Gottfried August Bürger Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande London 1788
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Sechstes See-Abenteuer
Homann, Johann Baptist [Hrsg.]: Atlas novus terrarum orbis imperia regna et status exactis tabulis geographice demonstrans. Nürnberg, [ca. 1729].
[91] Sechstes See-Abenteuer.
Nach Endigung der ägyptischen Reisegeschichte wollte der Baron aufbrechen, und zu Bette gehen, gerade als die erschlaffende Aufmerksamkeit jedes Zuhörers bei Erwähnung des großherrlichen Harems in neue Spannung geriet. Sie hätten gar zu gern noch etwas von dem Harem gehört. Da aber der Baron sich durchaus nicht darauf einlassen und gleichwohl der mit Bitten auf ihn losstürmenden muntern Zuhörerschaft nicht alles abschlagen wollte, so gab er noch einige Stückchen seiner merkwürdigen Dienerschaft zum besten, und fuhr in seiner Erzählung also fort: |
B1 und B2: Fünftes See-Abenteuer.
Der Baron lässt
sich von der Gesellschaft bereden, noch einige Stückchen seiner Dienerschaft
zu erzählen |
Bei dem Groß-Sultan, galt ich seit meiner ägyptischen Reise alles in allem. Seine Hoheit konnten gar ohne mich nicht leben, und baten mich jeden Mittag und Abend bei sich zum Essen. Ich muss bekennen, meine Herren, dass der türkische Kaiser unter allen Potentaten auf Erden den delikatesten Tisch führet. Jedoch ist dies nur von den Speisen, nicht aber von dem Getränke zu verstehen, da, wie Sie wissen werden, Mohameds Gesetz seinen Anhängern|[92] den Wein verbietet. Auf ein gutes Glas Wein muss man also an öffentlichen türkischen Tafeln Verzicht tun. Was indessen gleich nicht öffentlich geschieht, das geschieht doch nicht selten heimlich; und des Verbots ungeachtet weiß mancher Türk, so gut als der beste deutsche Prälat, wie ein gutes Glas Wein schmeckt. Das war nun auch der Fall mit Seiner türkischen Hoheit. Bei der öffentlichen Tafel, an welcher gewöhnlich der türkische General-Superintendent, nämlich der Mufti, in partem Salarii mit speisete und vor Tische das: Aller Augen – nach Tische aber das Gratias beten musste, wurde des Weines auch nicht mit einer einzigen Silbe gedacht. Nach aufgehobener Tafel aber wartete auf Seine Hoheit gemeiniglich ein gutes Fläschchen im Kabinette. Einst gab der Großsultan mir einen verstohlenen freundlichen Wink, ihm in sein Kabinett zu folgen. Als wir uns nun daselbst eingeschlossen hatten, holte er aus einem Schränkchen eine Flasche hervor, und sprach: „Münchhausen, ich weiß ihr Christen versteht euch auf ein gutes Glas Wein. Da habe ich noch ein einziges Fläschchen Tokajer. So delikat müsst Ihr ihn in Eurem Leben nicht getrunken haben.“ Hierauf schenkten Seine Hoheit sowohl mir als sich|[93] eins ein und stießen mit mir an. – „Nun, was sagt Ihr? Gelt! es ist was extra feines?“ – „Das Weinchen ist gut, Ihro Hoheit,“ erwiderte ich; „allein mit Ihrem Wohlnehmen muss ich doch sagen, dass ich ihn in Wien beim hochseligen Kaiser Karl dem Sechsten weit besser getrunken habe. Potz Stern! den sollten Ihro Hoheit einmal versuchen.“ – „Freund Münchhausen, Euer Wort in Ehren! Allein es ist unmöglich, dass irgendein Tokaier besser sei. Denn ich bekam einst nur dies eine Fläschchen von einem ungarischen Kavalier, und er tat ganz verzweifelt rar damit.“ – „Possen, Ihro Hoheit! Tokaier und Tokaier ist ein großmächtiger Unterschied. Die Herren Ungarn überschenken sich eben nicht. Was gilt die Wette, so schaffe ich Ihnen in Zeit einer Stunde gerades Weges und unmittelbar aus dem Kaiserlichen Keller eine Flasche Tokaier, die aus ganz andern Augen sehen soll.“ – „Münchhausen, ich glaube, Ihr faselt.“ – „Ich fasele nicht. Geradesweges aus dem Kaiserlichen Keller in Wien schaffe ich Ihnen in Zeit von einer Stunde eine Flasche Tokaier von einer ganz andern Nummer, als dieser Krätzer hier.“ – „Münchhausen, Münchhausen! Ihr wollt mich zum Besten haben, und das|[94] verbitte ich mir. Ich kenne Euch zwar sonst als einen überaus wahrhaften Mann, allein – jetzt sollte ich doch fast denken, Ihr flunkertet.“ – „Ei nun, Ihro Hoheit! Es kommt ja auf die Probe an. Erfülle ich nicht mein Wort – denn von allen Aufschneidereien bin ich der abgesagteste Feind –, so lassen Ihro Hoheit mir den Kopf abschlagen. Allein mein Kopf ist kein Pappenstiel. Was setzen Sie mir dagegen?“ – „Top! Ich halte Euch beim Worte. Ist auf den Schlag vier nicht die Flasche Tokaier hier, so kostets Euch ohne Barmherzigkeit den Kopf. Denn foppen lasse ich mich auch von meinen besten Freunden nicht. Besteht Ihr aber, wie Ihr versprecht, so könnet Ihr aus meiner Schatzkammer so viel an Gold, Silber, Perlen und Edelgesteinen nehmen, als der stärkste Kerl davon zu schleppen vermag.“ – „Das lässt sich hören!“ antwortete ich, bat mir gleich Feder und Tinte aus und schrieb an die Kaiserin-Königin Maria Theresia folgendes Billett: „Ihre Majestät haben ohnstreitig als Universalerbin auch Ihres Höchstseligen Herrn Vaters Keller mitgeerbt. Dürfte ich mir wohl|[95] durch Vorzeigern dieses eine Flasche von dem Tokaier ausbitten, wie ich ihn bei Ihrem Herrn Vater oft getrunken habe? Allein von dem besten! Denn es gilt eine Wette. Ich diene gern dafür wieder, wo ich kann, und beharre übrigens usw.“
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Bei dem Groß-Sultan: Der Großsultan, bei dem Münchhausen im Fünften See-Abenteuer zu Gast ist, lässt sich als Abdülhamid I. (1725-1789), Sultan des Osmanischen Reiches und 106. Kalif des Islam, identifizieren. Bei der Fortsetzung seine Erlebnisse im Sechsten See-Abenteuer orientiert sich Bürger an Raspes Übersetzung des Librettos zur Opéra-comique „Soliman Second ou Les Trois Sultanes“ von Charles-Simon Favarts nach der Erzählung „Soliman II.“ in den „Contes moraux“ von Jean-François Marmontel (1761).
