Gottfried August Bürger
Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande
London 1788
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Des Freiherrn von Münchhausen Eigene
Erzählung
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Daniel Chodowiecki: In der Kassubei. Kupferstich aus der Serie Von Berlin
nach Danzig, 1773.
Goethezeitportal: http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6449 |
[(12)]Des
Freiherrn von Münchhausen
Eigene
Erzählung.
–––
Ich trat meine Reise nach
Russland von Haus ab mitten im Winter an, weil ich ganz richtig
schloss, dass Frost und Schnee die Wege durch die nördlichen Gegenden von
Deutschland, Polen, Kur- und Liefland,
welche, nach der Beschreibung aller Reisenden, fast
noch elender sind, als die Wege nach dem
Tempel der Tugend, endlich,
ohne besondere Kosten hochpreislicher wohlfürsorgender Landes-Regierungen,
ausbessern|[14] müsste. Ich reisete zu Pferde, welches, wenn es sonst nur
gut um Gaul und Reiter steht, die bequemste Art zu reisen ist. Denn man
riskiert alsdann weder mit irgend einem höflichen deutschen Postmeister eine
Affaire dʼhonneur zu bekommen, noch von
seinem durstigen Postillion vor jede Schenke geschleppt zu werden. Ich war
nur leicht bekleidet, welches ich ziemlich übel empfand, je weiter ich gegen
Nordost hin kam.
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Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
welche,
nach […] der Tugend,] B1 und B2: welche jeder Reisende, als fast noch
elender, wie die Wege nach dem Tempel der Tugend, beschreibet, [...]
Tempel der Tugend: Die Chinèa (ital. auch
acchinèa) war ein Tribut, der von den Königen von Neapel als Vasallen des
Papstes zum Zeichen ihrer Treue an die Päpste zu zahlen war. Der Tribut
wurde vermutlich erstmals im Jahre 1059 vom normannischen Herrscher in
Süditalien Robert Guiskard entrichtet. Die eigentliche Chinea-Zeremonie
wurde 1265 unter Karl I. von Anjou und Papst Clemens IV. begründet und
dauerte bis 1788 in zeremonieller Form und danach noch als Geldverpflichtung
bis 1855.
Wikipedia
Das Chinea-Fest wurde von zahlreichen Künstlern durch temporäre Bauten
und bildliche Darstellungen gestaltet. Darunter war auch ein Tempel der
Tugend, zu dem der Aufstieg beschwerlich gewesen sein soll.
Prospetto in veduta della Prima Macchina rappresentante il Tempio della
Virtù (Tempel der Tugend; erste ephemere Architektur anlässlich der „Festa
della Chinea“ im Jahr 1724 in Rom). Kupferstich von Francesco Faraone
Aquila (um 1676-1740 tätig), Rom 1724.
Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett
höflichen]
B1 und B2:
B 1, S 18
Reise nach Russland: Der historische
Münchhausen reiste im Jahre 1738 von seinem Gut in Bodenwerder über Riga
nach Sankt Petersburg. Zunächst dient er Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel
als Page, der in Sankt Petersburg ein Regiment befehligte, Ende Dezember
1739 wurde er in das inzwischen bei Riga stationierte Regiment
„Braunschweig-Kürassiere“ aufgenommen. Insofern entspricht der Beginn der
Erzählung einer Reisebeschreibung. Die Stadt Riga war seit 1721 Teil des
Zarenreichs.
Polen: Das Territorium Polens reichte
bis nach Livland.
Kur- und Liefland: Kurland, die
westliche Provinz des heutigen Lettland an der Ostsee, war ein im 18.
Jahrhundert zwischen Polen und Russland umstrittenes Herzogtum.
Livland war die Bezeichnung des Gebietes im Nordosten des heutigen Lettland
und im Süden des heutigen Estland, im 18. Jahrhundert semiautonomes
kaiserlich-russisches Gouvernement.
Affaire
dʼhonneur:
Ehrenhandel,
Duell
Der
Zusatz Bürgers vom 'höflichen' deutschen Postmeister bezieht sich zunächst
allgemein auf seine Abneigung gegen die Postmeister; im besonderen aber auf
die Händel, in welche sein Kollege, der Historiker Schlözer in Göttingen,
mit dem dortigen Postmeister Schröder und Postverwalter Mylius, sowie mit
dem Postmeister Dietzel in Northeim geraten war. — Auch bei Rudolf Erich
Raspe hat ein Postmeister eine Rolle gespielt. Im Herbst 1774 versuchte der
Paderborner Postmeister Daltrop vergebens, eine Forderung von 300 Rthlrn an
Raspe einzutreiben. Raspe aber war tief verschuldet und konnte in Kassel
kein Geld mehr auftreiben. Ein halbes Jahr später mußte er nach England
fliehen. Offensichtlich handelte es sich um eine Forderung für dienstliche
Fahrten. Daltrop wandte sich dann an das Generaldirektorium. Dieses gab ihm
den Bescheid, daß er nicht auf den Ersatz seiner Rechnung zu rechnen hat, da
dem gewesenen Rat Raspe dieses Geld bereits vergütet worden.
Wackermann 1969, S.
43, Anm.
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Poloniae Regnum [...]. In: Seutter, Matthäus; Roth, Matthäus [Hrsg.]: Atlas
Novus Indicibus Instructus, [...] Wien 1736.
Im November 1785 erscheint Baron Munchausen's Narrative of his marvellous
Travels and Campaigns in Russia. Das Buch tritt als Bericht über Abenteuer in
Russland auf. Wenig später ist die zweite, durch Abenteuer zur See vermehrte und
illustrierte Ausgabe auf dem Markt – auf dem Titel ist keine Rede mehr von
Russland, dafür zweimal vom Helden. Und so geht es weiter, Schlag auf Schlag,
bis zur sechsten Ausgabe, jedes Mal mehr, jedes Mal mit variiertem Titel, von
der Third Edition an mit Gulliver revived beginnend, l789 schließt die Sixth
Edition, ergänzt um den Bericht von einer Reise nach Amerika, die Reihe der bei
dem Verleger Kearsley erschienenen Erweiterungen vorläufig ab. l792 bringt ein
anderer Verleger einen zweiten Band heraus: A Sequel to the Adventures of Baron
Munchausen. Es ist vom englischen Münchhausen die Rede, weil schon ein halbes
Jahr nach der Erstausgabe die Übertragungen in andere Sprachen einsetzen,
verbunden mit Änderungen am Inhalt, die über die übliche Anpassung an die neue
Sprachehinausgehen. Markantes Beispiel dafür ist die erste französische Ausgabe
von 1786/1787, in der Münchhausens unwahrscheinliche Geschichten auf überhöhten
Alkoholgenuss zurückgeführt werden; das Büchlein endet damit, dass der Baron
sich in trunkenem Zustand mit seinen Gästen schlägt und – stark blessiert –
Besserung verspricht. Solche Gepflogenheiten führen zu französischen,
holländischen, russischen und deutschen Münchhausen-Kulturen, deren Eigenarten
sich im 19. Jahrhundert auch in den Illustrationen niederschlagen. Kaum eine der
frühen Übersetzungen entspricht dem Raspeschen Originaltext oder hat diesen zur
Vorlage, üblich ist der Verschnitt. […]
Wieviel Munchausen stammt von Raspe? Als J. Hawkins mit C. Lyell über Raspes
Munchausen-Autorschaft korrespondierte, gab es 90 Ausgaben in England und
Amerika, mit 20 verschiedenen Titeln und im Umfang von 24 bis 263 Seiten. Die
inhaltlichen Abweichungen sind weitreichend. Von 20 englischsprachigen Ausgaben
zu Raspes Lebzeiten sind acht in Amerika erschienen; rechnet man Nachdrucke ab,
bleiben sieben Ausgaben als Kandidaten für Raspes Urheberschaft. Es würde den
Rahmen dieser Studie überschreiten, den Nachweis für jede Etappe zu erbringen,
insbesondere für den Fortsetzungsband von 1792 (Tab. 1).
Wiebel Anm. 45; Die Ausgabe ist numerisch die siebte, nicht identisch mit der Seventh Edition (1793/16.10.1792) bei Kearsley, welche textgleich mit der Sixth
Edition ist.
Über die Beziehung zwischen Raspe und den Verlegern ist nichts bekannt. Aber
erstaunlicherweise hat noch niemand untersucht, wie die Verlagsprogramme rund um
Munchausen aussahen. Es dominiert der Mythos vom armseligen Raspe, der aus Not
fast zufällig im unwirtlichen Cornwall das Vade Mecum übersetzt und in London
seinen Text heimlich dem x-beliebigen Buchhändler Smith übergeben habe;
dieser habe das Manuskript an Kearsley verkauft und der wiederum habe mit Symonds
einen Vertrag zur Zusammenarbeit für den zweiten Band geschlossen. Gegen solche
Spekulationen spricht die Beobachtung, dass Munchausen bestens in die
Satiren-Angebote von Smith und Kearsley passt, zwischen den Bestseller The
Beggar's Opera von John Gay und Billy Brass – a Political Hudibrastic (1781 und
1785 bei Smith) und neben Memoirs of the Northern Imposter – or Prince of
Swindlers (1786, 9. Aufl. bei Kearsley). Hawkins schreibt: „He [Raspe] sold that
Mss to Kearsley of Fleet Street.“ Die Aussage steht im Widerspruch zu der
Tatsache, dass Smith der Verleger der ersten beiden Ausgaben war. Allerdings
firmiert Smith an derselben Adresse wie Kearsley. Und Munchausen ist nicht das
einzige Buch, das Kearsley von Smith übernommen hat. Hawkins kann sich nach 40
Jahren geirrt haben, oder er meint ein anderes als das erste Manuskript, eines
für die Erweiterung(en) bei Kearsley. Bei dieser Lesart des Briefes wäre Raspes
Autorschaft bis zur 3rd Edition, der ersten bei Kearsley, bestätigt. Nimmt man,
wie üblich, „Mss“ als Abkürzung für den Plural manuscripts, trotz Singular von „that“,
dann können alle Ergänzungen bis zur sechsten Ausgabe gemeint sein; dann wäre
Raspe Autor aller Ausgaben des ersten Teils (Tab. 2).
Das Markenzeichen Gulliver tritt im Titel gleichzeitig auf mit dem
Verlagswechsel von Smith zu Kearsley. Seit 60 Jahren gab es Jonathan Swifts
Gulliver- mit fast gleich bleibendem Titel, an dessen Erfolg man anknüpfen will.
Titeländerungen durch Raspe signalisieren jeweils eine Modifikation im Innern
des Buches. Außerdem sei darauf hingewiesen, dass in der 4th Edition durch den
Wechsel von of zu by Baron Munchausen behauptet wird, dieser sei der Autor des
Buches. Kommen wir auf die Frage zurück, wie weit Raspes Autorschaft reicht. Die
Sequel (= Fortsetzung) als ganz neues Buch nimmt eine Sonderstellung ein. Das
Titelblatt enthält eine Widmung an den Nilquellenforscher James Bruce, dessen
Bericht über das Innere Afrikas bei den Lesern heftigen Unglauben ausgelöst hat.
Die Widmung verleitet, die Sequel lediglich als Satire auf den Inhalt von
Bruce's Reisebeschreibung zu verstehen. A Sequel entpuppt sich jedoch als ein
Feuerwerk von Anspielungen auf die europäische Politik und Kultur, Bruce spielt
gar keine Rolle. Der Baron kämpft gegen Don Quixote, trifft Louis XVI. mit Marie
Antoinette, siegt glorreich in Indien und beherrscht in Afrika ein Volk
Einheimischer durch die Verteilung von Leckereien, die zugleich Lug und Betrug
sind (= fudge). A Sequel ist durchsetzt mit witzigen Anspielungen auf die
Französische Revolution.
Wiebel 2005b, S. 117
Nun kann man sich einbilden, wie bei so strengem Wetter,
unter dem rausten Himmelsstriche, einem
armen alten Manne
zu Mute sein musste, der in Polen auf einem öden Anger, über den der Nordost
hinschnitt, hülflos und schaudernd dalag, und kaum hatte, womit er seine
Schamblöße bedecken konnte.
Der arme Teufel dauerte mich von
ganzer Seele. Ob mir gleich selbst das Herz im Leibe fror, so warf ich
dennoch meinen Reisemantel über ihn her. Plötzlich erscholl eine Stimme vom
Himmel, die dieses Liebeswerk ganz ausnehmend herausstrich, und mir zurief:
Hol mich der Teufel, mein Sohn,
das soll dir nicht unvergolten
bleiben!|
|
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
einem armen
alten Manne […] bedecken konnte.] B1 und B2: einem armen alten Manne
zu Mute sein musste, den ich in Polen unter einem Haselbusche an der
Heerstraße antraf, wie er so hülflos und schaudernd dalag, und kaum hatte,
womit er seine Schamblöße bedecken konnte.
armen alten Manne: Die erste Erzählung
ist einer Legende des Heiligen Martin von Tours nachempfunden, die zugleich
parodiert wird. Dort wird erzählt, Martinus sei an einem Tag im Winter am
Stadttor von Amiens einem armen, unbekleideten Mann begegnet. Er teilte er
seinen Mantel mit dem Schwert und gab eine Hälfte dem Armen. In der
folgenden Nacht sei ihm dann im Traum Christus erschienen, bekleidet mit dem
halben Mantel, den Martin dem Bettler gegeben hatte. „Ich bin nacket
gewesen, und ihr habt mich bekleidet […]. Wahrlich, ich sage euch: Was ihr
gethan habt einem von diesen meinen geringsten brüdern, das habt ihr mir
gethan.“
Matthäus 25, 35–40.
Der Erzähler übertreibt Münchhausens Tat, denn dieser überlässt dem Bettler
den ganzen Mantel und betont auch noch, dass er ordentlich fror. Gott
verspricht ihm eine Belohnung und ruft den Teufel als Zeugen an. Der
fluchende Gott – bei Raspe heißt es „blessing me for that piece of charity“
– ist eine Blasphemie. Der Segen wird die Anrufung des Teufels in sein
Gegenteil verkehrt.
|
Martin Schongauer: St. Martin. Kupferstich um
1475.
„Gieb acht, ob dir nicht bald eine Stimme vom Himmel zurufen wird: Dietrich,
Dietrich! Diese That, daß du dem Bürger 20 Pistolen schaffest, sol dir, hol mich
der Teufel! nicht unbelohnt bleiben.”
Brief Gottfried August Bürgers an seinen Verleger Johann Christian Dieterich vom
22.3.1779.
Zeichnung Bürgers im Brief an Dieterich vom 1.1.1781.
„Hol mich der Teufel, Dietrich, das soll dir nicht unvergolten bleiben. Du
sollst Titulär-Vicelieber-Gott seyn und Köhler heiliger Vice-Gabriel.“
Ebstein 1925, S. 74ff.
Erhält eine kräftige Versicherung vom Himmel (Bürger 1788, Inhalt)
Ich hatte einst eine weite und unbequeme Reise im strengen Winter zu machen. Ich
war zu Pferde, und eben nicht sehr warm gekleidet. Am Wege sah ich einen armen
Kranken, der fast ganz nackt war; mein Herz blutete mir, ich warf ihm, trotz
meines eignen Frostes, meinen Mantel hin. Und eine Stimme ließ sich vom Himmel
hören: „M–n, M–n, das soll dir, hol mich der Teufel, nicht unbelohnet bleiben!“
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 93, Nr. 1
Der Schwank erscheint erstmals 1508 in Heinrich Bebels Facetien (in lateinischer
Sprache). Diese deftigen Schwänke wurden im 16. Und 17. Jahrhundert mehrfach
nachgedruckt und auch ins Deutsche übersetzt.
Facetiarum, Heinrici Bebelli Poetae […] Tübingae 1550. |
Von einem Verrissenen.
Zu eisiger Winterszeit begegnet ein reicher Mann, den es hart fror, ob er gleich
mit Pelz und gefütterten Kleidern angetan war, ein armen Gesellen, dessen
schlechter Rock arg verrissen war; aber er ging fröhlich einher und klaget
keiner Kälten. Da soll ihn der Reiche gefragt haben, warum ihn in den Lumpen
nicht also friere als ihn selber, der aufs allerbest gekleidet sei. Antwortet
er: „Darum, dass ich all meine Kleider bei mir hab; Du aber hast nicht alle bei
Dir, derhalben frierst Du im Verlangen der andern.“ Davon kommt das Sprichwort:
Es friert einen jeden, danach er Kleider anhat.
Aus Heinrich Bebels Facetien, deutsch von Albert Wesselski (Wesselski
1907, S. 84).
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Eine andere Version erzählt Johannes Pauli in seiner Sammlung „Von Schimpff unnd
Ernst“:
Johannes Pauli: Von Schimpff unnd Ernst. Vil weiser Hoeflicher Sprüch, Historie,
Exempel, und Lehren, Zu Underweisung unnd Manung, in allem thun und leben der
menschen. Frankfurt am Main1545.
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Es freurt ein ieden darnach er kleyder an hat.
Ein abenthewrer begegnet zu winterszeit dem bischoff von Trier in freyem feld,
bat jn vmb ein gab. Der bischoff fragt in ob jn nit frür, dann er (wie der
lotterbüben art ist) gar übel gekleydt daher zogen. Der Abenthewrer streckt die
hand auß dem büsem in lufft, ob es dann kalt daussen were, vnd sagt: Es ist
dennoch ein wenig ein rauher lufft, aber mich freurt auch so es vil kelter ist,
nit, vnd sprach wölt er im einen gulden schencken, er wölt jhn auch lernen das
in nit frür, so wenig als jn. Er hieß jm einen gulden geben. Da sagt er:
Gnediger herr, es freurt einen ieden darnach er kleyder an hat. Ich hab all mein
kleyder an, drumb freurt mich nicht, euch freuret nach den kleydern so jr daheym
habt, sonst frör euch nit, legts ein mal all an. Der bischoff lacht vnd sagt:
Wann ich ein Esel were, ich könne sie nit alle ertragen, far hin du hast den
gulden gewunnen.
Pauli 1545, Bl. 86b.
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Zur Stoff-Tradition
Müller-Fraureuth bezieht sich in seiner Untersuchung: Die deutschen
Lügendichtungen bis auf Münchhausen (Halle 1881) auf den Münchhausen Bürgers
von 1788 (Band 1) sowie auf die drei Münchhausiaden Schnorrs von 1789 (Band
2), 1794 (Band 3) und 1800 (Band 4).
Es ist das Verdienst R. E. Raspeʼs die besten der in einer Menge von alten,
jetzt seltenen und vielleicht gar nicht mehr vorhandenen Büchern zerstreuten
Lügenschnurren, die gemäss der nicht blos mittelalterlichen Stofftradition aus
einer Schwanksammlung in die andere übergingen, im Münchhausen vereinigt und
sie, die in jenen neben andern Anekdoten ohne Zusammenhang untereinander oft
sehr dürftig erzählt sind, in geschickter Weise an einander gereiht und wirklich
erzählt zu haben. Noch weiter mich über das Lob dieses jüngsten und am weitesten
verbreiteten Volksbuches auszusprechen, halte ich für überflüssig. Auch ist
Alles, was über die Entstehung und Geschichte des Werkchens zu erörtern wäre,
von Ellissen in seiner Einleitung zum Münchhausen auseinandergesetzt und in der
Hauptsache in den Grenzboten 1872 wiedergegeben. Hier, wo es nur darauf
abgesehen ist, Das zusammenzubringen, was schön vor Münchhausen in Deutschland
an Lügengeschichten vorhanden war, möge nur noch von einigen Dingen die Rede
sein, die im Münchhausen zwar zuerst auftreten, jedoch sicher auch schon vor ihm
im Volksmunde lebten. Man kann vielleicht behaupten, dass im Wesentlichen nichts
von dem, was der Lügenbaron an Lügenschwänken zum Besten giebt, von ihm selbst
erfunden ist. Ob der Freiherr, dessen Existenz zu leugnen einst ebenso versucht
wurde, wie es mit der Homers und Anderer mit mehr oder weniger Beifall noch
geschieht, seine Fachkenntnisse aus einer Bibliothek von Schwanke- und
Anecdoten-Sammlungen erwarb, ist mir nicht so wahrscheinlich, als dass er mit
besonderem Eifer Dem nachging und Das verwerthete, was während seines Lebens
mündlich im Umlaufe sein mochte. Dies kann man wenigstens sicher annehmen von
den Märchenstoffen, die er aufnahm und die zu seiner Zeit aus Büchern kaum zu
holen waren. Erzählt doch keines der in neuerer Zeit aufgezeichneten deutschen
Lügenmärchen von dem Hüten der Bienen, von welchem das serbische und
siebenbürgische berichten: dass Münchhausen es thut, lässt sich wohl nur durch
die Annahme erklären, dass zu seiner Zeit ein Märchen bei uns verbreitet war,
welches diesen Zug neben andern enthielt, ein Märchen, das die ausserhalb
Deutschlands, namentlich in Siebenbürgen, Lithauen und Serbien auftretenden
einzelnen Märchenlügen in einer andern Weise zusammenschweisste. Münchhausen
steigt, wie der Bauer im lithauischen, Jack im englischen Märchen an einem
Bohnenstengel in den Mond. Auch er dreht einen Strick von Häckerling, an welchem
er sich unter denselben Manipulationen herunter lässt, wie es der Knabe im
serbischen Märchen thut und seit den Brüdern Orimm auch in deutschen Märchen zu
lesen ist. Ebenso fällt er klaftertief in ein Loch, aus dem er sich herausgraben
muss – kurz das Volksbuch von Münchhausen anticipirt hier die Verdienste der
neueren Märchensammler. Dass er die Märchen in Einzelheiten abweichend von den
letzteren erzählt, macht dabei nichts aus: auch diese haben ja Varianten; und es
ist daher keine Erfindung Raspeʼs oder Bügerʼs, wie Elissen meint, wenn
Münchhausen in der Erzählung von den „fünf tüchtigen Subjecten“ den Horcher
einführt, der das Gras wachsen und in Konstantinopel den Läufer bei Belgrad
schnarchen hört; dieser „plausiblere Ersatzmann“ für den Kerl, der im uralten
Volksmärchen „Sechse kommen durch die ganze Welt“ durch das Aufsetzen seines
Hutes Frost verursacht, war eben schon in dem Märchen gegeben, wie es Raspe oder
Bürger ihrer Zeit hatten erzählen hören. So halte ich denn auch dafür, dass die
noch übrigen Lügenschnurren, zu welchen ich keine Vorbilder habe auffinden
können, älter sind als Münchhausen, dass „in wer weiss welchen alten Schwarten“,
wie Ellissen sich ausdrückt, auch schon erzählt wird von einem Jäger, der einen
Fuchs mit einem Brettnagel an einen Baum festschiesst und aus dem Pelze bläut,
oder Flintensteine im Innern eines Bären explodiren lässt, vielleicht auch von
dem toll gewordenen Rock, dem Hund mit der Laterne am Schwanz und dem, der sich
die Beine wegläuft, von dem Hasen mit vier Läufen oben und unten und von dem
Abenteuer mit Löwen und Crocodill. Kraftstücke, wie das Tragen einer Kutsche
nebst Pferden über eine Hecke, einer Kanone u. s. w. sind Nachbildungen solcher,
wie sie ähnlich unter andern auch die Zimmerische Chronik berichtet, die ja auch
an Reitstücken Einiges enthält, was Münchhausenschen Thaten nicht ungleich ist.
Seine Erzählung, wie er sich selbst sammt dem Pferd aus einem Sumpf zieht,
könnte man mit einiger Kühnheit entstanden sein lassen, als König Ludwig von
Ungarn bei Mohacz 1526 in einem Morast umgekommen war. Als Anleihen bei der „Nouvelle
fabrique“, die einem Raspe sehr wohl bekannt sein mochte, möchte man die
Geschichte von dem Hasen und dem Hunde betrachten, die auf der Jagd zugleich
werfen, sowie den Bericht von der Art, wie Münchhausen einmal im Winter von
einem Baume aus sich in den Besitz seines ihm entfallenen Messers setzt; doch
ist es keineswegs ausgeschlossen, dass auch diese Dinge ebenso wie andere im
französischen Lügenbuch enthaltene schon vor diesem bei uns erzählt wurden.
Müller-Fraureuth 1881, S. 81ff.
Raspes Illustrationen
Bereits die zweite englische Ausgabe war mit 4 Kupferstichen illustriert,
die auf einer Falttafel nebeneinander angeordnet sind. (R2)
Die Darstellungen zeigen von links nach rechts: Münchhausen schießt sein
Pferd vom Kirchturm, das halbierte Pferd, den Hirschen mit einem Kirschbaum
und das Abseilen vom Mond. Die Tafel ist mit den Zeilen Singular Adventures
related in the Travels of Baron Munchausen./ Published as the Act directs
for MSmith, & sold at № 46, in Fleet Street, April 20th 1786 und mit der
Signatur Munchausen pinxit versehen. Links oberhalb jeder Darstellung ist
ein Hinweis auf die jeweilige Textseite angebracht. Die Zeichnungen stammen
sehr wahrscheinlich von Raspe. Die Tafel wurde auch in den weiteren Auflagen
verwendet.
Raspe visualisiert so, wie Munchausen erzählt. Er entwirft die Illustrationen
selber, vier Szenen auf einer Falttafel. Das erste Bild zeigt das am Kirchturm
zappelnde Pferd, unten steht der Baron mit seinen Pistolen (Abb. 69). Die
Bildidee lebt in der unmittelbaren Konfrontation von Schütze und Ziel, ohne
Rücksicht auf ein naturalistisches Größenverhältnis, aber auch ohne
abstrahierende Gestaltung. Unspektakulär und selbstverständlich kommen die
Überraschungen in den Erzählungen daher, und ähnlich ist es im Bild, wenn
Schütze, Turm und Tier nicht durch ihre eigene Form, sondern in der Art ihrer
Montage zueinander irritieren.
Vorlage für Raspes Zeichnung ist ein Kirchentyp, der damals in englischen
Dörfern häufig anzutreffen ist: kompakter, kaum verjüngter Turm mit einem
Obergeschoss, Zinnenkranz und schlankem Turmhelm mit Glockenfenstern. Raspe wird
sich an Beispielen in der Grafschaft Leicester orientiert haben. Bei der Arbeit
für das Domesday Book wird er vor Ort gewesen sein. 30 Ansichten von Kirchen
dieses Typs finden sich in den acht Foliobänden. (Nichols (Hg): The History and
Antiquities of the County of Leicester, London 1795, Vol. l, Part l. Reprint:
Weakfield/Yorkshire 1971, mit 24 Tafeln. Alle acht Bände sind zwar erst nach
Raspes Tod erschienen, aber sehr viele Ansichten sind schon Ende der 1 780er
Jahre entstanden und lagen auch gedruckt vor, Vol. II, Part, l, S. 108, Anm.
3.) Während immerhin einige Studien zu literarischen Quellen der Abenteuer
Münchhausens vorliegen, gibt es keine Untersuchung zur Ikonographie der
Bildwelt. So naiv die frühen Kupferstiche auf den ersten Blick erscheinen, so
lohnend ist ihre Analyse. Raspes Bildkonzepte erweisen sich als Formeln, welche
die Darstellung in allen Medien bis heute bestimmen.
Wiebel 2005b, S. 125f.
Die 3. Auflage (Third Edition), die Quelle für Bürgers erste Fassung von 1786,
enthält die gleichen Illustrationen wie die zweite Auflage sowie zwölf neue
Illustrationen auf 8 Tafeln. Die 4. Auflage (Fourth Edition) wurde um 5 Stiche
erweitert. Die fünfte Auflage, nach der Bürger seine zweite Ausgabe herstellte,
enthält 18 Kupferstiche auf 13 Tafeln.
Nach einigen dieser Vorbilder stellte der Göttinger Zeichner und Kupferstecher
Ernst Ludwig Riepenhausen (1762-1840) die Kupferstiche für Bürgers Ausgabe von
1786 und von 1788 her. Für die Professoren der Universität Göttingen
illustrierte er zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen.
Die erste Ausgabe von Bürgers Münchhausen enthält 9 Kupfertafeln mit 13
Darstellungen. Als Bildvorlagen diente Raspes Falttafel der dritten Auflage,
deren vier Abbildungen von Riepenhausen einzeln kopiert wurden. Dabei hat er die
Motive und den Stil beibehalten, sie nur Details geringfügig geändert und einige
davon spiegelbildlich in die Platte gestochen. Die übrigen 9 Darstellungen hat
er neu gezeichnet.
Für die im Text erweiterte Ausgabe von 1788 hat er alle Tafeln neu gestochen und
sie durch zwei weitere ergänzt. Als Vorbild diente ihm dazu eine Doppeltafel aus
Raspes Fourth Edition, die einen Eingeborenen des Hundssterns und einen des
Mondes zeigen. Die Darstellung des zerteilten Pferdes wurde verändert und durch
eine zweite Abbildung ergänzt, auf der sich der der hintere Hengstteil auf eine
Koppel mit Stuten vergnügt.
Mare Balticum Vulgo DE OOST ZEE;
Europa-Karte 1730. In: Atlas Novus
Indicibus Instructus, Oder Neuer mit Wort-Registern versehener
Atlas:
bestehend in 50. Seutterisch-Geographischen Haupt- und Special-Tabellen, […]. Wien, 1736 1736 [ersch.
ca. 1745]
[15]
Ich ließ das gut sein und ritt
weiter, bis Nacht und Dunkelheit mich überfielen.
Nirgends war ein Dorf zu hören, noch zu sehen. Das ganze Land lag unter
Schnee; und ich wusste weder Weg noch Steg.
Des Reitens müde, stieg ich endlich
ab, und band mein Pferd an eine Art von spitzem
Baumstaken, der über dem Schnee hervorragte. Zur Sicherheit nahm ich
meine Pistolen unter den Arm, legte mich nicht weit davon in den Schnee
nieder, und tat ein so gesundes Schläfchen, dass mir die Augen nicht eher
wieder aufgingen, als bis es heller lichter Tag war. Wie groß war aber mein
Erstaunen, als ich fand, dass ich mitten in einem Dorfe auf dem Kirchhofe
lag! Mein Pferd war anfänglich nirgends zu sehen; doch hörte ichs bald
darauf irgendwo über mir wiehern. Als ich nun empor sah, so wurde ich
gewahr, dass es an den Wetterhahn des Kirchturms gebunden war, und von da
herunter hing. Nun wusste ich so gleich
wie ich dran war. Das Dorf war nämlich die Nacht über ganz zugeschneiet
gewesen; das Wetter hatte sich auf einmal umgesetzt; ich war im Schlafe nach
und nach, so wie der Schnee zusammen geschmolzen|[16] war, ganz sanft
herabgesunken; und was ich in der Dunkelheit für den Stummel eines
Bäumchens, der über dem Schnee hervor ragte, gehalten, und daran mein Pferd
gebunden hatte, das war das Kreuz oder der Wetterhahn des Kirchturmes
gewesen.
Ohne mich nun lange zu bedenken,
nahm ich eine von meinen Pistolen, schoss nach dem Halfter, kam glücklich
auf die Art wieder an mein Pferd, und verfolgte meine Reise. |
Bürger, Erste Auflage 1786.
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Bindet sein Pferd aus Irrtum an eine Kirchturm-Spitze
Zerschießt den Halfter und bekommt es wieder
Bürger 1788, Inhalt
Ich ritt weiter, es ward Nacht, und noch war kein Dorf zu sehen. Alles war
voll geschneyt, und ich kannte den Weg nicht. Ich stieg also ab, fand einen
kleinen spitzigen Pfahl, woran ich mein Pferd band, nahm meine Pistolen zu
mir, legte mich nicht weit von meinem Pferde hin, und schlief ein, so fest
daß ich erst des andern Morgens wieder erwachte. Mit großem Erstaunen fand
ich mich itzt mitten in einem Dorfe, und zwar auf dem Kirchhofe; mein Pferd
aber war nicht zu sehn. Endlich hör ich es wie in der Luft wiehern; ich
blicke herauf, und sehe es oben am Kirchthurm angebunden hängen. Nun konnt’
ich mir alles erklären: Gestern war das Dorf zugeschneyt gewesen, die Nacht
war alles aufgethaut; ich war im Schlaf, wie der Schnee weggesunken, immer
unmerklich mit herabgekommen; und was ich für einen spitzen Pfahl gehalten,
war die nur ein wenig aus dem Schnee hervorstehende Kirchthurmsspitze
gewesen, woran ich also mein Pferd gebunden hatte. – Ich nahm itzt meine
Pistole, schoß den Halfter des Pferdes entzwei, wodurch es herunter auf die
Erde fiel; und ritt weiter.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 93-94, Nr. 2.
