Gottfried August Bürger

Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande

London 1788                                                                Zurück zur vorigen Seite

        

 

 

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Reise durch die Welt nebst andern merkwürdigen Abenteuern

 

 

Reise durch die Welt,

nebst andern merkwürdigen Abenteuern.

 

Wenn ich Ihren Augen trauen darf, meine Herren, so möchte ich wohl eher müde werden, Ihnen sonderbare Begebenheiten meines Lebens zu erzählen, als Sie, mich anzuhören. Ihre Gefälligkeit ist mir zu schmeichelhaft, als dass ich, wie ich mir vorgenommen hatte, mit meiner Reise nach dem Monde meine Erzählung schließen sollte. Hören Sie also, wenn es Ihnen beliebt, noch eine Geschichte, die an Glaubwürdigkeit der letztern gleich kommt, an Merkwürdigkeit und Wunderbarkeit sie vielleicht noch übertrifft.

Eine von Raspes Quellen war sein Buch: Specimen historiae naturalis globi terraquei, [...].Autore Rudolpho Erico Raspe. Amsterdam 1763.

 

Specimen historiae naturalis globi terraquei, praesipue de novis e mare natis insulis, Et ex bis exactius descriptis & observatis, ulterius confirmanda, Hookiana telluris hypothesi, de origine montium et corporum petrefactorum. Cum figuris Æneis. AUTORE RUDOLPHO ERICO RASPE. Amsterdami & LIPSIÆ MDCCLXIII.

Merkwürdigkeit und Wunderbarkeit: Das ältere Wort Merkwürdigkeit bezeichnet etwas, das würdig ist, gesehen oder gehört zu werden, wenn z. B. die Merkwürdigkeit der Natur mit Interesse beobachtet wird. Das seit 1734 belegte Wort Wunderbarkeit meint etwas Übernatürliches, Unbegreifliches der Natur, das in Mythos und Sage ausgesprochen wird. Die Begriffe werden von Bürger nicht synonym verwendet, sondern als einander ergänzende Perspektiven der Naturerforschung. (DWB)

 

Raspes Buch enthält die Kapital XVII. De Siciliá und XVIII. De monte anno 1669. ad Ætnam enato.

Wir können eine wunderbare Begebenheit hundertmal erzählen hören, und doch wird sie uns immer neu zu bleiben scheinen. Unsere Einbildungskraft wird bei jeder wiederhohlten Erzählung von neuem mächtig aufleben, unsere Wißbegierde wird uns immer wieder antreiben, die wunderbaren Maschinen zu entdecken, wodurch jene Begebenheit bewürkt wurde, und eine Reihe von Jahrhunderten selbst, die seit geschehenen Wunderwerken bis jetzt verflossen sind, wird uns gegen Dinge nicht gleichgültig machen können, die wir gleichsam noch jetzt vor Augen zu sehen glauben. Wir versetzen uns nur zu gerne in jene Epochen der Geschichte, die sich durch ausserordentliche Begebenheiten und Wunderwerke auszeichnen, wir wünschen zu diesen Zeiten gelebt zu haben, und in dieser Stimmung unseres Gemüths wird es ausserordentlich leicht, alles — ohne Untersuchung zu glauben, was uns aus jenen wundervollen Tagen erzählt wird; aber nicht nur zu glauben, sondern uns auch gegen jeden zu entrüsten, welcher aus Gründen der Vernunft jene wunderbaren Begebenheiten, die sich gemeiniglich unter sehr unwissenden Leuten zugetragen haben, nicht glauben kann.
Pockels 1785, S. 92f.

 

Map of Sicily and Malta; A TOUR THROUGH SICILY FROM P. BRYDONE, LONDON 1773.

 

Literarische Parallelen. Münchhausen und Antiphanes.

Sollte sich wohl der Mühe verlohnen, über so spaßhafte Einfälle, wie die des Herrn von Münchhausen, ein ernsthaftes Wort zu verlieren, und wo alle Welt nur lacht, das Gesicht pedantisch in die Miene der Reflexion zu ziehen? Ich denke immer; denn, wo und wenn alle Welt etwas thut, da giebt es auch etwas für das Nachdenken; zudem wollen wir es uns immer gestehen , daß die Abenteuer des besagten Herrn den meisten unter uns bei aller ihrer Albernheit dennoch bisweilen recht ergötzlich vorkommen. Woher das, da es doch so freche Lügen sind, die alle Naturgesetze der physischen Welt gleichsam mit Füßen treten, und die in der Poetik so hochgerühmte Wahrscheinlichkeit dergestalt aus den Augen setzen, daß sie in dem völligen Gegentheil derselben ihre besondere Ehre suchen?

Die Alten erzählten sich von einer verständigen und man kann sagen, gefühlvollen Eruption des Ätna, die zwei Sicilische Jünglinge, Namens in Anapias und Amphinomus, verschont, weil sie Vater und Mutter auf dem Rücken tragend der Todesgefahr zu entreißen suchten. Der Feuerstrom theilte sich, und öffnete ihnen einen schmalen Pfad, auf dem sie entrinnen konnten. (Die Stellen der alten hat Gesner zu dem Epigramme des Claudian auf die Statuen dieser Jünglinge gesammelt.) Was hier als geschehen erzählt wird, dringt sich uns als in der Natur der Dinge unmöglich auf, und dennoch glauben wir es einstweilen, und fühlen eine Art von Rührung bei der seltsamen Geschichte, weit uns nämlich die Absicht der Dichtung insgeheim anzieht, die keine andere ist, als den hohen Werth der kindlichen Pietät auf eine recht ausgezeichnete Weis e zu verherrlichen. Selbst in das rohe Element dringt der Geist der Liebe; die starke Naturkraft beugt sich vor der Tugend, die ihrer Allmacht sich kaum bewußt ist. Die Erzählung ist ersonnen, aber wir sind geneigt zu wünschen, daß sie wahr seyn könnte..
A. G. Lange: Literarische Parallelen. Münchhausen und Antiphanes. In: Der Neue Teutsche Merkur. 4. Stück. April 1807, S. 261ff.

 

     Brydones Reisen nach Sizilien, die ich mit ungemeinem Vergnügen durchlesen habe, machten mir Lust den Berg Ätna zu besuchen. Auf meinem Wege dahin stieß mir nichts Merkwürdiges auf. Ich sage mir; denn mancher andere hätte wohl manches äußerst merkwürdig gefunden, und zum Ersatz der Reisekosten umständlich dem Publikum erzählt, was mir alltägliche Klei-|[153]nigkeit war, womit ich keines ehrlichen Mannes Geduld ermüden mag.

Eines Morgens reisete ich früh aus einer am Fuß des Berges gelegenen Hütte ab, fest entschlossen, auch wenn es auf Kosten meines Lebens geschehen sollte, die innere Einrichtung dieser berühmten Feuerpfanne zu untersuchen, und auszuforschen. Nach einem mühseligen Weg von drei Stunden befand ich mich auf der Spitze des Berges. Er tobte damals gerade, und hatte schon drei Wochen getobt. Wie er unter den Umständen aussieht, das ist schon so oft geschildert worden dass, wenn Schilderungen es darstellen können, ich auf alle Fälle zu spät komme; und wenn sie, wie ich aus Erfahrung sagen darf, es nicht können, so wird es am besten getan sein, wenn nicht auch ich über dem Versuche einer Unmöglichkeit die Zeit verliere, und Sie die gute Laune.

Ich ging dreimal um den Krater herum – den Sie sich als einen ungeheueren Trichter vorstellen können –, und da ich sah, dass ich dadurch wenig oder nichts klüger wurde, so fasste ich kurz und gut den Entschluss, hineinzuspringen. Kaum hatte ich dies getan, so befand ich mich auch in ei-|[154]nem verzweifelt warmen Schwitzkasten, und mein armer Leichnam wurde durch die rotglühenden Kohlen, die beständig heraufschlugen, an mehreren Teilen, edlen und unedlen, jämmerlich gequetscht und verbrannt

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

Brydones Reisen nach Sizilien: Patrick Brydone (1736-1818) begleitete im Jahre 1770 den Geschäftsmann William Beckford of Somerley auf einer Reise durch Sizilien und Malta. Seine Erlebnisse und Forschungen beschrieb er in einem zweibändigen Reisebericht, der es auf sieben Auflagen in England bracht und auch ins Französische, Holländische und Deutsche übersetzt wurde.

Berg Ätna: Der Ätna auf der italienischen Insel Sizilien ist mit rund 3323 Metern über dem Meeresspiegel der höchste aktive Vulkan Europas.

Der Anblick eines Vulcans, wie der Vesuv oder Ältna, wenn er tobend feine Flammenströme ausspeiet, ist erhaben. Wenn der Zuschauer auch gar keinen Begriff davon hätte, woher dieses Feuer kommt, oder was für Folgen es haben wird, wenn er auch gar kein Interesse, weder für noch wider die Fortdauer dieser Erscheinung hätte, so urtheilt er dennoch über die Erhabenheit derselben, und glaubt, daß Jedermann sein Gefühl haben werde.
G. A. Bürgers Lehrbuch der Asthetik. Herausgegeben von Karl v. Reinhard. 2 Bände. Berlin 1825. Band 1, S. 213.

Bei dem ‚Vulkanabenteuer‘ Münchhausens handelt es sich um eine bemerkenswerte, vielschichtige Verfremdung von Brydones Reisebericht. Auch hier wird die ‚Leestelle‘ eines Primärtextes besetzt. So werden die Mutmaßungen Brydones über das Innere des Ätna zum Ausgangspunkt der fantastischen Abenteuer Münchhausens. Darüber hinaus lässt dich die Vulkanepisode auch als Wissenschaftssatire verstehen, denn Münchhausen, der bei seinem Aufenthalt im Inneren des Ätna den ‚sinnlichen‘ Aspekten des Lebens die meiste Aufmerksamkeit schenkt, gibt an, eigentlich zum Ätna gereist zu sein, „um die innere Einrichtung dieser berühmten Feuerpfanne zu untersuchen und auszuforschen.“
Kämmerer 1999, S. 171.

„Established upon Facts“ lautet der Untertitel von Raspes Buch über hessische Vulkane in der englischen Übersetzung 1776. „Headsof the Established Facts“ steht über dem Inhaltsverzeichnis einer frühen Ausgabe des Munchausen, (R3, S. 131) Die Behauptung, sich auf Tatsachen zu beziehen, ist ein geläufiger Topos- in der Literatur wie in der Wissenschaft. Seine Funktion scheint gattungsspezifisch zu sein: in der Wissenschaft Hinweis auf Überprüfbarkeit – in der Literatur augenzwinkerndes Signal an die Leser, sich getrost und mit Freude der Einbildungskraft hinzugeben. Das ist im Fall Munchausen aber nicht alles; denn einige Mitteilungen im fiktiven Munchausen nehmen Bezug auf etwas, das in der außerliterarischen Wirklichkeit existiert oder stattfand. Die Tatsachenbehauptung agiert im Mitwissen des Lesers auf zwei Ebenen: Sie gibt sich als Garant der vorgeblichen Wirklichkeit des Fiktiven und beteiligt sich gleichzeitig und im Widerspruch dazu nur schon durch ihr Vorhandensein an der Unterminierung der Fiktion. Die Irritation über den Grad an Realität von Münchhausen und Münchhausen dürfte auch auf diese Doppelzüngigkeit zurückzuführen sein.
Wiebel 2005b, S. 112.

Ersatz der Reisekosten: Bürger meint die Honorare, die Brydone für seine Bücher erhielt.

Feuerpfanne: Übersetzung von Raspes the Devilʼs Punch-Bowl near Petersfield, on the Portsmouth road. Ein natürliches Amphitheater in der Nähe von Hindhead/Surrey in Südengland, das erstmals auf einer Karte von 1768 mit diesem Namen belegt wurde. Raspe besuchte die Gegend 1784.
Howald/Wiebel 2015, S. 86, Anm. 129

Auch an diesem Punschtopf des Teufels war Raspe acht Jahre zuvor mit Baron Offenberg; er beschreibt den Weg, „bis wir endlich die größte Landeshöhe, über einem länglichrunden, tiefen, kahlen Thale, des Teufels Punschbowl genannt, erreichten.“ Anschließend geht es weiter nach Petersfield und Portsmouth.
Anonym: Bemerkungen auf einer durch die westlichen und nördlichen Provinzen Englands im Jahre 1779 gemachten Reise, in: Mitauische Monatsschrift, April 1784, Mitau 1784, S. 103f.

Die Bedeutung der Reise ist für Raspe hinsichtlich der Kontakte und Entdeckungen nicht hoch genug einzuschätzen. So hat sich die Gruppe z. B. in Birmingham bei M. Boulton aufgehalten. Der Reisechronist schildert Kunst- und Naturaliensammlungen, Bibliotheken und Fabriken. Beschrieben werden Gartenanlagen, schiffbare Kanalbrücken, Burgruinen, Arbeitsabläufe in einer Knopffabrik wie auch die Einrichtung der Landhäuser. Dabei schreibt Raspe oft witzig, ironisch, wenn nicht gar frech, zuweilen auch Anzüglichkeiten. Zugeteilt ist ihm „das [Departement] vom Landbau, von der Naturhistorie, Alterthümern und Landesverfassung“ – so heißt es in den „Reisegesetzen“ der Gruppe um Baron Heinrich von Offenberg aus Mitau, der im Auftrag des Herzogs von Kurland in England und auf dem Kontinent unterwegs war. (Otto Clemen: R. E. Raspe in der Universitätsbibliothek Cambridge, in: Zeitschrift für Bücherfreunde, 13. Jg., Leipzig 1921, S. 123.) Raspe begleitet die Gruppe von April bis September 1779. Sein Journal galt lange Zeit als verschollen. Es sind jedoch drei von fünf Journalbüchern im Historischen Staatsarchiv in Lettland erhalten.
Wiebel 2005b, S. 122f.

mein armer Leichnam: Empedokles (um 495-um 435 v. Chr) war ein antiker griechischer Philosoph, Naturforscher, Politiker, Redner und Dichter aus Sizilien. Als Vorsokratiker war Empedokles vom Gedankengut bedeutender Strömungen seiner Zeit, der Pythagoreer und der Eleaten, beeinflusst, konzipierte aber ein eigenständiges Weltmodell. Seine Philosophie ist in seinen beiden nur fragmentarisch erhaltenen Gedichten – dem Lehrgedicht „Über die Natur“ und den „Reinigungen“ – dargelegt. Wie bei den vorsokratischen Naturphilosophen üblich, befasste er sich mit der Frage der Weltentstehung (Kosmogonie) und versuchte, die Ordnung und Beschaffenheit des Weltalls zu klären (Kosmologie). In diesem Zusammenhang entwickelte er eine von mythischem Denken geprägte physikalische und biologische Theorie, zu der auch eine Vorstellung von der Entstehung des Lebens auf der Erde und der Evolution der Lebewesen gehörte. Er führte die Lehre von den vier Urstoffen Luft, Feuer, Erde und Wasser ein. Diese Vier-Elemente-Lehre wurde für das naturwissenschaftliche Weltbild der Antike maßgeblich und beeinflusste bis ins 19. Jahrhundert auch die Medizin.

