Theodor Heinrich Ludwig Schnorr Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande Bodenwerder 1794
|
|
Nun einige kriegerische Begebenheiten. Einst kommandierte ich ein Corps preußischer Husaren. Die Hitze war gerade in dem Sommer ganz fürchterlich. Wir mussten eben gegen Franzosen agieren. Wir griffen also von beiden Seiten zu unsern Säbeln, und bekamen die bloßen Griffe in die Hand. Die Klingen waren uns sämtlich in der Scheide geschmolzen. Die Pistolen und Flinten benebst Kanonen gingen von selbst los – alles Pulver entzündete sich, kurz, kein Mensch war seines Lebens sicher. Hier war nun nichts anders zu thn, als wir fäustcheten uns, so gut es gehn wollte, mit den Gefäßen auf den Köpfen herum. Gewiss habe ich in dieser Attaque mehreren tausenden das Gehirn zerschmettert, dass sie sogleich tot zur Erde niederstürzten. –––|[75]
Zu einer andern Zeit standen beide Armeen gegen einander im heftigsten Feuer. Zwei Kanonenkugeln kommen zu gleicher Zeit. Die eine nimmt einen halben Preußen, die andere einen halben Franzosen. Und – in demselben Augenblick fliegt der halbe Franzose auf den halben Preußen – und beide Halbkörper vereinigen sich so genau, dass man es dem Ganzen gar nicht ansehen konnte, als ob sich je eine Veränderung damit zugetragen. Die große Schnelligkeit, und die besondere Richtung der Kanonen musste das bewirkt haben. Aber nun der größeste Spaß. Der obere Teil ist immer in beständiger Bewegung. Der untere Teil steht fest wie eine Mauer. Der untere Teil, gewohnt zu stehen, soll mit fort, und will nicht. Endlich, als der obere Teil merkt, dass das Unterparlament nicht los will, sagt er: Mon Dieu! ick sonst gelauf konnt, als die Teuf. Eut aber, ist, als ob die schwere Not in thi Bein gekomm. Thi Bein, wer sick, stet sick als Preuß; aber thi Erz, thi Erz, is keen franzch Bein. Adieu! Damit sprang der Oberteil wieder herunter, und die ganze Pastete fiel um. –––|[76] Bei eben dieser Attaque hatten wir nicht länger, als in dreimal 24 Stunden, auch nicht ein Bisschen Brot oder Wasser genossen. Wir hatten die Franzosen aus Rock und Camisol gejagt. Mehr als 50000 tausend hatten über die Klinge springen müssen. Viere nahm ich im größten Heißhunger über. Sie gingen wie Fliegen hinunter. Aber was richteten diese Leichtfüße in meinem Magen an? Ärger wie die Würmer, die die Kinder quälen, nagten mich diese üblen Gäste, und machten mir das Leben müde. Es dauerte, Gottlob! nicht lange. Wir kamen endlich in ein Wirtshaus. Man brachte mir sogleich eine Suppe. Ich aß, musste mich übergeben, und – alle vier Franzosen kamen unversehrt aus meinem Leibe heraus, and machten über Hals über Kopf, dass sie fortkamen, und sahen sich um, als ob sie gejagt wurden. Nach geendigter Tafel wurde mir das Kommando aufgetragen, die Toten zu begraben. Welch ein Gewimmel war das auf dem Schlachtfelde! Welch ein Geschrei! Noch immer war man damit beschäftigt, die Toten auseinander zu suchen, die Krüppel zu verbinden, und sie auf Wagen fortzuschaffen. Da wurde mancher|[77] geworfen, dass ihm die Knochen zusammenkrachten. - Ein Franzos, der eben nach dem letzten Atem schnappte, bat um Pardon, „man möchte ihn doch nicht begraben.