Solĭman II., Sultan der Osmanen 1520–66,
geb. 1496, war der Sohn und Nachfolger Selim I. Bei den Türken hat er den
Beinamen: Kanuni, d.h. der Gesetzgeber, bei den christlichen
Geschichtschreibern heißt er der Prachtliebende. Er war ein kluger,
gerechter und kriegerischer Fürst. Er stellte die Ordnung im Reiche her,
bezwang 1522 nach einem hartnäckigen Kampfe die von den Johanniterrittern
vertheidigte Insel Rhodus, schlug in Ungarn 1526 die siegreiche Schlacht bei
Mohatsch, eroberte 1529 Ofen und belagerte Wien, von wo er sich jedoch nach
20 hartnäckigen Stürmen und einem Verluste von 80,000 Mann wieder
zurückziehen mußte. Auch im Orient breitete er seine Herrschaft aus, erlitt
aber 1565 abermals großen Verlust vor Malta. Nachdem er 1566 noch die Insel
Chio eingenommen, rückte er aufs Neue in Ungarn ein und starb bei Belagerung
der Festung Szigeth, welche vier Tage nach seinem Tode den Türken in die
Hände fiel. Er war eifrig besorgt, den Wohlstand seiner Unterthanen zu
befördern, brachte Ordnung in die Verwaltung, war ein Feind aller
Verschwendung und befleckte seinen Ruhm nur durch die unbeugsame
Hartnäckigkeit seines Willens, durch seine Eroberungssucht und durch
Grausamkeit. Einer Sklavin Roxolane war er in blinder Liebe zugethan, machte
sie zu seiner einzigen Gemahlin und ließ alle seine Kinder von einer andern
Sultanin umbringen, um Roxolane's Sohne, dem nachmaligen Sultan Selim II.,
die Thronfolge zu sichern.
Solĭman II., Sultan der Osmanen 1520–66, geb. 1496.
Roxelane (la Rossa), so wie man sie sich in Venedig vorstellte, auf einem von Mathio Pagani 1550 in Venedig anonym veröffentlichten Holzschnitt.
Szene aus der Aufführung der Komödie „Soliman second“ in Paris 1761. Kupferstich von Noël Le Mire ; Frontispiz zu „Theâtre de M. Favart ou Recueil des Comédies, Parodies & Opera-Comiques“, Bd. 4, Paris 1763. Soliman Second, Ou Les Trois Sultanes, Comedie En Trois Actes, En Vers; PAR Mm Favart, o.O. [Dresden] 1765. Mohameds Gesetz: Die wichtigsten Inhalte des islamischen Glaubens werden als „Säulen des Islam“ bezeichnet. Sie werden aus dem Koran abgeleitet und bestehen aus den fünf Geboten: Schahada, Salat, Zakat, Saum und Hadsch. Weitere Gebote regeln den Alltag, darunter das Verbot, Schweinefleisch zu essen und Wein zu trinken. Allerdings verheißt der Koran auch, dass im Paradies neben Milch und Honig auch Wein fließen wird. in partem Salarii: lat. Als Teil des Gehalts. das: Aller Augen: Tischgebet; vierstimmiger Choral von Heinrich Schütz. Nach den Versen des Psalms 145.
Auff dich warten mit gantzem fleiß das Gratias: Tischgebet. Ein schönes Bonmot lautet: „Für Trocken und Nass: Deo gratias.“ Kabinett: Hinterzimmer Tokajer: Tokajer ist einer der bedeutenden und traditionsreichen Weine der Welt. Er wird aus Weißweintrauben und nach verschiedenen Verfahren in unterschiedlichen Süßegraden und Qualitätsstufen hergestellt. Besonders die Süßweine Tokaji Aszú ‚Tokajer Ausbruch‘, und Tokaji Eszencia ‚Tokajer Essenz‘, werden seit Jahrhunderten von Weinkennern als kostbare Edelweine und Klassiker der Weinwelt geschätzt. Tokajer entsteht ausschließlich im Tokajer Weinanbaugebiet, das zum großen Teil (etwa 90 %) in Nord-Ungarn liegt, zum kleinen Teil in der Süd-Slowakei. Namensgebend ist die alte ungarische Stadt Tokaj. Ab dem 17. Jahrhundert spielte der Tokajer eine wichtige Rolle an vielen europäischen Höfen. Königliche Liebhaber waren Franz-Joseph I., Maria Theresia sowie Friedrich der Große. Im Jahre 1733 wurde vom russischen Zarenhof in der Stadt Tokaj eine eigene Weinkaufs-Kommission eingerichtet. Die Zarin Elisabeth Petrowna Romanowa (1709-1762) orderte am 8. November 1745 per Schreiben eine Lieferung von 375 Fässern und bemerkte als Postskriptum: „Und wenn auch nur eine Möglichkeit besteht, schicken Sie mit Boten wenigstens drei Antal (Fässer von ca. 75 Liter), die ich hier nirgends besorgen kann, wo ich doch ohne den Wein nicht sein kann, wie auch Sie wissen“. Unter ihrer Nachfolgerin Katharina der Großen (1729-1796) wurden durch eine spezielle Kosakenabteilung die Lieferungen zu ihrem Wohnsitz in St. Petersburg eskortiert. Der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. (1638-1715) verlieh ihm den Titel „Vinum Regnum - Rex Vinorum“, auf deutsch „Wein der Könige – König der Weine“. Der Tokajer wurde auch des Öfteren als diplomatische Waffe eingesetzt. Als die Türken 1686 aus Budapest vertrieben wurden, wollte Fürst Ferenc Rákóczi II. (1676-1735) das nun befreite Ungarn als eigenständiges Königreich etablieren. Um sich mit Ludwig XIV. zu verbünden, sendete er diesem einen edlen Tokajer.