Weigger, Einer von Landsberg im Elsass, bindet einmal im Winter bei
tiefem Schnee sein Pferd, von dem er auf kurze Zeit abgestiegen ist, an
einen Baumast, den die Last des Schnees niederdrückt. Das Pferd zerrt an dem
Aste, so dass der Schnee herunterfällt. Sogleich schnellt der von der Last
des Schnees befreite Ast empor und mit ihm zugleich das Pferd. Als Weigger
dieses wieder besteigen will, sieht er es nicht, aber auch keine vom Baume
ausgehende Spur, und es bleibt ihm nichts übrig, als ohne sein Pferd den
Heimweg anzutreten. Nach langer Zeit aber, etwa im Herbst, kommt er wieder
einmal desselben Weges und zu jenem Baume und erinnert sich natürlich seines
Pferdes, das er hier einbüsste. Indem er sich dabei umsieht und in die Höhe
blickt, gewahrt er auf dem Gipfel des Baumes den Cadaver seines Pferdes,
dessen Inneres bereits den Vögeln anheimgefallen ist. Er beschliesst, den
Cadaver herabzuwerfen, steigt auf den Baum und findet ihn voll Honig und in
einen Bienenstock verwandelt. Voller Freude holt er aus dem nächsten Gehöft
einen Wagen, er ladet den gesammten Honig auf, wobei er seine Kleider mit
Honig beschmiert. Während er den Karren vor sich herschiebt, kommt ein
grosser Bär und leckt seine Kleider ab. Weigger schmiert immer wieder von
Neuem Honig aus dem Karren daran, und der Bär leckt so lange, bis Weigger
sein Haus in Landsberg erreicht. Da ruft er seinem Weib zu, das Thor zu
öffnen und ihm die Axt zu reichen. Als dies geschehen, schliesst er wieder
zu und tödtet den Bär. Und von dem Honig und dem Bären hat er mehr Gewinn
als der Werth des eingebüssten Pferdes betrug.
Der Schlusssatz dieser Erzählung, die im schönsten Mittellatein abgefasst
ist und nur die deutsche Überschrift: „Lugin“ trägt, ist ganz im Geiste der
Lügengeschichten. Es kommt dem Erzähler nicht blos auf die Unglaublichkeit
des von ihm Berichteten an, sondern er richtet es auch so ein, dass er
persönlich noch einen Nutzen aus der Affaire zieht. Die Erzählung selbst
findet sich in derselben Gestalt nicht wieder. Man kann zwar an Münchhausen
denken, der ebenfalls bei tiefem Schnee sein Pferd anbindet und dann auf der
Spitze eines Thurmes entdeckt, doch fehlt zwischen ihm und Weigger jedes
Mittelglied. Vielleicht befindet es sich in irgend einer alten uns
unbekannten Schardeke. Das Honiglecken des Bären könnte entfernt an die von
Münchhausen mit Honig bestrichene Deichsel erinnern.
Müller-Fraureuth 1881, S. 38f.
Im Abenteuer vom Pferd, das an der Kirchturmspitze hängt, spielen Facts
und Fictions zusammen, wie hier exemplarisch angedeutet werden soll. Die
Episode ereignet sich in Polen – nicht in Russland, wie es so viele
Illustrationen mit ihren Zwiebeltürmen unterstellen, oder gar auf Sizilien,
[...]. Durch Polen ist Hieronymus von
Münchhausen im Winter l737/38 tatsächlich nach St. Petersburg gereist. Ob er
Jahrzehnte später genau dieses Abenteuer erzählt hat, weiß man nicht. Der
inhaltliche Kern, die rätselhafte Befreiung des Pferdepflocks vom Schnee und
der vorübergehende Verlust des Tieres, findet sich in einem
frühneuzeitlichen lateinischen Manuskript, das seinerseits auf eine
mittelalterliche Handschrift zurückgeht; vom Kirchturm ist dort keine Rede.
Ergänzt um das Motiv vom Meisterschuss taucht die Anekdote 1781 im Vade
Mecum auf, allerdings ohne eine topographische Bestimmung. Diese ergibt sich
dann bei Raspes Munchausen aus dem Erzählzusammenhang seiner im Übrigen
treuen englischen Übersetzung. Bürger verfeinert den Text bei der
Übertragung ins Deutsche, indem er z. B. aus Raspes „No village was to be
seen“ eine synästhetische Variante macht: „Nirgends war ein Dorf zu hören,
noch zu sehen“. (B1, S. 15) Aus der Übereinstimmung von Polen als Raum des
historischen Geschehens mit dem des literarischen folgt, im Verbund mit
weiteren Indizien, dass Raspe mehr über Hieronymus wusste, als im Vade Mecum
stand.
Wiebel 2005b, S. 113.
Verbirgt sich in einem Detail eine biographische Reminiszenz? Könnten die
Pistolen, auf die der Held im Schnee seinen Kopf zum Schlaf niederlegt, die
Waffen [er trug nach eigenen Angaben 3 Pistolen bei sich, G. E.] meinen, von
denen Raspe schreibt, sie bei der Flucht nach England mit sich geführt zu
haben?
Wiebel 2005b, S. 113.
Baumstaken: Baumstecken, Ast
herunter
hing: Im Abenteuer
vom Pferd, das an der Kirchturmspitze hängt, spielen Facts und Fictions
zusammen, wie hier exemplarisch angedeutet werden soll. Die Episode ereignet
sich in Polen – nicht in Russland, wie es so viele Illustrationen mit ihren
Zwiebeltürmen unterstellen, oder gar auf Sizilien, wie bei der
Titelillustration dieses Buchs. Durch Polen ist Hieronymus von Münchhausen
im Winter 1737/38 tatsächlich nach St. Petersburg gereist. Ob er Jahrzehnte
später genau dieses Abenteuer erzählt hat, weiß man nicht. Der inhaltliche
Kern, die rätselhafte Befreiung des Pferdepflocks vom Schnee und der
vorübergehende Verlust des Tieres, findet sich in einem frühneuzeitlichen
lateinischen Manuskript, das seinerseits auf eine mittelalterliche
Handschrift zurückgeht; vom Kirchturm ist dort keine Rede. Ergänzt um das
Motiv vom Meisterschuss taucht die Anekdote 1781 im Vade Mecum auf,
allerdings ohne eine topographische Bestimmung.
Wiebel
2005, S. 113.
schoss nach dem Halfter: Die europäische
Volksüberlieferung bietet in sagenhaften Erzählungen und in Mirakelbildern
zahlreiche Beispiele von Schändungen verehrter religiöser Bilder – etwa von
Heiligenbildern, Marien-, Christus- oder gar Gottesdarstellungen: sie werden
zerbrochen oder mit Messerstichen oder Schwerthieben attackiert, es wird mit
Bogen oder Armbrust, mit Büchse oder Pistole auf sie geschossen, sie werden
acht los weggeworfen, man zeigt ihnen den nackten Hintern oder verunreinigt
sie gar mit Kot oder Urin. Und stets trifft den Lästerer (es sind ja fast immer Männer!) auf der Stelle die numinose Strafe: er erblindet, fällt tot um
oder versinkt wenigstens im Erdreich, aus dem er sich nicht mehr befreien
kann. Der Sinn dieser Straferzählungen liegt auf der Hand: negative Sanktionierung unbotmäßiger Vorstellungen und Handlungen – samt medialer
Verbreitung des Strafmirakels. Bei Münchhausen aber ist das ganz anders. Er
wird für seine sakrilegische Tat oder Untat keineswegs bestraft – im
Gegenteil: das symbolisch attackierte Numen belohnt ihn gar noch mit der
wunderbaren Wiederbeschaffung seines Reittieres!
Man kann sich fragen, ob es wirklich bedeutsam ist,
zwischen den verschiedenen Spielarten der spöttischen Münchhausenschen
Religionskritik zu unterscheiden – ob es also einen Erkenntniszugewinn gibt,
wenn man den Schuss auf’s Kreuz als Sakrileg bezeichnet (als
Stellvertretertat gewissermaßen, die sich gegen ›heilige Objekte‹ wendet,
aber noch nicht gegen die Gottheit selbst; Wort und Begriff des Sakrilegs
sind ja aus dem Delikt des Tempelraubs gebildet) und den Begriff der
Blasphemie für direkte Aggressionen gegen die höchsten Anbetungsgestalten
der Religion reserviert. Zu den wirklich ›gotteslästerlichen‹ Akten würde
dann auf jeden Fall Münchhausens Gottvater gehören, der den Reiter durchs
winterliche Polen (der mit seiner Mantelspende die legendäre Guttat des
heiligen Martin imitiert) einen kräftigen Fluch (»Hol mich der Teufel, mein
Sohn«) hören lässt.
Scharfe 2020, S. 74.
verfolgte meine Reise: In seiner zweiten
Münchhausiade von 1794 (Wunderbare/
Reisen zu Wasser und Lande, und/ lustige Abentheuer. Herausgegeben und ans
Licht gestellet von Hieronymus von Münchhausen) ergänzt Heinrich
Theodor Ludwig Schnorr diese Erzählung um folgende Episode:
So ist z. B. Folgendes vergessen worden.
Als das Pferd von dem Kirchturme heruntersprang, wo ich es doch – wie Se
sich erinnern – angebunden, herabschoss – zersprang es sich verschiedene
Rippen – und dann bemerkte ich auch noch mehrere Stellen, wo die Haut ganz
auseinander geplatzt war, so dass das helle Wasser aller Orten durchdrang.
Ich besah es um und um, und dachte da bei mir selbst: hier ist guter Rat
teuer. Das Tier stellte sich etwas kläglich an, schüttelte sich aber doch
bald wieder zusammen. Als es sich ein wenig ausgeruhet hatte, versuchte ich,
ob es auch das Reiten noch wohl aushalten möchte – und es ging ziemlich
ruhig. Wir kamen vor der Schmiede des Dorfes vorbei. Das Tier ritt auf die
Schmiede los, und wollte sich durch keine Gewalt davon ablenken lassen. Man
war eben damit beschäftigt, verschiedene große Tonnen mit eisernen Bänden zu
beschlagen. Ich glaubte zuerst, die Hufeisen wären los, fand aber alles
fest. Nun kam ich auf den Gedanken, weil das Saft immer mehr durchlief,
diesem guten Tiere einige eiserne Bände um den Leib schmieden zu lassen.
Der Einfall gelang glücklich. Es wurde dadurch so standfest, dass ich nicht
allein die ganze Kampagne damit gemacht, sondern es auch noch lange Zeit
nachher, gewiss über fünfzig Jahre, gebraucht habe. Die eisernen Bände
hängen noch zu einem ewigen Andenken in meinem Marstalle.
Schnorr 1794, S. 61f.
|
f
Nicolas Louis de Lespinasse: MAISON DE PLAISANCE DE SA MAJESTÉ
IMPÉRIAL DE TOUTES LES RUSSIES. Ansicht von St. Petersburg, Katharinenpalast.
Kupferstich, Paris 1783.
Hierauf ging alles gut, bis ich nach Russland kam, wo es eben
nicht Mode ist, des Winters zu Pferde zu reisen. Wie es nun immer meine
Maxime ist, mich nach dem bekannten: ländlich sittlich, zu richten, so nahm
ich dort einen kleinen Rennschlitten auf ein einzelnes Pferd, und fuhr
wohlgemut auf St. Petersburg los. Nun
weiß ich nicht mehr recht, ob es in Estland, oder in Ingermanland war, so viel aber besinne
ich mich noch wohl, es war mitten in einem fürchterlichen Walde, als ich
einen entsetzlichen Wolf, mit aller Schnelligkeit des gefräßigsten
Winterhungers hinter mir ansetzen sah. Er holte mich bald ein; und es war
schlechterdings unmöglich, ihm zu entkommen. Mechanisch legte ich mich platt
in den Schlitten nieder,|[17] und ließ mein Pferd zu unserm beiderseitigen
Besten ganz allein agieren. Was ich zwar vermutete, aber kaum zu hoffen und
zu er warten wagte, das geschah gleich nachher.
Der Wolf bekümmerte sich nicht im mindesten um meine Wenigkeit, sondern
sprang über mich hinweg, fiel wütend auf das Pferd, riss ab und verschlang
auf einmal den ganzen Hinterteil des armen Tieres, welches vor Schrecken und
Schmerz nur desto schneller lief. Wie ich nun auf die Art selbst so
unbemerkt und gut davon gekommen war, so erhob ich ganz verstohlen mein
Gesicht und nahm mit Entsetzen wahr, dass der Wolf sich beinahe über und
über in das Pferd hin eingefressen hatte. Kaum aber hatte er sich so hübsch
hineingezwänget, so nahm ich mein Tempo wahr, und fiel ihm tüchtig mit
meiner Peitschenschnur auf das Fell. Solch ein unerwarteter Überfalle in
diesem Futteral verursachte ihm keinen geringen Schreck; er strebte mit
aller Macht vorwärts; der Leichnam des Pferdes fiel zu Boden, und siehe! an
seiner Statt steckte mein Wolf in dem Geschirre. Ich meines Orts hörte nun
noch weniger auf zu peitschen, und wir langten in vollem Galopp gesund und
wohlbehalten in St. Petersburg an, ganz gegen unsere bei|[18]derseitigen
respektive Erwartungen, und zu nicht geringem Erstaunen aller Zuschauer. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
gleich nachher] B1 und B2: unmittelbar
Wird von einem Wolfe angefallen
Bürger 1788, Inhalt
Nahe vor Petersburg nahm ich einen Schlitten. In den finnischen Wäldern sah
ich einen entsetzlichen Wolf, der mir sehr hungrig schien, hinter mir
hertraben; er holte mich leicht ein, und ich sah bald, daß ich ihm nicht entfliehn konnte. Ich legte mich also platt im Schlitten nieder, und ließ
mein Pferd gerade aus laufen; es geschah, was ich vermuthet und gehofft
hatte: Das Unthier setzte über meinen Kopf weg, gerade auf mein Pferd zu, und
fing an, es von hinten aufzufressen. Ich richtete mich in meinem Schlitten
auf, und sah diesem Gräuel zu. Endlich, wie der Wolf schon an der Brust des
Pferdes war, und sich auf die Art in das Seilenzeug hineingefressen hatte,
schlug ich mit aller Kraft die ich hatte, auf den Wolf mit der umgekehrten
Peitsche zu; er erschrak, und sprang vorwärts; der Rest des Pferdes stürzte
hin, der Wolf war in den Seilen, und konnte nicht zurück, ich peitschte
immer stärker, er lief wie rasend fort, und so fuhr ich in Petersburg
hinein.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 94, Nr. 3.
Das Motiv taucht bereits bei Abraham a Sancta Clara in seiner Schrift
JUDAS Der Ertz-Schelm auf:
Der H. Corbinianus, Bischoff zu Freysing, raiste auff ein Zeit nach Rom,
underwegs aber bey einem dicken Wald, hat ein wilder Beer sein Pferdt
angefallen, und selbiges zerrissen. Wer will anjetzo unser Rantzen vnd
Binckel tragen, sagt Ansericus der Diener zu dem H. Bischoff, das Pferdt ist
hin. Anserice! sprach der heilige Corbinianus, laß dir derenthalben keine
graue Haar wachsen, gehe hin, leg alle unsere Wander-Binckel auff den Beern,
schaffe ihm, er soll an statt deß Schimmels, allen Last, wie ein zahmes
Pferdt, biß nach Rom auff dem Buckel tragen.
Abraham a Sancta Clara: JUDAS Der Ertz-Schelm, […]. Erster Thail. Salzburg,
1686.
Abraham a. St. C. 1686, S. 541
ländlich sittlich: Die Redewendung
bezeichnete ursprünglich nur das regional Üblich, war also nicht wie heute
ein Spott über dörfliche Verhältnisse.
Elfriede Moser-Rath: Lustige Gesellschaft: Schwank und Witz des 17. und
18. Jahrhunderts in kultur- und sozialgeschichtlichem Kontext. Stuttgart
1984, S. 232.
St. Petersburg: Die Stadt liegt an der
Mündung der Newa in die Newabucht am Ostende des Finnischen Meerbusens der
Ostsee. Sie wurde 1703 von Peter dem Großen auf Sumpfgelände nahe dem Meer
gegründet, um den Anspruch Russlands auf Zugang zur Ostsee durchzusetzen.
Schon 1712 erklärte Peter der Große Sankt Petersburg anstelle von Moskau zur
Hauptstadt des Russischen Zarenreichs (ab 1721: des Russischen
Kaiserreichs). Bis auf ein kleines Zwischenspiel in den Jahren 1728–1732,
als der Hof wieder in Moskau residierte, blieb Petersburg bis 1918
Hauptstadt Russlands.
Wikipedia
Ingermanland: historische Provinz im
nordwestlichen Russland rund um das heutige Sankt Petersburg. Sie wird im
Westen vom Fluss Narva, im Südwesten vom Peipussee begrenzt.
|
Ich will Ihnen, meine Herren, mit
Geschwätz von der Verfassung, den Künsten, Wissenschaften und andern
Merkwürdigkeiten dieser prächtigen Hauptstadt Russlands keine lange Weile
machen; viel weniger Sie mit allen Intrigen und lustigen Abenteuern der
Gesellschaften vom Bonton, wo die Frau vom Hause den Gast allezeit mit einem
Schnaps und Schmatz empfängt, unterhalten. Ich halte mich vielmehr an
größere und edlere Gegenstände Ihrer Aufmerksamkeit, nämlich an Pferde und
Hunde, wo von ich immer ein großer Freund gewesen bin; ferner an Füchse,
Wölfe und Bären, von welchen, so wie von anderm Wildbret, Russland einen
größern Überfluss, als irgend ein Land auf Erden hat; endlich an solche
Lustpartien, Ritterübungen und preisliche Taten, welche den Edelmann besser
kleiden, als ein Bisschen muffiges Griechisch und Latein, oder alle
Riechsächelchen, Klunkern und Kapriolen französischer Schöngeister und –
Haarkräuseler. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Gesellschaften vom Bonton: vom guten Ton:
bessere Gesellschaft; Bürger übersetzt Raspes pleasing adventures I had in the politer circles of that country
(höfliche Kreise). |
Da es einige Zeit dauerte, ehe ich bei der Armee
angestellt werden konnte, so hatte|[19] ich ein Paar Monate lang vollkommene
Muße und Freiheit, meine Zeit sowohl, als auch mein Geld auf die adeligste
Art von der Welt zu verjunkerieren.
Manche Nacht wurde beim Spiele zugebracht, und
viele bei dem Klange voller Gläser. Die Kälte des Landes und die Sitten der
Nation haben der Bouteille unter den
gesellschaftlichen Unterhaltungen in Russland einen viel höhern Rang
angewiesen, als in unserm nüchternen Deutschlande; und ich habe daher dort
häufig Leute gefunden, die in der edlen Kunst zu trinken für wahre Virtuosen
gelten konnten. Alle waren aber elende Stümper gegen einen graubartigen
kupferfarbigen General, der mit uns an dem öffentlichen Tische speisete. Der
alte Herr, der seit einem Gefechte mit den Türken die obere Hälfte seines
Hirnschädels vermisste, und daher, so oft ein Fremder in die Gesellschaft
kam, sich mit der artigsten Treuherzigkeit entschuldigte, dass er an der
Tafel seinen Hut aufbehalten müsse, pflegte immer während dem Essen einige
Flaschen Weinbranntwein zu leeren, und dann gewöhnlich mit einer Bouteille
Arrak den Beschluss, oder nach Umständen einige Male
Da capo zu machen; und
doch konnte man nicht ein|[20] einziges Mal auch nur so viel Betrunkenheit
an ihm merken. – Die Sache übersteigt Ihren Glauben. Ich verzeihe es Ihnen,
meine Herren; sie überstieg auch meinen Begriff. Ich wusste lange nicht wie
ich sie mir erklären sollte, bis ich ganz von ungefähr den Schlüssel fand. –
Der General pflegte von Zeit zu Zeit seinen Hut etwas aufzuheben. Dies hatte
ich oft gesehen, ohne daraus nur Arg zu haben. Dass es ihm warm vor der
Stirne wurde, war natürlich, und dass er dann seinen Kopf lüftete, nicht
minder. Endlich aber sah ich, dass er zu gleich mit seinem Hute eine an
demselben befestigte silberne Platte aufhob, die ihm statt des Hinschädels
diente, und dass als dann immer aller Dunst der geistigen Getränke, die er
zu sich genommen hatte, in einer leichten Wolke in die Höhe stieg. Nun war
auf ein Mal das Rätsel gelöset. Ich sagte es ein Paar guten Freunden, und erbot mich, da es gerade Abend war, als ich die Bemerkung machte, die
Richtigkeit derselben sogleich durch einen Versuch zu beweisen. Ich trat
nämlich mit meiner Pfeife hinter den General, und zündete, gerade als er den
Hut niedersetzte, mit etwas Papier die aufsteigenden Dünste an; und nun|[21]
sahen wir ein eben so neues als schönes Schauspiel. Ich hatte in einem
Augenblicke die Wolkensäule über dem Haupte unsers Helden in eine Feuersäule
verwandelt, und derjenige Theil der Dünste, der sich noch zwischen den
Haaren des Hutes verweilte, bildete in dem schönsten blauen Feuer einen
Nimbus, prächtiger als irgend einer den Kopf des größten Heiligen umleuchtet
hat. Mein Experiment konnte dem General nicht verborgen bleiben; er war aber
so wenig ungehalten darüber, dass er uns vielmehr noch manchmal erlaubte
einen Versuch zu wieder holen, der ihm ein so erhabenes Ansehen gab. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Kanonisiert einen alten General (Bürger 1788,
Inhalt); eigne Erzählung von Bürger, der 2. Ausgabe hinzugefügt; Bürger
1788, S. 19ff.
zu verjunkerieren.]
danach in B1 und B2: Sie können sich leicht vorstellen, meine Herren, dass
ich von beiden nicht wenig außer der Stadt mit solchen wackern Kumpanen
vertat, welche ein offenes unbeschränktes Waldrevier gehörig zu schätzen
wussten.
Manche
Nacht […] zu schätzen wussten. Sowohl] nicht in B1 und B2
Bouteille:
Bouteille (französisch: Flasche) war auch als deutsches Volumenmaß für
Flüssigkeiten, besonders Wein, bekannt (knapp 1 Liter). Es entsprach dem Maß
Quartier und war ein Lübecker Maß.
Arrak: eine aus reinem Palmsaft oder
Zuckerrohr und Reismaische destillierte Spirituose mit 35–70 Volumenprozent
Alkohol.
Da capo: Wiederholung
Arg: Bosheit, Böswilligkeit, Falschheit,
Trug.
Nimbus: Der Heiligenschein, der Nimbus oder
die Gloriole (lateinisch nimbus ‚Wolke‘, speziell ‚Stirnbinde‘;
‚Heiligenschein‘; altgriechisch ἅλως hálōs, deutsch ‚Tenne, Rundung, Hof um
Sonne oder Mond, Strahlenkreis, ist eine Leucht- oder Lichterscheinung um
den Kopf oder den ganzen Körper einer Personendarstellung. Unterformen des
Nimbus, die den kompletten Körper der Personendarstellung umfassen, sind die
kreisförmige „Aureole“ und die mandelförmige Mandorla. Der Nimbus ist in der
Kunst ein Symbol für Mächtige, Erleuchtete, Heilige oder Götter.
Wikipedia
Nimbus des heiligen Antonius von Padua. Pfarrkirsche Zirl im Unterdorf,
Tirol, Foto von A. Prock.
|
Ich übergehe manche lustige
Auftritte, die wir bei dergleichen Gelegenheiten hatten, weil ich Ihnen noch
verschiedene Jagdgeschichten zu erzählen gedenke, die mir merkwürdiger und
unterhaltender scheinen. Sie können sich leicht vorstellen, meine Herren,
dass ich mich immer vorzüglich zu solchen
wackern Kumpanen hielt, welche ein offenes unbeschränktes Waldrevier
gehörig zu schätzen wussten. Sowohl die Abwechselung des Zeitvertreibes,
welchen dieses mir darbot, als auch das außerordentliche Glück, womit mir
jeder Streich gelang, gereichen mir noch immer zur angenehmsten
Erinnerung.|[22]
Eines Morgens sah ich durch das
Fenster meines Schlafgemachs, dass ein großer Teich, der nicht weit davon
lag, mit wilden Enten gleichsam überdeckt war. Flugs nahm ich mein Gewehr
aus dem Winkel, sprang zur Treppe hinab, und das so über Hals und Kopf, dass
ich unvorsichtiger Weise mit dem Gesichte gegen die Türpfoste rennte. Feuer
und Funken stoben mir aus den Augen; aber das hielt mich keinen Augenblick
zurück. Ich kam bald zum Schuss; allein wie ich anlegte, wurde ich zu meinem
großen Verdrusse gewahr, dass durch den so eben empfangenen heftigen Stoß
sogar der Stein von dem Flintenhahne
abgesprungen war. Was sollte ich nun tun? Denn Zeit war hier nicht zu
verlieren. Glücklicher Weise fiel mir ein, was sich so eben mit meinen Augen
zugetragen hatte. Ich riss also die Pfanne
auf, legte mein Gewehr gegen das wilde Geflügel an, und ballte die
Faust gegen eins von meinen Augen. Von einem derben Schlage flogen wieder
Funken genug heraus, der Schuss ging los, und ich traf fünf Paar Enten, vier
Rothälse, und ein Paar Wasserhühner.
Gegenwart des Geistes ist die Seele mannhafter Taten. Wenn Soldaten und
Seeleute öfters dadurch glücklich|[23] davon kommen, so dankt der Weidmann
ihr nicht seltener sein gutes Glück. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Bedient sich seiner Augen statt des Flintensteines und erlegt auf einen
Schuss fünf Paar wilde Enten und verschiedenes anderes Geflügel
Bürger 1788, Inhalt
Aus meinem Zimmer sah ich einmal eine Menge wilder Enten auf dem See.
Schnell griff ich zu meiner in der Ecke stehenden Flinte, lief eilig heraus,
aber so unvorsichtig, daß ich das Gesicht an den Thürpfosten dermaßen stieß,
daß mir das Feuer aus den Augen flog. Doch das hielt mich nicht ab, ich kam
heraus; allein beym Aufspannen merkte ich, daß durch diesen Stoß auch der
Stein vom Hahn abgefallen war. Was war zu thun? Ich erinnerte mich, was beim
Stoße an den Thürpfosten geschehen war; legte an, zielte, öfnete die Pfanne,
und schlug nun mit gebalter Faust ins Auge. Es flog abermal Feuer heraus,
der Schuß gelang, und ich hatte 10 Enten.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 94-95, Nr. 4
zu solchen wackern Kumpanen: In Riga
wurde Münchhausen vom deutschbaltischen Landadligen und Rigaer Richter Georg Gustav von Dunten
(1671-1747)
zur Entenjagd auf dessen Landgut in Livland eingeladen. Münchhausen
lernte bei dieser Gelegenheit dessen Tochter Jacobine (1726-1790) kennen und heiratete
sie am 2. Februar 1744 in der Kirche zu Pernigel (heute: Liepupe), unweit
Dunte. Die Einheimischen in Dunte und Umgebung behaupten heute noch, dass es
eben die Kirche zu Pernigel war, an deren Turmspitze das Pferd Münchhausens
angebunden gewesen sein soll.
Türpfoste: feminine Form von der Pfosten
der Stein von dem Flintenhahne: Das
Steinschloss ist ein Auslösemechanismus für Vorderlader Feuerwaffen, der mit
einem Feuerstein zündet.
Diese Erzählung ist eine von den Witzen Münchhausens, die durch das
Wörtlichnehmen einer Metapher entstehen.
Pfanne: Bei einem Steinschloss wird vor
dem Schuss ein Federmechanismus gespannt. Der Abzug entriegelt den
Mechanismus, so dass der Hahn mit dem eingespannten Feuerstein auf die
Pfanne schlägt. Dabei werden durch Abrieb am Pfannendeckel Funken erzeugt,
die das Pulver (Zündkraut) entzünden. Die Stichflamme des Zündkrauts zündet
durch ein Loch die Treibladung.
Rothälse: Rothals, m. name von vögeln mit rotem halse. 1)
anas ruficollis, anas ferina. 2) scolopax aegocephala. (DWB)
|
So schwammen einst auf einem
Landsee, an welchen ich auf einer Jagdstreiferei geriet, einige Dutzend
wilder Enten allzu weit von einander zerstreut umher, als dass ich mehr denn
eine einzige auf einen Schuss zu erlegen hoffen konnte; und zum Unglück
hatte ich meinen letzten Schuss schon in der Flinte. Gleichwohl hätte ich
sie gern alle gehabt, weil ich nächstens eine ganze Menge guter Freunde und
Bekannten bei mir zu bewirten Willens war. Da besann ich mich auf ein
Stückchen Schinkenspeck, welches von meinem mitgenommenen Mundvorrat in
meiner Jagdtasche noch übrig geblieben war. Dieses befestigte ich an eine
ziemlich lange Hundelinie, die ich
aufdrehete, und so wenigstens noch um viermal verlängerte. Nun verbarg ich
mich im Schilfgesträuch am Ufer, warf meinen Speckbrocken aus und hatte das
Vergnügen zu sehen, wie die nächste Ente hurtig herbei schwamm und ihn
verschlang. Der ersten folgten bald alle übrigen nach, und da der glatte
Brocken am Faden gar bald unverdauet hinten wieder herauskam, so verschlang
ihn die nächste, und so immer weiter. Kurz der|[24] Brocken machte die Reise
durch alle Enten samt und sonders hindurch, ohne von seinem Faden
loszureißen. So saßen sie denn alle daran, wie Perlen an der Schnur. Ich zog
sie gar allerliebst ans Land, schlang mir die Schnur ein halbes Dutzendmahl
um Schultern und Leib, und ging meines Weges nach Hause zu. Da ich noch eine
ziemliche Strecke davon entfernt war, und mir die Last von einer solchen
Menge Enten ziemlich beschwerlich fiel, so wollte es mir fast leid tun,
ihrer allzu viele eingefangen zu haben. Da kam mir aber ein seltsamer
Vorfall zu Statten, der mich Anfangs in nicht geringe Verlegenheit setzte.
Die Enten waren nämlich noch alle lebendig, fingen, als sie von der ersten
Bestürzung sich erholt hatten, gar mächtig an mit den Flügeln zu schlagen,
und sich mit mir hoch in die Luft zu erheben. Nun wäre bei manchem wohl
guter Rat teuer gewesen. Allein ich benutzte diesen Umstand, so gut ich
konnte, zu meinem Vorteil, und ruderte mich mit meinen Rockschößen nach der
Gegend meiner Behausung durch die Luft. Als ich nun gerade über meiner
Wohnung angelangt war, und es darauf ankam, ohne Schaden mich herunter zu
lassen, so drückte ich einer Ente nach der andern den Kopf ein,[25] sank
dadurch ganz sanft und allmählig gerade durch den Schornstein meines Hauses
mitten auf den Küchenherd, auf welchem zum Glück noch kein Feuer angezündet
war, zu nicht geringem Schreck und Erstaunen meines Koches. |
Fängt die wilden Enten mit Speck
Bürger 1788, Inhalt; eigne Erzählung von Bürger, der 1. Ausgabe hinzugefügt;
Bürger 1786, S. 26ff.