Eine zentrale Rolle spielen in seiner Philosophie ethische und religiöse Überzeugungen, die eng mit seiner Lehre von der Reinkarnation verknüpft sind; im Mittelpunkt steht die Forderung nach Gewaltlosigkeit. Die Legende von seinem Tod im Vulkan Ätna beschäftigte die Fantasie der Nachwelt bis in die Moderne.

Sie beruht auf einer Wundergeschichte, die von Verehrern des Philosophen verbreitet und von Kritikern umgedeutet wurde. Seine Bewunderer stellten sein Ableben als ein Verschwinden dar, das eine Entrückung und Versetzung unter die unsterblichen Götter (Apotheose) gewesen sei. Daraus machten Gegner eine Betrugserzählung: Empedokles habe sich in den Vulkan gestürzt, um seinen Leichnam unauffindbar zu machen und so die Voraussetzung für eine Vergöttlichungslegende zu schaffen. Der Vulkan habe aber eine seiner metallenen Sandalen ausgespien; damit sei er als Betrüger entlarvt worden. Auf diese Version der Legende nahm noch der römische Dichter Horaz in seiner Ars poetica Bezug. Auch der Geograph Strabon kannte sie. Er wies darauf hin, dass sich der Vorgang wegen der Beschaffenheit des Kraters nicht in der geschilderten Weise zugetragen haben könne, denn man könne sich wegen der Hitze der Krateröffnung nicht nähern. Im 2. Jahrhundert erklärte der Satiriker Lukian von Samosata den Sturz in den Vulkan als Folge der Melancholie des Philosophen.
Wikipedia

„Von Empedoclis Tode wird erzehlt, daß er sich in einem gewissen Abgrund am Berge Ætna gestürzet, um dadurch eine göttliche Ehre zu erlangen, wenn er so schnell aus der Welt verschwände, ohne daß man wüste, wo er hingekommen.“
Zedler, Bd. 8, Sp. 1022f.

 

Von Godalmin fuhren wir durch ein reizendes Thal, worin man zum erstenmale festen Sandstein erblickte, und durch sandige Wege immer bergauf längs wüsten Gemeinheiten, die mit schwarzer Heide und gelbblühenden Ginstbüschen bedeckt waren. Die Aussicht war von den Höhen auf die seitwärts liegenden, schöngrünenden Wälder und die in den Wüsteneyen zerstreuten herrlich bebauten Thäler, Landgüter und Dörfer, von wunderbar großem Umfange, und erweiterte sich zu allen Seiten ins Unendliche, bis wir endlich die größte Landeshöhe über einem länglichrunden, tiefen, kahlen Thale des Teufels Punschbowl genannt, erreichten. Man sollte kaum glauben, daß dieser Theil Englands so bergig sey.
Rudolf Erich Raspe: Bemerkungen auf einer durch die westlichen und nördlichen Provinzen Englands im Jahr 1779 gemachten Reise. In: Mitauische Monatsschrift. Mitau April 1784, S. S. 84.

„Desto besser für diese Länder wenn es ihnen ganz daran fehlen sollte, wird mancher denken, dem die Vorstellung eines Vulcans fürchterlich ist und dem die Nachbarschaft derselben unruhige Nächte und schreckende Träume vom verwüstenden erderschütternden Kriege des Pluto und Neptun, oder den Essen des Vulcan oder dem Brande der Hölle, welche die Dichter in brennenden Bergen sehen, machen würde. Es schläft und wohnt sich ruhiger, wo man weder die Spuhren alter Verwüstungen vor sich sieht, noch wiederkehrende Entzündungen zu fürchten hat. Warum will man uns Vulcane aufdringen, von denen selbst die älteste Geschichte keine Meldung thut, und die man ganz wohl entbehren kann?“ Es läßt sich hierauf zur Beruhigung solcher fürchterlichen Vorstellungen erwiedern, daß es sich neben unsern erlöschten Vulcanen eben so ruhig und sicher wohnen lasse, als auf den blutigsten Schlachtfeldern des Alterthums oder den Gräbern sonst wütender Tyrannen; daß sie seit undenklichen Jahren entweder ganz ausgebrannt oder doch geruhet haben, und wegen der jetzigen Entfernung der sonst benachbarten See aller Wahrscheinlichkeit nach in gleicher fortdaurender Ruhe bleiben werden. Daß sie aber auch nicht ohne Nutzen sind für die Länder, wo sie sich finden, wird aus folgenden erhellen und zugleich alle Mühe und Sorgfalt rechtfertigen, die ich auf ihre Untersuchung gewandt und andre darauf verwenden werden.
Beytrag zur allerältesten und natürlichen Historie von Hessen ; oder Beschreibung des Habichwaldes und verschiedner andern Niederheßischen alten Vulcane in der Nachbarschaft von Cassel. […] von R. E. Raspe. Cassel 1774, S. 62f.

PEOPLE, to whom the very name and idea of a volcano is frightful, and to whom neighbouring volcanic ruins cause dreadful dreams of the earth-shaking contests of Pluto and Neptune, of the furnaces of Vulcan, or what is worse, of the eternal combustion of hell, objects and fancies by fools and poets seen in volcanos, will certainly bless these countries for being destitute of such troublesome objects. They will asure us perhaps, “that sleep and life is surer where neither the marks of ancient destructions are to be seen, nor their returning rage to be apprehended. Why will you force upon us old volcanos, unnoticed by history, and good for nothing?" But there is much to be said to sooth such apprehensions. We live here on and near the ruins of our extinct volcanos, as quietly and as securely as we should rest on the most bloody fields of ancient battles, or on the tombs of raging tyrants. Times immemorial their forces have been exhausted or quiet, and their present distance from the sea gives some hopes that they will be so for ever. They are besides good for something, as, shall be proved presently, and this will justify the pains and care I have taken, and which other people may take, in their future examination and description.
AN ACCOUNT OF SOME GERMAN VOLCANOS, […]. By R. E. RASPE. LONDON, MDCCLXXVI, S. 114f.

ON the 27th, by day-break, we set off to visit mount Ætna, that venerable and respectable father of mountains. His base, and his immense declivities, are covered over with a numerous progeny of his own: For every great eruption produces a new mountain; and perhaps, by the number of these, better than by any other method, the number of eruptions, and the age of Ætna itself might be ascertained.
A TOUR THROUGH SICILY FROM P. BRYDONE, LONDON 1773 S. 154.

Den 27ten reißten wir bey Anbruche des Tages aus Catania, um den ehrwürdigen Vater der Berge, den Aetna zu besuchen. Sein Fuß, und seine ungeheuern Seiten sind mit einem zahlreichen Geschlechte kleinerer Berge bedeckt. Jeder große Ausbruch bringt einen neuen Berg hervor, und vielleicht könnte man aus der Anzahl dieser Berge am sichersten auf die Anzahl der Ausbrüche und auf das Alter des Aetna schließen.
P. Brydoneʼs Reise durch Sicilien und Malta. Erster Band. Leipzig 1774, S. 143.

The present crater of this immense vulcano is a circle of about three miles and a half in circumference. It goes shelving down on each side, and forms a regular hollow like a vast amphitheatre. From many places of this space, issue volumes of sulphureous smoke, which, being much heavier than the circumambient air, instead of rising in it, as smoke generally does, immediately on its getting out of the crater, rolls down the side of the mountain like a torrent, till coming to that part of the atmosphere of the same specific gravity with itself, it shoots off horizontally, and forms a large track in the air, according to the direction of the wind; which, happily for us, carried it exactly in the opposite side to that where we were placed. The crater is so hot, that it is very dangerous, if not impossible, to go down into it; besides, the smoke is very incommodious, and, in many places, the surface is so soft, that there have been in stances of people sinking down in it, and paying for their temerity with their lives. Near the center of the crater is the great mouth of the volcano. That tremendous gulph so celebrated in all ages, looked upon as the terror and scourge both of this and another life; and equally useful to ancient poets, or to modern divines, when the Muse, or when the Spirit inspires. We beheld it with awe and with horror, and were not surprised that it had been considered as the place of the damned. When we think of the immensity of its depth, the vast cells and caverns whence so many lavas have issued; the force of its internal fire, to raise up these lavas to so vast a height, to support it as it were in the air, and even force it over the very summit of the crater, with all the dreadful accompaniments; the boiling of the matter, the shaking of the mountain , the explosions of flaming rocks, etc. we must allow, that the most enthusiastic imagination, in the midst of all its terrors, hardly ever formed an idea of a hell more dreadful.
A TOUR THROUGH SICILY FROM P. BRYDONE, LONDON 1773, S. 195ff.

Der gegenwärtige Krater dieses unermesslichen Volkans hat ungefähr viertehalb Meilen im Umkreise, senkt sich von allen Seiten gelinde hinab, und formirt eine regelmäßige Aushölung gleich einem großen Amphitheater. An verschiedenen Orten dieses Raumes steigen Wolken von Schwefeldampf auf, die, da sie schwerer als die umgebende Luft sind, anstatt wie Rauch sich darinnen in die Höhe zu erheben, so bald sie aus dem Trichter heraus sind, an der Seite des Berges wie ein Strom herab rollen, bis sie zu dem ihnen gleich schweren Theile der Athmosphäre kommen, und dann horizontal in breiten Strichen darinnen fortziehen, nahe dem sie der Wind treibt; welcher sie dießmal zu unserm Glücke gerade nach der entgegengesetzten Seite unseres Standortes führte. Der Trichter ist so heiß, daß es sehr gefährlich, wo nicht unmöglich ist, hinein zu gehen; überdieß ist der Dampf sehr beschwerlich, und der Boden an manchen Orten so glatt, daß man Beyspiele von Leuten hat, die hinein gesunken sind und ihre Verwegenheit mit dem Leben bezahlet haben. Nahe dem Mittelpunkt des Trichters ist die große Mündung des Aetna, dieser zu allen Zeiten so berühmte fürchterliche Schlund, der für das Schrecken und die Plage so wohl dieses als des zukünftigen Lebens gehalten, und so wohl den alten Dichtern als den neuen Geistlichen so nützlich war. Wir betrachteten ihn mit Ehrfurcht und mit Schauern, und wunderten uns nicht darüber, daß ihn der Aberglaube als den Aufenthalt der Verdammten betrachtet hätte. Denn, wenn man an seine unergründliche Tiefe denket; an die ungeheuern Hölen und Klüfte, woraus so manche Lava entsprungen ist; an die Gewalt des unterirrdischen Feuers, diese Lavaströme zu einer so erstaunlichen Höhe zu heben, sie gleichsam in der Luft schwebend zu erhalten, und sie gar über den obersten Rand des Trichters hinaus zu treiben; wenn man dabey an alle damit verbundene fürchterliche Umstände, an das Kochen und Brausen der Materie, an die Erschütterung des Berges, an das Geprassel von ausgeworfenen flammenden Felsen denket: so muß man bekennen, daß wohl die erhitzteste Einbildungskraft mit allen ihren Schrecken niemals ein fürchterlicheres Bild von der Hölle gemacht hat als hier die Natur.
P. Brydoneʼs Reise durch Sicilien und Malta. Erster Band. Leipzig 1774, S. 175f.

 

Sebastian Brant: Die Schmiede des Vulcan; Holzschnitt in einer Vergil-Ausgabe von 1502.
Publij Virgilij Maronis Opera, per Sebastian Brant superadditis. In civitate Argentena 1502. (Universitätsbibliothek Heidelberg).

 

     So stark übrigens die Gewalt war, mit der die Kohlen heraufgeschmissen wurden, so war doch die Schwere, mit der mein Körper heruntersank, ein beträchtliches größer, und ich kam in kurzer Zeit glücklicherweise auf den Grund. Das erste was ich gewahr wurde, war ein abscheuliches Poltern, Lärmen, Schreien und Fluchen, das rings um mich zu sein schien. – Ich schlug die Augen auf, und siehe da! – ich war in der Gesellschaft des Vulkans und seiner Zyklopen. Diese Herren – die ich in meinem weisen Sinne längst ins Reich der Lügen verwiesen hatte – hatten sich seit drei Wochen über Ordnung und Subordination gezankt, und davon war der Unfug in der Oberwelt gekommen. Meine Erscheinung stellte auf einmal unter der ganzen Gesellschaft Friede und Eintracht her. Vulkan hinkte sogleich nach seinem Schranke hin, und holte Pflaster und Salben, die er mir mit eigner Hand auflegte; und in wenigen Augenblicken waren meine Wunden geheilt.|[155] Auch setzte er mir einige Erfrischungen vor, eine Flasche Nektar und andere kostbare Weine, wie nur Götter und Göttinnen zu kosten kriegen. Sobald ich mich etwas erholt hatte, stellte er mich seiner Gemahlin der Venus, vor und befahl ihr, mir jede Bequemlichkeit zu verschaffen, die meine Lage forderte. Die Schönheit des Zimmers, in das sie mich führte, die Wollust des Sofas, auf das sie mich setzte, der göttliche Zauberreiz ihres ganzen Wesens; die Zärtlichkeit ihres weichen Herzens – alles das ist weit über allen Ausdruck der Sprache erhaben, und schon der Gedanke daran macht mich schwindeln.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

Kohlen: So bezeichnet Bürger die festen Bestandteile der Lava, die er sich als Flüssigkeit vorstellt, in der sich sein Körper wie in Wasser verhält.

ins Reich der Lügen: Mit Lüge meint Bürger hier die Sage im Sinne der Brüder Grimm: als kunde von ereignissen der vergangenheit, welche einer historischen beglaubigung entbehrt. (GWB)

Es ist bekannt, daß die Bilder unserer Einbildungskraft, welche ohnedem noch den Reiz haben, daß sie sich ohne Anstrengung des Geistes von selbst darbieten, oft so lebhaft und mächtig in uns werden können, daß sie uns nicht selten aus einer würklichen Welt in eine idealische hinausheben, worin es uns denn deswegen gemeiniglich so wohlgefällt, weil wir lauter unbekannte Dinge darin antreffen, die unsere Neugierde beschäftigen. Nichts beschäftigt und unterhält daher unsere Einbildungskraft mehr, als das Wunderbare. Eine natürliche Begebenheit macht darum den lebhaften Eindruck nicht auf uns, weil sie gemeiniglich schon in allen ihren Theilen bestimmt ist, weil sie nichts Besonderes enthält, was unsere Neugierde reitzt, und weil wir dergleichen Begebenheiten schon oft gesehen und gehört haben. Mit dem Wunderbaren verhält sichs ganz anders. Hier bemerken wir lauter neue Gegenstände, eine ganz neue Scene wird auf einmal vor unsern Augen eröfnet, und hundert angenehme Bilder unserer Phantasie schwärmen um uns herum. Die Ideen, womit wir uns so gern beschäftigen, daß gewisse überirrdische Wesen bei einer wundervollen Begebenheit mit im Spiele gewesen seyn müssen; die dunkeln uns in Erstaunen setzenden Begriffe von der ausserordentlichen Kraft, die, um jene Begebenheit zu Stande zu bringen, erfordert wurde; die Wißbegierde, wie doch wohl wunderthätige Menschen in den Umgang mit der Gottheit gekommen seyn mögen, und wie sie sich darin zu erhalten wissen; die äusserst schnelle, ungewöhnliche, uns unbegreifliche Zusammenstellung von Umständen, die eine wunderbare Scene ausmachen — alles dies erhält unsern Geist in einer beständigen Spannung, und weil unsere Wißbegierde dabei eigentlich nie ganz befriedigt wird, weil uns dabei, wenn wir auch einen deutlichen Begrif von dem Zusammenhange der Begebenheit haben, immer die geheime Einwürkung der Gottheit auf Sachen und Personen unbegreiflich bleibt; so verdoppeln jene Umstände unsere Aufmerksamkeit ohngefähr so, wie wir unsere Augen anstrengen, um eine entfernte uns sonderbar vorkommende Sache zu sehen. Unbefriedigte Wißbegierde ist es also vornehmlich, was unsere Seele so geneigt gegen das Wunderbare macht. Ueberhaupt aber reitzt in unzähligen Fällen das Unvollendete, Halbbekannte und Versteckte in Erzählungen sowohl, als Begebenheiten und Gegenstände menschlicher Künste und Wissenschaften unsere Aufmerksamkeit mehr, als das Bestimmte, Vollendete und Bekannte, weil durch jenes nach einem psychologischen Erfahrungssatze die Lebhaftigkeit unserer Ideen in Bewegung erhalten; durch dieses aber gewissermaßen eingeschränkt wird.
Pockels 1785, S. 87ff.