“ Man hatte ihn zwischen den Unsrigen liegen lassen. Ich hatte nun einmal einen tödlichen Hass gegen diese Leichtfüßchen. „Nichts da! Marsch;“ sagte ich. ,,Ich habe hier Ordre, zu begraben,“ und das mit musste er zu den andern ins Loch. Foudre und sacre Dieu! waren seine letzten Worte, wo mit er seine Seele ausblies. Mir deucht, ich sehe ihn noch immer vor mir. Dafür musste ich nun bei einer andern Gelegenheit büßen. Das Vergeltungsrecht bleibt nicht aus. Es war eben im Anfange des Winters. Und dieser war so heftig, dass sogar der Branntwein in den Flaschen gefror. Eben sollte, weil der Feind sich näherte, attackiert werden. Allein, was geschah? Ich mochte kommandieren, was, und wie ich wollte – ich mochte mich anstrengen, als wenn ich die Lunge zerschreien wollte – nichts half. Die Soldaten parierten nicht. Ich wusste erst gar nicht die Ursach, da sich doch meine Leute sonst so brav gehalten hatten, und Subordination gewohnt waren. Es dauerte nicht eine Stunde, und|[78] mein ganzes Corps, die besten Leute, wurden teils in die Pfanne gehauen, teils gefangen genommen, worunter ich denn unglücklicher weise war. Und – in demselben unglücklichen Augenblicke hörten nicht nur ich, sondern auch alle meine Leute, was ich kommandieret hatte. Warum? weil Tauwetter einfiel. Da hörte man in der Luft nichts, als: Marsch! Haut ein! Halt't euch brav! Feuer u. d. g. Wären meiner Leute nur mehr, und wir nicht alle gefesselt gewesen – wir hätten uns durchgeschlagen. Aber so – war alles in den Wind geredet, und ich – nolens volens – ein Kriegesgefangener. Bald darauf nahm ich mein Tempo wahr, machte mich los, indem ich die Türe des Gefängnisses aushob, sie zusammenklappte, die Wache über den Haufen schmiss, und so mich samt den Türen in vollem Galopp davon machte. Denn auf die Auslösung zu warten, dauerte mir zu lange – und gefangen sitzen, passt für keinen Kavalier, dachte ich. –––|[79]
|
kriegerische Begebenheiten: Da Schnorr den Baron von Münchhausen nun als preußischen Offizier in einen Kampf gegen Franzosen ziehen lässt, muss er sich den Siebenjährigen Krieg vorgestellt haben. Im Siebenjährigen Krieg von 1756 bis 1763
kämpften mit Preußen und Großbritannien/Kurhannover auf der einen und der
kaiserlichen österreichischen Habsburgermonarchie, Frankreich und Russland
sowie dem Heiligen Römischen Reich auf der anderen Seite alle europäischen
Großmächte jener Zeit. Auch mittlere und kleine Staaten waren an den
Auseinandersetzungen beteiligt. feustcheten: Wortschöpfung Schnorrs Attaque: franz. Angriff beide Armeen:
Hintergrund der folgende Erzählung könnte die Schlacht bei Minden vom 1.
August 1759 sein, eine eine militärische Auseinandersetzung während des
Siebenjährigen Krieges (1756–1763) vor den Toren der Festung Minden in der
preußischen Verwaltungseinheit Minden-Ravensberg, die von 1719 bis 1807 auf
dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen lag. Dabei trafen die Truppen
einer Koalition aus Großbritannien, Preußen, Braunschweig-Lüneburg (Kurhannover)
und Hessen-Kassel unter dem Befehl des Herzogs Ferdinand von
Braunschweig-Wolfenbüttel auf ein französisch-sächsisches Heer unter dem
Maréchal de France de Contades. Die Schlacht endete nach wenigen Stunden mit
einem entscheidenden Sieg der alliierten Verbände und dem Rückzug der
französischen Armeen. Damit verhinderte der Herzog von Braunschweig die
drohende Eroberung des Kurfürstentums Hannover durch die Franzosen und trug
so maßgeblich zum für Großbritannien erfolgreichen Ausgang des Krieges bei.
Louis Georges Érasme de Contades (1704-1795), Öl auf Lienwand, 1758 In der Chronik der „Münchhausenstadt“ Bodenwerden lesen wir: Nach der gewonnenen Schlacht bei Halstenbeck am 26.7.1757 bezogen die Franzosen in der Wesergegend von Hameln bis Polle Winterquartiere. Dabei hatte das nicht mehr durch Festungswerke geschützte Bodenwerder besonders schwer zu leiden durch Einquartierungen. [...] Bodenwerder und Umgebung atmete auf, als gegen Ende 1757 durch ein preußisches Husarenkorps die Franzosen vertrieben wurden; [...]. Rose 1937, S. 122f.
