Theodor Heinrich Ludwig Schnorr

Nachtrag zu den wunderbare Reisen zu Wasser und Lande

Kopenhagen 1789

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Des

Freiherrn von Münchhausen

Wunderbare Reisen.

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Mit Kupfern.|

 

 

 

Des

Freiherrn von Münchhausen

eigene

Erzählungen.

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Gerade, wenn man die wenigste Gefahr oder gar keine vermutet; so ist sie am nächsten. Ein Beispiel dieser Art lehrt folgende Geschichte.

Noch war ich in Konstantinopel, noch im besten Vernehmen mit dem Sultan – und wäre doch um ein Haar ohne mein oder sein Verschulden um Leib und Leben gekommen. Immer ein Glück, wenn man sich auch in den größten unvorhergesehenen Gefahren zu helfen|[4] weiß. Doch das brauch ich ihnen wohl nicht erst zu sagen. Meine Herren und Damen kennen mich schon.

In sanftester Ruhe lag ich unter den schattenreichen Bäumen des Gartens beim Palaste. Mir nichts, dir nichts, wonnetrunken von den Umarmungen einer schönen circassischen Sultane, die mich zu ihrem Favoriten gemacht hatte und zu der ich gewöhnlich durchs Schlüsselloch schlüpfte, ließ ich es mir gefallen, bei der schwülen Hitze des Tages eine kleine Nachmittagsruhe zu halten. Mein treuer Gefährte, ein Hühnerhund, der mir nie von der Seite ging, lag bei mir. Ehe ich einschlief, wie schon gesagt, beschäftigte ich mich in Gedanken mit meiner Sultane, und ich würde mit den schönsten Bildern der Phantasie eingeschlafen sein, wenn nicht ein besonderer Umstand, der mir in diesem Augenblicke wichtiger als Philosophie und Liebe war, davon abgezogen hätte.

 

 

Hif! Hif! machte mein Hund im Schlafe, verzog die ganze Körpergestalt immerfort, als wenn er im stärksten Laufen wäre. In Betrachtungen, was dem Hunde wohl träumen möchte, schlief ich ein – und der Hund wachte auf. Weil die Hitze so groß war, hatte ich meine Weste aufgeknöpft – mein Hemde batte nach mor|[5]genländischer Art einen weiten Schlitz, dass Brust, Leib und alles bloß war – Der Hund, wer sollte von einem treuen Hunde so etwas je vermuten, springt auf, beriecht, beschnüffelt mich gerade an der Stelle, wo der Magen ist, und fängt da an zu lecken. Er leckt – und leckt sich richtig zum Magen hinein, frißt mir da – zum Unglück für mich musste ich eben Rebhühner gegessen haben, ihm träumt davon, er riecht sie, denkt nicht an seinen Herrn – meine Rebhühner und alles Übrige heraus, zuletzt auch den Magen. Ich liege da. Halb ohnmächtig erwachte ich, da er eben sich am Magen lustig macht. Apport – und er brachte ihn mir zerstückt, zerrissen, und zu Dreiviertel schon aufgegessen. ,,Sultan, Sultan – so hieß mein Hund, wenn ich allein bei ihm war – was Teufel hast du mit deinem Herrn angefangen – Nun magst du das Übrige auch aufs essen“ war alles, was ich ihm sagte. Er verschlangs, und weil er mirs gleich am Gesicht abmerkte, dass ich ihm nicht gut war, fing er ein solches Zetergeschrei an, dass eine ganze Menge Leute, unter andern auch der Leibchirurgus Sr. Hoheit, herbeikam. Gut das, sagte ich bei mir selbst – das Sprechen war mir ziemlich vergangen, wie man leicht denken kann. Ich war noch nicht drei Schritte aus dem Gar|[6]ten, als mir eben ein Schwein zwischen den Beinen durchlief. Gerade zur rechten Zeit, dachte ich – und der Gedanke, ein Schwein ist doch inwendig so gebaut wie ein Mensch, dem Schwein den Magen herauszunehmen, ihn mir durch den Gregor einnähen zu lassen, der Schnitt mit meinem Waidmesser, das Einnähen selbst, alles dies war geschwinder geschehen, als ich dies erzähle – und ich war noch diesmal gerettet. Zu den Feldhühnern war ich auf eine ganz besondere Art gekommen. Den Spaß vergesse ich mein Leben nicht. Ich gebe mit noch einigen andern auf die Jagd und finde eine Kette von 15 Stück, schieße eins, die andern senken sich in ein niedriges Gesträuch. Mein Sultan markiert, wie wir in die Gegend kommen, und es fliegen doch keine Hühner auf. Ich weiß erst gar nicht, was das heißt – Nicht lang – und es wischt ein Fuchs vor mir weg. Ich lege gleich an, schieße zu, und, wie natürlich, der Fuchs macht einige Purzelbäume und mein Sultan apportierte ihn. Als ich ihn ausweiden wollte, bemerkte ich, dass er so gewaltig dick war, und alle erstaunten und dachten so bei sich selbst: was der wohl möchte gefressen haben – Ich schlitzte ihm den Bauch auf – Burr – gings – da flog ein Feldhuhn hin. Ich hielt gleich das Loch zu. Mein Sultan apportierte|[7] das eine, und die andern dreizehn mussten alle, nachdem ich ihnen das Genick eingedrückt, in meine Jagdtasche marschieren. Keiner wunderte sich mehr darüber, als der Sultan, als wir ihm dies des Abends erzählten.

Aber ein fataler Casus. Ich hatte nun einen Schweinemagen. Das Ding war doch nun ganz anders. Mir war auch ganz anders zu Sinne als sonst. Es ging mir ganz wie einem Schwein – so dass ich nun beinahe auf den Gedanken geriet: die Seele müsse ihren Sitz im Magen haben. Dem sei nun, wie ihm wolle – Ich aß alles gern, was ein Schwein aß. Oft konnte ich mirs nicht erwehren, mich gerade wie sie in die Schwemme zu legen und mich im Kot herumzuwälzen; so dass ich einst zum Spott aller recht gebadet zu Hause kam. Auch grunzte ich mitunter, wenn ich nicht an meine schweinische Natur dachte, wie ein Schwein. Das war nun dem Großsultan gar nicht angenehm. Man sann hin und wieder darauf, Münchhausen einen andern Magen zu geben. Man betete in allen Moschen. Der Divan wurde zusammenberufen. Alles zerbrach sich die Kreuz und Quer die Köpfe. Auch das Collegium Medicum fands bedenklich und wusste nicht zu raten. Ein Kloster in der Gegend|[8] war dafür bekannt, dass es alles Ungemach des Lebens wegbeten konnte. Man unterließ nicht, den alten Mütterchen drin ansehnliche Geschenke zu machen, dem Herrn von Münchhausen seinen Schweinsmagen in einen menschlichen zu verwandeln. Sie beteten genug zu Morgen, zu Mittag, zu Abend, zu Mitternacht, schlugen jedesmal die Glocke dazu. Nichts wollte helfen. Mühe und Arbeit waren umsonst.

Ein berüchtigter Scharfrichter war auch in der Nähe. Auch er wurde konsultiert. Er war der Meinung, der Magen müsse umgekehrt werden, dass das Innere außen käme. Allein Münchhausen war kein Narr, sich dieser mutmaßlichen Kur zu unterziehen.

In meiner Angst ging ich zu einem Iman, von Natur ein Wahrsager und Zeichendeuter. Viel hatte ich von seiner Geschicklichkeit rühmen hören. Ich erzählte ihm die Geschichte. Er lachte, sah mich lange an, und wog genau mein Gesicht gegen die Zechinen, die ich ihm geben würde. Ich merkte das Ding längst, und dachte eben an das, was ich wohl mal in meiner Jugend vom Vater seliger gehört hatte:

Pfaffen Geiz und Gottes Barmherzigkeit
Dauern von nun an bis in Ewigkeit.|[9]

Und fand diesen Sinnspruch auch unter den Geistlichen dieses Volks bestätigt. Er grunzte viel in seinen grauen Bart, was er auch für sich hätte behalten können. Ich verstand indessen so viel: daß nach 7 mal 7 und noch einmal 7 und 77 mal 777 Zirkulationen mein Schweinsmagen zum Menschenmagen werden würde. Damit musste ich mich trösten. Ich grunzte ihm mein Kompliment, drückte ihm voll Unwillen einige Zechinen in die Hand, und ging meines Weges.

Der Sultan war sehr empfindlich, dass auch dieser Spaß nicht hatte glücken wollen. Ich merkte es ihm an, dass ihm meine Gegenwart nicht mehr so angenehm war. Meine hypochondrische Laune trug denn auch sehr viel dazu bei. Vorher war ich der lustigste Spaßmacher von der Welt, und nun auf einmal so Misanthrop.

Seine Hoheit hatten also beschlossen, meiner los zu werden, mich an den Hof nach Marokko zu senden. Alles war schon eingerichtet, in zwei Tagen sollte ich abreisen – als mir plötzlich der Gedanke einfiel, der mir sehr zur rechten Zeit gekommen wäre, wenn er einige Wochen früher sich eingestellt hätte – Allein wer kann für seine Schicksale?|[10]

Erzählungen: Schnorr kopiert die Überschrift von Bürgers ersten Jagdgeschichten.

Konstantinopel: Die Zeitangabe und der Hinweis auf das unbegrenzte Zutrauen des Sultans verweist auf Bürgers fünftes See-Abenteuer, in dem der Freiherr im Auftrage des 27. Sultans des Osmanischen Reiches und 106. Kalif des Islam, Abdülhamid I. (1725-1789), eine diplomatische Mission nach Ägypten unternimmt. Nun aber wird er zum König von Nubien nach Sennar gesandt; bei der Audienz lässt er dem Herrscher sagen: „Sultan Selim entbietet dem Beherrscher aller barbarischen Staaten seinen Gruß, und versichert ihn seiner ebenmäßigen Huld und Gnade.“

Schnorr stellt sich also einen anderen Zeitpunkt für diese Reise vor, nämlich die Regierungszeit von Selim III. (1762-1808), der von 1789 bis 1807 das Osmanische Reich regierte. Selim war ein Sohn des Sultans Mustafa III. und einer Georgierin und folgte seinem Onkel Abdülhamid I. auf dem Thron.

Sultan: Selim III. (1762-1808), Sultan von 1789 bis 1807 in Konstantinopel.

 

Konstantin Kapıdağlı: Sultan Selim III in Audience. 1803.

circassischen Sultane: Sultanin, Frau des Sultans. Die Tscherkessen oder auch Zirkassier (englisch Circassians) sind ein kaukasisches Volk, die sich selbst Adyge nennen. Einen Beleg aus dem 18. Jahrhundert bietet das Grimmsche Wörterbuch: bey dem circassischen frauenzimmer in Moscau werden noch bisz itzo zwey schwartze wülste auf dem kopffe getragen Amaranthes frauenz.-lex. (1715). (DWB)

durchs Schlüsselloch: Die Sage erzählt, dass Geister durchs Schlüsselloch kommen und wachsen, wenn sie im Zimmer sind. Sie steige stets über den Kopf des Schlafenden ins Bett hinein.

Hühnerhund: Von ihm erzählt Bürger in: Des Freiherrn von Münchhausen Eigene Erzählung.

Magen: Diese Erzählung Schnorrs verweist auf eine komplexe Rezeption in Dänemark:

“Kierkegaard’s conception of Münchhausen is remarkably simple. The Münchhausen stories to which he refers are just two, possibly three, in number, in addition to which comes the overall impression of Münchhausen as a liar, braggart, fantasist, and so on. The stories are the bog/pigtail incident and the tale of Münchhausen’s dog wearing its legs down by running. In addition, Kierkegaard may be said to allude to the story of Münchhausen’s dog eating its master’s stomach.” […]

There are a total of fourteen explicit references to Münchhausen in Kierkegaard’s corpus, and with two exceptions they all fall within his published writings—from The Concept of Irony (1841) to The Moment (1855). […]

In Stages on Life’s Way (1845) Kierkegaard envisions the scenario of an individual eating his own stomach.”
Anders Rendtorff Klitgaard: Münchhausen: Charlatan or Sublime Artist. In: In: Katalin Nun and Jon Stewart (Hrsg.): Kierkegaard's Litery Figures an Motifs. Tome II: Gulliver to Zerlina. New York 2015, S.140ff.

Stages on Life's Way (Danish: Stadier paa Livets Vej) is a philosophical work by Søren Kierkegaard written in 1845. The book was written as a continuation of Kierkegaard's masterpiece Either/Or. While Either/Or is about the aesthetic and ethical realms, Stages continues onward to the consideration of the religious realms.
Wikipedia

Søren Aabye Kierkegaard (1813-1855) konnte folgende Quellen verwenden:

Baron von Münchhausens Reiser og Eventyrer. Oversat af F. L. Fabricius. Student. Kiøbenhavn, 1800. [Bd. 1]

Baron von Münchhausens Reiser og Eventyrer. Ander Bind. [Bd 2]

Baron von Münchhausens Reiser og Eventyrer. Tredie Bind. [Bd. 3]

Bd. 1 nach Bürger 1788, Bd. 2 nach Schnorr 1789, Bd. 3 nach Schnorr 1794]

Eine vollständige genau dem Text folgende Übersetzung; Bd. 2 ohne Prolog und Vorerinnerung; Bd. 3 mit Dedication und Vorerinnerung, ohne „Ein Traum“.

Baron von Münchhausens vidunderlige Reiser, Feldttog og Hændelser, fortalte af ham selv. Adgivne af A. C. Hanson, Lærer ved Garnisons Sogns Skole. Roskilde 1834.

Eine Mischung von Texten aus Bürger 1788 sowie den beiden Münchhausiaden von Schnorr 1789 und 1794.

Leibchirurgus: Wundarzt, der die Person eines großen Herren betreut.

Gregor: männlicher Vorname von griech. grēgoreō, „ich wache, ich bin auf der Hut“; substantivisch: „Wächter, Hüter, Hirte“.

Feldhuhn: Rebhuhn

fataler Casus: peinlicher Vorfall

Schweinemagen: Endlich möge noch der Schwank: „Der bauer mit dem sewmagen“ erwähnt sein, welcher bei Hans Sachs ebenfalls nicht in der Form einer Lüge erscheint, vom Fortsetzer des Münchhausen aber als solche verarbeitet wurde. Schon bei Fischart, der diesen mit den Märchen, namentlich dem von den drei Feldscherern (bei Grimm Nr. 118), verwandten Schwank auch erzählt, trägt er mehr den Charakter einer Lügenschnurre, und es mag wohl sein, dass er als solche im Volke umlief.
Müller-Fraureuth 1881, S. 64f.

 

  

Das ander Buch Sehr Herrliche Schöne Artliche vnd gebundene Gedicht mancherley art. Als Tragedi, Comedi, Spiel, Gesprech, Spruech vnd Fabel, darinn auff das kuertzt vnd deutlichest an Tag gegeben werden, viel guter Christlicher vnd sittlicher Lehr, auch viel warhaffter vnd seltzamer Histori, sampt etlichen kurtzweyligen Schwencken, doch niemandt ergerlich, sonder jedermann nuetzlich vnnd gut zu lesen. Dreyhundert vnd zehen stueck vorhin im ersten Buch noch sonst im Truck nie gesehen noch außgangen. Durch den sinnreichen vnd weyrberämten Hans Sachsen ein Liebhaber Teutscher Poeterey, mit Fleyß in diß ander Buch zusamen getragen. Gedruckt zu Nürmberg durch Christoff Heußler, Anno Salutis M.D.LX. Jar.

Schwemme: Tierschwemme, seichte Stelle in einem Gewässer

Divan: Ratsversammlung oder Behörde in der islamischen Kultur

Collegium Medicum: Das Collegium medicum und ab 1724 das Collegium medico-chirurgicum waren Einrichtungen zur Kontrolle der theoretischen und praktischen Unterweisung von Ärzten und Wundärzten sowie städtische Aufsichtsbehörden (heute Gesundheitsbehörden) für medizinische und pharmazeutische Berufe. Das Collegium medicum wurde im Heiligen Römischen Reich vielerorts zur Weiterentwicklung der Inneren Medizin und zur Verbesserung und Vereinheitlichung der chirurgischen Ausbildung, die seit dem Konzil von Tours im 12. Jahrhundert von den handwerklich ausgebildeten Badern, Barbieren, Feldschere und Wundärzten ausgeübt wurde, gegründet.
Wikipedia

Iman: Im Koran Imam die Bedeutung von „Vorsteher, Vorbild, Richtschnur, Anführer“. In der klassisch-islamischen Staatstheorie bezeichnet er das religiös-politische Oberhaupt (als geistliches Haupt) der islamischen Gemeinschaft in Nachfolge des Propheten und Religionsstifters Mohammed. Daneben wird auch der Vorbeter beim Ritualgebet (als Priester bzw. Vorsteher des Kultus) Imam genannt.
Wikipedia

Zechinen: Geldmünze

bis in Ewigkeit: Verhöhnung der Segensformel: Ex hoc nunc et usque in sæculum (Von nun an bis in Ewigkeit).

Zirkulationen: lat. circulatio 'umlauf, kreislauf'; ausdruck alchimistischer, vorwissenschaftlicher naturkunde (DWB), vorwiswsenschaftliche Methode zur Läuterung und Reinigung von Körpersäften.

Kompliment: lobende, schmeichelhafte Äußerung, die jemand an eine Person richtet, um ihr etwas Angenehmes, Erfreuliches zu sagen.

hypochondrische Laune: eingebildete Beschwerden

so Misanthrop: ein Menschenfeind

 

Der Misanthrop (Gemälde von Pieter Brueghel dem Älteren, um 1568.

Hof von Marokko: Während der Alawiden-Herrschaft war Fez Hauptstadt des Königreichs Marokko.

 

Statuum Marocca Norum, Regnorum nempe Fessani Maroccani, Tafiletani et Segelomessani secundum suas Provincias accurate divisorum. Kolorierte Kupferstichkarte von J. B. Homann, 1728.

 

Der Sultan hatte mir vor nicht gar langer Zeit eines seiner schönsten Pferde, den schönsten Läufer, geschenkt. Ich hatte ihn fürtrefflich dressiert. Besonders übte ich ihn darin, Sätze zu machen, Anfangs von 9, darauf von 12 Schritt, und so immer weiter, bis ich es dahin brachte, dass er auf 36 Schritte weit in einem Satze sprang. Auch ließ ich eine eigene Rennbahn machen, wo unten der Boden mit lauter sehr spitzigen Stacheln ausgeschlagen war. Auf diesen Stacheln musste er reiten, um die größtmöglichste Leichtigkeit und Schnelligkeit zu bekommen. Alle diese Übungen hatte ich bei Nacht mit ihm angestellt. Als ich ihn vollkommen genug glaubte, ließ ich ein Wettrennen ausschreiben. Alle Kavaliere stellten sich ein. Alles zog in feierlichem Pomp hinaus vor das Tor von Konstantinopel. Mit meinem schönen Schnellläufer gewann ich alle Wetten von 100 bis 10000 Zechinen – und zuletzt machte ich noch einen Spaß, der Allen die Köpfe umdrehete. Ich schnellte in die Höhe, machte Sätze von 36 Schritt Länge, 36 Schritt Breite, und 36 Schritt Höhe, erst über alle Zuschauer weg, derer sich da eine Million versammlet hatten. Und nun ritt ich mit meinem leichten, schnellfüßigen Tartar über ein stundenlanges Weizenfeld in 15 Minuten hin und her, so schnell wie ein Vogel fliegt, ohne|[11] eine Ähre zu beugen, noch weniger einzuknicken. Hätten sie dies vorhergesehen, die Muselmänner würden sich bedankt haben. Münchhausen zog mit Sieg und Pomp, mit Sang und Klang an der Seite des Sultans, von Neidern und Gaffern begleitet, ins Tor von Konstantinopel. – und was das Beste war, ich hatte meinen Magen so zusammengeritten, dass er zum Menschenmagen geworden war. Werʼs lieset, der merke drauf, meine Herren. Natur geht über alle Quacksalber, Betschwester, Betbrüder und Beutelschneider.

Münchhausen zu Ehren war Oper und Ball, und als man nach Hause fuhr, alles erleuchtet und mit schönen Devisen ausgeschmückt.

Alles war zur Abreise fertig, Ich beurlaubte mich, erhielt meine Kreditive, nahm Abschied, und fuhr Tages darauf in einer prächtigen Fregatte nach Marokko.

Auf meiner Reise begegneten mir einige sonderbare Vorfälle, die meine Freunde in Erstaunen setzen werden. So fabelhaft sie scheinen, so wahr sind sie doch. Denn sie sind mir wirklich begegnet – Und einem Münchhausen kann man alles zutrauen.

Zween vornehme Kavaliere, die mich begleiteten, hatten die Seekrankheit. Münchhausen|[12] wusste von diesem Übel nichts. Sein Magen war wie Eisen und Stahl. Diese hingegen waren wirklich traurig daran. Ich habe ihnen manchesmal mitleidig zugesehen. Alle Augenblicke appellierten sie, und so sonderbar, dass, wenn der eine appellierte, es der andere verschlang, und so umgekehrt. Possierlich anzuschauen, wie einer um den andern sich bene tat.

Ein junger Walfisch kam immer an Bord. Er sah recht freundlich aus. So oft ich ihn sah, fütterte ich ihn; und dies mochte die Ursache sein. Er begleitete uns auf der ganzen Fahrt. Oft streichelte ich ihm seinen Kopf. Einst kam mir gar mal die Lust an, mich auf das Tier zu setzen. Es ging. Alles lobte die Wundertaten des Herrn von Münchhausen. Alles erscholl von lautem Jubel. Das Meer widerhallete von Händeklatschen. Manche halbe Stunde bin ich zum Vergnügen der Gesellschaft neben dem Schiffe hergeritten. Aber einmal wäre es mir beinahe übel ergangen. Ich kitzelte ihn ein wenig zuviel hinter den Ohren – er tauchte mit mir unter und wollte mich sehr wahrscheinlich mal in seiner Klause traktieren. Wäre er aber nicht gleich wieder heraufgekommen, so wäre es um Münchhausen geschehen gewesen, Ich trauete ihm nicht wieder.|[13]

 

 

Aber mit einem Haifische gings mir possierlich. Auch mit ihm hatte ich so mein Fest. Ich gab ihm zu essen, und er verstund mich einst unrecht. Er schnappte zu, und im Hui war ich in seinem Rachen. Aber mit eben der Schnelligkeit hatte ich ihm dafür hinten von inwendig seinen Schwanz gepackt. So wie ich ihm nun das Inwendige herauszog, und ihn wie einen Handschuh umkehrte – sie erinnern sich doch noch an den Wolf – so kam ich heraus. Nun konnte ich aber nich ablassen, weil sein Inwendiges wie Pech festklebte. Er schluckte wieder zu, und ich fuhr hinein; so ging das immer heraus, hinein; heraus, hinein. Alle wollten sich zu Tode lachen über das seltsame Spektakel, das ich ihnen gab. Als ich ihn aber einige 10mal links gemacht hatte, fassten mich Einige von den Bootsknechten, die in den Kahn gestiegen waren, um dem Dinge zuzusehen, beim Bein, zogen mich herauf, und brachten mich so wohlbehalten samt Fische aufs Verdeck.