Subordination: Unterwerfung

Vulkan: Vulcanus ist in der römischen Mythologie der Gott des Feuers und der Schmiede. Seine Werkstatt stand unter dem Vulkan Ätna auf Sizilien oder unter der liparischen Insel Volcano im Thyrrenischen Meer vor der Küste Siziliens. Sie war die Arbeitsstätte der Kyklopen, die hier dem Gott bei seiner Schmiedearbeit halfen Vulcanus galt als hässlichster Gott. Jedes Mal, wenn er vermutete, dass ihm seine Gattin Venus untreu war, soll er das Schmiedefeuer so stark geschürt haben, dass der Vulkan ausbrach.

Pflaster und Salben: Schwefelhaltige Vulkanerde gilt als hautfreundliches Heilmittel.

Nektar: in der griechischen Mythologie – ebenso wie Ambrosia – Nahrung für die Götter. In den Werken Homers bezeichnet Nektar ein Getränk.

Venus: römische Göttin der Liebe, des erotischen Verlangens und der Schönheit. Seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. wurde sie als „Göttin der Liebe“ mit der griechischen Aphrodite gleichgesetzt, deren Kult sich als Venus Erycina von Sizilien nach Italien ausbreitete.

 

By others, it is supposed to be the ruins of a temple of Vulcan , whose shop, all the world knows (where he used to make excellent thunderbolts and celestial armour, as well as nets to catch his wife when she went astray) was ever kept in mount Ætna. Here we rested ourselves for some time, and made a fresh application to our liqueur bottle, which I am persuaded, both Vulcan and Empedocles, had they been here, would have greatly approved of after such a march.
A TOUR THROUGH SICILY FROM P. BRYDONE, LONDON 1773, S. 183f.

Andre sagen, es seyn die Ruinen von einem Tempel des Vulkans, dessen Werkstatt (wo er so treffliche Donnerkeile und Waffenrüstungen, und so seine Netze, sein sich verirrendes Weibgen zu fangen, machte.) wie die ganze Welt weiß, im Aetna war. Hier ruheten wir ein wenig aus, und wandten uns wieder zu unsrer Brannteweinflasche, welches gewiß so wohl Vulkan als Empedocles, wenn sie hier gewesen wären, nach einem solchen Marsche höchlich würden gebilliget haben.
P. Brydoneʼs Reise durch Sicilien und Malta. Erster Band. Leipzig 1774, S. 165f.

 

Jakob Philipp Hackert (1737 - 1807) Vesuvausbruch im Jahr 1774. Öl auf Leinwand; erworben 1776/77 durch Landgraf Friedrich II. in Italien. Museum Fridericianum, Kassel.

 

     Vulkan gab mir eine sehr genaue Beschreibung von dem Berg Ätna. Er sagte mir, dass derselbe nichts als eine Aufhäufung der Asche wäre, die aus seiner Esse ausgeworfen würde, dass er häufig genötigt wäre, seine Leute zu strafen, dass er ihnen dann im Zorn rotglühende Kohlen auf den Leib würfe, die sie oft mit großer Geschicklichkeit parierten, und in die Welt hinaufschmissen, um sie ihm aus den Händen zu bringen. Unsere Uneinigkeiten“, fuhr er fort, dauern bisweilen mehrere Monate, und die Erscheinungen die sie auf der Welt veranlassen, sind|[156] das, was ihr Sterbliche, wie ich finde, Ausbrüche nennet. Der Berg Vesuv ist gleichfalls eine meiner Werkstätten, zu der mich ein Weg führt, der wenigstens dreihundert und funfzig Meilen unter der See hinläuft. – Ähnliche Uneinigkeiten bringen auch dort ähnliche Ausbrüche hervor.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

genaue Beschreibung von dem Berg Ätna: Bürger übersetzt Raspes a very concise account of Mount Etna . „Mit meinen geologischen Hypothesen verhielt es sich und verhält es sich also. Ich hatte mir in meiner frühesten Jugend durch Lehre und Samlungen einen Geschmak an Mineralogie erworben der durch die damahls bekanten Mineralogischen und Geologischen Systeme mehr gereizt als befriedigt wurde. Meines unvergeslichen Göttingischen Lehrers des Prof. Holmans4 (1696– 787) Vorlesungen, Eifer und Wahrheitsliebe überzeugten mich früh daß man selbst denken und sehen müße um der Natur und denen die vor uns gesehen und gedacht haben Gerechtigkeit wiederfahren zu laßen. Nach ihm und der gesunden Vernunft waren Zweiffel und ofne Augen sicherere Führer zur Wahrheit als Nachbeten und Vorurteil; und da sie das immer gewesen sind auch immer bleiben werden, so wagte ich es nicht nur an einigen Lehren meines Lehrers selbst zu zweifeln, sondern auch insbesondere das damahls in Deutschland herschende geologische Sündfluths System in genauern Betracht zu nehmen.“
Brief von Rudolf Erich Raspe an Gottlieb Abraham Werner Ende 1792; zit. Nach Wiebel/Gfeller 2009, S. 36.

Nachweislich ist Raspe in Deutschland der erste, der anhand eines konkreten Objektes – nämlich des Habichtswaldes – den vulkanischen Ursprung von Basalten und ganzen Gebirgen erkannt und beschrieben hat. […] Raspe verließ sich zu sehr auf die vermeintliche Eindeutigkeit und Zuverlässigkeit textlicher Beschreibungen geologischer Phänomene und übertrug die Beschreibungen Desmarests, Hamiltons, Ferbers etc. nicht nur auf seine eigenen Beobachtungen, sondern bildete auch voreilige Analogien und Umkehrschlüsse. […] Mangels eigener Reisen fehlte Raspe eindeutig auch der Überblick über die Vielfalt vulkanischer Formationen. Da er zwar das hessische Anschauungsobjekt erkannte, es aber nicht selbst mit anderen Objekten vergleichen konnte, blieb die Entwicklung der Vulkanismus-Theorie bei ihm in den Anfängen stecken. Insofern ist nachvollziehbar, dass sich das Interesse der Geologen des späteren 19. Jahrhunderts nicht mehr auf Raspe bezog.

Erstaunlich ist, dass Raspe bei aller wissenschaftlichen Phantasie in zweifacher Hinsicht das Gefühl für die Konsequenzen seiner Entdeckungen im Hinblick auf das Weltbildseiner Zeit fehlte: für die aus den unberechenbaren Gewalten des Vulkanismus einmal mehr resultierende Verunsicherung der Menschheit sowie für die sich eröffnenden zeitlichen Dimensionen der Erdgeschichte. Eher ironisch distanziert beschrieb er die Gefühle desjenigen „dem die Vorstellung eines Vulcans fürchterlich ist und dem die Nachbarschaft derselben unruhige Nächte und erschreckende Träume vom verwüstenden erderschütternden Kriege des Pluto und Neptun, oder den Essen des Vulcan oder dem Brande der Hölle, welche die Dichter in brennenden Bergen sehen, machen würde.“ (Raspe 1774, S. 62.)
Waitz von Eschen 2010, S. 40ff.

Berg Vesuv: Der Vesuv ist ein aktiver Vulkan am Golf von Neapel in der italienischen Region Kampanien, neun Kilometer von der Stadt Neapel entfernt. In der Antike galt die vulkanisch aktive Gegend am Golf von Neapel als eine Landschaft mit Verbindung zur Unterwelt. Die Phlegräischen Felder nahe dem Vesuv wurden als Wohnungen der Giganten und des Feuergottes Vulcanus angesehen.

 

Cornelis Bos (um 1506-um 1564): Venus in der Schmiede des Vulkan, Kupferstich 1546.

 

We went to examine the mouth from whence this dreadful torrent issued, and were surprised to find it only a small hole, of about three or four yards: diameter. The mountain from whence it sprung, I think, is very little less than the conical part of Vesuvius.

There is a vast cavern on the opposite side of it, where people go to shoot wild pigeons, which breed there in great abundance. The innermost parts of this cavern are so very dismal and gloomy, that our landlord told us some people had lost their senses from having advanced too far, imagining that they saw devils and the spirits of the damned; for it is still very generally believed here, that Ætna is the mouth of hell.
A TOUR THROUGH SICILY FROM P. BRYDONE, LONDON 1773, S. 164f.

Wir untersuchten die Öffnung, aus welcher dieser schreckliche Strom entsprungen, und fanden mit Verwunderung, daß es nur eine kleine Aushölung von ungefähr drei oder vier Ellen im Durchschnitt war; dieser Berg ist, wie mich dünkt, nicht viel kleiner als der spitzige Theil des Vesuvius.

An der andern Seite desselben ist eine große Höle, wohin die Leute gehen, wilde Tauben zu schießen, die da in großen Mengen nisten. Die innersten Theile dieser Höle sind so finster und so schrecklich, daß, wie unser Wirth sagt, einige Leute, die sich zu weit hinein gewagt, ihren Verstand verloren, weil sie sich eingebildet haben, Teufel und die Geister der Verdammten zu sehen; denn das ist hier noch der gemeine Glauber, daß Aetna der Mund der Hölle sey.
P. Brydoneʼs Reise durch Sicilien und Malta. Erster Band. Leipzig 1774, S. 151.

The great eruption of 1669, after shaking the whole country around for no less than four months, and forming a very large mountain of sones and ashes, burst out about a mile above Monpelieri, and descending like a torrent, hit exactly against the middle of that mountain , and (they pretend ) has perforated it from side to side; however this I doubt, as it must have broke the regular form of the mountain, which is not the case.
A TOUR THROUGH SICILY FROM P. BRYDONE, LONDON 1773 S. 163

Nachdem der große Ausbruch von 1669. nicht weniger als vier Monate lang die ganze umliegende Gegend erschüttert und einen großen Berg von Steinen und Asche gebildet hatte, brach er ungefähr eine Meile über Montpelieri aus, und da er gleich einem Strome herab schoß, stieß er gerade auf die Mitte des Berges, und soll ihn von einer Seite zur andern durchbohret haben. Doch ich zweifle daran, weil solches die regelmäßige Gestalt des Berges müßte zerstöret haben, welches nicht geschehen ist.
P. Brydoneʼs Reise durch Sicilien und Malta. Erster Band. Leipzig 1774, S. 150f.

There is a curious painting of the great eruption 1669, in the cathedral of this place. It is but indifferently painted, but gives a dreadful idea of that event. Borrelli, who was upon the spot, describes it.-- He says, on the 11th of March, sometime before the lava burst out, after violent earth quakes and dreadful subterraneous bellowing, a rent was opened in the mountain twelve miles long; in some places of which, when they threw down stones, they could not hear them strike the bottom. He says, that burning rocks, sixty palms in length, were thrown to the distance of a mile; and that the giants, supposed to be buried under mount Ætna, seemed to have renewed their war again at heaven: That stones of a lesser size were carried upwards of three miles; and that the thunder and lightning from the smoke, was scarce leas terrible than the noise of the mountain. He adds, that after the most violent struggles and shaking of the whole island, when the lava at last burst through, it sprung up into the air to the height of sixty palms. – In short, he describes that event, as well as the universal terror and consternation it occasioned, in terms full of horror.
A TOUR THROUGH SICILY FROM P. BRYDONE, LONDON 1773, S. 243f.

In der Cathedralkirche dieses Orts ist ein Gemälde von dem großen Ausbruche von 1669. Es ist zwar nicht gut gemahlt, giebt aber dich eine fürchterliche Idee von dieser Begebenheit. Borelli, der dabey gewesen, beschreibt sie auf folgende Art. – Nach heftigen Erdbeben, sagt er, und nach einem schrecklichen unterirrdischen Geheule, entstund den 11ten März, einige Zeit ehe die Lava ausbrach, ein zwölf Meilen langer Riß in dem Berge, der so tief war, daß man an einigen Orten die Steine, die man hinein warf, nicht auf den Boden fallen hörte. – Sechzig Palmen lange brennende Felsen wurden auf eine Meile weit geworfen, und die Riesen, die unter dem Berge Aetna begraben seyn sollen, schienen ihren Krieg wider den Himmel erneuert zu haben: kleinere Steine wurden über drey Meilen weit geschleudert, und das Donnern und Blitzen aus dem Rauche und Dampfe war fast eben so schrecklich als das Brüllen des Berges. Nach dem heftigsten Kampfe, welcher die ganze Insel erschütterte, brach endlich die Lava aus und sprang sechzig Palmen hoch in die Luft. – Kurz, er beschreibt diese Begebenheit so wohl, als den Schrecken und die Bestürzung, welche sie verursachte, mit den schauervollsten Ausdrucken.
P. Brydoneʼs Reise durch Sicilien und Malta. Erster Band. Leipzig 1774, S. 212f.

 

Prospect of Mount Aetna with its Irruption in 1669. GENTLEMAN'S MAGAZINE. London, April 1750.

