Caroline von Plechow oder Die Verfolgung von Wilhelmshaven nach Kopenhagen
Die Brüder Verne
Die beiden Männer, die am Abend dieses milden Junitages auf das Haus des Militärkommandanten zuschritten, sahen einander sehr ähnlich. Der ältere war ein mittelgroßer Mann mit breiter Brust, aufrechter und fester Haltung, hastigem und drängendem Gang. Seine vollen Haare und der kräftige Bart waren bereits ergraut, während die seines jüngeren Begleiters noch kräftige Schwärze zeigten. Beide Männer hatten eine regelmäßige und sympathische Gesichtsbildung, die von Augen durchsichtigen Blaus erhellt wurden, deren sehr kleine Pupillen ihrem Blick eine tiefe Eindringlichkeit und eine erstaunliche Schärfe verliehen. Die Haut ihrer Gesichter war wie vom Seewind gegerbt und durch das lebendige Muskelspiel der Augen voller Falten. Den älteren zeichnete eine Mischung von Sanftheit und Trockenheit aus, während der jüngere milder und freundlicher wirkte. Er konnte fast ein Ebenbild des älteren genannt werden, doch war das Gesicht schmaler, der Gang nicht ganz so energisch wie bei seinem Bruder, denn es waren Geschwister, denen wir hier bei der Ankunft in einem ihnen bisher fremden Land begegnen.
Die beiden kamen vom Außenhafen des neu gegründeten Marinestützpunktes, in den sie mit ihrer Jacht erst am Mittag desselben Tages eingelaufen waren. Als sie mit einiger Unsicherheit, ob ihr Besuch auch willkommen sein werde, den Hafenkapitän aufsuchten, waren sie sehr überrascht, mit welcher Offenheit dieser sie begrüßte, denn zu dieser Zeit war der Besuch einer französischen Jacht in einem deutschen Marinehafen keine Alltäglichkeit. Der Kapitän fragte sie nach Ihren Absichten, wünschte ihnen einen guten Aufenthalt und schickte eine Ordonnanz zum Admiral-Gouverneur von Wilhelmshaven, da Jules, der ältere der beiden Brüder, den Wunsch geäußert hatte, den Militärhafen an der Westseite des Jadebusen zu besichtigen.
Admiral von Plechow ließ sich wegen dringender Termine entschuldigen, befahl aber dem Hafenkapitän, die beiden Besucher durch sämtliche Anlagen zu führen und lud die Franzosen am selben Abend zu einem Umtrunk ein, den er ihnen zu Ehren veranstalten wollte. Zwar versuchten die Brüder, jedes Aufsehen zu vermeiden, denn sie fühlten sich ungeeignet, ihre Nation bei einem offiziellen Empfang zu vertreten und betrachteten ihre Reise als Privatangelegenheit, doch konnten sie diesmal schon aus Höflichkeit nicht nein sagen.
Am Nachmittag waren Jules und sein jüngerer Bruder Paul von Hafenkapitän Möller durch die neuen Anlagen von Wilhelmshaven geführt worden; dabei hatten sie erfahren, dass diese militärische Anlage erst seit fünfzehn Jahren bestand.
Wilhelmshaven war das einzige militärische Etablissement, welches das aufstrebende deutsche Reich an der Nordsee zu dieser Zeit besaß, und wurde mit rastlosem Eifer ausgebaut, so dass es in absehbarer Zeit eine Festung von erstem Rang darstellen musste. Seine Lage tief im Jadebusen schützte es vor direkten Bombardements von der Seeseite und bildete eine natürliche Verteidigung, die nach Entfernung der Seezeichen für jede feindliche Flotte so gut wie unerreichbar bleiben musste, da das Fahrwasser in die Bucht hinein außerordentlich gewunden und die Strömung sehr schnell ist. Aber selbst wenn es ein mutiger Kapitän wagen sollte, sich in feindlicher Absicht seinen Weg zu erzwingen, so schützten die starken Batterien an der Mündung der Bucht den Hafen dennoch, weil jedes Schiff hilflos dem verheerenden Feuer und den Torpedos aus kurzer Entfernung ausgeliefert wäre, so dass die Verteidiger in kurzer Zeit alles in Grund und Boden geschossen hätten.
