Theodor Heinrich Ludwig Schnorr Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande Bodenwerder 1794
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Imperium Romano-Germanicum (Ausschnitt), Mathäus Seutter: Atlas Minor: Praecipua Orbis Terrarum 1745
[79] Einige Seeabenteuer. –––
Die schnellste Reise, die ich jemals machte, geschah per Wirbelwind. Noch jetzt stehen mir die Haare zu Berge, wenn ich daran denke. Meine Haut schrumpft mir auf dem Leibe zusammen, ein Fieber überfällt mich, und ich weiß vor Angst nicht, wo ich mich hinbegeben soll, wenn ich jetzt draußen bin, und sich ein solcher Wind erbebt. Und im Hause wird mir noch ängster. Wie oft hat mich meine Frau aus einem Mäuseloche wieder herausziehen müssen! Als ich mir einst meine Dimission genommen hatte, ritt ich in allem Frieden, und dachte gar nicht daran, dass mir noch dies oder jenes begegnen könnte. Der Wind wehete zwar ziemlich heftig, doch aber nicht so, dass ich für mich, oder andere etwas Gefährliches mutmaßen konnte. Indessen wurde er doch heftiger, und heftiger – es stürmte immer mehr, und nun kamen auf Einmal zwei Winde, packten mich und mein Pferd an, schroben mich in größter Geschwindigkeit so, dass ich mich gar nicht besinnen konnte, in die Höhe, und nun ging es per Wirbelwind immer rundum.|[80] Was sollte ich tun? Ich musste hier ganz dem Winde seinen Lauf lassen, und er führte mich unwillkürlich aus einer Landschaft in die andere. Mein Aug ging von Norden nach Osten. Ich durchreisete in kurzer Zeit ganz Niedersachsen, Obersachsen, und so kam ich an die Ostsee. An Aussruhen war gar nicht zu denken. Nun geriet ich aus den Armen des Wirbelwindes gar in eine Wasserhose. Etwas ging es hier doch erträglicher. Man kam doch einige Augenblicke zuweilen zur Besinnung. Allein, es dauerte nicht lange, so ging es wieder in vollem Galopp. Das ging aus einer See in die andere. Ein ärgeres Rauben und Plündern, als so eine Wasserhose anrichtet, kann sich kein Mensch denken. Ich habe es mit meinen Augen gesehen. Ganze Schiffe mit Mann und Maus nahmen wir weg. Manches wurde ohne alle Barmherzigkeit in Trümmer und Bisschen zersplittert. In das erste Schiff, welches ich bemerkte, sprang ich sogleich mit meinem Pferde hinein, stieg ab, so taumelnd ich auch war, und ging in die Kajüte. Ein Schuss geschah. Die Wasserhose zerplatzte, und mein Schiff ging auf der See. |
Dimission: Rücktritt von einer Position
Obersachsen:
Als Obersachsen bezeichnet man große Teile der ehemaligen Herrschaftsgebiete
der Wettiner und deren Bewohner im Raum des heutigen östlichen
Mitteldeutschlands. Wasserhose: Wind- und Wasserhose bezeichnen einen Tornado über Land beziehungsweise über Wasserflächen. |
Und – was denken sich meine Leser, wo ich war? Auf dem mittelländischen Meere.|[81] Das ging also aus einer See in die andere, aus der Ostsee in die Nordsee, ins Atlantische, von da durch den Kanal bei Gibraltar ins Mittelländische Meer Das Einzige, was ich hier bemerken will, ist: dass es sich auf diese Art gar zu nass und zu schnell reiset. Wir machten in weniger als einer Sekunde eine deutsche Meile. Nun kann man leicht erachten, wie groß die Reise sein musste, die ich machte, indem ich Tag und Nacht über drei Tage im Meere war. Dass Blitze in einer solchen Trompe sein sollen, ist ganz wahr. Wie würde ich sonst haben zur Nachtzeit sehen können? Das ganze Ding war illuminiert. Übrigens ging es mir hier, wie es manchem Reisenden zu gehen pflegt, der zu schnell Städte und Länder durchfliegt. Solche Menschen bemerken nichts, oder nur das, was sie zu bemerken glauben. Auch stehe ich für die genaue Gewissheit meiner Berechnung eben so wenig, als Blanchard, wenn er sagt, wie viel Toisen hoch er in die Luft gesegelt. ––– Wir landeten an der Insel Zypern. Nirgends ist das Meer wärmer und zugleich fisch|[82]reicher, als hier. Meine meisten Speisen