 

     Gefiel mir der Unterricht des Gottes, so gefiel mir noch mehr die Gesellschaft seiner Gemahlin, und ich würde vielleicht nie diese unterirdischen Paläste verlassen haben, wenn nicht einige geschäftige schadenfrohe Schwätzer Vulkan einen Floh ins Ohr gesetzt, und ein heftiges Feuer der Eifersucht in seinem gutmütigen Herzen angeblasen hätten. – Ohne mir vorher nur den geringsten Wink zu geben, nahm er mich eines Morgens, als ich eben der Göttin bei ihrer Toilette aufwarten wollte, trug mich in ein Zimmer, das ich niemals noch gesehen hatte, hielt mich über einen tiefen Brunnen, wie es mir vorkam, und: „Undankbarer Sterblicher, sagte er, kehre zurück zu der Welt, von der du kamst.“ Mit diesen Worten ließ er mich, ohne mir einen Augenblick Zeit zur Verteidigung zu geben, mitten in den Abgrund hinunterfallen. Ich fiel, und fiel|[157] mit immer zunehmender Geschwindigkeit, bis die Angst meiner Seele mir endlich alle Besinnung nahm. Plötzlich aber wurde ich aus meiner Ohnmacht aufgeweckt, indem ich auf einmal in eine ungeheuere See von Wasser kam, die durch die Strahlen der Sonne erleuchtet wurde. Ich konnte von meiner Jugend auf gut schwimmen und alle mögliche Wasserkünste machen. Daher war ich gleich wie zu Hause, und in Vergleichung mit der fürchterlichen Lage, aus der ich eben befreit war, kam mir meine gegenwärtige wie ein Paradies vor. – Ich sah mich auf allen Seiten um, sah aber leider auf allen Seiten nichts als Wasser; auch unterschied sich das Klima, unter dem ich mich nun befand, sehr unbehaglich von Meister Vulkans Esse. Endlich entdeckte ich in einiger Entfernung etwas, das wie ein erstaunlich großer Felsen aussah, und auf mich zuzukommen schien. Bald zeigte sichs, dass es eines der schwimmenden Eisgebirge war. Nach langem Suchen fand ich endlich eine Stelle, an der ich auf dasselbe hinauf, und bis zur obersten Spitze kommen konnte. Allein zu meiner größten Verzweiflung war es mir auch von hier aus noch unmöglich, Land zu entdecken. Endlich, kurz vor Dunkelwerden, sah|[158] ich ein Schiff das gegen mich zufuhr. Sobald ich nahe genug war, rief ich; man antwortete mir holländisch; ich sprang in die See, schwamm zu dem Schiffe hin, und wurde an Bord gezogen. Ich erkundigte mich wo wir wären, und erhielt die Antwort: im Südmeere. Diese Entdeckung lösete auf einmal das ganze Rätsel. Es war nun ausgemacht, dass ich von dem Berge Ätna durch den Mittelpunkt der Erde in die Südsee gefallen war; ein Weg der auf alle Fälle kürzer ist, als der um die Welt. Noch hatte ihn niemand versucht als ich, und mache ich ihn wieder, so werde ich gewiss sorgfältigere Beobachtungen anstellen.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

schadenfrohe Schwätzer: Ovid erzählt die Geschichte in seinen Metamorphosen so:

Sol bemerkte zuerst, wenn der Ruf nicht täuschet, der Venus
Heimliche Liebe mit Mars; denn zuerst bemerket er alles.
Und ihn schmerzte die Tat; und der Juno Sohne, dem Ehmann,
Sagt' er der Gattin Vergehn, und den Ort des Vergehens. Doch jenem
Sank die Besinnung zugleich und das Schmiedegerät aus der Rechten.
Schleunig schafft er aus Erz sich dünngezogene Kettlein;
Und feinmaschige Netze, die fast den Augen entschwinden,
Feilet er aus: nicht drehet die Spinnerin zartere Fäden;
Nicht mit so duftiger Web' umspannt' die Balken Arachne.
Auch daß, eben berührt, sie den leisteten Regungen folgen,
Macht er, und stellet geschickt sie rings um das Bette verbreitend.
Jetzo, sobald ein Lager das Weib und den Buhlen gesellet,
Siehe, durch Kunst des Gemahls, und neu erfundene Bande,
Werden im Augenblick der Umarmungen beide verhaftet.
Und der Lemnier, öffnend die elfenbeinenen Flügel,
Ladet die Götter heran. Sie ruhn miteinander gefesselt
Lästerlich. Doch wünscht mancher der nicht schwermütigen Götter,
Lästerlich also zu sein. Die Oberen lachten; und lange
Blieb dies allen umher das bekannteste Märchen im Himmel
.
Mars and Venus (Buch 4., 167-189). Übertragung von Johann Heinrich Voß. (1798) (Projekt Gutenberg)

schwimmenden Eisgebirge: Der russische Dichter, Naturwissenschaftler und Universalgelehrte Michail Lomonossow erklärte um 1750 Eisberge naturwissenschaftlich und erstmals korrekt: Da die Dichte des Eises 0,920 Kilogramm pro Liter beträgt (Meerwasser 1,025 Kilogramm/Liter), müssen sich 90 % des Volumens der Eisberge unter der Wasseroberfläche befinden.

im Südmeere: Der Südliche Ozean umfasst den Meeres-Bereich südlich des 60. Breitengrades.

durch den Mittelpunkt der Erde: Einige Geologen glaubten damals, dass Vulkanleitungen, die nach dem Ausbruch des Vulkans leer waren, einen Vulkankrater mit Magmakammern tief unter der Erde verbanden.

 

Antonio Tempesta: Martem Veneremqz adulterantes Vulcanus reti suo implicat. Metamorphosean Sive Transformationum, Florenz: Wilhelmus Jansonnius (nach 1606), Platte 34.

 

AUCTORES MYTHOGRAPHI LATINI. CAJUS JULIUS HYGINUS, FAB. PLANCIAD. FULGENTIUS, LACTANTIUS PLACIDUS, ALBRICUS PHILOSOPHUS CUM INTEGRIS COMMENTARIIS JACOBI MICYLLI, JOANNIS SCHEFFERI, ET THOMAE MUNCKERI, QUIBUS ADCEDUNT ΤΗΟΜΑΕ WOPKENSII EMENDATIONES AC CONJECTURAE. CURANΤΕ AUGUSTINO VAN STAVEREN, Qui de suas animadversiones adjecit. Amsterdam 1742.

 

Bürger parodiert den Ehebruch der Venus, die nach Erzählungen der griechischen Mythologie mit Mars Verkehr hatte:

Als Vulcanus davon erfuhr, dass Venus heimlich mit Mars schlief und seinem Reiz nicht widerstehen konnte, machte er eine Kette aus Stahl an und legte sie rings um das Bett, um Mars mit einem Winkelzug hineinzulegen. Als jener zum verabredeten Schäferstündchen gekommen war, stürzte er zusammen mit Venus so sehr in das Netz, dass er sich nicht befreien konnte. Als Sol dies Vulcanus berichtet hatte, sah jener, dass sie nackt da lagen; er rief alle Götter zusammen. Sobald diese die beiden Nackten sahen, lachten sie alle. Seit diesem Vorfall hielt Mars sein Schamgefühl davon ab, dies noch einmal zu wiederholen.
Nach C. Julii Hygini, Augusti Liberti, Fabularum Liber. Vulcanus. In: Auctores Mythographi Latini. Amsterdam 1742, S. 260. Übersetzung: G. E.

 

Enea Vico (1523-1567): Venus und Mars in der Schmiede des Vulkan, Kupferstich 1543.

 

     Ich ließ mir einige Erfrischungen geben und ging zu Bette. Ein grobes Volk aber ist es um die Holländer. Ich erzählte meine Abenteuer den Offizieren, ebenso aufrichtig und simpel als Ihnen meine Herren, und einige davon, vorzüglich der Kapitän, machten Miene, als zweifelten sie an meiner Wahrhaftigkeit. Indes, sie hatten mich freundschaftlich in ihr Schiff genommen, ich musste durchaus von ihrer Gnade leben, und folglich, wollte ich wohl oder übel, den Schimpf in die Tasche stecken.|[159]

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

 

 

Karte aus A VOYAGE ROUND THE WORLD, IN His BRITANNIC MAJESTY's Sloop, RESOLUTION, commanded by Capt. James Cook, during the Years 1772, 3, 4, and 5. By GEORGE FORSTER,
 F.R.S. Member of the Royal Academy of MADRID, and of the Society for promoting Natural Knowledge at BERLIN. In two Volumes. VOL. I. LONDON, MDCCLXXVII.

 

 

Reisebeschreibungen von William Ellis und Georg Forster in englischer und deutscher Sprache

 

Cook's landing at Botany Bay in 1770. Lithograph by unknown artist, first published in the Town and Country Journal New South Wales, 21 December 1872

 

     Ich erkundigte mich nun wohin ihre Reise ginge. Sie antworteten mir, sie wären auf neue Entdeckungen ausgefahren, und wenn meine Erzählung wahr wäre, so sei ihre Absicht auf alle Fälle erreicht. Wir waren nun gerade auf dem Wege den Kapitän Cook gemacht hatte, und kamen den andern Morgen nach der Botany-Bay – ein Ort, nach dem die englische Regierung wahrhaftig nicht Spitzbuben schicken sollte, um sie zu strafen, sondern verdiente Männer, um sie zu belohnen, so reichlich hat hier die Natur ihre besten Geschenke ausgeschüttet.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

Kapitän Cook: James Cook (1728-1779) war ein britischer Seefahrer, Kartograf und Entdecker, der die Seewege und Küsten Kanadas erforschte (1759 und 1763–67) und drei Expeditionen in den Pazifik leitete (1768-71, 1772-75 und 1776-79), von den antarktischen Eisfeldern bis zur Beringstraße und von den Küsten Nordamerikas bis nach Australien und Neuseeland.

Am 30. Juli 1775 kehrte Kapitän Cook von seiner zweiten Südsee-Reise (1772-1775) nach England zurück. Ihn hatten die beiden der Preußen Johann Reinhold Forster (1729-1798) und sein Sohn Georg (1754-1795) begleitet, die für die Sammlung astronomischen, naturkundlichen und geografischen Wissens der Expedition zuständig waren. (Vergl. Dawson 1973.)

Rudolf Erich Raspe war zur gleichen Zeit nach London gekommen und dort als Mitglied der Royal Society herzlich aufgenommen worden. Er nahm an einem Dinner teil, das im Royal Society Club zu Ehren Cooks stattfand, und bei dem auch die Forsters anwesend waren.

Als Raspe Anfang 1776 davon erfuhr, dass die Admiralität Cook für einer dritte Reise ausrüstete, an der die Forsters nicht teilnehmen wollten, rechnete er sich gute Chancen aus, Cook als offizieller Wissenschaftler begleiten zu dürfen. Allerdings hatte er keine Chancen, da ihn die Royal Society im Dezember unehrenhaft suspendiert hatte, nachdem die Kunde von seinen Unterschlagungen London erreichte.

Trotzdem setzte er auf sein wissenschaftliches Renommee und sandte am 22. April 1776 ein Bewerbungsschreiben an Cook, in dem er ein Forschungsprojekt entwickelte. „In this and many respects I might have sailed with You around the world, and I take the liberty to point put some objects, which will be worth Your while an which I recommend to Your occasional notice.”. Zitiert nach Ruth P. Dawson 1979, S. 279f. Zu Raspes Bekanntschaften im Umkreis der Forsters vergl. Dawson 1984, S. 212.

Seine dritte Südseereise (1776–1779/1780) mit der „HMS Resolution“ startete am 12. Juli in Plymouth. Teilnehmer der Expedition waren der Maler John Webber und die Forschungsreisenden George Vancouver und Heinrich Zimmermann. Letzterer veröffentlichte seine Reiseerinnerungen im Jahre 1783 – trotz Verbots der britischen Admiralität –. James Cooks Segelmeister der war William Bligh, der spätere Kapitän der Bounty-Expedition. Die Reise führte über Teneriffa nach Kapstadt, wo im November das zweite Schiff, die HMS Discovery unter Captain Charles Clerke, zur Expedition. Erste Vermessungsarbeiten machte Cook Ende Dezember etwa eine Woche lang auf den Kerguelen, die ihr Entdecker 1773 ebenfalls noch für einen Teil des Südkontinents gehalten und France Australe genannt hatte. Cook nannte sie Armutsinseln, bevor er sich in Richtung Neuseeland wandte. Weitere Ziele waren verschiedene Inselgruppen, darunter die Hawaii-Inseln.. Dann bewegte sich die Expedition der Küste entlang nordwärts, durchquerte die Aleuten, stieß in die Beringstraße vor, bis sie auf 70° 44' N am Packeis scheiterte. Auf Westkurs erreichte Cook danach Asien und gelangte bis Kap Deschnjow, den östlichsten Punkt der sibirischen Küste, bevor er wieder in die Aleuten zurückkehrte. Als ihn der Winter aus den hohen Breiten vertrieb, nahm er am 26. Oktober 1778 wieder Kurs auf die Sandwichinseln (Hawaii), wo er am 17. Januar 1779 in der Kealakekua-Bucht anlangte. Am 14. Februar 1779 kam er bei einer Auseinandersetzung mit Einheimischen ums Leben. Am 21. Februar wurde für ihn in der Bucht eine Seebestattung abgehalten. Am nächsten Tag segelten die Schiffe unter Captain Charles Clerke Kommando zurück nach England.

Während Reinhold Forster nach der Rückkehr den von der Admiralität gewünschten wissenschaftlichen Bericht schrieb, veröffentlichte sein Sohn Georg 1777 in London die für das allgemeine Publikum gedachte Reisebeschreibung A Voyage Round The World. Zusammen mit Rudolf Erich Raspe, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, besorgte er dann die Übersetzung für die deutsche Ausgabe der Reise um die Welt, die 1778/80 in Berlin erschien. Das Werk, das den Beginn der modernen deutschen Reiseliteratur markiert, machte den jungen Autor sofort berühmt und gilt bis heute als eine der bedeutendsten Reisebeschreibungen, die je geschrieben wurden. Es wurde von Christoph Martin Wieland als das bemerkenswerteste Buch seiner Zeit gepriesen und übte starken Einfluss auf Alexander von Humboldt aus, der Forster als sein Vorbild bezeichnete und ihn auf mehreren Reisen begleitete. Darüber hinaus prägte es viele Ethnologen späterer Zeiten.

Botany-Bay: Die Botany Bay, heute eine große Bucht im Stadtgebiet Sydneys, war am 29. April 1770 (Erste Südseereise 1768–1771) Schauplatz der ersten Landung der Briten an der Ostküste Australiens durch James Cook. Als der Engländer in der Botany Bay eintraf, befand er sich auf seiner ersten Weltumsegelung mit der Endeavour. Trotz der Empfehlung Cooks gegenüber der Regierung in London erfolgte die Anlandung deportierter britischer Strafgefangener ab 1788 nicht in der Botany Bay, sondern in der nördlich gelegenen und später Port Jackson benannten Bucht.