Die Blütezeit des Tokajer Weinhandels war in
der Glanzzeit der Herrscher-Familien Rákóczi und Bercsényi im 17. und 18.
Jahrhundert. In diesem Zeitraum wurden die meisten der unzähligen Weinkeller
(allein in Tokaj wurden 185 gezählt) in die dafür hervorragend geeigneten
Lößböden gegraben, wofür es den eigenen Berufsstand des Kellergräbers gab.
Ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts erfolgte ein Rückgang,
einerseits durch kriegerische Ereignisse, wodurch die Weinberge unbearbeitet
blieben oder vernichtet wurden, andererseits durch wirtschaftlich verordnete
Maßnahmen, besonders in der Regierungszeit von Maria Theresia (1717-1780).
Es wurde nur soviel Ausfuhr an Tokajer Weinen gestattete, als an
österreichischen Weinen eingeführt wurde. Im Jahre 1745 sendete die
Herrscherin der russischen Zarin Elisabeth (1709-1762) 600 Flaschen davon. Maria Theresia: Maria Theresia (1717-1780), Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen seit 1740, nannte sich ab 1745 „römische Kaiserin“.
Martin van Meytens: Maria Theresia von Österreich 1759. Öl auf Leinwand. Akademie der bildenden Künste Wien. Seit 1736 war sie mit dem 9 Jahre älteren Herzog Franz Stephan von Lothringen (ab 1737 Großherzog von Toskana, ab 1745 als Franz I. Kaiser) vermählt und übernahm nach dem Tod ihres Vaters Karl VI. die Regierung der habsburgischen Länder. Ihre Regierungszeit war durch tief greifende Reformen gekennzeichnet, die in allen Ländern des Habsburgerreiches einen bedeutenden Modernisierungsschub bewirkten. Höchstseligen Herrn Vaters Keller: Karl VI. Franz Joseph. Wenzel Balthasar Johann Anton Ignaz war von 1711 bis 1740 römisch-deutscher Kaiser und Erzherzog von Österreich sowie Souverän der übrigen habsburgischen Erblande, als Karl III. König von Ungarn und Kroatien, als Karl II.
Johann Gottfried Auerbach: Kaiser Karl VI. 1. Hälfte des 18. Jhds. Öl auf Leinwand, Heeresgeschichtliches Museum, Wien. |
Quelle Bürgers:
Rudolf Erich Raspe übersetzte im Winter 1764 das Libretto zur Opéra-comique „Soliman Second ou Les Trois Sultanes“ von Charles-Simon Favarts nach der Erzählung „Soliman II.“ in den „Contes moraux“ von Jean-François Marmontel (1761). Die eigenhändige Handschrift hat sich in der Theater-Manuskriptsammlung der Universitätsbibliothek Kassel (Ms theat 25) erhalten: Soliman der Zweyte ein Lustspiel in Drey Aufzügen. Aus dem Französischen des Herrn Favert. Nach der Erzehlung des Herrn Marmonlet. Für deutsche Theater eingerichtet von R. E. Raspe mese Febr. 1764. Verbessert mese Sept. 1766.
Das Stück, das auf einer gleichnamigen Kurzgeschichte von Marmontel basiert, erzählt von der Reformation des osmanischen Hofes durch die guten Dienste einer Französin, Roxelane. Favarts Soliman wird als Monarch dargestellt, der ein ziemlich verschwenderisches Leben führt und von einer Dame seines Harems zu einem anderen springt. Er sehnt sich nach einer Spanierin, Elmire, und verliert das Interesse an ihr, sobald sie seinem Angebot zustimmt und offen ihre Liebe zu ihm erklärt. Roxelane hingegen zieht das Interesse des Sultans mit ihrem französischen Verständnis von Souveränität, ihrer frechen Kritik am Leben am Hof und vor allem ihrer offensichtlichen Gleichgültigkeit gegenüber dem Sultan auf sich. Inmitten der vielen Wirren unerwiderter Liebe, die den Sultan an den Harem binden, kommt ihr die Gleichgültigkeit sehr zugute. In Opposition gegen die Harempolitik des Sultans predigt sie die Botschaft von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Solimann der Zweyte, oder die drey Sultaninnen, ein Lustspiel in drey Handlungen. Aus dem Französischen des Herrn Favart, Uebersetzt von St. [Rudolf Erich Raspe]. o. O. 1765. |
Solimann der Zweyte oder die drey Sultaninnen. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Aus dem Französischen des Herrn Favart übersetzt. Verbesserte Auflage. Münster 1777. |
Textgrundlagen waren die französische Veröffentlichung von 1762: Soliman Second, Comédie en trois actes, an vers; par M. Favart, sowie eine in Dresden verlegte Ausgabe: Soliman Second, ou les irois sultanes von 1765. Die Übersetzung wurde 1765 anonym veröffentlicht: Solimann der Zweyte, oder die drey Sultaninnen, ein Lustspiel in drey Handlungen. Aus dem Französischen des Herrn Favart, Uebersetzt von St.
„Den sechs und dreyßigsten Abend (Freytags, den 3ten Julius,) ward das Lustspiel des Herrn Favart, Solimann der Zweyte, ebenfals in Gegenwart Sr. Königl. Majeſtät von Daͤnemark, aufgeführet.“ G. E. Lessing: Hamburgische Dramaturgie. Drey und dreyßigſtes Stück. Den 21sten August, 1767.