auf dieser schönen Insel waren Fische. Ich bekam dadurch eine halbe Fischnatur. Weil es hier sehr warm war, so war mir nichts angenehmers, als Baden und Schwimmen. Die Wollust der Fische ist hier der Wärme wegen ganz außerordentlich. Wenn ich badete, so schwammen immer eine große Menge um mich herum, und spielten mit meinem Petermännchen. Der Mensch ist ein seltsames Geschöpf. Nach Vater Kants Grundsätzen, welches auch wohl wahr sein mag, aus zwei unerklärbaren Grundprinzipien, einem guten und bösen, zusammengesetzt. Doch ich sollte hier bald in das Gebiet der Philosophie geraten, und – das ist doch so eben meine Sache nicht. Ich habe das nur so beiläufig von meinem Herrn Pastor gehört. – Das Malum principium siegte, und – ich verging mich mit einem Fische. Ich reisete von hier nach Alexandrien, besah die große Bibliothek, die Herostratus verbrannt hatte, und als ich wieder zurückkam, was erblickte ich da? Die herrlichsten Mädchen, die niedlichsten Jünglinge im Wasser – die mich alle so herzlich bewillkommten, und mich „Papa“ nannten.|[83]
Ich konnte mich nicht enthalten, mich so recht herzlich über mein Machwerk zu freuen. Eine neue Schöpfung, dacht' ich, und zwar von Menschen. Also die Sirenen oder Wassermenschen der Alten sind keine Dichtungen, sondern auf diese Weise entstanden. – Ich besah sie näher. Alle sangen mir die bezauberndste Musik. Aber hinten hatten sie allesamt Flossen und Fischschwänze. Notwendige Geschäfte ließen mich nach Hause eilen. Sonst wäre ich länger hier geblieben – man hätte dann in der Folge noch neue Meerwunder entdeckt, wenn ich mich mit diesen Wassernymphen eingelassen hätte. Doch, hoffe ich, werden sie sich untereinander genug fortgepflanzt haben. ––– In diese Zeit gehören die Begebenheiten meiner Reise auf die Freyht. Mein Referent konnte da nicht treuer erzählen, als ich selbst. Hier muss ich also seiner historischen Wahrheitsliebe die volleste Gerechtigkeit widerfahren lassen. –––
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wie groß die Reise sein musste: 1794 entsprach 1 deutsche Meile 7,500 km. 3 Tage = 72 Std. = 4.320 Min. = 259.200 Sek. Nimmt man eine Sekunde an, so ergibt sich rechnerisch: Die Reisestrecke beträgt 1.944.000 km bzw. 1.944.000.000 m. Die Reisegeschwindigkeit ist 7.500 m pro Sek. bzw. 27.000 Stundenkilometer. Diese Stecke entspricht dem 48½fachen des Erdumfangs bzw. der 5½fachen Entfernung des Mondes von der Erde. Trompe: Form eines nach unten geöffneten Trichters Toisen: französische Längeneinheit; entspricht in etwa dem deutsche Klafter
Zypern: (griechisch Κύπρος Kypros, türkisch
Kıbrıs) ist eine Insel im östlichen Mittelmeer. Sie ist die drittgrößte
Mittelmeerinsel nach Sizilien und Sardinien. Zypern gehört geographisch zu
Asien, wird politisch und kulturell jedoch meist zu Europa gezählt. Die Insel
gehörte bis 1571 zur Republik Venedig. Die osmanische Herrschaft dauert von 1571
bis 1878. malum principium: Zum principium bonum und malum führt Kant aus:
Es ist aber hier nur vom Hange zum eigentlich, d. i. zum
Moralisch-Bösen die Rede, welches, da es nur als Bestimmung der freien
Willkür möglich ist, diese aber als gut oder böse nur durch ihre Maximen
beurtheilt werden kann, in dem subjectiven Grunde der Möglichkeit der
Abweichung der Maximen vom moralischen Gesetze bestehen muß und, wenn dieser
Hang als allgemein zum Menschen (also als zum Charakter seiner Gattung)
gehörig angenommen werden darf, ein natürlicher Hang des Menschen zum Bösen
genannt werden wird. Alexandrien: In diese Stadt in Ägypten lässt Bürger Münchhausen in Fünften See-Abenteuer von Kairo über den Nil reisen. Herostratus: Herostratos (lateinisch Herostratus, auch Herostrates; † ca. 356 v. Chr.) steckte den Tempel der Artemis in Ephesos, eines der sieben Weltwunder der Antike, absichtlich in Brand, um dadurch seinen Namen unsterblich zu machen.