 

An account of the voyages undertaken by the order of His Present Majesty for making discoveries in the southern hemisphere." von John Hawkesworth Vol. 3. London: W. Strahan & T. Cadell, 1773

 

     Wir blieben hier nur drei Tage; den vierten nach unserer Abreise entstand ein fürchterlicher Sturm, der in wenig Stunden alle unsere Segel zerriss, unser Bugspriet zersplitterte, und die große Bramstange umlegte, die gerade auf das Behältnis fiel, in dem unser Kompass verschlossen war, und das Kästchen und den Kompass in Stücken schlug. Jedermann, der zur See gewesen ist, weiß, von welchen traurigen Folgen ein solcher Verlust ist. Wir wussten nun weder aus noch ein. Endlich legte sich der Sturm, und es folgte ein anhaltender munterer Wind. Drei Monate waren wir gefahren, und notwen-|[160]dig mussten wir eine ungeheuere Strecke Weg zurückgelegt haben, als wir auf einmal an allem, was um uns war, eine erstaunliche Veränderung bemerkten. Wir wurden so leicht und froh; unsere Nasen wurden mit den angenehmsten Balsamdüften erfüllt; auch die See hatte ihre Farbe verändert, und war nicht mehr grün, sondern weiß.

Bald nach dieser wundervollen Veränderung sahen wir Land, und nicht weit von uns einen Hafen, auf den wir zusegelten, und den wir sehr geräumig und tief fanden. Statt des Wassers war er mit vortrefflich schmeckender Milch angefüllt. Wir landeten, und – die ganze Insel bestand aus einem großen Käse. Wir hätten dies vielleicht gar nicht entdeckt, wenn uns nicht ein sonderbarer Umstand auf die Spur geholfen hätte. Es war nämlich auf unserm Schiffe ein Matrose, der eine natürliche Antipathie gegen den Käse hatte. Sobald dieser ans Land trat, fiel er in Ohnmacht. Als er wieder zu sich selbst kam, bat er, man möchte doch den Käse unter seinen Füßen wegnehmen, und da man zusah, fand sichs, dass er vollkommen recht hatte, die ganze Insel war, wie|[161] gesagt, nichts als ein ungeheuerer Käse. Von dem lebten auch die Einwohner größtenteils, und so viel bei Tage verzehrt wurde, wuchs immer des Nachts wieder zu. Wir sahen eine Menge Weinstöcke, mit schönen großen Trauben, die, wenn sie gepresst wurden, nichts als Milch gaben. Die Einwohner waren aufrechtgehende, hübsche Geschöpfe, meistens neun Fuß hoch, hatten drei Beine und einen Arm, und wenn sie erwachsen waren, auf der Stirn ein Horn, das sie mit vieler Geschicklichkeit brauchten. Sie hielten auf der Oberfläche der Milch Wettläufe, und spazierten ohne zu sinken, mit so vielem Anstande darauf herum, als wir auf einer Wiese.

Auch wuchs auf dieser Insel, oder diesem Käse, eine Menge Korn, mit Ähren, die wie Erdschwämme aussahen, in denen Brote lagen, die vollkommen gar waren, und sogleich gegessen werden konnten. Auf unsern Streifereien über diesen Käse entdeckten wir sieben Flüsse von Milch und zwei von Wein.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

Bugspriet: fest mit dem Rumpf eines Segelschiffes verbundene hinausragende starke Spiere.

Bramstange: Teil vom Fockmast oder Vormast

Drei Monate waren wir gefahren: Raspes Quelle: Lukian 1 1769.

Bei Raspe heißt es: for six months.

Land: Huahine ist ein Atoll im Pazifischen Ozean und gehört zu den Gesellschaftsinseln, einem der fünf Archipele Französisch-Polynesiens. Im September 1773 nahm Cook den Polynesier Omai in Huahine, einer Nachbarinsel Tahitis, an Bord der Adventure. Omai kehrte mit James Cook auf dessen dritter Reise 1776 in die Südsee zurück. Er ließ sich auf Huahine nieder, wo ihm die Engländer ein Haus errichteten.

sieben Flüsse von Milch und zwei von Wein: Im Koran, Sure 47, heißt es: Das Gleichnis des (Paradies)gartens, der den Gottesfürchtigen versprochen ist: Darin sind Bäche mit Wasser, das nicht schal wird, und Bäche mit Milch, deren Geschmack sich nicht ändert, und Bäche mit Wein, der köstlich ist für diejenigen, die (davon) trinken, und Bäche mit geklärtem Honig. Und sie haben darin von allen Früchten und Vergebung von ihrem Herrn. (Sind diese denn) jemandem gleich, der im (Höllen)feuer ewig bleibt und dem heißes Wasser zu trinken gegeben wird, das seine Gedärme zerreißt?
Quran Übersetzung, http://islam.de/13827.php?sura=47.

 

John Webber: A View of the Harbour of Huaheine (Fare), one of the Society Islands, with Resolution and native craft in the bay. Gouache 1777, British Library.

 

Nachdem wir eine Strecke von ungefehr dreyhundert Stadien zurückgelegt hatten, kamen wir zu einer kleinen und wüsten Insel, wo wir Wasser einnahmen, (denn daran gebrach es uns,) schossen zween wilde Ochsen, und segelten wieder fort: Es hatten aber die Ochsen die Hörner nicht oben auf dem Kopfe, sondern wie es dem Momus besser däuchte, an der Brust, Nicht lange hernach liefen wir in eine See nicht von Wasser, sondern von Milch ein; wo uns auch eine Insel zu Gesichte kam, die weißlich und voller Reben war. Es war aber diese Insel nichts anders als ein sehr großer hart gewordenen Käs, wie wir nachher erfuhren, da wir davon aßen; bey fünf und zwanzig Stadien groß. Die Reben hingen voller Trauben, von denen wir aber nicht Wein, sondern Milch auspresseten. [...]
Lukian 1 1769, S. 142f.

 

Les Suites d’un Naufrage. Kupferstich nach Vernet, um 1770.

 

The South Prospect of St. Paul's Church London, Kupferstich 1702.

 

     Nach einer sechzehntägigen Reise kamen wir an das Ufer, das dem, an wel-|[162]chem wir gelandet hatten, gegenüberlag. Hier fanden wir eine ganze Strecke des angegangenen blauen Käses, aus dem die wahren Käse-Esser so viel Wesens zu machen pflegen. Anstatt dass aber Milben darin gewesen wären, wuchsen die vortrefflichsten Obstbäume darauf, als Pfirsiche, Aprikosen, und tausend andere Arten, die wir gar nicht kannten. Auf diesen Bäumen, die erstaunlich groß sind, waren eine Menge Vogelnester. Unter andern fiel uns ein Eis-Vogel-Nest in die Augen, das im Umkreise fünfmal so groß war, als das Dach der St. Paulskirche in London. Es war künstlich aus ungeheueren Bäumen zusammen geflochten, und es lagen wenigstens – warten Sie – denn ich mag gern alles genau bestimmen – wenigstens fünfhundert Eier darin, und jedes war ungefähr so groß als ein Oxhoft. Die Jungen darin konnten wir nicht nur sehen, sondern auch pfeifen hören. Als wir mit vieler Mühe ein solches Ei aufgemacht hatten, kam ein junges unbefiedertes Vögelchen heraus, das ein gut Teil größer war, als zwanzig ausgewachsene Geier. Wir hatten kaum das junge Tier in Freiheit gesetzt, so ließ sich der alte Eisvogel herunter,|[163] packte in eine seiner Klauen unsern Kapitän, flog eine Meile weit mit ihm in die Höhe, schlug ihn heftig mit den Flügeln und ließ ihn dann in die See fallen.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

Strecke des angegangenen blauen Käses: Bürger übersetzt Raspes blue mould, ein Käse, der aus Kulturen des Schimmelpilzes Penicillium hergestellt wird. Davon muss man den Milbenkäse unterscheiden, bei dessen Herstellung Käsemilben der Art Tyrophagus casei eingesetzt werden, deren Enzyme für die Reifung verantwortlich sind. Bei fast allen anderen Käsesorten sind Enzyme des Labs oder Milchsäurebakterien für die Reifung verantwortlich.

St. Paulskirche in London: Die St.-Pauls-Kathedrale (St Paul’s Cathedral) ist eine Bischofskirche in London. Sie liegt im Stadtbezirk City of London etwa 300 Meter nördlich der Themse und ist Sitz des Bischofs der Diözese London der Church of England. Die St.-Pauls-Kathedrale gehört zu den größten der Welt. Der Bau wurde nach 1666 im Stile des klassizistischen Barocks anstelle der beim großen Brand von London zerstörten Kathedrale errichtet. Die Kathedrale ist 158 Meter lang und hat eine kreuzförmige Grundfläche, die in Ost-West-Richtung ausgerichtet ist. In der Mitte dieses Kreuzes befindet sich eine Kuppel, auf der sich eine 750 t schwere Laterne befindet, die in 111 Metern Höhe endet. 111 Meter entsprechen 365 Fuß, einen Fuß für jeden Tag des Jahres.
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Oxhoft: altes Volumenmaß für Flüssigkeiten. Genutzt wurde das Maß besonders für Wein, Branntwein und Bier. Je nach Region versteht man unter einem Oxhoft ein Volumen von 148 bis zu 288 Litern.

Eisvogel: Nach Ovid (Metamorphosen 11, 410–748) war Alkyone ihrem Gatten Keyx (lateinisch Ceyx), Sohn des Hesperos, in innigster Liebe verbunden. Eines Tages sah sich Keyx gezwungen, seine Gemahlin zu verlassen, um das Orakel in Klaros aufzusuchen. Alkyone warnte ihren Mann, da sie – als Tochter des Windbeherrschers Aiolos – die Winde und vor allem deren Unberechenbarkeit kannte. Die Umstände, die Keyx bewogen, nach Klaros zu segeln, waren jedoch von solcher Bedeutung, dass er sich nicht von seinem Vorhaben abbringen ließ.

Wie befürchtet, kam der Sturm und das Schiff versank inmitten des Mittelmeeres. Keyx war glücklich, wusste er doch seine Frau in Sicherheit. Als seine Kräfte ihn verließen, seufzte er ein letztes Mal ihren Namen, bevor er ertrank.

Alkyone wartete auf ihren Mann und betete zu den Göttern. Die Götter waren von den Gebeten gerührt, waren sie ja für einen bereits Verstorbenen. Der Traumgott Morpheus wurde beauftragt, Alkyone die Nachricht vom Tod ihres Mannes zu überbringen. Also legte er sich in Keyx’ Gestalt neben die schlafende Alkyone und flüsterte ihr zu, dass er bereits tot sei. Alkyone wollte nun nicht mehr weiterleben. Am nächsten Morgen ging sie hinunter zum Strand und sah den toten Körper ihres Mannes ans Ufer treiben. Entschlossen, sich das Leben zu nehmen, stürzte sie sich von den Klippen, um sich im Meer zu ertränken. Doch statt im Meer zu versinken, flog sie in Richtung ihres toten Mannes: Die Götter waren gnädig und hatten sie in einen Vogel Halcyone (deutsch Eisvogel) verwandelt. Als sie sich auf den toten Körper ihres Mannes warf, stellte sie fest, dass auch er zu einem Vogel geworden war.

Da sie Tochter des Aiolos war, gewährte dieser zur Brutzeit der Halcyonen, im Dezember, eine siebentägige Windstille, damit sie so in der Lage seien, ihr Nest zu bauen. Sobald der Nachwuchs geschlüpft ist, erheben sich die Wellen erneut und das Meer wird unruhig. Daher auch die Redensart „halkyonische Tage“ für ein stilles schönes Intermezzo inmitten turbulenter Zeiten.
Wikipedia

perque dies placidos hiberno tempore septem
incubat Alcyone pendentibus aequore nidis.
tunc iacet unda maris: ventos custodit et arcet
Aeolus egressu praestatque nepotibus aequor.

Und in der frostigen Zeit sitzt sieben beruhigte Tage
Brütend Alkyone da in dem Nest, das schwimmt auf den Wogen.
Dann ist sicher die Fahrt; dann lässt die gehüteten Winde
Aiolos nicht aus der Haft und gewährt Meerstille den Enkeln.
Ovid. Metamorphosen: Ceyx und Alcyone 11. Buch (745-748)

 

The Aberdeen Bestiary, Folio 55r; University of Aberdeen, Scotland: Bilderhandschrift Ende des 12. Jahrhunderts 

 

Die Lügen des ersten und zweiten Studenten im Nachtbüchlein von dem grossen Vogel und seinem Ei in Ofen bilden im Gedicht den Gegenstand der 7. und 8. Zeitung. Die Vorstellung von einem so grossen Vogel greift bis in den Orient zurück; wenn Lucian im 2. Buch seiner wahren Geschichten von der colossalen Grösse eines solchen, seines Nestes und seiner Eier fabelt und im Münchhausen der riesige Eisvogel einen Menschen in die Höhe nimmt, so ist dies unschwer mit den Reiseerzählungen Sindbads in Verbindung zu setzen, in denen vom Vogel Rokh berichtet wird. Die Fabeleien von diesem Vogel Ruck oder Greif gehören zu den wunderbaren Dingen, welche die Reisenden und Bücherschreiber aus fernen Ländern berichten, wie speciell die mit Hülfe desselben bewerkstelligte Luftfahrt in den Märchen vieler Völker auftritt. Die Lüge der Studenten im Nachtbüchlein findet sich allerdings sonderbarer Weise sonst nirgends.
Müller-Fraureuth 1881, S. 53.

Die übermäßige Dimension. Die der Eisvogel, sein Nest und sein Gelege im „Münchhausen“ haben, deuten auf seine Verwandtschaft mit dem Vogel Rock aus den Abenteuern von Sindbad dem Seefahrer, einer Märchenfolge aus „1001 Nacht“, das Bürger lange, aber offenbar vergeblich, beabsichtigt hat, in einer deutschen Ausgabe herauszubringen. Mit der alkyonischen Windstille wird von den Verfassern prophetisch darauf hingewiesen, daß ein so gigantischer Friede auch Grabesstille bedeuten kann, und die nachfolgende Episode vom Aufenthalt im Bauche des Walfischs bestätigt dies.
Reschke 1980, S. 172.

Als ich näher kam, bemerkte ich, daß es eine weiße Kugel von ungeheurer Höhe und Grösse war. Ich ging hinzu, fühlte sie an, und fand sie sehr sanft. Ich ging rund herum, um zu sehen, ob keine Öffnung daran wäre; aber ich entdeckte keine; und es schien mir unmöglich, hinaufzusteigen, so glatt war sie allenthalben. Sie mochte wohl funfzig Schritt im Umkreis fassen.