Die französische Sklavin Roxelane besiegt ihre Nebenbuhlerinnen und bringt den Sultan dazu, sich mit ihr zu vermählen, indem sie alle im Orient geltenden Schranken und Gebräuche missachtet. Sie veranstaltet eine Mahlzeit nach französischer Art, bei der der Sultan Wein trinkt, nachdem er die Bedienten wegeschickt und die Fenster verschlossen hat.
Solimann der Zweyte, Erste Handlung, Vierzehnter Auftritt:
Roxl. Es ist eine Mahlzeit nach französischer Art.
(Solimann setzt sich in den Lehnstuhl, Elmire zur rechten, Delia zur linken Seite, Roxelane setzt sich neben der Delia, aber etwas weiter vor. Alle Bediente stehen um die Tafel herum. Der Vorschneider kömmt mit einem großen Messer, das einem Sebel gleicht, und will die Speisen von einander schneiden.)
Roxl. Was will der Kerl?
Sol. Es ist der Vorschneider.
(Der Vorschneider verrichtet sein Amt nur in der Küche; die Türken brauchen weder Messer noch Gabel bey Tische: Man trägt ihnen die Speisen, und sogar die Früchte ganz klein geschnitten auf, damit sie sie mit den Fingern nehmen können. Da Roxelane eine Mahlzeit nach Französischer Art gefodert hat, und die Stücke alle ganz sind; so zeigt sich der Vorschneider, weil er nothwendig zu seyn glaubt. Man hat nicht wider die Gewohnheit handeln wollen, diesen Hofbedienten hier mit einzuführen.)
Roxl. Die Damen werden vorlegen; das ist itzt so mode. Die Mühe ist ein wenig beschwerlich, aber ein jeder gewinnt dabey: Wenn eine niedliche Hand die Gelenke ihrer zarten Finger bewegt, so zeigt sie tausend Annehmlichkeiten und ertheilt dem, was sie vorlegt, einen auserlesenen Geschmack. (zur Elmire, indem sie ihre ein Geflügel überreicht) zerlegen sie, Elmire.
Sol. Ja die Mode ist allerliebst (zum Vorschneider) ich schaffe dich ab.
Roxl. (zur Delia) Und sie werden die Mühe über sich nehmen, seiner Hoheit zu trinken einzuschenken. (zum Osmin) gieb Wein her.
Sol. (erstaunt) Wein!
Osm. (mit noch heftigern Erstaunen) Wein!
Roxl. Ja, Wein. Das ist der Vater der Freude; die Seele des Vergnügens.
(Osmin nimmt die Weinflasche mit dem Ende seines Rodes, leget sie auf den Tisch, und wendet das Gesichte weg).
Roxl. (zu Osmin) Was soll die Verachtung bedeuten? (für sich) Ich will bey dem Sclaven anfangen, (zu Osmin) komm her: zur Strafe sollst du das erste von der Bouteille haben. (sie schenkt ein Glas voll, und giebt es dem Osmin), nimm.
Osm. Ich, dies verhaßte Getränke kosten!
Roxl. (die den Solimann ansieht) Er will nicht gehorchen.
Sol. (zu Osmin) Trink.
Dim. O Himmel! ich zittere. (zum Solimann) Herr, ein Muselmann...
Sol. Eh, thu was man dir befiehlt.
Dim. (nimmt das Glas, hebt die Augen gen Himmel, macht widrige Geberden, und sagt, ehe er trinkt) O Mahomet! siehe nicht her. (für sich, nachdem er getrunken) gut, gut.
Sol. Ich muß über den Osmin lachen.
Dim. (indem er sein Glas hinsetzt) Herr, ich unterwerfe mich.
Roxl. (zu Osmin) schon gut. (zur Delia) Nu, schöne Delia, schenken sie dem Sultan von den Schätzen des Weinstocks ein, geben sie sein Glas her, Elmire.
Elm, (reicht des Sultans Glas) hier ist es. (Delia schenkt ein)
Sol. Verschonen sie mich…
Roxl. Ich versteh es; ihre Bedienten sind dabey. (sie giebt denen Bedienten und Sclaven ein Zeichen, sich zu entfernen. Sie gehen alle fort, auser Osmin) entfernt euch. (zu Solimann) ich bin sehr für den Wohlstand.
Elm. Aber in diesem Punkte fehlt es ihnen in Frankreich oft, wie man sagt; denn ihr redet und handelt in Gegenwart eurer Bedienten, den gedungenen wahren Spionen, ohne alle Vorsicht; unter währender Aufwartung halten sie sich über eure Ausschweifungen auf, wenn sie um euch herum stehen; eure Thorheiten, eure Vergehungen, eure unachtsamen Reden, legen eben den Grund zu ihrer Unverschämheit.
Sol. Empfindet man aber nicht die Folgen davon? man muß sich immer von der anständigsten Seite zeigen; und die Hochachtung, die man einflößt, muß von der guten Meynung, und nicht von der Pflicht, herrühren.
Roxl. Herr, sie erwerben sich meine Hochachtung; aber man ist nicht beständig in seiner Größe: Unter uns, glauben sie mir, lassen sie uns das seyn, was wir sind; für wem wäre denn das Vergnügen, wenn man die Großen davon ausschließen wollte? Dieser angenommene Ernst, der ihnen alle Freude verwehrt, verscheucht tausend Ergötzlichkeiten, die einem Fürsten unbekannt bleiben. Ach! der ist unglücklich, der nie das Vergnügen der Gleichheit geschmeckt! (sie blickt den Soliman schalkhaft und verliebt an) und das Vergnügen zu gehorchen, ist oft noch viel angenehmer. (zum Solimann) Nu, auf ihre Gesundheit.
Elm (zum Solimann) Sie werden uns doch Gesellschaft leisten?
Sol. Ich muß sie befriedigen.