Die Brüder hatten diesen strategischen Vorteil nicht nur aus dem Munde des Kapitäns vernommen, der seinen Stolz über den Hafen auch gar nicht verhehlte; der Augenschein selber zeigte ihnen die Vorzüge dieses Ortes, und sie waren sich schnell darüber im Klaren, warum der Admiral gar nichts gegen den Besuch von interessierten Franzosen einzuwenden hatte, denn die Kenntnis der Verhältnisse im Jadebusen musste eine Abschreckung für jeden möglichen Angreifer darstellen.
In dem Jahr, in dem unsere Erzählung spielt, waren solche Besuche keine Selbstverständlichkeit; noch zu frisch war die Erinnerung an die Demütigung, die Frankreich im Kriege durch die deutschen Truppen hinnehmen musste. Allerdings waren Revanchegedanken den friedlichen Naturen der Brüder fremd; sie bewunderten die technischen Leistungen einer jeden Nation mit klarer Aufrichtigkeit und besuchten mit großem Interesse solche Orte, an denen sich der Erfindergeist des 19. Jahrhunderts in imponierender Weise selbst darstellte, sei es nun in Frankreich, England, Deutschland oder sonst an einem Ort auf dem Erdkreis, zu dem die Winde und die Dampfkraft ihrer Jacht sie zu tragen imstande waren.
Mit besonderem Interesse nahmen sie die neuesten Geschütze zur Kenntnis, deren Vierundzwanzig-Zentimeter-Rohre nach der Beteuerung des deutschen Kapitäns jeden Panzer noch in der Entfernung von achthundert Metern zu durchbohren vermochten. Die Geschütze waren auf der Fregatte „Mars“ montiert, die gerade in Wilhelmshaven lag; deren Kapitän führte sie von einem Krupp’schen Geschütz zum nächsten und lobt die Vorzüge der neuesten deutschen Waffentechnik in höchsten Tönen. Ganz zwanglos erzählte er den Franzosen von einem Unfall, der sich vor einiger Zeit an Bord ereignet hatte: Dabei war eine Granate geplatzt, als sie eben in das Geschützrohr eingeführt werden sollte, hatte die Krupp’sche Kanone zerrissen und erhebliche Verheerungen angerichtet. Acht Mann waren sofort getötet und noch mehr verletzt worden.
Doch schien es den Brüdern, dass die Deutschen solche Unglücke eher als sportliche Herausforderungen denn als Schicksalsschläge betrachteten, um in Zukunft mit der neuen, gewaltigen Technik noch perfekter hantieren zu können.
Schließlich fügte der Kapitän noch hinzu, dass eines der neuen deutschen Panzerschiffe kürzlich beinahe untergegangen wäre, indem es wegen eines falschen Manövers gegen den Hafendamm in Kiel anlief und leck schlug. Von diesem Unfall hatten die Besucher in keiner französischen Zeitung eine Nachricht gelesen; umso mehr waren sie von der Offenheit des Deutschen überrascht.
So war es nicht verwunderlich, dass die Brüder bei ihrem Weg zum Hause des Admirals in intensivem Gespräch über die Fülle der unerwarteten Eindrücke und Erfahrungen des Tages vertieft waren, als sie plötzlich von Pferdegetrappel und dem warnenden Ruf: „Afuera! Afuera!“ aufgeschreckt wurden.