In andern Jagdgeschichten tödtet ähnlich ein Schuss einen Hirsch, ein
Rebhuhn und einen Karpfen zugleich oder Einer wirft mit einem Stein einen
Hasen, mit seinem Mantel aber ein paar Rebhühner, ein Anderer schiesst einen
Hasen aus der Luft (den ein Vogel ergriffen hat), ein Dritter wirft einen
Hasen mit einem Rebhuhn todt u. s. w. Es würde zu weit führen, alle
Jagdgeschichten zu analysiren, das Thema, welches sie behandeln, ist wie es
scheint unerschöpflich, und es soll hier nur noch die Jagd- lüge
angeschlossen werden, welche zu Anfang des 16. Jahrh. im Eulenspiegel zuerst
auftritt. Wenn er erzählt, er habe an einem mit Brodstückchen versehenen
Faden über 200 Hühner aneinander gekoppelt, „macht, daz die hüner zugen das
luder“, so ist dies die einzige Lüge, welche er zum Münchhausen beisteuert,
zugleich aber auch die einzige deutsche Quelle für den Entenfang
repräsentirend, den der Lügenbaron mittels eines Fadens und Specks
bewerkstelligt.
Müller-Fraureuth 1881, S. 41f.
Hundelinie:
Hundeleine
|
Einen ähnlichen Vorfall hatte ich
einmal mit einer Kette Hühner. Ich war ausgegangen, um eine neue Flinte zu
probieren, und hatte meinen kleinen Vorrat von Hagel
ganz und gar verschossen, als wider alles Vermuten vor meinen Füßen
eine Flucht Hühner aufging. Der Wunsch einige derselben Abends auf meinem
Tische zu sehen brachte mich auf einen Einfall, von dem sie, meine Herren,
auf mein Wort, im Falle der Not Gebrauch machen können, Sobald ich gesehen
hatte wo sich die Hühner niederließen, lud ich hurtig mein Gewehr, und
setzte statt des Schrotes den Ladstock
auf, den ich, so gut sichʼs in der Eile tun ließ, an dem obern Ende
etwas zuspitzte. Nun ging ich auf die Hühner zu, drückte, so wie sie
aufflogen, ab, und hatte das Vergnügen zu sehen, dass mein Ladstock mit
sieben Stücken, die sich wohl wundern mochten, so früh am Spieße vereinigt
zu werden, in einiger Entfernung allmählig herunter sank.|[26] – Wie gesagt,
man muss sich nur in der Welt zu helfen wissen. |
Einen ähnlichen […] herunter sank.] nicht in B1
und B2
Schießt Hühner mit dem Ladstock
Bürger 1788, Inhalt); eigne Erzählung von Bürger, der 2. Ausgabe
hinzugefügt; Bürger 1788, S. 25f.
Hagel: das
in Körner gegossene Blei, das Schrot (DWB)
Flucht Hühner: ein flug tauben, rebhüner, vögel, eine rotte, ein
haufe (DWB)
Ladstock: die Ladehilfe einer
Vorderladerwaffe
Ohne Münchhausen zu erwähnen erzählt der Diplomat in Dänischen Diensten,
Rochus Friedrich Graf zu Lynar, der den Freihernn wohl in St. Petersburg
kennen gelernt hat, folgendes Jagdabenteuer:
Aus Versehen war einmal der Lade-Stock in der Flinte stecken geblieben;
Nichtsdestoweniger lief der Schuß so glücklich ab, daß zwanzig
Crammets-Vögel, welche in einer Reyhe auf dem Aste eines Baumes sassen,
dadurch gespieset wurden, und sämtlich herunter fielen.
Rochus Friedrich von Lynar: Der Sonderling; von Lynar 1761, S. 34.
Wichmann lügt, wie der bekannte Münchhausen, und erzählte, daß er einmal
in der Wuth sieben Menschen auf seinen Degen gespießt habe, wie man Lerchen
an einen Bratspieß steckt. Und zu dieser Wuth habe ihn die Eifersucht
getrieben.“
Elisa von der Recke: Aufzeichnungen und Briefe aus ihren Jugendtagen. Hrsg.
v. Paul Rachel. Leipzig 1900, Brief vom 18. Juni 1771 an Mademoiselle Stoltz,
S. 183-188, hier S. 186.
Zu Göttingen, an Rühlenders Wirthstafel, [Rühländer, Johann Heinrich: Das
von ihm in den Jahren 1764-1802 geführte Speiselokal befand sich in der
Jüdenstraßc Nr. 462] machte ich auch die persönliche Bekanntschaft des
berüchtigten Freiherrn Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen, dem seine
Gewandtheit im Lügen eine Weltberühmtheit erworben und – in Bürgers, nach
einem englischen Originale angefertigten Bearbeitung – dem Buchhändler
Dieterich 1786 zu einem einträglichen Verlagsartikel verholfen hat. Er
speiste oft mit uns als Fremder, wenn seine Angelegenheiten ihn nach
Göttingen führten, und einst hörte ich ihn über Tisch ein Märchen erzählen,
das, so viel ich weiß, noch nicht gedruckt ist. Er habe, versicherte
Münchhausen, auf der Jagd eine Wolke Rebhühner in einer Ackerfurche einzeln
hinter einander herlaufend angetroffen, unverzüglich seinen eisernen
Ladestock in den Flintenlauf gesteckt und so haargenau geschossen, daß ihrer
sieben wie an einem Bratspieße angepflöckt worden wären. Das sei ihm so
drollig vorgekommen, daß er die Rebhühner nicht abgenommen, sondern sie
rupfen und an dem nämlichen Ladestocke habe braten lassen.
H[einrich] A[ugus]t O[ttokar] Reichard. (1751-1828.) Seine
Selbstbiographie überarbeitet und herausgegeben von Hermann Uhde. Stuttgart
1877, S. 47f.
Graf Frohen Christof von Zimmern, der Hauptverfasser der Zimmerischen
Chronik, war ein grosser Liebhaber von aller Art Spässen und Schwänken, und
so hat er denn unter andern auch einige Lügenschnurren mit aufgenommen, neu
localisirt, zum Theil in seine Zeit und unmittelbare Nachbarschaft versetzt.
So den Ritt unter dem Eis und die Jagdlüge, die er dem Rheingraf Jacob in
den Mund legt. Zwar ist dies der erste Ort, wo wir etwas hören, was den
Entenflug Münchhausens vorbildet, jedesfalls knüpft aber die Erzählung des
Grafen an einen Schwank an, welcher schon bekannt war, vielleicht auch
schriftliche Aufzeichnung erfahren hatte. Denn wenn Vincentius von einem
Wildschützen erzählt, den 12 unter seinen Gürtel gesteckte Kraniche (der
Rheingraf stösst die erlegten Enten ebenfalls „mit den kragen under die
gurtel“) in die Luft emporheben und hinwegführen, so kann Heinrich Julius
aus der Zimmerischen Chronik natürlich nicht geschöpft haben, sondern er
verwerthete eine Lüge, die er irgendwo schon vorfand. Im Anfange des 18.
Jahrh. lässt sich diese Geschichte mehrfach nachweisen, sogar in der
Gestalt, dass der Jäger von den an seinen Ladstock angespiessten 12 Enten
über einen Teich an einen Baum getragen wird, von dem er „mit Lust und nach
Wunch im vorbeifliegen Feldhühner herunterschosse“. Münchhausen verwerthete
die Lüge hoch einmal, indem er sich beim Schiffbruch auf einer Rothgans
retten lässt. – Alles Dies ist offenbar nur ein Nachklang der orientalischen
Erzählungen vom Vogel Rokh, an den namentlich auch eine Erzählung „dʼun
petit oyseau“ des französischen Lügenbuches erinnert.
Müller-Fraureuth 1881, S. 69f.
|
Ein anderes Mal stieß mir in einem
ansehnlichen Walde von Russland ein wunderschöner schwarzer Fuchs auf. Es
wäre Jammer-Schade gewesen, seinen kostbaren Pelz mit einem Kugel- oder
Schrotschusse zu durchlöchern. Herr
Reineke
stand dicht bei einem Baume. Augenblicklich zog ich meine Kugel aus
dem Laufe, lud dafür einen tüchtigen Brettnagel in mein Gewehr, feuerte, und
traf so künstlich, dass ich seine
Lunte fest
an den Baum nagelte. Nun ging ich ruhig zu ihm hin, nahm mein Weidmesser,
gab ihm einen Kreuzschnitt übers Gesicht, griff nach meiner Peitsche und
karbatschte ihn so artig aus seinem
schönen Pelze heraus, dass es eine wahre Lust und ein rechtes Wunder zu
sehen war. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Karbatscht einen Fuchs aus seinem Pelze
Bürger 1788, Inhalt
Auf der Jagd in Rußland stieß ich einst auf einen schönen schwarzen Fuchs,
dessen Balg ich gern so unbeschädigt als möglich gehabt hätte. Er stand nah
an einem Baum; ich lud also statt der Kugel einen spitzigen Nagel, und
schoß, und traf so glücklich, dass ich seinen Schwanz an diesen Baum
nagelte. Nun, wie er fest saß, lief ich auf ihn zu, machte mit meinem
Jagdmesser ihm einen Kreuzschnitt auf der Stirne, nahm dann meine Peitsche
zur Hand, und prügelte ihn so durch die Öffnung am Kopf zum Fell hinaus.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 95, Nr. 5
Herr Reineke: Name des Fuchses in der
Fabel.
künstlich: hier: kunstfertig
Lunte: Fuchsschwanz
karbatschte: Eine Karbatsche ist eine
aus ledernen Riemen oder Hanfseilen geflochtene Peitsche mit einem kurzen
Holzstiel. |
Zufall und gutes Glück machen oft manchen Fehler wieder gut.
Davon erlebte ich bald nach diesem ein Beispiel, als ich mitten im tiefsten
Walde einen wilden Frischling und eine
Bache dicht hinter einander hertraben
sah. Meine Kugel hatte gefehlt. Gleichwohl lief der Frischling vorn ganz
allein weg, und die Bache blieb stehen, ohne Bewegung, als ob sie an den
Boden festgenagelt gewesen wäre.|[27] Wie ich das Ding näher untersuchte, so
fand ich, dass es eine alte blinde Bache war, die ihres Frischlings
Schwänzlein im Rachen hielt, um von ihm aus kindlicher Pflicht fürbass
geleitet zu werden. Da nun meine Kugel zwischen beiden hindurch gefahren
war, so hatte sie diesen Leitzaum
zerrissen, wovon die alte Bache das eine Ende noch immer kauete. Da nun ihr
Leiter sie nicht weiter vorwärts gezogen hatte, so war sie stehen geblieben.
Ich ergriff daher das übriggebliebene Endchen von des Frischlings Schwanze,
und leitete daran das alte hülflose Tier ganz ohne Mühe und Widerstand nach
Hause. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Schießt zwei wilde Schweine auseinander
Bürger 1788, Inhalt
Auch begegnet’ ich einst zwey wilden Schweinen auf der Jagd, die dicht
hinter einander gingen; ich schoß mit Fleiß mitten zwischen ihnen durch:
und siehe! das vorderste lief fort, und das hinterste blieb stehen. Bey
genauerer Untersuchung war dies eine alte blinde Sau, die den Schwanz des
vorangehenden Schweines, ohne Zweifel ihres Jungen, in den Mund genommen,
und sich so hatte leiten lassen; ich hatte den Schwanz abgeschossen, und die
Sau hatte noch ein Endchen davon im Munde. Itzt da ihr Führer sie nicht mehr
fortzog, stand sie still. Ich hatte gar nichts bei mir, um sie
niederzumachen, nahm also das Restchen Schwanz, und zog sie so gemächlich in
meinen Hof, wohin sie mir auch geduldig folgte.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 95-96, Nr. 6
In Befolgung des Spruches: „Wer da hat, dem wird gegeben“ schreibt
Kirchhof die Lüge vom abgeschossenen Ferkelschwanz ebenfalls dem
Lügenschmied zu. Diese Ungenauigkeit ist jedoch auch die einzige Abweichung,
mit der er die Schnurre nach Bebel wiedergiebt; Pauli setzt nur einen Bären
an Stelle des Schweines, ebenso „Schertz mit der Warheyt“, während
Vincentius die Geschichte etwas umständlicher erzählt. Doch ist bei ihm
nicht sowohl Überlegung als Zufall im Spiele, wogegen im „Kurtzweiligen
Reyssgespan§ von Talitz von Liechtensee v. J. 1702 der Jäger erst Erwägungen
anstellt, auf Grund deren er den Frischling zu schiessen beschliesst: ,,weil
die alte blind, könte sie ihm nicht entlaufen und werde damit beyde Schweine
bekommen, so er aber die alte zuerst fällete, werde die junge davon laufen
etc.“ Ein solches Raisonnement wäre ganz im Sinne Münchhausens, der
denjenigen für einen tadelnswerthen Weidmann erklärt, „der sich überall nur
auf das Ohngefähr oder sein Gestirn verlassen wollte, ohne sich um die
besonders erforderlichen Kunstfertigkeiten zu bekümmern u. s. w,“ Trotzdem
ist die Erbeutung der Bache und des Frischlings auch bei ihm eine Fügung des
Glücks, und er folgt vielleicht der französischen Darstellung, die trotz
ihrer Breite einen solchen Zug auch nicht aufweist, während sie wie
Münchhausen die Leitung der Bache als eine kindliche Pflicht („instinct de
nature, qui ordonne la jeunesse subvenir à la vieillesse“) betrachtet. Wenn
der Verfasser des Münchhausen „La nouvelle fabrique“ kannte, so zeugt es für
seinen guten Geschmack, dass er den Zusatz in ihr fortliess, nach welchem
auf das Geschrei des alten Ebers bei seiner Abschlachtung eine Menge junger
Wildschweine ihrem „pere grand“ zu Hülfe eilen und ebenfalls gefangen
werden.
Müller-Fraureuth 1881, S. 49f.
Auff ein zeit sagt er, wer er allein in ein wald nach wildpret zu schiessen
gangen, begegnet jm ein Wildschwein, das altershalber blind worden, vnd
eines andern jungen schwantz, welchs vor jm hergieng vnd es fürete, in dem
maul hielt. Als er dieses ersehen, hab er sein Armbrust gespannet, dem
jungen Schwein den schwantz am leib, daß er dem alten im maul blieben,
abgeschossen, welchs er also mehr den fünff meilen biß gen Stutgarten zu
marckt gefüret, vnd verkaufft hab.
Anonymusʼ Quelle: Wendunmuth Nr. CCLV. Kirchof 1563, S. 271v
Frischling: einjähriges Wildschwein
Bache: weibliches Wildschwein
Leitzaum: zaum, pl. zäume, m.,
riemenzeug am kopf der pferde und saumthiere, um diese zu lenken und zu
bändigen (DWB) |
So fürchterlich diese wilden Bachen oft sind, so sind die
Keiler doch weit grausamer und
gefährlicher. Ich traf einst einen im Walde an, als ich unglücklicher Weise
weder auf Angriff noch Verteidigung gefasst war. Mit genauer Not konnte ich
noch hinter einen Baum schlüpfen, als die wütende Bestie aus Leibeskräften
einen Seitenhieb nach mir tat. Dafür fuhren aber auch seine Hauer dergestalt
in den Baum hinein, dass er weder im Stande war, sie sogleich wieder
herauszuziehen, noch den Hieb zu wiederholen. – „Haha! dachte ich, nun
wollen wir dich|[28] bald kriegen!“ – Flugs nahm ich einen Stein, hammerte
noch vollends damit drauf los, und nietete seine Hauer dergestalt um, dass
er ganz und gar nicht wieder loskommen konnte. So musste er sich denn nun
gedulden, bis ich vom nächsten Dorfe Karren und Stricke her beigeholet
hatte, um ihn lebendig und wohl behalten nach Hause zu schaffen, welches
auch ganz vortrefflich von Statten ging. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Fängt einen Keiler und führt ihn nach Hause
Bürger 1788, Inhalt
Ich ging einmal durch den Wald, und hatte gar nichts von Gewehr beymir. Ehe
ich es mich versehe, läuft ein grimmiger Eber auf mich zu, und macht Mine,
mich durch und durch zu bohren. Da war guter Rat theuer. In der Noth
entschloß ich mich gleich, hinter einen Baum zu springen, und da in Geduld
mein Schicksal abzuwarten. Der Eber läuft nun wirklich auf den Baum los,
hinter dem ich stehe, und zwar mit solcher Wuth, daß die Zähne in den Baum
fahren, und auf der andern Seite wieder heraus kommen. Hoho! dachte ich; nun
will ich dich schon kriegen. Gleich nahm ich einen Stein auf, der neben mir
lag, hämmerte damit die Hauer krumm, daß der Eber nicht wieder weg konnte,
und ging nun nach dem nächsten Dorf, um einen Wagen und Stricke zu holen.
Ich band ihn, lud ihn auf und brachte ihn glücklicherweise lebendig nach
Hause.
Noch zwei M–Lügen. Herr von M..n, von dem schon im vorigen Theile einige
Geschichten erzählt sind, hatte auch einmal folgende Begebenheit (er soll
selbst reden.)
Raspes Quelle: MhG, 9. Teil 1783, S. 76-77, Nr. 106.
Die Geschichte von dem Eber, der seinen Zahn in einen Baum stösst und vom
Lügenschmied vernietet wird, ist auch in das Märchen vom tapfern
Schneiderlein verwebt, das zuerst in des Montanus Wegkürzer erzählt wird.
Wenn sich der tapfere Held desselben hinter den Baum versteckt, so blickt
die Lüge bei Bebel hindurch; Vincentius dagegen nimmt aus der Übersetzung
Kirchhofs die Ungenauigkeit mit auf, dass er sich in den hohlen Stamm der
Eiche verkriecht. Das Verstecken hinter den Baum, welches auch Münchhausen
nicht unter seiner Würde hält, ist jedenfalls naiver, als wenn der „Serrurier“
im französischen Lügen- buch auf den Baum klettert, und erklärt auch das
Durchstossen des Baumes seitens des Ebers besser. Wenn der Canstatter
Schlosser das Vernieten als ein in sein Fach schlagendes Stück Arbeit
betrachten kann („in mentem venit ut districti pugionis capulo dentis aciem,
ut solent fabri dum arcularum clavos incurvant, reflectere et retunderet“),
so bedient sich Vincentius seines Dolches, „le pauvre Serrurier“ befestigt
den Zahn „avec son marteau“, Münchhausen hämmert ihn mit einem Stein um und
Abraham a S. Clara, der die Geschichte auch erzählt, lässt den Zahn mit
einem Bohrer angebohrt werden.
Müller-Fraureuth 1881, S. 49.
ITem in einem Wald stieß auff jn gar allein ein vberauß starck Wildschwein,
das ein hewer vnd mit zenen, die jm einer halben ellen lang zum maulauß
reckten, gewapnet, vnnd darumb daß es gehundt gantz zornig was. Welches grim
er zufliehen in einen alten Eichenbaum kroch, vnnd sich versteckte. Als nun
das Schwein jn darinn vermerckt, hieb es mit gewalt durch den baum, daß der
Schmid die Zeen zimlich lang wol sehen mochte, derhalben nam er seinen
Dolchen, der oben am hefft ein breite platte hette, hielt die für das loch,
vnd do das Schwein weiter zu arbeiten anhub, vernietet es sich selbs mit
seinem Zan, vnd ward von dem Schmid gefangen vnd getödtet.
Anonymusʼ Quelle: Wendunmuth Nr. CCLVI. Kirchof 1563, S. 271v
Hans Wilhelm Kirchof: Wendunmuth 1589.
Keiler: männliches Wildschwein; altere
Schreibweise auch Keuler. Der erymanthische Eber und der kalydonische Eber
waren in der griechischen Mythologie Nachkommen der gewaltigen Sau Phaia.
Der erymanthische Eber ist nach dem Berg Erymanthos in Arkadien benannt. Er
war, wie die kerynitische Hirschkuh, der Göttin Artemis geweiht und
verwüstete die Gegend um den Berg Erymanthos. Um seinem Wüten Einhalt zu
gebieten, wurde Herakles (auch unter Herkules im deutschen Sprachraum
bekannt) mit der Aufgabe betraut, ihn lebendig zu fangen und nach Mykene zu
bringen. Dazu trieb ihn der Held aus dem Dickicht des Waldes, in dem der
Eber hauste, heraus und tief in ein Schneefeld hinein. Der Eber ermüdete
rasch und Herakles hatte somit eine weitere Aufgabe erfüllt.
Wikipedia
Antonio Tempesta: Hercules und der Eber von Erymanthus, 1608
|
Albrecht Dürer: St. Hubertus, auch Eustachius genannt, Kupferstich um 1501.
Sie haben unstreitig, meine Herren, von dem Heiligen und
Schutzpatron der Weidmänner und Schützen, St.
Hubert, nicht minder auch von dem stattlichen Hirsche gehört, der ihm
einst im Walde aufstieß, und welcher das heilige Kreuz zwischen seinem
Geweihe trug. Diesem Sanct habe ich noch alle Jahre mein Opfer in guter
Gesellschaft dar gebracht, und den Hirsch wohl tausendmal, sowohl in Kirchen
abgemalt, als auch in die Sterne seiner Ritter gestickt, gesehen, so dass
ich auf Ehre und Gewissen eines braven Weidmanns kaum zu sagen weiß, ob es
entweder nicht vor Zeiten solche Kreuzhirsche gegeben habe, oder wohl gar
noch heutiges Tages gebe. Doch lassen Sie sich vielmehr erzählen, was ich
mit meinen eigenen Augen sah. Einst, als ich alle mein Blei verschossen
hatte, stieß|
|
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
St. Hubert: der heilige Hubertus,
gestorben 728 als Bischof von Lüttich; nach der Legende soll Hubertus an
einem Feiertag seiner Jagdleidenschaft gefrönt haben, wurde aber durch die
Erscheinung eines Hirsches mit einem goldenen Kreuz zwischen den
Geweihstangen bekehrt. Diese Legende ist in den großen mittelalterlichen
Sammlungen nicht vertreten und war den Gebildeten des 18. Jahrhunderts nur
durch die verschiedenen Darstellungen in den Künsten bekannt.
Nun ist noch rückständig von den Jagd-Patronen, welche in alten Zeiten
und einigermassen auch noch itzo von den Liebhabern der Jagd verehret
werden, allhier etwas anzufügen. Das Andencken des H. Eustachii ist ziemlich
erloschen. Man erzehlet von ihm, daß er zu Trajani Zeiten ein fürnehmer
Bedienter gewesen und der Jagd sehr obgelegen habe, nachdem ihm aber dabey
ein Hirsch erschienen, welcher zwischen seinen Geweihen den gecreuzigten
Christum geführet, so sey er dadurch bekehret, habe sich taufen lassen und
wäre gleichsam ein anderer Hiob worden, und als er nach seiner Genesung zu
Zeiten Hadriani den Götzen nicht opfern wollen, hätte man ihn, samt Frau und
Kindern, in einem ehernen Ochsen durchs Feuer getödtet.
Friedrich Ulrich Stisser [...], Forst- und Jagd-Historie der Teutschen
Anjetzo vermehrt, verbessert, und mit einer Vorrede versehen von D. Heinrich
Gottlieb Francken, [...]. Leipzig 1754, S. 348f.
Ebstein 1925, S. 81.
|
|
f
Bürger, Erste Auflage
1786
|
in die Sterne seiner Ritter gestickt: Der Orden
des Heiligen Hubertus (kurz Hubertusorden, auch Orden vom Horn) war ein
jülich-bergischer, pfälzischer und bayerischer Orden. Er wurde als
weltlicher Ritterorden am 3. November 1444 von Herzog Gerhard II. von
Jülich-Berg zur Erinnerung an den Sieg in der Schlacht bei Linnich
gestiftet, der an einem Hubertustag (benannt nach dem heiligen Hubertus) im
gleichen Jahr erfochten worden war. Dieser Sieg bestätigte dem Herzog seinen
Besitz gegen die Ansprüche seines Vetters Arnold von Geldern. Seinen
Hauptsitz hatte der Orden zunächst in der Pfarrkirche zu Nideggen im
Herzogtum Jülich-Berg.
Erst Gerhards Sohn Wilhelm gab dem Orden Statuten. Da die Ritter zunächst
eine goldene Kette von Jagdhörnern trugen, hatte der Orden noch die zweite
Bezeichnung Orden vom Horn. Als 1609 mit Johann Wilhelm I. von
Jülich-Kleve-Berg dieses Geschlecht erlosch und erneute Erbstreitigkeiten
entbrannten, geriet der Orden in Vergessenheit. Erst am 29. September 1708
rief Kurfürst Johann Wilhelm II. von der Pfalz-Neuburg, Herzog von
Jülich-Berg, in Düsseldorf den Orden feierlich wieder ins Leben zurück. Mit
Bestätigung und Erweiterung der Statuten durch den Kurfürsten Karl Theodor
wurde er 1744 zu einem kurpfälzischen Orden. König Maximilian I. von Bayern
erhob ihn zum ersten und höchsten Orden des bayerischen Königreichs. Seit
seiner Stiftung bestand er aus einer Klasse. Zwölf Grafen und Freiherrn
sollten zu seinen Mitgliedern zählen. Souveräne, Mitglieder fürstlicher
Familien und Ausländer konnten in unbeschränkter Zahl nach Belieben des
Großmeisters zusätzlich aufgenommen werden.
Das Ordenszeichen besteht aus einem weißemaillierten, goldgeränderten
Malteserkreuz mit einer goldenen Kugel auf jeder der acht Spitzen. Die Arme
sind mit goldenen Flämmchen besät. In den Winkeln sind je drei goldene
Strahlen angebracht und über dem Kreuz befindet sich die goldene
Königskrone. Auf der Vorderseite zeigt das Medaillon auf grünem Grund die in
Gold dargestellte Bekehrungsgeschichte des heiligen Hubertus. Der rote Reif,
der das Medaillon einfasst, trägt in Perlen die niederfränkische Devise In
traw vast (In Treue fest). Die Rückseite zeigt hingegen einen birnenförmigen
Schild, in dessen Mitte auf rotem Grund ein goldener Reichsapfel mit dem
Kreuz ruht und dessen weißemaillierte bandartige Einfassung die Inschrift In
memoriam recuperatae dignitatis avitae 1708 (Zur Erinnerung der
wiedererworbenen, angestammten Würde 1708) trägt.
Wikipedia
Kreuz des Hubertusordens (Orden des Heiligen Hubertus, Orden vom Horn) -
Bayern
[29] mir ganz wider mein Vermuten, der stattlichste Hirsch
von der Welt auf. Er blickte mir so, mir nichts, dir nichts, ins Auge, als
ob ers auswendig gewusst hätte, dass mein Beutel leer war. Augenblicklich
lud ich in dessen meine Flinte mit Pulver und darüber her eine ganze Hand
voll Kirschsteine, wovon ich, so hurtig sich das tun ließ, das Fleisch
abgesogen hatte. Und so gab ich ihm die volle Ladung mitten auf seine Stirn
zwischen das Geweihe. Der Schuss betäubte ihn zwar – er taumelte – machte
sich aber doch aus dem Staube. Ein oder zwei Jahre darnach war ich in eben
demselben Walde auf der Jagd; und siehe! zum Vorschein kam ein stattlicher
Hirsch, mit einem vollausgewachsenen Kirschbaume, mehr denn zehn
Fuß hoch, zwischen seinem Geweihe. Mir
fiel gleich mein voriges Abenteuer wieder ein; ich betrachtete den Hirsch
als mein längst wohl erworbenes Eigentum, und legte ihn mit einem Schusse zu
Boden, wodurch ich denn auf einmal an Braten und Kirschtunke zu gleich
geriet. Denn der Baum hing reichlich voll Früchte, die ich in meinem ganzen
Leben so delikat nicht
gegessen hatte. Wer
kann nun wohl sagen, ob nicht irgend ein passionierter heiliger Weidmann,
ein jagdlusti|[30]ger Abt oder Bischoff, das Kreuz auf eine ähnliche Art
durch einen Schuss auf St. Huberts Hirsch zwischen das Gehörne gepflanzt
habe? Denn diese Herren waren ja von je und je wegen ihres Kreuz- und –
Hörnerpflanzens berühmt, und sind es zum Teil noch bis auf den heutigen
Tag. Im Falle der Not, und wenn es Aut oder Naut*) [Fußnote: *) Ought or
nought. – Eine wenigstens in Niederdeutschland in dieser Aussprache sehr
populär gewordene Redensart.] gilt, welches einem braven Weidmanne nicht
selten begegnet, greift er lieber wer weiß wo zu, und versucht eher alles,
als dass er sich die günstige Gelegenheit entwischen lässt. Ich habe mich
manches liebes Mal selbst in einer solchen Lage der Versuchung befunden.
|
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Betrachtungen über St. Huberts Kreuzhirsch
Der Baron schießt einen Hirsch mit Kirschkernen auf den Kopf, wovon ein Baum
entsprießt
Bürger 1788, Inhalt
Einmal auf der Jagd hatt’ ich mich an Schroot schon ganz verschossen; und da
find ich noch einen stattlichen Hirschen, der so still mir gerade gegenüber
steht, als wenn er meinen Mangel wüßte. Ich lade geschwinde mit Pulver, und
setze eine Menge Kirschkerne, wovon ich schnell das Fleisch absauge, droben
auf, und schieße den Hirschen gerade vor die Stirne. Er prellt zurück, aber
entkömmt mir bald. Ein Jahr nachher geh’ ich im selben Walde, und da kömmt
mir ein Hirsch entgegen, aus dessen Stirne ein Kirschbaum mit Blättern und
schöner Blüthe hervorsteht. Ich erkenne sogleich mein Eigenthum; und diesmal
entkam er mir nicht mehr.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 96, Nr. 7
Münchhausen selbst nimmt bei der Lüge von dem mit einem Kirschkern
geschossenen Hirsch, dessen Kopf dann ein Kirschbaum zierte, Bezug auf den
Hirsch, welcher einst dem Hubertus, Sohn des Herzogs Bertrandi von
Aquitanien, auf der Jagd erschien und zwar mit einem Crucifix im Geweih, –
die Entstehung dieses Kreuzes jedoch auch nur vermuthungsweise
auseinanderzusetzen ist auch die Phantasie des Lügenbarons nicht im Stande.
Bemerkt sei hierbei, dass Münchhausen seine Lüge nicht etwa selbst erfand,
sondern dass sie vor ihm schon vorhanden ist in einem Anecdotenbuche vom J.
1729. (Rudolph v. Sinnersberg: Der lustige Teutsche Halle 1729. S. 286, wo
nur ein Pflaumenkern statt des Kirschkernes verwendet wird.)
Müller-Fraureuth 1881, S. 81.
Fuß: Längenmaß zwischen 28 bis 32 cm
Hörnerpflanzens: Die Redewendung jemandem
die Hörner aufsetzen bedeutet die Ehe brechen oder einen Seitensprung
machen.
Wohl als eine Verspottung des in voller Weltlichkeit lebenden Clerus ist
die letzte Lügengeschichte Bebels: „De sacerdote et aucupe“ aufzufassen,
namentlich bei der satirischen Bemerkung Bebels am Ende: ,,Ecce quam belle
mutuis mendaciorum illecebris sacerdos ille et faber nugatores egregii
decertant“. Es ist nicht zu verwundern, dass die Priester den Heiligen Dinge
als Wunder andichteten, die im Leben als Lügen im Schwange waren, wenn sie,
wie hier, auch im Wettkampf mit profanen Lügenschmieden auftreten. Findet
neben andern weltlichen Genüssen das Waidwerk Pflege bei ihnen, so auch das,
was zu einem rechtschaffenen Jäger gehört, das Jägerlatein. Es muss dazu
dienen, die ihnen anvertraute Heerde, wie Kirchhof sich ausdrückt, „mit
seltzamen und wunderbarlichen Geschichten frölich zu machen.“ Auch darin ist
vielleicht eine etwas spöttische Absicht Bebels zu erblicken, dass er einem
Priester gerade eine Geschichte in den Mund legt, die nicht durchaus
glücklich verläuft, dass der vom Wildschwein verschlungene Reiher sammt dem
Falken beim Zerlegen des Schweines davonfliegt und ihm das Nachsehen lässt.
Auch diese Lüge entlehnte Heinrich Julius aus dem Wendunmuth, ohne eine
Veränderung an ihr vorzunehmen.
Müller-Fraureuth 1881, S. 50f.