(Solmann trinkt nebst Elmiren, Roxelanen und Delia, Osmin ergreift diesen Augenblick die Bouteille, um heimlich aus derselben zu trinken.)
Roxl. Das ist die Art uns zu gefallen. (nachdem Solimann getrunken hat) Ist es
Nicht wahr, daß dies ein schönes Getränke ist? (zu Delia) Delia, sie sind in Gedanken! fort, seyn sie munter: Sie sagen uns ja gar nichts.
Del. (sehr zurückhaltend) Ich, ich weiß nichts zu sagen.
Roxl. Ey, was thut das, reden sie nur. Wenn uns die Freude beseelt, so giebt uns ein nichts zu tausend artigen Gesprächen Stoff.
Elm. Hui! Doch ja: wenn ich dem, was man uns davon erzehlt, glauben soll, so ist die Zunge in Frankreich immer in Bewegung; die beschwerliche Vernunft leistet ihr niemals Gesellschaft, und die Worte schießen, wie aus einem Vulcan, ohne die Gedanken zu erwarten; man redt immer gut, wenn man nur Lerm macht.
Roxl. O ja ! bey den Supees, die man sich in Paris giebt, entscheidet und
beurtheilt man alles sehr leicht; und man hat niemals mehr Verstand, als wenn
man nicht weiß was man sagt. Die Franzosen sind liebenswürdige Geschöpfe.
Solimann der Zweyte, oder die drey Sultaninnen, ein Lustspiel in drey
Handlungen. Aus dem Französischen des Herrn Favart, Uebersetzt von St., S.
51-55.
Jean-François Marmontel: „Solimann der Zweyte“
„Es ist ein Vergnügen zu sehn, wie die ernsthaften Geschichtschreiber sich den Kopf zerbrechen, um zu großen Begebenheiten große Ursachen ausfündig zu machen.“ So beginnt die Erzählung „Solimann der Zweyte“ des französischen Schriftstellers und Enzyklopädisten Jean-François Marmontel (1723-1799), die im Zusammenhang seiner „Contes“ im Jahre 1763 als „Moralische Erzählungen von Herrn Marmontel aus dem Französischen übersetzt“ wurden. Und weiter erklärt der Erzähler: „Solimann der Zweyte heuratet, den Gesetzen des Sultane zum Hohn, seine Skavinn. Man wird sich unter dieser Sclavinn eine vollkommene Schönheit vorstellen, die eine erhabene Seele, ein rares Genie, eine tiefe Staatskunst besessen hat. Nichts von allen: die Sache ist so.“
Im Dreiunddreißigsten Stück seiner „Hamburgischen Dramaturgie“ stellt Gotthold Ephraim Lessing die französische Erzählung anlässlich der Aufführung des Lustspiel des Herrn Favart, „Soliman der Zweite“ am 21. August 1767 seinen Lesern folgendermaßen vor:
Ein Sultan, der in dem Schoße der Wollüste gähnet, dem sie der alltägliche und durch nichts erschwerte Genuß unschmackhaft und ekel gemacht hat, der seine schlaffen Nerven durch etwas ganz Neues, ganz Besonderes, wieder gespannet und gereizet wissen will, um den sich die feinste Sinnlichkeit, die raffinierteste Zärtlichkeit umsonst bewirbt, vergebens erschöpft: dieser kranke Wollüstling ist der leidende Held in der Erzählung. Ich sage der leidende: der Lecker hat sich mit zu viel Süßigkeiten den Magen verdorben; nichts will ihm mehr schmecken; bis er endlich auf etwas verfällt, was jedem gesunden Magen Abscheu erwecken würde, auf faule Eier, auf Rattenschwänze und Raupenpasteten; die schmecken ihm. Die edelste, bescheidenste Schönheit, mit dem schmachtendsten Auge, groß und blau, mit der unschuldigsten empfindlichsten Seele, beherrscht den Sultan, - bis sie gewonnen ist. Eine andere, majestätischer in ihrer Form, blendender von Kolorit, blühende Suada auf ihren Lippen, und in ihrer Stimme das ganze liebliche Spiel bezaubernder Töne, eine wahre Muse, nur verführerischer, wird - genossen und vergessen. Endlich erscheinet ein weibliches Ding, flüchtig, unbedachtsam, wild, witzig bis zur Unverschämtheit, lustig bis zum Tollen, viel Physiognomie, wenig Schönheit, niedlicher als wohlgestaltet, Taille aber keine Figur; dieses Ding, als es den Sultan erblickt, fällt mit der plumpesten Schmeichelei, wie mit der Türe ins Haus: Grâces au ciel, voici une figure humaine! - (Eine Schmeichelei, die nicht bloß dieser Sultan, auch mancher deutscher Fürst, dann und wann etwas feiner, dann und wann aber auch wohl noch plumper, zu hören bekommen, und mit der unter zehnen neune, so gut wie der Sultan, vorlieb genommen, ohne die Beschimpfung, die sie wirklich enthält, zu fühlen.) Und so wie dieses Eingangskompliment, so das übrige - Vous êtes beaucoup mieux, qu'il n'appartient à un Turc: vous avez même quelque chose d'un Français - En vérité ces Turcs sont plaisants - Je me charge d'apprendre à vivre à ce Turc - Je ne désespère pas d'en faire quelque jour un Français. - Dennoch gelingt es dem Dinge! Es lacht und schilt, es droht und spottet, es liebäugelt und mault, bis der Sultan, nicht genug, ihm zu gefallen, dem Seraglio eine neue Gestalt gegeben zu haben, auch Reichsgesetze abändern und Geistlichkeit und Pöbel wider sich aufzubringen Gefahr laufen muß, wenn er anders mit ihr ebenso glücklich sein will, als schon der und jener, wie sie ihm selbst bekennet, in ihrem Vaterlande mit ihr gewesen. Das verlohnte sich wohl der Mühe!