Ein Reiter hatte ihn ausgestoßen, der im vollen Galopp von hinten heran geritten kam und das Pferd ohne Rücksicht auf die Spaziergänger in wilder Jagd über die Straße trieb. Geistesgegenwärtig konnte Paul seinen Bruder noch zur Seite reißen, da war der Reiter auch schon an ihnen vorbei und sprengte unbekümmert weiter.
„Welch ein Teufel!“ rief Jules, der bei der Rettungsaktion gestrauchelt war. „Fast hätte er mich nieder geritten.“
„Das ist die ungeduldige Art der Deutschen!“ bemerkte Paul, indem er dem Bruder auf die Beine half.
„Du hast dir die Hose beschmutzt! Nun, wir werden Gelegenheit haben, uns bei unserem Gastgeber über das Betragen seiner Soldaten zu beschweren, die harmlose Spaziergänger zu Schanden reiten.“
„Ich glaube nicht, dass ein Deutscher auf dem Pferd gesessen hat“, versetzte Jules, der seine Fassung wiedererlangt hatte. „Der Mann trug eine bunte Uniform, und sein Ruf klang mir eher wie eine Warnung auf Spanisch!“
„Aber wie sollte ein spanischer Kavallerieoffizier ausgerechnet durch Wilhelmshaven an der Nordsee reiten?“ fragte Paul spöttisch.
Beide hatten keine Gelegenheit mehr, über den Verursacher des Unfalls zu spekulieren, denn sie waren um eine Häuserzeile gebogen und standen vor einem stattlichen Gebäude, das der Beschreibung entsprach, die der Hafenkapitän ihnen vom Wohnsitz des Admirals gegeben hatte. Der Eingang war geöffnet, eine Wache stand in militärischer Haltung davor, Offiziere wurden eingelassen und Bediente führten gerade ein Pferd nach hinten.
„Unser wilder Reiter scheint auch geladen zu sein“, sagte Paul, „und so werden wir wohl nicht lange über seine Identität im Unklaren bleiben.“
Sie traten durch die prächtige Tür in eine geräumige Vorhalle, und Jules gab seine Karte ab. Nach kurzer Zeit trat ihnen ein älterer Mann in tadelloser Uniform entgegen und begrüßte sie in bestem Französisch.
„Es ist mir eine Ehre, den berühmten Schriftsteller und seinen Bruder in meinem Hause begrüßen zu dürfen; seien Sie mir willkommen, Messieurs!“
Dabei verbeugte er sich knapp. Die Gäste erwiderten den Gruß und Jules erwähnte entschuldigend seinen Unfall, durch den er nun doch leicht das Bein nachziehen musste. Admiral von Plechow zeigte sich bestürzt über solch eine Rücksichtslosigkeit, entschuldigte sich seinerseits bei seinen Gästen und versprach sofortige Aufklärung des Vorfalls. Er bat die Brüder in das Speisezimmer, in dem bereits eine kleine Gesellschaft Uniformierter anwesend war.
Sie wurden den Damen des Hauses vorgestellt; die Gemahlin des Admirals war eine füllige und freundliche Erscheinung, die ebenfalls in gutem Französisch ihrer Hoffnung Ausdruck gab, dass die Gäste sich in ihrem Hause wohl fühlen mögen. Neben ihr stand ihre hübsche, gerade siebzehnjährige Tochter, die sie als Caroline vorstellte; erst nach einigem Zureden (in deutscher Sprache) überwand das Mädchen seine Scheu und begrüßte die Brüder ebenfalls in Ihrer Muttersprache.
„Bitte nehmen Sie es meiner Tochter nicht übel, dass sie nicht unbefangener mit Ihnen zu sprechen vermag“, sagte Frau von Plechow zu Jules, „doch sie ist eine große Verehrerin Ihrer Romane, Monsieur Verne.“
Und als die Tochter errötete, ermunterte sie das Mädchen:
„Lass dir von Herrn Verne eine Widmung einschreiben, er wird es dem Gastgeber gerne gewähren!“
Das Mädchen nahm ein Buch von einem nahen Tisch und reichte es dem Schriftsteller, der zur Seite trat und eine Widmung hineinschrieb. Nicht ungern sah er dabei, dass es sich um eine prächtig illustrierte deutsche Übersetzung der „Geheimnisvollen Insel“ handelte, die bei Hartleben in Wien erschienen war.