Aut oder Naut: aut oder naut heißt was es
mag biegen oder brechen. man sagt von naut, es kommt von aut, man sagt von
nichts, es kommt von etwas, es muß etwas wahres daran sein, zum grunde
liegen. im falle der noth und wenn es aut oder naut gilt, welches einem
braven weidmanne nicht selten begegnet, greift er lieber, wer weiß wozu. (DWB)
Wie herr Albrich freiherr von Zimbern vier sön verlassen, under denen
herr Friderich bei kaiser Hainrich, dem ersten des namens, in ainer schlacht
wider könig Ruodolphen von Burgundt und herzog Burkharten von Swaben
beistendig gewest.
Wie nun Lützelstain erobert, do ruck der pfalzgraf für Einartshausen, das
die grafen auch noch inhetten, und im schrecken erobert ers gleich, zog
darnach für das schloß Villiers in Luttringen, dorin sich die grafen noch
enthielten, aber er vertrib sie auch darauß, ließ darauf das schloß gar
ußbrennen. Domit hetten sie weder ut, noch nut mer, wie man spricht. Damit
warden sie landreumig und wichen ußer land, dann sie kain behausung mer in
deutschen landen hetten, auch kain hoffnung mer, das ir widerum zu erlangen.
Zimmerische Chronik Band 1, Kapitel 8; von Zimmern 1565.
|
Was sagen Sie zum Exempel von
folgendem Kasus? – Mir waren einmal
Tageslicht und Pulver in einem polnischen Walde ausgegangen. Als ich nach
Hause ging, fuhr mir ein ganz entsetzlicher Bär mit offenem Rachen, bereit
mich zu verschlingen, auf den Leib. Umsonst durchsuchte ich in der Hast alle
meine Taschen nach Pulver und Blei. Nichts fand ich als zwei
Flintensteine, die man auf einen Notfall
wohl mitzunehmen|[31] pflegt. Davon warf ich einen aus aller Macht in den
offenen Rachen des Ungeheuers, ganz seinen Schlund hinab. Wie ihm nun nicht
allzuwohl deuchten mochte, so machte mein Bär linksum, so dass ich den
andern nach der Hinterpforte schleudern konnte. Wunderbar und herrlich ging
alles von Statten. Der Stein fuhr nicht nur hinein, sondern auch mit dem
andern Steine dergestalt zusammen, dass es Feuer gab, und den Bär mit einem
gewaltigen Knalle auseinander sprengte. Man sagt, dass so ein
wohlapplizierter Stein
a posteriori, besonders wenn er mit einem
a priori recht zusammen fuhr, schon manchen bärbeißigen Gelehrten und
Philosophen in die Luft sprengte. – Ob ich nun gleich dasmal mit heiler Haut
davonkam, so möchte ich das Stückchen doch eben nicht noch einmal machen,
oder mit einem Bär, ohne andre Verteidigungsmittel,
anbinden. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Brennt und sprengt einen Bär auseinander
Bürger 1788, Inhalt
Auf der Jagd hab’ ich immer die mehrsten sonderbaren Geschichten gehabt.
Einst in Polen kam, wie ich mich schon ganz verschossen hatt, ein Bär mit
aufgesperrtem Rachen auf mich zu; ich greife schnell in die Tasche, und
finde nichts als ein paar große Feuersteine. Einen davon schleudere ich mit
aller Kraft dem Thier in den offenen Schlund hinab; es empfindet Schmerz
davon, wendet sich schnell um. Durch die sonderbare Gestalt des andern
Feuersteines komm’ ich auf die Idee, diesen in die andre mir itzt zugewandte
Öffnung des Bären zu schleudern; es gelingt mir; der keilförmige Stein geht
herein und dringt weiter, und o Wunder! trift jenen ersten Stein im Magen,
schlägt mit ihm Feuer, und macht den Bären jämmerlich bey lebendigem Leibe
verbrennen.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 98-99, Nr. 12
Kasus: Fall, Vorkommnis, Ereignis
Flintensteine: für das Steinschloss der
Vorderladerwaffen.
wohl applizierter: richtig gebrauchter
a posteriori, besonders wenn er mit einem a
priori recht zusammen fuhr: Parodie der Grundbegriffe der Philosophie
der Aufklärung: a posteriori bedeutet aus Erfahrung, a priori ohne jede
Erfahrung. Diese Parodie steht im Zusammenhang mit Bürgers im
„Ersten
See-Abenteuer“
angesprochenen
„Beitrag zur Erfahrungs-Seelenkunde“, die den Humeʼschen
Empirismus zugrunde legt. Kant schreibt in der Einleitung zur „Kritik der
reinen Vernunft“:
Daß
alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein
Zweifel; denn wodurch sollte das Erkenntnisvermögen sonst zur Ausübung
erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren
und teils von selbst Vorstellungen bewirken, teils unsere
Verstandestätigkeit in Bewegung bringen, diese zu vergleichen, sie zu
verknüpfen oder zu trennen, und so den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu
einer Erkenntnis der Gegenstände zu verarbeiten, die Erfahrung heißt? Der
Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vorher, und
mit dieser fängt alle an.
Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so
entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung. Denn es könnte
wohl sein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein Zusammengesetztes aus
dem sei, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes
Erkenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt) aus sich
selbst hergibt, welchen Zusatz wir von jenem Grundstoffe nicht eher
unterscheiden, als bis lange Übung uns darauf aufmerksam und zur Absonderung
desselben geschickt gemacht hat.
Es
ist also wenigstens eine der näheren Untersuchung noch benötigte und nicht
auf den ersten Anschein sogleich abzufertigende Frage: ob es ein dergleichen
von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängiges
Erkenntnis gebe. Man nennt solche Erkenntnisse a priori, und unterscheidet
sie von den empirischen, die ihre Quellen a posteriori, nämlich in der
Erfahrung, haben.
Kr.
d. r. V., S. 42.
Bürgers Kant-Vorlesungen an der Universität Göttingen waren unter den
Studenten sehr beliebt, ihnen ist es zu verdanken, dass die Philosophie
Immanuel Kants zunehmend Einzug in die Lehre auf den deutschen Universitäten
fand.
Die
Geschichte vom Bären, der durch zwei Flintsteine („with wonderful success“)
zur Explosion gebracht wird kann schon bei Raspe als Parodie auf den Streit
mit dem in England vorherrschenden Empirismus gelesen werden.
Im
Februar 1761 befugte das Geheime Ratskollegium des Kurfürstentums Hannover
den handschriftlichen Nachlass von Gottfried Wilhelm Leibniz zu erschließen.
Der Kurator der Universität Göttingen und späterem Premierminister unter
Georg III., Gerlach Adolph von Münchhausen, beauftragte den jungen
Wissenschaftler, ein Manuskript zu finden und zu edieren, „das Leibniz 1704
wider den englischen Philosophen John Locke verfasst, aber wegen ´dessen
kurz darauf erfolgten Tod nicht publiziert hatte. Hintergrund war die
Veröffentlichung von John Lockes An Essay Concerning Human Understanding im
Jahre 1690, in dem dieser seine radikale empiristische Erkenntnistheorie in
Abgrenzung von Descates Rationalismus formuliert hatte. Den angeborenen
Ideen Descartesʼ setzte Locke die These entgegen, der menschliche Verstand
sei eine tabula rasa, ein „‘unbeschriebenes Papier‘, auf das sich erst die
Sinneseindrücke einprägen, die dann nach allgemeinen Regeln verglichen und
zusammengefasst werden müssen.“ 1765 erschien der „Nouveaux essais sur
l'entendement humain“ innerhalb der Schriften Leibnizʼ, die unter dem
Gesamttitel „Œuvres philosophiques“ von Raspe herausgegeben wurden. Die
Veröffentlichung veränderte schlagartig die Leibniz-Rezeption; die Lektüre
regte Immanuel Kant zu seiner Dissertation an, in denen er die Grundlagen
für seine spätere „Kritik der reinen Vernunft“ skizzierte. Kant folgte der
Argumentation von Leibniz (nach der es keine Erfahrungsbegriffe (a
posteriori) gibt, die nicht bereits durch Verstandesbegriffe (a priori)
bestimmt sind.
Schmied-K.
2005, S. 60.
Nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu, excipe: nisi ipse
intellectus. (Nichts
ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war, außer dem Verstand
selbst.)
Gottfried Wilhelm Leibniz: Nouveaux essais sur l'entendement
humain (Leibniz 1765), S. S. 67.
Titelblatt der
Erstausgabe von Kants Hauptwerk.
mit einem Bär [...] anbinden: mit einem
anbinden, östr. anbandeln, inceptare, in certamen descendere cum aliquo:
[...] Den bären anbinden, fallere hospitem, symbolum non solvere, soll von
einem bärenführer stammen, der, als er nicht zahlen konnte, sich aus dem
staube machte, und dem wirt den bären an die thür band: dasz ich ihnen
seltzame bären hätte anbinden können. (DWB) |
Es war aber gewissermaßen recht mein
Schicksal, dass die wildesten und gefährlichsten Bestien mich gerade alsdann
angriffen, wenn ich außerstande war, ihnen die Spitze
zu bieten, gleichsam
als ob ihnen der Instinkt meine Wehrlosigkeit verraten hätte.|[32] So hatte
ich einst gerade den Stein von meiner Flinte abgeschraubt, um ihn etwas zu
schärfen, als plötzlich ein schreckliches Ungeheuer von einem Bären gegen
mich anbrummte. Alles was ich tun konnte, war, mich eiligst auf einen Baum
zu flüchten, um dort mich zur Verteidigung zu rüsten. Unglücklicherweise
aber fiel mir während des Hinaufkletterns mein Messer, das ich eben
gebraucht hatte, herunter, und nun hatte ich nichts, um die Schraube, die
sich ohnedies sehr schwer drehen ließ, zu schließen. Unten am Baume stand
der Bär, und mit jedem Augenblicke musste ich erwarten, dass er mir
nachkommen würde. Mir Feuer aus den Augen zu schlagen, wie ich wohl ehemals
getan hatte, wollte ich nicht gerne versuchen, weil mir, anderer Umstände,
die im Wege standen, nicht zu gedenken, jenes Experiment heftige
Augenschmerzen zugezogen hatte, die noch nicht ganz vergangen waren.
Sehnlich blickte ich nach meinem Messer, das unten senkrecht im Schnee
steckte; aber die sehnsuchtsvollsten Blicke machten die Sache nicht um ein
Härchen besser. Endlich kam ich auf einen Gedanken, der so sonderbar als
glücklich war. Ich gab dem Strahle desjenigen Wassers, von dem|[32] man bei
großer Angst immer großen Vorrat hat, eine solche Richtung, dass es gerade
auf das Heft meines Messers traf. Die fürchterliche Kälte, die eben war,
machte, dass das Wasser sogleich gefror und in wenigen Augenblicken sich
über meinem Messer eine Verlängerung von Eis bildete, die bis an die
untersten Äste des Baumes reichte. Nun packte ich den aufgeschossenen Stiel,
und zog ohne viel Mühe, aber mit desto mehr Behutsamkeit mein Messer zu mir
herauf. Kaum hatte ich damit den Stein fest geschraubt, als Herr Petz
angestiegen kam. Wahrhaftig, dachte ich, man muss so weise als ein Bär sein,
um den Zeitpunkt so gut abzupassen, und empfing Meister Braun mit einer so
herzlich gemeinten Bescherung von Rollern, dass er auf ewig das Baumsteigen
vergaß. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Es
war aber […] das
Baumsteigen vergaß.] nicht in B1 und B2
Macht einen sinnreichen Gebrauch von Wasser und Kälte
Bürger 1788, Inhalt; eigne Erzählung
von Bürger, der 2. Ausgabe hinzugefügt; Bürger 1788, S. 32.
ihnen die Spitze zu bieten: mutig jemandem
entgegentreten; Widerstand leisten. Diese Redensart bezieht sich auf die
Spitze eines Heereszuges, der ursprünglich tatsächlich keilförmig angeordnet
war.
Bescherung von Rollern: mit einem Schuss von
groben Schrot
|
Ebenso schoss mir ein anderes Mal
unversehens ein fürchterlicher Wolf so nahe auf den Leib, dass mir nichts
weiter übrigblieb, als ihm, dem mechanischen Instinkt zufolge, meine Faust
in den offenen Rachen zu stoßen. Gerade meiner Sicherheit wegen stieß ich
immer weiter und weiter, und brachte meinen Arm beinahe bis an die Schulter
hinein.|[34] Was war aber nun zu tun? – Ich kann eben nicht sagen, dass mir
diese unbehülfliche Situation sonderlich anstand. – Man denke nur, Stirn
gegen Stirn mit einem Wolfe! – Wir äugelten uns eben nicht gar lieblich an.
Hätte ich meinen Arm zurückgezogen, so wäre mir die Bestie nur desto
wütender zu Leibe gesprungen. So viel ließ sich klar und deutlich aus seinen
flammenden Augen herausbuchstabieren. Kurz, ich packte ihn beim Eingeweide,
kehrte sein Äußeres zu innerst, wie einen Handschuh, um, schleuderte ihn zu
Boden und ließ ihn da liegen. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Kehrt einen Wolf um
Bürger 1788, Inhalt
Ein andermal – immer als wenn die wildesten Thiere wüßten, wenn ich kein
Schießgewehr hätte – springt ein schrecklicher Wolf auf mich zu. Er ist mir
schon ganz nahe, und maschinenmäßig stoß ich meine Hand in seinen
aufgesperrten Rachen, drucke nun meiner Sicherheit wegen immer tiefer
hinein, und behalte so meinen Arm in seinem Leibe. In dieser Stellung war
ich freylich sicher; aber wie nun loszukommen? Immer so zu stehn hatt ich
nicht Lust; und zog ich den Arm heraus, so fiel das wütend gemachte Thier
mich an. Kurz und gut entschloß ich mich; ich griff inwendig fest an ein
Stück des Leibes, zog den Wolf um, wie einen Handschuh, und ließ ihn so
liegen.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 99, Nr. 13
So hat das französische Lügenbuch auch die bei Bebel nun folgende Lüge
vom umgekrempelten Wolf noch weiter getrieben, indem der umgewendete Wolf
durch eine nochmalige Umkehrung, eine Retrovertirung in seinen natürlichen
Zustand zurückversetzt wird. Kirchhof findet schon die einmalige Umkehrung
lügenhaft genug, um der Erzählung die Mahnung vorausgehen zu lassen, nicht
zu pfeifen. Fast wörtlich nach ihm giebt Vincentius sie wieder, er gebraucht
auch den Vergleich im Wendunmuth „wie ein schuster die schuch“, eine
ungenaue Übersetzung des Bebelschen „ut Calciolarius calceum“, im
Münchhausen: „wie einen Handschuh“ (La nouv. fabr: „ainsique la peau d'une
auguille quʼon escorche“). Heinrich Julius erweitert die Geschichte noch
dadurch, dass er den Johann Bouset auf eine Frage des Silvester für
Vincentius antworten lässt, dieser habe dem Wolf den Arm so tief
hineingesteckt, dass er nicht habe zubeissen können. Auch diese Geschichte
ist im Lügengedicht aus dem Anfang des 16. Jh. enthalten; der 14.
Zeitungsträger will sie ähnlich wie Münchhausen im tiefen Wald und Schnee
erlebt haben.
Müller-Fraureuth 1881, S. 50.
Hie pfeiff keiner, er mags sonst glauben wann er wil. Es kompt eine die wol
zeitig ist. Als er durch ein Wald in einem tieffen Schne reisete, lieff ein
starcker Wolff mit aufgesperretem rachen, als ob er jn verschlingen wolte,
gerad gegen jm. Auff das er sich nun der gefahr entlediget, mußt er es
wagen, für mit der hand dem Wolff vngestümlich durch den hals in den leib,
erwüschet den schwantz, zohe nach sich, vnnd also wie ein Schuster die
Schuch, wendet er den Wolff gar vmb.
Anonymusʼ Quelle: Wendunmuth Nr. CCLVII. Kirchof 1563, S. 272r
äugelten: äugeln bedeutet
blicken, blinken, zumal freundlich, liebäugeln
|
Dies Stückchen hätte ich nun wieder
nicht an einem tollen Hunde versuchen mögen, welcher bald darauf in einem
engen Gässchen zu St. Petersburg gegen mich anlief. „Lauf, was du kannst!“
dachte ich. Um desto besser fortzukommen, warf ich meinen
Überrock ab und rettete mich geschwind
ins Haus. Den Rock ließ ich hernach durch meinen Bedienten hereinholen und
zu den andern Kleidern in die Garderobe hängen. Tages darauf geriet ich in
ein gewaltiges Schrecken durch meines Johanns Geschrei: „Herr Gott, Herr
Baron, Ihr Überrock ist toll!“ Ich sprang hurtig zu ihm hinauf, und fand
alle meine Klei-|[35]der umher gezerret und zu Stücken zerrissen. Der Kerl
hatte es auf ein Haar getroffen, dass der Überrock toll sei. Ich kam gerade
noch selbst dazu, wie er über ein schönes neues Galakleid herfiel, und es
auf eine gar unbarmherzige Weise zerschüttelte und umherzauste. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Sein Überrock wird toll
Bürger 1788, Inhalt
Bey einen Winterspaziergang kam, nah an meinem Hause ein toller Hund auf
mich zu. Um schneller zu entkommen, warf ich meinen Pelz ab; und war mit
zwey Sprüngen in meiner Thüre. Hernach ließ ich den Pelz holen, und der
Bediente hängte ihn zu den andern Kleidern. Am andern Morgen rief mich des
Kerls Geschrey herbey: „Ach, sehn Sie mal, was der Pelz macht!“ Ich kam, und
fand fast alle meine Kleider herumgeworfen und zerrissen, und sah den Pelz
über ein neues Kleid hergefallen, das er jämmerlich zerzauste. – Es war also
offenbar, daß der Hund, dem ich gestern entging, in den Pelz mußte
gebissen haben, und daß der Pelz davon toll geworden war.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 101, Nr. 15
Überrock:
Aus dem Pelz im Vade Mecum und dem fur cloak (ein Mantel aus
Tierfell) bei Raspe wird bei Bürger ein
Überrock, der durch den Biss eines tollen Hundes auch toll wurde.
|
In allen diesen Fällen, meine
Herren, wo ich freilich immer glücklich, aber doch nur immer mit genauer Not
davonkam, half mir das Ohngefähr, welches
ich durch Tapferkeit und Gegenwart des Geistes zu meinem Vorteile lenkte.
Alles zusammengenommen macht, wie jedermann weiß, den glücklichen Jäger,
Seemann und Soldaten aus. Der aber würde ein sehr unvorsichtiger,
tadelnswerter Weidmann, Admiral und General sein, der sich überall nur auf
das Ohngefähr, oder sein Gestirn verlassen wollte, ohne sich weder um die
besonders erforderlichen Kunstfertigkeiten zu bekümmern, noch sich mit
denjenigen Werkzeugen zu versehen, die den guten Erfolg sichern. Ein solcher
Tadel trifft mich keinesweges. Denn ich bin immer berühmt gewesen. sowohl
wegen der Vortrefflichkeit meiner Pferde, Hunde und Gewehre, als auch wegen
der besondern Art, das alles zu handhaben, so dass ich mich wohl|[36] rühmen
kann, in Forst, Wiese und Feld meines Namens Gedächtnis hinlänglich
gestiftet zu haben. Ich will mich nun zwar nicht auf
Partikularitäten von meinen Pferd- und
Hundeställen oder meiner Gewehrkammer einlassen, wie Stall-, Jagd- und
Hundejunker sonst wohl zu tun pflegen; aber zwei von meinen Hunden
zeichneten sich so sehr in meinen Diensten aus, dass ich sie nie vergessen
kann. und ihrer bei dieser Gelegenheit mit wenigem erwähnen muss. Der eine
war ein Hühnerhund, so unermüdet, so aufmerksam, so vorsichtig, dass jeder,
der ihn sah, mich darum beneidete. Tag und Nacht konnte ich ihn gebrauchen: wurdʼ es Nacht, so hing ich ihm eine Laterne an den Schwanz, und nun jagte
ich so gut oder noch besser mit ihm als am hellen Tage. – Einst (es war kurz
nach meiner Verheueratung) bezeugte meine Frau Lust, auf die Jagd zu gehen.
Ich ritt voran, um etwas aufzusuchen, und es dauerte nicht lange, so stand
mein Hund vor einer Kette von einigen hundert Hühnern. Ich warte und warte
immer auf meine Frau, die mit meinem Leutnant und einem Reitknechte, gleich
nach mir weggeritten war; niemand aber war zu sehen und zu hören. Endlich
werde ich unruhig, kehre um, und|[37] ungefähr auf der Hälfte des Weges höre
ich ein äußerst klägliches Winseln. Es schien mir ziemlich nahe zu sein, und
doch war weit und breit keine lebendige Seele zu erblicken. Ich stieg ab,
legte mein Ohr auf den Boden, und nun hörte ich nicht nur, dass dies Jammern
unter der Erde war, sondern erkannte auch ganz deutlich die Stimme meiner
Frau, meines Leutnants und meines Reitknechts. Zugleich sehe ich auch, dass
nicht weit von mir die Öffnung einer Steinkohlengrube war, und es blieb mir
nun leider kein Zweifel mehr, dass mein armes Weib, und ihre Begleiter da
hineingestürzt waren. Ich eilte in voller Karriere nach dem nächsten Dorfe,
um die Grubenleute zu holen, die endlich nach langer, höchst mühseliger
Arbeit, die Verunglückten aus einer neunzig
Klafter tiefen Schacht zutage forderten. Erst brachten sie den
Reitknecht, dann sein Pferd, dann den Leutnant, dann sein Pferd, dann meine
Frau und zuletzt ihren türkischen Klepper. Das wunderbarste bei der ganzen
Sache war, dass Menschen und Pferde bei diesem ungeheueren Sturze, einige
kleine Quetschungen abgerechnet, fast gar nicht beschädigt waren; desto mehr
aber hatten sie durch die unaussprechliche Angst gelitten. An eine Jagd|[38]
war nun, wie Sie sich leicht vorstellen können, nicht mehr zu denken; und da
Sie, wie ich fast vermute, meinen Hund während dieser Erzählung vergessen
haben, so werden Sie mir es nicht übel nehmen, dass auch ich nicht mehr an
ihn dachte. Mein Dienst nötigte mich, gleich den andern Morgen eine Reise
anzutreten, von der ich erst nach vierzehn Tagen zurückkam. Ich war kaum
einige Stunden wieder zu Hause, als ich meine Diane vermisste. Niemand hatte
sich um sie bekümmert; meine Leute hatten sämtlich geglaubt, sie wäre mit
mir gelaufen; und nun war sie zu meinem großen Leidwesen nirgends zu finden.
– Endlich kam mir der Gedanke: sollte der Hund wohl gar noch bei den Hühnern
sein? Hoffnung und Furcht jagten mich augenblicklich nach der Gegend hin,
und, siehe da! zu meiner unsäglichen Freude stand mein Hund noch auf
derselben Stelle wo ich ihn vor vierzehn Tagen verlassen hatte. Piel, rief
ich, und sogleich sprang er ein, und ich bekam auf einen Schuss fünf und
zwanzig Hühner. Kaum aber konnte das arme Tier noch zu mir ankriechen, so
ausgehungert und abgemattet war es. Um ihn mit mir nach Hause bringen zu
können, musste ich ihn auf mein Pferd nehmen, und Sie|[39] können leicht
denken, dass ich mich mit der größten Freude dieser Unbequemlichkeit
unterzog. Nach einer guten Pflege von wenigen Tagen war er wieder so frisch
und munter als zuvor, und einige Wochen darauf machte er mir es möglich ein
Rätsel aufzulösen, was mir ohne ihn wahrscheinlich ewig ungelöset hätte
bleiben müssen. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
zwei von meinen
Hunden […] Vollkommenheiten gehabt hätte.] nicht in B1 und B2
Praktische Betrachtungen [Jagd mit Hühnerhund Piel]]
Bürger 1788, Inhalt; eigne Erzählung von Bürger, der 2. Ausgabe hinzugefügt;
Bürger 1788, S. 36-40 oben.
Die löbliche Jägerey ist darin [in der Erfindung von Lügengeschichten]
besonders fruchtbar. Ein gewisser Liebhaber derselben versicherte, und
schwohr dazu, daß in dem brabantischen Kriege er, weil es bey Tage zu
gefährlich gewesen, des Nachts auf die Rebhühner-Jagd gegangen, seinem Hunde
eine Laterne an den Schwanz gebunden, und ihn solchergestalt vor sich
revieren lassen, bis er gestanden; da er sich dann hinangeschlichen, und,
bey dem Scheine der Laterne, die auffliegenden Hühner bey Dutzenden herunter
geschossen.
Rochus Friedrich von
Lynar: Der Sonderling; von Lynar 1761, S. 33f.
Glücklicher Ausgang eines unglücklichen Rittes
(Bürger 1788, Inhalt); eigne Erzählung von Bürger, der 2. Ausgabe
hinzugefügt; Bürger 1788, S. 36.
Sein Hund steht vierzehn Tage
Bürger 1788,
Inhalt; eigne Erzählung von Bürger, der 2. Ausgabe hinzugefügt; Bürger
1788, S. 38.
das Ohngefähr: das Unabsichtige,
Zufällige, Schicksalhafte (DWB)
Gestirn: coll. zu stern. ausgehend vom
einfluß der gestirne auf naturereignisse, insbesondere auf das wetter
übertrug man diese eingebildete kraft auf die geschicke der menschen. (DWB)
Particularitäten: nur einen Teil
betreffend
Stall-, Jagd- und Hundejunker: nach der
gewohnheit, dasz junge söhne aus adlichem hause zu hofe gebracht wurden, um
im fürstendienste sich auszubilden, bezeichnet junker auch einen adlichen
diener, pagen, edelknaben, häufig heiszt junker auch der edelmann
schlechthin, ohne rücksicht auf das altersverhältnis, der adliche gutsherr.
(DWB)
Klafter: Längeneinheit von ungefähr der
Länge, die ein Erwachsener mit ausgebreiteten Armen greifen kann (ca. 180
cm)
Hühnerhund: auf Geflügeljagd spezialisierter
Hund
George Stubbs: Hühnerhund. Öl auf Leinwand 1806. Dargestellt ist ein
Jagdhund, der bei der Jagd auf Hühnervögel eingesetzt wird. Er hält eben in
seiner Bewegung inne, weil er Witterung aufgenommen hat. Neue Pinakothek
München.
Kette: Kütte, f. n. herde, schar.
schriftdeutsch ist nur kette geblieben, in der schlechtesten form und eig.
nur von rebhühnern, eine brut mit den alten, auch volk genannt: einen
ähnlichen vorfall hatte ich einmahl mit einer kette hühner. Münchhausens
reisen 1788 s. 25 (nachher das. eine flucht hühner) 36. (DWB)
mit meinem Leutnant: Münchhausens
Reisebegleiter, der später Partisan genannte wird.
Steinkohlengrube: Nordöstlich von Hameln gab
es um Deister, Süntal, Nesselberg und Osterwald eine Reihe von
Steinkohlengruben, die Brennmaterial für die beginnende Industrialisierung
im Fürstentum Braunschweig-Lüneburg (Kurfürstentum Hannover) lieferten. In
dieser Gegend lagen auch eine Reihe von Jagdrevieren, die wegen ihres
Wildreichtuns beliebt waren.
türkischen Klepper: ein für Feldarbeit oder
als Zugtier wenig geeignetes, lauffreudiges Pferd
meine Diane: Diana ist in der römischen
Mythologie die Göttin der Jagd, des Mondes und der Geburt, Beschützerin der
Frauen und Mädchen. Ihr entspricht die Artemis in der griechischen
Mythologie.
Wikipedia
Apollo und Diana, Kupferstich von Albrecht Dürer um 1503/4
|
Ich jagte nämlich zwei ganzer Tage
hinter einem Hasen her. Mein Hund brachte ihn immer wieder herum, aber nie
konnte ich zum Schusse kommen. – An Hexerei zu glauben, ist meine Sache nie
gewesen, dazu habe ich zu außerordentliche Dinge erlebt; allein hier war ich
doch mit meinen fünf Sinnen am Ende. – Endlich kam mir aber doch der Hase so
nahe, dass ich ihn mit meinem Gewehr erreichen konnte. Er stürzte nieder,
und was meinen Sie, was ich nun fand? – Vier Läufe hatte mein Hase unter dem
Leibe und viere auf dem Rücken. Waren die zwei untern Paar müde, so warf er
sich wie ein geschickter Schwimmer, der auf Bauch und Rücken schwimmen kann,
herum, und nun ging es mit den beiden neuen wieder mit verstärkter
Geschwindigkeit fort. Nie habe ich nachher einen Hasen von der Art
gefunden,|
|
Achtbeiniger Hase
Bürger 1788, Inhalt; eigne Erzählung von Bürger, der 2. Ausgabe
hinzugefügt, Bürger 1786, S. 39.
VLYSSIS ALDROVANDI PATRICH BONOBIENSIS Monstrorum historia cum
Paralipomenis historiae omnium animalium, Bologna 1642, S. 547.
Bürger, Erste Auflage 1786.
|
[40] und
auch diesen würde ich nicht bekommen haben, wenn mein Hund nicht so
ungemeine Vollkommenheiten gehabt hätte. Dieser aber übertraf sein ganzes
Geschlecht so sehr, dass ich kein Bedenken tragen würde, ihm den Beinamen
des Einzigen beizulegen, wenn nicht ein
Windspiel, das ich hatte, ihm diese Ehre streitig machte. Das
Tierchen war minder wegen seiner Gestalt als wegen seiner außerordentlichen
Schnelligkeit merkwürdig. Hätten die Herren es gesehen, so würden sie es
gewiss bewundert, und sich gar nicht verwundert haben, dass ich es so lieb
hatte, und so oft mit ihm jagte. Es lief so schnell, so oft und so lange in
meinem Dienste, dass es sich die Beine ganz bis dicht unterm Leibe weglief,
und ich es in seiner letzten Lebenszeit nur noch als Dachssucher gebrauchen
konnte, in welcher Qualität es mir denn ebenfalls noch manch liebes Jahr
diente.
|
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Dieser aber übertraf […] Schnelligkeit merkwürdig.] Danach in B1 und
B2: Mein lebelang hatte,
oder sah ich kein besseres. Es wurde alt in meinem Dienste, und war minder
wegen seiner Gestalt, als wegen seiner außerordentlichen Schnelligkeit
merkwürdig. Mit diesem Hunde jagte ich beständig Jahr aus Jahr ein.
Sein Windspiel läuft sich die Beine ab
Bürger 1788, Inhalt
Nie hatt ich einen bessern Windhund, als einen, der sehr alt bey mir ward,
und eben nicht groß war. Er lief ganz bewundernswürdig, und zuletzt, weil
ich ihn so sehr viel brauchte, lief er sich ordentlich die Beine weg, daß
sie um ein gut Theil kürzer wurden. Seit der Zeit gebraucht’ ich ihn, wie
Teckel (Dachshund), und hatt’ ihn so noch eine ganze Zeit.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 97, Nr. 9
Windspiel:
Windhund bezeichnet bezeichnet alle hochläufigen, schlanken Hetzhunde, die
ihre Beute auf Sicht jagen. Ihre ursprüngliche Aufgabe bestand darin, Hasen,
Füchse, Rehe im Laufen einzuholen. Windhunde zählen nach dem Geparden zu den
schnellsten Landtieren der Erde.