Man gratulierte mir zu dem herrlichen Kampf, und besonders der Schiffskapitän hielt noch seinen Bauch vor Lachen und sagte: Michael könnte mit dem Drachen nicht besser gefochten haben, als ich mit dem Haifisch.|[14]

Als wir so eben mit dem Haifische zu tun hatten, der doch, ungelogen, über 2000 Pfund hatte, hörten wir eine heftige Kanonade, und sahen in demselben Augenblicke 2 Flotten, in Linien formiert in vollem Treffen vor uns. Der Wind trieb uns, alles unsers Bemühens ungeachtet, gerad auf sie los – und dies mit einer solchen Schnelligkeit, dass wir nicht Zeit hatten, zu untersuchen, was es für Flotten waren. Die Kugeln flogen links und rechts um unsere Köpfe. Schon hatte ich 3 Stück von 24 Pfund jede aufgefangen, die mir richtig meinen Schädel zersprengt hätten. Das eine Schiff, welches mir zu nahe kam, packte ich sogleich vorn am Kiel und schleuderte es eine Englische Meile weit weg. Da ich mich nun so ein wenig in Ruhe sah, dachte ich: Ehe du weiter in Gefahr kommst, sollst du dich lieber so geschwind als möglich davon machen. Ich resolvierte mich kurz und gut, nahm meinen Schnelläufer, setzte mich darauf, und so im vollen Galopp davon. Zwölf Stunden und einige Minuten war ich geritten, als ich, ohne im mindesten nur Zeichen des kleinsten Wassertropfens an mir zu haben, in Marokko ankam.

Läufer: oder Renner bezeichnet ein schnelles, gutes Reitpferd

dressiert: Das Dressurreiten hat das rittige Pferd zum Ziel, das auf minimale Signale hin zum exakten Ausführen einer gewünschten Aufgabe veranlasst werden kann. Die dressurmäßige Ausbildung des Pferdes stellt die Grundlage jeder reiterlichen Betätigung dar und findet ihre Vollendung in der Hohen Schule. Maßgeblich für die Ausbildung aller Pferde in der Dressur ist die sogenannte Skala der Ausbildung.
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Ganz anders bei absichtlosen Erdichtungen, die sich als Wahrheit ankündigen. Denken wir z. E. an die großen Regen- und Wind- Fässer der Indier, von denen bei Philostratus im Leben des Apollonius zu lesen ist, oder sonst an irgend eines der tausend geographischen und naturhistorischen Mährchen, die seit Aristeas dem Proconnester (Herodot. IV. 14, 15) im griechischen Alterthum, und anderwärts noch reichlicher herumspuken, so werden wir wahrnehmen, daß uns solche Fabeln und Fratzen unbehaglich, ja fast ärgerlich sind, weil sie uns ohne alle Noth und unter dem schreienden Widerspruche des Verstandes und der Erfahrung als baare Wahrheit verkauft werden; nur dann nehmen wir ein en solchen Betrug als gefällige Täuschung auf, wenn wir durch ein anmuthiges Spiel der Phantasie in Bildung der Formen und Verbindungen gleichsam bestochen werden.

Dagegen tragen die Münchhausischen Erzählungen den unverkennbaren Stempel der Lüge gleich durch das überall durchblickende Unmögliche, wovon bisweilen eins in dem andern steckt, an sich. Durch diese Offenheit ist dem vielgereisten Herrn ein Privilegium gegeben, in die ausschweifendsten Fictionen, als da sind Hasen mit vier Läufen unter dem Leibe und vieren auf dem Rücken; Windspiele, die sich zu Dachssuchern herunterlaufen; aus den Augen sprühendes Feuer, das Gewehre losbrennt; Ebbe und Fluth und Flotten und eine berathschlagende Versammlung in dem Magen eines Seeungeheuers ⁊c. sich nach Herzenslust zu verlieren. Von dieser Seite betrachtet, ist die Münchhausische Erzählung eine hyperbolische Hyperbel, oder wenn man lieber will, eine recht plump übertriebene Hyperbel, oder auch eine Parodie auf die Hyperbel. Apollonius der Rhodier läßt (I. 179.) den Euphemus, Sohn des Poseidon, – den einer an einem andern Orte, Münchausisch genug, zu einem Stier der Europa gemacht hatte ⁊c (G. H. Schäfer Meletem. Crit. I . p. 127) – über das Wasser laufen, ohne einen Fuß zu netzen, und Virgils Camilla wußte

     im Laufe voran zu rennen den Winden

     Selbst auf dem oberen Grün der unberührten Saatflur

     Flöge sie, ohnʼ in dem Laufe die kindliche Wehre zu kränken.

(Aeneis 7ter Gesang V. 807f. nach Voß.)

Aber mein Hr. von Münchhausen „reitet mit seinem leichten, schnellfüßigen Tartar über ein stundenlanges Waizenfeld in 13 Minuten hin und her, so schnell, wie ein Vogel fliegt, ohne eine Ähre zu beugen, noch weniger einzuknicken.“
A. G. Lange: Literarische Parallelen. Münchhausen und Antiphanes. In: Der Neue Teutsche Merkur. 4. Stück. April 1807, S. 263ff.

Zechinen: Der venezianische Dukat wird auch Zechine oder Zecchine (italienisch zecchino) genannt. Der Name ist von italienisch zecca (deutsch „Prägestätte“, „Münzanstalt“) abgeleitet. In Venedig wurden Dukaten bis zum Ende der Republik im Jahre 1797 mit gleichem Münzbild und nahezu unverändertem Feingewicht (Goldgehalt) geprägt. Damit waren die venezianischen Dukaten über Jahrhunderte die stabilste Währung der Welt.

schnellfüßigen Tartar: Die Tataren ritten ihre Pferde ohne Zaum. Tartar ist ein verbreiteter Pferdename.

Oper und Ball: eine erste Opernaufführung in Konstantinopel fand erst im Jahre 1797 statt.

Devisen: Wahlspruch, Losung

Kreditive: Vollmacht, Beglaubigungsschreiben

in einer prächtigen Fregatte: Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde eine Vielzahl verschieden ausgelegter Kriegsschiffe als Fregatte bezeichnet.

 

Mittelmeer-Anrainer; Mare Mediteranum. Homann, Johann Baptist [Hrsg.]: Atlas novus terrarum orbis imperia regna et status exactis tabulis geographice demonstrans. Nürnberg, [ca. 1729].

appellierten: hier in der Bedeutung sich übergeben

junger Walfisch: Die Delfine oder Delphine gehören zu den Zahnwalen und sind somit Säugetiere, die im Wasser leben. In der griechischen Mythologie tauchen Delfine als Tier der Göttin Demeter auf. Als der Sonnengott Apollon auf einer Insel mitten im Meer geboren wurde, wurde er anschließend von einem Delfin an Land gebracht. Als Sternbild in den Himmel erhoben wurde der Delphin, weil er Poseidon half, die Hand der Meeresnymphe Amphitrite zu gewinnen. In vielen altgriechischen Darstellungen ritten die Nereiden auf dem Rücken von Delfinen. Der aus Neid über Bord geworfene Sänger Arion von Lesbos wurde der Sage nach von Delfinen gerettet.
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Peter Paul Rubens: Amors Ritt auf einem Delphin. Öl auf Holz, um 1637.

in seiner Klause traktieren: In seiner Behausung bewirten

wie einen Handschuh: In einem bei Raspe/Bürger erzähltem Reiseabenteuer heißt es über eine Kampf Münchhausens mit einem Wolf: ich „kehrte sein Äußeres zu innerst, wie einen Handschuh, um, schleuderte ihn zu Boden und ließ ihn da liegen.“

Michael: Der Erzengel Michael tritt in der Offenbarung des Johannes als Bezwinger Satans auf, den er auf die Erde hinabstürzt (Offb 12,7–9).

2 Flotten, in Linien formiert: Münchhausen gerät auf seiner Reise von Konstantinopel nach Marokko in die Seeschlacht von Çeşme (auch Schlacht zu Tschesme), die zwischen dem 5. Juli und dem 7. Juli 1770 in der Nähe der osmanischen Hafenstadt Çeşme (bei Izmir) statfand.

 

Ägäisches Meer, Johann Baptist [Hrsg.]: Atlas novus terrarum orbis imperia regna et status exactis tabulis geographice demonstrans. Nürnberg, [ca. 1729].

 

Der 5. Russisch-Türkische Krieg begann im Jahr 1768, und Russland entsandte mehrere Ostsee-Schwadronen ins Mittelmeer, um die osmanische Aufmerksamkeit von der noch im Aufbau befindlichen neuen Schwarzmeerflotte abzulenken, die erst aus sechs Kriegsschiffen bestand. Zwei russische Schwadronen, angeführt vom Admiral Grigori Spiridow und dem britischen Berater Admiral John Elphinstone vereinigten sich unter dem Oberbefehl des Grafen Alexei Orlow und begannen nach der türkischen Flotte zu suchen.

Am 5. Juli 1770 fanden die Russen die osmanische Flotte vor Anker nördlich der Çeşme-Bucht in der westlichen Türkei. Auch wenn nicht alle Details über die türkische Flotte bekannt sind, gehörten zu ihr 14 bis 16 Linienschiffe, darunter Real Mustafa mit 84 Kanonen, Rhodos mit 60 Kanonen sowie ein 100-Kanonen-Flaggschiff. Zusätzlich bestand sie aus 6 Fregatten, 6 Schebecken, 13 Galeeren und 32 kleineren Schiffen mit einer Gesamtfeuerkraft von 1300 Kanonen. Zehn Linienschiffe mit je 70 bis 100 Kanonen bildeten die türkische Hauptreihe, sechs weitere die zweite Reihe, wobei die Schiffe der beiden Reihen auf Lücke ankerten, so dass die hinteren Schiffe durch die Zwischenräume der vorderen Reihe feuern konnten. Dahinter befanden sich die kleineren Schiffe. Die Flotte wurde von Kapudan Pascha Hosameddin befehligt.

Nach dem zuvor erstellten Angriffsplan segelte die russische Linie auf die südliche Seite der türkischen Hauptreihe zu, drehte dann nach Norden und eröffnete im Vorbeifahren an den türkischen Schiffen das Feuer. Anfangs hatten die Russen Probleme, ihre Formation zu halten, doch mit zunehmender Schlachtdauer gelang es immer besser. Spiridows Flaggschiff St. Eustaphius führte einen Zweikampf mit der Real Mustafa, bis das türkische Schiff Feuer fing. Sein brennender Mast stürzte auf die St. Eustaphius, die ebenfalls Feuer fing. Kurz darauf explodierte Real Mustafa. Georgi Spiridow und der Bruder des Oberkommandierenden Alexei Orlow, Graf Fjodor Orlow, konnten die St. Eustaphius noch rechtzeitig verlassen, bevor sie sank.

Am darauffolgenden Tag, dem 6. Juli, beschossen die Russen den ganzen Tag türkische Schiffe und Ziele an Land. Am 7. Juli sandte Orlow Samuel Greigh mit sieben Schiffen in einer Linienformation gegen die Türken. Bald darauf brannten drei türkische Schiffe, deren Feuer sich schnell auf die gesamte türkische Flotte ausbreitete, bis sie vollständig abbrannte und versank. Der Kampf endete in der Nacht auf den 8. Juli. Die russischen Verluste waren, abgesehen von der Besatzung der untergegangenen St. Eustaphius, minimal. Die Verluste der Türken waren bedeutend höher. Hosameddin Pascha, Hassan Pascha und Dschaffer Bey überlebten. Ersterer wurde als Konsequenz der Niederlage seines Postens enthoben.

 

Vuë de la Ruine, et de L'Embrasement des Flottes Turques dans le Port de Cismin le 7. Juillet 1770.
Ansicht der Zerstörung der türkischen Flotten im Hafen von Cismin am 7. Juli 1770.

 

Die internationale Resonanz auf die Schlacht belegen viele Kupferstiche, die in der zweiten Hälfte des 18. Jhd. weit verbreitet waren.

Im Niederen Großteich Bärnsdorf nördlich von Dresden ließ Kurfürst Friedrich August III. von Sachsen mehrfach die Seeschlacht nachstellen. Er hatte Orlow 1775 in seiner Residenz in Dresden empfangen und sich fasziniert von dessen Schilderungen der Geschehnisse bei Çeşme gezeigt. In der Folge ließ der Kurfürst eine ganze Küstenlandschaft inklusive Miniatur-Dardanellen und eines Hafens mit dem Leuchtturm Moritzburg errichten.

 

Mein Hotel wurde mir sogleich angewiesen, Ich bekam Audienz; überreichte meine Kreditive und|[15] besah alle Merkwürdigkeiten, die unter andern in folgenden bestanden:

 

 

Ein Marstall von des Kaisers Lieblingstieren, deren Verfertigung ich selbst angesehen habe. Bullen (Stiere) wurden zu Stuten gelassen, und Hengste bei Kühe, dann bekamen die Pferde Ochsenköpfe und Pferdeschwänze und die Kühe Pferdeköpfe und Kuhschwänze – ein ganz eigenes Machwerk. – Die einen hießen Maulpferde, die andern Maulochsen, waren schnellfüßiger Art, und nahmen sich beiderseits ziemlich artig, wenn sie mit ihren türkischen Decken, Federbüschen u. dgl. beladen waren. Die Erfindung macht einem denkenden Kaiser Ehre. Er hatte noch im Sinn, wie ich von ihm erfuhr, dem Staat einen wichtigen Dienst darunter zu leisten, Eidechsen mit Tauben zu paaren, um Basilisken herauszubringen – der Grund davon war ein tiefes Geheimnis.

Einen einzigen Elefanten sah ich in der Menagerie, der wohl an Größe alle Elefanten der Erde übertrifft. Wenigstens wollten es mir Ihro Barabarische Majestät völlig glaubhaft machen. Denn er war etwas über 36 Fuß hoch. Er hatte ein eigenes Haus, worin er stand, und ein sehr majestätisches Ansehen.|[16]

Ein schönes Busquet reizte meine Neugierde. Ich ging hinein. Alle Vögel darin, die da doch eigentlich wild zu sein schienen, waren so zahm, dass sie mir auf den Kopf flogen, sich auf meine Schultern regten, sich greifen und streicheln ließen, ohne sich im mindesten darüber zu sträuben. Ich ging bei ihre Nester, sah jung und alt, kribbelte sie unter dem Bauch, wie ich wollte. Besonders schöne Rebhühner und Amseln gabs drin. Ich band ein halbes Dutzend Paar in einen Beutel, schickte sie auf der Post nach Deutschland, und fand sie wohlbehalten in Bodenwerder, in der Gegend, wo ich mein Busquet habe. Daher kömmt, dass diese Tiere so zahm sind.

Die Marokkaner, ob sie gleich nach ihren Gesetzen keinen Wein trinken dürfen; so muss ich doch sagen, sind ihre Kavaliere nicht so streng gegen die Gesetze. Sie haben innen besondere Gemächer, wohinein sie bloß gehen, wenn sie mal zechen wollen. Hier habe ich die Herrn Muselmänner mal so zusammengetrunken, dass sie noch an mich denken. Unser sieben Personen tranken in einer Zeit von 6 Stunden nicht mehr als 25 Anker Wein. Wir hatten es einmal darauf angelegt, recht viel zu trinken, besonders dachten sie mich unter zu kriegen. Aber das bekam dem Hauswirt am wenigsten.|[17]

An demselben Tage kam ich in eine große Fählichkeit zu – rümpfen sie die Nase nicht, meine Herren. Das kann manchem ehrlichen Mann begegnen. Wie es auch eben so gut kommen kann, dass der große Hosenknopf nicht recht einpasst, oder gar abreißt, wenn man seine Därme so aufgepustet hat. Was tuts? Guckt ja wohl mal ein ehrlicher Mann aus seiner Haustür, sagte mein Großvater seliger, als es ihm so ging. Doch dies in Parenthese. Wir kommen sonst von unserm Ziele ab. – Ich saß auf einen alten Burgemeister – denken Sie aber hier nicht an unsern guten alten Lindenberg, der würde schwerlich auf sich sitzen lassen. In Züchten und Ehren sei es gesagt: Ich saß auf einem morschen Abtritt. Dachte hier, wie es oft zu gehen pflegt, und wie es die Herren auch wohl machen, die vornehmsten Auftritte meines Lebens durch. Ich hatte ziemlich Gewicht, wie man leicht denken kann, und hielt mich, da es nicht so gehen wollte – sie wissen: Gelehrte haben Obstruktion, auf Deutsch: sie werden vom Teufel übel geplagt – ein wenig lang. – Knacks gings und knitter knatter; knitter knatter puff segelte ich 9 Klafter tief – „Adieu, ihr|[18] Herren ! Wohin meinen Sie? In die Suppe?“ Nein. Die Schwere meines Körpers brachte mich sogleich ohne allen Anhängsel oder Geruch in eine unterirdische Höhle. Ich freuete mich, dass es so glücklich abgegangen war, und stopfte sogleich das Loch mit meinem Schnupftuch zu. – Fort war ich indessen. Man hatte mich bei der Gesellschaft vermisst. Denn man konnte es bald merken, wenn Münchhausen fehlte. Man suchte mich, man kam zum Burgemeister. – – Man schrie, man winselte, man ließ Leute kommen, sie stiegen hinein – Ich machte meine Klappe auf, und sie spazierten hinein. Schon waren drei weg, und man wusste nicht, wo sie geblieben waren. – Das Projekt mit dem Suchen wurde aufgegeben. Man glaubte mich samt den Leuten erstickt – und ich hatte die beste Gesellschaft, nur mit dem Unterschiede, dass sie nicht gut roch. Der Kaiser ließ Befehl geben, andern Tags den Wirt, der nicht besser für Standfestigkeit gesorgt, zur Warnung für andere in Teer umzuwenden, und so am Spieß, zu braten. Wir arbeiteten uns indessen tapfer durch, und kamen endlich zu unserm Erstaunen in einen Keller. Wir spazierten die Treppe hinauf. Frauenzimmer, die uns embrassieren wollten, sahen wir um uns herum in großer Menge, die, sobald|[19] sie unsern Geruch der Unheiligkeit witterten, geschwind in ihre Zellen liefen und sich verschlossen. Sie waren heiligere Gerüche gewohnt. Als ich mich näher erkundigte, befand sichs, dass wir im Serail Seiner Marokkanischen Majestät waren, und dass dies ein unterirdischer Gang wäre, der von hier zu einem nahegelegenen Mönchskloster und von diesem zu dem Serail ging, wo immerwährend nächtliche Wallfahrten von Seiten der vom Sultan unberuhigten Damen unterhalten wurden. – Wer hätte das hier denken sollen Ich zeigte diese Entdeckung, die doch durch, meine erstaunten Mitgefährten ausgekommen sein würde, sogleich an – und erhielt dafür recht ansehnliche Geschenke. Das Kloster wurde so gleich mit allem, was drin war, ins mittelländische Meer transportiert – das ganze Serail bis auf eine meistbietend verkauft, und so dem Gräuel ein Ende gemacht. Fallen Sie auch so gut, meine Herren! Glückliche Reise! wenns mal so geht.

Als ich kaum vier Wochen hier zugebracht hatte, wurde ich mit wichtigen Aufträgen zum Gesandten an den König von Nubien nach Sennar bestimmt. Unsre Reise ging auf Kamelen vor sich.

Ich will nur bloß das Wichtigste, was sich zwischen tausend aben|[20]teuerlichen und unabenteuerlichen Geschichten während der langen Reise zutrug, erzählen, weil ich weiß, dass meinen Lesern mit dem Übrigen wenig gedient ist.

Ein Löwe, der hungrig durch die Sandwüste irrte, war das erste, woran ich meinen Gefährten einen Beweis von meinen Verdiensten geben konnte. Er war entsetzlich grimmig, Feuer sprühete ihm aus seinen Augen, so dass einem Sklaven die ganze Oberfläche seiner Hand, wohin ein solcher Funke gefallen, inflammiert war. Wir gingen beide mit Löwendreistigkeit und Herzhaftigkeit auf einander los, stunden eine Weile, machten uns zum Angriff gefasst; legten zugleich Hand an, krangeten uns erst eine Weile herum – Er warf mich hin, ich bekam aber durch den Wurf so viel Elastizität, dass ich oben auf ihm zu liegen kam, wo ich ihn erst bei der Gurgel packte, dann aber ins Maul griff, und ihn so mit beiden Händen mitten durchriss; so, dass ich in jeder Hand eine Hälfte hatte. Nun hatte man gewaltigen Respekt für mich. Alles freuete sich, von dieser Gefahr erlöset zu sein, und bejammerte Nichts mehr, als dass das schöne Löwenfell in zween Stücke zerrissen sei. Hätte ich das gleich bedacht, ich hätte es ihm über die Ohren gezogen.|[21]

 

Mein Hotel: Münchhausens Herberge in Fez.

Kreditive: Münchhausen hätte sein Beglaubigungsschreiben in der Residenz des Herrschers abgeben können. Sultan Mulai Muhammad III oder Sultan Sidi Mohamed ben Abdallah (1710-1790) war von 1757/1759 bis 1790 marokkanischer Herrscher aus der Dynastie der Alawiden. Am Anfang der Alawiden-Dynastie (Ende des 17. Jahrhunderts) richtete Mulai Ismail seine neue Hauptstadt in Meknès ein. Er siedelte in Fès einen Teil der Sippe der Udaia an, die ihm bei seinem Machtkampf geholfen hatte. Nach seinem Tod (1727) revoltierten die Udaia, sie wurden aber erst 1833 durch Abd er Rahman aus der Stadt vertrieben. Mulai Abdallah, der Nachfolger von Mulai Ismail, machte Fès zu seiner Residenz und ließ Moscheen, Madrasas, Brücken und Straßen erneuern oder neu bauen; die Straßen von Fès el Jedid wurden gepflastert.
Wikipedia

 

Sultan Mulai Muhammad III

alle Merkwürdigkeiten: alles, was sich lohnt, gesehen zu werden; die Altstadt von Fez gilt heute als Musterbeispiel der orientalischen Stadt.

 

Jaques-Nicolas Bellin: Carte des royaumes de Fez et de Maroc 1770.

Basilisken: antikes Fabelwesen. Im Laufe der Jahrhunderte, besonders im Mittelalter, veränderte und verfeinerte man die Darstellung des Mischwesens: Einem Basilisken wurden zwei oder mehrere Vogelbeine, Flügel, Federn oder sogar ein Menschenkopf hinzugefügt. Die Veränderungen waren derart gravierend, dass man bis heute in manchen Kulturen (vor allem im angloamerikanischen Sprachraum) sprachlich zwischen dem ursprünglichen Basilisken (= Basilisk ohne Flügel) und einem Cockatrice (= Basilisk mit Flügeln) unterscheidet. Der Blick eines Basilisken versteinert oder tötet. Sein Atem ist tödlich giftig. Zedlers Universallexikon beschreibt den Basilisk noch getreu nach den überlieferten Vorstellungen, geht dann aber kritisch mit Einzelfällen ins Gericht. Er berichtet unter anderem von betrügerischer Basiliskenschau in Deutschland im Jahr 1671, die entlarvt wurde. Es folgt eine aus heutiger Sicht amüsant anmutende „wissenschaftlich-kontroverse“ Darstellung, warum Hähne keine Eier legen können. (Wikipedia) Basiliscus, Regulus. In: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Band 3, Leipzig 1733, Sp. 599–560.

