstoß mit einem Wal (200 Seemeilen vor den St. Lorenz-Fluss,) bei dem das Schiff beschädigt wird. Auf der Rückreise wird das stolze Kriegsschiff zum banalen Walfänger.

„Die Auseinandersetzungen um Amerika sind geprägt von einer untrennbaren Verbindung wirtschaftlicher, politischer und ideologischer Interessen, die sich metaphorisch im Münchhausen widerspiegeln und deren produktive Komponente Raspe auch in den Flugabenteuern mehrfach gestaltet. 1766 finden Generalprobe und Auftakt zugleich für den entscheidenden Konflikt in Nordamerika statt. Von da an wird er sich an der Steuer- und Zollgesetzgebung immer weiter hochschaukeln, bis 1775 aus dem Wirtschaftskrieg ein militärischer wird, der 1781 mit der Unabhängigkeit der USA endet. Diese bedeutet gleichzeitig die Verkündung von politischer und persönlicher Freiheit, die Befreiung vom Königtum und die Einrichtung einer parlamentarischen Demokratie.“
Beese 2014, S. 187.

Die politische Brisanz einer solchen Parodie wird erst verständlich, wenn man bedenkt, dass zur Zeit der Niederschrift (1786) der amerikanische Unabhängigkeitskrieg bereits Geschichte war. Denn der Frieden von Paris, mit dem Großbritannien die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten anerkannte sowie Florida an Spanien und Tobago an Frankreich abtrat, war bereits 1783 ratifiziert worden.

dreihundert Meilen: Bürger übersetzt three hundred leagues; die englische league umfasst drei nautische Meilen (ungefähr 5,5 Kilometer).

St. Lorenzflusse: Der Sankt-Lorenz-Strom ist der drittgrößte Fluss in Nordamerika und entwässert die Großen Seen zum Atlantik. Der Flusslauf ist unterhalb der großen Seen 580 Kilometer lang und verläuft gestreckt nordostwärts.

Senkblei: Ein Lot zur Ermittlung der Meerestiefe

Bugspriet: eine fest mit dem Rumpf eines Segelschiffes verbundene, über den Vorsteven bzw. das Galion hinausragende starke Spiere die als Ankerhalterung dient.

Fittigen: Fittich (mit Feder verwandt) , ein Kollektivum zu Flügel und Federn.

in den Magen hinabgepufft: eine Wortschöpfung Bürgers

Erscheinung eines großen Walfisches: Dann derselb hat etwann von dem Walfisch gehöret, welcher so vil Sand und Erd auff den Rucken nimbt, das wann er im Meer ligt, es eyn Insul scheinet, und so die Schifleut die anker drauff aunwerffen, dieselbigen zu grund gehen: […].
Fischart, Kapitel 41, S. 238.

 

Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung: Von Thaten und Rhaten der vor kurtzen langen unnd je weilen Vollenwolbeschreiten Helden und Herren. Grandgoschier Gorgellantua und deß Eiteldurstlichen Durchdurstlechtigen Fürsten Pantagruel von Durstwelten, Königen in Utopien [...] Etwan von M. Frantz Rabelais Frantzösisch entworffen: Nun aber uberschröcklich lustig in einen Teutschen Model vergossen, und ungefärlich oben hin [...] in unser MutterLallen uber oder drunder gesetzt [...] Durch Huldrich Elloposcleron. Gedruckt zur Grenflug im Gänsserich [Straßburg] 1594. [Johann Fischart; Bearbeitung von: François Rabelais: Gargantua]

Man denkt dabei an Sindbad, der auf seinen Reisen auch an Inseln landete, die sich plötzlich als riesige Fische erweisen. Weniger bekannt dürfte es sein, dass auch der heil. Magulus einst einen Wallfisch als Insel benutzte und das Hochamt auf ihm verrichtete. Als Aufschneiderei freilich muss es erscheinen, wenn es auch Münchhausen passirt, an einem solchen Fisch zu scheitern, der ½ Meile lang ist und in einem hohlen Zahn den grossen Anker und 40 Klafter Tau birgt. Der Verfasser des Münchhausen erkannte, dass ein derartiger Fisch denselben Werth für ihn habe wie der, welcher bei Bebel Ross und Reiter verschluckte.
Müller-Fraureuth 1881, S. 65f.

Die Wale, denen Münchhausen in seinen Erzählungen begegnet, sind den Ungeheuern nachgebildet, die noch bis ins 17. Jahrhundert in naturkundlichen Werken abgebildet sind. Das triff auf ihre Wildheit und vor allem ihre Größe zu. Die in der Mythologie beschriebenen großen Meerestieren und Ungeheuer lassen sich nur zum Teil auf die Kenntnis von Walen zurückführen. Der biblische Leviathan ist ein Meeresungeheuer, das Züge eines riesigen Krokodils oder eines Drachen und eines Wales aufweist.

Die Kapitäne und die Matrosen der Walfangflotten des 17. bis 19. Jahrhunderts lieferten konkretere und anschaulichere Darstellungen der frei lebenden Wale. Obwohl ihnen bekannt war, dass die meisten Wale harmlose Riesen darstellen, beschrieben sie vor allem den Kampf mit den harpunierten Tieren als Gemetzel. Mit der Intensivierung des Walfangs mehrten sich auch die Beschreibungen von Meeresungeheuern, zu denen neben Walen auch Haie, Seeschlangen sowie Riesenkalmare und -oktopusse zählten.

Es gibt eine Vielzahl schriftlicher Überlieferungen von Seefahrern, in denen Begegnungen mit solchen Seeungeheuern geschildert werden. Der schwedische Geistliche Olaus Magnus stellte 1555 in seinen Werken Carta Marina und Historia de gentibus septentrionalibus zahlreiche solcher Ungeheuer in Wort und Bild dar, deren Beschreibung von späteren Autoren übernommen wurde. Conrad Gessner (1516-1565), der Schweizer Arzt, Naturforscher, Altphilologe, Humanist, Polyhistor und Enzyklopädist versuchte, das rasch wachsende Wissen seiner Epoche zu sichten und zu erschließen; in seiner fünfbändigen Historia animalium beschreibt er systematisch das gesamte Tierreich, führt aber auch eine Reihe von Tieren auf, die heute als Fabeltiere gelten, darunter auch Seeungeheuer.

sich sömmernd: Bürger übersetzt Raspes basking asleep; in der Bedeutung von: auf dem wasser treiben sowie sich der sommersonne aussetzen, sonnen (DWB)

Oberlofs: das Oberdeck eines Schiffes; engl. und niederl. overlop

Fatalität: Unglück, Missgeschick

einen Leck: ein Riss, der Wasser durchlässt (m. und n.)

mit meinem Liebwertesten: Diese Schnurre steht in der Tradition der Clowns des englischen Renaissance-Theaters und der Hanswurst-Figur des 18. Jahrhunderts, die das Publikum durch derbe Späße aus dem Anal- und Fäkalbereich erheiterten.

Brille: Man sagt, die brille eines heimlichen gemachs von der runden öfnung in dessen sitz. (DWB)

 

 

R5, p. 65

 

Conradi Gesneri medici Tigurini historiae animalium Liber IIII. Qui est de Riscium & Aquatilium natura. […] [Zürich]. Tiguri : apud Christ. Froschoverum, anno M. D. LVIII [1558].

 

Jan van der Straet: Drei Schiffe mit Seeungeheuern. Kupferstich um 1600

 

 

Nächste Seite