Die Sonne wollte jezt untergehen. Mit Einmal verfinsterte sich die Luft, als ob sie von einer dicken Wolke umhüllt würde. Erstaunt sah ich in die Höh, und wie erschrack ich, als ich die weitschattenden Flügel eines Riesenvogels sah, der seinen Flug nach mir her lenkte, Ich erinnerte mich, daß mir der Schiffer oft von einem ungeheuren Vogel, der Roche heißt, erzählt hatte, und merkte nun wohl, daß die große Kugel, die ich so bewunderte, nichts anderes war, als ein Rochenei.
Die tausend und eine Nacht arabische Erzählungen, ins Französische übersetzt von dem Herrn Anton Galland, [...]. Aus dem Französischen übersetzt von Johann Heinrich Voß. Zweiter Band. Bremen 1781, S. 21f.

 

 

Sebastian Münster: Meerwunder vnd seltzame Thier / wie die in den Mitnächtigen Ländern / im Meer vnd auff dem Landt gefunden werden. Heinrich Petri, Basel 1540/1550.
Inspiriert und abgeleitet von der 'Carta Marina' des Olavs Magnus: Carta marina et descriptio septemtrionalium terrarum ac mirabilium rerum in eis contentarum diligentissime elaborata anno dni 1539.

 

     Die Holländer schwimmen alle wie die Ratten; er war bald wieder bei uns, und wir kehrten nach unserm Schiffe zurück. Wir nahmen aber nicht den alten Weg, und fanden daher auch noch viele ganz neue und sonderbare Dinge. Unter andern schossen wir zwei wilde Ochsen, die nur ein Horn haben, das ihnen zwischen den beiden Augen herauswächst. Es tat uns nachher leid, dass wir sie erlegt hatten, da wir erfuhren, dass die Einwohner sie zahm machen und, wie wir die Pferde, zum Reiten und Fahren gebrauchen. Ihr Fleisch soll, wie man uns sagte, vortrefflich schmecken, ist aber einem Volke, das bloß von Milch und Käse lebt, gänzlich überflüssig.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

ein Horn: Das Einhorn (lateinisch unicornis, altgriechisch monókeros) ist ein Fabelwesen von Pferde- oder Ziegengestalt mit einem geraden Horn auf der Stirnmitte. Es wurde im Mittelalter besonders durch den Physiologus bekannt, gilt als das edelste aller Fabeltiere und steht als Symbol für das Gute.

Das in der alten lateinischen Bibel erwähnte „unicornis“, übersetzt Martin Luther als „Einhorn“. Gemeint war nach heute verbreiteter Vermutung der Wildstier oder Auerochse. Ursache für den Irrtum waren vielleicht babylonische Reliefs und Wandmalereien, die die Tiere nur im Profil zeigen, wobei nur eines der beiden Hörner zu sehen ist. Noch bis ins 18. Jahrhundert hinein war die Auffassung verbreitet, Einhörner kämen in der Bibel vor. Erst Heinrich Sander wies 1779 auf den Übersetzungsfehler hin.

 

Conradi Gesneri medici Tigurini Historiae Animalium Lib. I. de Quadrupedibus uiuiparis. Zürich 1551, S. 781.

 

„Fast alle Naturforscher der alten Welt reden von einem vierfüßigen Thier, das nur ein Horn haben soll. Man hat: sich ehemals eingebildet, daß in Ethiopien eine Art gehörter Esel vorhanden sei. Man ist so dreist gewesen, echte sichre hinlängliche Nachrichten von glaubwürdigen Reisenden, aus der Figure des Esels und des Pferdes ein eigenes Thier mit Einem Horn zusammenzusezen, und diese Misgeburt der Einbildung, die die Natur nicht kennt, dieses in der Welt, die vor uns liegt, nie gesehene Gestalt, hat man ihrer schlechten Zusammensezung, und der ungeschikten Anordnung der Glieder ungeachtet; durch die Bibel selber bestätigen wollen. Wir können uns zwar nicht rühmen , daß wir den ganzen Erdkreis durchsucht, und das Verzeichnis der Thiere zur Vollständigkeit gebracht haben. (Man kennt die vielen wichtigen Entdeckungen, die die Engelländer in der Südsee und in Australien gemacht haben.) Aber die Gegenden die die Alten kannten, sind doch gewis in neueren Zeiten noch genauer und sorgfältiger bereist worden, als ehemals. Aber weder aus der alten noch aus der neuen Welt haben wir, seitdem die fabelhaften Zeiten vorbeigezogen sind, und der seltsame Hang, nur Abendtheuer und Ungeheure zu haschen, und die Welt damit zu erschreken, zum Glük für die Wissenschaften verschwunden ist, die geringste Spur von einem vierfüßigen Thier, dem die Natur nur Ein Horn aufgesezt haben soll, bei irgend einem Reisenden gelesen.“
Vom Einhorn, besonders vom Einhorn in der Bibel. In: Heinrich Sanders, Professors am Gymnasium illustre in Karlsruhe, der Gesellschaft Naturforschender Freunde in Berlin […] Kleine Schriften. Erster Band. Dessau und Leipzig 1784. S. 102f.

 

     Als wir noch zwei Tagereisen von unserm Schiffe entfernt waren, sahen wir drei Leute, die an hohe Bäume bei den Beinen aufgehängt waren. Ich erkundigte mich was sie begangen hätten, um eine so harte Strafe zu verdienen, und hörte, sie wären in der Fremde gewesen, und|[164] hätten bei ihrer Zurückkunft nach Hause ihre Freunde belogen, und ihnen Plätze beschrieben, die sie nie gesehen, und Dinge erzählt, die sich nie zugetragen hätten. Ich fand die Strafe sehr gerecht; denn nichts ist mehr eines Reisenden Schuldigkeit, als strenge der Wahrheit anzuhängen.

harte Strafe: Besitzt der Erzähler Gulliver noch ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit, trifft das auf Münchhausen kaum zu, zumal sein Vorbild eine historische Person mit einem Faible für Lügengeschichten ist. Als Reiseberichterstatter fordert Münchhausen jedoch, daß 'Reiselügner' bestraft werden.

Es läßt sich zusammenfassen, daß in Münchhausen durch Betonung der 'Lässigkeit' bzw. der 'Bescheidenheit' Münchhausens als Erzähler, durch den Mißbrauch des Stilmittels der 'praeteritio' oder durch zweifelhafte Zeugen typische Techniken zur Leserbeeinflussung in der Reiseliteratur bloßgelegt werden. Das geschieht weit unverblümter als in Gulliver's Travels. Swift wendet die 'Authentizitätsmechanismen' durchaus noch mit dem Ziel an, den satirischen Charakter seines Gulliver für 'Nichteingeweihte' zu verbergen, wobei er es virtuos versteht, verschiedene Leser entsprechend ihrer Bildung oder Erwartungen zu bedienen. Das läßt sich bei Münchhausen nicht feststellen, denn Bürger bedient in keinerlei Hinsicht Leser, die eine mehr oder weniger glaubwürdige Reisebeschreibung lesen wollen. Dem Leser wird aber auch in Münchhausen vor Augen geführt, daß die verwendeten Authentizitätsmechanismen keinerlei Aussagekraft über den tatsächlichen Wahrheitsgehalt des Textes besitzen. Eine weitere 'Parallele' zwischen den beiden Texten kann man hinsichtlich ihrer Intertextualität feststellen. Wenn Swift laut Paßmann in Gulliver 's Travels aus zahlreichen Werken der zeitgenössischen Reiseliteratur schöpft und mit diesen Texten sein intertextuelles Spiel treibt, dann gilt dies ebenfalls für Bürger, wie mit Blick auf die Werke von Phipps, Drinkwater, Tott und Brydone im folgenden darzustellen ist.
Kämmerer 1999, S. 154 und 157.

 

     Sobald wir bei unserm Schiffe angelangt waren, lichteten wir die Anker, und segelten von diesem außerordentlichen Lande ab. Alle Bäume am Ufer, unter denen einige sehr große und hohe waren, neigten sich zweimal vor uns, genau in einem Tempo, und nahmen dann wieder ihre vorige gerade Stellung an.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

 

Abraham a Sancta Clara schreibt in JUDAS Der Ertz-Schelm:

Reden die gemaine Leuth allzeit die Wahrheit? Das gar nit, sondern auch bey denen gemainen Leuthen seynd die Lugen gemain. Vor Zeiten haben sich die Bäumer wunderlich gebogen, also zaiget man noch einen Baum bey Cairo, welcher sich biß auff die Erden nidergenaigt, worvon die Mutter Gottes etliche Früchten darvon abgebrocket, da sie in Egypten geflohen, derentwegen die verstockte Heyden disen Baum umbgehauen, so aber den andern Tag wunderlich widerumb ergäntzter gestanden. Kurtz vor ihrem gebenedeyten Hinscheiden ist die übergebenedeyte Jungfrau Maria auff den Oelberg gestigen, allda ihr eyfriges Gebett zu verrichten, allwo sich das grosse Wunder ereignet, daß alle Bäum desselben Oths sich biß auff die Erden haben gebogen, und ein solche Reverentz ihr erwisen, in dem doch offt mancher grober Block kaum ein halbes Knye in der Kirchen bieget. Wie das heilige Hauß durch Englische Händ in das Recenatische Gebiet, welches dazumahlen einer edlen Frauen Namens Laureta gehörig war, mit gröstem Wunder getragen worden, da hat sich ein gantzer Wald gegen dem heiligen Gebäu genaiget, auch nachmahls also gebogner verharrt. Wie man dann noch vor dreyssig Jahren dergleichen höffliche Bäumer angetroffen.
Abraham a. St. C. 1686, S. 454.

Mit der „edlen Frauen Namens Laureta“ verweist Abraham a Sancta Clara die Basilika vom heiligen Haus in Loreto, dem zweitwichtigsten Wallfahrtsort in Italien und einer der wichtigsten der katholischen Welt. Die Basilika vom Heiligen Haus beinhaltet die Santa Casa, der Legende nach das Heilige Haus von Nazaret, in dem Maria aufwuchs und die Verkündigung des Herrn empfing. Es soll von Engeln nach Loreto getragen worden sein.

Die Wallfahrt entstand aus der Verehrung Marias, der Mutter Jesu, und des Hauses, in dem sie aufwuchs und die Botschaft des Engels empfing. Dieses Haus, die Santa Casa, floh der Legende zufolge aus Nazaret, als im Jahr 1291 das Heilige Land an den Islam fiel. Es soll von Engeln fortgetragen und am 10. Mai 1291 in Trsat im heutigen Kroatien abgesetzt worden sein, in der Nähe von Rijeka (italienisch Fiume). In der Nacht zum 10. Dezember 1294 sei das Haus verschwunden und in die Gegend von Recanati verlagert worden. Es erhielt dort den Namen domus lauretana, was entweder von einem „Lorbeerhain“ abgeleitet ist oder von einer Frau namens Laureta, auf deren Besitz das Haus gelandet war.
Wikipedia

 

Conradi Gesneri medici Tigurini Historiae Animalium Liber IIII. Zürich 1558, S. 138.

 

     Als wir drei Tage umhergesegelt waren, der Himmel weiß wo – denn wir hatten noch immer keinen Kompass – kamen wir in eine See, welche ganz schwarz aussah. Wir kosteten das vermeinte schwarze Wasser, und siehe! es war der vortrefflichste Wein. Nun hatten wir genug zu hüten, dass nicht alle Matrosen sich darin berauschten. – Allein die Freude dauerte nicht lange. Wenige Stunden nachher fanden wir uns von Walfischen und andern unermesslich großen Tieren umgeben, un-|[165]ter denen eines war, dessen Größe wir selbst mit allen Fernröhren, die wir zu Hülfe nahmen, nicht übersehen konnten. Leider wurden wir das Ungeheuer nicht eher gewahr, als bis wir ihm ziemlich nahe waren; und auf einmal zog es unser Schiff mit stehenden Masten und vollen Segeln in seinen Rachen zwischen die Zähne, gegen die der Mast des größten Kriegsschiffes ein kleines Stöckchen ist. Nachdem wir einige Zeit in seinem Rachen gelegen hatten, öffnete es denselben ziemlich weit, schluckte eine unermeßliche Menge Wasser ein, und schwemmte unser Schiff, das, wie Sie sich leicht denke können, kein kleiner Bissen war, in den Magen hinunter. Und hier lagen wir nun so ruhig, als wenn wir bei einer toten Windstille vor Anker lägen. Die Luft war, das ist nicht zu leugnen, etwas warm und unbehaglich. – Wir fanden Anker, Taue, Boote, Barken und eine beträchtliche Anzahl Schiffe, teils beladene, teils unbeladene, die dieses Geschöpf verschlungen hatte. Alles, was wir taten, musste bei Fackeln geschehen. Für uns war keine Sonne, kein Mond und keine Planeten mehr. Gewöhnlich befanden wir uns zweimal des Tages auf hohem Wasser, und zweimal|[166] auf dem Grunde. Wenn das Tier trank, so hatten wir Flut, und wenn es sein Wasser ließ, so waren wir auf dem Grunde. Nach einer mäßigen Berechnung nahm es gemeiniglich mehr Wasser zu sich, als der Genfer See hält, der doch einen Umfang von dreißig Meilen hat.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

Als wir drei Tage umhergesegelt waren] Raspes Quelle: Lukian 1 1769

das Ungeheuer: Dieses Wal-Abenteuer hat Raspe nach Lukians Bericht konzipiert, dabei aber einige markante Unterschiede erzählt.

Lukian berichtet von einer vollständigen Welt mit Meer, Land, Flora und Fauna, von Menschen bewohnt und von der Sonne beleuchtet, so lange das See-Ungeheuer sein Maul offen hält. Auf dem festen Land wohnen unterschiedliche menschliche Lebewesen, die sich gegenseitig bekriegen und die von dem Erzähler und seinen Gefährten ausgerottet werden. Bei Raspe und Büger hingegen ist drinnen alles dunkel. Münchhausen und seine Gefährten finden – mit Fackeln ausgerüstet – über 10.000 Menschen aller Nationen, die friedlich zusammenleben und demokratisch organisiert sind. Die Aktivitäten dort werden vom Wal gestört, indem er riesige Wassermengen schluckt, in denen die Helden beinahe ertrunken wären. Der Rettungsplan wird unter dem Vorsitz von Münchhausen beschlossen und unter seiner Leitung ausgeführt.

Die Beschreibung der Situation, in der sich die Gefangene im Wal zunächst befinden, lasst sich als Parallele zu Mesmers Lehre vom Animalischen Magnetismus lesen, durch den eine Analogie der Gestirne und ihrer Wechselwirkung mit den Lebewesen auf der Erde postuliert wird. Das unsichtbare Fluidum aus dem All kann aber die Situation der Menschen im Wal nicht heilen. „So wie die Sonne und der Mond nach ihren verschiedenen Stellungen gegen einander, gegen die Erde und derselben Abstand die Perioden der Ebbe und Fluth im Meere sowohl als in der ganzen Atmosphäre verursachen, eben so, zeigte ich, gehe eine ähnliche Ebbe und Fluth aus den gemeinsamen Ursachen im menschlichen Körper vor; ich fügte bey, daß die anziehende Macht gedachter Sphären alle einzelne Theile, feste und flüssige unsers Körpers, und derselben Innerstes durchdringe, unmittelbar auf unsere Nerven wirke, folglich in unsern Leibern ein wirklicher Magnetismus vorhanden sey.“ Mesmer 1776, S. 4.