Die Annahme, dass die Bibliothek zu Alexandria 48 v. Chr.
im Verlauf des Alexandrinischen Kriegs abbrannte, ist wohl falsch. Sie hat
nachweislich auch später bestanden, und vor allem ist es aus einigen Gründen
unwahrscheinlich, dass der von Caesar im Hafen gelegte Brand auch die
Bibliothek erreicht hat. Weder in den Schriften Caesars noch bei Strabon
oder Cicero wird Entsprechendes erwähnt. Vermutlich handelt es sich um eine
erst im 1. Jahrhundert n. Chr. entstandene Legende, denn die ersten Autoren,
die einen Brand der Bibliothek erwähnen, sind Seneca († 65) und Plutarch (†
um 125). Seneca spricht allerdings ohne zeitliche Angaben von einem Brand
von lediglich 40.000 Schriftrollen, und Plutarchs Behauptung, dass der von
Caesar verschuldete Brand die Bibliothek erreichte, ist kaum glaubwürdig. Sirenen: Eine Sirene ist in der griechischen Mythologie ein meist weibliches, in Darstellungen bisweilen bärtiges Fabelwesen (Mischwesen aus ursprünglich Mensch und Vogel, später auch Mensch und Fisch), das durch seinen betörenden Gesang die vorbeifahrenden Schiffer anlockt, um sie zu töten.
Nach der mythischen Geographie Homers lag die Insel der
Sirenen zwischen Aiaia, der Insel der Kirke, und der Stelle, an der sich
Odysseus entscheiden musste, durch die gefährlichen Plankten zu fahren oder
durch die Meerenge, an der Charybdis und Skylla hausten, und die später u.
a. oft mit der Straße von Messina identifiziert wurde. Laut einem
Hesiod-Fragment hieß die Insel der Sirenen Anthemoessa, doch wird deren
Position nicht genauer bezeichnet. Laut Aristoteles hieß aber Samos früher
Anthemoessa. Eine andere Überlieferung lokalisierte die Heimat der Sirenen
im Tyrrhenischen Meer, etwa auf den Sirenusen südlich der Halbinsel von
Sorrent oder am sizilischen Vorgebirge Pelorias nahe dem Ätna. Auch die
Insel Capreae (Capri) wurde als Wohnsitz der Sirenen genannt.
Gessner 1558, S. 522. Wassernymphen: Nereïden sind in der griechischen Mythologie die 50 Töchter des Nereus und der Doris. Sie sind Nymphen des Meeres, die Schiffbrüchige beschützen und Seeleute mit Spielen unterhalten. Sie wohnen in Höhlen am Grund des Meeres und sind Begleiterinnen des Gottes Poseidon. Auf vielen altgriechischen Darstellungen reiten die Nereïden auf dem Rücken von Delfinen oder Hippokampen.
Die Okeaniden sind die Töchter des Okeanos und der
Tethys, nur Hyginus gibt als ihre Eltern Pontos und Mare an. Ihre
Wirkungsbereiche sind das Meer und die Süßgewässer, die sie sich mit den
Nereiden (den Töchtern der Okeanide Doris) und den Nymphen teilen und von
denen sie nicht immer unterschieden werden.
Marco Dente 1493-1527), Ninfa con Tritone, Kupferstich, Ravenna um 1500. auf die Freyht: engl. freight: Beförderung, als Fachtgut |
Imperium Turcicum (Ausschnitt). Johann Baptist Homann [Hrsg.]: Atlas novus terrarum orbis imperia regna et status exactis tabulis geographice demonstrans. Nürnberg, [ca. 1729]