Marmontel fängt seine Erzählung mit der Betrachtung an, daß große Staatsveränderungen oft durch sehr geringfügige Kleinigkeiten veranlaßt worden, und läßt den Sultan mit der heimlichen Frage an sich selbst schließen: Wie ist es möglich, daß eine kleine aufgestülpte Nase die Gesetze eines Reiches umstoßen können? Man sollte also fast glauben, daß er bloß diese Bemerkung, dieses anscheinende Mißverhältnis zwischen Ursache und Wirkung, durch ein Exempel erläutern wollen. Doch diese Lehre wäre unstreitig zu allgemein, und er entdeckt uns in der Vorrede selbst, daß er eine ganz andere und weit speziellere dabei zur Absicht gehabt. »Ich nahm mir vor«, sagt er, »die Torheit derjenigen zu zeigen, welche ein Frauenzimmer durch Ansehen und Gewalt zur Gefälligkeit bringen wollen; ich wählte also zum Beispiele einen Sultan und eine Sklavin, als die zwei Extrema der Herrschaft und Abhängigkeit.« Allein Marmontel muß sicherlich auch diesen seinen Vorsatz während der Ausarbeitung vergessen haben; fast nichts zielet dahin ab; man sieht nicht den geringsten Versuch einiger Gewaltsamkeit von seiten des Sultans; er ist gleich bei den ersten Insolenzen, die ihm die galante Französin sagt, der zurückhaltendste, nachgebendste, gefälligste, folgsamste, untertänigste Mann, la meilleure pâte de mari, als kaum in Frankreich zu finden sein würde. Also nur gerade heraus; entweder es liegt gar keine Moral in dieser Erzählung des Marmontel, oder es ist die, auf welche ich, oben bei dem Charakter des Sultans, gewiesen: der Käfer, wenn er alle Blumen durchschwärmt hat, bleibt endlich auf dem Miste liegen.
Doch Moral oder keine Moral; dem dramatischen Dichter ist es gleich viel, ob
sich aus seiner Fabel eine allgemeine Wahrheit folgern läßt oder nicht; und also
war die Erzählung des Marmontel darum nichts mehr und nichts weniger geschickt,
auf das Theater gebracht zu werden. Das tat Favart, und sehr glücklich. Ich rate
allen, die unter uns das Theater aus ähnlichen Erzählungen bereichern wollen,
die Favartsche Ausführung mit dem Marmontelschen Urstoffe zusammenzuhalten. Wenn
sie die Gabe zu abstrahieren haben, so werden ihnen die geringsten
Veränderungen, die dieser gelitten und zum Teil leiden müssen, lehrreich sein,
und ihre Empfindung wird sie auf manchen Handgriff leiten, der ihrer bloßen
Spekulation wohl unentdeckt geblieben wäre, den noch kein Kritikus zur Regel
generalisieret hat, ob er es schon verdiente, und der öfters mehr Wahrheit, mehr
Leben in ihr Stück bringen wird, als alle die mechanischen Gesetze, mit denen
sich kahle Kunstrichter herumschlagen, und deren Beobachtung sie lieber, dem
Genie zum Trotze, zur einzigen Quelle der Vollkommenheit eines Dramas machen
möchten.
Hamburgische Dramaturgie. Drey und dreyßigſtes Stück. Den 21sten August,
1767.
CONTES MORAUX. PAR M. MARMONTEL. SUVIVIS DʼUNE APOLOGIE DU THÉATRE, NOUVELLE EDITION, CORRIGÉE ET AUGMENTÉE. TOME PREMIER : A LAHAYE. M. DCC. LXII. |
Moralische Erzählungen von Herrn Marmontel aus dem Französischen übersetzt. Erster Theil. Zweyte Auflage. Carlsruhe 1763. |
Imperium Turcicum in Europa, Asia et Africa Regiones Propias, Tributaias, Clientelares. (1788, Ausschnitt) Rot markiert sind Wien, Belgrad und Konstantinopel.
Ansicht von Wien, Kupferstich, (Ausschnitt). Prospect und Grund-Riss der Kayserl. Residenz-Stadt Wien mit negst anligender Gegend und Neuen Linien umb die Vorstädt / verlegts Ioh. Bapt. Homann. Nürnberg 1712.
Dies Billett gab ich, weil es schon fünf Minuten über drei Uhr war, nur sogleich offen meinem Läufer, der seine Gewichte abschnallen und sich unverzüglich auf die Beine nach Wien machen musste. Hierauf tranken wir, der Großsultan und ich, den Rest von seiner Flasche in Erwartung des bessern vollends aus. Es schlug ein Viertel, es schlug halb, es schlug drei Viertel auf vier, und noch war kein Läufer zu hören und zu sehen. Nachgerade, gestehe ich, fing mir an ein wenig schwül zu werden; denn es kam mir vor, als blickten Seine Hoheit schon bisweilen nach der Glockenschnur, um nach dem Scharfrichter zu klingeln. Noch erhielt ich zwar Erlaubnis, einen Gang hinaus in den Garten zu tun, um frische Luft zu schöpfen, allein es folgten mir auch schon ein paar dienstbare Geister nach, die mich nicht aus den Augen ließen. In dieser Angst, und als der Zeiger|[96] schon auf fünf und funfzig Minuten stand, schickte ich noch geschwind nach meinem Horcher und Schützen. Sie kamen unverzüglich an, und der Horcher musste sich platt auf die Erde niederlegen, um zu hören, ob nicht mein Läufer endlich ankäme. Zu meinem nicht geringen Schrecken meldete er mir, dass der Schlingel irgendwo, allein weit weg von hier, im tiefsten Schlafe läge, und aus Leibeskräften schnarchte. Dies hatte mein braver Schütze nicht so bald gehört, als er auf eine etwas hohe Terrasse lief und, nachdem er sich auf seine Zehen noch mehr emporgereckt hatte, hastig ausrief: „Bei meiner armen Seele! Da liegt der Faulenzer unter einer Eiche bei Belgrad und die Flasche neben ihm. Wart! Ich will dich aufkitzeln.“ – Und hiermit legte er unverzüglich seine Kuchenreutersche Flinte an den Kopf und schoss die volle Ladung oben in den Wipfel des Baumes. Ein Hagel von Eicheln, Zweigen und Blättern fiel herab auf den Schläfer, erweckte und brachte ihn, da er selbst fürchtete, die Zeit beinahe verschlafen zu haben, dermaßen geschwind auf die Beine, dass er mit seiner Flasche, und einem eigenhändigen Billett von Maria Theresia um 59½ Minuten auf vier Uhr vor des Sultans Kabinette anlangte.|[97] Das war ein Gaudium! Ei, wie schlürfte das Großherrliche Leckermaul! – „Münchhausen, sprach er, Ihr müsst es mir nicht übelnehmen, wenn ich diese Flasche für mich allein behalte. Ihr steht in Wien besser als ich; Ihr werdet schon an noch mehr zu kommen wissen.“ – Hiermit schloss er die Flasche in sein Schränkchen, steckte den Schlüssel in die Hosentasche, und klingelte nach dem Schatzmeister. – O welch ein angenehmer Silberton meinen Ohren! – „Ich muss Euch nun die Wette bezahlen. – Hier! – sprach er zum Schatzmeister, der ins Zimmer trat, – lasst meinem Freunde Münchhausen so viel aus der Schatzkammer verabfolgen, als der stärkste Kerl wegzutragen vermag.“ Der Schatzmeister neigte sich vor seinem Herrn bis mit der Nase zur Erde, mir aber schüttelte der Großsultan ganz treuherzig die Hand, und so ließ er uns beide gehen.