„Mit diesen Worten erläutert Franz Anton Mesmer 1776 in den Schreiben über die Magnetkur erstmals das Wirken der von ihm entdeckten Kraft, die er „magnetismum animalem“ nennt. Mesmer versteht Krankheiten als Stockung oder Mangel eines allgegenwärtigen Fluidums in belebten Körpern. Durch Striche und Berührungen des Magnetiseurs entlang der Nervenbahnen kann der Patient Mesmers Modell zufolge wieder in die „Harmonie der kosmischen Wechselverhältnisse“ gesetzt werden.“
Beese 2014, S. 207.

Insofern kann man dieses Motiv als Kritik am Mesmerismus lesen.

 

MAGNÉTISME ANIMAL DÉVOILÉ. Par un télé Citoyen François. A GENÈVE 1784.

von Walfischen und andern unermesslich großen Tieren umgeben: Bei Vorstellungen von etwas Wunderbarem scheint unsere Seele ohngefähr so afficirt zu werden, als wenn sich ihr Gegenstände von einer sehr großen Dimension darstellen. Nur ist hierbei der Unterschied zu merken, daß das durchs Wunderbare erregte Erstaunen von einer längern Dauer ist, als dasjenige, welches sichtbar erhabene Gegenstände in uns hervorbringen. Der Grund der Dauer einer Empfindung liegt allemal in der längern Lebhaftigkeit unserer Vorstellungen einer Sache, und diese längere Lebhaftigkeit unserer Vorstellungen bei dem Wunderbaren hängt gewiß davon ab, daß das Wunderbare in allen seinen Theilen wunderbar und erhaben ist, daß wenn wir es auch Stückweise betrachten wollen, wenn uns nur nicht dadurch die versteckten natürlichen Triebfedern desselben bekannt werden, immer der Zustand der Bewunderung unserer Seele noch fortdauert, weil uns noch viel Unbekanntes davon zu wissen übrig bleibt, und unsere Aufmerksamkeit eben dadurch immer gleich lebhaft erhalten wird.
Pockels 1785, S. 91.

 

Die Reisenden verabschieden sich vom König.

Nun segelten wir bey vielen anden Ländern vorbey, ländeten aber in dem Morgensterne, der izt ebebfalls bewohnet war, und nahmen Wasser ein: Nachdem wir hierauf in den Thierkreis hineingekommen waren, fuhren wir so, daß wir die Sonne zur Linken hatten, und schifften nächst am Lande hin; […]. Am dritten Tage hierauf sahen wir nunmehr den Ocean deutlich: von Erden aber nichts; die in der Luft ausgenommen, und auch diese kam uns izt feuerfarbigt und ungemein glänzend vor. Am vierten um den Mittag, wurden wir endlich bey einnem sanft blasenden, und nach und nach sich legenden Winde aufs Meer niedergesezt. […] Es pflegt aber öfters eine Veränderung ins Bessere der Vorbott eines noch größeren Uebels zu seyn. Denn da wir nur zween einzige Tage auf dem Wasser fortgeschiffet waren, erblickten wir am dritten frühe, ostwärts eine Menge allerley Meerthiere und Wallfische; besonders aber einen, der an Größe die andern alle weit übertraf, und wol fünfzehnhundert Stadien groß war. Dieser fuhr mit aufgesperrtem Rachen auf uns zu, und sezte, mit schäumenden Wellen überall bespühlt, das Meer schon von weitem in Bewegung. Er bläkte seine Zähne die viel länger waren, als unsere Priapen, alle spizig wie Pfäle, und weiß wie Helfenbein. Wir nahmen als für das lezte mal Abschied von einander, und erwarteten unser Schicksal. Izt war der Fisch da, schlurfte ein, und verschlang uns zugleich mit dem Schiffe. Zum Glüke aber zerknirschte er uns nicht erst mit den Zänen, sondern das Schiff fiel durch den Zwischenraum derselben ganz in den Bauch hinunter.

Anfangs da wir hinein kamen, war es stokfinster, und wir konnten nichts sehen. Nachher aber da das Thier den Rachen aufsperrete, sahen wir eine große Höle, sehr weit und hoch, und geraumig genug für eine Stadt von zehntausend Einwohnern. Vor uns lagen auch kleine Fische und viele andere zermalmete Thiere, Segelbäume, Anker, Menschenknochen und Gepäk.

Die Seeleute finden bewohnte Inseln, die sie erkunden und dabei gefährliche Abenteuer erleben.

Von dieser Zeit an ward mir die Lebensart in dem Wallfische, und dieser lange Aufenthalt in demselben zu beschwerlich, und ich dachte auf ein Mittel herauszukommen. Anfangs entschlossen wir uns, der Bestie die rechte Seite zu durchgraben, und so zu entrinnen: Wir machten uns wirklich an die Arbeit, nachdem wir aber bereits fünf Stadien weit gekommen waren, und nichts ausgerichtet hatten, hörten wir auf weiter zu graben, und beschlossen den Wald anzuzünden, denn so (dachten wir) müßte der Fisch sterben, und wenn dies geschähe, würde es uns nicht schwer seyn, herauszukommen. Wir legten also den Brand von hinten an. Sieben Tage lang und so viele Nächte, fühlte der Fisch nichts von der Hize. Am achten und neunten merkten wir, daß er sich übel befände, denn er sperrete den Rachen langsamer auf, und wenn er es that, schloß er denselben gleich wieder zu. Am zehnten und eilften rükte es vollends mit ihm zu Ende, und er roch schon übel; am zwölften kam uns zum Glüke, und kaum noch zeitig genug, der Sinn daran, daß wir Gefahr liefen, im Fische, wenn er izt todt seyn würde, elender Weise zu verderben, dafern wir ihm nicht, wenn er den Rachen öfnete, die Bakzähne unterbauten, damit er ihn nicht wieder schliessen könnte: Wir sperreten ihm also das Maul mit starken Balken von einander, rüsteten das Schiff zu, und nahmen nebst andern Nothwendigkeiten so viel Wasser ein, als wir nur konnten; unser Steuermann solle Scintharus künftig seyn. Des folgenden Tages war endlich die Bestie drauf gegangen.

Nun zogen wir das Schiff vorwärts und liessen es, nachdem wir dasselbe mit Striken an den Zähnen des Fisches fest gemacht, durch den Zwischenraum sacht in die See herunter, stiegen gen hernach auf den Rücken des Thieres aus, brachten dem Neptun nahe bey dem Siegeszeichen ein Opfer, und fuhren, nachdem wir drey Tage daselbst geblieben waren, (denn es war eine gänzliche Windstille,) am vierten ab; […].
Lukian 1 1769, S. 122-141 (Auszüge)

 

Le Magnétisme Dévoilé. Der Kupferstich zeigt Benjamin Franklin und seine Kollegen, wie sie den Betrug des von Franz Mesmer und seinem Partner Charles Deslon praktizierten animalischen Magnetismus sowie ihre Hypnosepraxis entlarven und dabei Messmers Eichenholz-Bottich zerstören. Bibliothéque national de France 1784/85.

 

Animalischer Magnetismus, auch Mesmerismus, ist die Bezeichnung für eine im 18. Jahrhundert postulierte, dem Elektromagnetismus analoge Kraft am Menschen, die von Franz Anton Mesmer (1734–1815) propagiert wurde.

1771 glaubte Mesmer entdeckt zu haben, wonach man in der medizinischen Forschung vergangener Jahrhunderte erfolglos gesucht hatte: ein zentrales Agens des menschlichen Organismus zur Steuerung von Nerven, Muskeln und Körpersäften.

Das unsichtbare Prinzip, von ihm Fluidum, All-Flut oder auch Lebensfeuer (wegen seiner Fähigkeit, Blockaden zu schmelzen) genannte Prinzip, sollte das All und sämtliche Organismen durchfluten. Im Körper des Menschen wirke es, „indem die Ströme des Allgemein-Flüssigen durch die Nerven auf den innersten Organismus der Muskelfieber einfließen und ihre Verrichtungen bestimmen“. Dieses Prinzip sollte durch entsprechende Vorkehrungen oder durch Berührungen durch geeignete Heiler (Magnetiseure) gelenkt werden können. Dies schien der Schlüssel zum Heil, denn die Stockung dieser Zirkulation war für Mesmer die Ursache aller Krankheiten. Diese werde erst durch eine heilsame Krise gelöst, weshalb seine magnetischen Heilmethoden das Ziel hatten, eine solche Krise künstlich zu erzeugen.

In seinem Konzept vom animalischen Magnetismus greift Mesmer populäre wissenschaftliche Themen seiner Zeit wie Elektrizität, Gravitation und Magnetismus auf. Mesmer selbst bezog sich auf Isaac Newton. Dieser hatte eine Anziehungskraft zwischen allen Massen (Gravitation) propagiert und war dabei von einer Art Äther ausgegangen. In ähnlicher Weise setzte Mesmer einen Äther voraus, eben jenes Fluidum, in welchem Kräfte zwischen lebendigen Körpern aufeinander wirken.

Sein Ausgangspunkt war die im 18. Jahrhundert entdeckte Tatsache, dass bestimmte Anordnungen verschiedener Metalle und Flüssigkeiten ein fluidum erzeugen, das Nerven und Muskeln reizt. Ohne Kenntnis der elektromagnetischen Phänomene griffen Mesmer und andere Wissenschaftler auf „vitalistische“ Modelle zurück: Sie nahmen an, einen unsichtbaren „Lebensstoff“ gefunden zu haben, der den Organismus durchströmt und von geeigneten, medial begabten Personen auch ausgesendet werden kann.

1784 erklärte eine von der französischen Regierung einberufene wissenschaftliche Kommission den Mesmerismus für unwirksam.
Wikipedia

 

     Am zweiten Tag unserer Gefangenschaft in diesem Reiche der Nacht, wagte ich es bei der Ebbe, wie wir die Zeit nannten, wenn das Schiff auf dem Grunde saß, nebst dem Kapitän und einigen Offizieren, eine kleine Streiferei zu tun. Wir hatten uns natürlich alle mit Fackeln versehen, und trafen nun gegen zehntausend Menschen aus allen Nationen an. Sie wollten gerade eine Beratschlagung halten, wie sie wohl ihre Freiheit wiedererlangen könnten. Einige von ihnen hatten schon mehrere Jahre in dem Magen des Tieres zugebracht. Eben als der Präsident uns über die Sache unterrichten wollte, wegen der wir versammelt waren, wurde unser verfluchter Fisch durstig, und fing an zu trinken; das Wasser strömte mit solcher Heftigkeit herein, dass wir alle uns augenblicklich nach unsern Schiffen retirieren oder|[167] riskieren mussten, zu ertrinken. Verschiedene von uns retteten sich nur mit genauer Not durch Schwimmen.

Einige Stunden nachher waren wir glücklicher. Sobald sich das Ungeheuer ausgeleert hatte, versammelten wir uns wieder. Ich wurde zum Präsidenten gewählt, und tat den Vorschlag, zwei der größten Mastbäume zusammenzufügen, diese, wenn das Ungeheuer den Rachen öffnete, zwischen zu sperren und so das Zuschließen ihm zu verwehren. Dieser Vorschlag wurde allgemein angenommen, und hundert starke Männer zu der Ausführung desselben ausgesucht. Kaum hatten wir unsere zwei Mastbäume zurechtgemacht, so bot sich auch eine Gelegenheit an, sie zu gebrauchen. Das Ungeheuer gähnte, und sogleich keilten wir unsere zusammengesetzten Mastbäume dazwischen, so dass das eine Ende durch die Zunge durch gegen den untern Gaumen, das andere gegen den obern stand; wodurch denn wirklich das Zumachen des Rachens ganz unmöglich gemacht war, selbst, wenn unsere Maste noch viel schwächer gewesen wären.|[168]

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

Streiferei: kriegerischer raub- und plünderungszug, seit dem 18. jh. auch als 'reise, ausflug, wanderung' oft belegt. (DWB)

zum Präsidenten gewählt: Stattdessen führen uns die Erzähler vor, wie ein aufgeklärter Münchhausen demokratisch legitimiert, die Rettung gemeinsam mit starken Männern und einer klugen Technik vollbringt und als aufgeklärter Anführer die ihm anvertrauten Menschen aus der Finsternis ins Licht führt. Die Erzählung entwirft ein Gegenbild zur antiken Vision Lukians sowie zur biblischen Jonas-Erzählung. „Münchhausen kann seinen mächtigen göttlichen Wal samt Ebbe und Flut erfolgreich überwinden. Kraft seines Verstandes erweist er sich als überlegen. Dem Wal, der sein Maul weit aufreißt, durchsticht er symbolisch die Zunge und führt die Gemeinschaft ans Licht. Auch Mesmers Heilpraktiken erhalten durch Menschen mit Verstand, durch „die vereinte Kraft hellsehender, denkender und durch gesunde Physik geleiteter Köpfe“ den Todesstoß. Gemeint ist die Königliche Kommission zur Untersuchung des Magnetismus animalis in Paris, der unter anderem Benjamin Franklin angehört und die 1784 ein Gutachten veröffentlicht, das den Mesmerismus für Schwindel erklärt.“
Beese 2014, S. 210.

Raspe war mit Benjamin Franklin gut bekannt und vermittelte ihm; seine Darstellung kann man auch als Satire auf die englische Politik der 1780er Jahre lesen, in der sich Georg III. in wichtigen Fragen nur noch mit Mühe mit Hilfe von Intrigen gegen Regierung und Parlament durchsetzen kann.

Aber auch die Mission des aufgeklärten Barons wird infrage gestellt. „Der von sich behauptet, die Menschen aus ihrer Unmündigkeit und Finsternis herausgeführt zu haben, ist schließlich ein Lügenbaron. Und so wenig vertrauenswürdig wie seine Person ist das angeblich so einfache und probate Mittel, das er zur Befreiung vorschlägt. Wenn der ‚Riesenfisch‘ Zähne hat, ‚which were much larger and taller than the mast of a firstrate man-of-war‘, also eines erstklassigen Kriegsschiffes, wenn sein Maul so groß ist, dass er, wie Münchhausen betont, mit einem einzigen Schluck die Wassermenge des Genfer Sees aufnehmen kann – wie soll ein einfacher Keil aus zwei Hauptmasten groß und stark genug sein, um seinen Rachen am Zuschließen zu hindern, und das auch noch dauerhaft?“
Beese 2014, S. 211.