„Ihr Anliegen, Mademoiselle von Plechow, hat geradezu symbolische Bedeutung“, bemerkte Jules, als er dem jetzt vor Aufregung glühendem Mädchen den Band in die Hand drückte, „denn ich bin wirklich auch wegen des Absatzes meiner Romane nach Deutschland gekommen.“
„Darüber müssen Sie uns nähere Einzelheiten berichten“, sagte Frau von Plechow, doch ihr Gatte unterbrach sie.
„Zunächst muss ich die Gäste den anderen Anwesenden vorstellen.“
So entführte er die Brüder und stellte sie den anderen Offizieren vor, die alle geläufig französisch sprachen. Als Paul darüber seiner Verwunderung Ausdruck gab, bemerkte der Admiral nur: „Das deutsche Reich ist noch jung an Jahren und kann nicht auf eine Tradition zurückblicken, wie die Grande Nation; das sprachliche Rüstzeug für ein angemessenes Auftreten auf internationalem Parkett besitzen die deutschen Offiziere aber wohl.“
Nun war der Moment für den ersten Toast da; der Admiral nahm ein Glas, schlug leicht aber energisch mit seinem Siegelring an den Rand und blickte in die Runde. Als die Gespräche verstummt waren und sich die Aufmerksamkeit aller auf ihn gerichtet hatte, sprach er:
„Meine Herren! Wir begrüßen unsere französischen Gäste mit diesem Sekt aus Frankreich“ – er hob sein Glas und Jules wies seinen Bruder dezent darauf hin, dass die Bedienten die Gläser der Gäste aus Flaschen mit den ihnen bestens vertrauten Portrait der Veuve Clicquot nachfüllten – „als Vertreter einer glorreichen Nation, deren Zivilisation wir achten und deren technischen Errungenschaften wir bewundern. Monsieur Verne hat uns mit seiner Geschichte von der Nautilus ein eindrucksvolles Bild von der Zukunft der Marine gezeichnet und es wird nicht mehr lange dauern, bis sein Tauchboot, das ja bisher nur in unserer Fantasie existiert, von tüchtigen Ingenieuren wirklich gebaut und von tapferen Soldaten durch die Meere der Welt gesteuert wird.“ – Jules erinnerte sich an die Niederlage von anno siebzig und daran, dass sich seine Landsleute damals als die glorreich Besiegten bezeichnet hatten – Und während der Admiral sein Glas grüßend hob, sagte er: „Seine Majestät der Kaiser und König lebe hoch!“
Bald entwickelte sich ein zwangloses Gespräch über die Zukunft der europäischen Nationen, in dem beide Seiten, die Deutschen wie die Franzosen, in Achtung vor den Errungenschaften des jeweils anderen Landes sprachen. Die Vernes waren erfreut, dass sie selbstbewussten Vertretern einer aufgeschlossenen Nation begegnet waren, denen man den Bismarck’schen Geist des europäischen Ausgleichs anmerkte, eine Haltung, die ihrem eigenen Wunsch nach gegenseitiger Anerkennung und Versöhnung entsprach. So sonnten sich die Deutschen in ihrer regionalen Abgeschiedenheit des stillen Provinzortes ein wenig im Glanz des Ruhmes eines bedeutenden Schriftstellers, während die ausländischen Besucher die zuvorkommende Gastfreundschaft sichtlich genossen.