Dachssucher: Dachsfinder, auch Dachssucher,
Dachskriecher, Dächsel, Schliefer genannt, waren früher speziell für das
Aufsuchen der Dachse bei Nacht (Dachshatz) gebrauchte Hunde, die nur an
Dachsen Laut geben und jagen durften.
|
Weiland noch als
Windspiel – beiläufig zu melden, es war eine Hündin – setzte sie einst
hinter einem Hasen her, der mir ganz ungewöhnlich dick vorkam. Es tat mir
leid um meine arme Hündin; denn sie war mit Jungen trächtig, und wollte doch
noch ebenso schnell laufen als sonst. Nur|#[41] in sehr weiter Entfernung
konnte ich zu Pferde nachfolgen. Auf einmal hörte ich ein Geklaffe wie von
einer ganzen Kuppel Hunde, allein so schwach und zart, dass ich nicht
wusste, was ich daraus machen sollte. Wie ich näher kam, sah ich mein
himmelblaues Wunder. Die Häsin hatte im Laufen gesetzt, und meine Hündin
geworfen; und zwar jene gerade eben so viel junge Hasen, als diese junge
Hunde. Instinktmäßig hatten jene die Flucht genommen, diese aber nicht nur
gejagt, sondern auch gefangen. Dadurch gelangte ich am Ende der Jagd auf
einmal zu sechs Hasen und Hunden: da ich doch nur mit einem einzigen
angefangen hatte. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Sein Hund wirft Junge, während er einen Hasen jagt
Bürger 1788, Inhalt
Derselbe als er noch Windhund war, – es war eine Hündinn – lief einst ganz
allein hinter einen Hasen, der mir sehr groß vorkam. Mein armes Thier
jammerte mich, weil es schwanger war; doch ließ sie nichts im Laufen nach.
Ich folgte zu Pferde nur langsam. Plötzlich hör’ ich ein Geklaff, wie von
mehrern Hunden, aber so fein und schwach, dass ich nicht weiß, was ich draus
machen soll. Beym Näherreiten entdeck ich, dass der Hase auch ein
schwangeres Weibchen gewesen ist, und im Laufen gesetzet hat; dasselbe ist
meiner Hündin begegnet; es waren gerade gleich viel junge Hasen und junge
Hunde geworfen. Der Instinkt lehrte jene laufen, und diese verfolgen; und
wie ich herankam, hatt ich sechs Hasen von sechs Hunden gehalten.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 97-98, Nr. 10
Windspiel: Das Kleine
Italienische Windspiel stammt von den kleinwüchsigen Windhunden ab, die es
bereits am Hofe der Pharaonen im Alten Ägypten gab.
Ein andermal hetzte er mit einem trächtigen Windspiele einen Satz-Haasen.
Durch die Bewegung ward die Gebuhrt befördert; Die Hindin warf, die Häsin
setzte, beide in vollem Laufe, und zum Beweise, wie den Thieren dergleichen
in die Natur gepflanzet sey, so verfolgten in dem Augenblicke die jungen
Hunde die jungen Haasen, und die Jagd ward allgemein.
Rochus Friedrich von Lynar: Der Sonderling; von Lynar 1761, S. 34f.
R5, p. 43
|
Ich gedenke dieser wunderbaren
Hündin mit eben dem Vergnügen, als eines vortrefflichen litauischen Pferdes,
welches nicht mit Gelde zu bezahlen war. Dies bekam ich durch ein Ohngefähr,
welches mir Gelegenheit gab, meine Reitkunst zu meinem nicht geringen Ruhme
zu zeigen. Ich war nämlich einst auf dem prächtigen Landsitze des Grafen
Przobossky in Litauen, und blieb im
Staatszimmer bei den Damen zum Tee, indessen die Herren hinunter in den Hof
gingen, um ein junges Pferd von Geblüte zu|[42] besehen, welches soeben aus
der Stuterei angelangt war. Plötzlich
hörten wir einen Notschrei. – Ich eilte
die Treppe hinab und fand das Pferd so wild und unbändig, dass niemand sich
getrauete, sich ihm zu nähern, oder es zu besteigen. Bestürzt und verwirrt
standen die entschlossensten Reiter da; Angst und Besorgnis schwebte auf
allen Gesichtern, als ich mit einem einzigen Sprunge auf seinem Rücken saß,
und das Pferd durch diese Überraschung nicht nur in Schrecken setzte,
sondern es auch durch Anwendung meiner besten Reitkünste gänzlich zu Ruhe
und Gehorsam brachte. Um dies den Damen noch besser zu zeigen und ihnen alle
unnötige Besorgnis zu ersparen, so zwang ich den Gaul, durch eins der
offenen Fenster des Teezimmers mit mir hineinzusetzen. Hier ritt ich nun
verschiedene Mal, bald Schritt, bald Trott, bald Galopp herum, setzte
endlich sogar auf den Teetisch, und machte da im kleinen überaus artig die
ganze Schule durch, worüber sich denn die Damen ganz ausnehmend ergetzten.
Mein Rösschen machte alles so bewundernswürdig geschickt, dass es weder
Kannen noch Tassen zerbrach. Dies setzte mich bei den Damen und dem Herrn
Grafen so hoch in Gunst, dass er mit seiner gewöhn-|[43]lichen Höflichkeit
mich bat, das junge Pferd zum Geschenke von ihm anzunehmen, und auf selbigem
in dem Feldzuge gegen die Türken, welcher in kurzem unter Anführung
des Grafen Münnich eröffnet werden
sollte, auf Sieg und Eroberung auszureiten. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Der Baron setzt mit einem Pferde zum Fenster hinein, und reitet auf einem
Teetische die Schule, ohne weder Kannen noch Tassen zu zerbrechen
Bürger 1788, Inhalt
Ich saß eines Nachmittags auf dem Gute des Herrn von ***, mit lauter Damen
am Theetisch im Sale. Die Herren waren auf dem Hofe, um ein neues Pferd
reiten zu sehen. Bald entstand draußen ein Lerm; ich lief hin, und fand das
Pferd so unbändig, daß jeder den Hals zu brechen fürchtete, der sich ihm nur
näherte, geschweige der drauf säße. Wie alle verzagten, war ich mit einem
Satze dem Pferde auf den Rücken, und nun tummelte ichs so lange, bis ichs
ganz müde und geschmeidig kriegte. Um dieß völlig zu zeigen und um die Damen
nicht herunter zu bemühen, setzte ich damit durchs offne Fenster in den Saal
hinein, und wie es zahm genug war, und ich ihm Geschicklichkeit genug
zutraute, ließ ichs an meinem leergelassenen Stuhl auf den Theetisch
steigen, und ritt so vor allen Damen herum, wobey das Pferd so zierlich die
Füße setzte, daß es auch nicht eine Tasse zerbrach.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 98, Nr. 11
Plutarch erzählt in seiner Alexander-Biographie folgende Anekdote:
Als Philonikus aus Thessalien dem Philippus den Bucephalus für dreyzehn
Talente zum Verkauf gebracht hatte, so schien dieses Pferd allen denjenigen,
die es zu probiren auf einer Ebene sich eingefunden hatten, zu wild und ganz
unbändig zu seyn; denn es ließ keinen aufsitzen, und sprang auf alle, die
sich beym Philippus befanden, los, wenn sie es nur anredten. Philippus wurde
darüber ungehalten, und befahl es, als ein ganz wildes und unbändiges Pferd,
wieder wegzuführen. Der junge Alexander aber, der zugegen war, sagte: Um was
für ein herrliches Pferd lassen sich die Leute bringen, weil sie zu
unerfahren und ungeschickt sind, es zu regieren. Philippus schwieg
anfänglich dazu ganz stille, da der junge Prinz aber diesen Ausdruck öfters
im Herumgehen beym Pferde wiederholte, so sagte er endlich zu ihm: Willst du
ältere Leute tadeln, als wenn du mehr wie sie verstündest, und besser mit
dem Pferde umzugehen wüßtest? – Ich wollte wohl besser, als ein andrer, es
zu regieren wissen. – Wenn du es aber nun nicht kannst, was für eine Strafe
willst du für deinen Muthwillen dir selbst bestimmen? – Ich will, beym Zevs,
so viel zur Strafe bezahlen, als das Pferd kostet. Man lachte darüber, und
bestimmte den Preis des Pferdes. Darauf lief der junge Alexander auf das
Pferd zu, faßte es beym Zügel, und drehte es gegen die Sonne, weil er
vermuthlich bemerkt hatte, daß es vor dem Schatten, der vor ihm niederfiel,
und sich bewegte, scheu geworden war. Er liebkosete und streichelte es ein
wenig, und wie er sahe, daß es muthig wurde, warf er seinen Oberrock sachte
weg, und schwang sich sicher aufs Pferd. Anfänglich hielt er es, ohne
Schläge und Sporen, ganz leise im Zügel, und wie er nach einem Weilchen
merkte, daß die Wildheit nachließ, und es Lust zum Laufen bekam, ließ er den
Zügel nach, und trieb es mit stärkern Zurufen und Bewegung der Schenkel
fort. Philippus und alle Anwesende geriethen anfänglich in Furcht und
Schrecken, wie sie aber sahen, daß der junge Prinz ordentlich umlenkte, und
ganz stolz und munter wieder zurück geritten kam, so empfiengen sie ihm alle
mit frohlockendem Zurufe, sein Vater aber weinte vor Freude, und küßte ihn
beym Absteigen mit diesen Worten: Lieber Sohn, suche dir ein ander
Königreich, das deiner würdig ist, denn Macedonien ist für dich zu klein.
Anonymusʼ Quelle: Gottlob Benedict von Schirach: Biographien des Plutarchs.
Plutarch 1779, S. 199-201.
Biographien des Plutarchs mit Anmerkungen. Von Gottlob Benedict von Schirach.
Sechster Theil. Berlin und Leipzig 1779.
Neben diesen und ähnlichen Dingen, die vielfach an schon Vorhandenes
anknüpfen mögen, sind es namentlich mehrere Reiterkunststücke, welche die
Zimmerische Chronik enthält, und die ähnlich auch von Vincentius und
Münchhausen berichtet werden. Letzterer scheint namentlich an den „waidspruch
herr franz Brenners“ anzuknüpfen, „als er in ernst erzellt, wie er ainsmals
seiner hengst ain zu Kirehoflen im Schloss gedumlet, der het im auch den
zäum genomen, were mit ime die Stegen hinauf gelofen und het seins undanks
in die stuben hinein, die voller leut, getrungen; diweil es aber domals
sommers Zeiten und ganz warm wetter, also das die fenster weren ussgebrochen
gewest, do wer er mit ime, dieweil er in ihe nit halten künden, zum Fenster
hinab in hof gesprungen. Also wer er auch erzürnt worden und hett den gaul
dermassen geuett, das er mit ime wieder het hinauf zum feuster hinein
muessen springen“ Dazu die Bemerkung: „Das wardt ime domals geustlichen
geglaubt und zu den wahrhaftigen historien des Luciani gerechnet“, wie an
einer andeiii Stelle „welches als wolzu glauben, als dem Ovidio in
metamorphosi“.
Müller-Fraureuth 1881, S. 70f.
Przobossky: Der Name ist historisch
nicht belegt.
Statszimmer: in schlössern und pallästen der
fürsten und anderer großen diejenigen zimmer, welche sich durch ihre reichen
und prachtvollen verzierungen aller art [...] auszeichnen und zum empfange
hoher fremden u. s. w. bestimmt sind. (DWB)
Stuterei: Ein landwirtschaftlicher
Betrieb, der sich auf die Pferdezucht spezialisiert hat.
Notschrei: Hilferuf
des Grafen Münnich: Burkhard Christoph
Graf von Münnich (1683-1767), deutschstämmiger Ingenieur,
Generalfeldmarschall und Politiker in russischen Diensten. Unter Zarin Anna
I. gewann er gemeinsam mit Ernst Johann von Biron erheblich an Einfluss und
war er von 1731 bis 1740 Kabinetts-Minister. Am 24. Januar 1732 wurde er zum
Präsidenten des Kriegskollegiums (Kriegsminister) ernannt und am 24. Februar
1732 zum Generalfeldmarschall. Graf von Münnich reorganisierte das russische
Landheer mit der Einführung einer neuen Kriegsverfassung und einer straffen
Dienstordnung nach deutschem – vor allem preußischem – Vorbild sowie das
erste russische Kürassierregiment. Im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg
konnte Münnich die Landenge von Perekop, Otschakiw und Asow erobern und die
Residenz des tatarischen Khans Bachtschyssaraj auf der Krim zerstören. 1736
wurde er mit den Weißen-Adler-Orden ausgezeichnet und zudem Generalissimus
aller russischen Armeen. Aufgrund hoher, vor allem seuchenbedingter
Verluste, musste sich Münnich allerdings am Ende des Jahres 1738 in die
Ukraine zurückzuziehen, konnte im folgenden Jahr die Türken bei Stăuceni
erneut schlagen sowie die Festung Chotyn, die Moldau und die Krim erobern.
Das Ausscheiden Österreichs aus der Koalition führte schließlich zum Frieden
von Belgrad, bei dem die eroberten Gebiete fast vollständig wieder verloren
gingen.
Nach dem Tod der Zarin Anna I. stürzte Graf von Münnich 1740 den Vormund des
Thronfolgers Iwan VI., Herzog Ernst Johann Biron von Kurland, da er
fürchtete, dass sich die Regentschaft des unbeliebten ehemaligen Günstlings
der Zarin für alle mit diesem in Verbindung gebrachten Ausländer schädlich
sein könnte. Stattdessen ließ er Iwans Mutter Anna Leopoldowna zur Regentin
ausrufen, wurde von dieser zum Premierminister ernannt und bemühte sich um
ein Verteidigungsbündnis mit Preußen. Im Dezember desselben Jahres wurde er
bei der Thronbesteigung der Zarin Elisabeth I. als deren scharfer Gegner
verhaftet und zum Tode durch Vierteilen verurteilt. Am Schafott am 29.
Januar 1742 begnadigt, wurde er seiner Güter für verlustig erklärt und, von
seiner zweiten Frau und einem Hilfsprediger begleitet, in das sibirische
Dorf Pelym auf Lebenszeit verbannt. 1762 rehabilitierte Peter III. ihn
anlässlich einer Generalamnestie für alle Verbannten aus der Zeit
Elisabeths, holte ihn nach St. Petersburg zurück und setzte ihn wieder als
Generalfeldmarschall ein.
Nach Sturz und Ermordung Peters III. ernannte ihn Katharina die Große zum
Generaldirektor der baltischen Häfen Baltischport und Nerva sowie der Kanäle
und beauftragte ihn mit dem Bau eines neuen Hafens bei Reval. Die Vollendung
dieses Werkes erlebte Münnich nicht mehr. Er starb 1767 und wurde auf seinem
Gut Lunia nahe Dorpat (heute: Tartu, Estland) begraben. Wikipedia
Burkhard Christoph Graf von Münnich; Porträt von Heinrich Buchholz;
Hermitage, St. Petersburg. |
Ein angenehmeres Geschenk hätte mir
nun wohl nicht leicht gemacht werden können, besonders da es mir so viel
Gutes von einem Feldzuge weissagte, in welchem ich mein erstes Probestück
als Soldat ablegen wollte. Ein Pferd, so gefügig, so mutvoll und feurig –
Lamm und Bucephal zugleich – musste mich
allezeit an die Pflichten eines braven Soldaten, und an die erstaunlichen
Taten erinnern, welche der junge Alexander
im Felde verrichtet hatte.
Wir zogen, wie es scheinet, unter
andern auch in der Absicht zu Felde, um die Ehre der russischen Waffen,
welche in dem Feldzuge unter Zar Peter am
Pruth ein wenig gelitten hatte, wieder
herzustellen. Dieses gelang uns auch vollkommen durch verschiedene zwar
mühselige, aber doch rühmliche Feldzüge, unter Anführung des großen
Feldherrn, dessen ich vorhin erwähnte.|[44]
Die Bescheidenheit verbietet es
Subalternen, sich große Taten und Siege zuzuschreiben, wovon der Ruhm
gemeiniglich den Anführern, ihrer Alltagsqualitäten ungeachtet, ja wohl gar
verkehrt genug Königen und Königinnen in Rechnung gebracht wird, welche
niemals anders als Musterungs-Pulver rochen, nie außer ihren Lustlagern ein
Schlachtfeld, noch außer ihren Wachtparaden ein Heer in Schlachtordnung
erblickten.
Ich mache also keinen
besondern Anspruch an die Ehre von unsern größern Affären mit dem Feinde.
Wir taten insgesamt unsere Schuldigkeit, welches in der Sprache des
Patrioten, des Soldaten, und kurz des braven Mannes ein sehr viel
umfassender Ausdruck, ein Ausdruck von sehr wichtigem Inhalt und Belang ist,
obgleich der große Haufen müßiger Kannegießer sich nur einen sehr geringen
und ärmlichen Begriff davon machen mag. Da ich indessen
ein Korps Husaren unter meinem Kommando
hatte, so ging ich auf verschiedene Expeditionen aus, wo das Verhalten
meiner eigenen Klugheit und Tapferkeit überlassen war. Den Erfolg hiervon,
denke ich denn doch, kann ich mit gutem Fug auf meine eigene und die
Rechnung derjenigen|[45] braven Gefährten schreiben, die ich zu Sieg und
Eroberung führte. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Wie das zugegangen […]
vermisst wurde.] B1 und B2: Wie das zugegangen sein mochte, blieb mir
ein völliges Rätsel, bis ich zum Stadttore zurückritt. Da sah ich nun, dass
man, als ich pêle mêle mit dem fliehenden Feinde hereingedrungen war, das
Schutzgatter, ohne dass ichs wahrgenommen, fallen
gelassen hatte, wodurch denn der Hinterteil, der noch zuckend an der
Außenseite des Thores lag, rein abgeschlagen war. Der Verlust würde
unersetzlich gewesen sein, wenn nicht unser Kurschmid ein Mittel ausgesonnen
hätte, beide Theile, so lange sie noch warm waren, wieder zusammen zu
setzen. Er heftete sie nämlich mit jungen Lorbeer-Sprösslingen, die gerade
bei der Hand waren, zusammen. Die Wunde heilte zu; und es begab sich etwas,
das nur einem so ruhmvollen Pferde begegnen konnte. Nämlich, die Sprossen
schlugen Wurzel in seinem Leibe, wuchsen empor und wölbten eine Laube über
mir, so dass ich hernach manchen ehrlichen Ritt im Schatten meiner sowohl
als meines Rosses Lorbeern tun konnte.
(Was mit dem einen Stücke gemacht wird,) und was das
andere macht
Bürger 1788, Inhalt; eigne Erzählung von Bürger, der
2. Ausgabe hinzugefügt; Bürger 1788, S. 47f.
Bucephal: Bukephalos (von altgriechisch
βουκέφαλος buképhalos, bedeutet ‚Ochsenköpfiger‘ – aufgrund der Form des
Brandzeichens, latinisiert Bucephalus), der Name des Streitrosses von
Alexanders dem Großen.
der junge Alexander: Alexander III. von
Makedonien (356-323) war von 336 v. Chr. bis zu seinem Tod König von
Makedonien und Herrscher des Korinthischen Bundes.
Domenico Maria Canuti: Alexander and Bucephalus.
Öl auf Holz, Mitte des 17. Jahrhunderts. Privatbesitz.
Zar Peter: Peter I., der Große
(1672-1725) war von 1682 bis 1721 Zar und Großfürst von Russland und von
1721 bis 1725 der erste Kaiser des Russischen Reichs.
Jean-Marc Nattier: Peter I. Öl auf Leinwand
1717. Eremitage, St. Petersburg
Pruth: Im Zweiten Nordischen Krieg
(1700–1721) fiel Peter mit seiner Armee in das Osmanische Reich ein. Die
osmanischen Truppen kesselten ihn bei Huși, einem kleinen Ort am Pruth, ein.
Sie nutzten jedoch ihre überlegene Position nicht aus und ließen ihn
ehrenvoll abziehen.
Musterungs-Pulver: Musterung im Sinne von
einem Besuch bei einer kriegerischen Aufstellung des Militärs; dabei wird zu
Ehren des Potentaten Salut geschossen.
Kannegießer: Schwätzer
ein Korps Husaren: Husaren sind eine
Truppengattung der leichten Kavallerie. Ihre Ursprünge liegen vor allem in
Ungarn, Kroatien, Rumänien und Serbien. Charakteristisch für ihr
Erscheinungsbild sind eine mit Verschnürungen auf der Brust besetzte
Uniformjacke (Dolman bzw. Attila) und eine ähnliche, mit Pelz besetzte
Überjacke/Mente. Hieronymus Freiherr von Münchhausen war Offizier der
russischen „Braunschweig-Kürassiere“. Diese Kürassiere lagen in Riga in
Garnison und nahmen in der Folge mit Münchhausen am Russisch-Schwedischen
Krieg (1741–1743) teil.
Kürassiere (anfangs auch
Kürisser genannt, über Cuirassier von französisch cuirasse für
„Lederpanzer“, von cuir „Leder“) sind eine mit Kürassen genannten
Brustpanzern ausgestattete Truppengattung der schweren Kavallerie. |
1737 Schlacht um Otschakow, Kolorierter Stich
Einst, als wir die Türken in
Oczakow hineintrieben, gings bei der
Avantgarde sehr heiß her. Mein feuriger Litauer hätte mich beinahe in des
Teufels Küche gebracht. Ich hatte einen ziemlich entfernten Vorposten und
sah den Feind in einer Wolke von Staub gegen mich anrücken, wodurch ich
wegen seiner wahren Anzahl und Absicht gänzlich in Ungewissheit blieb. Mich
in eine ähnliche Wolke von Staub einzuhüllen wäre freilich wohl ein
Alltagspfiff gewesen, würde mich aber
ebenso wenig klüger gemacht, als überhaupt der Absicht näher gebracht haben,
warum ich vorausgeschickt war. Ich ließ daher meine Flankeurs zur Linken und
Rechten auf beiden Flügeln sich zerstreuen, und so viel Staub erregen, als
sie nur immer konnten. Ich selbst aber ging gerade auf den Feind los, um ihn
näher in Augenschein zu nehmen. Dies gelang mir. Denn er stand und focht nur
so lange, bis die Furcht vor meinen Flankeurs
ihn in Unordnung zurücktrieb. Nun wars Zeit, tapfer über ihn
herzufallen. Wir zerstreueten ihn völlig, richteten eine gewaltige
Niederlage an, und trieben ihn nicht allein|[46] in seine Festung zu Loche,
sondern auch durch und durch, ganz über und
wider unsere blutgierigsten Erwartungen.
Weil ,nun mein Litauer so
außerordentlich geschwind war, so war ich der Vorderste beim Nachsetzen, und
da ich sah, dass der Feind so hübsch zum gegenseitigen Tore wieder hinausfloh, so hielt ichs für ratsam, auf dem Marktplatze anzuhalten, und da
zum Rendezvous blasen zu lassen. Ich
hielt an, aber stellt euch, ihr Herren, mein Erstaunen vor, als ich weder
Trompeter, noch irgendeine lebendige Seele von meinen Husaren um mich sah. –
„Sprengen sie etwa durch andere Straßen? Oder was ist aus ihnen geworden?“ –
dachte ich. Indessen konnten sie meiner Meinung nach unmöglich fern sein und
mussten mich bald einholen. In dieser Erwartung ritt ich meinen atemlosen
Litauer zu einem Brunnen auf dem Marktplatze, und ließ ihn trinken. Er soff
ganz unmäßig und mit einem Heißdurste, der gar nicht zu löschen war. Allein
das ging ganz natürlich zu. Denn als ich mich nach meinen Leuten umsah, was
meint ihr wohl, ihr Herren, was ich da erblickte?“ – Der ganze Hinterteil
des armen Tieres, Kreuz und Lenden waren fort,|
[47]
und wie rein abgeschnitten. So lief denn hinten das Wasser ebenso wieder
heraus, als es von vorn hineingekommen war, ohne dass es dem Gaul zugute
kam, oder ihn erfrischte. Wie das zugegangen sein mochte, blieb mir ein
völliges Rätsel, bis endlich mein Reitknecht von einer ganz
entgegengesetzten Seite angejagt kam, und, unter einem Strome von
treuherzigen Glückwünschen und kräftigen Flüchen, mir folgendes zu vernehmen
gab. Als ich pêle mêle mit dem fliehenden
Feinde hereingedrungen wäre, hätte man plötzlich das
Schutzgatter fallen lassen, und dadurch
wäre der Hinterteil meines Pferdes rein abgeschlagen worden. Erst hätte
besagter Hinterteil, unter den Feinden, die ganz blind und taub gegen das
Tor angestürzt wären, durch beständiges Ausschlagen die fürchterlichste
Verheerung angerichtet, und dann wäre er siegreich nach einer nahe gelegenen
Weide hingewandert, wo ich ihn wahrscheinlich noch finden würde. Ich drehte
sogleich um, und in einem unbegreiflich schnellen Galopp brachte mich
die Hälfte meines Pferdes, die mir noch
übrig war, nach der Weide hin. Zu meiner großen Freude fand ich hier die
andere Hälfte gegenwärtig, und zu meiner noch größeren Verwunderung sahe
ich, dass sich dieselbe mit|[48] einer Beschäftigung amüsierte, die so gut
gewählt war, dass bis jetzt noch kein maître des plaisirs mit allem
Scharfsinne imstande war eine angemessenere Unterhaltung eines kopflosen
Subjekts ausfindig zu machen. Mit einem Worte, der Hinterteil meines
Wunderpferdes hatte in den wenigen Augenblicken schon sehr vertraute
Bekanntschaft mit den Stuten gemacht, die auf der Weide umherliefen, und
schien bei den Vergnügungen seines Harems alles ausgestandene Ungemach zu
vergessen. Hiebei kam nun freilich der Kopf so wenig in Betracht, dass
selbst die Fohlen die dieser Erholung ihr Dasein zu danken hatten,
unbrauchbare Missgeburten waren, denen alles das fehlte, was bei ihrem
Vater, als er sie zeugte, vermisst wurde. |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Das Pferd wird in zwei Stücke zerschlagen
Was mit dem einen Stücke gemacht wird, und was das andere macht
Die beiden Stücke zusammengeflickt
Lorbeerzweige wachsen hinten aus dem Pferde, und wölben eine Laube, worunter
der Baron reitet
Bürger 1788, Inhalt
Wie ich noch als Husarenoffizier diente, war ich eins Tages in einem
hitzigen Treffen. Nach dessen Ende ritt ich nach einem Dorfe zu, und kam an
einen kleinen Fluß. Ich wollte durchreiten, allein mein Pferd zeigte Lust
zum Trinken, und ich ließ ihm seinen Willen. Nach langer Zeit, binnen
welcher ich in Gedanken gewesen war, wollt ich weiter reiten, und sah mit
Erstaunen den Fluß vor mir verschwunden. Ich sah auf ein Geräusch mich um,
und fand das Wasser itzt hinter mir; und sah zugleich, daß mein Pferd in der
Schlacht war mitten von einander geschossen worden, und daß itzt beim
Saufen alles Wasser hinten wieder von ihm ausgeloffen war. Mein Pferd hatte
seine Wunde in der Hitze selbst nicht gemerkt; ich kehrte nun schnell
zurück, um es nicht ganz kalt werden zu lassen, und fand auch bald die
andere dazu gehörige Hälfte. Junge Weidenbäume, die ich ausriß, halfen mir
beide Theile gut zusammenfügen; einige Zweige davon verwuchsen mit dem
Pferde, die andern schossen in die Höhe, und krümmten sich von selbst oben
zusammen, und machten eine Laube, die mir beym Reiten hernach immer
Bedeckung und Schatten gab. Das Pferd ist itzt gestorben.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 96-97, Nr. 8
EIn Schlosser, oder wie mans an vilen enden nennt, ein Kleinschmid, schreibe
Bebelius, hab zu seiner zeit zu Rannstatt gewonet, welcher von wegen seiner
unglaublichen rede vnnd possereyen der Lugenschmidt genennet war, vnd werden
derer etliche allhie erzehlet. In dem ersten hieb er sich weidlich in die
backen, vnd sagt: Daß er in einer belegerung vor einer Statt, gar nahe mit
seiner gesellschafft auff dem Scharmützel zum Thor kommen, vnd von der
selbigen allein verlassen sey worden, auch nit wider wenden können, hab er
es darumb vollend wagen, vnd den Feinden zum Thor hineyn nacheilen müssen.
Der aber auff der Pforten, hab in deß plützlich den Schutzgatter fallen
lassen, vnd jm darmit seinen Gaul hinderm Sattel abgeschlagen, deß er doch
nicht sey gewar worden, vnd mit dem halben Pferd die feind biß auffm Marckt
beschedigt, biß so lang er der menig, die jm zu starck worden, zu
entpfliehen sich vnderstunde, sey sein Pferd vnder jm gestürzt, er den
schaden vermerckt, vnd also sich gefangen zugeben gezwungen.
Anonymusʼ Quelle: Wendunmuth: Von einem Schmid; Nr. CCLIIII. Kirchof 1563,
S. 271r.
Oczakow: Otschakiw (ukrainisch Очаків;
russisch Очаков/Otschakow, rumänisch Oceacov, türkisch-krimtatarisch: Özü)
ist eine ukrainische Hafenstadt in der Oblast Mykolajiw mit (heute) etwa
14.500 Einwohnern und das Verwaltungszentrum des gleichnamigen Rajons.
Otschakiw liegt an der Schwarzmeerküste bei der Mündung des Dnepr-Bug-Liman
und des Beresan-Liman 59 km südwestlich vom Oblastzentrum Mykolajiw und 67
km östlich von Odessa. Der Name Otschakiw stammt vom türkischen Namen der
gestärkten Siedlung Achi-Kale. Im 16. und 17. Jahrhundert eroberten die
Saporoger Kosaken die Festung Otschakiw mehrmals. Otschakiw war eine an der
strategisch wichtigen Mündung des Dnepr-Bug-Liman gelegene Festung der
Osmanen und trat wiederholt als Schauplatz russisch-osmanischer
Auseinandersetzung hervor.
Wikipedia
Avantgarde: Vorhut einer Armee
Mein feuriger Lithauer: ein Litauer
Warmblutpferd.
Alltagspfiff: Wortschöpfung Bürgers;
pfiff dient auch (in bezug auf die kurze zeit seiner dauer) zur bezeichnung
von etwas geringem, wertlosem und wird in diesem sinne als negation oder als
verstärkung derselben gebraucht. (DWB)
Bürger, Erste Auflage 1786.
Diese Geschichte enthält nicht nur ein für den Münchhausen typisches
Verfahren, ein wissenschaftlich anerkanntes Konzept auf einen anderen
Bereich zu übertragen. So weiß man beispielsweise, dass die zwei Teile eines
Polypen, wenn man ihn zerteilt, weiterleben und sich fortpflanzen.
Münchhausen wiederholt das Experiment mit einem Pferd und wirft somit für
den Leser die Frage auf: Warum funktioniert dies bei einem Pferd nur in
einer Lügengeschichte?
Münchhausen bilanziert sein Erlebnis in der deutschen Fassung außer dem mit
den Worten, dass »ich so unwidersprechliche Beweise hatte, dass in beiden
Hälften meines Pferdes Leben sei« – und verweist damit auf den unter den
Zeitgenossen sehr kontrovers diskutierten französischen Wissenschaftler und
Materialisten Julien Offray de La Mettrie. Dieser versucht mit dem Verweis
auf Truthähne und Katzen, die nach einer Enthauptung eine Zeit lang weiter
laufen und deren Muskeln sich dann selbst im Liegen weiter bewegen,
aufzuzeigen, dass »jede kleine Faser bzw. Partie der organisierten Körper«
ein Bewegungsprinzip in sich trage, das alle Grundlagen mitbringe, um
fühlende, denkende, bereuende Materie zu werden. Die Tatsache, dass ein
notorischer Lügenbaron auf diese Weise La Mettries Gesetze »beweist«, ist
ein zumindest ironisch-fragender Beitrag zu dessen Theorien, bzw. deren
damaliger Rezeption.
Beese 2020, S. 52f.
Flanqueurs: Soldaten, die sich von der
Truppe lösen, um eine Flanke zu sichern.
wider unsere blutgierigsten Erwartungen:
Bürger übersetzt falsch aus dem Englischen, indem er sanguinary
(blutdürstig) mit sanguine (lebhaft) verwechselt; er meint: wider
unsere kühnsten Erwartungen.
zum Rendezvous: Der französische Begriff
rendez-vous („begebt euch dahin“) war zunächst fast ausschließlich
militärisch von Bedeutung. Zunächst bedeutete er die Bestellung von
Truppenteilen an einen bestimmten Ort, dann dieser Ort selbst und die
Zusammenkunft sowie den Sammelplatz der für einen taktischen Zweck zu
vereinigenden Truppenteile (Marsch- oder Gefechtsrendezvous).
