Gottfried August Bürger Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande London 1788
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Drittes See-Abenteuer
Mare Mediteranum. Homann, Johann Baptist [Hrsg.]: Atlas novus terrarum orbis imperia regna et status exactis tabulis geographice demonstrans. Nürnberg, [ca. 1729].
Quellen Raspes:
Die Geschichte dieses Fisches ist kürzlich folgende: Es fiel nämlich im Jahre
1758. ein Matros þey stürmischem Wetter unglücklicher Weise von einer Fregatte
im mittelländischen Meere über Bord in die See. Alsbald aber war dieser Fisch
bey der Hand, der den schwimmenden und um Hülfe schreyenden Kerl in seinen
weiten Rachen nahm, so, daß Der Matrose gleich verschwand. Wie nun bereits
andere Matrosen in die Chaluppe gesprungen waren, ihrem annoch schwimmenden
Kammeraden zu helfen, und der Schiffscapitain inzwischen den Vorfall mit diesem
Seehunde sahe, so hatte derselbe so viel Gegenwart des Geistes, daß er ein auf
dem Verdecke stehendes Geschütze auf den Fisch richten und losbrennen ließ,
wodurch derselbe auch glücklicher Weise so getroffen wurde, daß er den soeben in
den Rachen aufgefangenen Matrosen, gleich wieder von sich spiee, der denn in die
unterdessen schon angekommene Chaluppe lebendig, und nur wenig verletzet,
aufgefischt; der Seehund aber von den andern Matrosen durch Harpunen und Stricke
so bemeistert wurde, daß sie ihn an die Fregatte schleppten, und daselbst in die
Quere aufhiengen, um ihn in der Luft zu trocknen. Hierauf beschenkte der
Schiffscapitain den durch Gottes Vorsehung so wunderbar erhaltenen Matrosen, mit
diesem Fische, welcher sodann mit selbigem in Europa zur Schau herumzog.
Linné 1774, S. 268.
Der Prophet Jona
Cap. 2 v. 1. Aber der HErr verschaffte einen großen fisch, Jona zu verschlingen., und Jona war im leibe des fisches drey tage und drey nacht.
Das 2. Capitel.
Und Jona betete zu dem HErrn, seinem GOTT, im leibe des fisches, 3. und sprach (darnach): Ich rieff zu dem Herrn in meiner angst, und er antwortete mir: Ich schrye aus dem bauche der höllen, und du höretest meine stimme.
4. Du warffest mich in die tieffe mitten im meer, dass die fluten mich umgaben, alle deine wogen und wellen gingen über mich.
5. Daß ich gedachte, ich wäre von deinen augen verstossen, ich würde deinen heiligen tempel nicht mehr sehen.
6. Wasser umgaben mich bis an mein leben, die tieffe umringete mich, schilff bedeckte mein haupt.
7. Ich sanck hinunter zu der berge gründe, die erde hatte mich verriegelt ewiglich, aber du hast mein leben aus dem verderben geführet, HErr, mein GOTT.
8. Da meine seele bey mir verzagte, gedachte ich an den HErrn, und mein gebet kam zu dir in deinen heiligen tempel.
9. Die daüber dem nichtigen, verlassen ihre gnade.
10. Ich aber will mit dank opffern, meine gelübde wil ich bezahlen dem HErrn, daß er mir geholffen hat.
11. Und der Herr sprach zum fische, und der speyete Jona aus ans land.
Mögliche Quelle für Bürger
Beim Textvergleich des Buches Jona mit dem Bericht Münchhausens kann man nur in groben Zügen eine Verwandtschaft erkennen. […] Das einmalig-wunderbare Ereignis, daß ein Mensch von einem Tier (Fisch, Wal, »Ungeheuer«) verschlungen wird und den Aufenthalt in diesem lebend übersteht, bildet die wesentliche, gemeinsame Grundlage für beide Episoden. Das Verhalten der Opfer im Leib der Ungeheuer und die Art ihrer Befreiung, die »Wiedergeburt«, sind aber verschieden, wie überhaupt dieses Motiv in der antiken Mythologie in mannigfachen Variationen auftritt. Jona, von Schuldgefühl, Reue und Angst erfüllt, betete im Leib des Fisches zu seinem Gott und wurde erhört. Münchhausen dagegen stampfte (voller Wut) mit den Füßen und spielte dem Untier übel mit, was ebenfalls zum Erfolg führte. (Das erinnert an die Herakles-Hesione-Sage, bei der der griechische Held das Ungeheuer von innen wütend bearbeitete und dadurch tötete.) Jona wurde, nachdem er Gnade gefunden hatte, auf den Befehl Jahwes nach drei Tagen an den Strand gebracht und ausgespien. Über das weitere Schicksal des Meerungeheuers erfahren wir nichts, man kann jedoch annehmen, daß es überlebte. Münchhausen dagegen wurde bereits dreieinhalb Stunden nach seinem Unglück von fremden Seeleuten befreit, nachdem diese das Tier zuvor harpuniert und an Bord gehievt hatten.
Die gemeinsamen Grundzüge beider Episoden sprechen zwar, wie es in dem genannten Inhaltsverzeichnis von Bürger zum Ausdruck gebracht wird, für das Alte Testament als Quelle dieses Seeabenteuers, bestimmte Einzelheiten jedoch dagegen. Daraus ergibt sich die Frage, ob es vielleicht eine andere Literaturstelle gibt, bei der ein ähnlicher Fall geschildert wird, wobei aber nicht nur das Wesentliche, sondern auch Details mit Raspes Münchhausiade übereinstimmen?