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Belgrad: Belgrad ist die Hauptstadt Serbiens. Bedeutendstes Wahrzeichen ist die imposante Festung Beogradska Tvrđava am Zusammenfluss von Donau und Save. Die Festungsanlage belegt die strategische Bedeutung der Stadt für das römische, byzantinische, osmanische, serbische und österreichische Reich.
Belgrad, Josephinische Landesaufnahme, 1769-72.
das
Großherrliche Leckermaul: „Sein Duft und Geschmack waren nicht von
dieser Welt, ‚ambrosischer Nektar‘, schrieb ich im Überschwang, ‚pikant,
zerdrückte Trauben, konzentriert, üppig‘. Der einzige Wein ohne ‚Abgang‘,
den ich je verkostet habe: Er blieb einfach im Mund – und blieb und blieb
und blieb […]“. Michael Broadbent über einen Tokajer Jahrgang 1811.
Peter Jacob Horemans: Stillleben mit vornehmen Herrn, 1762. Alte Pinakothek, München |
Jacob Philipp Hackert: Untergang der türkischen Flotte in der Schlacht von Tschesme 1771. Öl auf Leinwand. Eremitage, St. Petersburg.
Ich säumte nun, wie Sie denken können, meine Herren, keinen Augenblick, die erhaltene Assignation geltend zu machen, ließ meinen Starken mit seinem langen hänfenen Stricke kommen, und verfügte mich in die Schatzkammer. Was da mein Starker, nachdem er sein Bündel geschnürt hatte, übrig|[98] ließ, das werden Sie wohl schwerlich holen wollen. Ich eilte mit meiner Beute gerades Weges nach dem Hafen, nahm dort das größte Lastschiff, das zu bekommen war, in Beschlag, und ging wohlbepackt mit meiner ganzen Dienerschaft unter Segel, um meinen Fang in Sicherheit zu bringen, ehe was widriges dazwischen kam. Was ich befürchtet hatte, das geschah. Der Schatzmeister hatte Tür und Tor von der Schatzkammer offen gelassen – und freilich wars nicht groß mehr nötig, sie zu verschließen – war über Hals und Kopf zum Großsultan gelaufen, und hatte ihm Bericht abgestattet, wie vollkommen wohl ich seine Assignation genutzt hatte. Das war denn nun dem Großsultan nicht wenig vor den Kopf gefahren. Die Reue über seine Übereilung konnte nicht lange ausbleiben. Er hatte daher gleich dem Großadmiral befohlen, mit der ganzen Flotte hinter mir herzueilen, und mir zu insinuieren, dass wir so nicht gewettet hätten. Als ich daher noch nicht zwei Meilen weit in die See war, so sah ich schon die ganze türkische Kriegsflotte mit vollen Segeln hinter mir herkommen, und ich muss gestehen, dass mein Kopf, der kaum wieder fest geworden war, nicht wenig von neuem anfing zu wackeln. Allein nun war|[99] mein Windmacher bei der Hand und sprach: „Lassen sich Ihro Exzellenz nicht bange sein!“ Er trat hierauf auf das Hinterverdeck meines Schiffes, so dass sein eines Nasenloch nach der türkischen Flotte, das andere aber auf unsere Segel gerichtet war, und blies eine so hinlängliche Portion Wind, dass die Flotte, an Masten, Segel- und Tauwerk gar übel zugerichtet, nicht nur bis in den Hafen zurückgetrieben, sondern auch mein Schiff in wenig Stunden glücklich nach Italien getrieben ward. Von meinem Schatze kam mir jedoch wenig zugute. Denn in Italien ist, trotz der Ehrenrettung des Herrn Bibliothekar Jagemann in Weimar*), Armut und Bettelei so groß, und die Polizei so schlecht, dass ich erstlich, weil ich vielleicht eine allzu gutwillige Seele bin, den größten Teil an die Straßenbettler ausspenden musste. Der Rest aber wurde mir auf meiner Reise nach Rom auf der geheiligten Flur von Loretto, durch eine Bande Straßenräuber abgenommen. Das Gewissen wird diese Herren nicht sehr darüber beunruhigt haben. Denn ihr Fang war noch immer so ansehnlich, dass um den tausendsten Teil die ganze honette Gesellschaft sowohl für sich, als ihre Erben und Erbneh-|[100]mer, auf alle vergangenen und zukünftigen Sünden vollkommenen Ablass selbst aus der ersten und besten Hand in Rom dafür erkaufen konnte. – Nun aber, meine Herren, ist in der Tat mein Schlafstündchen da. Schlafen Sie wohl! –– *) S. deutsches Museum 1786
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Quelle Bürgers:
Man würde sich irren, wenn man diese Banditen als Ungeheuer betrachten
wollte. Sie sind es zwar nach unsern Begriffen, allein sie selbst, durch
Erziehung, Gesetze, und Religionsbegriffe gerechtfertigt, betrachten ihr
sauberes Gewerbe nicht in so schwarzem Lichte. Daß sie durch Mordthaten
Sünden begehen, wissen sie sehr wohl, allein nur eine Sünde, wovon sie der
nächste Beichtstuhl befreyt; sie haben daher blos die ihnen zuerkannten
Bußübungen vor Augen, und dürfen nur allein das Verhältnis zwischen diesen,
die mehrentheils in Gebeten bestehen, und dem erworbenen Mordgelde
berechnen.