 

Ein Basiliskenbild aus dem Serpentum et draconum historiae von Ulisse Aldrovandi von 1640

VLYSSIS ALDROVANDI PATRICII BONOBIENSIS & SERPENTVM ET DRACONVM HISTORIÆ LIBRI DUO BARTHOLOMÆVS AMBROSINVS […]. BONONIÆ MDCXXXX.

Barbarische Majestät: Schnorr bezeichnet den Marokkanischen Herrscher als Ihro Barabarische Majestät, da vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert die Staaten in der Region des Sultanat Marokko und die osmanischen Regentschaften Algier, Tunis und Tripolis, Barbarei genannt wurden.

Busquet: Boskett (Neutrum das Boskett, Plural auch die Bosketten/die Boskette, von französisch le bosquet „Wäldchen“, „Gehölz“ oder „Dickicht“, auch „Korb“ von engl. basket) ist ein „Lustwäldchen“ innerhalb eines geometrisch gestalteten barocken Schlossgartens. Es ist eine Form einer speziellen, aufwendig gestalteten Gartenanlage und gehört zum schematischen Aufbau fast aller Barockgärten.
Wikipedia

Anker: Weinmaß; in Hannover entsprachen 4 Anker einem Ohm (155,76 Liter).

ein ehrlicher Mann aus seiner Haustür: Redewendung im Sinne von Wer ehrlich ist, braucht nicht viel Heimlichkeit.

in Paranthese: ein rhetorisches Mittel des Satzbaus, wobei ein Gesamtsatz durch einen Einschub unterbrochen wird.

Burgemeister oder Burgmeister: anderer Name für Abort, der abgelegene ort, abtritt, heimliches gemach (DWB)

Lindeberg: Friedrich Ludwig Lindenberg, Bürgermeister von Bodenwerder; in der Stadtchronik erwähnt 1774 und 1790.

Obstruktion: Verstopfung oder Verengung

Fauenzimmer: Als Frauenzimmer bezeichnete man an Höfen des 15. Jahrhunderts den gesamten Hofstaat einer adligen Hausherrin sowie ihre Gemächer. Dazu konnten mehr als 50 Personen beiderlei Geschlechts gehören. Der Begriff Frauenzimmer wird seit dem 17. Jahrhundert auch auf einzelne Frauen angewandt.
Wikipedia

embrassieren: umarmen, küssen

Glückliche Reise! Wenns mal so gaht.: Vorbild für diese Szene sind die deftigen Fäkalspäße und sexuellen Andeutungen, mit denen sich der Hanswurst in Stücken des Jahrmarktstheaters und der Wanderbühnen des 18. Jahrhunderts empfiehlt.

König von Nubien: Von 1768–1776 war Isma'il (1736–1776) Herrscher des Königreichs Sennar. Er war der Sohn des Königs Badi IV. und Bruder seines Vorgängers Nasir.

James Bruce von Kinnaird (1730-1794), schottischer Reisender und Reiseschriftsteller, der mehr als ein Dutzend Jahre in Nordafrika und Äthiopien verbrachte, wo er die Ursprünge des Blauen Nils entdeckte, war vom 1. Mai bis 5. September 1772 sein unfreiwilliger Gast und behandelte als Arzt drei Frauen Isma'ils.

 

Pompeo Batoni: James Bruce of Kinnaird, Afrikaforscher. Öl auf Leinwand 1762.

Sennar: Sannar, arabisch Sannār; auch Sennar oder Sinnar war von 1504/5 bis 1821 die Hauptstadt des Sultanats von Sannar (Reich der Funji). In der weitläufigen Stadt gab es mehrere Wohnquartiere, die um den großen Markt am Nilufer verstreut lagen.

Feuer sprühete ihm aus seinen Augen: Schnorr variiert die Jagdgeschichte bei Bürger im Kapitel Des Freiherrn von Münchhausen Eigene Erzählung, in der Münchhausen sich auf sein Auge haut, um Funken für die Pulverpfanne zu schlagen.

inflammiert: entzündet

krangeten: in der ersten und der zweiten Auflage steht frangeten, ein Druckfehler, richtig krangeln bedeutet sich drehen

mit beiden Händen mitten durchriss: Simson oder Samson (hebräisch שִׁמְשׁוֹן Shimshōn) ist eine Gestalt aus dem Buch der Richter des Alten Testaments und Held des israelitischen Stammes Dan. Als ein Auserwählter Gottes (Nasiräer) blieb er durch seine unbezwingbare Stärke für die Philister unbesiegbar, solange er sein Haupthaar ungeschoren ließ, wodurch er die Unterdrücker Israels oftmals besiegte.
Wikipedia

 

Simsons Kampf mit dem Löwen. Meister Leonhard von Brixen, um 1472

Der Kampf Samsons mit dem Löwen geschieht auf dem Weg zur Brautwerbung nach Timna: „Also ging Simson hinab mit seinem vater und seiner mutter gen Thimnath. Und als sie kamen an die weinberge zu Thimnath, sihe, da kam ein junger löwe brüllend ihm entgegen. Und der Geist des HErrn gerieth über ihn, und zerriß ihn, wie man ein böcklein zerreißet, und hatte doch gar nichts in seiner hand und sagte es nicht an seinem vater und seiner mutter, was er gethan hatte.“ (Das Buch der Richter 14,5-6). Das Leben Samsons wurde zuvor in den bildenden Künsten nur selten dargestellt.

 

 

Noch einen Vorfall vergess ich mein Leben nicht. Ich steige vom Kamel, will in einiger Entfernung hinter einem Strauch etwas verrichten, wobei man nicht gern Zeugen hat – weiß mich vor Hitze nicht zu lassen – nehme meinen Hut ab, und ziehe meine Handschuh aus. In meinem Hause war ich gewohnt, alles an einen Nagel zu hängen. Und hier? – waren nichts weniger als Sonnenstrahlen, die mir zu Gebote standen. Ich hänge alles daran, meinen Hut, meine Handschuh, meine Peitsche – und bekümmere mich nun eine ganze Minute um nichts. Als ich fertig bin, blicke ich auf, suche meine Sachen – und siehe, alles ging im vollen Galopp der Sonne zu. Ich nahm mein Pistol, schoss zu, und traf glücklicher Weise meine Peitsche, die denn im vollen Galopp wieder herunter gestürzt kam. Nur eine Fatalität, ich hatte kein Pulver und Blei mehr – und die andern Sachen kamen selbst unter dem Laden zu weit aus dem Schießpunkt. Noch in demselben Jahr entdeckte sie Herschell in England als große Flecken neben andern. Ich bekam indessen davon meine jetzige zigeunermäßige Gestalt.

 

Herschell: Friedrich Wilhelm Herschel (1738-1822) war ein deutsch-britischer Astronom, Musiker und Komponist. Herschels Interesse lag bei den nebligen Himmelsobjekten. Charles Messier hatte 1780/81 einen Katalog mit 103 nicht-punktförmig („neblig“) erscheinenden Objekten veröffentlicht; die Fachleute waren sich nicht einig, ob es sich dabei jeweils um unzählige Sterne oder aber um leuchtende Wolken oder Flüssigkeiten handelte. Vom Herbst 1782 an suchte Herschel gezielt nach weiteren Objekten dieser Art (bis 1802). Mit seinem überlegenen Gerät stellte er bald fest, dass er mehrere der „Nebel“ in Einzelsterne auflösen konnte. Er vermutete, dass auch die übrigen Objekte Sternhaufen seien und nur deshalb nicht aufgelöst werden könnten, weil sie viel weiter entfernt – und damit auch viel größer – seien als bis dahin gedacht.

Herschel war sich sicher, dass er zahlreiche Beweise für Leben auf dem Mond gefunden hatte und verglich es mit der englischen Landschaft. Er scheute sich nicht davor zurück, die Theorie aufzustellen, dass die anderen Planeten besiedelt seien, wobei er sich besonders für den Mars interessierte, was mit den meisten seiner zeitgenössischen Wissenschaftler übereinstimmte. Zu Herschels Zeiten neigten Wissenschaftler dazu, an eine Vielzahl zivilisierter Welten zu glauben; im Gegensatz dazu verwiesen die meisten religiösen Denker auf einzigartige Eigenschaften der Erde. Herschel ging sogar so weit zu spekulieren, dass das Innere der Sonne besiedelt sei. Die Sonneflecken hielt er für Berge auf ihrer festen Oberfläche.
Wikipedia

 

William Herschel, Gemälde von Lemuel Francis Abbott (1785, Öl auf Leinwand, 76,5 × 63,5 cm, National Portrait Gallery, London)

Die verschiedenen Heiligen endlich, welche an den Sonnenstrahlen ihre Kleider aufhängen, sind ebenfalls dem Geschick nicht entgangen, Vorläufer Münchhausens, wenigstens des fortgesetzten, zu werden.
Müller-Fraureuth 1881, S. 81.

 

Wir kamen in Nubien – und nicht lange darnach in die Hauptstadt desselben Königreichs, Namens Sennar, wo auch der König seine Residenz hat|[22]te. Meine Geschenke, die ich dem Könige zu überbringen hatte, bestanden, wie gewöhnlich, aus schönen Satteln, demantenen Agraffen und andern Kostbarkeiten. Nichts war schwerer als vor den Monarchen gelassen zu werden. Ob man sich gleich im gemeinen Leben dieser beschwerlichen Art nicht bediente; so war sie doch einmal bei öffentlichen Audienzen eingeführt. Nie anders, als singend nach gewissen Tonmodulationen, durfte man erscheinen. Gewisse Leute aus der Hofkapelle waren dazu bestimmt, die, um Geld zu verdienen, die Unterweisung besorgten, das Ding aber so schwierig machten, dass man oft Leute – aber nicht ihre Geschenke – wieder zurückschickte, weil sie die Modulation nicht hatten lernen können. Ich bat mir nur das Formular aus, und legte die Noten*) unter den Text, der nach der Übersetzung ungefähr so lautete:

–––

* Ich könnte hier meinen Lesern die Noten geben , damit sie die genaueste Musik dazu hätten. Um aber meinem Verleger nicht wegen des Notenanschaffens oder Setzens beschwerlich zu sein; so will ich ihnen nur sagen: dass die Musik genau so ging, als gewöhnlich die Kollekten in den Kirchen abgesungen werden. Und sie werden, wie ich hoffe, zumal da Noten nicht Jedermanns Ding sind, wegen den übrigen Noten durch diese eine Note völlig entschädigt sein.|[23]

 

„Großmächtigster Monarch! Sonne der Gerechtigkeit! Unumstößliche Säule deines Reiches. Ich, dein geringster Sklave, unterwinde mich, den Staub unter deinen Füßen zu küssen. Höre mein Flehen, welches ich dir im Namen meines Herrn überbringe. Er bittet deine Barmherzigkeit, dass du ihm wollest günstig sein, und diese Geschenke als von seiner Hand annehmen. Sie wären nur geringe Beweise seiner Huld und Güte. Langes Leben, Heil und Segen wünscht er dir aus der Fülle seines Herzens von dem Beherrscher aller Welten.“

Und alles Volk antwortete: „Amen!“

Eben so wurde von ihrer Seite dieser Gruß erwidert:

„Gütiger, vortrefflicher Mann! wir danken dir, dass du kömmst, uns Beweise der Liebe deines Herrn zu bringen. Wir fallen nieder und beten an zu den Füßen des größten Monarchen. Sage ihm unsern Gruß mit folgenden Worten: Sultan Selim entbietet dem Beherrscher aller barbarischen Staaten seinen Gruß, und versichert ihn seiner ebenmäßigen Huld und Gnade. Freude und Wonne möge lang und dauernd sein gewaltiges Reich überströmen, die Feinde des|[24] Reiches gedemütiget werden und er noch lang in Frieden leben.“

Und alles Volk antwortete: „Amen!“

Weil ich mich hier nicht lang aufhielt, so kann ich meinen Lesern nur wenig Interessantes sagen. Ich könnte ihnen freilich von dem Lande, den Gewächsen darin, von den Eingeborenen, ihren Sitten und Gebräuchen Viel erzählen – Allein, ich weiß, dass sie sich nicht gern mit dergleichen Dingen behelligen. Also von andern Sachen.

 

 

demantenen Agraffen: mit Diamanten besetzte Spangen

 

Africa (Ausschnitt). Homann, Johann Baptist [Hrsg.]: Atlas novus terrarum orbis imperia regna et status exactis tabulis geographice demonstrans. Nürnberg, [ca. 1729].

bei öffentlichen Audienzen: Als Anregung für die Parodie auf eine Audienz an einem exotischen Hofe könnte Schnorr die Reisebeschreibung von Adam Olearius:  Aussführliche Beschreibung Der Kundbaren Reyse Nach Muscow und Persien, So durch gelegenheit einer Holsteinischen Gesandschafft von Gottorff auss an Michael Fedorowitz den grossen Zaar in Muscow, und Schach Sefi König in Persien geschehen. [...] Schleßwig MDCLXXI gedient haben der im 38. Kapitel „Von unser öffentlichen Audientz, und überreichten Präsenten“ berichtet (S. 507).

Schnorrs weitere Quellen: Johann Reinhold Forster: Franklinʼs Bemerkungen auf einer Reise von Bengalen nach Persien, in den Jahren 1786 und 1787. In: Magazin von merkwürdigen neuen Reisebeschreibungen, aus fremden Sprachen übersetzt und mit erläuternden Anmerkungen begleitet. Erster Band. Berlin 1790, S. 215-297.

 

TRAVELS TO DISCOVER THE SOURCE OF THE NILE, In the Years 1768, 1769, 1770, 177 1, 1772, and 1773. IN FIVE VOLUMES. BY JAMES BRUCE OF KINNAIRD, ESQ. F.R.S. VOL. IV. EDINBURGH LONDON. M.DCC.XC.

Reisen zur Entdeckung der Quellen des Nils in den Jahren 1768, 1769, 1770, 1771, 1772, und 1773 ; in fünf Bänden / von James Bruce von Kinnaird [...]. Ins Teutsche übersetzt von J. J. Volkmann D. und mit einer Vorrede und Anmerkungen versehen von Johann Friedrich Blumenbach und Thomas Christian Tychsen. Leipzig 1790.

 

 

Ein Drache richtete große Verwüstungen in der Gegend an. Er war so ungeheuer groß und stark, dass er alles, was ihm nahe kam, mit dem Otem tötete. Der König erzählte mir dies mal an der Mittagstafel. Ei, sagte ich, dazu ist Münchhausen noch Manns genug, gegen einen Drachen zu bestehen. – Man führte mich ungefähr in die Gegend hin, wo er war. Fürchterlich und wild sah hier alles aus. Eine große Menge Menschenschädel und Knochen lagen um seine dampfende Höhle. Drei meiner Gefährten starben schon vor Schreck, denn man hatte ihnen weiß gemacht, es wäre der Satan, der da mit Ketten der Finsternis in der Höhle angebunden. Ich sah ihn auf einige hundert|[25] Schritte ziemlich genau. Sein Kopf war mit einer Krone bedeckt, die wie Gold strahlte, und seine Zunge, die er wie Feuer von sich streckte und wieder in sich schlang, schien mir über 30 Fuß lang. Ein Gebrüll ließ sich hören, als er uns witterte, dass die Erde unter unseren Füßen bebete. Mein vierter Gefährte starb auch –und ich blieb allein. – Ich dachte darüber nach, wie dem Ungeheuer am besten abzuhelfen, ging nach Haus, machte Kuchen von Pech mit dem stärksten Gift durchknetet, kam wieder, stach die Kuchen auf eine Stange, die etwa 100 Fuß lang sein mochte. Kaum verschlang sie der Drach; so barst er mit einem schrecklichen Knall mitten entzwei. Alles lief auf meinen Wink herbei und sah nun, wie das Ungeheuer elendiglich zappelte. Weil das Drachenfett zu vielen Dingen nützlich sein soll, so nahm ich eine ganze Dose voll mit. Alle wurden erfreuet, fielen vor Münchhausen nieder, trugen ihn in einem Tragsessel nach Sennar und überhäuften ihn mit vielen Geschenken, die er nicht alle annehmen konnte.

Als ich meine Geschäfte vollendet, und die Traktaten mit dem König geschlossen, machte ich in Gegenwart des ganzen Hofes meine Künste mit dem schnellfüßigen Hengst, den ich, wie|[26] ich beinahe vergessen hätte zu sagen, auf ein Kamel hatte packen lassen, damit er Nichts von seiner Schnelligkeit verlieren sollte – und der König ward so erstaunt darüber, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Er bot mir für mein Pferd verschiedene Beutel mit Gold, die nach unserm Wert gewiss 20000 Rthlr. ausmachten, und obendrein Sr. Majestät Leibstraußen*)  von ungewöhnlicher Größe und Höhe, der besonders dazu abgerichtet war, Reisen in der Luft damit zu machen. Ich besann mich nicht lange, ging den Handel ein – musste es auch aus einem gewissen Point dʼhonneur. Mein Strauß wurde gesattelt. Ich ließ einige Proben Damit machen, machte selbst einige Versuche, und als ich meiner Sache ziemlich gewiss war, ließ ich meine Gerätschaften, mein Geld, die Geschenke an den Kaiser von Marokko ⁊c. zusammen in einen Mantelsack binden, hinten aufschnallen, und nun setzte ich mich drauf, und so davon.

* Eine besondere Art Straußen mit langen Flügeln.

 

Drache: In der Mythologie vieler Völker befreit ein Drachentöter durch seine Tat die Menschen aus der Umgebung vor Überfällen und Verwüstungen durch den feuerspeienden Drachen. Seine Waffe ist in der Regel eine Lanze oder das Schwert.

 

Martin Schongauer: Der heilige Georg als Drachentöter, Kupferstich, 15. Jahrhundert.

Münchhausen montiert an seine lange lanzenartige Waffe vorne ein moderne Bombe.

Otem: Nebenform zu Atem

Traktaten: Staatsverträge

Er bot mir für mein Pferd: Die Geschichte von einem Zauberpferd wird in den arabischen Märchen Tausend und eine Nacht erzählt; Schnorr kannte die sechsbändige Übersetzung von Johann Heinrich Voß. Das Zauberpferd (Sechster Band,  S. 118ff.)

In der Persischen Hauptstadt Schiras führt ein Inder dem damaligen Herrscher ein fliegendes Zauberpferd vor. Dieser will es seinem Herrn abkaufen. Als sein Sohn, Prinz Firuz Schah, es ausprobieren will, bringt es ihn nach Bengalen, wo der Prinz um die bengalische Prinzessin wirb und mit ihr nach Schiras zurückkehrt. Es schließen sich weitere Entführungen und Flugabenteuer an.

Da in den Münchhausen-Erzählungen technische Erfindungen parodiert werden, zu denen ein Zauberwesen aus der Märchenwelt nicht passt, übernimmt Schnorr das Motiv vom Zauberpferd und überträgt es auf dressierte Tiere wie seinen „Schnellfüßigen Hengst“ (der über dem Weizenfeld reiten kann) und „Sr. Majestät Leibstraußen“ (der fliegen kann), denn – so erläutert es uns der Autor – es handelt sich um „eine besondere Art Straußen mit langen Flügeln“.

 

Die tausend und eine Nacht arabische Erzählungen, ins Französische übersetzt von dem Herrn Anton Galland, Mitglied der Akademie der schönen Wissenschaften zu Paris, und Lehrer der arabischen Sprache beim königlichen Kollegium. Aus dem Französischen übersetzt von Johann Heinrich Voß. Sechster Band. Bremen 1785.

Strauß: Der Afrikanische Strauß (Struthio camelus) ist eine Vogelart aus der Familie der Strauße und der größte lebende Vogel der Erde. Die Männchen sind bis zu 250 Zentimeter hoch und haben ein Gewicht bis zu 135 Kilogramm. Die Flügel sind recht groß, aber wie bei allen Laufvögeln nicht zum Fliegen geeignet.

 

 

 

Des Ritters Carl von Linné Königlich Schwedischen Leibarztes etc. etc. vollständiges Natursystem nach der zwölften lateinischen Ausgabe und nach Anleitung des Holländischen Houttuynischen Werks mit einer ausführlichen Erklärung ausgefertiget von Philipp Ludwig Statius Müller Prof. der Naturgeschichte zu Erlang und Mitglied der Röm. Kais. Akademie der Naturforscher. Zweyter Theil. Von den Vögeln. Nürnberg 1773.

 

Ungewohnt dieses Tiers, war ich mehr als einmal in Gefahr, den Hals zu brechen. Zwar war es aber nicht unbändig, und ließ sich ziemlich regieren. Nur konnte es nicht vertragen, wenn mein Sultan, der hinten aufsaß,|[27] bellete, oder wenn ich ihm die Sporn gab. Wie der Blitz warf es sich herum, und mein Sultan – war dahin, und, war ich nicht ein starker Reiter – die Herren kennen mich schon wegen der Geschichte mit dem Pferde des Grafen Przobossky in Litauen, womit ich die Reitschule aufm Kaffeetische machte – gewiss es wäre um Münchhausen geschehen gewesen, so gut als um seinen Sultan. Viel fehlte nicht, dass ich im unvorhergesehenen Umschwünge über Hals über Kopf heruntergefallen wäre. Denn das Tier konnte verkehrt fliegen und ich musste mich nun bequemen, verkehrt zu reiten, bis ich ein Mittel ersann, dem Dinge abzuhelfen. Ein kluger Mann, wissen sie, muss sich in allen Fällen helfen können, kein Mittel unversucht lassen. Ich suchte ihm mit der einen Hand unten an seinen Liebwertesten zu kommen, kitzelte ihn ein wenig daran – und er gab sich gleich herum. Nun wusste ich, wie dem Ding abzuhelfen war. Einst als ich mich – Wirtshäuser gibts da droben nicht – in der Gegend von Tunis herunterlassen wollte, hätte mich umʼs Haar ein Schütze attackiert, der nicht wusste, was für ein besonderes Geschöpf da droben in der Luft kampierte. Ich hatte zum Glücke mein Fernglas bei mir; sah, wie er eben zielte. Im Hui gab ich meinem Luftpferde die Sporn|[28], und in einem Satze war ich ihm aus den Augen. Dafür musste ich nun dem armen Tiere, das auch hungrig und durstig war, und nicht wusste, wie sehr wir in Gefahr waren, artig gute Worte geben, und ihn kitzeln. Der gute Scharfschütze mochte wohl nichts weniger vermuten, als dass es einer von den Adlern des Jupiters, oder gar Hackelnberg der Luftjäger war. Denn ich machte ein nicht geringes Geschrei, um meinen Straußen zu ermuntern. Nur hatte ich das Unglück zu bemerken, dass mein Mantelsack sich verloren hatte. Bei dem schnellen Umschwunge waren entweder die Bänder gerissen, oder über den glatten Federn weggeglitscht – genug, ich war darum. So nehmen Münchhausen hier die Bettler sein Geld ab, dort wird er durch Schicksale unglücklich, wenn er der reichste Mann sein könnte. Und nun, was das Schlimmste war – ich durfte mich in Marokko nicht wieder blicken lassen. Gerade um Geld – um Geschenke war es da zu tun. Ich spornte und lenkte also, so gut ich konnte, gleich über das Mittelländische Meer hin nach Venedig. Hier kannst du dein Glück machen – dacht ich. Nur konnte mein Vogel nicht gut fort – das Meer zog ihn auch an, vom Schwimmen verstund er nichts. Ich sah in der Entfernung nichts anders vor mir, als|[29] den augenscheinlichsten Tod. – Zum Glücke war eben ein Schiff gescheitert, dessen Bretter vom Wasser hin und her getrieben wurden. Mein Vogel erreichte eben ein Brett, lief es zum End, da war wieder eins, als das vorbei, wieder eins, und so fort. Ich konnte mir das erst nicht begreiflich machen, bis ich hinter mir zurücksahe, und gewahr wurde, dass der Wind sein Spiel mit den Brettern hatte, und immer die hintersten Bretter wieder vorn hin trieb, und so immer fort bis an den  Die faulen schwarz- und graukuttigen Dickbäuche, die nichts zu tun haben, als zu spekulieren, sahen mich in einiger Entfernung ankommen. Man hielt mich für nichts geringeres als einen großen Heiligen, der auf dem Fittig des Hippogryphen käme, die Unterwelt, besonders Venedig, zu besehen, zu beglücken. Man hatte aller Orten das Venerabile ausgesetzt. Alle Glocken in der Stadt waren in Bewegung. Eine große Menge Geistlichen mit ihrem Doge in der Mitte, mit dem heiligen Markus, und Mädchen und Nonnen mit Muttergottesbildern kamen ans Ufer, alle mit entblößten Häuptern, zum Theil auch mit entblößten Füßen. Ich dachte nichts weniger, als dass mir diese Ehre wiederfahren sollte. Mein Strauß, der hier etwas Böses witterte, nahm sich auf, und setz|[30]te mich zum Erstaunen aller mitten auf den St. Markusplatz, wo alles mit langen Hälsen um mich herum kam, und nicht erst wusste, was man aus mir machen sollte. Ich verbat alle die Ehrenbezeugungen, Verneigungen, Kniebeugungen, die um mich herum geschahen, und nannte ihnen bloß meinen Namen. Die Großen setzten alle ihre Hüte wieder auf, packten alles zusammen, und gingen ihres Weges. Die Glocken verloren ihren Schall – und ich ging meines Weges zum nächsten Wirtshause, zäumte meinen Straßen ab, aß und ging zur Ruhe.