Schlacht bei Minden, kolorierter Kupferstich, um 1785 Camisol: ärmelloses Oberteil, das unter dem Uniform-Rock getragen wurde. Foudre und sacre Dieu!: Blitz und heiliger Donner! Eine weitere Quelle könnte eine Anekdote aus einem Münchhausen-Raubdruck von 1787 sein:
Bey dem Verlust der Roßbachischen Bartaille bereitete sich bekannt, ein
panischer Schrecken über die ganze vereinigete französische und Reichsarmee
aus, so daß eine Handvoll Preußischer Husaren eine zehnmal stärkere
Mannschaft in die Flucht trieb. Ein preußischer Husar zeichnete sich dabey
besonders aus, von Wuth durchdrungen, tödtete und hauete er alles nieder,
was ihm feindselig in den Weg kam, und ließ sich durch kein Schreyen um
Pardon! Pardon! Einhalt thun; indessen glückte es doch noch einem
französischen Grenadier Husaren-Wachtmeister zur Vernunft zu bringen, denn
als er ihm eben einen tödtlichen Streich versetzen wollte, Knieete der
Franzmann nieder, und schrie in voller Todesangst Pardon! Pardon! Camerad!
ick och en Docter Luther. Der Husar brach in ein Gelächter aus, und wurde
dadurch auf einmahl so zu sich zurückgebracht, daß er diesem und noch vielen
Flüchtlingen das Leben schenkte. Die Anekdote ist wörtlich entnommen aus: Vorfälle aus dem gemeinen Leben. In: Neue Miscellaneen, historischen, politischen, moralischen, auch sonst verschiedenen Inhaltes. Zwölftes Stück. Leipzig 1781, S. 944-954; hier S. 947f. In der Schlacht bei Roßbach in der Nähe von Reichardtswerben im Kurfürstentum Sachsen (heute Sachsen-Anhalt) am 5. November 1757 besiegte der preußische König Friedrich der Große die französische Armee unter dem Fürsten von Soubise (1715–1787) und die mit ihnen koalierende Reichsexekutionsarmee unter dem Kommando des Reichsgeneralfeldmarschalls Prinz von Sachsen-Hildburghausen. Die Schlacht markiert einen der Wendepunkte im Siebenjährigen Krieg: Seither beschränkte sich die Konfrontation mit Frankreich auf die westdeutschen Gebiete, erst 50 Jahre später unter Napoleon sollten französische Truppen wieder so weit nach Deutschland vordringen. Die Verbündeten, im Glauben die Preußen im Rückzug schlagen zu können, zogen gegen 14:30 Uhr die Kavallerie des Reserve-Korps unter Herzog Broglie sowie die Brigade Bourbon vor die eigenen Truppen, die nach Osten in drei Kolonnen marschierten, und eröffneten so die eigentlichen Schlachtbewegungen des Tages. Der Preußenkönig erkannte die Gefahr für seine linke Flanke vom Dachboden des Roßbacher Herrenhauses aus und entschloss sich seinerseits zum Angriff auf ebenjene entsandte Spitze der gegnerischen Armee. Generalmajor Friedrich Wilhelm von Seydlitz wurde daher umgehend mit 38 Schwadronen Kavallerie der Regimenter Garde du Corps, Gens d’armes, Rochow, Driesen, Czettritz, Meinicke, Leib-Kürassiere und Szekely zwischen Janus-Hügel und Posendorfer Berg beordert, um den Gegner anzugreifen. Da Seydlitz unbemerkt vom Gegner seine Position einnehmen konnte, traf seine gegen 15:30 Uhr ausgeführte, 6000 Reiter starke Attacke die vorgehenden Verbündeten, welche 15 Minuten lang durch preußische Artillerie vom Janus-Hügel her beschossen worden waren, schwer. Seydlitz, der geschickt in zwei Treffen, zuerst frontal, dann in einer Umfassungsbewegung auf den Flügeln angriff, warf den Feind im Handgemenge nieder und nahm die mitgeführte gegnerische Batterie. Ein Gegenstoß der Verbündeten-Reiterei unter Herzog Broglie scheiterte, ihre vorausgesandte Spitze zerstreute sich und strömte auf Storkau zurück. Bereits vor dem Angriff von Seydlitz, etwa gegen 14:30 Uhr, formierte Friedrich II. seine Infanterie Richtung Süden, und zwar derart, dass der stärkere linke Flügel mehr in Front stand als der rechte (siehe Schiefe Schlachtordnung). So „schief“ gestaffelt, erreichten die Preußen rasch die Linie Nahlendorf-Reichardtswerben, jetzt mit Front nach Südwesten, die drei marschierenden Kolonnen des Feindes auf sich zu kommend. Den Verbündeten gelang es nun lediglich, die vordersten Regimenter der drei Kolonnen in Position zu bringen. Diese, es