Für die Illustration des Abenteuers, in dem Munchausens Pferd halbiert
wird, hat Raspe als Bildmotiv die Brunnenszene gewählt (Abb. 70): Nach der
Schlacht, bei der das Tier durch das Fallgitter eines Stadttores halbiert
wurde, führt es der Baron zur Erfrischung an einen Brunnen; doch vergeblich:
Das Wasser läuft an der Schnittstelle wieder heraus. Raspes Bild-findung hat
Piktogrammcharakter erhalten, wie 470 Illustrationen aus 200 Jahren
dokumentieren. Mehrere Faktoren wirken dabei zusammen: die der
Buchillustration eigene Stabilität der Kompositionsstruktur, die
jahrhundertealte Bildtradition der Kephalophoren, also der Gestalten, die,
wie etwa der heilige Dionysius, ihr abgeschlagenes Haupt in Händen tragen,
und darüber hinaus auch – im Halbkreis aus Pferdeleib und Wasserstrahl – die
Form(el) des Regenbogens.
Wiebel 2005b, S. 126
pêle mêle] franz. Durcheinander
Schutzgatter] Fußnote bei Raspe: Ein
schweres Fallgitter mit scharfen Spitzen am unteren Ende, schnell gesenkt,
um das Eindringen eines Feindes in die befestigte Stadt zu verhindern.
die Hälfte meines Pferdes: Auch die Lüge
vom durchschnittenen Pferde stammt nicht aus der Fabrik des Cannstadter
Schmieds, wenn er auch ihr erster Gewährsmann ist. Durch den Anblick eines
fallenden Schutzgatters vielleicht im Kopfe eines anschlägigen Gesellen
entstanden, hat sie ihren Weg nicht nur zu Bebel, sondern auch zu dem
Verfasser des Lügengedichts gefunden; es ist denkbar, dass der Lügenschmied
bei seiner Neigung für Lügenschnurren dieselbe Quelle sich erschlossen
hatte, aus welcher die gereimten „Lügenden“ schöpfen, und dass er als echter
Lügner diese wie die vorhergehende Lüge als eigenes Erlebniss vortrug,
Kirchhof bietet wieder nichts Besonderes, auch Vincentius nicht, dem sie
Heinrich Julius in seinem Schauspiele von Vincentio Ladislao aus dem
Wendunmuth schöpfend, in den Mund legt. Der 18. Zeitungsträger berichtet sie
mit der Abweichung aus Ungarn, dass er das Fehlen des Hintertheils seines
Thieres erst gewahrt, als er sich anschickt, es zu tummeln. Denselben Zug
hat auch Frey, der die Geschichte nach Masier verlegt und den Buchdrucker
Martin Breit (alias Flach) in Strassburg zum Helden des tragikomischen
Abenteuers macht. Wenn er diesen vorher noch einem Verwundeten aus
Barmherzigkeit den Kopf abhauen lässt, so kann man aus der Verwerthung
derselben Besonderheit, durch Münchhausen (an einer anderen Stelle) darauf
schliessen, dass ihm die Gartengesellschaft vorlag. In geschickter Weise ist
bei ihm, abgesehen von dem noch zur Vervollständigung der Lüge erfundenen
Bericht über die Thaten des Hintertheils, zugleich eine Verquickung dieser
Geschichte mit dem Märchen vorgenommen, das die beiden Hälften mit Ruthen
zusammenheftet, um einen Baum oder eine Laube daraus hervorwachsen zu sehen.
An das Märchen Clauerts und an den Finkenritter werden wir auch dadurch
erinnert, das Frey an den von ihm gemeldeten Fall die Reflexion anknüpft,
die Sache hätte gefährlich werden können, wenn die vordere Hälfte des
Pferdes weggeschnitten worden wäre und dieses so das Gesicht eingebüsst
hätte. Die weite Verbreitung der Geschichte schon im 16. Jahrh. erhellt auch
aus Ihrem Auftreten im französischen Lügenbuch, wo sie einem „taillandier“
im Kampfe gegen die Hugenotten zustösst. Wie man, falls uns nur die
Darstellung der Gartengesellschaft bekannt wäre, aus der gewandten und
ausführlichen Art derselben auf eine schon früher vorhandene Bearbeitung im
Stile Kirchhofs schliessen würde, so ist, wie schon einmal hervorgehoben
wurde, die französische Fassung in „La nouvelle fabrique“ aus demselben
Grunde kaum die in ihrer genuinen Gestalt.
Müller-Fraureuth 1881, S. 47ff.
Daraus ward ein Pferd, sieben meilen lang, mit demselben verdienet ich
viel geld. Dann wann die Leute über Land reisen weiten vnnd am Kopff auff
sassen, vnd das Pferd sich nur umbwendet, so waren sie vier zehen meilen
weck, vnd eins mals hatte ich etliche von Adel gedinget, die gern eilends
weren an jhren bestimpten ort gewesen, vnd als sie fast dahin kamen, mistet
das Pferd, wendet sich auch umb und wolte darnach riechen, unn brachte die
Edelleute noch eins so weit zurücke, als sie zuvor sich auffgesetzt hatten,
derhalben sie vor zorn mein Pferd mitten entzwey hawen thcten, dem ich nicht
besser zu helffen wüste, Sonder nam die rote Weiden vnd band das Pferd
darmit wider zu- sammen. Die Weiden bekleibteu in dem Pferde und wuchsen so
sehr, das ein gantzer Wald auff dem Pferde ward, das auch die, so darauff
Ritten , Sommerzeit im külen schatten sassen, dadurch mir das Pferd hernach
viel mehr erwarb, als zuvor, und gegen den Winter Hess ich die Weiden
järlichen verhawen und kauffte aus demselben Holtze so viel geld, das ich
auff den heutigen Tag noch ein zehrpfennig habe, sonst were ich lengst zum
Betler worden.
Hans Clawerts Werckliche Historien, vor niemals in Druck außgangen,
kurtzweilig vnd seher lustig zu lesen, beschrieben Durch Bartholomaeum
Krüger, Stadtschreiber zu Trebbin. Berlin, ANNO M. D. LXXXVII., S. 98f.
In der zweiten Auflage von Münchhausen
wird die Geschichte stark
‚ausgeschmückt‘. Als das Pferd durch das herabfallende Torgitter in ein
Vorder- und ein Hinterteil getrennt wird, kann Münchhausen beobachten, daß
jedes Teil für sich lebensfähig ist und seinen jeweiligen Körperorganen
gemäß bestimmte Funktionen erfüllt, selbst wenn diese sinnlos bleiben. So
läuft beim Vorderteil, wo sich Kopf und Maul befinden, „das Wasser ebenso
wieder heraus, als es von vorn hereingekommen war, ohne daß es den Gaul
zugute kam, oder ihn erfrischte.“ Durch den vom Hinterteil ausgeführten
Geschlechtsakt entstehen nur „unbrauchbare Fehlgeburten.“ Münchhausen
beurteilt diese wundersamen Ereignisse im trockenen Tonfall eines
experimentierenden Wissenschaftlers, daß er so „unwidersprechliche Beweise
hatte, daß in beiden Hälften“ seines „Pferdes Leben sei.“ Beim Hinterteil
des Pferdes konstatiert Münchhausen offenbar keine nur mechanische
Funktionsausübung: „der Hinterteil meines Wunderpferdes [...] schien bei den
Vergnügungen seines Harems alles ausgestandene Ungemach zu vergessen.“ Laut
Münchhausen hätte kein „Maitre des plaisirs“ eine „angemessenere
Unterhaltung eines kopflosen Subjektes ausfindig“ machen können.
Die bildhafte Trennung von Kopf und Körper in
zwei Episoden in Münchhausen könnte als satirische Anspielung auf
eine materialistische Position verstanden werden. Es lassen sich allerdings
auch Bezüge zu dualistischen Lösungsansätzen herstellen. Beide Möglichkeiten
werden dem Leser angeboten, erlauben aber keine ‚sinnvolle‘ Interpretation.
Man könnte die Absurdität der beiden Episoden in Münchhausen als
satirischen Kommentar zu dem im 18. Jahrhundert dogmatisch und polemisch
diskutierten Leib-Seele-Problem bewerten, das erst mit Kants
„erkenntnistheoretischer Wendung“ ‚gelöst‘ wurde. (Cramer/Patzig 1987,
S.143) Weiter könnte darin eine satirische Anspielung auf die mangelnde
Innovationsbereitschaft der Göttinger Philosophie gesehen werden, die sich
auch in der dortigen Kant-Ablehnung äußert.
Kämmerer 1999, S. 185f.
|
Nova et accurata Turcicarum et Tartariucarum Provinciarum, Seutter 1736.
Der Russisch-Österreichische Türkenkrieg (1736–1739; auch 5. Russischer
Türkenkrieg bzw. 7. Österreichischer Türkenkrieg) war ein Kampf des mit der
Russischen Kaiserin verbündeten österreich-habsburgischen Kaisers des Heiligen
Römischen Reiches gegen das Osmanische Reich, bei dem es einerseits um die
russische Expansion zum Schwarzen Meer, andererseits um habsburgische
Eroberungen auf dem Balkan ging. Der Konflikt reiht sich demnach in eine lange
Kette dauernder Türkenkriege ein. Dem offiziellen Ausbruch des Krieges gingen im
Jahre 1735 bereits einige Scharmützel und Strafexpeditionen im Khanat der Krim
voraus, weshalb in der Literatur gelegentlich das Jahr des Kriegsbeginns mit
1735 angegeben wird.
Das Russische Kaiserreich unter der Kaiserin Anna (1693–1740) verfolgte in den
1730er Jahren weiterhin die strategischen Ziele Peters des Großen (1672–1725),
die darin bestanden die Grenzen des Reiches bis an die Küsten des Schwarzen
Meeres auszudehnen, die allerdings von Vasallenstaaten des Osmanischen Reiches
bevölkert waren. Davon versprach man sich einen Anteil am ergiebigen
Schwarzmeer- und Mittelmeerhandel. Als es in Asien zu kriegerischen
Verwicklungen zwischen dem Osmanischen Reich und den Persern (1731–1736) kam,
entdeckte man darin russischerseits eine günstige Gelegenheit zum Angriff.
Begünstigt wurde diese Entscheidung durch die vorherrschende Ansicht bei den
führenden russischen Ministern (Biron, Ostermann, Münnich), dass das Osmanische
Reich dem Kollaps nahe wäre. Als unmittelbarer Vorwand dienten im Jahre 1735 die
gelegentlichen Einfälle der Krimtataren in die russischen Grenzgebiete,
woraufhin im folgenden Frühjahr die Feindseligkeiten eröffnet wurden.
Ende April 1737 ging die russische Hauptarmee (ca. 65.000 Mann) unter
Feldmarschall Münnich über den Dnepr und marschierte zur Festung Otschakow,
welche von 20.000 Osmanen verteidigt wurde. Am 10. Juli erreichte Münnich die
Stadt und eröffnete sofort das Feuer. Ohne eine förmliche Belagerung gelang es,
die Festung im Sturm einzunehmen. Danach setzten die Russen die
Verteidigungsanlagen der Festung wieder instand. Münnich zog mit der Armee an
den Bug, um von dort aus Otschakow zu decken. Dabei kam es nur zu kleineren
Gefechten, bis sich Münnich Ende August wieder in die Winterquartiere zurückzog.
Ende Oktober erschien ein 40.000 Mann starkes Heer der Osmanen und Tataren unter
dem Seraskier Ali Pascha und dem Khan der Krimtataren vor der Festung Otschakow
und versuchte, sie zu stürmen. Als dies jedoch misslang, mussten sich auch die
Osmanen wieder zurückziehen. Graf Lacy hatte unterdessen mit einer zweiten Armee
(ca. 40.000 Mann) am Don und dem Asowschen Meer gegen die Krim operiert. Im Juli
gelang es ihm, erneut in die Krim einzubrechen, von der er sich jedoch im August
wieder zurückziehen musste.
Wikipedia
Die Einnahme von Ochakow am 13. Juli 1737 durch die Russische Armee; Kupferstich
von Anthon Benoist
Da ich so
unwidersprechliche Beweise hatte, dass in beiden Hälften meines Pferdes
Leben sei, so ließ ich sogleich unsern
Kurschmied rufen. Dieser heftete, ohne sich lange zu besinnen, beide
Teile mit jungen Lorbeer-Sprösslingen, die gerade bei der Hand waren,
zusammen. Die Wunde heilte glücklich zu;
und es begab sich etwas, das nur einem so ruhmvollen Pferde begegnen konnte.
Nämlich die Sprossen schlugen Wurzel in sei-|[49]nem Leibe, wuchsen empor
und wölbten eine Laube über mir, so dass ich hernach manchen ehrlichen Ritt
im Schatten meiner sowohl als meines Rosses Lorbeern tun konnte. |
Kurschmied:
Hufschmied bei der Reiterei
Ellissen hat in seiner Ausgabe von 1849 verschiedene Stellen hervorgehoben,
welche er als von Lichtenberg inspiriert ansieht. Es sind folgende:
I. Die Geschichte N4. (Vgl. oben S. XXIV).
Ellissen führt zu derselben an, daß der Göttinger Professor Richter in
seinem Lehrbuch der Wundarzneikunst (Göttingen 1786. II, § 199) den
französischen Chirurgen ähnlich Fälle, wie die Geschichte Nr. 4, mit zu
großer Leichtgläubigkeit nacherzähle. Es ist allerdings wahrscheinlich, daß
hier Lichtenberg, der Richters „Chirurgische Bibliothek“ auch im
Taschenkalender von 1789, S. 214, citiert, Bürger einen Wink gegeben habe.
Griesenbach 1890, S. XXIXf.
Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799 in Göttingen) war ein Physiker,
Naturforscher, Mathematiker, Schriftsteller und der erste deutsche Professor
für Experimentalphysik im Zeitalter der Aufklärung. Lichtenberg gilt als
Begründer des deutschsprachigen Aphorismus. Mit Bürger befreundet.
Einige satirische Anspielungen gehen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit
auf die Mitwirkung von Lichtenberg zurück. Dies stellte schon Ellissen 1849
fest. Er schrieb dazu: „Daß zu einigen Zusätzen in Bürgers Übersetzung auch
Lichtenberg das Seine beigetragen oder doch Bürger an die Hand gegeben,
erkennen wir gleichfalls als sehr wahrscheinlich und haben es jedesmal, wo
besondere Gründe dafür zu sprechen schienen, angemerkt" (Nr. 1.34, S. XIX).
Die Anmerkungen stehen dort als Fußnoten mit z. T. längeren Erläuterungen
zum Aufhellen der Zusammenhänge.
S. 10: die Geschichte mit der abnehmbaren silbernen Hirnschale. Dazu
führt Ellissen aus, daß der Göttinger Professor Richter in seinem Lehrbuch
der Wundarzneikunst den französischen Chirurgen ähnliche Fälle wie diesen
mit zu großer Leichtgläubigkeit nacherzählt hatte. Lichtenberg und Bürger
wollten gegen diese leichtgläubigen Kollegen einen versteckten Hieb führen.
S. 79: Im 4. See-Abenteuer gibt es scharfe Ausfülle gegen den
französischen Luftschiff er Blandiard. Dieser kommt auch in anderen
Schriften von Lichtenberg schlecht weg.
S. 113: Anmerkung zu dem von Münchhausen bewirkten Brand im feindlichen
Lager bei der Belagerung von Gibraltar. Diese Belagerung und das Mißgeschick
dabei findet sich bei Lichtenberg anderweitig, in der burlesk-poetischen
„Relation von den curieusen schwimmenden Batterien etc.“
S. 122: Anmerkung zu dem Bericht über die Erziehung der jungen Fische.
Seitenhieb auf Basedow's Erziehung; wahrscheinlich von Lichtenberg.
S. 149: Im 10. See- Abenteuer eine Anspielung auf Lavater und seine
Physiognomik, die sicher auf Lichtenberg zurückgeht. Dieser hatte schon in
einem Aufsatz gegen Lavater geschrieben.
Ferner: Die im 1. See- Abenteuer erzählte Schnurre von dem englischen
Kutscher, der mit der Peitsche die Initialen des englischen Königs knallen
konnte. Dieses allerliebste Einschiebsel kann wohl nur vom Verfasser der
,Briefe aus England‘ herrühren.
Wackermann 1969
meines Rosses Lorbeern: Im Deutschen
bedeutet „die Lorbeeren bekommen“ das Lob für eine gute Tat erhalten, denn
der Kranz aus Zweigen und Blättern des Echten Lorbeer gilt als Symbol für
einen Sieg. |
Einer andern kleinen Ungelegenheit
von dieser Affäre will ich nur beiläufig erwähnen. Ich hatte so heftig, so
lange, so unermüdet auf den Feind losgehauen, dass mein Arm dadurch endlich
in eine unwillkürliche Bewegung des Hauens geraten war, als der Feind schon
längst über alle Berge war. Um mich nun nicht selbst, oder meine Leute, die
mir zu nahe kamen, für nichts und wider nichts zu prügeln, sah ich mich
genötigt, meinen Arm an die acht Tage lang eben so gut in der Binde zu
tragen, als ob er mir halb abgehauen gewesen wäre. |
Der Baron kann nach der Schlacht seinen noch immer
hauenden Arm nicht wieder besänftigen
Bürger 1788, Inhalt; eigne
Erzählung von Bürger, der 1. Ausgabe hinzugefügt; Bürger 1786, S. 51. |
Einem Manne, meine Herren, der einen
Gaul, wie mein Litauer war, zu reiten vermochte, können Sie auch wohl noch
ein anderes Voltigier- und Reiterstückchen zutrauen, welches außerdem
vielleicht ein wenig fabelhaft klingen möchte. Wir belagerten nämlich, ich
weiß nicht mehr welche Stadt, und dem Feldmarschall war ganz erstaunlich
viel an genauer Kundschaft gelegen, wie die Sachen in der Festung stünden.
Es schien|[50] äußerst schwer, ja fast unmöglich, durch alle Vorposten,
Wachen und Festungswerke hineinzugelangen, auch war eben kein tüchtiges
Subjekt vorhanden, wodurch man so was glücklich auszurichten hätte hoffen
können. Vor Mut und Diensteifer fast ein wenig allzu rasch, stellte ich mich
neben eine der größten Kanonen, die soeben nach der Festung abgefeuert ward,
und sprang im Hui auf die Kugel, in der
Absicht, mich in die Festung hineintragen zu lassen. Als ich aber halbweges
durch die Luft geritten war, stiegen mir allerlei nicht unerhebliche
Bedenklichkeiten zu Kopfe. „Hum, dachte ich, hinein kommst du nun wohl,
allein wie hernach sogleich wieder heraus? Und wie kanns dir in der Festung
ergehen? Man wird dich sogleich als einen Spion erkennen, und an den
nächsten Galgen hängen. Ein solches Bette der Ehren wollte ich mir denn doch
wohl verbitten.“ Nach diesen und ähnlichen Betrachtungen entschloss ich mich
kurz, nahm die glückliche Gelegenheit wahr, als eine Kanonenkugel aus der
Festung einige Schritte weit vor mir vorüber nach unserm Lager flog, sprang
von der meinigen auf diese hinüber, und kam, zwar unverrichteter Sache,
jedoch wohlbehalten bei den lieben Unsrigen wieder an.|[51] |
Er reitet auf Kanonen-Kugeln durch die Luft
Bürger 1788, Inhalt; eigne Erzählung von Bürger, der 1. Ausgabe
hinzugefügt; Bürger 1786, S. 52.
Kugel: So kommt im deutschen Münchhausen
weniger der zukunftsorientierte, grenzüberschreitende Nutzen der
Luftschiffe, sondern allenfalls nur eine punktuell-situationsbezogene
Nützlichkeit der aerostatischen Kugeln ins Spiel, mit denen man sich bei
Gelegenheit in die Lüfte erheben kann: so in Münchhausens bekanntem Ritt
durch die Luft auf einer Kanonenkugel mitten in eine militärische Festung
hinein. Diese Episode, die Bürger neu hinzudichtet, trägt unverkennbare
Anklänge an Lichtenbergs Abhandlung über aerostatische Maschinen von 1783.
In diesem Aufsatz Lichtenbergs (Lichtenberg 1783b) gehen wissenschaftliche
Argumente mit Satire, „Ernst und Scherz. Versuche zum Nutzen und zum
Vergnügen durcheinander“ – eine Ironie auf die zeitgenössische Erfindung,
die den Luftflügen sowohl wissenschaftliche Erkenntnismöglichkeiten
zuschreibt; Kenntnis der Atmosphäre, Elektrizität, Höhenmessung durch
Barometer usw., aber auch Reisen „in einem vergoldeten Luft-Schlitten“ und
die Vorstellung, mit „einer solchen Kugel übergeschnallt, Sprünge zu tun,
die einen über Häuser wegführen“ , ja sogar auch wichtige Papiere in der
Nacht aus einer eingeschlossenen Festung wegzubringen, selbst wichtige
Männer fortzuschaffen.'“ Mit Münchhausens Kanonenkugel-Episode, die bei
Raspe fehlt, lenkt Bürger solche Phantasien der Lichtenbergschen Physik
gleichsam auf eine militärische Symbolik um, auf eine Demonstration
militärischer Stärke. Bei Bürger und seinem Münchhausen mit derber Junker-
und Soldatenmentalität dominieren auch sonst die Übertreibungen im Umgang
mit Kanonen und Gewehren in Jagd- und Kriegszusammenhängen (der Lügenbaron
war schließlich ein Soldat, der unter dem russischen Zaren an Feldzügen
teilnahm). Der deutsche Münchhausen erscheint freilich als übersteigerter
Landkrieger und eben nicht als Beherrscher der Meere oder der Lüfte – eine
deutsche Tradition der Militarisierung bis hinein in die
nationalsozialistisch gefärbte „Übersetzung“ dieses Stoffes in den
Münchhausen-Film der Ufa von 1943. (Christensen
1990, S. 13ff.)
Bachmann-Medick 1997, S. 58f.
Vergl. Bernhard Wiebel: Münchhausens Kugelritt ins 20. Jahrhundert – ein
Aufklärungsflug. (Wiebel 1996) Der Aufsatz enthält eine Mikroanalyse der
sprachlichen Gestaltung des Abenteuers des Barons, der auf einer
Kanonenkugel reitet und auf eine entgegenkommende umsteigt. Der Artikel
interpretiert die Episode als Mahnung an die Sterblichkeit (memento mori).
Schliesslich weist die Arbeit nach, dass sich in der Beschreibung des
Kugelritts von 1786 das Konzept der Echtzeit, wie es Paul Virilio für die
heutige Zeit charakterisiert, abzeichnet.
Bette der Ehren: Auf dem Bette der Ehren
sterben bedeutet: in einer Schlacht fallen. |
|
Bürger, Erste Auflage
1786.
R5, p. 43
|
[51]So leicht und fertig ich im Springen war, so war es auch
mein Pferd. Weder Graben noch Zäune hielten mich jemals ab, überall den
geradesten Weg zu reiten. Einst setzte ich darauf hinter einem Hasen her,
der querfeldein über die Heerstraße lief. Eine Kutsche mit zwei schönen
Damen fuhr diesen Weg gerade zwischen mir und dem Hasen vorbei. Mein Gaul
setzte so schnell und ohne Anstoß mitten durch die Kutsche hindurch, wovon
die Fenster aufgezogen waren, dass ich kaum Zeit hatte, meinen Hut
abzuziehen, und die Damen wegen dieser Freiheit untertänigst um Verzeihung
zu bitten. |
Setzt mit seinem Pferde durch eine Kutsche mit
aufgezogenen Fenstern
Bürger 1788, Inhalt; eigne Erzählung von Bürger, der 1. Ausgabe hinzugefügt;
Bürger 1786, S. 53. |
Ein andres Mal wollte ich über einen
Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand,
da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder
um, wo ich hergekommen war, um einen größern Anlauf zu nehmen. Gleichwohl
sprang ich auch zum zweiten Male noch zu kurz, und fiel nicht weit vom
andern Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich unfehlbar umkommen
müssen; wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich
an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem
Pferde, welches ich|[52] fest zwischen meine Knie schloss, wieder
herausgezogen hätte. |
Reißt sich nebst seinem Pferde selbst an seinem
Haarzopfe aus einem Moraste
Bürger 1788, Inhalt; eigne Erzählung von Bürger, der 1. Ausgabe hinzugefügt;
Bürger 1786, S. 54.
an meinem eigenen Haarzopfe:
Diese Schnurre
wird von Harald Kämmerer als Parodie auf die Philosophie von Immanuel Kant
gelesen, da „Bürger in der ‚Zopfepisode‘ in Münchhausen eventuell den
selbstbezüglichen ‚Systemcharakter‘ der Kantschen Philosophie satirisch
thematisiert.“
Kämmerer 1999, S. 190.
Bernhard Wiebel: Münchhausens Zopf und die Dialektik der Aufklärung.
Sebastian Brant. Dessen 1494 in Basel erschienenes Werk „Das
Narrenschiff“ war eine sehr verbreitete Zeitkritik in Form einer
Narrensatire. Angesichts von Bürgers spezifischem Interesse ist es sehr
wahrscheinlich, dass er das Werk kannte und sich möglicherweise auch von
einem Kapitel daraus zur Zopf-Episode hat inspirieren lassen. Der
Holzschnitt zum 21. Kapitel zeigt einen Mann mit Narrenkappe und
Narrenszepter, der bis zu den Waden im Sumpf steckt, sich mit dem nächsten
Schritt aus dieser unangenehmen Lage herausbegeben wird und mit dem
Zeigefinger seiner rechten Hand auf einen Weg weist (Vgl. Abb.). Das Motto
hält diesem Narren entgegen: „Wer guten Weg zeigt andern zwar, Doch bleibt,
wo Sumpf und Pfütze war, Der ist der Sinn' und Weisheit bar.“ Das Bild
demonstriert: Wer auf den festen Weg weist, selber aber im Sumpf verbleibt,
ist ein Narr und vom Untergang bedroht - und zwar vom Untergang im
physischen wie im moralischen Sinn. Der Bildstock mit seinem äusserst
stabilen Sockel am Wegrand macht nämlich darauf aufmerksam, dass es sich bei
der festen Strasse - auf welcher Steine liegen, die eben nicht versinken -
um den Pfad der Tugend und der Frömmigkeit handelt. Denn der ausgestreckte
Zeigefinger neben dem Kruzifix kann als Finger Gottes verstanden werden, der
zum Himmel, d.h. zur Erlösung, weist - auch wenn es in Vers 7 und 8 heisst:
„Die Hand, die an der Wegscheid steht, zeigt einen Weg, den sie nicht geht.“
Gerade im Kontrast zu dem Weg, der durch Christi Opfertod geheiligt und
gefestigt ist, wird die Konnotation des Sumpfes mit der Hölle sehr
plausibel. Während der Holzschnitt den Morast als Welt des Bösen, als
Abweichung vom rechten Weg erscheinen lässt, macht das Motto den Sumpf zum
Ort der Dummheit: Wer ihm verhaftet bleibt, entbehrt der Weisheit. Wendet
man den Gehalt des Mottos in eine positive Aussage, gelangt man zur
Aufforderung: Komm' zu Sinnen, gehe zunächst selber aus dem Sumpf, bevor du
anderen mit einem Tip hilfst. Indirekt sagt das Motto, dass der Narr anderen
aus dem Sumpf helfen will, also jemanden retten will - und er wird
aufgefordert, vorgängig sich selbst aus der misslichen Lage zu befreien.
Wiebel 1997, S. 17f.
Holzschnitt zum 21. Kapitel von Sebastian Brand, Das Narrenschiff: Vom
Tadeln und Selbertun
Das Narrenschyff. Basel 1494
Wiebels Aufsatz ist eine Mikroanalyse der Erzählung, in der Münchhausen
über einen Sumpf zu springen versucht, beim ersten Versuch in der Luft
wendet, beim zweiten Sprung in den Morast gerät und sich selber daraus zu
retten weiß. Die Untersuchung zeigt, dass der Ausgang des Abenteuers nicht
so eindeutig ist, wie er zu sein scheint, und dass in der Uneindeutigkeit
eine Aussage steckt: Der Beitrag stellt die These vor, dass die Episode auf
den Philosophen Immanuel Kant zurückgeht, auf seine berühmte Antwort zur
Frage: «Was ist Aufklärung?» von 1784. Die Antwort, die implizit in dem
Abenteuer Münchhausens enthalten ist, erscheint als ein Vorläufer dessen,
was heute mit der Dialektik der Aufklärung bezeichnet wird.
|
Trotz aller meiner Tapferkeit und
Klugheit, trotz meiner und meines Pferdes Schnelligkeit, Gewandtheit und
Stärke, gings mir in dem Türkenkriege doch nicht immer nach Wunsche. Ich
hatte sogar das Unglück, durch die Menge übermannt und zum Kriegsgefangenen
gemacht zu werden. Ja, was noch schlimmer war, aber doch immer unter den
Türken gewöhnlich ist, ich wurde zum Sklaven verkauft. In diesem Stande der
Demütigung war mein Tagewerk nicht sowohl hart und sauer, als vielmehr
seltsam und verdrießlich. Ich musste nämlich des
Sultans Bienen alle Morgen auf die Weide treiben, sie daselbst den
ganzen Tag lang hüten, und dann gegen Abend wieder zurück in ihre Stöcke
treiben. Eines Abends vermisste ich eine Biene, wurde aber sogleich gewahr,
dass zwei Bären sie angefallen hatten, und ihres Honigs wegen zerreißen
wollten. Da ich nun nichts anderes waffenähnliches in Händen hatte, als die
silberne Axt, welche das Kennzeichen der Gärtner und Landarbeiter des
Sultans ist, so warf ich diese nach den beiden Räubern, bloß in der Absicht,
sie|[53] damit wegzuscheuchen. Die arme Biene setzte ich auch wirklich
dadurch in Freiheit; allein durch einen unglücklichen, allzu starken Schwung
meines Armes flog die Axt in die Höhe, und hörte nicht auf zu steigen, bis
sie im Monde nieder fiel. Wie sollte ich sie nun wieder kriegen? Mit welcher
Leiter auf Erden sie herunterholen? Da fiel mir ein, dass die türkischen
Bohnen sehr geschwind und zu einer ganz erstaunlichen Höhe emporwüchsen.
Augenblicklich pflanzte ich also eine solche Bohne, welche wirklich empor
wuchs, und sich an eines von des Mondes Hörnern von selbst anrankte. Nun
kletterte ich getrost nach dem Monde empor, wo ich auch glücklich anlangte.
Es war ein ziemlich mühseliges Stückchen Arbeit, meine silberne Axt an einem
Orte wiederzufinden, wo alle andere Dinge gleichfalls wie Silber glänzten.
Endlich aber fand ich sie doch auf einem Haufen
Spreu und Häckerling. Nun wollte ich wieder zurückkehren, aber ach!
die Sonnenhitze hatte indessen meine Bohne ausgetrocknet, so dass daran
schlechterdings nicht wieder herabzusteigen war. Was war nun zu tun? – Ich
flocht mir einen Strick von dem Häckerling, so lang ich ihn nur immer machen
konnte. Diesen befestigte ich an eines von des Mondes Hörnern,| |
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Häckerling] B1 und B2: Häckerlinge
Er gerät in türkische Sklaverei
Zwei Bären fallen eine Biene an
Der Baron steigt seiner Art bis in den Mond nach und kommt zurück
Fällt zwei Meilen hoch aus den Wolken
Gräbt sich mit seinen Nägeln aus einem neun Klafter tiefen Loche empor
Bürger 1788, Inhalt
Von Rußland ging ich weiter nach der Türkei. Durch mancherlei
abentheuerliche Schicksale ward ich da gefangen, und zum Sklaven gemacht.