Des andern Tages besah ich die Merkwürdigkeiten der Stadt. Lang verweilte ich bei den vortrefflichen Bildsäulen, wo eine darunter wirklich einige Augenblicke zu leben schien, und mir zunickte. Auch machte ich Bekanntschaft mit dem berühmten Gorgoni, der ein herrlicher Bildhauer ist. Er war so gütig, mir Einige von seinen Meisterstücken zu verehren, die er mir auch auf meinen Befehl einst durch die Post nach Bodenwerder schickte, wo allein das Porto von Venedig bis hieher 301 Rthlr. 24 Gr. 4 Pf. Kassengeld betrug. Jeder kann sie bei meinem Eingange ins Bosquet zu sehen bekommen, und schon mancher wurde durch das bloße Anstaunen derselben ¼ Stunde lang zum Steine.|[31]

Um Geld zu bekommen, denn in Venedig ist teuer Pflaster, lieh ich eine kleine Kinderstrommel, ging Damit die eine Straße auf, die andern ab, und hatte einen solchen Schwarm Kinder und Pöbel hinter mir, dass zuletzt sich die Straßen so gewaltig stopften und drängten, dass an einer Seite 9 Häuser einfielen, und an die 1000 Menschen erschlagen wurden. – Ich kündigte mit großem Geschrei meine erste Luftreise unter den schönklingendsten französischen Luftsprüngen an. – Des andern Tages war Alles so voll, dass es nicht zu beschreiben ist. Damit sich meine Herren aber einige Vorstellung davon machen können, so will ich ihnen kurz sagen: Ganz Venedig war da, vom Dogen bis zum ärmsten Betteljungen. Ich bekam Geld die Menge, war nun aber auch  von den Nachstellungen, Verdrießlichkeiten und dem Tode sicher, dem ich wahrscheinlich nicht würde entgangen sein. Das konnten sie gar nicht spitz kriegen, dass ein Strauß – noch obendrein verkehrt fliegen und ein Reiter auch so verkehrt darauf sitzen konnte. Gerade dies mochten sie in Venedig am liebsten sehen.

Doch endlich wurden sie des Dings auch müde – Ich mochte noch so viele französische Tiraden hervorbringen; alles vergebens. Als|[31] ich zum 24sten mal meine Luftreise austrommelte, hatte ich schon kein Gefolge, und, als ich sie anfangen wollte, keinen Zuschauer mehr. Ja, man sann schon darauf, wie man mir das viele Geld wieder abnehmen und Meiner dann los werden wollte.

Eines Tages traf ich bei Herrn Gorgoni einen Mathematiker an, der immer in einer Atmosphäre von Berechnungen saß. Er war so gelehrt, dass er mir augenblicklich von allen Planeten und andern Sternen die genaueste Weite auf Fuß und Schritte sagen konnten. Ich machte Bekanntschaft mit ihm. Da ich schon lang mit dem Projekte schwanger ging, eine Reise in den Jupiter zu machen, so erfuhr ich Alles, was, ich zu wissen nötig hatte.

Ich ließ mir also ein kleines Schiffchen von Fischbein machen, zäumte meinen Straußen, spannte ihn ein, machte erst einen Versuch, und kam auf einen ganz sonderbaren Einfall, die Direktion des Schiffchens in der Luft zu finden. Mein Schiffchen bekam nun Segel von lauter Aalshäuten. Ich ließ mir einen Blasebalg machen, vermittelst dessen ich es, wenn ich es erst in der Luft hätte, hinpusten konnte, wohin ich wollte – damit ich bald mit dem Straußen,|[33] bald mit dem Blasebalg abwechseln könnte, wenn es jenem zu sauer würde. Ich machte wieder einen Versuch, und es gelang. Mein Lakai, den ich mir hier gemietet hatte, musste pusten, und je nachdem ich das Steuer drehte, nahm es die Richtung. Ich war recht froh über diese Erfindung, worüber sich die Menschen noch lang die Köpfe zerbrechen werden.

Bloß durch einen Zufall kam ich auf diese Erfindung. Wir waren einst auf dem Mittelländischen Meere und hatten lange Zeit Kalm. Das Schiff ging keinen Fingerbreit aus der Stelle. Ich nahm den Blasebalg des Schiffsschmiedes, machte ihn in einer Ecke fest, blies in die Segel, und so kamen wir schneller als sonst von der Stelle.

Mit der Bekanntmachung dieser nützlichen Erfindung könnte sich Münchhausen nun einen unsterblichen Ruhm machen, große Summen verdienen – allein er ist zu uneigennützig, fürs Wohl und Beste der Welt alles, auch seine Kenntnisse aufzuopfern. Münchhausen will nie glänzen, würde er auch verkannt.

 

Sultan: Hundename

Geschichte mit dem Pferde des Grafen Przobossky: Anspielung auf das Abenteuer, über das Bürger im Kapitel „Des Freiherrn von Münchhausen Eigene Erzählung“ berichtet.

Gegend von Tunis: Tunis liegt im nördlichen Afrika am Golf von Tunis. Erstmals gelangte die Stadt im Jahr 1534 unter osmanische Herrschaft und wurde von einem Bey verwaltet.

Schütze: Parodie auf Bürgers Erzählung im Vierten See-Abenteuer, in dem Münchhausen einen Ballonfahrer vom Himmel schießt.

Einer von den Adlern des Jupiter: Von Jupiter erzählt Ovid in den Metarmorphosen,  er liebte den schönen Jüngling Ganymedes, den er in Adlergestalt von der Erde weg raubt und als Mundschenk auf den Olymp versetzte. Ovid Metamorphosen 10, 155 ff.

 

Antonio Tempesta: In aquilam transformatus Iupiter Ganymedem rapit, Pl. 94 der Seria Ovids Metamorphosen. Metamorphoseon: sive transformationum ovidianarum libri quindecim, aeneis formis ab Antonio Tempesta florentino incisi, et in pictorum antiquitatisque studiosorum gratiam nunc primum exquisitissimis sumptibus a Petro de Iode autuerpiano in lucem editi. Amsterodami : W. Ianssonius 1606

Hackelnberg der Luftjäger: Hanns von Hackelberg (auch Hackelnberg; 1521-1581) war nach norddeutscher Begebenheit der Wilde Jäger. Sein Name leitet sich vom Herkunftsort seiner Eltern, dem Hakel, ab. Hackelberg stand im Dienst des Herzog Julius von Braunschweig und war Braunschweiger Oberjägermeister. Er genoss bei seinen Vorgesetzten und Waidgesellen großes Ansehen. Er bereitete Hof- und Gesellschaftsjagden vor und leitete diese.

Der Legende nach träumte Hackelberg in der Nacht vor der Jagd, dass er von einem starken Keiler angegriffen und schwer verletzt würde. Die anderen Jäger rieten ihm deshalb von der Teilnahme an der Jagd ab. Er missachtete die Warnung und nahm an der Jagd teil. Der Traum erfüllte sich: Ein blutender Keiler griff ihn an, ein Treffer aus der Armbrust schien dem Tier nichts anhaben zu können. Mit Hilfe einer Saufeder und eines Hirschfängers gelang es Hackelberg, das Tier zu erlegen. Wieder erholt, ging man am Abend auf der Harzburg zum gemütlichen Teil über. Bei diesem Fest stand selbstverständlich der Keiler im Mittelpunkt und das Haupt des starken Keilers wurde gesondert bei Eichenlaub und Kerzenschein aufgebahrt. Hackelberg verspottete das erlegte Tier und hob das Haupt vom Tische mit einer Hand auf, hielt das Haupt am ausgestreckten Arm zur Festgesellschaft und sprach die überlieferten Worte: „Nun hast du mir doch nichts anhaben können.“ Hiernach glitt ihm das Haupt aus der Hand und fiel mit dem Hauer voran auf seinen Fuß. Der messerscharfe und spitze Hauer durchdrang den Stiefel sofort und durchbohrte seinen rechten Fuß bis zur Sohle. Er schenkte der anfänglich für seine Verhältnisse geringfügigen Verwundung kaum Beachtung. Doch schon am nächsten Tag hatte sich die Wunde entzündet. Auf der Rückreise nach Wolfenbüttel entlang der Oker musste Rast eingelegt werden. Hier bot sich der Klepperkrug (Klöpperkrug) vor Wülperode an der Landstraße von Vienenburg nach Schladen an. Hackelberg starb noch am selben Abend an seiner Verwundung. Aber Ruhe fand er nicht, er verfluchte sich vor seinem Tod selbst und jagt bei Sturm mit seinem Ross und seinen Hunden „okerauf und okerab“. Man beerdigte den Leichnam im Garten des Gasthauses und deckte dies später mit einer Grabplatte aus Sandstein ab.
Wikipedia

Hakelberg jagt am Sölling.

Hakelberg genennet, sol vorzeiten ein Jägermeister im Braunschweiger Land sein gewesen, welcher zum Waidwerck und Jagen solch grossen Lust getragen, daß, da er jetzt an seinem Todbett gelegen, vom Jagen so ungern abgescheiden, er von Gott soll begehrt und gebeten haben (ohnzweiffentllich auß Ursach seines Christlichen und Gottseeligen Lebens halber, so er bisher geführet), daß, da er für sein Theil Himmelreich, biß zum Jüngsten Tag am Sölling möcht jagen. Auch derwegen in ermelte Wildnuß und Wald sich zu begraben befohlen, wie geschehen. Und wird ihm sein Gottloß, ja Teuffelischer Wunsch verhengt, denn vielmal wird ein grewlich unnd erschrecklich Hornblasen unnd Hundsgebell die Nacht gehöret, jetzt hie, ein ander mal anders wo in solcher Wildnuß, auch wol umb die Schlösser unnd Dörffer da herumb gelegen, wie mich diejenigen, so solch Gefehrd auch selbs angehöret, berichtet. Zu dem soll es gewiß sein, da solch Jagen die nach vorher vermerckt, daß denn, da sie volgenden Tags jagen, einer ein Bein, Arm, wo nicht den Halß gar bricht, oder sonst ein Unglück sich zutregt.

WendUnmuth. Das Vierde Buch, Darinnen zwey hundert, Ein und Siebenzig höfliche, und ausserlesene Historien, Schimpffreden und Gleichnuß begriffen: Gezogen auß Alten und jetzigen Scribenten: So auch etlicherwarhafftigen und cigner Erfahrung Geschichten, […] Durch Hanß Wilhelm Kirchoff […]. Gedruckt zu Franckfurt am Mayn, Anno M. DCII, Nr. 283. S, 342f. 

hier die Bettler sein Geld ab: Im Sechsten See-Abenteuer heißt es nach der Flucht aus Konstantinopel, wo Münchhausen sich in der Schatzkammer des Sultans bedienen durfte:  „Der Rest aber wurde mir auf meiner Reise nach Rom auf der geheiligten Flur von Loretto, durch eine Bande Straßenräuber abgenommen.“

Venedig: Erneut ist Venedig der Zufluchtsort Münchhausen. In Bürgers Siebentem See-Abenteuer heißt es: „In der nächstfolgenden Nacht flüchteten wir an den Bord eines nach Venedig bestimmten Schiffes, welches gerade im Begriffe war unter Segel zu gehen, und kamen glücklich davon.“

Dickbäuche: Karikatur der Mönche in Rom

Hippogryphen: Der Hippogryph (re-latinisierte Form des italienischen ippogrifo, Zusammensetzung aus altgriechisch hippos „Pferd“ und italienisch grifo „Greif“, dies aus lateinisch gryphus, dies wiederum aus altgriechisch gryps) ist ein Fabelwesen, das zur einen Hälfte Greif und zur anderen Hälfte Pferd ist. Der Begriff ist aus dem Griechischen gebildet] und eine Erfindung von Ariost. Das Fabelwesen basiert auf der Redewendung, dass eine Kreuzung zwischen einem Greif und einem Pferd ein Ding der Unmöglichkeit sei. Vermutlich wurde Ariost von einer Stelle in den Eclogae des Vergil inspiriert, in der eine solche Paarung als Metapher für eine absurde Ehe verwendet wird.
Wikipedia

 

Ariost 1556   ORLANDO FVRIOSO. DI M. LODOVICO ARIOSTO, TVTTO RICORRETTO, ET DI NVOVE FIGURE ADORNATO. IN VENETIA M D LVI.S, S.  69.

Venerabile: Verehrungswürdigstes, die heilige Hostie, hier also die Wandlung während der Messe.

Doge: Der Doge [ˈdoːʒə] (von lateinisch Dux (Führer, Anführer, Fürst)) war das Staatsoberhaupt der Republik Venedig. (Wikipedia) Die Zeit der fiktiven Handlung spricht für Paolo Renier (1710-1789) war den 119. und vorletzte Doge von Venedig. Er regierte von 1779 bis 1789.

Renier war ein sehr gebildeter Mann, der Literatur und Wissenschaft dem Leben eines Kaufmanns oder Militärs vorzog. Er hatte eine gute Ausbildung in Geschichte und den alten Sprachen bekommen und er befasste sich intensiv mit der Philosophie. Von ihm stammt eine venezianische Ausgabe von Werken Platos, die er selbst übersetzt hatte. Er galt als hervorragender Redner und geschickter Taktiker. Als Politiker hielt man ihn für einen „schlauen Fuchs“. Zu Beginn seiner politischen Karriere schloss er sich den Reformern um Angelo Querini an, die die Notwendigkeit von grundsätzlichen Veränderungen erkannt hatten, um ein Überleben der Republik bei dem katastrophalen Zustand der Staatsfinanzen und unter den Vorzeichen sozialer und politischer Veränderungen in Europa zu sichern. Nach seiner Amtszeit als Botschafter am Wiener Hof und als Bailò in Konstantinopel kehrte er nach Venedig zurück, distanzierte sich von den Reformern und betrieb jetzt als „Konservativer“ seine Wahl ins Dogenamt. Er war nacheinander Consigliere des Dogen und mehrmals Staatsinquisitor.

Die üblichen Feste und Empfänge hochrangiger Besucher wurden mit gewohntem Pomp gefeiert. Während seiner Amtszeit besuchten der Papst Pius VI., der Großfürst von Russland, Pawel Petrowitsch, und König Gustav III. von Schweden die Stadt.

Goethe, der Venedig im Jahre 1786 besuchte, beschreibt am 6. Oktober seine Eindrücke von Paolo Renier wie folgt: „Der Doge ist ein gar schön gewachsener und schön gebildeter Mann, der krank sein mag, sich aber nur noch so, um der Würde willen, unter dem schweren Rock gerade hält. Sonst sieht er aus wie der Großpapa des ganzen Geschlechts, und ist gar hold und leutselig; die Kleidung steht sehr gut, das Käppchen unter der Mütze beleidigt nicht, indem es, ganz fein und durchsichtig, auf dem weißesten klarsten Haar von der Welt ruht.“ (Wikipedia)

 

A. Longhi: Doge von Venedig.Öl auf Leinwand, um 1779

St. Markusplatz: Der Platz vor der Basilica di San Marco in Rom.

Bildsäulen: Statuen

 

Gorgoni: Der Bildhauer namens Gorgoni ist eine Erfindung Schnorrs. Sein Name spiel auf die Gorgonen in der griechischen Mythologie an, drei geflügelte Schreckgestalten mit Schlangenhaaren, die jeden, der sie anblickt, zu Stein erstarren lassen.

Von einer beweglichen Statue erzählt der Pygmalion-Mythos: Der Künstler Pygmalion von Zypern ist aufgrund schlechter Erfahrungen mit Propoetiden (sexuell zügellosen Frauen) zum Frauenfeind geworden und lebt nur noch für seine Bildhauerei. Ohne bewusst an Frauen zu denken, erschafft er eine Elfenbeinstatue, die wie eine lebendige Frau aussieht. Er behandelt das Abbild immer mehr wie einen echten Menschen und verliebt sich schließlich in seine Kunstfigur. Am Festtag der Venus fleht Pygmalion die Göttin der Liebe an: Zwar traut er sich nicht zu sagen, seine Statue möge zum Menschen werden, doch bittet er darum, seine künftige Frau möge so sein wie die von ihm erschaffene Statue. Als er nach Hause zurückkehrt und die Statue wie üblich zu liebkosen beginnt, wird diese langsam lebendig. Aus dieser Verbindung geht eine Tochter namens Paphos hervor, nach der später die Stadt benannt werden soll. Als eine weitere Tochter Pygmalions wird Metharme genannt. Aphrodite bzw. Venus gewährt Pygmalion ein langes Leben. Im 18. Jahrhundert erhält die zum Leben erweckte Statue den Namen Galatea.
Wikipedia

Kassengeld: Bargeld

bei meinem Eingange ins Bosquet: Boskett (Neutrum das Boskett, Plural auch die Bosketten/die Boskette, von französisch le bosquet „Wäldchen“, „Gehölz“ oder „Dickicht“, auch „Korb“ von engl. basket) ist ein „Lustwäldchen“ innerhalb eines geometrisch gestalteten barocken Schlossgartens. Es ist eine Form einer speziellen, aufwendig gestalteten Gartenanlage und gehört zum schematischen Aufbau fast aller Barockgärten.
Wikipedia

Das Kernstück der Erinnerungsstätte an Hieronymus von Münchhausen aber sind nicht der Gutshof und seine Gebäude, sondern sein Berggarten am Hang jenseits des ehemaligen Mühlengrabens. An den zu Ende des 19. Jahrhunderts aufgeforsteten Hopfenbergwald angrenzend, erscheint er heute fast wie ein Stück davon. Zu Zeiten seines Erbauers lag das umhegte Baumgärtchen zwischen Weideflächen -eine kleine freundliche Insel. Über die Kronen der jungen Bäume lugte das zweistöckige Grottenhäuschen, an den Hang gelehnt, zum alten Gutshaus und zum Städtchen hinüber.

Die Grotte zu ebener Erde war, dem Geschmack der Zeit entsprechend, mit allerlei Kristallen, Muscheln und Versteinerungen ausgekleidet; darüber liegt ein achteckiges Stübchen unter sandsteingedeckter Dachhaube. Der Bau trägt die Inschrift: „MDCCLXIII. Hieronymus Carl Friedrich de Münchhausen, Hereditarius Boden-werderae et Jacobine de Dunten ex domo Ruthern in Livonia. Post adeptam pacem.“ (1763. Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen, Erbherr zu Bodenwerder, und Jacobine von Dunten aus dem Hause Ruthern in Livland. Nach erlangtem Frieden) 1763 – Ende des Siebenjährigen Krieges, der auch an dem Weserstädtchen nicht spurlos vorübergegangen war. Grund genug, den Frieden in der Inschrift an einem Bauwerk zu vermerken, das der Freude, Geselligkeit und Behaglichkeit dienen sollte.

Siebzehnhundertsechzigdrei,
Als der Friede uns beglücket,
Wurden Berg und Grotte neu
Angelegt und ausgeschmücket.
Schnöde Zänker, macht Euch fort,
Denn Ihr sollt zum Neide wissen,
Daß an diesem stillen Ort
Freunde sich in Eintracht küssen.

so dichtete Gerichtsschultheiß G.F. Niemeyer. (Türspruch im oberen Stübchen)

Das Besondere an des Hieronymus Gartenpavillon ist eine ländliche Schlichtheit, gepaart mit einigen sparsamen Elementen, die ihm eine echte Rokokostimmung verleihen: Die antikisierende männliche und weibliche Skulptur und der fast chinesisch verspielte Dachschwung. Den Punkt aufs I setzte die steinerne Inschriftenplatte mit ihren Verzierungen.

Hier oben im Grottenhäuschen hat Münchhausen der fröhlichen Geselligkeit mit Bekannten und Freunden gepflogen; es ist wohl sicher, daß manche gedruckte und ungedruckte Münchhausiade hier zum besten gegeben worden ist. Und dann mag die Gesellschaft das Tälchen der „Grünen Schleite“ hinaufspaziert sein zum Aussichtsplatz unter den vier Linden auf dem damals kahlen Kalkfelsen des Hopfenberges. Weit muß der Blick gewesen sein über das liebliche Wesertal und das alte Fachwerkstädtchen. Heute stehen die verbliebenen drei Linden - die knorrigste und bizarrste vierte fällte 1957 ein schwerer Sommersturm - mitten im Hochwald. Vielleicht stammen außer den Linden hier oben auch noch einige der schönen und zum Teil eigenartigen Bäume im Park und am Berggartenhang aus dieser Zeit, vor allem die Pyramideneiche vor dem alten Herrenhaus. Zwar gab es damals hier keinen Park, sondern den Wirtschaftshof, doch mögen seltene Bäume ihn belebt haben. Der Eingang zum Gutshof hat früher vermutlich etwas weiter nördlich gelegen als heute - einiger Steinzierat an der alten Umfassungsmauer deutet darauf hin.
Weiss, S. 28f.

 

Das Besondere an der Münchhausen-Grotte ist die ländliche Schlichtheit, die mit sparsamen Elementen, wie z.B. die steinerne Inschriftenplatte mit ihren Verzierungen oder die beiden Figuren, die auf der vorderen Eingangsseite zu sehen sind, versehen ist. Die linke Figur stellt Herkules und die rechte Venus dar.