Die angenehme Gesprächsatmosphäre wurde jäh unterbrochen, als sich polternd ein weiterer Gast einstellte, der sich in den oberen Räumen des Hauses aufgehalten hatte und nun zu den übrigen Gästen trat. Die deutschen Offiziere grüßten den Neuankömmling sichtlich distanziert, der in der Tat nicht nur durch sein lautes Auftreten von den anderen abstach, sondern auch durch seinen bunten Aufzug. Der Fremde trug eine spanische Offiziersuniform, die im Gegensatz zur funktionalen Galauniform der Deutschen überladen und veraltet wirkte. Seine lange, hagere Gestalt hatte etwas Schleichendes, etwas heimlich Einbohrendes an sich, und die Züge seines scharfen, aus der steifen Halsbinde herausragenden Gesichtes zeigten etwas so entschieden Raubvogelartiges, dass es schwer hielt, diesen Mann nicht zu fürchten. Der Eindruck seines abstoßenden Gesichts wurde verstärkt durch den unsteten lauernden Blick seiner Augen, die sich dann bald hinter ihre Lider zurückzogen, und bald dann wieder so stechend hervor schossen, dass man sich des Gefühls nicht erwehren konnte, man stehe vor einem giftigen Polypen, dessen Fangarmen man rettungslos verfallen sei.
Solche Gefühle müssen auch die Tochter des Hauses bestimmt haben, denn sie zuckte unwillkürlich zurück und ein Schauer durchlief ihre junge Gestalt, als der Offizier sie im Vorbeigehen wenig rücksichtsvoll mit seinem Körper streifte.
Der Admiral schritt zu dem Neuankömmling, nahm ihn beim Arm und führte ihn zu den französischen Gästen.
„Darf ich Ihnen den spanischen Militärattaché Graf de Esteban vorstellen, meine Herren. Messieurs Jules und Paul Verne.“
Der Spanier zog die Mundwinkel empor, nickte kurz und sagte abschätzig:
„Caramba! Franches!“
Paul war zurückgetreten; überrascht sagte er zum Admiral:
„Dieser Mann war es, der uns beinahe nieder geritten hat!“
„Wie? Sie waren der ungestüme Reiter?“ fragte der Admiral. „Graf Esteban hält sich im Auftrag seiner Regierung bei uns auf und ist Gast in meinem Hause“, sagte er erklärend zu den Brüdern.
„Sollen die Franzosen doch aufpassen!“ murmelte der Graf.
„Ein Wort der Entschuldigung bei meinen Ehrengästen wäre hier wohl angemessen, Graf.“ sagte der Admiral bestimmt.
„Hijo oe perra!“ zischte der Gemaßregelte mit wütendem Gesicht und wandte sich ab.
Das war unseren Franzosen, die ein wenig Spanisch verstanden, denn doch zu viel.
„Eine Entschuldigung verlange ich von Ihnen gar nicht, mein Herr, doch bin ich nicht geneigt, mich beleidigen zu lassen!“ stieß Jules hervor, der wie sein Bruder blass vor Zorn geworden war.
„Wie? Er hat Sie beleidigt?“ fragte der Admiral, der des Spanischen nicht mächtig war.
Die Gespräche verstummten, man bildete einen Kreis um die Gruppe und harrte der Dinge, die sich entwickeln würden. Der Spanier blickte geringschätzig über die versammelten Personen, als Admiral von Plechow laut und deutlich fragte:
„Ist das wahr, Graf Esteban? Haben Sie meine Gäste beleidigt?“
„Ou importa un pito! Soll ich mich mit diesem Pack abgeben?“
Und zu Jules gewandt sagte er noch: „Vete a haur puñetas!“
Obwohl der Admiral den Inhalt der spanischen Flüche nicht verstanden hatte, war ihm der aggressive Tonfall nun doch Anlass, energisch Einhalt zu gebieten.