Mein Amt war, in diesem an Natur und Sitten so sehr von uns verschiedenen
Lande, die Bienen des Großsultans des Tags auf die Weide zu treiben, und
Abends sie in ihre Körbe zu fangen. Eines Abends vermißte ich eine Biene,
und bald sah ich, dass zwey Bären sie unter sich hatten und an ihr, die so
voll Honig war, fraßen. Ich warf ein silbernes Beil, das ich grade in der
Hand hielt, nach den Bären, um ihnen den Raub abzujagen; aber ich mußte die
Hand wunderlich gedreht haben; genug es flog himmelwärts, und immer weiter,
und zuletzt in den Mond. Wie sollte ich das Beil
wiederschaffen? Ich besann mich schnell, pflanzte eine türkische Bohne, die
bekanntlich so hoch und so schnell wachsen; sie schoss empor, und ringelte
sich wirklich um den Mond. Nun stieg ich mit Behendigkeit daran herauf, und
kam glücklich oben an. Aber ich mußte lange suchen, ehe ich mein Beil in
einer Häckselkammer fand. Ich wollte zurück kehren; allein, es war schon
voller Mittag, die Sonne hatte die Bohne verwelken machen, und verdort war
sie zur Erde niedergefallen. Wie nun herunter? Ich ging zurück, flocht mir
aus dem Häcksel einen Strick so lang als möglich, knüpfete ihn oben recht
fest an, und ließ mich, ob ich gleich sah, daß er kaum halb hinlänglich
lang sey, getrost daran herunter. Wie ich ans Ende kam, hielt ich mich mit
einer Hand fest, hieb mit der andern oben ein Stück ab, knüpfte das unten
an, und rutschte nun weiter. Und so trieb ich es immer fort. Endlich aber riß der so oft geflickte Häckselstrick völlig, ich fiel zur Erde nieder,
und zwar mit solcher Heftigkeit, daß ich ein Loch neun Klafter tief hinein
schlug und darin stecken blieb. Nun war kein andrer Rath, als zu Hause zu gehn, einen Spaten zu holen, und mich herauszugraben. Auch gings recht gut
damit.
Raspes Quelle: MhG, 8. Teil 1781, S. 99-101, Nr. 14
Anregung für diese Erzählung könnte die Autobiographie des Schiffsjungen
Hark Oluf von der Insel Amrum gewesen sein, der 1724 in algerische
Gefangenschaft geriet.
Hark Olufs (1708-1754 war ein Seefahrer aus Süddorf auf Amrum, das damals
zu Dänemark gehörte. Sein Vater war der Kapitän Oluf Jensen. 1721 wurde Hark
Olufs Matrose auf der Hoffnung, einem der Schiffe seines Vaters.
1724 wurde sein Schiff auf dem Weg von Nantes nach Hamburg von
algerischen Kaperern aufgebracht. Er, sein Cousin Hark Nickelsen und ein
weiterer Cousin wurden mit der Besatzung nach Algier verschleppt. Die
Familie konnte die hohe Summe, die für den Freikauf Hark Olufs’ von den
Sklavenhändlern gefordert wurde, nicht aufbringen. Da das Schiff unter
Hamburger Flagge fuhr, wurde auch ein Kredit aus dem Sklavenetat des
dänischen Königreiches nach Anfrage der Familie in Kopenhagen abgelehnt. Als
sein Vater endlich das Geld zusammen hatte, wurde damit ein anderer Mann
desselben Namens freigekauft.
Olufs wurde daraufhin auf dem Sklavenmarkt in Algier als Sklave verkauft.
1724 bis 1727/28 war er Lakai des Beys von Constantine (Kelian Hussein bou
Komia 1713-1746). Im Auftrag seines Herrn tötete er zahlreiche Menschen und
überlebte so selbst. Hark Olufs stieg zum Gasnadal (Schatzmeister) auf.
Zwischen 1728 und 1732 wurde er zum Kommandeur der Leibgarde ernannt. 1732
wurde er Agha ed-Deira (Oberbefehlshaber) der Kavallerie. Mit seinem Bey
nahm er an einer Pilgerfahrt nach Mekka teil, was dafür spricht, dass er zum
Islam übertrat.
1735 nahm er an der Eroberung von Tunis durch die algerische Armee teil.
Zum Dank wurde er am 31. Oktober 1735 freigelassen und kehrte 1736 als
wohlhabender Mann nach Amrum zurück, wo er heiratete und eine Familie
gründete. Die Reintegration in der Heimat fiel ihm schwer. Er fuhr nie
wieder zur See, hatte aber verschiedene Ämter auf Amrum inne. Vermutlich
1742 wurde er vom dänischen König Christian VI. empfangen, dem er seine
Geschichte erzählte. 1747 publizierte er in dänischer Sprache eine
Autobiografie, die 1751 ins Deutsche übersetzt wurde. Hark Olufs starb am
13. Oktober 1754 in Süddorf auf Amrum. Sein Grabstein enthält eine
Kurzbiographie und steht noch heute auf dem Friedhof an der
St.-Clemens-Kirche in Nebel auf Amrum.
Wikipedia
Hark Olufs, Fød
paa Øen Amrom udi Riber-Stift i Jydland, Besynderlige AVANTURES, som have
tildraget sigmed ham Især til Constantine og paa andre Steder i Africa, For
deres Merkværdigheds skyld i Trykken udgivne. Kiobenhavn, 1747.
Harck Olufs aus der Insul Amron im Stifte Ripen in Jütland, gebürtig,
sonderbare Avanturen, so sich mit ihm insonderheit zu Constantine und an
andern Orten in Africa zugetragen. Ihrer Merkwürdigkeit wegen in Dänischer
Sprache zum Drucke befördert, itzo aber ins Deutsche übersetzet. Flensburg,
in Verlag Johann Christoph Kortens, 1751.
Der Text der deutschen Ausgabe ist als EBook im Projekt Gutenberg online
gestellt:
https://www.gutenberg.org/files/52725/52725-h/52725-h.htm
Des Sultans Bienen: Sultan ist ein
islamischer Herrschertitel; zurzeit, in der dieser Teil der Erzählung
spielt, war Mahmud I. (1696-1754) war von 1730 bis 1754 Sultan des
Osmanischen Reichs.
Mahmud war ein Sohn von Mustafa II. und wurde während des
Patrona-Halil-Aufstands anstelle seines Onkels Ahmed III. auf dem Thron
gebracht. Nach der Unterdrückung einer militärischen Revolte wurde der Krieg
mit Persien mit wechselndem Erfolg fortgesetzt und endete 1736 mit einem
Friedensvertrag, der den Status quo vor dem Krieg wiederherstellte. Als
nächster Gegner stand dem Osmanischen Reich 1735 Russland gegenüber, später
verbündet mit dem römisch-deutschen Kaiser bzw. der österreichischen
Habsburgermonarchie. Der Krieg dauerte vier Jahre lang an; den von Russland
erzielten Siegen standen mehrere Rückschläge der Kaiserlichen gegenüber. Der
Friedensschluss von Belgrad 1739 geriet zum Triumph der türkischen
Diplomatie. Der Sultan, überaus begierig nach Frieden, soll sehr unter dem
Einfluss seines Haupt-Eunuchen Haci Beşir Aga gestanden haben. 1754 starb
Mahmud an einer Herzkrankheit, als er vom Freitagsgebet aus der Moschee
zurückkehrte.
Wikipedia
Sultan Mahmud I
Spreu und Häckerling: Getreidehülsen und
klein geschnittenes Stroh.
Wenn ferner in fast allen der angeführten Lügenmärchen sowie in dem vom
himmlischen Dreschflegel (bei Grimm Nr. 112) der Lügner in den Himmel
steigt, sei es an einem grossen Kohlkopf oder an einem Baume oder Stange,
die ans einem Rübsamen- oder Hirsen- oder Buchweizenkorn aufgesprosst sind,
oder auch au einer Eiche oder Tanne, die über Nacht ebenfalls bis in den
Himmel gewachsen sind; ist dies ein Zug, der gleichfalls einen
indogermanischen Ursprung zu haben scheint; ähnlich wie in den deutschen,
wendischen, litauischen und serbischen Märchen steigt auch in einem
englischen Märchen ein Knabe in den Himmel, und zwar an einem Bohnenstengel.
Dass dann das Herabsteigen an einem Strick von Haferspreu oder Häcksel (im
norwegischen Märchen von Mehlbrei und im serbischen an aneinandergeknüpften
Haaren) erfolgt, erinnert an die sprichwörtliche Wendung im Griechischen: έξ
ἂμμου όχοιυἰου πλέχειυ (ex arena funem nectere) [aus Sand ein Seil drehen],
an das auch schon im Nordischen vorkommende Winden eines Seiles aus Sand, an
die englischen Redensarten von „Dicks hatband made of sand“ und an die
Forderungen, die in einem dithmarsischen Volkslied gestellt werden: Seide
aus Haferstroh zu spinnen, aus Lindenlaub Kleider zu schneiden u. s. w. und
namentlich eine Peitsche zu drehen aus Wasser und Wein.
Müller-Fraureuth 1881, S. 7
|
|
Bürger, Erste Auflage 1786. |
In seinem erotischen Roman Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande und
Abentheuer des Fräuleins Emilie von Bornau, verehlichte von Schmerbauch. Von ihr
selbst erzählt. (Frankfurt 1801) berichtet Heinrich Theodor Ludwig Schnorr
von einer Reise zur Venus, für die er ein Motiv aus der ersten Reise zum Mond in
Bürgers Münchhausen variiert:
Es war einst eine Zeit und ist noch jetzt. So manches junge Frauenzimmer, von
düstrer Melancholie oder Spleen gereizt, bricht die Fesseln der Gebundenheit
und guter Erziehung, um eine eigene Carriere, die ihr die Phantasie oder Romane
in den Kopf setzten, zu betreten.
Oft ist es, und wer kann es dem zartfühlen den mit feinen Nerven begabten
schönen Geschlecht zum Argen auslegen – die liebe Liebe, die ein solches Mädchen
drückt. Ideale, die ihm ob schweben; Jünglinge, welche Liebe anbieten, Küsse
austheilen, die anfangs spröde verschmähet, nachher aber nur noch heftiger und
gedoppelt erwiedert werden; das viele Lustwandeln im Monden schein bey feuchter
und kalter Abendluft u, d. gl., das alles sind ja Ursachen genug. Man denke sich
noch obendrein, wenn ein Mädchen schon über die Zeit seines jungfräulichen
Zustandes hin aus ist. – Wenn der Zahn der Zeit schon die wirklichen Zähne ohne
Widerstand zu zernagen anfängt u. d. gl. Geschicht das alles nun nicht, was in
dem einmahl durch Liebe, durch Jünglinge, durch Romane und die vielen tausend
andern Ursachen, wovon ich einige der Schonung wegen – um derer willen, die
vielleicht ein im Finstern schleichendes entnervendes Laster nicht kennen –
nicht nennen will, verschrobenem Hirne des Mädchens wirbelt; so ist alle Ruhe
dahin, und so geräth es ganz natürlich auf Thorheiten.
Leider! dachte ich mehr als zu sehr, wie meine Leser schon wissen, an alles,
was Liebe heißt, kannte fast alles, was damit verwandt war. Brennendheiße
Sehnsucht; meinen Trieb befriedigt zu sehen, der schon im Entstehen zur Flamme
angefacht war, war mein Taggedanke, mein Traum; begleitete mich überall, wo ich
gieng und stand.
Voll von geheimer Schwermuth verließ ich einst das väterliche Haus. Ich gieng,
weil ich in entsetzlich tiefen Gedanken war, fort, ohne zu wissen, wohin? Bilder
der heftigsten Phantasie jagten eines das andere. Erst mitten in einem Walde,
ohne Weg und Steg, wachte ich auf. Jetzt wußte ich nicht, wo ich war. Ich gieng
immer fort, traf wieder auf einen mir unbekannten Weg, der zu einer sehr starken
Anhöhe führte. Jetzt dachte ich bey mir selbst: mögte doch eine Idee, die ich
oft in meiner Kindheit hatte, realisirt werden. Diese war, der Himmel stieße
doch dem Anscheine nach auf die Berge, man könne also von diesem bequem in den
Himmel oder auf einen Stern kommen. Ich hatte den Berg, der oben ganz kahl war,
beynahe bis zu seinem höchsten Gipfel erstiegen. Die Aussicht vor meinen Augen
wurde immer lachender. Es wurde schon Abend und die Sterne funkelten in ihrer
schönsten Pracht. Schöner kann kein Zachariä, überhaupt kein Dichter den
Frühlingsabend besingen. Der Abendstern zeichnete sich vor allen übrigen an
Glanz und Schönheit aus. Jetzt hegte ich den Wunsch, auf diesem Sterne zu seyn.
Ich setzte mich nieder, schlummerte ein – eine Wolke nahm mich auf. Weg war ich.
Nicht eine Sekunde, so kam ich auf diesem sehenswürdigsten aller Planeten an.
Hier schwindelte mir bey allem, was ich sah. Ich eine Sterbliche, Unvollkommene,
noch mit menschlicher Hülle bekleidet. Ach! man schämt sich nie mehr, und man
erkennt seine Unvollkommenheiten nicht größer – als bis man nichts als hohe,
große, schöne Ideale in Wirklichkeit vor sich sieht, womit sich nichts
vergleichen läßt – besonders, wenn man vorher so hohe Meynungen von eigener
Schönheit, Größe, Vollkommenheit gehabt hat. Alle Wesen, die ich hier erblickte,
waren vollkommen im höchsten Grade, vorzüglich die Göttin, welche sich durch
einen eigenen hellstrahlenden Stern über der Stirn auszeichnete, der überall das
strahlendste Licht um sich warf – das Urbild höchster Vollkommenheit. Alle
Mahler unserer Welt sind nur Kleckser gegen dies schöne Urbild.
Um meinen Lesern nur einen kleinen Begriff von diesem Planeten zu machen, den
besonders die Mädchen mit hoher Wonne des Abends betrachten, und sich
himmlischer Empfindung voll mit ihren Geliebten auf denselben hinauf phantasiren,
mögen sie folgendes erfahren, welches sie gewiß nur noch mehr für denselben
begeistern wird.
Ewige Jugend, ewiger Frühling, ewige Freyheit, ewige Gleichheit, ewige
Bruder- und Schwesterliebe si. - en hier an der Tagesordnung. Dies ist einzig
der Himmel für Jünglinge und Mädchen. Alte Jünglinge und alte Jungfern, die ihre
Jungferschaft und Junggesellenschaft bewahreten, werden hier, wenn sie auch noch
so krüpplicht, unbusigt und zahnlos waren, jung und schön.
Allen gehört alles, weil hier niemand etwas bedarf. Hier kennt man nicht, wie
auf unserer Welt, consequenten Egoism, keine Kabalen, keine Intriguen, keine
Eifersucht. Jeder Jüngling ist gleich schön, gleich weise –wie jedes Mädchen.
Beständig blühen hier die Rosen, beständig blühen und grünen hier alle Bäume.
Myrrthen und andere wohlriechende Bäume duften einen steten angenehmen Geruch
aus. Überall stetes Licht. Nacht kennt man hier nicht.
Bäche fließen hier in herrlichen Grotten von Alicantenweine. Die Flüsse geben
Milch. – Die Bäume Honig, und stets reife Früchte, die einzige Sättigung und
Nahrung für Hunger und Durst.
Ehrenämter und Geld, diese Pest der Menschen unseres Erdkörpers – kennt man
hier nicht. Nichts als Adonis – nichts als schöne Mädchen, die genießen und zu
genießen wünschen, sieht man überall. Welch ein Trost für alte Jünglinge und für
alte Jungfern, wenn sie beyde ihre Junggesellen- und Jungferschaft für diesen
Planeten, für diesen Wirkungskreis aufsparten. Hier finden sie volle Sättigung
ohne Überdruss, ohne Stöhrung – ohne Folgen. Denn lieben und geliebt werden ist
hier einzige höchste Glückseligkeit.
Ach! höre ich bey dieser Stelle manchen Jüngling, manches Mädchen seufzen –
wäre es doch in unserer Welt auch so. Hier ist alles Vergehen, Verbrechen. Und
die Folgen? Hat man sich einmal zu tief in den Honigkelch der Liebe gewagt, dann
kommen die Hefen hintennach. –
Man geht hier nackend, ohne zu erröthen. Hier sieht man erst, was wahre
männliche und weibliche Schönheit ist. Den ganzen Umriß des Körpers in seinen
äußern Linien sehen, mit allen feinen Nüancen der Muskeln – das giebt den Körper
erst sein wahres Ansehen. – Der stets sich gleiche Frühling, die schöne
angenehme Zeit, bedarf keiner Kleider, keiner Flittern, keines Putzes. Jeder ist
in seiner Natur geputzt genug.
–––
Es half nichts. Ich mußte also auch hier der gewöhnlichen Sitte nach, meine
Kleider ablegen, weil hier alles nackt geht und niemand die mindeste Glosse
darüber macht. Man hat zwar in verschiedenen Städten Teutschlands auf Bällen und
Redouten diese Mode schon größtentheils einführen wollen, wenigstens machte man
den Anfang dazu durchflohrne Kleider auf den bloßen Körper –allein die Menschen
sind noch nicht für diesen Zeitpunkt gestimmt. Das kommende Jahr hundert wird –
wahrscheinlich wärmer, und dann wird man von selbst mehr Geschmack daran
bekommen. Wer wird nicht an einer beynahe nackten weiblichen Schönheit Geschmack
finden? Sie so öffentlich aus dem Redoutensaale zu verweisen, wie einst in einer
nahmhaften Residenzstadt geschehen ist, wer kann dies gut heißen?
Kaum war ich, meinem Bedünken nach, zwo Stunden da; so bekam ich ein solches
Heimweh, oder was es so eigentlich war, einen Geniedrang, die Fata meiner Reise
zu erzählen, daß ich nichts mehr wünschte, als die Rückkehr. Ich äußerte auch
kaum den Wunsch; so – eine kleine Strafe für meinen irrdischen Sinn – – wurde
mir von meinen Kleidungsstücken nichts weiter zu Theile, als meine Strumpfbänder
und eine Scheere aus meiner Tasche. Eine von den ersten Grazien der Göttin
brachte mich an das äußerste Ende dieses Sterns. Man zeigte mir, wie ich die
beyden an einander geknüpften Strumpfbänder zuerst an den einen Stachel des
Sterns anbinden und mich dann so durch Abschneiden und Wiederanknüpfen der
Strumpfbänder helfen müßte, bis ich zur Erde herabkäme. Es würde schon dafür
gesorgt werden, daß ich nicht allein nicht zu unsanft zur Erde sänke, sondern
daß ich auch auf keine Weise Gefahr laufen sollte –– in unrechte Hände zu
gerathen.
Ich that, wie es mich gelehret war, trat meine Reise an, schnitt so lange ab
und band so lange an, bis ich beynahe alles rein abgeschnitten und zerbunden
hatte. Ein Glück für mich, daß ich nicht in eine Straße von Hamburg,
Braunschweig, Lübeck, Wien ⁊c. herabsank, ich gerieth gerade in den Garten
meines Onkles, wo eben die Frau desselben mich, als sie mich gewahr wurde, in
ihre Arme auffieng und so ihren Rock und Schürze um mich warf. Andern Falls wäre
ich sicher zu Schanden gemacht worden.
Alles wunderte sich hoch auf, als ich ihnen meine Abentheuer erzählte.
Sehr sonderbar! Ich glaubte nun Wunder, was ich erzählen könnte und –es gieng
mir wie vielen tausend Reisenden. Es war Blutwenig. Nur das, was meine Leser
schon wissen. Doch hat man sich darüber noch nicht sehr zu wundern. Lazarus
hatte vier Tage im Himmel zugebracht und uns nichts davon erzählt. Ich war kaum
vier und zwanzig Stunden fort gewesen. Auch hier bey meinem Onkle hatte sich,
weil meine Eltern so sehr um mich bekümmert waren, Nachjagd eingefunden und
Abends neun Uhr, war ich schon wieder in Bellingen zur größten Freude meiner
Eltern, denen ich meine Abentheuer erzählen mußte, die sich denn auch nicht
wenig darüber verwunderten.
S. 94-102
[54] und ließ mich daran herunter. Mit der rechten Hand hielt
ich mich fest, und in der linken führte ich meine Axt. Sowie ich nun eine
Strecke hinuntergeglitten war, so hieb ich immer das überflüssige Stück über
mir ab, und knüpfte dasselbe unten wieder an, wodurch ich denn ziemlich weit
herunter gelangte. Dieses wiederholte Abhauen und Anknüpfen machte nun
freilich den Strick eben so wenig besser, als es mich völlig herab auf des
Sultans Landgut brachte. Ich mochte wohl noch ein paar Meilen weit droben in
den Wolken sein, als mein Strick auf einmal zerriss, und ich mit solcher
Heftigkeit herab zu Gottes Erdboden fiel, dass ich ganz betäubt davon wurde.
Durch die Schwere meines von einer solchen Höhe herabfallenden Körpers fiel
ich ein Loch, wenigstens neun Klafter
tief, in die Erde hinein. Ich erholte mich zwar endlich wieder, wusste aber
nun nicht, wie ich wieder herauskommen sollte. Allein was tut nicht die Not?
Ich grub mir mit meinen Nägeln, deren Wuchs damals vierzigjährig war, eine
Art von Treppe, und forderte mich dadurch glücklich zu Tage. |
Klafter: altes Längenmaß, etwa 1,8 m.
mit meinen Nägeln: In der anonymen Quelle
Raspes heißt es, nachdem Münchhausen in ein tiefes Erdloch gefallen ist: Nun
war kein andrer Rath, als zu Hause zu gehn, einen Spaten zu holen, und mich
herauszugraben. Auch gings recht gut damit. (MhG, 8. Teil 1781, S. 101)
Bereits Raspe war um einen logischen Aufbau seiner Erzählungen bemüht und
änderte dieses Motiv: I dug flopes, or steps with my nails, (the Barons
nails were then of forty years growth) and easily accomplished it. (R3, S.
45)
|
Durch diese mühselige Erfahrung
klüger gemacht, fing ichs nachher besser an, der|
[55] Bären, die so gern nach meinen
Bienen und den Honigstöcken stiegen, loszuwerden. Ich bestrich die Deichsel
eines Ackerwagens mit Honig, und legte mich nicht weit davon des Nachts in
einen Hinterhalt. Was ich vermutete, das geschah. Ein ungeheurer Bär,
herbeigelockt durch den Duft des Honigs, kam an und fing vorn an der Spitze
der Stange so begierig an zu lecken, dass er sich die ganze Stange durch
Schlund, Magen und Bauch bis hinten wieder hinausleckte. Als er sich nun so
artig auf die Stange hinaufgeleckt hatte, lief ich hinzu, steckte vorn durch
das Loch der Deichsel einen langen Pflock, verwehrte dadurch dem Nascher den
Rückzug, und ließ ihn sitzen bis an den andern Morgen. Über dies Stückchen
wollte sich der Großsultan, der von ungefähr vorbeispazierte, fast tot
lachen. |
Bürger, Erste Auflage
1786.
Fängt einen Bär auf einer Wagendeichsel
Bürger 1788, Inhalt; eigne Erzählung von Bürger, der 1. Ausgabe hinzugefügt;
Bürger 1786, S. 59. |
Nicht lange hierauf machten die
Russen mit den Türken Frieden, und ich wurde nebst andern Kriegsgefangenen
wieder nach St. Petersburg ausgeliefert. Ich nahm aber nun meinen Abschied,
und verließ Russland um die Zeit der großen
Revolution vor etwa vierzig Jahren, da der Kaiser in der Wiege nebst
seiner Mutter und ihrem Vater, dem|[56]
Herzoge von Braunschweig, dem Feldmarschall von Münnich und vielen andern
nach Sibirien geschickt wurden. Es herrschte damals über ganz Europa ein so
außerordentlich strenger Winter, dass die Sonne eine Art von Frostschaden
erlitten haben muss, woran sie seit der ganzen Zeit her bis auf den heutigen
Tag gesiecht hat. Ich empfand daher auf der Rückreise in mein Vaterland weit
größeres Ungemach, als ich auf meiner Hinreise nach Russland erfahren hatte.
Ich musste, weil
mein Litauer in der Türkei geblieben war,
mit der Post reisen. Als sichs nun fügte, dass wir an einen engen hohlen Weg
zwischen hohen Dornhecken kamen, so erinnerte ich den
Postillion, mit seinem Horne ein Zeichen
zu geben, damit wir uns in diesem engen Passe nicht etwa gegen ein anderes
entgegenkommendes Fuhrwerk festfahren mochten. Mein Kerl setzte an, und
blies aus Leibeskräften in das Horn, aber alle seine Bemühungen waren
umsonst. Nicht ein einziger Ton kam heraus, welches uns ganz unerklärlich,
ja in der Tat für ein rechtes Unglück zu achten war, indem bald eine andere
uns entgegenkommende Kutsche auf uns stieß, vor welcher nun
schlechterdings|[57] nicht vorbeizukommen war. Nichts desto weniger sprang
ich aus meinem Wagen und spannte zuvörderst die Pferde aus. Hierauf nahm ich
den Wagen nebst den vier Rädern und allen Päckereien auf meine Schultern,
und sprang damit über Ufer und Hecke, ungefähr neun Fuß hoch, welches in
Rücksicht auf die Schwere der Kutsche eben keine Kleinigkeit war, auf das
Feld hinüber. Durch einen andern Rücksprung gelangte ich, die fremde Kutsche
vorüber, wieder in den Weg. Darauf eilte ich zurück zu unsern Pferden, nahm
unter jeden Arm eins und holte sie auf die vorige Art, nämlich durch einen
zweimaligen Sprung hinüber und herüber, gleichfalls herbei, ließ wieder
anspannen, und gelangte glücklich am Ende der Station zur Herberge. Noch
hätte ich anführen sollen, dass eins von den Pferden, welches sehr mutig und
nicht über vier Jahre alt war, ziemlichen Unfug machen wollte. Denn als ich
meinen zweiten Sprung über die Hecke tat, so verriet es durch sein Schnauben
und Trampeln ein großes Missbehagen an dieser heftigen Bewegung. Dies
verwehrte ich ihm aber gar bald, indem ich seine Hinterbeine in meine
Rocktasche steckte. In der Herberge erholten wir uns wieder von unserm Aben-|[58]teuer.
Der Postillion hängte sein Horn an einen Nagel beim Küchenfeuer, und ich
setzte mich ihm gegenüber.
Nun hört, ihr Herren, was geschah!
Auf einmal gings: Tereng! tereng! teng! teng! Wir machten große Augen und
fanden nun auf einmal die Ursache aus, warum der Postillion sein Horn nicht
hatte blasen können. Die Töne waren in dem Horne festgefroren und kamen nun,
so wie sie nach und nach auftaueten, hell und klar zu nicht geringer Ehre
des Fuhrmanns heraus. Denn die ehrliche Haut unterhielt uns nun eine
ziemliche Zeitlang mit der herrlichsten
Modulation, ohne den Mund an das Horn zu bringen. Da hörten wir
den preußischen Marsch –
Ohne Lieb und ohne Wein –
Als ich auf meiner Bleiche –
Gestern Abend war Vetter Michel da –
nebst noch vielen andern Stückchen, auch sogar das Abendlied:
Nun ruhen alle Wälder – Mit diesem
letzten endigte sich denn dieser Tauspaß,
so wie ich hiermit meine russische Reisegeschichte.
*
*
*
Manche Reisende sind bisweilen imstande, mehr zu behaupten,
als genau genom-|[59]men wahr sein mag. Daher ist es denn kein Wunder, wenn
Leser oder Zuhörer ein wenig zum Unglauben geneigt werden. Sollten indessen
einige von der Gesellschaft an meiner Wahrhaftigkeit zweifeln, so muss ich
Sie wegen ihrer Ungläubigkeit herzlich bemitleiden, und Sie bitten, sich
lieber zu entfernen, ehe ich meine Schiffs-Abenteuer beginne, die zwar fast
noch wunderbarer, aber doch ebenso authentisch sind.
–––|
|
Quelle:
Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:
Närrische Streiche eines Posthorns
Bürger 1788, Inhalt
Als im Jahre 1740 der harte Winter war, nöthigten mich einmal meine Geschäfte
zu einer Reise. Ich nahm Extrapost, und hielt, um nicht zu spät zu kommen,
in den Wirthshäusern auf meinem Wege kaum an. Gegen Abend kam ich in einen
hohlen Weg; er war so enge, daß gerade nur ein einziger Wagen darinn fahren
konnte. Schwager, sagte ich zu meinem Postillon, wenn uns hier ein anderer
Wagen begegnet, so geht das unmöglich gut; wir können einander gar nicht
ausweichen. Blase Du einmal, damit man uns hört, und noch zu rechter Zeit
auf die Seite fahren kann, bis wir vorbey sind. Gut, sagte er, setzte sein
Horn an den Mund, und bließ beyde Backen so sehr auf, daß sie hätten
zerspringen mögen. Aber umsonst; er konnte nicht einen einzigen Ton
herausbringen. Erst schimpfte ich auf ihn; da er aber versicherte, er könne
sonst sehr gut blasen, und er wisse gar nicht, woran es liege, daß es heute
nicht gehn wolle; so ward ich wieder ruhig, und sagte: Laß Er es nur gut
sein, Schwager; vielleicht kömmt uns auch gar kein Wagen entgegen, bis wir
aus diesem verwünschten Wege heraus sind. Aber nicht lange, so war diese
Hofnung im Brunnen. Ehe wir es uns versahen, stand, als wir um eine Ecke
herumfahren wollten, ein Wagen vor uns. Was nun zu thun? Es blieb uns kein
anderes Mittel übrig, als, die Wagen abzuladen, sie auseinander zu nehmen,
einen, nebst dem, was darauf gewesen war, um den andern herum zu tragen, sie
dann auf der andern Seite von neuem aufzuladen, und dann in des Himmels
Namen weiter zu fahren. Dies geschah auch alles richtig. Nun währete es eine
ziemliche Zeit lang, ehe wir in ein Wirthshaus kamen, wornach wir uns so sehr
sehnten. Endlich erreichten wir es spät am Abend wirklich. – Schwager, sagte
ich zu meinem Postillon, nun thu’ Dir auf Dein Frieren etwas zu gute; da hast
Du ein Trinkgeld, laß Dir geben, wozu Du Appetit hast. Das ließ er sich
nicht umsonst gesagt seyn, hing gleich seinen Mantel und sein Posthorn nicht
weit vom Ofen auf, forderte sich zu essen und zu trinken, und aß frisch
darauf los, so wie auch ich an einem andern Tische. Mit einemmale ging es:
terengtengteng! Wir sahen uns um, und sieh' da! es war das Posthorn am Ofen.
Nun begriff ich, warum der Postillon den Nachmittag nicht hatte blasen
können; die Töne waren eingefroren, und thauten nun endlich wieder auf.
Raspes Quelle: MhG, 9. Teil 1783, S. 77-79
R3, p. 53
Wie man sieht, hat Raspe sich nicht damit begnügt, das „terengtengteng“
seiner Vorlage zu übernehmen, vielmehr hat er es zu einem „Tereng! tereng,
teng, teng!“ umgeformt. Er hat das lautmalerische Posthornsignal der Vade
Mecum-Fassung also typographisch markiert, rhythmisch pointiert und außerdem
eine weitere Silbe bzw. einen weiteren Ton hinzugefügt. Und damit nicht
genug: Er lässt darauf noch eine ‘Vielzahl von Liedern’ folgen, darunter ein
‘Abendlied’ und ‘viele weitere Lieblingslieder’. Bei Raspe hat der
Postillion also im Grunde ein ganzes Konzert gegeben, was mit der
Formulierung vom „thawing entertainment“ prägnant umschrieben wird. Zwei der
Lieder werden mit ihren Titeln angeführt: The King of Prussia’s march und
Over the hill and over the dale. Beide Lieder sind nicht fiktiv, sondern
real und lassen sich somit auch historisch identifizieren. Bei dem ‘Marsch
des Königs von Preußen’ handelt es sich um ein Marschlied, das der
italienische Komponist Gualtero Nicolini anlässlich der preußischen Siege im
Sieben jährigen Krieg komponiert hatte und das wohl 1758 in London
publiziert wurde (was damit zu tun hat, dass Preußen und Großbritannien in
diesem Krieg Verbündete waren). Over the hill and over the dale hingegen
ist ein älteres englisches Volkslied, auf das sich bereits Shakespeare
bezieht.