Kinderstrommel: Daß Münchhausen seine Vorführungen mit einem Spielzeug beginnt, ist eine Verspottung der technischen Vorführungen mit Heißluft- und Gasballons in den 1770er und 1780er Jahren vor allem in Frankreich, England und Deutschland.

erste Luftreise unter den schönklingendsten französischen Luftsprüngen: Schnorr setzt hier die Satire auf den Luftschiffer Blanchard fort, die von Raspe und Bürger bereits in ihren Münchhausen-Geschichten erzählt wurden.

Geld die Menge: Bei seinen Vorführungen hatte Blanchard viel Geld verdient, was in der Öffentlichkeit auf Kritik stieß.

Tiraden: wortreiche, geschwätzige (nichts sagende) Äußerung; Wortschwall

Mathematiker: Giuseppe Piazzi (1746-1826) war ein katholischer Priester, Astronom und Mathematiker. Er wirkte in Norditalien, in Rom und auf Sizilien, wo er 1801 an der Sternwarte Palermo den ersten Planetoiden entdeckte, die Ceres (zuerst als Komet betrachtet, dann als Planet eingeordnet, ab etwa 1850 als größter Planetoid (Asteroid) und seit 2006 als Zwergplanet bezeichnet. 1765 trat er dem Theatinerorden bei. In der Folge wurde er von seinen Oberen auf die Universität Turin geschickt, um Philosophie zu studieren. In Turin machte er Bekanntschaft mit Giambatista Beccaria und begann Mathematik und Physik zu studieren. 1768 ging er nach Rom auf das Theatinerkloster Sant’Andrea della Valle und beendete dort sein Theologiestudium, zugleich setzte er sein Physikstudium fort und wurde Schüler von François Jacquier. Nach seiner Ordination zum Priester 1769 ging er nach Genua und unterrichtete dort Philosophie. 1772 wurde ihm der Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Malta anvertraut. Ein Jahr später wurde Piazzi nach Ravenna berufen und lehrte dort Mathematik und Philosophie. 1779 war er als Prediger in Cremona und Venedig tätig.

in einer Atmosphäre von Berechnungen: Unter Atmosphäre verstand man in der 2. Hälfte 17. Jh. und noch die Sphäre, das (kugelig vorgestellte) Himmelsgewölbe, Himmelskörper, Kreisbahn eines Himmelskörpers sowie kugelähnliche Dinge jeder Art. Im übertragenen Sinne bedeutet Späre ‘Bereich, Gebiet, Umgebung’ und das Adjektiv sphärisch ‘die Kugel bzw. die Himmelskugel betreffend, kugelförmig’ sowie ‘rund, kugelförmig, die Kugel betreffend. Mit Hilfe der sphärischen Trigonometrie können Entfernungs-, Richtungs- und Flächenberechnungen vorgenommen, sowie die Position eines Gestirns an der gedachten Himmelskugel mit Hilfe des nautischen Dreiecks berechnet werden. Im 18. Jahrhundert wurden Sternörter und Bezugssysteme in der Astrometrie berechnet.

Jupiter: Jupiter ist nachts von der Erde aus mit bloßem Auge gut sichtbar. An der maximalen Helligkeit gemessen ist Jupiter – nach der Sonne, dem Mond und der Venus – das vierthellste Objekt am Himmel, je nach Planetenkonstellation kann er zeitweise sogar heller leuchten als die Venus. Daher wurde er bereits in der Antike beschrieben. 1610 betrachtete Galileo Galilei Jupiter mit einem Fernrohr und entdeckte dabei dessen vier größte Monde Ganymed, Kallisto, Io und Europa. Diese vier werden daher als die Galileischen Monde bezeichnet. (Wikipedia)

ein kleines Schiffchen: Für seine Luftschiffe ließ Blanchard leichte Körbe in Form kleiner Schiffe herstellen.

 

Kolorierter Kupferstich, Paris 1784.

von Fischbein: Fischbein ist ein Material, das aus den Barten großer Wale hergestellt wird. Dies sind lange, faserige, hornartige Platten. In der Konsistenz ist Fischbein gleichzeitig steif und flexibel, weshalb es historisch für spezielle Zwecke, wie Korsettstäbe, zum Einsatz kam. Fischbein ist wegen seiner faserigen Beschaffenheit leicht zu spalten, sodass man es mit wenig Kraftaufwand zu Streifen der gewünschten Breite und Dicke verarbeiten konnte. Die Herstellung von Fischbein erfolgte durch sogenannte Fischbeinreißer, die in Fabriken am Hafen arbeiteten. Vom 17. bis zum frühen 20. Jahrhundert wurden aus Fischbein Korsettstäbe, Reifrock-Reifen, Sonnenschirmstreben, stabile Hüte und andere Modeartikel gefertigt. Man verarbeitete Fischbein außerdem zu Reitpeitschen und Körben.
Wikipedia

Segel von lauter Aalshäuten: In seinen „Anfangsgründe(n) der theoretischen und angewandten Naturgeschichte der Thiere“ (Leipzig 1799, S. 185f.) schreibt Staatswirtschafts-Professor D. Georg Adolph Suckow: „Die Aalshäute gebrauchen die Grönländer zu Beuteln für bleierne Kugel, die Tartaren an der chinesischen Grenze zu Fensterscheiben, und bei uns werden sie in Riemen geschnitten und zur Befestigung der Dreschflegel benutzt, so wie auch zuweilen zu Überzügen von Peitschen und Gerten.“

Erfindung: eine schöpferische Leistung, durch die eine neue Problemlösung ermöglicht wird. Münchhausen berichtet von einer Bewältigung einer Aufgabe mit bekannten Mitteln und behauptet, er habe durch die Anwendung eines Naturgesetzes ein gegebenes technisches Problem gelöst. Allerdings vermag er dies nur in der fiktiven Welt der Reise-Erzählung, in der einige Naturgesetze einfach außer Kraft gesetzt werden können.

Claude François Jouffroy d’Abbans ließ in Baume-les-Dames die Palmipède bauen. Da es zu dieser frühen Zeit in der Stadt keine geeignete Fabrik zur Herstellung der Dampfmaschine gab, beauftragte er den Kupferschmied Pourchot mit dem Bau. Dieser fertigte einen Zylinder aus getriebenem Kupfer, der außen durch Bänder und Ringe aus Eisen verstärkt war. Da es problematisch war, mittels einer einfach wirkenden Dampfmaschine eine kontinuierliche Drehung zu erzeugen, hatte sich Jouffroy d’Abbans einen besonderen Antrieb ausgedacht, den er den Enten abgeschaut hatte und ihn deshalb System Palmipède (= Füße mit Schwimmhäuten) nannte.

An einer Eisenstange befand sich eine Rolle, auf die eine Eisenkette aufgerollt war. Die Kette war wiederum mit dem Kolben der Dampfmaschine verbunden – senkte sich der Kolben, rollte sich die Kette ab, hebte er sich, wurde die Kette wieder aufgerollt. Die Eisenstange ragte auf beiden Seiten über die Schiffswand hinaus, auf jeder Seite war ein Hebel befestigt. Über eine Kette waren diese mit jeweils einer Klappe verbunden, die sich 40 Zentimeter unterhalb der Wasseroberfläche befanden. Durch den Antrieb hebte sich die Klappe und ein Gegengewicht sorgte dafür, dass sie sich wieder senkte. In Frankreich machte man sich über die Konstruktion lustig und nannte sie verachtend Jouffroy la pompe (Jouffroy-Pumpe).
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Am 15. Juli 1783 führte er nördlich von Lyon vor zehntausend Zuschauern sein Dampfschiff Pyroscaphe vor.

Kalm: Windstille

 

Pygmalionis effigies eburnea in hominem mutatur. In: Ovidii Metamorphosis.Johannes Baur, 1703.

 

Literarische Bearbeitung erfuhr der Stoff bei Johann Jakob Bodmers Pygmalion und Elise (1749), Johann Elias Schlegels Kantate Pygmalion (1766), Jean-Jacques Rousseaus Melodrama Pygmalion (1770) sowie in Johann Wolfgang von Goethes Jugendgedicht Pygmalion (1767).
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Von Ernst Wolfgang Behrisch geschriebene Liedersammlung des Leipziger Studenten Goethe: Leipzig 1767.

 

Pygmalion,
eine Romanze.

Es war einmal ein Hagenstolz,
Der hieß Pygmalion;
Er machte manches Bild von Holz
Von Marmor und von Tohn.

Und dieses war sein Zeitvertreib,
Und alle seine Lust.
Kein junges schönes sanftes Weib
Erwärmte seine Brust.

Denn er war klug und furchte sehr
Der Hörner schwer Gewicht;
Denn schon seit vielen Jahren her
Traut man den Weibern nicht.

Doch es sey einer noch so wild,
Gern wird er Mädgen sehn.
Drum macht’ er sich gar manches Bild
Von Mädgen jung und schön.

Einst hatt’ er sich ein Bild gemacht,
Es staunte, wer es sah;
Es stand in aller Schönheit Pracht
Ein junges Mädgen da.

Sie schien belebt, und weich, und warm,
War nur von kaltem Stein;
Die hohe Brust, der weisse Arm
Lud zur Umarmung ein.

Das Auge war empor gewandt,
Halb auf zum Kuß der Mund.
Er sah das Werk von seiner Hand,
Und Amor schoß ihn wund.

Er war von Liebe ganz erfüllt,
Und was die Liebe thut.
Er geht, umarmt das kalte Bild,
Umarmet es mit Glut.

Da trat ein guter Freund herein,
Und sah dem Narren zu,
Sprach: Du umarmest harten Stein,
O welch ein Thor bist du!

Ich kauft’ ein schönes Mädgen mir,
Willst du, ich geb’ dir sie?
Und sie gefällt gewislich dir
Weit besser, als wie die.

Sag’ ob du es zufrieden bist –
Er sah es nun wohl ein,
Ein Mädgen, das lebendig ist,
Sey besser als von Stein.

Er spricht zu seinem Freunde, ja.
Der geht und holt sie her.
Er glühte schon eh er sie sah,
Jetzt glüht er zweymal mehr.

Er athmet tief, sein Herze schlug,
Er eilt, und ohne Trau
Nimmt er – Man ist nicht immer klug,
Nimmt er sie sich zur Frau.

Flieht Freunde ja die Liebe nicht,
Denn niemand flieht ihr Reich:
Und wenn euch Amor einmal kriegt,
Dann ist es aus mit euch.

Wer wild ist, alle Mädgen flieht,
Sich unempfindlich glaubt,
Dem ist, wenn er ein Mädgen sieht,
Das Herze gleich geraubt.

Drum seht oft Mädgen, küsset sie,
Und liebt sie auch wohl gar,
Gewöhnt euch dran, und werdet nie
Ein Thor, wie jener war.

Nun, lieben Freunde, merkt euch diß,
Und folget mir genau;
Sonst straft euch Amor ganz gewiß.
Und giebt euch eine Frau.

 

Unter dem größten Freudengeschreie des Volks fuhr ich also von Venedig ab. Nach|[34]dem ich einige Tage gefahren hatte, merkte ich, dass es dem Straußen an Kräften gebrach – und uns fing nun auch der Magen schon an ziemlich zusammen zu schrumpfen. Ein Glück für mich, dass ich auf einen guten Einfall kam. Ich fand, da ich in allen meinen Taschen herum suchte – allen Proviant hatten wir schon rein verzehrt – noch ein Stück von einer ägyptischen Mandel. Ich teilte es unter uns dreie, meinen Straußen, meinen Bedienten und mich, und wir genasen zusehends. Den Straußen spannte ich eine Zeit ab, und nun ließ ich den Blasebalg seine Dienste tun. Indessen ging es mit dem Straußen besser, der seine Richtung mehr in die Höhe, jener mehr in die Weite nahm.

Je weiter hinauf, je kälter. Ich fror schon so zusammen, dass ich nicht viel größer als ein mäßiger Knabe war – mein Bedienter wurde ungefähr zu der Größe einer Bratbirne. Der Strauß konnte es noch am besten aushalten. Das Pusten wollte nicht mehr gehen, weil der Johann seine Hände nicht rühren konnte, auch gar keine Kräfte mehr hatte. Wir hatten nur erst etwas Mehr als das Viertel der höchsten Höhe von 80000 Meilen erreicht, also noch etwa l5000 Meilen zu machen, ehe wir in den|[35] Atem des Mondes kamen, wo wir dann, weil uns der Mond anzog, den Straußen entbehren konnten, und wir so allmählig von selbst niederfielen. Ich konnte es nicht langer mehr aushalten, war müde, hatte in langen Nächten nicht geschlafen – meinen Pustius wickelte ich zu meinen Füssen in eine Verbrämung meines Pelzes, doch so, dass sein Kopf herausguckte, munterte ihn zum Wachen an – und so schlief ich ein. Ich hatte genau nicht über 15 ½ Minute geschlafen, und hörte eine feine Stimme: Monseignoro mio altissimo! das heißt zu Deutsch: Ihro Hochwohlgebornen Gnaden! – „He, was ist?“ – Das Tier da droben. Es macht eine so fürchterliche Stimme, als wenn es krepieren wollte. Ich musste das Dings erst ein Weilchen abspannen. Mein Pustius hatte sich unterdessen in meinem Pelz so aufgebähet, dass er wieder einige Kräfte hatte, den Blasebalg zu regieren. Aber nicht so lang, und er fror dran fest und starr. Durch Hülfe eines Bisschens von einer ägyptischen Mandel wurde der Strauß endlich wieder hergestellt. Ich gab ihm gute Worte, spannte ihn wieder an, und so gings davon, Nachdem wir so eine Weile wieder fortgesegelt waren, fühlten wir wieder Wärme, Leben – auch mein Püster erwachte zu seinem und meinem größten Erstaunen. Nicht|[36] lang, und wir waren in der Atmosphäre des Mondes. Ich spannte nun meinen Straußen aus. Wir alle quollen nun allmählig wieder auseinander, und fielen mit einem kleinen Schneegestöber auf dem Mond nieder. Wir kamen eben auf die nördliche Mondspitze, wo es so kleine Menschen gibt, als bei uns Kinder von 3 Jahren. Sie waren so elend und armselig, dass ich sie recht mit Mitleiden betrachtete. Und doch schienen sie vergnügt zu sein. Sie aßen nichts, als was die Natur ihnen gab, elende Milch von ihren Hunden und Katzen, die größer waren, wie sie selbst, und tranken lumpichtes Wasser. – Hier ist nichts für deinen Magen, dachte ich. Wenig Behagliches. Ich sann darauf, wie ich meine Reise weiter fortsetzen könnte. Mein Reisekompan hatte auch keine Lust, in diesem elenden Erdenklumpen länger zu hausen, wo er Nichts als schlechte Hütten, elende Milch, lumpichtes Wasser und Kuchen als gebackne Kuhfladen  vorfand.

Meine Augen hatten während der Reise gewaltig gelitten; so dass sie ganz verdüstert waren, und ich alle Gegenstände nicht so genau erkennen konnte. Ich stopfte mir, weil ich würklich Langeweile hatte, eine Pfeife Tabak, zündete sie an den Augen eines großen Katers|[37] an, der mir eben entgegen kam, und die ich würklich. für Kohlen ansah – und so sollte nun unsre Reise zum Mars gehen.

 

 

ein Stück von einer ägyptischen Mandel: Die Erdmandeln von denen eine Pflanze mehrere hundert bis mehrere tausend Knollen während einer einzigen Vegetationsperiode produzieren kann, berichtet Münchhausen im Fünften See-Abenteuer.

Je weiter hinauf, je kälter.: Zur Deutung, worum es sich bei Wärme handelt, standen sich bis etwa 1850 zwei Lehrmeinungen gegenüber: Eine Erklärung ging von einem hypothetischen „Wärmestoff“ aus, dem zuletzt Antoine de Lavoisier den Namen calorique (Caloricum) gab. Der Wärmestoff sei unvergänglich, unerschaffbar, unwägbar, durchdringe jedes Stück Materie und bestimme durch seine Menge dessen „Wärmeinhalt“ und durch seine Konzentration die Temperatur.Die Ausdrucksformen „Wärmemenge“, „Wärmeenergie“ und „spezifische Wärme“ stammen aus dem Umfeld dieser Wärmestofftheorie. Auf der anderen Seite wurde schon im 13. Jahrhundert von Roger Bacon und ab dem 17. Jahrhundert u. a. von Johannes Kepler, Francis Bacon, Robert Boyle, Daniel Bernoulli eine mechanische Theorie der Wärme vorgeschlagen: Wärme sei eine Bewegung kleiner, den Augen verborgener Materieteilchen.
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Dieser mechanischen Theorie der Wärme folgt Schnorr. Er geht von Salzfluiden aus, die in der Atmosphäre entstehen und durch das Sonnenlicht erwärmt werden.

„Die Salztheile haben nun die Eigenschaft, daß sie alle Wärme einsaugen. Beide Elemente, das zuströmende Sonnenlicht, und dieß Salzfluidum, sind im beständigen Kriege, welches nun die Oberhand behält, das verursacht uns die Kälte oder Wärme. Je stärker das Salzfluidum durch das Sonnenlicht bewegt wird, desto weniger Wirksamkeit kann das erstere zeigen; die heftigste Bewegung, und es erfolgt die stärkste Hitze; je schwächer, desto kälter wird es; die schwächste – und es erfolgt die stärkste Kälte. Diese Bewegung kann nirgends stärker sein, als gegen die Erde zu, wo nemlich die Sonnenstrahlen das Salzfluidum in Bewegung setzen können. Denn das Salzfluidum, wie alle Fluida, drücken mit ihrer Schwere beständig gegen die Erde zu. Je entfernter von der Erde, desto kälter, und aus den unmerklichsten Graden entsteht endlich oben ein Eisgewölbe, weil die Sonnenstrahlen hier keinen Widerstand finden, also auch keine Kraft anwenden können.“

„Und nun ergiebt sich hieraus eine deutlichere Erklärung der Wärme und Kälte.

Wärme und Kälte ist nun entweder physische oder körperliche.

Physische Wärme ist das durch das Sonnenlicht bewegte Salzfluidum, und körperliche Wärme also die Wirkung dieser physischen Wärme, dieses bewegten Salzfluidums auf unsern Körper.

Physische Kälte ist das durch die beraubten Feuertheile nicht mehr bewegte Salzfluidum, und körperliche Kälte die Wirkung dieses nicht mehr bewegten Salzfluidums auf unsere Nervenfasern.“
Heinrich Theodor Ludwig Schnorr: Neueste, oder doch wenigstens erweiterte Theorie über die Entstehung der Wärme und Kälte. In: Braunschweigisches Magazin. 24stes Stück. Sonnabends, den 11ten Junius, 1791, Sp. 374 und Sp. 376.

Bratbirne: Die Schweizer Bratbirne hat kleine Früchte und entwickelt beim Kochen eine typische Karamellnote.

in der Atmophäre des Mondes: Atmosphäre bezeichnet die gasförmige Hülle um größere Himmelskörper – insbesondere um Sterne und Planeten. Sie besteht meistens aus einem Gemisch von Gasen, die vom Schwerefeld des Himmelskörpers festgehalten werden können. Die Atmosphäre ist an der Oberfläche am dichtesten und geht in großen Höhen fließend in den interplanetaren Raum über. Sie bestimmt im Falle ihrer Existenz wesentlich das Erscheinungsbild eines Himmelskörpers. Im 18. Jahrhundert nahm man an, dass alle Himmelskörper eine Amospäre besitzen, die derjenigen der Erde ähnelt.
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Schnorr meint hier aber hier die Mondsphäre, eine der acht Himmelssphären der alten Astronomie, die sieben Planetensphären von Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn und die sie umschließenden Fixsternsphäre.

 

PETRI APIANI COSMOGRAPHIA, PER GEMMAM Phrysium, apud Louanienses Medicum ac Mathmaticum insignem, restituta. Additis de adem re ipsius Gemmæ Phry. Libellis, ut sequens pagina docet. Væneunt Antuerpiæ in pingui gallina Arnoldo Berckmano. 1539.

lumpichtes Wasser: das Adj. lumpicht bei Personen und Sachen bezeichnet die geringwertige Qualität.

Reisekompan: Geselle beim Reisen, Kumpan

für Kohlen ansah: Katzenaugen sehen aus wie zwei glühende Kohlen; die Metapher wird für real genommen, wie in dem Reiseabenteuer(Des Freiherrn von Münchhausen Eigene Erzählung), in dem Münchhausen auf seinem Auge Funken schlägt, die das Pulver seiner Flinte entzünden.

 

 

Matthäus Seutter und Matthäus Roth [Hrsg.]: Atlas Novus Indicibus Instructus, […] Wien, 1736 [ersch. ca. 1745].

 

Schnorr nutzte für seine Beschreibung einer interplanetaren Reise neben der zweiten Reise Münchhausens zum Mond (Raspe/Bürger) auch die deutsche Übersetzung des ersten Science Fiction-Romans „The Man in the Moon“  des englischen Bischof Francis Godwin (1562-1633), eines utopischen Reiseromans, der in viele Sprachen übersetzt wurde und bedeutende Reiseschriftsteller beeinflusst hat. Das Werk wurde 1638 posthum unter dem Pseudonym Domingo Gonsales veröffentlicht und zeichnet sich durch seine Positionierung in der in der sogenannten neuen Astronomie aus, dem Zweig der Astronomie, der insbesondere von Nicolaus Kopernikus beeinflusst wurde. Obwohl Kopernikus der einzige namentlich erwähnte Astronom ist, stützt sich das Buch auch auf die Theorien von Johannes Kepler und William Gilbert.

 

  

The man in the moone: or, A discourse  Of a Voyage thither by F. G. B. of H. To which is added Nuncius Inanimatus, written in Latin by the same Author, and now Englished by a Person of Worth. The Second Edition. LONDON, Printed for Joshua Kirton, at the Signe of the Kings Arms in St. Pauls Church-yard. 1657. [Francis Godwin]

Die Ich-Erzählung ist aus der Perspektive von Domingo Gonsales geschrieben, dem fiktiven Autor des Buches, Gonsales ist ein spanischer Staatsbürger, der nach Ostindien fliehen muss, nachdem er einen Mann in einem Duell getötet hat. Dort macht er mit dem Handel von Juwelen ein Vermögen und beschließt, nach Spanien zurückzukehren. Auf seiner Heimreise erkrankt er schwer und wird mit seinem schwarzer Diener Diego in St. Helena an Land gebracht. Die Nahrungsmittelknappheit zwingt Gonsales und Diego, einige Meilen voneinander entfernt zu leben, aber Gonsales entwickelt eine Vielzahl von Systemen, um ihnen die Kommunikation zu ermöglichen. Schließlich verlässt er sich auf eine Gänseart, die er als wilde Schwäne bezeichnet, um Botschaften und Proviant zwischen ihm und Diego zu transportieren. Gonsales erkennt allmählich, dass diese Vögel erhebliche Lasten tragen können, und beschließt, ein Gerät zu konstruieren, mit dem einige von ihnen zusammengeschnallt das Gewicht eines Mannes tragen können, damit er sich bequemer auf der Insel bewegen kann. Nach einem erfolgreichen Testflug setzt er seine Heimreise fort. Auf dem Rückweg nach Spanien wird sein Gefährt von einer englischen Flotte vor der Küste Teneriffas angegriffen, und er muss fliehen.