Benjamin Franklin war Journalist, Schriftsteller, Drucker, Politiker und Diplomat im Dienst der nordamerikanischen Kolonien. Mitte des 18. Jahrhunderts war Franklin vor allem als Erfinder und Naturwissenschaftler bekannt und geachtet, zum Ende desselben war er als amerikanischer Freiheitsheld in aller Munde. Vom 19. bis 21. Juli 1766 besuchte er Göttingen. Rudolph Erich Raspe vermittelte ihm zehn Jahre vor der Unabhängigkeitserklärung die Leibniz’sche Idee, eine Nation zu bilden, die auf Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück basiert.

 

David Martin: Benjamin Franklin, Öl auf Leinwand 1767. Collection White Hause, Green Room.

Im Sommer 1766 halten sich der schottische Arzt und Professor der Moralphilosophie Sir John Pringle (1707-1782) und Benjamin Franklin in Pyrmont, Göttingen und Hannover auf; Sir John ist der Präsident der Royal Society in London, und Benjamin Franklin ist, nun ja, Benjamin Franklin. Der berühmte Gelehrte hält sich zwischen 1765 und 1775 als Interessenvertreter der Kolonien in London auf. Auf ihrer Deutschland-Reise treffen Pringle und Franklin auch Mitglieder der Familie von Münchhausen – und Rudolf Erich Raspe. Franklin schreibt nach seiner Rückkehr nach London an Raspe, er lässt von Münchhausen und dessen Neffen grüßen – von Münchhausen bezieht sich sehr wahrscheinlich auf Gerlach Adolph, als Premierminister von Kurhannover und Kurator der Universität Göttingen sicher zu diesem Zeitpunkt der prominenteste Namensträger. Es ist sehr gut möglich, dass mit dem Neffen Hieronymus gemeint ist: Franklin ist selbst ein guter Erfinder haarsträubender Geschichten, der Hieronymus' Erzähltalent sicher zu schätzen gewusst hätte. Wenn Franklin in seinem Brief wirklich den Gutsherrn von Bodenwerder meint, würde das bedeuten, dass Raspe und Münchhausen sich mindestens bei dieser Gelegenheit getroffen hätten. Der Briefschreiber geht jedenfalls davon aus, dass sie sich gut genug kennen, um Grüße auszurichten.
Breckwoldt 2020, S. 71.

 

Die politische Karikatur für das Jahr 1775. Die Karikatur zeigt George III und Lord Mansfield, die auf einem offenen Wagen sitzen, der von zwei Pferden mit der Bezeichnung Obstinacy and Pride gezogen wird, um Großbritannien in einen Abgrund zu führen, der durch den Krieg mit den amerikanischen Kolonien dargestellt wird.

 

     Sobald nun alles in dem Magen flott war, bemannten wir einige Boote, die sich und uns in die Welt ruderten. Das Licht des Tages bekam uns nach einer, soviel wir beiläufig rechnen konnten, vierzehntägigen Gefangenschaft unaussprechlich wohl. – Als wir uns sämtlich aus diesem geräumigen Fischmagen beurlaubt hatten, machten wir gerade eine Flotte von fünfunddreißig Schiffen aus, von allen Nationen. Unsere Mastbäume ließen wir in dem Rachen des Ungeheuers stecken, um andere vor dem schrecklichen Unglück zu sichern, in diesen fürchterlichen Abgrund von Nacht und Kot eingesperrt zu werden.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

 

 

Asia intra Maeotim Pontum et Mare Caspium. Kupferstich von Christian Weigel in: Johann David Köhlers Bequemer Schul- und Reisen-Atlas, Nürnberg 1718.

 

     Unser erster Wunsch war nun, zu erfahren, in welchem Teile der Welt wir uns befänden, und anfänglich konnten wir darüber gar nicht zur Gewissheit kommen. Endlich fand ich nach vormaligen Beobachtungen, dass wir in der Kaspischen See wären. Da diese See ganz mit Land umgeben ist und keine Verbindung mit andern Gewässern hat, so war es uns ganz unbegreiflich, wie wir dahingekommen wären. Doch einer von den Einwohnern der Käse-Insel, den ich mit mir gebracht hatte, gab uns|[169] einen sehr vernünftigen Aufschluss darüber. Nach seiner Meinung hatte uns nämlich das Ungeheuer, in dessen Magen wir so lange eingesperrt waren, durch irgendeinen unterirdischen Weg hierhergebracht. – Genug, wir waren nun einmal da, und freueten uns, dass wir da waren, und machten, dass wir so bald als möglich ans Ufer kamen. Ich war der erste, der landete.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

Kaspischen See: Das Kaspische Meer ist der größte See der Erde. Der Salzsee ist ein endorheisches Gewässer, das heißt ohne natürliche Verbindung zu den Ozeanen. Es liegt innerhalb der großen Aralo-Kaspischen Niederung in West-Asien und im äußersten Osteuropa. Im Norden grenzt es an Russland und Kasachstan, im Osten an Turkmenistan, im Süden an Persien und im Westen an Aserbaidschan.

Raspe schreibt: the country of the Calmuck Tartars; Die Kalmücken sind ein westmongolisches Volk, das vorrangig in der Autonomen Russischen Teilrepublik Kalmückien lebt. Der Begriff wurde bereits im frühen 14. Jahrhundert von islamischen Historikern für die Oiraten verwendet und später von den Russen für an der Wolga siedelnde Splittergruppen der Oiraten übernommen. Tataren, veraltet auch Tartaren, ist seit der ausgehenden Spätantike in den alttürkischen Quellen (Orchon-Runen) und seit dem europäischen Mittelalter eine Sammelbezeichnung verschiedener, überwiegend islamisch geprägter Turkvölker und Bevölkerungsgruppen. (Wikipedia)

einer von den Einwohnern der Käse-Insel: Wie weit Bürgers Münchhausen-Übersetzung von solchen Anspielungen auf Entdeckung und Kolonialismus entfernt ist, zeigt sich in wichtigen Auslassungen. Nur in der englischen Fassung finden sich Hinweise auf die zur gleichen Zeit üblichen Zurschaustellungen von „Eingeborenen“, die von den Entdeckungsreisen nach Europa mitgebracht wurden. Einer ihrer prominentesten, Omai von Tahiti, wird von Raspe mehrfach erwähnt, von Bürger überhaupt nicht. Und während Bürger Münchhausen gleichsam nur im Vorübergehen „bei der Insel Otahiti vorbeigekommen“ sein läßt – ist doch diese Episode eine genaue Übernahme der Lukianschen Mondreise –, übergeht er Raspes nähere Erklärung von Otahiti als einer Insel „mentioned by Captain Cook, as the place from whence they brought Omai.“ Signifikant wird diese Abweichung, da Bürger die gesamte Schlußpassage ausläßt, in der Raspe schildert, wie Münchhausen sich einen Eingeborenen von den „Käseinseln“ nach London mitbringt, ihn dort blühen und gedeihen läßt und ihm schließlich auch eine Anstellung verschafft […].

Doris Bachmann-Medick: Fremddarstellung und Lüge: Übersetzung als kulturelle Übertreibung am Beispiel von Münchhausens Lügengeschichten, S. 65.

 

     Kaum hatte ich meinen Fuß auf das Trockene gesetzt, so kam ein dicker Bär gegen mich angesprungen. Ha! Dachtʼ ich, du kommst mir eben recht. Ich packte mit jeder Hand eine seiner Vorderpfoten, und drückte ihn erst zum Willkomm so herzlich, dass er gräulich zu heulen anfing: ich aber, ohne mich dadurch rühren zu lassen, hielt ihn so lange in dieser Stellung, bis ich ihn zu Tode gehungert hatte. Dadurch setzte ich mich bei allen Bären in Respekt, und keiner wagte sich, mir wieder in die Quere zu kommen.

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

 

Jagdszene, Gobelin, zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts.

 

 

     Ich reisete von hier aus nach Petersburg, und bekam dort von einem alten Freunde ein Geschenk, was mir außerordentlich teuer war, nämlich einen Jagdhund,|[170] der von der berühmten Hündin abstammte, die, wie ich Ihnen schon einmal erzählte, während sie einen Hasen jagte, Junge warf. Leider wurde er mir bald nachher von einem ungeschickten Jäger erschossen, der statt einer Kette Hühner den Hund traf, der sie stand. Ich ließ mir zum Andenken aus dem Felle des Tieres diese Weste hier machen, die mich immer, wenn ich zur Jagdzeit ins Feld gehe, unwillkürlich dahin bringt, wo Wild zu finden ist. Bin ich nun nahe genug um schießen zu können, so fliegt ein Knopf von meiner Weste weg, und fällt auf die Stelle nieder, wo das Tier ist; und da ich immer meinen Hahnen gespannt und Pulver auf meiner Pfanne habe, so entgeht mir nichts. – Ich habe nun, wie Sie sehen, nur noch drei Knöpfe über, sobald aber die Jagd wieder aufgeht, soll meine Weste auch wieder mit zwei neuen Reihen besetzt werden.

Besuchen Sie mich alsdann, und an Unterhaltung soll es Ihnen gewiss nicht fehlen. Übrigens für heute empfehle ich mich, und wünsche Ihnen angenehme Ruhe.

 

––––––––––––––––––––––|[171] 

 

Quelle: Rudolf Erich Raspe: Gulliver revived, London 1786:

besetzt werden: Bürger hat die bei Raspe folgende Jagdgeschichte nicht übernommen. Sie geht auf eine Hieronymus von Münchhausen direkt zugeschriebene Schnurre zurück, die der Bibliothekar und Publizist Heinrich August Ottokar Reichard (1751-1828) überliefert wurde, der u. a. in Göttingen studiert hat.

Besuchen Sie mich alsdann: Raspe beendet seine Erzählung mit einer kurzen Episode „Since my arrival in England“, in der er auf dne England-Aufenthalt Omais von Thahiti hinweist, dem er wahrscheinlich auch in London persönlich begegnet ist. Vergl. Dawson 1984, S. 212.

Mai (um 1751-1780), wegen des polynesischen Artikels O als Omai bekannt, war der erste Polynesier, der die britische Insel besuchte und später wieder in seine Heimat zurückkehrte.

Omai war der Sohn eines Landbesitzers auf der Insel Ra'iatea. Nach Kämpfen mit Angreifern aus Bora Bora, bei denen er seinen Vater verlor, musste er als Kind nach Tahiti fliehen. Dort wurde er 1767 Zeuge des ersten Kontakts zwischen Einheimischen und englischen Seeleuten unter dem Kommando von Samuel Wallis.

Im September 1773 ging Omai in Huahine, einer Nachbarinsel Tahitis, an Bord der Adventure, die unter dem Kommando von Tobias Furneaux James Cook und die Resolution auf Cooks zweiter Südseeexpedition begleitete. Omai machte die Bekanntschaft von Johann Reinhold Forster und dessen Sohn Georg Forster und befreundete sich unter anderem mit James Burney, einem Bruder der Schriftstellerin Fanny Burney.

Im Juli 1775 erreichte er auf der Adventure, inzwischen ein ordentliches Mitglied der Schiffsbesatzung, England, wo sich unter anderen Joseph Banks sowie Lord Sandwich, der Erste Lord der Admiralität (Marineminister), seiner annahmen. Als Prinz tituliert, wurde er in die höchsten Kreise eingeführt, den Mitgliedern der Royal Society vorgestellt und sogar dem britischen König Georg III. Dieser befahl, ihn gegen die Pocken impfen zu lassen. Dadurch entging er dem Schicksal seines Landsmanns Autourou, der bereits 1769 mit Louis Antoine de Bougainville nach Frankreich gereist war, auf der Rückreise nach Tahiti aber an einer Pockeninfektion gestorben war. Aufgrund seines ungezwungenen und angenehmen Wesens verkörperte Omai zeitweise für seine Umwelt das Ideal des sogenannten Edlen Wilden, in dem sich natürliche Unschuld und aristokratische Vornehmheit harmonisch vereinen. Omai wurde mehrfach gemalt, zuletzt von Sir Joshua Reynolds. Das Porträt hängt heute in der Tate Gallery.

Omai kehrte mit James Cook auf dessen dritter Reise 1776 in die Südsee zurück. Er ließ sich, reich ausgestattet, auf Huahine nieder, wo ihm die Engländer ein Haus errichteten. Als William Bligh mit der Bounty 1789 Tahiti besuchte, erfuhr er, dass Omai etwa zweieinhalb Jahre nach James Cooks Abreise im November 1777 gestorben war.
Wikipedia

Raspe erwähnt Sir William Chambers (1723-1796), einen schottischen Architekten und führenden Vertreter des englischen Klassizismus des 18. Jahrhunderts, der 1757 eine erste Schrift über chinesische Gärten veröffentlichte. „William Chambers zeichnete ab 1776 verantwortlich für den Neubau des Someset House am Strand in London, einem riesigen Gebäudekomplex, der verschiedene Regierungsbehörden und wissenschaftliche Institutionen beherbergte. So zog 1780 die Royal Society, der Raspe angehört hatte, dort ein.“
Howald/Wiebel 2015a, S. 96, Anm. 142.

 

Designs of Chinese buildings, furniture, dresses, machines, and utensils. Engraved by the Bes Hands, From the ORIGINALS drawn in China BY Mr. CHAMBERS, Architect, Member of the Imperial Academy of Arts at Florence. To which is annexed, A DESCRIPTION of their TEMPLES, HOUSES, GARDENS, &c. LONDON: MDCCLVII.

 

Raspes Quelle: „Zu Göttingen, an Rühlenders Wirthstafel, [Rühländer, Johann Heinrich: Das von ihm in den Jahren 1764-1802 geführte Speiselokal befand sich in der Jüdenstraßc Nr. 462] machte ich auch die persönliche Bekanntschaft des berüchtigten Freiherrn Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen, dem seine Gewandtheit im Lügen eine Weltberühmtheit erworben und – in Bürgers, nach einem englischen Originale angefertigten Bearbeitung – dem Buchhändler Dieterich 1786 zu einem einträglichen Verlagsartikel verholfen hat. Er speiste oft mit uns als Fremder, wenn seine Angelegenheiten ihn nach Göttingen führten, und einst hörte ich ihn über Tisch ein Märchen erzählen, das, so viel ich weiß, noch nicht gedruckt ist. Er habe, versicherte Münchhausen, auf der Jagd eine Wolke Rebhühner in einer Ackerfurche einzeln hinter einander herlaufend angetroffen, unverzüglich seinen eisernen Ladestock in den Flintenlauf gesteckt und so haargenau geschossen, daß ihrer sieben wie an einem Bratspieße angepflöckt worden wären. Das sei ihm so drollig vorgekommen, daß er die Rebhühner nicht abgenommen, sondern sie rupfen und an dem nämlichen Ladestocke habe braten lassen.“
H[einrich] A[ugus]t O[ttokar] Reichard. (1751-1828.) Seine Selbstbiographie überarbeitet und herausgegeben von Hermann Uhde. Stuttgart 1877, S. 47f.

 

 

Joshua Reynolds: Portrait of Omai, a South Sea Islander who travelled to England with the second expedition of captain Cook. ÖL auf Leinwand, 1776.

 

 

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