„Mein Herr! Ich möchte doch sehr bitten! Sie genießen meine Gastfreundschaft ebenso wie jeder andere, den ich in mein Haus einlade. Aber das gibt Ihnen nicht das Recht, meine Gäste zu beleidigen. Sie werden sich auf der Stelle bei den Messieurs entschuldigen und dann ihr Zimmer aufsuchen. Morgen werde ich ein Ehrengericht einberufen, das über diesen Vorfall befinden wird!“
Der Spanier brach in unflätiges Gelächter aus.
„Sie wollen mich vor ein deutsches Ehrengericht zitieren? Madre de Dios! I deliras!“
Nach diesen Worten wurden Unmutsäußerungen aus den Reihen der Offiziere immer lauter, und auch dem spanischen Grafen wurde jetzt deutlich, dass sich eine Menschenwand gegen ihn zu formieren begann. Er überblickte noch einmal die Gesellschaft, als wäge er seine Chancen ab, heil aus dieser Situation herauszukommen, dann sagte er knapp:
„Nun, morgen reise ich ab und den Damen zuliebe will ich nachgeben. Ajo y Agna! Meine Herren, entschuldigen Sie ... mich!“
Damit drehte er sich auf dem Absatz um und eilte aus dem Raum, noch ehe einer der Anwesenden etwas hätte erwidern können.
Die Herren Offiziere gaben ihre Zurückhaltung nun auf, deutliche Äußerungen des Unwillens wurden vernehmbar, ja einige machten gar Anstalt, dem Spanier zu folgen, als der Admiral laut zu seinen Gästen sprach:
„Meine Herren! Ich bitte Sie, lassen Sie uns zu unserem Gespräch zurückkehren. Im Namen aller Offiziere, die unter meinem Kommando stehen, missbillige ich dieses Verhalten aufs entschiedene und entschuldige mich bei unseren französischen Gästen für diesen schamlosen und unwürdigen Auftritt. Leider bindet der diplomatische Status dieses Mannes mir die Hände, doch will ich morgen höheren Ortes Beschwerde führen, damit uns ein weiterer Skandal dieser Art erspart bleibt.“
Paul und Jules versicherten ihren Gastgebern mehrfach, dass sie dem Vorfall keine weitere Bedeutung beimessen wollten, und man beruhigte sich nach und nach, doch wollte sich die vorherige gelöste Stimmung nicht wieder einstellen. Einige Offiziere bedauerten lebhaft, dass neuerdings der Zweikampf mit tödlichen Waffen unter Strafe gestellt worden war, da im vorliegenden Fall ihrer Meinung nach eine Forderung auf Pistolen die einzig angemessene Antwort darstelle.
So ging die Gesellschaft auseinander, ohne dass jemand den ungehobelten Spanier noch einmal zu Gesicht bekommen hatte. Der Hausherr, aber vor allem die Damen konnten ihrem Bedauern über den peinlichen Vorfall nicht genug Ausdruck geben und baten die Brüder eindringlich, sie in den nächsten Tagen noch einmal als Gäste zu beehren; Paul erklärte mit Bedauern, die Abreise am folgenden Tag sei beschlossene Sache, und sobald der erwartete Gast aus Sachsen eintreffe, den man aus geschäftlichen Gründen dringend erwarte, wolle man die Reise entlang der deutschen Küste über Hamburg, Friesland und Jütland fortsetzen, um Norwegen einen Besuch abzustatten, ein Ziel, das sich beide Brüder seit langem sehnlich gewünscht hatten. Die Damen zeigten Verständnis, Caroline fragte aber, ob sie nicht auf dem Rückweg noch einmal in Wilhelmshaven vor Anker gehen würden?
Paul lachte herzlich und erklärte, dass sie dies wohl ernsthaft überdenken müssten, wenn sie auf solche charmante Weise gebeten werden, was die junge Dame erneut erröten ließ.
So schied man bereits am frühen Abend mit den gemischten Gefühlen, angenehme Bekanntschaft unter weniger angenehmen Bedingungen gemacht zu haben, und die Franzosen gingen zum Schiff zurück.