Nachdem Gonsales sich kurz auf Teneriffa niedergelassen hat, zwingt ihn die Annäherung feindlicher Eingeborener wieder abzuheben. Aber anstatt zu einem sicheren Ort unter den spanischen Einwohnern der Insel zu landen, steigt sein Fluggerät immer höher. Am ersten Tag seines Fluges trifft Gonsales auf Phantome in Gestalt von Männern und Frauen, mit denen er sich teilweise unterhalten kann. Sie versorgen ihn mit Essen und Trinken für seine Reise und versprechen, ihn sicher in Spanien abzusetzen, wenn er sich nur ihrer Bruderschaft anschließt. Gonsales lehnt ihr Angebot ab und erreicht nach einer Reise von 12 Tagen den Mond. Plötzlich fühlte er sich sehr hungrig und öffnete die Vorräte, die ihm unterwegs gegeben wurden, nur um nichts als trockene Blätter, Ziegenhaar und Tierdung zu finden. Er wird bald von den Bewohnern des Mondes, den Lunars, entdeckt, die er für Christen hält, die ein glückliches und sorgloses Leben in einer Art pastoralen Paradies führen. Gonsales entdeckt, dass die Ordnung in diesem scheinbar utopischen Zustand aufrechterhalten wird, indem man kriminelle Kinder gegen irdische Kinder austauscht.

Die Lunars sprechen eine Sprache, die nicht so sehr aus Wörtern und Buchstaben als aus Melodien und seltsamen Geräuschen besteht, die Gonsales nach ein paar Monaten einigermaßen fließend beherrscht. Etwa sechs Monate nach seiner Ankunft macht sich Gonsales Sorgen um den Zustand seiner Gänse, von denen drei gestorben sind. Aus Angst, dass er niemals zur Erde zurückkehren, beschließt er, sich von seinen Gastgebern zu verabschieden.

Gonsales verlässt den Mond am 29. März 1601. Er landet ungefähr neun Tage später in China, wird schnell verhaftet und vor den örtlichen Mandarinen gebracht und beschuldigt, ein Zauberer zu sein. Er lernt, den lokalen Dialekt des Chinesischen zu sprechen, und wird nach einigen Monaten der Haft vor den Mandarin gerufen, um über sich selbst und seine Ankunft in China zu berichten, was ihm das Vertrauen und die Gunst des Mandarins einbringt. Gonsales hört von einer Gruppe Jesuiten und erhält die Erlaubnis, sie zu besuchen. Er schreibt einen Bericht über seine Abenteuer, den die Jesuiten nach Spanien schicken. Die Geschichte endet mit Gonsales brennendem Wunsch, dass er eines Tages nach Spanien zurückkehren darf.

 

  

Der fliegende Wandersmann nach dem Mond: Oder Eine gantz kurtzweilige und seltzame Beschreibung der Neuen Welt des Monds, wie solche von einem gebornen Spanier mit Namen Dominico Gonsales beschrieben: Und der Nachwelt bekant gemacht worden ist. Auß den Frantzösischen ins Teutsche übergesetzet, […] Gedruckt im Jahr 1660. [Verf.: Francis Godwin. Bearb. der franz. Ausgabe: Jean Baudoin. Mutmaßlicher Übersetzer: Balthasar Venator. Fälschlich Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen zugeschrieben].

Die deutsche Übersetzung verwendete Raspe für das „Supplement“ seiner 1789 erschienen Sixth Edition seines „Munchausen“, in dem er von einer Welt-Reise Münchhausens auf einem Adler erzählt.

 

Nachdem wir noch, ein wenig ausgeruhet hatten, spannte ich meinen Vogel an, lud mein Schiffchen voll Proviant, und nun gings mit doppeltem Mut. Mein Vogel hob sich, mein Johann pustete, unten stand alles mit offenem Maule. Im Dunstkreise des Mars kamen wir in einer abscheulichen Schneewolke festzsitzen.|[37] Es war eben im Mars auch Winter. Die Sonne saß im Steinbocke, und konnte nicht erst herauskommen. Gut, dacht’ ich: nun können wir erst Rasttag halten. Vogel, Schiff, alles saß fest. Zum Glücke hatte ich meinen großen Säbel bei mir, den ich einst in einer Schlacht gegen die Türken erbeutet hatte. Damit arbeitete ich, was ich konnte, mein Johann half; und so hatten wir in kurzer Zeit 3 völlig geräumige Zimmer, die sich allmählig durch unsre natürliche Wärme vergrößerten. Wir hatten hier alle völlig Raum, und lebten so nach Herzenslust und verzehrten unser Mitgebrachtes, welches uns bei aller seiner Schlechtheit doch nicht übel bekam. Unsere Zimmer sahen völlig aus, wie die schönsten Edelgesteine. Als ich bemerkte, dass ihre Größe zu geschwinde zunahm,|[38]  hielt ich alles in Bereitschaft. Der Vogel saß am Schiffe in völliger Erwartung des Hinweggleiten. Ein Sturmwind trieb die ganze Schneewolke völlig Auseinander und zerstörte unser schönes Luftschloss so geschwind und heftig, dass wir glaubten zu Trümmern und zu Boden zu gehen. Schon hatte mir der Wind meinen Johann zwischen den Klauen – ich packte ihn aber gleich ans Bein, und zog ihn wieder ins Schiff. In dieser Wolke hatten wir doch über 2 Monate zugebracht. Der Sturm legte sich. Wir waren schon im Atem des Mars – wir brauchten nun wieder keine Segel, keine Flügel, keinen Blasbalg – Nur dass wir von allen Seiten einen hässlichen Dunst witterten. Wir hielten die Nasen zu, so gut sichs tun ließ, weil wir solche Übelgerüche nicht gewohnt waren. Das Schiff ließ sich senkrecht auf einer der schönsten Fluren bei einem Dörfchen nieder.

Diese Erde, an sich betrachtet, war gut genug. Ich betrachtete sogleich einige Bäume mit ihren besondern Früchten. Ein Baum trug sehr große herunterhängende Zapfen. Ich nahm derer einen, machte ihn auseinander, und siehe zu meinem Erstaunen fand ich hier ein völliges Kleid mit Knöpfen, genau wie es sein musste. Mein Kleid war ziemlich abgetragen, ich schmiss|[39] es sogleich ab, und zog dieses an. Auch für meinen Johann schlug ich ein Stück herunter. Ich besah noch andre Bäume und fand eine Art Nüsse, worin statt des Kerns die schönsten Schuhe steckten. Ich hatte meine eigenen Gedanken darüber, dass die Menschen hier dazu bestimmt sein] müssten, Kleider und Schuhe zu tragen – und fand meine Hypothesen richtig bestätigt.

Nur die Menschen taugten nichts auf diesem Erdenklumpen. Sie machten gar abscheulich viel Wind, der so hässlich von Geruch war, dass es fast nicht aus zuhalten gewesen wäre, wenn nicht mein Johann, der auch nicht zu bleiben wusste, die Erfindung gemacht hätte, selbst mit dem Kopf in den Blasebalg zu kriechen, und mir den Wind vor der Nase wegzupusten.

Ich untersuchte natürlicher Weise, woher der Wind käme, und fand die gar zu große Sinnlichkeit der Bewohner und die noch größere Fettigkeit des Landes als den Hauptgrund. Die Menschen waren zwar nur so groß als wir – aber die Zwiebel und andere Gewächse waren wohl 10-mal so groß als bei uns. Essen und den Leib pflegen war ihr Hauptbedürfnis, ihr alles. Ihr Leben war ein beständiges Essen, Trinken,|[40] Verdauen, Schlafen. Die Natur brachte hier alle Bedürfnisse ohne sonderliche Kunst hervor.

Ich war hier kaum einige Tage gewesen, als auf einmal meinen Straußen vermissete. Man hatte ihn mir weggekapert, und, wie ich nachher hörte, mit Gift vergeben. Sonderbare Menschen, sie hatten die strengsten Gesetze der Gerechtigkeit, der Ehrbarkeit, der Menschenliebe, der Keuschheit, der Mäßigkeit unter sich festgesetzt – und sie waren nachlässig genug, hieran gar mit keinem Gedanken zu denken, sondern geradezu zu handeln, wie es ihnen einfiel.

Des Nachts lebten sie in puren Federn.

Aus tausenderlei Dingen bereiteten sie sich ein einziges Sattessen. Sie wussten wohl, dass sie sich ihren Magen, ihre Natur verdarben, und doch handelten sie alle Tage dagegen.

Aus ihrem Mais machten sie ein Getränk, das tausendmal ärger als Scheidewasser war. Sie tranken oft und viel davon, um den verdorbenen Magen wieder herzustellen, und die Wolken des Unmuts von der Stirn zu jagen.|[41]

Sie hatten tausenderlei Kleider für alle mögliche Veränderungen. Eitelkeit und – Garstigkeit, ein besonderes Paar, hatten hier ihre Wohnungen zusammen gebaut. Nachlässigkeit und Faulheit waren ihre beständigen Gefährten, Unordnung und Schmutz ihre Nebenbuhler.

Sie verehrten in eignen dazu bestimmten unermesslich großen Häusern ein höchstes Wesen, welches sie begähnten, begrölten, bekomplimentierten.

Ihre Kinder erzogen sie, wie man Affen und Papagäuen erzieht, bloß aus dem Grunde: weil es so Mode war.

Wenn es mir drum zu tun wäre, meinen Lesern Langeweile zu machen, würde ich ihnen noch wenigstens 1 Dutzend Bogen mit dergleichen Bemerkungen ausfüllen können. Ich möchte mir aber nicht gern den Unwillen oder das Gähnen eines einzigen Menschen zuziehen. Also von andern Dingen.

Meine Sinne und Gedanken waren nun einzig dahin gerichtet: wie ich nach dem Jupiter kommen und also meine einmal angefangene Reise vollenden könnte. Dies war mein Tagegedanke,|[42] war mein Traum. Nur ein einziger Mann war auf dem Mars der Weise, der nur einigermaßen erträglich war. Er wurde aber dafür wenig geachtet. Ich achtete ihn desto mehr. Dafür hieß ich mit ihm – der Sonderling, woran ich mich wenig oder nichts kehrte.

Dieser machte mir eine Schilderung vom Jupiter, welche mich nichts weiter wünschen ließ, als je eher je lieber meine Reise anzutreten. Er sagte mir: Es gäbe auf dem Jupiter Menschen von besserer Gattung. Er zeigte mir auch alte Urkunden und Nachrichten davon. Nur sagte er, dass es bei dem Leben des Leibes nicht anginge, hinzukommen – die Hülle von Staub müsse erst aufgelöset sein; die Seele, die die Bessern von ihnen belebte, müsse sich erst vom schweren Körper trennen. – Ich wunderte mich über die Weisheit dieses Mannes, und unterredete mich sehr oft mit ihm über Dinge, woran ich sonst gar keinen Geschmack fand. Er wusste es mit einer so angenehmen und erhabenen Sprache vorzutragen, dass ich nicht umhin konnte, mit seinen Empfindungen zu sympathisieren.

Die Bonzen, sagte er eines Tages zu mir, machen das Unglück der Leute. Wenn diese Mu|[43]ster wären; so wäre das Volk auch anders. Unter andern machen sie ihnen die läppische Chimäre vor, dass dieser Körper, der hier schon in 12 Stunden ganz verweset ist, wenn man auch nicht eine Partikel mehr davon wahrnimmt, einst nach vielen tausend Jahren wieder aus der Erde hervorginge, mit eben dem Wesen und Gestalt, mit eben der Haut, Beinen und Gliedern. Dies glaubt der unvernünftige Teil. Ich und noch einige wenige andere sind deswegen gar wenig geachtet, weil wir anders denken. Wir sind der Meinung: dass unsre Körperteile wieder zu dem werden, was sie waren – geben wieder in die Natur über, beleben wieder andern Staub. Unsre Seelen aber bekommen einen von der Gottheit nach Verdienst und Taten hier auf Erden abgemessen feinen oder gröbern Körper auf dem Jupiter, oder auf einer andern der unzähligen Welten in Gottes weitem Reiche.

Ich staunte über die Weisheit dieses ehrwürdigen Weisen, und schwieg.

Die Sonne saß im Steinbocke:  Im Sternbild Steinbock befindet sich die Sonne ungefähr in der Zeit zwischen 20. Januar und 16. Februar.

im Atem des Mars: Der Mars ist, von der Sonne aus gezählt, der vierte Planet im Sonnensystem und der äußere Nachbar der Erde. Die Atmosphäre ist ziemlich staubig.

ohne sonderliche Kunst: Kunst meint hier menschlichen Geschicklichkeiten und Fetigkeiten.

der Weise: Moses Mendelssohn (1729-1786) war ein deutscher Philosoph der Aufklärung. 1767 veröffentlichte er Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele – einen viel gelesenen philosophischen Text, der in mehreren Auflagen erschien und in zehn Sprachen übersetzt wurde. Dieses Werk ist eine Interpretation des platonischen Dialogs Phaidon, „modernisiert und in Wolffische Metaphysik verwandelt“ (Hegel). Seinen Dialogen stellte Mendelssohn – von Zeitgenossen als „deutscher Sokrates“ bezeichnet – eine lesenswerte Biographie zu „Leben und Charakter des Sokrates“ voran.
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Moses Mendelssohn (1771, Porträt von Anton Graff, Kunstbesitz der Universität Leipzig)

 

Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele, in drey Gesprächen von Moses Mendelssohn. Neueste Auflage. Reutlingen, 1784.

Seele: Schnorr veröffentlichte 1794 eine Umarbeitung von Mendessohns Schrift über die Unsterblickeit der Seele, in der er erfolgreich versucht, Mendessohns „dunklen, abstrakten Vortrag“  Ausführungen gemeinverständlich zu machen und ihm „mehr Licht und Deutlichkeit zu geben.“ Die Schrift ist der Russischen Kaiserin Katharina II. gewidmet.

 

     

Über die Unsterblichkeit der Seele. Nach M. Mendelson’s Phädon. von Heinr. Theod. Lud. Schnorr. Göttingen bey Iohann Georg Rosenbusch. 1794.

Vorrede.

Von vielen Freunden aufgefordert, Moses Mendelsons Phädon eine andere Gestalt, mehr Licht und Deutlichkeit zu geben, wage ich es, dem Publikum die gegenwärtige Umarbeitung desselben vorzulegen. Ich schmeichle mich, seinen dunklen, abstracten Vortrag gemeinverständlicher gemacht zu haben, und dadurch, dass ich theils andere gute Schriften dabey genutzt, theils eigene Zusätze gemacht, besonders den Ungelehrten, selbst dem gebildetern weiblichen Geschlecht*) nützlich geworden zu seyn. Wo Moses Mendelson deutlich war, habe ich fast immer seine eignen Worte beybehalten.

Wer es weiss, wie viel auf die Gewissheit dieser Lehre ankömmt; wie sehr ein jeder Mensch, der nur einige Bildung hat, darüber aus ist, Bestimmtheit über diesen wichtigen Gegenstand zu erlangen; wer es ferner weiss, wie schwer völlige Evidenz in dieser geistigen Materie zu erwarten steht, weil wir von unserm denkenden Wesen keine höhere, keine vollständig deutliche Begriffe haben können; wer ferner meine einzige Absicht erwägt, gute Menschen, so viel es seyn konnte, von der grössten Möglichkeit einer Unsterblichkeit zu überüberzeugen – durch lichtvollere Darstellung und möglichste Kürze Mendelsons Ideen in mehreren Umlauf zu bringen, der wird mich nicht tadeln, dass ich Mendelson umgearbeitet.

Ob es eine Kleinigkeit sey, sich in einen solchen Philosophen, dem ich nicht werth bin, die Schuriemen aufzulösen, hineinzudenken; ihn ganz zu verstehen; den grössten Theil seines dunklen Vortrages aufzuklären; das Wichtigste von dem weniger wichtigen zu unterscheiden; es so sehr abzukürzen als möglich, damit es in viele Hände kommen könne – überlasse ich dem Urtheile derer, die solche Arbeiten kennen.

Vielleicht bearbeite ich noch einst einen zweyten Theil über eben diesen Gegenstand nach den Grundsätzen der heiligen Schriften. Beyde Theile mit einander vereinigt würden, dann erst ein vollkommenes Ganze ausmachen.

Möchte diese Schrift den Segen in der Welt verbreiten, den ich ihr bey dem immer mehr überhandnehmenden Materialismus, bey dem unbeschreiblichen Leichtsinn und der Gleichgültigkeit der Menschen wünsche. Hätte ich zum Wohl meiner Brüder; zur Beruhigung so vieler besonders für jenen wichtigen Entscheidungspunct, wo an keine Rückkehr zu denken ist, an den so viele Menschen im Geräusch ihres Lebens nicht denken, einige für die Ewigkeit bleibende und fruchtbare Eindrücke bewürkt – wie glücklich würde ich mich schätzen. Der Saamen ist ausgestreuet. Gott gebe sein Gedeihen!

–––––

*) Hier erinnere ich mich noch oft mit dem lebhaftesten Vergnügen, der glücklichen und frohen Stunden, die ich einst im Zirkel der Freundschaft einer mir so sehr verehrungswürdigen und allgemein geschätzten Familie, vorzüglich eines mir so theuren Freundes L. v. A. und der mir ewig unvergesslichen Freundinnen J. v. ***. und H. v. ***. verlebte, wo wir Stundenlang über Mendelson sprachen mit der wärmsten Herzensfülle, die der Gegenstand verdient. Ihnen und Ihrem Umgange verdanke ich unendlich viel, mehr als sich in einer Anmerkung sagen lässt. Selbst die Bearbeitung dieses Werkes war Ihr Wunsch. Möchte die Ausführung desselben so ganz Ihrem Wunsche entsprechen!!!
Über die Unsterblichkeit der Seele. Nach M. Mendelson’s Phädon. von Heinr. Theod. Lud. Schnorr. Göttingen 1794.

 

Schnorr: Über die Unsterblichkeit der Seele, S. 53.

Bonzen: jemand, der die Vorteile seiner Stellung genießt und sich nicht um die Belange anderer kümmert; höherer, dem Volk entfremdeter Funktionär

Chimäre: Trugbild, Hirngespinst

Wir sind der Meinung: Die folgenden Überlegungen entfaltet Schnorr in seinem Buch: Über die Unsterblichkeit der Seele. S. 18ff. und S. 59ff.

 

Andreas Cellarius, Planetensystem nach Aratos von Soloi, 1. Hälfte 3. Jh. v. Chr., Planisphaerium Arateum Sive Compages Orbium, Mundanorum Ex Hypothsi Aratea In Plano Expressa, kolorierter Kupferstich, 53 x 44,5 cm, In: Andreas Cellarius: Harmonia Macrocosmica seu Atlas Universalis et Novus totius universi creati Cosmographiam generalem et novam exhibens, Amsterdam: Joannes Janssonius 1661.

 

Meine Reise zum Jupiter lag mir immer in Sinne. Lange zerbrach ich mir den Kopf – bis ich auf einmal einen Traum hatte, der mir Alles ins Licht setzte. Ich hatte eine außeror|[44]dentliche Freude darüber: denn auf dem Mars hätte ich es doch wegen des Gestanks nicht länger aushalten können, ob ich es gleich schon ziemlich gewohnt war.

Der Traum lautete seinem Inhalte nach folgendermaßen: Nimm deinen Johann, verbrenne ihn bei hellem Feuer im Kamin, alsdann wirst du zuletzt seine Seele ungefähr so davon fliegen sehen, wie ein wenig Flachs oder Papier, wenn es verbrannt ist, in die Höhe fliegt; nimm dann diesen Augenblick wahr, und dein Projekt wird dir gelingen. Ohne mich lang zu besinnen, machte ich des andern Morgens das Kaminfeuer noch einmal so groß. – Der Johann frug schon verschiedenemal, was das bedeuten sollte – die Hitze wurde gar arg, und ehe er sichs versah, kriegte ich ihm beim Schopf, hielt die Beine in die Flamme; er tat einen lauten Schrei – im Hui brannte er wie ein Flederwisch, und sein unverbrennbares Wesen ging sogleich mit schnellem Flug in die Höhe. Ich nahm das Tempo wahr, fasste zu; und so war ich im Jupiter, ohne zu wissen, wie.

Nachdem ich auf dem Jupiter angelangt war, machte ich einige sonderbare Entdeckun|[45]gen, die sich auf der Reise mit mir zugetragen hatten.

 

 

Ich leuchtete durch und durch. Die große Geschwindigkeit hatte dies wahrscheinlich verursacht. Ich konnte in das Innerste meines Herzens hineinsehen.

Bei meinem Eingang zum Jupiter mochte ich einem Trabanten des Jupiters nahe gekommen sein: und so war er mir von ohngefähr vermöge der Schnelligkeit des Fluges in meine weite Rocktasche geglitten. Ich bemerkte auf einmal ein gewaltiges Erdbeben in der Tasche, und als ich hinein griff, hatte ich eine allerliebste wackere Kugel in meiner Hand, ungefähr von der Größe einer Zitrone, die immer davon fliegen wollte. Das war recht spaßhaft anzusehen. Auf ewig wäre sie aus der Reihe der Wesen, wenigstens aus dem Standpunkte hinaus gewesen, wenn ich Lust gehabt hätte, dies Werk des Schöpfers in meiner Hand zu zernichten. Meine Augen waren indessen so klar und so hell, dass ich sogleich ohne große Anstrengung Meere, Flüsse, Städte, Dörfer, kurz alles, was man gewöhnlich auf unserer Erde antrifft, darauf bemerkte. Doch sah ich, man denke sich die erstaunliche Kleinheit, nach langer Zeit erst,|[46] indem ich unverrückt meinen Blick auf eine Stelle hinwandte, die sich zu bewegen schien – dass dies Erdchen auch mit lebendigen Geschöpfen bevölkert war. Es war ein ganzes Klümpchen, das sich unaufhörlich bewegte. Ich griff zu, wie wenn man gewöhnlich eine Prise Tabak nimmt, legte dies auf meine Hand und siehe, alles rangierte sich; nicht lange, und ich sah eine Armee so diszipliniert, dass ich genau zwischen alle Kolonnen durch sehen konnte. Sie huckten endlich zusammen, wie Flöhe, die die Hände schöner Damen in Bewegung setzen. Der eine Teil verkroch sich in das Haar auf meiner Hand; der andere verfolgte. Letztere schienen mir die Sieger, erstere die Überwundnen zu sein. Einer schien mir besonders groß und der Anführer – er war in sichtbarer Verlegenheit – selbst in dem Walde, worin er zu sein wähnte, schien er sich doch nicht sicher – er sah sich alle Augenblicke um und schnitt ein jämmerliches Gesicht. Ich mochte die armen Wichte nicht länger quälen, und entließ die ganze Suite wieder an ihre Stelle, woraus ich sie genommen hatte, um meine Betrachtungen auf andere Dinge zu lenken. – Nicht weit davon war ein kleiner Sumpf. In demselben sah ichs von kleinen Tiere wimmeln, die wie Frösche herausguckten, und doch Menschen zu sein schie|[47]nen. Ich blickte näher bin, und fand die Namen Münchhausen Lügenschmiede an ihren Stirnen – wie Brandmahle. Die Lügner, die mir das schändlichste Pasquill angedichtet; ein Buch, worin nicht zehn Märchen die meinigen sind, die man schon tausendmal den Kindern in Ammenstuben erzählt hat – diese Lügenschmiede fand ich in einem Wasser, einen bei dem andern herumkriechen, Sprache, Schrift, alles ihnen benommen, damit sie feine Rechtschaffene mehr ärgern sollten. Ich ergötzte mich nicht wenig daran und dachte an die alte Prophezeiung, die hier wahrgemacht wurde –

Hol mich der Teufel, mein Sohn! Das
soll dir nicht unvergolten bleiben –

und nicht lange erscholl wieder eine Stimme:

So wurde Münchhausen gerächt.