Warum aber hat Raspe gerade diese beiden Lieder ausgewählt? Diese Frage
stellt sich umso dringlicher, als Raspe ein hoch musikalischer und auch in
Fragen der Musikästhetik überaus kompetenter Mann war; zweifellos hat er die
Lieder also sehr bewusst ausgewählt. Zuerst ist darauf zu antworten, dass
durch die Nennung des Marschlieds auf der Ebene der Handlung ein komischer
Effekt entsteht. Das wird deutlich, wenn man sich den Text des Lieds vor
Augen führt. Wenig überraschend, werden in diesem Text die Taten Friedrichs
des Großen im Siebenjährigen Krieg verherrlicht und zugleich seine Gegner
verspottet. Stellt man sich aber nun vor, die durch Russland fahrende
Kutsche Münchhausens wäre wirklich durch jenes Lied angekündigt worden, wird
die von Raspe intendierte Pointe erkennbar. Es ist eine doppelte: Zum einen
wäre es – da Russland im Siebenjährigen Krieg zu den Gegnern Preußens gehört
hatte – eine bemerkenswerte Frechheit des Postillions gewesen, mitten in
Russland einen Marsch zu blasen, der die Siege der Preußen feierte und die
Russen als ‘Wilde’ beleidigte; eine solche Frechheit dürfte die
zeitgenössischen englischen Leser indes durchaus amüsiert haben
(Großbritannien war ja mit Preußen verbündet gewesen). Zum anderen wäre der
‘Marsch des Königs von Preußen’, der in Wahrheit aber Münchhausen
ankündigte, auf diese Weise gewissermaßen zu einem ‘Münchhausen-Marsch’
geworden, und dass zwischen dem Philosophenkönig und dem Lügenbaron nur
wenig Ähnlichkeiten bestanden, ja dass letzterer geradezu wie eine Karikatur
des ersteren wirkt, liegt auf der Hand. Es zeigt sich also, dass Raspe
dieses Lied kalkuliert ausgewählt hat, um damit eine komische Pointe zu
erzielen – und dass er dafür auch einen Anachronismus in Kauf genommen hat
(die Handlung des Munchausen spielt ja vor dem Siebenjährigen Krieg).
Des Weiteren ist zu sagen, dass die Episode durch die Einfügung so vieler
Lieder zwar an Realismus verliert – dass der Postillion in der Eiseskälte
ein ganzes Konzert gibt, wirkt wenig glaubwürdig –, dafür aber an
Konkretheit gewinnt, zumal im Hinblick auf die beiden Lieder, deren Titel genannt
werden: Denn ein beliebtes Marschlied und ein altes Volkslied konnten sich
die zeitgenössischen Leser zweifellos besser vorstellen als ein mit Mitteln
der Lautmalerei erzeugtes Posthornsignal. Mehr noch: Man kann davon
ausgehen, dass Leser, die die Lieder kannten – und das dürften zumindest in
Großbritannien viele gewesen sein –, sie bei der Lektüre imaginierten, sie
vor sich hin summten oder sogar sangen. Und auch wenn dies mangels
entsprechender Zeugnisse nicht belegbar ist, kann man doch den Schluss
ziehen, dass es Raspe genau darum ging: Offenbar wollte er die Episode von
den gefrorenen Tönen gleichsam in der musikalischen Lebenswelt seiner Leser
verankern. Aus diesem Grund fügte er ihr populäre englische Lieder der Zeit
ein und verlieh ihr auf diese Weise ein aktuelles musikalisches Kolorit.
Dabei kamen ihm auch die Zeitumstände zu Hilfe: 1786, also im Jahr vor der
Publikation dieser Fassung, war Friedrich der Große gestorben, sodass auch
das Marschlied zu seinen Ehren eine neue Aktualität gewann. Vielleicht gibt
es für die Wahl des Marschlieds aber noch einen weiteren, persönlichen Grund
– nämlich dass Raspe Friedrich dem Großen leibhaftig begegnet war: 1773
hatte dieser ihm in Potsdam eine Audienz gewährt. Als Mitglied der Royal
Society in London, als Professor für Altertumswissenschaft am Collegium
Carolinum in Kassel, als Kustos des dortigen Kunsthauses und als zweiter
Bibliothekar der fürstlichen Bibliothek befand Raspe sich damals auf dem
Höhepunkt seines Ruhmes, und die Audienz beim Philosophenkönig dürfte sein
Selbstbewusstsein noch gestärkt haben. Die Wahl eines Marschlieds zu Ehren
Friedrichs des Großen mag für ihn also auch aus diesem Grund nahegelegen
haben, wenn ihm dabei auch schmerzlich bewusst geworden sein muss, wie sehr
sich seine Verhältnisse seither verändert hatten: Nachdem man ihn – zu Recht
– verdächtigt hatte, die Münzsammlung des hessischen Landgrafen veruntreut
zu haben, war er als steckbrieflich gesuchter Dieb nach England geflohen, wo
er sich seinen Lebensunterhalt mühsam mit Arbeiten verschiedener Art
(darunter auch die Abfassung des Munchausen) verdienen musste. Insofern
könnte man Raspes Wahl des ‘Marschs des Königs von Preußen’ auch als eine
versteckte Reminiszenz an bessere Zeiten seines eigenen Lebens verstehen.
Beweisen lässt sich das freilich nicht.
Ammon 2010, S. 116ff.
The King of Prussiaʼs March.
What Honours to Fred'rick due, the Prussian's King, and
his immortal Glories too, when can for – bear to sing. To share his Crown
with hatred keen four Sovʼreigns had a – greed; The Gallic King, Hungariaʼs
Queen, The Savage Russ and Swede The Savage Russ and Swede –
Einblattdruck, [London], [ca. 1758].
Ohne - Lieb und ohne Wein,
Was wär unser Leben?
Alles, was uns kann erfreun,
Müssen diese geben.
Wenn die Grossen sich erfreun,
Was ist ihre Freude?
Hübsche Mädchen, guter Wein,
Einzig diese Beyde!
Die verwandelten Weiber oder Der Teufel ist los. Komische Oper in drey
Aufzügen. O. O. o. J. (um 1770). Erster Aufzug. Lene.
Als ich auf meiner Bleiche
Ein Stückgen Garn begoß:
Da kam aus dem Gesträuche
Ein Mädchen athemlos;
Das sprach: ach, ach! Erbarmen!
Steht meinem Vater bey!
Dort schlug ein Fall dem Armen
Das linke Bein entzwey.
Mitleidig ach verweilte
Ich keinen Augenblick.
Ich lief ihr zu: da eilte
Sie ins Gebüsch zurück.
Kaum war ich drinn, so kamen
Zwey Reuter mit dem Schwerdt,
Ergriffen mich, und nahmen
Mich mit Gewalt aufs Pferd.
Christian Felix Weiße: Die Jagd. Leipzig: Dyckische Buchhandlung 1770, S.
82f.
Gestern abend war Vetter Michel hier,
gestern abend war Vetter Michel da,
Vetter Michel war gestern abend hier,
gestern abend war er da.
Der Ein’ sprach nein, der Andre ja,
Vetter Michel sprach wohl nein und ja!
Vetter Michel war gestern abend hier,
gestern abend war er da.
Max Friedlaender: Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert. 2 Bde. Cotta:
Stuttgart und Berlin 1902. Bd. 1, Nr. 66.
Nun ruhen alle Wälder, Vieh, Menschen, Städtʼ und Felder, es schläft die
gantze Welt: ihr aber, meine Sinnen, auf! auf, ihr solt beginnen, was eurem
Schöpffer wohl gefällt.
Lied von Paul Gerhardt, erstmals 1647 im Gesangbuch Praxis Pietatis Melica
von Johann Crüger gedruckt. Hier nach: Neuvermehrtes Magdeburgisches
Gesangbuch. Magdeburg 1756, S. 1071.
um die Zeit der großen Revolution: Am 6.
Dezember 1741 setzte Elisabeth, die Tochter Peters des Großen, durch eine
Palastrevolution ihre Thronansprüche durch und verbannte Anna Leopoldowna,
eine mecklenburgische Prinzessin und Großnichte Peters des Großen, die die
Regentschaft für ihren Sohn, den kleinen Zaren Iwan VI. (geb. 1740), geführt
hatte, und deren Gemahl, den Prinzen Anton Ulrich von Braunschweig, auf
Lebenszeit. Der historische Hieronymus von Münchhausengehörte zum Gefolge
des Prinzen.
ihrem Vater: Der Sinn verlangt seinem
Vater.
mein Litauer: Münchhausens Reitpferd.
Postillion: Der Zusatz Bürgers vom
,höflichen' deutschen Postmeister bezieht sich zunächst allgemein auf seine
Abneigung gegen die Postmeister; im besonderen aber auf die Händel, in
welche sein Kollege, der Historiker Schlözer in Göttingen, mit dem dortigen
Postmeister Schröder und Postverwalter Mylius, sowie mit dem Postmeister
Dietzel in Northeim geraten war. — Auch bei Rudolf Erich Raspe hat ein
Postmeister eine Rolle gespielt. Im Herbst 1774 versuchte der Paderborner
Postmeister Daltrop vergebens, eine Forderung von 300 Rthlrn an Raspe
einzutreiben. Raspe aber war tief verschuldet und konnte in Kassel kein Geld
mehr auftreiben. Ein halbes Jahr später mußte er nach England fliehen.
Offensichtlich handelte es sich um eine Forderung für dienstliche Fahrten.
Daltrop wandte sich dann an das Generaldirektorium. Dieses gab ihm den
Bescheid, daß er nicht auf den Ersatz seiner Rechnung zu rechnen hat, da dem
gewesenen Rat Raspe dieses Geld bereits vergütet worden.
Wackermann 1969, S.43, Anm.
Tereng! tereng! teng! teng!: Explizit
wird hier also noch gar nicht erzählt, welche Töne der Postillion geblasen
hat. Liest man jedoch genau bzw. hört man genau hin, erhält man doch
Hinweise darauf, denn implizit ist in der charakteristischen Formel „terengtengteng!“,
mittels derer die Töne des Posthorns sprachlich vermittelt werden und die
schon durch ihre auffällige klangliche Gestalt (sie alliteriert, enthält nur
einen einzigen Vokal und darüber hinaus einen Reim) auf Musik verweist, ein
Rhythmus enthalten, von dem man annehmen darf, dass er dem Rhythmus der vom
Postillion geblasenen Töne entspricht. Dieser implizite Rhythmus ergibt sich
durch die Verteilung der betonten und unbetonten Silben: „teréngtengténg“.
Rhythmisch besteht die Formel also aus zwei jambischen Versfüßen, was im
Kontext der Episode an ein Signal denken lässt. Es fällt auch nicht schwer,
sich zu diesem Rhythmus Ton höhen hinzuzudenken: die unbetonten Silben etwa
im Quartabstand zu den betonten Silben, was ebenfalls zu einem Signal passen
würde. Die vom Postillion geblasenen Töne werden hier also mit
lautmalerischen Mitteln eher evoziert als identifiziert. Dennoch stellt sich
beim Leser der Eindruck ein, er höre das Signal eines Posthorns. Und dass
der Postillion zur Ankündigung der Kutsche ein Signal bläst, entspräche ja
den historischen Gepflogenheiten. Die Vade Mecum-Fassung setzt also auf
Lautmalerei und – in dieser Hinsicht – auf Realismus; das ganze
erzählerische Potenzial, das im Motiv von den gefrorenen Tönen steckt, wird
aber noch nicht genutzt.
Ammon 2010, S. 115.
In der ersten englischen Ausgabe heißt es: An evening hymn, and many
other favourite tunes came out, and the thawing entertainment concluded, as
I ſhall this ſhort account of my Ruffian travels with
God bloß Great George our King.
R 1, S. 49
Dazu merkt Ruth P. Dawson (Dawson 1984) an: Raspe war Monarchist. Zu der
Zeit, als Georg II. weithin geschmäht und sogar verdächtigt wurde, des
Despotismus wiederherstellen zu wollen, hatte Raspe sich im dritten Brief,
den Bahrdt nachgedruckt hat, loyal und positiv über den britischen König
geäußert.
Dawson 1984, S. 213. (Übertragung aus dem Englischen von G. E.)
Vergl. Karl Friedrich Bahrdt: Geschichte seines Lebens von ihm selbst
geschrieben. Berlin 1790.
Modulation: das Steigen und Fallen des
Tones. (GHH)
den preußischen Marsch: Nicolini,
Gualtero: The King of Prussia’s March./ Del Signore Gualtero Niccolini.
Dieser Marsch verherrlicht die Taten Friedrichs des Großen von Preußen im
Siebenjährigen Krieg.
The King of Prussia’s march
Nicolini, Gualtero: The King of
Prussia’s march del Signore Gualtero Niccolini.
[London], [ca. 1758]
Text-Incipit: What honours are to Fred’rick due.
-Dieser Marsch verherrlicht die Taten Friedrichs des Großen von Preußen im
Siebenjährigen Krieg. Das Notenblatt enthält die Sologesangsstimme mit
Continuobegleitung. Es ist überliefert im sog. „Pleasure-Gardens-Konvolut“,
einer Sammlung von überwiegend gedruckten Notenblättern, wie sie in den
Londoner Vergnügungsparks in der Mitte des 18. Jahrhunderts verwendet wurden.
Bei Raspe folgen weitere Lieder:
Over the hill and over the dale—An evening hymn, and many other favourite
tunes.
Over the Hill and Over the Dale ist, eine
Vertonung aus den Piae Cantiones, einem Buch lateinischer Weihnachtslieder,
das 1582 in Finnland zusammengestellt wurde.
William Shakespeare übernahm
daraus einige Verse für A Midsummer Nightʼs Dream, Act II, Scene I [Over
hill, over dale]
A wood near Athens. A Fairy
speaks.Over hill, over dale,
Thorough bush, thorough brier,
Over park, over pale,
Thorough flood, thorough fire,
I do wander every where,
Swifter than the moon's sphere;
And I serve the fairy queen,
To dew her orbs upon the green:
The cowslips tall her pensioners be;
In their gold coats spots you see;
Those be rubies, fairy favours,
In those freckles live their savours:
I must go seek some dew-drops here
And hang a pearl in every cowslip's ear.
Farewell, thou lob of spirits: I'll be gone;
Our queen and all her elves come here anon.
Ohne Lieb’ und ohne Wein: Trinklied aus
der Oper „Die verwandelten Weiber“ (1768) von Christian Felix Weiß
(1726-1804), komponiert von Johann Adam Hiller (1728-1804).
Als ich auf meiner Bleiche: Lied aus der Oper
„Die Jagd“ (1770) von C. F. Weiße,
komponiert von J. A. Hiller.
Gestern Abend war Vetter Michel da:
populäres Lied aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; Verfasser
unbekannt.
Nun ruhen alle Wälder: Lied von Paul
Gerhardt (1607-76).
Abgesehen von einer minimalen Veränderung der Interpunktion über nimmt
Bürger also das „Tereng! tereng, teng, teng!“ und das Marschlied aus seiner
Vorlage, konkretisiert aber die dort noch ohne Titel angeführte „evening
hymn“ zu dem in Deutschland (anders als in Großbritannien) sicherlich
bekanntesten aller Abendlieder: Nun ruhen alle Wälder von Paul
Gerhardt – wobei er, indem er die Folge der Lieder mit diesem enden und auf
diese Weise auch den Postillion und Münchhausen zur Ruhe kommen lässt, noch
eine witzige Pointe erzielt, die es bei Raspe nicht gibt. Alle anderen bei
Bürger angeführten Lieder sind aber neu hinzugekommen; ausnahmslos handelt
es sich dabei um populäre deutsche Lieder der Zeit. Das gilt vor allem für
die ersten beiden, die ursprünglich Teil der Singspiele Der Teufel ist los
und Die Jagd von Christian Felix Weiße (Libretto) und Johann Adam Hiller
(Musik) waren, sich aber schnell aus diesem Kontext gelöst hatten.
Ammon 2010, S. 120.
Thauspaß: Bürger übersetzt das englische
thawing entertainment (auftauende Unterhaltung).
Manche Reisende: Mit dieser Anspielung
stellen sich Münchhausens Lügengeschichten in die lange Tradition der
unglaublichen Reisebeschreibungen seit der Antike und erwecken die
Lesererwartung von Kuriosität und Abenteuer. Zugleich knüpfen sie z.T.
plagiatartig an Lukians „aufrichtige Lügen“ an, mit denen dieser bereits die
unaufrichtig unwahren Fabel- und Wundereffekte der antiken Reiseberichte von
Hesiod, Homer und Ktesias parodierte. Auch für die auf Englisch verfaßten
und dann erst ins Deutsche übersetzten Münchhausenschen Lügengeschichten des
18. Jahrhunderts gilt ihr demonstrativer Wahrheitsanspruch in Form
aufrichtigen Lügens – das Verfahren einer „Kunst zu lügen“ (Bürger), „strictly
founded in fact“ (Raspe), mit dem die zeitgenössische Reiseliteratur
satirisch dekonstruiert wird. Denn deren Fremddarstellungen grenzen immer an
Lüge, sei es als Problem der Vermittelbarkeit des Fremden für europäische
Leser, der Orientierung am exotistischen Publikumsgeschmack, der narrativen
Zwänge der Unterhaltungsfunktion oder der Zensur. Betrachtet man also
Münchhausens Lügengeschichten – was bisher noch kaum geschehen ist – als
eine Übersteigerung der „pseudoauthentischen Reiseberichte“, der Reise-Lügner, Phantasie- und Lügenreisen, der Robinsonaden, ja der
zeitgenössischen Reiseberichte überhaupt, so gewinnt man wichtige
Aufschlüsse über die Paradigmata der Fremdvermittlung im späten 18.
Jahrhundert. Zugleich ergeben sich dabei historische Bezugspunkte für das
systematische Problem von Wahrheit und Authentizität bei der Repräsentation
fremder Kulturen, das gegenwärtig in der Ethnographie verstärkt zur Sprache
kommt: als Zweifel an der Existenz authentischer Kulturen überhaupt und
insbesondere als Infragestellung ihrer Repräsentierbarkeit.
Bachmann-Medick 1997, S. 42.
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Wie der Altphilologe Otto Weinreich in einer umfangreichen Abhandlung aus dem
Jahr 1942 herausgearbeitet hat, (Weinreich 1942) steht diese Episode in einer
weitverzweigten motivgeschichtlichen Tradition, die bis in das vierte
vorchristliche Jahrhundert zurückreicht, zu einem ansonsten kaum bekannten
griechischen Autor namens Antiphanes, einer Art antikem Münchhausen. Von ihm
selbst sind keine Texte überliefert, doch in seiner Abhandlung Über die
Möglichkeit, seine philosophischen Fortschritte zu bemerken lässt Plutarch
500 Jahre später einen Schüler Platons Folgendes äußern: „Antiphanes nämlich hat
einmal im Scherz gesagt, in einer gewissen Stadt gefrören alle Worte, kaum
ausgesprochen, sogleich vor Kälte, und später dann tauten sie wieder auf, und
man höre im Sommer, was im Winter gesprochen worden sei.“ Dies wird zum Anlass
genommen für eine kritische Bemerkung über die Schwerverständlichkeit von
Platons Philosophie: „So verständen, sagte jener, auch viele das, was Platon
ihnen in ihrer Jugend vorgetragen habe, erst spät, und kaum, nämlich dann, wenn
sie ins Greisenalter gelangt seien.“
Vermittelt durch Plutarch, gelangte das Motiv von den gefrorenen Worten in die
Renaissance (wo es, jeweils verändert, unter anderem in Castigliones
Cortigiano und in Rabelais’ Gargantua auftaucht) und in die
Aufklärung (wo es, wiederum abgewandelt, in der von Joseph Addison und Richard
Steele herausgegebenen moralischen Wochenschrift The Tatler erscheint), und wohl
von hier aus in die mit dem Namen Münchhausen verbundene Stofftradition, in der
– und das war ein Novum in der Geschichte des Motivs – die gefrorenen Worte zum
ersten Mal konsequent durch gefrorene Töne ersetzt wurden.
Ammon 2010, S. 112f.
Like Words congealʼd in Northern Air.
NOT to keep my Reader any longer in suspense, the Relation
put into modern Language is as follows:
WE were separated by a Storm in the Latitude of 71, insomuch
that only the ship which I was in, with a Dutch and French Vessel, got safe into
a Creek of of Nova Zembla. We landed, in order to refit our Vessels, and store
ourselves with provisions. The Crew of each Vessel made themselves a Cabbin of
Turf and Wood, at some Distance from each other, to fence themselves against the
Inclemencies of the Weather, which was severe beyond Imagination. We soon
observed that in talking to one another we lost several of our Words, and could
not hear one another at above two Yarde Distance, and that too when we sat very
near the Fire. After much Perplexity, I found that our Words frose in the Ait
before they could reach the Ears of the Persons to whom they were spoken. I was
soon confirm in this Conjecture when, upon the Increase of the Cold, the whole
company grew dumb, or rather deals for every Man was sensible, as we afterwards
found, that he spoke as well as ever, but the Sounds no sooner took Air, than
they were condensed and lost. It was now a miserable Spectacle to see us nodding
and gaping at one another, every Man talking, and no Man heard. One might
observe a Seaman, that could hail a Ship at a League’s Distance, beckoning with
his Hand, straining his Lungs, and tearing his Throat, but all in vain.
––– Nec vox, nec verba sequentur
WE continued here three Weeks in this dismal Plight. At
length upon a Turn of Wind, the Air about us began to thaw. Our Cabbin was
immediately filled with a dry clattering Sound, wich I afterwards found be the
Crackling of Consonants that broke above our Heads, and were often mixed with
gentle Hissing, which I imputed to the Letter 8, that occurs so frequently in
the English Tongue. I soon after felt a Breeze of Whispers rushing by my Ear,
for those being of a soft and gentle Substance, immediately liquefied in the
warm Wind that blew across our Cabbin. These were soon followed by Syllables and
short Words, and at length by intire Sentences, that melted sooner or
later, as they were more or less congealed; so that we now heard every Thing
that had been spoken during the whole three Weeks that we had been silent, if I
may use that Expression.
Anonymus: Splendide mendax – Hor. He tells a Lie with a good Grave. In: The
Tatler, No. 254. Thursday, November 23, 1710.
So barock und widernatürlich die Erfindungen auf dieser Fabrik sind, so wird
man doch bemerken, daß ein gewisser Schein von Möglichkeit und Zulässigkeit fast
überall gelassen ist, ohne welchen wir glauben würden, uns im Tollhause zu
befinden. Gerade in diesem Scheine liegt das Unterhaltende und Lächerliche
dieser Anekdoten, und der eigentliche Kunstgriff, – wenn hier von Kunst irgend
die Rede seyn kann, – sie zu fabriziren. An dieser Klippe sind denn auch die
neuesten Nachahmer jenes erhabenen Urbolar gescheitert. So wird der obenerwähnte
Hase mit einem Schwimmer verglichen, der bald auf den Bauch, bald auf den Rücken
sich wirft; so giebt der Hirsch mit dem wunderbaren Baume zugleich Braten und
die dazu gehörige Kirschtunke; der Strick, der zu der Hinabfahrt vom Monde
dient, wird an die Hörner des Mondes gebunden ⁊c. Wollte man mit dieser
Münchhausischen Gattung der Poesie eine aus der bildenden Kunft vergleichen, so
würde es die Karikatur seyn, nur daß jene harmloser ist, als es diese, zumal auf
der gold- und spleenreichen Insel, zu seyn pflegt. Ich habe weder Lust noch Muße
auf die Geschichte und Literatur derselben einzugehen, und zu untersuchen, ob
und von wem sie in alter und neuer Zeit, im In- und Auslande vor Bürger, der sie
bei uns in Schwang brachte, cultivirt worden sey. Allein daß die Griechen, ein
Geschlecht, mit den Römern zu reden, voll Lug und Trug, in irgend einer Art und
Abart der Fabeln das jus primae occupationis sich sollten nehmen lassen, ist
schon a priori zu bezweifeln. Bei ihnen finden wir unbedenklich einen
Münchhausen vor Münchhausen in einem gewissen Antiphanes. Nach Plutarch de
profectu virtutis sentiendo p. 79 A. hatte dieser von einer Stadt erzählt, in
der „eine so grimmige Kälte war, daß die Worte die die Einwohner im Winter
sprachen, auf der Stelle gefroren, erst im Frühjahre aufthauten und vernehmlich
wurden.“ Wer denkt da nicht an Münchhausens Posthorn? – So spaßhaft der Einfall,
so ernst die Anwendung, die bei Plutarch gemacht wird. Man kann sie geistreich
wiederholt nachlesen in F. A. Wolfʼs verm. Schrift, u. Aufsätz. 1802, S. 166.
Vermuthlich war dieser Antiphanes der von Berga, im thracischen Chersonnes,
der durch sein Werk ἄπιστα oder unglaubliche Dinge genannt, seine gute
Vaterstadt in solchen Mißcredit brachte, daß die alten von Bergäer Nachrichten
ohngefähr so viel hielten, wie wir von Münchhausischen.
A. G. Lange: Literarische Parallelen. Münchhausen und
Antiphanes. In: Der Neue Teutsche Merkur. 4. Stück. April 1807, S. 265ff.
Anna Iwanowna; Louis Caravaque. Porträt der Kaiserin Anna of Russia. 1730
|
Anna Iwanowna (1693-1740), Kaiserin von Russland von 1730 bis 1740. Tochter
Iwans V. Die Regierungsgeschäfte kümmerten sie wenig. Unter ihrer Regentschaft
begann die Ausbreitung in Richtung Zentralasien. Russland beteiligte sich am
Polnischen Thronfolgekrieg und am Russisch-Österreichischen Türkenkrieg. Ihre
Regentschaft wird auch Dunkle Epoche genannt. |
Anna Leopoldowna; Porträt von Louis Caravaque, nach 1733
|
Anna Leopoldowna, (1718-1746), durch Heirat Prinzessin von
Braunschweig-Wolfenbüttel sowie von 1740 bis 1741 als Großfürstin Regentin des
Russischen Kaiserreichs. Als Urenkelin des Zaren Alexei Michailowitsch war sie
mütterlicherseits eine mittelbare Nachfolgerin zum russischen Zarenthron. |
Anton Ulrich Prinz von Braunschweig-Wolfenbüttel; unbekannter Maler
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Anton Ulrich Prinz von Braunschweig-Wolfenbüttel (1714-1774), Sohn Ferdinand
Albrechts II., Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern. 1733 kam Anton Ulrich
auf Wunsch der russischen Kaiserin Anna, die ihn zum Ehemann für ihre Nichte
Anna Leopoldowna bestimmt hatte, nach Russland. In Riga übernahm er die
Inhaberschaft eines Regiments, die bereits 1732 nach ihm benannten
„Braunschweig-Kürassiere“, bei denen auch der Freiherr von Münchhausen diente.
Seine Hochzeit mit Anna Leopoldowna fand 1739 in Sankt Petersburg statt. Der aus
dieser Ehe hervorgegangene Iwan VI. wurde von der Kaiserin zu ihrem künftigen
Nachfolger ernannt; bis zu dessen Volljährigkeit sollte Biron die Regentschaft
führen. Anton Ulrich wurde mit seiner Gemahlin von allen Regierungsgeschäften
ferngehalten. Als er bald nach dem Tod der Kaiserin Anna bei einer gegen Biron
gerichteten Verschwörung kompromittiert wurde, zwang ihn Biron, aller seiner
militärischen Ämter zu entsagen und drohte, ihn aus Russland zu verweisen. Nach
Birons Sturz wurde der Prinz von seiner Gemahlin, der Regentin Anna Leopoldowna,
zum Generalissimus der russischen Armee erhoben. Anna Leopoldowna wurde jedoch
in der Nacht zum 6. Dezember 1741 von Elisabeth Petrowna entmachtet und mit
ihrem Mann und ihren Kindern in der Zitadelle von Riga eingesperrt, später nach
Dünamünde und schließlich nach Cholmogory im Gouvernement Archangelgorod
verschleppt, wo sie im Alter von 27 Jahren 1746 starb. Katharina II. ließ bald
nach ihrer Thronbesteigung im Jahre 1762 Anton Ulrich den Vorschlag machen,
Russland zu verlassen. Seine Kinder aber müssten zurückbleiben, da man ihnen aus
politischen Gründen nicht die Freiheit geben könne. Er zog die Gefangenschaft
mit seinen Kindern der Freiheit ohne diese vor und starb, fast völlig erblindet,
am 4. Mai 1774. |
Iwan VI. Antonowitsch
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Iwan VI. Antonowitsch (1740-1764), von 1740 bis 1741 der nominelle Kaiser von
Russland. Kaiserin Anna ernannte den Enkel ihrer Schwester zum Thronfolger. Als
Säugling bestieg er unter der Regentschaft Anna Leopoldownas den Thron
Russlands. Elisabeth Petrowna stürzte den jungen Zaren bereits im Jahr darauf.
Iwan wurde inhaftiert und 1764 ermordet. |
Elizaveta Petrovna Romanova, Kaiserin Elisabeth I. von Russland, Gemälde von
Charles André van Loo, 1760.
|
Elizaveta Petrovna Romanova (1709-1762) war von 1741 bis 1762 Kaiserin von
Russland. Tochter Peters I. und Katharinas I. Letzte der ursprünglichen Romanows
auf dem Thron. Innenpolitisch konnte Elisabeth das Reich stabilisieren. Sie
führte eine strenge Religionspolitik, wodurch Juden und Andersgläubige unter
Repressalien zu leiden hatten. Im Siebenjährigen Krieg kämpfte Russland auf der
Seite Österreichs gegen Preußen. |
Peter III., Gemälde von Alexei Petrowitsch Antropow. 1762
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Peter III. Fjodorowitsch, eigentlich Karl Peter Ulrich von
Schleswig-Holstein-Gottorf (1728-1762) , im Jahre 1762 sechs Monate lang Kaiser
von Russland und von 1739 bis 1762 Herzog von Holstein-Gottorf. Er war der
Ehemann der Prinzessin Sophie Auguste von Anhalt-Zerbst-Dornburg, der späteren
Zarin Katharina II. Er wurde durch ein Komplott, das seine Frau Katharina auf
den Thron hob, entmachtet. Parteigänger der Zarin ermordeten ihn im Juli 1762. |
Katharina II., genannt Katharina die Große; Porträt von Fjodor Rokotow 1770
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Katharina II., genannt Katharina die Große (1729-1796), ab dem 9. Juli 1762
Kaiserin von Russland. Frau Peters III. Sie entmachtete ihren Mann und ließ sich
zur Kaiserin ausrufen. Sie förderte die Ansiedlung von Ausländern in Russland.
Russlands Machtbereich konnte sie so weit ausbauen, dass nach zwei Kriegen gegen
die Türken Russland über einen Zugang zum Schwarzen Meer verfügte. Außerdem
wirkte sie an den drei Teilungen Polens entschieden mit und führte 1788 Krieg
gegen die Schweden.
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Ernst Johann von Biron
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Ernst Johann von Biron (1690-1772), Herzog von Kurland und Semgallen sowie
Regent des Russischen Kaiserreichs 1740. Biron war zuerst Sekretär, dann
Hofmeister und enger Vertrauter der Herzogin-Witwe Anna Iwanowna von Kurland,
einer Halbnichte Peters des Großen. Auf Birons eigenen Wunsch hin ernannte Zarin
Anna ihn kurz vor ihrem Tod am 17. Oktober 1740 zum Vormund ihres unmündigen, am
23. August 1740 geborenen Nachfolgers Iwan VI., in dessen Namen er die Position
eines Reichsregenten einnehmen und damit die volle Macht gewinnen sollte. Nach
dem Tod der Zarin Anna verhaftete ihn Generalfeldmarschall Burkhard Christoph
von Münnich am 20. November 1740 im Namen der Mutter Iwans, Prinzessin Anna von
Mecklenburg. Er wurde wegen Hochverrat, Majestätsbeleidigung und Unterschlagung,
verlor alle Ämter und Würden, sein Vermögen wurde konfisziert und die ganze
Familie lebenslang nach Pelym in Sibirien verbannt. |
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