Neuntes See-Abenteuer.
Eine andere Seereise machte ich von
England aus mit dem Kapitän Hamilton. Wir
gingen nach Ostindien. Ich hatte einen Hühnerhund bei mir, der, wie ich im
eigentlichsten Sinne behaupten konnte, nicht mit Gold aufzuwiegen war; denn
er betrog mich nie. Eines Tages, da wir, nach den besten Beobachtungen die
wir machen konnten, wenigstens noch dreihundert Meilen vom Lande entfernt
waren, markierte mein Hund. Ich sah ihn fast eine volle Stunde mit Erstaunen
an, und sagte den Umstand dem Kapitän, und jedem Offizier am Bord, und
behauptete, wir müssten dem Lande nahe sein, denn mein Hund witterte Wild.
Dies verursachte ein allgemeines Gelächter, durch das ich mich aber in der
guten Meinung von meinem Hunde gar nicht irremachen ließ.
Nach
vielem Streiten für und wider die Sache erklärte ich endlich dem Kapitän mit
der größten Festigkeit, dass ich zu der Nase meines Tray mehr Zutrauen habe
als zu den Augen aller Seeleute am Bord; und|[141] schlug ihm daher kühn
eine Wette von hundert Guineen vor – der Summe, die ich für diese Reise
akkordiert hatte – wir würden in der ersten halben Stunde Wild finden.
Der
Kapitän – ein herzensguter Mann – fing wieder an zu lachen, und ersuchte
Herrn Crawford, unsern Schiffschirurgus, mir den Puls zu fühlen. Er tat es
und berichtete, ich wäre vollkommen gesund. Darauf entstand ein Geflüster
zwischen beiden, wovon ich indes das meiste deutlich genug verstand.
„Er ist
nicht recht bei Sinnen,“ sagte der Kapitän; „ich kann mit Ehre die Wette
nicht annehmen.“
„Ich bin
ganz der entgegengesetzten Meinung“, erwiderte der Chirurgus. „Es fehlt ihm
nicht das mindeste. Nur er verlässt sich mehr auf den Geruch seines Hundes,
als auf den Verstand jedes Offiziers am Bord. – Verlieren wird er auf alle
Fälle; aber er verdient es auch.“
„So eine
Wette“, fuhr der Kapitän fort, „kann von meiner Seite niemals so ganz
redlich sein. Indes, es wird desto rühmlicher|[142] für mich sein, wenn ich
ihm nachher das Geld wieder zurückgebe.“
Während
dieser Unterredung blieb Tray immer in derselben Stellung und bestätigte
mich noch mehr in meiner Meinung. Ich schlug die Wette zum zweiten Male vor;
und sie wurde angenommen.
Kaum war
Topp und Topp auf beiden Seiten gesagt, als einige Matrosen, die in dem
langen Boote, das an das Hinterteil des Schiffes befestigt war, fischten,
einen außerordentlich großen Hai erlegten, den sie auch sogleich an Bord
brachten. Sie fingen an, den Fisch aufzuschneiden, und – Siehe! – da fanden
wir nicht weniger als sechs Paar lebendige Rebhühner in dem Magen des
Tieres.
Diese
armen Geschöpfe waren schon so lange in dieser Lage gewesen, dass eine von
den Hennen auf fünf Eiern saß, wovon eines gerade ausgebrütet war, als der
Hai geöffnet wurde.
Diesen
jungen Vogel zogen wir mit einem Wurfe kleiner Katzen auf, die wenige
Minuten vorher zur Welt gekommen waren. Die|[143] alte Katze hatte ihn so
lieb als eines ihrer vierbeinigen Kinder und tat immer erstaunend übel, wenn
das Huhn etwas zu weit wegflog, und nicht gleich wieder zurückkommen wollte.
– Unter den übrigen Rebhühnern hatten wir vier Hennen, von denen immer eine
oder mehrere saßen, so dass wir während unserer ganzen Reise beständig einen
Überfluss von Wildbret auf des Kapitäns Tafel hatten. – Dem armen Tray ließ
ich, zum Danke für die hundert Guineen, die ich durch ihn gewonnen hatte,
täglich die Knochen geben und bisweilen auch einen ganzen Vogel.
–––
|
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Kapitän Hamilton:
Alexander Hamilton (vor 1688-nach 1733) war ein schottischer Seekapitän und
Kaufmann. In seinen frühen Jahren reiste er durch Europa, die
Nordafrikanische Küste, Westindien, Indien und Südostasien. Nach seiner
Ankunft in Bombay im Jahre 1688 wurde er kurzzeitig von der East India
Company verpflichtet und betrieb danach von Surat aus ein Handelsgeschäft.
Im Juni 1717 wurde er zum Kommandeur der Bombay Marine ernannt und leitete
die Seestreitkräfte der East India Company, die zwischen dem Kap der Guten
Hoffnung und Japan operierten.
Die Britische Ostindien-Kompanie war eine
von 1600 bis 1874 bestehende Kaufmannsgesellschaft für den Indienhandel, die
im 18. Jahrhundert zum bestimmenden Machtfaktor in Indien aufstieg und die
fast 200-jährige britische Kolonialherrschaft über das Land begründete.
Die wichtigste Informationsquelle über
Hamilton ist sein zweibändiges Buch A New Account of the East Indies (1727
und öfter). Mit seinen Reiseberichten und Anekdoten bietet es wertvolle
Einblicke in das Leben im damaligen indisch-asiatischen Raum.
A new account of the East Indies, being the
observations and remarks of Capt. Alexander Hamilton, Who spent his Time
there from the Year 1688. to 1723. Trading and Travelling, by Sea and Land,
to most of the countries and islands of commerce and navigation, between the
Cape of Good-hope, and the Island of Japon. Volume I, II. EDINBURGH,
MDCCXXVII.
hundert Guineen:
eine von 1663 bis 1816 in Umlauf befindliche britische Goldmünze, seit 1717
im Wert von 1,05 Britischen Pfund.
Schiffe der East India Company vor Fort William, in Hastings, Calcutta 1754
Rebhühner, Fig.4 und 5
Des Ritters Carl von Linné Königlich Schwedischen Leibarztes etc. etc.
vollständiges Natursystem [...]. Zweyter Theil. Von den Vögeln. Nürnberg 1773,
Tafel XXIV.
|