 

 

Möcht ihr dann immer saufen und nicht versaufen, sagte ich: Das ist verdienter Lohn. Vor Freuden vergaß ich die Kugel festzuhalten, sie entglitt mir. Ich griff darnach, aber sie war fort, und flog vermittelst ihres Gas vor meinen Augen wieder an ihren Platz.

Der große Herschel in London hatte es mit bloßen Augen wahrgenommen, dass er über|[48] 2mal 24 Stunden unter den Trabanten des Jupiters gefehlt und sich nachher wieder eingestellt hatte.

Alles, was der Weise mir erzählt hatte, war völlig richtig. Dies war ein wahres Paradies. Die Bewohner dieses glücklichen Erdballes waren nicht über 72 Schuh hoch, also I2mal so groß als wir – übrigens hatten sie einerlei Form mit uns. Wär ich einst einer so ungeheuren Maschine nicht aus dem Wege gegangen, sie hätte mich zertreten wie einen Wurm. – Wie sonderbar sichs hier essen und trinken ließ, lässt sich nicht beschreiben. Wenn ich von einem solchen Tische etwas haben wollte, musste ich in den Knopflöchern meines Johanns, der hier ein weißes taftenes Kleid bekommen hatte, hinaufmarschieren, um etwas herunter zu holen, oder darauf zu setzen. Ihre Tische, ihre Gefäße, alles war nach Verhältnis so groß, wie sie sein mussten. Füglich konnte ich auf dem Rande eines Pokals ohngefähr wie eine Fliege sitzen. Alles war Staunen für mich um und um. Solche Eintracht, solche Annehmlichkeit, solche süße Gerüche, solch kostbares Essen und Trinken gehen über alle Beschreibung. Ich kann es dem Paulus nicht verargen: dass er in den dritten Himmel entzückt wurde. Ein Herr, bei dem mein Bedienter|[48] gleich angetreten war, hatte seinen Gefallen an mir, wenn ich ihm am Beine kribbelte. Er griff dann hinunter, setzte mich auf den Daumen seiner linken Hand und ließ mich so darauf reiten. Augen hatte er so hell und feurig, dass ich nicht im Stande war, lange den Blick auszuhalten – Doch bediente ich mich derselben, weil hier keine Spiegel zu finden waren, beim Bartputzen, und da taten sie mir treffliche Dienste.

Die Leute sprachen viel mit mir, aber ich verstand sie nicht. Nur so viel sahe ich, dass ich bei guten lieben Menschen war, die an der ganzen Schöpfung ihr Wohlgefallen hatten; die nicht so, wie in Europa oder in Deutschland, alles tot zu machen pflegen, was nicht so ist, wie sie, mags schädlich oder unschädlich sein. Wäre ich in gleichem Verhältnisse in Europa gewesen, und ich hätte dann, wie eine Fliege oder Mücke, aus dem Glase eines 72füßigen getrunken, oder wäre gar aus Versehen hineingepurzelt, wie das zuweilen geschah – man hätte mich aufs abscheulichste behandelt, tot getreten, am Licht verbrannt, mir ein Glied nach dem andern ausgerissen, und so am Gezappel Wohlgefallen gefunden, oder sonst sein Spiel mit mir getrieben.|[50]

Ich konnte hier alles nicht so übersehen, wie ich wünschte. Was ich sah, war, dass ich nirgends weniger Bedürfnisse fand, nirgends weniger unmäßige Menschen, nirgends schönere Frauen und Mädchen. Der Tempel der Natur war ihr Gotteshaus – Alle waren Priester, alle Könige, weil man hier keiner Oberherrschaft bedurfte, weil hier alle ihre höchste Körper- und Geistesvollkommenheit hatten. Sie waren die Glücklichsten, die man sich denken kann. Sie durchlebten ihre Äonen in seligster Zufriedenheit und Unschuld.

Der Jupiter selbst war, wie ich von meinen Johann erfuhr, der vollkommenste Planet. Die Binden darum, wie man sie hienieden sieht, waren Wasser und Meere, die sich auf die herrlichste Art für die Bewohner, teils zum Baden, teils zu Flussschiffahrten schickten. Die hellen Streifen waren lauter vortreffliche Ebenen, zum Teil mit Lustwäldern, die alle mit dem ausgesuchtesten wohlriechenden Holz, Grotten und Lustgängen ausgeschmückt waren. – Nach einem Bosquet und einer Grotte habe ich förmlich das Model der Meinigen genommen, weil sie mir so außerordentlich gefiel. – Hier konnten die Menschen die Natur mit höherem Geiste ausspähen. Alle dachten gleich, alle wahr – alle|[51] gut. Hier gabs keine Streitereien, keine Starrköpfe und Starrsinne, keine Pasquillenmacher, keine Faktionen, keine Juristen, Advokaten, Wurmdoktoren und Beutelschneider. Alles war zufrieden mit Dem, was da war, und suchte darin sein höchstes Glück, sich für diejenige Welt, in der sie lebten, immer vollkommener zu machen.

Hier fand ich auch verschiedene von meinen alten Bekannten. Unter andern den großen Euler aus Petersburg. Er hatte eine herrliche Sternwarte. Er grüßte mich freundlich, und zeigte mir unsre Erde, die grade so klein war, dass ich sie von andern kleinen Sternen nicht unterscheiden konnte; so klein, wie sich mir gewöhnlich auf unsrer Erde ein kleiner Stern darstellte. Meine noch körperliche Augen waren von den seinigen so sehr unterschieden, dass er die Menschen darauf gehen sehen konnte. Er war ein völlig schöner, kraftvoller Mann. Er prophezeiete mir viel von großen Begebenheiten auf der Unterwelt – womit ich meine Freunde nicht beängstigen will. Das eine kann ich hier nicht unberührt lassen, weil es mir nach grade einzutreffen scheint: dass man sich die Luft zinsbar und unterwürfig machen würde. – Er konnte ohne Anstrengung in der Luft schweben.|[52] Er hätte es mich auch gern gelehret – aber bei meiner Schwere war es nicht möglich. Als ich ihm äußerte, dass ich gern wieder auf der Unterwelt sein möchte, gab er mir einen Fallschirm von seiner Erfindung mit, mit dem ich ganz gemächlich von Planeten zu Planeten reisen könnte: ich dürfte nur den steigenden und fallenden Druck anwenden.

Eben als ich davon Gebrauch machen wollte, begegnete mir der Oberforstmeister X. Ich hätte ihn nicht gekannt, hätte ich ihn nicht an seinen Hunden bemerkt. Er hob mich gleich in die Höhe, und setzte mich in eines von seinen obersten Westenknopflöchern, und unterredete sich recht freundschaftlich mit mir. Ich musste ihm von meinen Abenteuern erzählen. Er musste manchmal herzlich lachen, besonders über die Hundegeschichten. Er hatte alle meine geliebten Hunde bei sich, die sich alle, als er mich herunterließ, an mich anschmiegten, als wenn sie noch ihren alten Herrn röchen, und ein freudiges Geheul machten. Ich umarmte einen dem andern, wenn sie zu mir herabrochen, besonders den Stummelbeinigten, dessen sich meine Leser noch wohl zu erinnern wissen. Nur den Sultan fand ich nicht. Er musste also sehr wahrscheinlich noch leben und gut ge|[53]fallen sein, wie sich auch in der Folge ergibt. Eben spielte ich mit meinem Fallschirm, und dachte nicht an die Anwendung desselben, hatte den fallenden Druck angewandt, ging also ohne Umstände fort, wie einer der verschwindet – nicht volle 24 Stunden – und ich war schon wieder auf dem Mars.

Mein Fallschirm war das herrlichste Instrument. So sanft, fürtrefflich und geschwind bin ich mein Tage noch nicht gereiset. Das geht über alles, über Kutschen, davon ich mein Tage kein Freund gewesen bin, über Pferde, welches sonst mehr meine Sache war, als jetzt – über Straußen, über Häckerslingsseil ⁊c.

Der besondern Lebensart, der ewigen Zwiebelgewächse, und des Gestanks hatte ich herzlich genug; so wie meine Leser auch wohl genug davon haben. Ich nahm also, ohne mich lang zu bedenken, meinen Fallschirm, und ließ mich herunter. Aber was geschah? Der Stoß, der mich zum Monde brachte, geschah etwas unsanft – ein heftiger Wind kam auch dazu – Der Fallschirm zerbrach, der Schrecken führte ihn aus meiner Hand – und anstatt auf den Mond zu kommen, ging er beim Monde weg, und ließ sich auf unsre Erde nieder nahe bei Ca|[54]lais, wo er in die Hände des Luftschiffers Blanchard geriet, der sich eben mit einer Art von Luftdrachen als Knabe beschäftigte, und schon anfing, hiervon auf große Luftreifen zu abstrahieren. Er flickte ihn aus, als er größer war, machte Proben damit, und jetzt hat er sich einen neuen der Art machen lassen, womit er, wie sie wissen, soviel Hokuspokus macht. – Allein, der steigende und fallende Druck ist mit dem Original erloschen. Nun werden sich die Herren nicht mehr wundern über die großen Erfindungen Blanchards. Sie sehen ihren Ursprung. Und könnten wir nur immer den Erfindungen und Unternehmungen der großen Gelehrten so recht auf die Fährte kommen, wir würden da zuweilen verteufelte Entdeckungen machen.

Hier saß ich nun – ich armer Wicht – auf dem Monde – Jeder wird gewiss Mitleiden mit mir haben – ohne Straußen, ohne Fallschirm, ohne Blasebalg, ohne Johann. Langt wollt ich hier nicht weilen, weil es eine der lumpigsten Erden ist, die ich kenne, die bald wie ein Jagdhorn zusammenschrumpft, dann wieder wie ein Hintern wird. Und die Leute darauf kennen die Herren schon. Sie find keinen Schuss Pulver wert. Und für die Be|[55]sorgung meines Erdenkloßes war auch wenig hier oder nichts.

Eine Bemerkung fiel mir hier noch sehr ins Auge und kam gerade zur rechten Zeit. Ich hatte mich auf unsrer Erde gar nicht davon überzeugen können, dass die Entstehung des Mondes, noch mehr seine unbeträchtliche Größe, einen solchen Einfluss auf unsre Meere haben könnte, als den, welcher Ebbe und Flut hervorbringt. Hier habe ich mich mit meinen Augen davon überzeugt. Man muss also nicht sogleich vor der Hand alles verwerfen, was seinen Grund zu haben scheint. Das habe ich mir nun zur völligen Maxime  gemacht.

Dem Monde geht es zuweilen wie dem Menschen, wenn er sich überladen hat. Seiner gewaltigen Poren wegen lädt er von 6 zu 6 Stunden genau so viel Wind ein, als zur Konservation desselben und zur Haltung in der Luft nötig ist. Dieser Wind muss ihm nun, wie natürlich, heftiges Bauchgrimmen machen. Ich sah es einmal selbst, wie er sich auf den Bauch legte und mit gewaltiger Force drückte. Als ich mich nach der Ursache erkundigte, hörte ich, dass er alle sechs Stunden genau diesen Druck anfing, und diesen Druck hauptsächlich gegen|[56] das Meer zu anwendete, und so die Ebbe und Flut beförderte, und, je nachdem er stärkeres oder schwächeres Leibweh hätte, auch die Flut stärker oder schwächer würde. – Die Einwohner haben eine große Angst dafür, dass er mal, bei gar zu starkem Drängen, sich losgeben, elendiglich ins Meer herabpurzeln, und so mit Mann und Maus verunglücken würde.

Andre waren aber der Meinung: der Mond hole alle sechs Stunden Otem, wodurch seine Lunge sich so stark anschwelle, dass sie auf das Meer drücke, und so diese wunderbare Naturwirkung hervorbringe. Jene scheint mir die lustigste, diese die natürlichste Meinung zu sein.

Als ich diese wichtige Entdeckung gemacht hatte, womit ich der Welt einen großen Dienst zu leisten dachte, resolvierte  ich mich kurz und gut, bettelte so viel Häckerling zusammen, als möglich, sah mich besser vor, als das erstemal, schnitt ein trichterförmiges Loch in den Mond, packte mich so gut ich konnte in den Häckerling, schickte erst eine ganze Menge voran, damit ich weich fiele, und nun fiel ich nach, nachdem ich mich so fest eingewickelt hatte, als möglich. Aus dem Häckerling wurde nun ein solcher Berg, als ich herunter kam, dass die Pferde des kö|[57]niglichen Marstalls in Hannover 200 Jahre daran zu fressen gehabt hätten. Ich fiel so weich und so drin zu, dass ich 3 Tage zu tun hatte, ehe ich mich herausarbeitete. Es schneiete noch 8 Tage Nichts als Häckerling.

Und nun hatte ich also eine der größten Reisen, die je Sterbliche hienieden unternommen, zwar abenteuerlich genug, aber glücklich vollendet.

 

––– 

Jupiter: Jupiter ist mit einem Äquatordurchmesser von rund 143.000 Kilometern der größte Planet des Sonnensystems. Mit einer durchschnittlichen Entfernung von 778 Millionen Kilometern ist er von der Sonne aus gesehen der fünfte Planet. Er ist nach dem römischen Hauptgott Jupiter benannt. Er hat keine sichtbare feste Oberfläche.
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Schnorr: Über die Unsterblichkeit der Seele, S. 54.

wie ein Flederwisch: Ein Flederwisch (auch Wisch) ist ein Enten- oder Gänseflügel, der als Handfeger benutzt wird.

Pasquill: eine Schmäh- oder Spottschrift, die verfasst wird, um eine bestimmte Person zu verleumden oder in ihrer Ehre zu verletzen.

Hol mich der Teufel, [...] nicht unvergolten bleiben: sagt Gott zu Münchhausen in Bürgers Kapitel: Des Freiherrn von Münchhausen Eigene Erzählung spricht.

sich nachher wieder eingestellt hatte: Die vier damals bekannten Jupiter-Monde unmkreisen den Planeten auf Bahnen, die, von der Erde aus gesehen, zu zeitweiligen Bedeckungen einzelner Monde führen.

in den dritten Himmel entzückt wurde.: Es ist mir ja das rühmen nichts nutze, doch wil ich kommen auf die gesichte, und offenbahrungen des HErrn. Ich kenne einen menschen, in Christo,  vor vierzehn jahren, (ist er in dem leibe gewesen, so weiß ich es nicht, oder ist er außer dem leibe gewesen, so weiß ich es auch nicht, GOtt weiß es,) derselbige war entzücket bis in den dritten himmel. Und ich kenne den selbigen menschen, ob er in dem leibe, oder ausser dem leibe gewesen ist, weiß ich nicht, GOTT weiß es,) Er war entzücket in das paradieß und hörete unaussprechliche worte, welche kein mensch sagen kan. Davon wil ich mich rühmen, von mir selbst aber wil ich mich nichts rühmen, ohn meiner schwachheit.
2. Kor 12,1-5

Äonen: Lebenszeit

Die Binden darum: Auf der Planetenoberfläche kann man mit einem Teleskop die Streifen des Jupiters erkennen. Möglicherweise meint Schnorr aber die Mondflecken.

 


Zedler Lexikon 1731ff., Bd. 21, S. 272.

Euler: Leonhard Euler (1707-1783) war ein Schweizer Mathematiker, Physiker, Astronom, Geograph, Logiker und Ingenieur. Er machte wichtige und weitreichende Entdeckungen in vielen Zweigen der Mathematik, wie beispielsweise der Infinitesimalrechnung und der Graphentheorie. Gleichzeitig leistete Euler fundamentale Beiträge auf anderen Gebieten wie der Topologie und der analytischen Zahlentheorie. Er prägte große Teile der bis heute weltweit gebräuchliche mathematische Terminologie und Notation. Beispielsweise führte Euler den Begriff der mathematischen Funktion in die Analysis ein. Er ist zudem für seine Arbeiten in der Mechanik, Strömungsdynamik, Optik, Astronomie und Musiktheorie bekannt. Euler, der den größten Teil seines Lebens in Sankt Petersburg und in Berlin verbrachte, war einer der bedeutendsten Mathematiker des 18. Jahrhunderts. Seine herausragenden Leistungen ebbten auch nach seiner Erblindung im Jahre 1771 nicht ab und wurden bereits von seinen Zeitgenossen anerkannt.

Euler hat sich in sehr vielen klassischen Gebieten der Physik verdient gemacht.

In Schriften wie Mechanica, sive motus scientia analytica exposita (1736) und Theoria motus corporum solidorum seu rigidorum (1765) wandte Euler die Mathematik auf Fragen der Physik an. Am 3. September 1750 las er vor der Berliner Akademie der Wissenschaften ein Mémoire, in dem er das Prinzip „Kraft gleich Masse mal Beschleunigung“ im Kontext der „Eulerschen Gleichung der Starrkörper-Rotation“ als eigene und neue Entdeckung vorstellte.

Im Jahr 1757 veröffentlichte er wichtige Gleichungen, die den Fluss reibungsfreier elastischer Fluide beschreiben. Diese sind heute als Euler-Gleichungen der Strömungsmechanik bekannt. Außerdem arbeitete Leonhard Euler in der Mechanik auf den Gebieten der Turbinengleichung und der Kreiseltheorie (Eulersche Kreiselgleichungen).

Die erste analytische Beschreibung der Knickung eines mit einer Druckkraft belasteten Stabes geht auf Euler zurück; er begründete damit die Stabilitätstheorie. Er half bei der Entwicklung der Euler-Bernoulli-Balkengleichung, die zu einem Eckpfeiler des Ingenieurwesens wurde. Abgesehen von der erfolgreichen Anwendung seiner analytischen Werkzeuge auf Probleme der klassischen Mechanik wandte Euler diese auch in der Astronomie an – diese Arbeiten wurden im Laufe seiner Karriere durch eine Reihe von Preisen der Pariser Akademie anerkannt. Zu seinen Errungenschaften gehören die genaue Bestimmung der Bahnen von Kometen und anderen Himmelskörpern, das Verständnis der Natur von Kometen und die Berechnung der Sonnenparallaxe. Seine Berechnungen trugen zur Entwicklung präziser Längengradtabellen bei.

In der Optik veröffentlichte er Werke zur Wellentheorie des Lichts und zur Berechnung von optischen Linsen zur Vermeidung von Farbfehlern. Er widersprach Newtons Korpuskeltheorie des Lichts, die damals vorherrschend war, in den Opticks. Seine Arbeiten zur Optik aus den 1740er Jahren trugen dazu bei, dass die von Christiaan Huygens vorgeschlagene Wellentheorie des Lichts zur vorherrschenden Denkweise wurde, zumindest bis zur Entwicklung der Quantentheorie des Lichts.
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Jakob Emanuel Handmann: Leonhard Euler. Öl auf Leinwand, um 1756.

das Model der meinigen: Er that manches zur Verschönerung des Gutes, lebte dort in ländlicher Stille und spärlichem Umgange mit Verwandten und Nachbaren, fast nur seiner leidenschaftlichen Freude an der Jagd mit zubehörigen Hunden und seinen Pferden, deren Vollkommenheiten und Tugenden er gern anzupreisen pflegte.
A. F. von Münchhausen 1872, S. 65.

Pasquillenmacher: sind solche, die ihre Mitmenschen zum Gespött machen und zum Narren halten.

Wurmdoktoren: Nicolas Andry de Boisregard (1658-1742) war ein französischer Mediziner, wirkte als Parasitologe, Orthopäde und Kinderarzt, sowie Literat der Aufklärung. Berühmt wurde er durch seinen Behandlungserfolg diverser parasitärer Darmkrankheiten, was ihm den Spitznamen „Wurmdoktor“ eintrug.
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Beutelschneider:  ein Dieb, der den am Gürtel befestigten Geldbeutel samt Inhalt abschnitt, im übertragenen Sinne auch einen Anbieter überteuerter Waren oder Dienstleistungen.

Meine noch körperliche Augen waren von den seinigen so sehr unterschieden: 1738 erkrankte Euler schwer und verlor die Sehkraft seines rechten Auges, er erblindete 1771 vollständig.

dass man sich die Luft zinsbar und unterwürfig machen würde: Euler berechnete die Flugbahnen  von Kanonenkugeln und soll die Möglichkeit der Luftfahrt vorausgesagt haben.

Hokuspokus: Gaukelei, fauler Zauber

die großen Erfindungen Blanchards: Louis-Sébastien Lenormand (1757 -1837) war ein französischer Physiker, Erfinder und Pionier des Fallschirmspringens. Er gilt neben seinem Landsmann André-Jacques Garnerin als einer der ersten Menschen, denen nachweislich ein Fallschirmsprung gelungen ist. Auch wird ihm die Prägung der für Fallschirme gebräuchlichen französischen Bezeichnung parachute zugeschrieben. Lenormand studierte in Paris bei Lavoisier und Berthollet Physik und Chemie und arbeitete danach im Betrieb seines Vaters. Gleichzeitig begann er, ein Fluggerät zur Rettung von Personen in brennenden Gebäuden zu entwickeln. Nach ersten Versuchen mit modifizierten Regenschirmen verfeinerte er seine Konstruktion und sprang 1783 unter Verwendung eines Fallschirmes mit steifem Rahmen und einer Spannweite von 14 Fuß (4,3 Meter) vom Turm des Observatoriums der Academie Royale des Sciences (Königliche Akademie der Wissenschaften) in Montpellier, wo er unverletzt landete.

Am 3. Oktober 1785 ließ Jean-Pierre Blanchard in Bornheim, einem Stadtteil von Frankfurt am Main, seinen Hund und am 23. August 1786 in Hamburg einen Hammel von einem Ballon aus mit dem Fallschirm herab.

Der erste Mensch, der mittels Fallschirm freiwillig aus einem Ballon ausstieg, war der Franzose André-Jacques Garnerin am 22. Oktober 1797. Er sprang aus einem selbstgebauten Wasserstoffballon aus 400 Meter Höhe über dem Pariser Parc Monceau.
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Französische Karikatur über die Erfindung des Fallschirms. Das Bild zeigt die Angst, dass junge Männer und Frauen ihre Eltern verlassen, in diesem Fall mit dem neu erfundenen Fallschirm. Kolorierter Kupferstich, Ende des 18. Jahrhunderts.

Ebbe und Flut: Der englische Mönch Roger Bacon behauptete im 13. Jahrhundert, dass der Mond die Gezeiten in den Ozeanen verursachte, glaubte jedoch, dass dies daran lag, dass die Lichtstrahlen des Mondes „Dämpfe“ aus dem Meer aufwirbeln, die das Wasser in Bewegung versetzen. Als der Mond zu hören war, verdampften diese Strahlen das Wasser, was dazu führte, dass die Flut zurückging.

 

Über den damaligen Wissensstand informiert Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Bd 8: Ebbe und Flut, Sp. 9-28. Hier ein Auszug, in dem einige Ursachen der vorher beschriebenen Phänomene diskutiert werden.