Im Zeitalter der Aufklärung wurde versucht, die Erscheinungen in der Natur zu
erklären. Auch die Wunder der Bibel versuchte man auf natürliche Weise zu
deuten. Unentbehrlich dabei waren die Beobachtung und Beschreibung der
Naturvorgänge, wobei sich die Gelehrten verständlicherweise auch auf die
Berichte anderer verließen. Mangelnde Kenntnisse wurden jedoch oft durch
abenteuerliche Spekulationen oder durch Zitate aus der Bibel ersetzt. Es war
daher nicht verwunderlich, wenn die Bibelkommentare in dieser Zeit geradezu
groteske Formen und riesige Ausmaße annahmen, die den eigentlichen Bibeltext an
Volumen weit übertrafen. Aber: wer etwas überzeugend schildern und dazu noch
Anschauungsmaterial liefern konnte, dem wurde geglaubt, und die Glaubwürdigkeit
wurde erhöht, wenn die Darstellung in einem wissenschaftlichen Werk durch einen
hochgelehrten Mann erfolgte. Ein solcher war ohne Zweifel Philipp Ludwig Statius
Müller, Professor der Naturgeschichte zu Erlangen und Mitglied der
Römisch-Kaiserlichen Akademie der Naturforscher etc. Ihm gebührt das Verdienst,
die 12. Auflage des in lateinischer Sprache geschriebenen Standardwerkes von
Linne: Systema naturae nicht nur ins Deutsche übersetzt, sondern auch durch
eigene Beiträge wesentlich erweitert zu haben. In den Text fügte er gelegentlich
Berichte von Zeitgenossen ein, in denen diese ihre Erlebnisse mit Tieren
schilderten – eine Methode, die ein Jahrhundert später A. E. Brehm, jedoch unter
wesentlich kritischeren Gesichtspunkten, fortsetzte. In seinem Bemühen, die
Zoologie möglichst anschaulich darzustellen, ging Müller – offenbar aus
Unkenntnis – einem leibhaftigen Vetter Münchhausens auf den Leim, und so findet
man in diesem berühmten Standardwerk eine »Wahre Geschichte«, die dem antiken
Lügenschelm Lukian alle Ehre gemacht hätte.
Hans Knappe: „Jonas der Zweyte Im Mittelländischen Meer“ oder das
„Vollständige Natursystem“ des Philipp Ludwig Statius Müller (1774) als Quelle
einer Münchhausiade. Knappe 1989, S. 37f.
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Bürger, Erste Auflage 1786 |
[78] Unmöglich lässt sich das Erstaunen auf allen Gesichtern lebhaft genug schildern, als sie eine Menschenstimme aus einem Fische heraus vernahmen. Dies wuchs natürlicherweise noch mehr, als sie lang und breit einen nackenden Menschen herausspazieren sahen. Kurz, meine Herren, ich erzählte ihnen die ganze Begebenheit, so wie ich sie Ihnen jetzt erzählt habe, worüber sie sich denn alle fast zu Tode verwundern wollten. Nachdem ich einige Erfrischungen zu mir genommen hatte und in die See gesprungen war, um mich abzuspülen, schwamm ich nach meinen Kleidern, welche ich auch am Ufer ebenso wiederfand, als ich sie gelassen hatte. Soviel ich rechnen konnte, war ich ohngefähr drittehalb Stunden in dem Magen dieser Bestie eingekerkert gewesen.
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R3, p. 74 |
Conradi Gesneri medici Tigurini Historiae Animalium Liber IIII. Qui est de Riscium & Aquatilium natura. […] [Zürich].
Tiguri apud Christ. Froschoverum, anno M. D. LVIII [1558], S. 139.
Die Abbildung dieses getrockneten Fisches, welcher zwanzig Schuh lang, mit gedehnten Flossen neun Schuh breit, und am Gewichte dreytausend zweyhundert und vier und zwanzig Pfund schwer war, ist nach Tab. XI. fig. 5. folgender Gestalt zu erklären: No. 1. Die Nase. 2 .Der Rachen mit ohngefehr fünfhundert dreyeckigten sägeförmigen Zähnen, in sechs hintereinander, theils stehenden, theils liegenden Reihen. 3. Die fünffachen Seiten-Spiracula oder Luftwerkzeuge. 4. Die zwey langen Seitenflossen. 5. Die obere große Flosse. 6. Die gedoppelte männnliche Ruthe, mit zwey beyhangenden Lappen. 7. Zwey kleine obere und untere Flossen. 8. Der Schwanz.
Aus allen diesen lässet sich wohl wahrscheinlich schließen, daß diese Art
der wahre Jonasfisch sey. |
Ob nun wohl Haayfische von solcher beträchtlichen Größe nicht sehr gemein
seyn mögen; so giebt es doch andere kleinere, die allezeit im Stande sind,
einen Menschen zu fressen, und zum Beweiße theilen wir hier die Abbildung
von einem solchen Fische mit, den wir selber gesehen haben, und der, als man
ihn durch Franken führte, sowohl hier in Elang im grünen Baume, als in
Nürnberg und andern Orten öffentlich zu sehen war. |
Augustin Hirschvogel: Jona im Wal. Radierung. Nationalgalerie Washington. |
Pieter Pietersz Lastman: Jonas und der Wal. Öl auf Eichenholz, 1583. Kunstpalast, Düsseldorf. |