England und Italien von J. W. von Archenholtz, vormals Hauptmann in K. Preuß. Diensten. Zweiter Band. Leipzig 1785. Assignation: franz. Ladung Kriegsflotte: Am 7. Juli 1770 erlebte die russische Marine einen ihrer größten Momente. In der Seeschlacht von Çeşme vor der türkischen Mittelmeerküste vernichtete sie die zahlenmäßig überlegene Flotte des Osmanischen Reichs nahezu vollständig. Der Sieg trug wesentlich zum Ausgang des Fünften Russisch-Türkischen Krieges zugunsten Russlands bei. Unter dem Befehl des Admirals Alexej Orlow suchten zwei Schwadronen die osmanische Flotte vor der türkischen Küste. Nördlich der Bucht von Çeşme nahe Izmir fand man schließlich die feindlichen Schiffe vor Anker liegen. Trotz der Übermacht der Türken entschieden sich die Russen zum Angriff. Nach ersten Gefechten zogen sich die türkischen Schiffe in die Bucht von Çeşme zurück, wo sie am folgenden Tag unter Dauerbeschuss gerieten. Am Morgen des 7. Juli war die osmanische Flotte weitgehend zerstört.
Der Sieg war für den Ruhm der russischen
Flotte von enormer Bedeutung. Katharina die Große ließ gleich mehrere
Denkmäler zu Ehren der Helden errichten, darunter die Tschesmensker Kirche
in St. Petersburg. Um auch ein bildliches Andenken zu haben, wurde der in
Neapel lebende deutsche Künstler Jakob Philipp Hackert damit beauftragt,
einige Gemälde der Seeschlacht anzufertigen. Hackert hatte in Italien
Bekanntschaft mit Johann Wolfgang Goethe gemacht und bei diesem offenbar
einen bleibenden Eindruck hinterlassen. So ist es Goethe zu verdanken, dass
eine groteske Geschichte rund um diesen Auftrag aus Russland pointiert
überliefert ist. Jagemann in Weimar: Christian Joseph Jagemann ( 1735-1804), deutscher Gelehrter, Hofrat und Bibliothekar. Ehrenrettung Italiens wider die Anmerkungen des Herrn Hauptmanns von Archenholz, von C. J. Jagemann, Fürstl. Sächsischen Rath und Bibliothekar. Lieber Freund!
Lassen Sie sich vor Italiens Ehre nicht
bange sein. Auch die zwei milzsüchtigen Ärzte Smollet und Scharp ließen in
ihren Reisebeschreibungen diesem Paradiese unseres Welttheils nicht einen
Pfennig werth Ehre. Es war für sie ein Gegenstand, rasend zu werden. Jeder
Italiener war in ihren Augen en Verräther, ein Meuchelmörder, jeder
Italienerin einer verbuhlte Schwester. Überall bildeten sie sich ein, in der
Nachbarschaft oder im Schooße einer großen Mördergrube an der Themse zu
sein, das Messer an der Kehle zu haben, oder geplündert zu werden. auf der geheiligten Flur von Loretto: Die Basilika vom Heiligen Haus in Loreto (Santuario Basilica Pontificia della Santa Casa di Loreto) ist eine römisch-katholische Wallfahrtskirche in Loreto in den italienischen Marken bei Ancona an der Adria. Sie ist eine päpstliche Basilika, ein Internationales Heiligtum und die Kathedrale der Territorialprälatur Loreto.
Nachdem die Kreuzfahrer das Heilige Land
verloren hatten, übertrugen der Legende zufolge Engel das Haus der Heiligen
Familie von Nazareth über Illyrien nach Loreto. Bald entwickelte sich das
Heilige Haus von Loreto zur beliebten Wallfahrtsstätte der Loretowallfahrt. Erben und Erbnehmer: Beerbt wird der Erblasser von einem so genannten Erbnehmer.
Ablass:
Ablass oder Indulgenz (lateinisch indulgentia), veraltet auch römische
Gnade, ist ein Begriff aus der römisch-katholischen Theologie und bezeichnet
einen von der Kirche geregelten Gnadenakt, durch den nach kirchlicher Lehre
zeitliche Sündenstrafen erlassen (nicht dagegen die Sünden selbst vergeben)
werden. |
Italiae, Köhler, Johann David; Weigel, Christoph [Hrsg.]: Io. Davidis Koeleri Hist. et Polit. PP. Altdorfini Atlas Manvalis Scholasticvs Et Itinerarivs Complectens Novae Geographiae Tabvlas LI [...]. Nürnberg, [ca. 1724].
LETTERS FROM ITALY, DESCRIBING THE CUSTOMS and MANNERS of that COUNTRY, In the YEARS 1765, and 1766. […]. By SAMUEL SHARP, Esq. The SECOND EDITION. LONDON: M. DCC. LXVII. |
TRAVELS THROUGH FRANCE AND ITALY […]. BY T. SMOLLETT, M. D. In TWO VOLUMES. VOL. II. LONDON MDCCLXYI. |
Thomas Salmon: La città e la Santa Casa di M. Vergine di Loreto nella marca di Ascona. Kupferstich um 1750.