handelte sich um die Regimenter Piemont, St. Chamont, Mailly, La Marck, Poitou und Provence, stellten sich den Preußen zum Kampf. Es war 16 Uhr. Aus der Kolonne nach rechts ausscherende fränkische Bataillone des Prinzen Georg von Hessen flohen, da sie von der durch Seydlitz geschlagenen zurückströmenden eigenen Reiterei demoralisiert und mitgerissen wurden. Den nun offenen rechten Flügel der Kolonnen umfasste der König und steigerte so die aufkommende Panik der drei Kolonnen, in denen Infanterie, Kavallerie und Artillerie vergeblich versuchten, sich zu entwirren und zur Entfaltung zu kommen. Die Panik gipfelte in wildem Schießen und steigerte sich zur Flucht, lediglich die Brigade Witemer hielt stand. Die verbündeten Regimenter, die sich vor den drei Kolonnen hatten entfalten können, gingen den Preußen entschlossen mit dem Bajonett entgegen. Feldmarschall von Hildburghausen führte persönlich das Regiment Piemont vor. Doch 40 Schritte vor der preußischen Linie schlug nachgezogene preußische Artillerie furchtbare Lücken, schließlich ging der Angriff im Peloton-Feuer, vor allem der Regimenter Nr. 5 und Nr. 9 des Königs, unter. Die formierten verbündeten Regimenter wichen zurück und flüchteten schließlich, genau wie die restlichen hessischen Truppen an der rechten Kolonnenseite. Seydlitz, der sich nach der ersten Attacke zwischen Tagewerben und Storkau erneut bereitgestellt hatte, vernahm aus seiner Position die Verwirrung beim Feind. Mit seinen beiden Treffen attackierte er gegen 17 Uhr die bereits zurückgehenden Verbündeten an ihrer rechten Flanke. Die Koalitionstruppen, sich nun von zwei Seiten umfasst sehend, zerstreuten sich in völliger Auflösung und unter Zurücklassung der meisten Geschütze in Richtung Pettstädt. Von den preußischen Kürassierregimentern Nr. 10 und Nr. 13 wurde der abziehende Feind bis über Gröst und Obschütz verfolgt. Die unmittelbare Folge der Schlacht, bei der die verbündete Reichsarmee und die Franzosen nahezu 25 % ihrer Truppen einbüßten, war ein enormer Prestigegewinn für Preußen. Generalmajor Seydlitz wurde mit 36 Jahren Generalleutnant und bekam den Schwarzen Adler-Orden. Eine weitere Folge des preußischen Sieges war der chaotische Rückzug der französischen Truppen in Richtung Westen. Die Reichsarmee sammelte sich derweil zwar wieder und nahm auch weiterhin am Kampf der kaiserlichen Österreicher gegen Friedrich teil, konnte aber keinen bedeutenden Beitrag zur militärischen Entwicklung des Krieges mehr leisten, was nicht zuletzt mit ihrer miserablen wirtschaftlichen Konstitution zusammenhing, wenngleich man als Hauptgrund sicher die mangelhafte Motivation der Truppe anführen muss: Das Gros der Soldaten entstammte dem protestantischen Milieu (so vor allem Sachsen und Württemberger) und empfand deshalb heimlich Sympathie mit dem allgemein als Vertreter der evangelischen Sache in Europa anerkannten preußischen Monarchen. Auch der Nimbus der siegreichen preußischen Armee, ihre modernere Ausbildungs- und Verpflegungssituation trugen vielfach zu massenhaften Desertionen besonders von Reichsarmeeangehörigen zu den preußischen Fahnen bei.
In Frankreich selbst wurden die Stimmen lauter, die für eine Beilegung
des Konfliktes mit Preußen eintraten. Insbesondere der frühere Fürsprecher
der Kriegspartei, der Außenminister François-Joachim de Pierre de Bernis,
erkannte die Aussichtslosigkeit weiterer Interventionen auf deutschem Boden
und sprach sich für einen Friedensschluss aus, was indes seiner Karriere am
französischen Königshof ein rasches Ende bereitete. Der Schlachtausgang
machte zugleich den kurz zuvor errungenen französischen Erfolg in der
Schlacht bei Hastenbeck und die anschließende Konvention von Kloster Zeven
wieder zunichte.
Schlacht bei Roßbach. Öl auf Leinwand, 154 x 195 cm. Museum im Schloss Neu-Augustusburg, Weißenfels, um 1757. Tauwetter: Schnorr variiert die Geschichte von den eingefrorenen Tönen des Posthorns, von denen Bürger im Kapitel Des Freiherrn von Münchhausen Eigne Erzählung berichtet. |