 

 

Theoria Lunae in qua motus ejusdem anomalus ex Hypothesi ill: Isaaci Newtoni, ut et Tychonica et Horro[...]ciona, porro illius motus cycloidalis et libratorius cum aliis Phaenomenis ad Lunam spactantibus sistuntur, à Ioh. Gabr. Doppelmaiero Academiae Caesar. Leopoldino -Carolinae, Nat. Curios. Societatumq[ue], Regiarum, Britan[n]icae et Borussicae Sodali, nex non Mathem: Professore publico. Sumtibus Heredum Homan[n]iorum Noribergae.

Maxime: oberste Lebensregel

Dem Monde geht es zuweilen: Schnorr parodiert hier die zeitgenössische Astronomie mit Rückgriff auf mittelalterlichen Mythen.

resolvierte: verabschiedete

 

Sciathericum seleniacum sive lunare expansivium. ; P. Miotte sculps.

Athanasii Kircheri [...]. Ars magna lucis et umbrae, in decem libros digesta: quibus admirandae lucis et umbrae in mundo, atque adeò universa natura, vires effectusque uti nova, ita varia novorum reconditiorumque speciminum exhibitione, ad varios mortalium usus, panduntur [...]. Romae: Sumptibus Scheus; ex Typographia Grignani, 1646. [Athanasius Kircher], nach S. 556.

 

Sumptibus Heredum Homannianorum (Hg.): Systema solare et Planetrium. ex hypothesi Copernicana secundum elegantissimas Illustrissimi quondam Hugenii deductiones novissime collectum et exhibitum à Iohanne Bapt Homanno Noribergae. Cum Privilegio Sac. Caes. Maj. In: Atlas Coelestis. In Qvo Mvndvs Spectabilis Et In Eodem Stellarvm Omnivm Phoenomena Notabilia, Circa Ipsarvm Lvmen, Figvram, Faciem, Motvm, Eclipses, Occvltationes Transitvs, Magnitvdines Distantias, Aliaqve Secvndvm Nic. Copernici Et Ex Parte Tychonis De Brahe Hipothesin. Nostri Intuitu, Specialiter, Respectu Vero Ad Apparentias Planearvm Indagatv Possibiles, E Planetis Primariis, Et E Luna Habito, Generaliter, E Celeberrimorum Astronomorum Observationibus Graphice Descripta. Norimbergae 1742.

 

 

Auf 3 Meile Weges hatte ich allen mit meinen Häckerling überschwemmt. Ich sah allgemach die Leute, einen nach dem andern, sich wieder herausarbeiten. Sie waren nicht wenig erfreuet, als sie nach genauer Untersuchung auf eine lange Zeit Futter für ihr Vieh fanden, ohne die geringste Mühe und Arbeit. Das ists eben, was der gemeine Mann so sehr wünscht – und grade das, was ihn am  meisten verdirbt. Sie waren so erstaunt, dass sie nicht wussten, was für ein wohltätiger Drache so viel Wohltätiges über sie ausgeschüttet. Ein solcher Wolkenguss war ihnen noch nie begegnet. – Ich hatte kaum den ersten, mit dem ich mich aus dem Häckerling herausgearbeitet, gesehen, so erkannt|[58] ich russische Tracht und Sprache. Ich erkundigte mich, wie weit ich von Petersburg wäre, und erhielt zur Antwort: 2 Meilen. Welch eine Freude für mich! – Doch war ich so ausgeleert und hungrig, war wieder durch unsere schwere Luft so undurchsichtig geworden, wie zuvor. Mich verlangte herzlich, endlich einmal wieder europäische Kost in meinen europäischen Magen zu bekommen. Man brachte mich, nachdem man alles so ziemlich aufgeräumt und sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, ins nächste Wirtshaus. Als ich in die Stube trat sah ich in der Nähe beim Ofen einen Milchschrank mit vielen Milchgefäßen. Ich forderte nichts, erwartete nicht erst, dass mich die Wirtin bedienen möchte, sondern lief spornstreichs zu, nahm eine Schale und schlang sie begierig hinunter, ohne abzusetzen; noch eine, die von etwas dicker Konsistenz war, wollte nicht so fließen – ich musste einige Mal absetzen. Ich nahm eine dünnere, die ohne Absetzen wieder hinunterglitt; eine vierte, schon sah mich die Wirtin mit großen Augen an, zumal da ich den Rahm und alles einschlang. Doch es half nichts. Ich ließ mich nicht stören. Man denke sich: wenn man so lange gereiset ist und in vielen Tagen nichts Reelles gegessen hat – wie einen der Hunger plagen muss. Kurz: ich|[59] trank nicht mehr als 20 Milchschalen mit Rahm und allem aus. Alle kreuzigten und gesegneten sich. – Aber was für Arbeit gabs nun in meinem Leibe! Welches Gekuller und Geknall. Ich bekam Leibschmerzen, so arg wie noch nie. Man kann in der Hölle solche Leibschmerzen nicht haben. Das ging immer wie eine lebendige Buttermaschine. Lass buttern, lass buttern, dacht ich, vielleicht hast du dadurch Verdienst. Mein Geld hatten sie im Mars – alles hatten sie mir rein weggeplündert, alles weggepeickt. Selbst meinen Straußen hatten sie mir um deswillen mit Gift vergeben, weil sie glaubten: ich würde ihren Erdkreis im Namen – einer gewissen Macht in Besitz nehmen. Dem sei nun, wie ihm wolle – ich merkte schon, was aus mir werden sollte. Ich sagte zur Wirtin: Sie möchte nur so viele Gefäße herbringen, als sie im Hause hätte. Sie brachte sie – und nun musste ich mich – Mit Gunsten sei es gesagt vor Herren und Damen – übergeben so oft und so viel, dass ich nicht erst das Ende absehen konnte. Und was ich übergab, war wie natürlich – die klare gediegene Butter. So schön kann sie in keinem Butterfass gemacht werden. Die Wirtin war immer behülflich, mir es recht leicht zu machen, schlug mich je zuweilen, wenn es nicht recht wollte, zwischen die|[60] Schulterblätter, und sah mich recht freundlich an. Nachdem alle Gefäße voll waren und ich nun einige Erleichterung bekommen hatte, machte die Wirtin die Butter vollends fertig und tat das gehörige Salz dazu. Man wog sie, und es waren nicht mehr als 109  31 Loth 3 Quentchen: so dass nur ein einziges Quentchen an einem Zentner fehlte. Die Wirtin bezahlte mir jedes Pfund mit 13 Kopeken, welches nach unserm Gelde 6 Gr. 5 ¼ Pf. macht; so daß ich für diese einzige Butterung 15 Rubel reines Geld und freie Zehrung hatte. Die Wirtin ließ es nun an nichts fehlen. – So wohl gespeist, wohl getränkt ging ich mit meinen 15 Rubeln nach Petersburg, wo ich Tages darauf dieselbe Butter auf der Tafel Ihro Majestät der Kaiserin am Geruch und auch an der Aussicht erkannte. Wohl tausendmal hat mich die Frau dafür gesegnet: denn sie war durch diese Butter zu einem Vermögen von 60 Rubel gekommen – weil die Kaiserin sie so sehr goutiert hatte. Sie ließ mir es wohl noch zehnmal sagen, ihr den Gefallen zu tun und bei ihr zu buttern; allein ich bedankte mich inständigst. Ich dachte: Mögen die Leute doch das Ding selbst versuchen. Es ist eine abscheulich ekelhafte Sache. Damals brachte mich Hunger, Not und Zufall dazu.|[61]

 

 

–––

 

Ihro Majestät, die Kaiserin, beliebten nämlich eben damalen eine Reise zu Schlitten nach Moskau anzustellen. In allen Kirchen wurde öffentlich für das Wohl der Monarchin gebetet, wiewohl sie auch ohnedas recht gut gereiset wäre. Sie geruhete mich dann, wegen meiner großen Talente im Reiten und andern kavaliermäßigen Übungen, wovon ich bei Ihro Majestät die ausgezeichnetsten Proben abgelegt hatte, nebst verschiedenen andern vom russischen Adel zur Eskorte zu wählen. Der Zug ging vor die Hand, wie folget;

1) Ein Courier.
2) Ihro Majestät Läufer.
3) Ihro Majestät Leiblakaien.
4) Ihro Majestät Marschall– das war meine Wenigkeit.
5) 3 kleinere Schlitten, jeder von 24 Personen mit dem Hofstaat der Kaiserin.
6) Ihro Majestät Schlitten. Wieder
7) 3 kleinere Schlitten.
8) Ein Marschall – und das war wieder meine Wenigkeit.
9) Wieder Ihro Majestät Leiblakaien.
10) Ihro Majestät Läufer.
11) Ein Courier.
|[62]

Der Zug sah, wie natürlich, sehr feenmäßig aus. Der Schlitten Ihro Majestät war von ganz besonderer Einrichtung. Man kann sich ihn am besten unter einem förmlichen kleinen Jagd- oder Sommerschlosse vorstellen – außer, dass er er nach russischer Art, und, um bequemer fortzukommen, nur 1 Stockwerk und Souterrain hatte. In letzterm befanden sich Küche, Keller, Weinkeller, Bedientenzimmer mit allen nur möglichen Bequemlichkeiten. Im Oberteile war Ihro Majestät Wohnzimmer, der Audienzsaal, das Speisezimmer, welches sehr bequem zu 100 Kouverts eingerichtet war; Ihro Majestät Schlafgemach – Schlafgemächer für die andern fürstlichen Personen – alles aufs kostbarste mit Tischen, Stühlen, Spiegeln and allem nur möglichem Hausgeräte ausmöblieret. Und alles dies wurde – hol mich – von 24 Pferden gezogen. Man kann hieraus auf die fürtreffliche leichte russische Bauart, und noch mehr auf die Stärke der Pferde schließen. Und dies Fuhrwerk ging so schnell, dass man das Fahren gar nicht merkte. Man konnte alles nur Mögliche im Schlitten vornehmen, ohne dass es im geringsten genierte. Man spielte, man aß, man trank, und ich wüsste mir nur einmal zu besinnen, dass es einen kleinen Stoß gegeben hätte. Freilich war Weg sorgfäl|[63]tig vorher dazu bereitet. Alle 10 Werste hatten wir Relais. Die russischen Postmeister hatten ihre Pferde in einer so herrlichen Zucht, wie ich sie in Deutschland noch nie antraf. Alle 24 Pferde waren schon zusammengespannt, noch ehe der Schlitten bei dem Relais ankam. Der Postmeister selbst hielt sie aus Ehrfurcht gegen seine Monarchin an der hintersten Wage. In dem einen Augenblick waren die einen 24 vorweg, und in demselben die andern wieder vorgesteckt, ohne im Mindesten einen Stillstand oder Aufenthalt zu verursachen. Hätten sie das nicht so geschickt gekonnt; so würde, da die Schlittenbäume von purem Stahl waren, und sich der Schlitten also nicht aufhalten ließ, alles zu Grund und Boden gegangen, und der Schlitten auch ohne Pferde wenigstens noch 4 Werste fortgesauset sein. So gings einst – und ein brummigter Postmeister musste mit seinen Pferden und Leuten einen ganzen Werst hinterherlaufen und – ein Glück für ihn! er traf noch richtig das Loch.

Unterwegs kam uns ein Wolf in die Quere. Schon war er Willens, eins unserer Pferde zu attackieren, aber ich nahm meine Peitsche, machte ein |[64]

 brachte ihm gerade seinen Kopf oben zwischen das I; so dass er mir in der Peitsche hängen blieb. Ich ritt so auf den Schlitten Ihro Majestät der Kaiserin los, zeigte ihr die Bestie, und sie geruhete dies so gnädig zu nehmen, dass sie mir diesen einzigen Ritterschlag mit 10000 Rubeln bezahlen ließ.

Der Zug ging fort. Eben war ich bei Ihro Majestät im Zimmer, um mit den andern vom Hofe die Cour zu machen – als sich auf einmal ein Geschrei erhob. Wir kamen auf einen etwas höckerigten Weg. Schon war der augenscheinlich Anschein des Umfallens da. Ich stemmte mich aber geschwind in die Ecke, wo der Schlitten am schiefsten in die Höhe stund – und er blieb dadurch in einem so bewundernswürdigen Gleichgewicht, dass die Kaiserin nicht umhin konnte, mich im Angesicht Aller zu loben und zu sagen:

Münchhausen! ihr seyd ein Kerl – ihr könnt Mehr als Brot essen.

Wir reiseten weiter. Auf einmal ließ sich ein Heer wilder Gänse sehen. Sie mochten leicht 4000 Schritt in der Luft sein – wenigstens war ein Geometer bei uns, der es sogleich|[65] mit seinem Handwerkszeug ausmaß. Ich setzte er förmlich darauf an, sie alle zu haben, und lud in der Absicht in eine Flinte eine Kugel mit einem langen Zwirnsfaden, der mit Drachenfett aus Nubien beschmiert war, legte an – und die Kugel ging ganz richtig durch den Hals der ersten zu dem Liebwertesten der letzten heraus. Sie flogen in der gradesten Linie, sonst wäre es auch nicht möglich gewesen. Sie kamen alle zur Verwunderung aller heruntergestürzt. Und dies geschah, ohne im Mindesten Halte zu machen; alles en carriere. Wir beluden alle unsre Schlitten damit, und niemand freuete sich mehr darüber, als die armen Müßiggänger, denen die Füße erfroren waren.

Einen Beweis von der Fürtrefflichkeit der russischen Truppen, von der Regelmäßigkeit und Stärke derselben kann ich doch hier nicht unberührt lassen. In einer Tiefe, wo noch obendrein ein kleiner Fluss sich befand – also wenig Schnee zu finden war, auch keine Brücks über den Fluss ging, hatten sich einige 100000 Mann zwischen die beiden Hügel hinpostiert. Dieses Heer formierte eine künstliche völlig mit Schnee bedeckte Ebene. – Ein starkes Stück. – Sie stunden, wie es nötig war, 1, 2, 3 Mann übereinander, indem die an den äußersten En|[66]den etwa ½ Mann hoch stunden, oder nach Beschaffenheit der Umstände auf den Knien oder auf dem Bauche lagen. Als wir mit unseren Pferden und Schlitten darauf kamen, gab es auf den eisernen mit Schnee bedeckten Schilden, die sie über ihren Köpfen zusammenhielten, ein solches Getöse und Gelärme, dass die Pferde beinahe flüchtig geworden wären. Die Soldaten ließen sich aber nicht aus ihrer einmal genommenen Position bringen. Schon hatten sie 2mal 24 Stunden in dieser Lage zugebracht, und dennoch stunden sie wie Mauren. Die Schlitten gingen herrlich hinüber. Wir fuhren oben, sie schrien unten: Es lebe unsre ewig angebetete Katharine!

Die Reise ging gut von Statten. Aller Orten waren Triumphbogen errichtet, und die Kaiserin hielt ihren Einzug unter dem lautesten Freudengeschrei und dem Marsche der Bürger und der Truppen.

E. E. Magistrat bewillkommte die Kaiserin auf dem Rathause – und sie geruhte daselbst ein Mittagsmahl einzunehmen. Alles war aufs prachtvolleste eingerichtet. Die herrlichsten Weine flossen, wie Wasser.|[67]

 

 

 Noch muss ich einer besondern Pastete erwähnen, die gewiss die Pastete aller Pasteten war. Sie war etwa so groß – als der Vollmond. Man nahm den Deckel ab, um sich darüber her zu machen, und siehe! Es kam heraus ein allerliebstes, bepudertes, bebiesamtes Männchen, chapeaubas, mit einem Gedicht auf samtenen Kissen, und überreichte es mit demütigem Bückling. Die Kaiserin erschrak anfangs darüber, brach dann in ein Gelächter aus – lauter Züge ihrer großen Seele – nahm es sehr gnädig auf, und ließ sich mit diesen Worten darüber aus: „Man sollte glauben, ins Reich der Feen setzt zu fein. Gewiss ein Stück von Eurer Erfindung, Münchhausen?“ und lächelte mir Beifall zu.

Von Euro Majestät untertänigstem Diener erwiderte ich. Sie gab es dem Kammerdiener, und befahl, es in ihr Zimmer zu tragen, fasste den jungen Herrn sehr gnädig bei der Hand, ließ ihn vom Tisch heben und machte ihn zum Pagen. Die Herren, denen der Mund nach der Pastete gewässert hatte, mussten sich indessen für diesmal den Appetit vergehen lassen.

Im Vertrauen gesagt: Es war ein kleiner Nachlass von mir, den ich bei meiner ersten Rei|[68]se da zurückgelassen und unterdessen ziemlich groß geworden war. Der Pfiff war mir herrlich gelungen.

Abends war Ball und Illumination – und ob ich gleich kein Freund vom Tanzen bin, so musste ich mich doch dazu bequemen, weil mich die Kaiserin aufforderte.

Ich eskortierte die ganze Schlittenfahrt wieder zurück, wo aber eben nichts Merkwürdiges vorfiel.

 

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Einige Tage darauf, als wir uns wieder ausgeruht hatten, machte ich eine kleine Reise zu Schlitten, weil es doch eben Winter war, und dies in Russland die besten Winterannehmlichkeiten sind, nach Novogrod. Unterwegs, ½ Stunde von Novogrod, bemerkte ich einen Bär, der in vollem Galopp taub und blind auf meinen Schlitten loskam. Ich hielt still, legte mich sacht in den Schlitten nieder, und in demselben Augenblick saß mir der Bär im Schlitten. Schon sah er mich, als er wieder echappieren wollte. Aber kaum hatte er eine Tatze auf den obern Teil des Schlittens gelegt, als ich mit meinem türkischen Säbel zustieß, ihn mitten durch die Tatze stach, und ihn so an den Schlitten fest|[69]machte. Hier saß nun der Bär. Ich hatte so recht meine Freude daran, wie er arbeitete, und doch alles Spartelns nicht loskommen konnte. Er gab sich also in die gute Geduld. Als ich eben in Novogrod hineinfahren wollte, begegneten uns in Prozession der Pope und alle Heiligen mit ihm, um das Fest des h. Nepomuk zu zelebrieren. Die Leute, die eben in voller schwärmerischer Andacht waren und das Gefäß meines Säbels für ein Kreuz angesehen hatten, weil es ziemlich die Form hatte – dachten nun: der heilige Nepomuk habe sie in dieser Welt noch einmal besuchen wollen. Auf einmal fielen sie nieder und stimmten Lobgesänge an. Der vermeinte Heilige verstund das Ding aber unrecht – riss sich los, und richtete zwischen den Leuten ein solches Blutbad an, dass sie nun gar glaubten – es wäre der Teufel selbst. Aus guten Ursachen nahm ich meinen Weg geschwind wieder nach Petersburg, ohne mich im geringsten aufzuhalten.

 

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weggespeickt: weggepickt

mir Gunsten: mit Billigung, mit Erlaubnis

: Zeichen für Pfund

Lot: Das Lot hatte – je nach der Definition des Pfundes – in den verschiedenen deutschen Ländern unterschiedliche Massen, die zusätzlich auch noch zeitlich verschieden waren. Seine Größe lag meist zwischen 14 g und 18 g.In Deutschland, Österreich und der Schweiz galt herkömmlich das folgende Gewichtssystem:
1⁄32 (Handels-)Pfund = 1 Lot = 4 Quentchen = 16 Pfenniggewichte = 32 Hellergewichte .
Wikipedia

Kopeken: Name einer seit dem 16. Jahrhundert ausgegebenen Kleinmünze des Russischen Reichs. Ab 1700/04 galt 1 Silber-Rubel = 10 Griwenniki = 100 Kupfer-Kopeken.

Gr.: Der Groschen galt im deutschen Sprachraum meist 12 Pfennig.

eine Reise zu Schlitten: Schnorr beschreibt in seiner ersten Münchhausiade eine Reise per Schlitten von St. Petersburg nach Moskau und zurück (Schnorr 1789, S. 61-68). Daran schließ er eine Reisebeschreibung nach Novgorod und einige Jagdabenteuer am Ladogasee und bei Narva an. Er orientiert sich bei seinen Schilderungen an der Reisebeschreibung von Adam Olearius, dem Herzoglichen Rat, Hofmathematiker und Bibliothekar in Gottorf (Schleswig), der an der Gesandtschaft Herzog Friedrichs von Holstein Gottorf nach Russland und Persien teilnahm und seine Aufzeichnungen 1647 in einer umfangreichen Reisebeschreibung veröffentlichte, die ihn bekannt machte und die bald in alle Kultursprachen übersetzt wurde. Die zweite Ausgabe von 1656 ist erheblich erweitert und erlebte viele weitere Auflagen.

 

Adam Olearii Aussführliche Beschreibung Der Kundbaren Reyse Nach Muscow und Persien, So durch gelegenheit einer Holsteinischen Gesandschafft von Gottorff auss an Michael Fedorowitz den grossen Zaar in Muscow, und Schach Sefi König in Persien geschehen. Worinnen die gelegenheit derer Orter und Länder, durch welche die Reyse gangen, als Liffland, Russland, Tartarien, Meden und Persien, sampt dero Einwohner Natur, Leben, Sitten, Hauß- Welt- und Geistlichen Stand mit fleiß auffgezeichnet, und mit vielen meist nach dem Leben gestelleten Figuren gezieret, zu befinden. Schleßwig MDCLXXI.

Wie er, als Paroli gegen Aufschneidereien Anderer den Moment zu fassen verstand, davon folgendes Beispiel, was mein Vater mit angehört hat. Bei einem Festessen in Hannover hatten mehrere junge Fähndriche in ihrer angewärmten Stimmung sehr über ihr Glück bei den Damen rodomontirt, besonders bei einer Schlittenfahrt und, (mit wenig Discretion,) über die herumgefahrenen Schönen. Münchhausen, – bis dahin wenig bemerkt, hatte ganz trocken eingeworfen: Dergleichen sei kaum des Erzählens werth, im Vergleich zu einer Hofschlittenfahrt, der, auf Einladung I. M. der Kaiserin, er in Petersburg beizuwohnen die Ehre gehabt. Beschrieb dann den riesigen Hofschlitten mit Audienzzimmer und Ballsaal und – (mit Anklängen auf jene Rodomontaden,) – wie auf dessen Plattform der frisch gefallene Schnee von den Hofjunkern benutzt sei, um in Handschlitten die schönen Hoffräulein herum zu ziehen. – Dies in gedrängten Worten vorgetragene Paroli hat schallendes Gelächter erregt. M. aß ruhig weiter, aber die Rodomontaden gingen nicht weiter.
Albrecht Friedrich von Münchhausen: Geschlechts-Historie des Hauses von Münchhausen von 1740 bis auf die neueste Zeit, S. 65.

 

Kaiserin Katharina II., Öl auf Leinwand um 1780

Catharina der Zweyten, Russlands grössesten und weisesten Monarchin allerunterthänigst gewidmet.

Monarchin!

Einer so erhabenen, von Ihrem Volke und der ganzen Welt angebeteten Regentin Weyrauch streuen wollen, durch die gesuchtesten Lobeserhebungen; durch Be nennungen aller Titel und Prädicate; durch Erzählung Ihrer Grossthaten, hiesse einen Tropfen in des Oceans Fülle tauchen. So wenig der Ocean des Wassers bedarf; so wenig bedürfen Eure Majestät, der Lobeserhebungen oder der Zeichnungen Ihrer glänzenden Thaten, die so allgemein bekannt sind, dass sie ewig, auch ohne beschrieben zu werden, wie mit ehernen Buchstaben in die Herzen der Welt und Nach elt geschrieben sind. Und Sie, Monarchin! bey Deren blossen Nahmen das ganze Europa, ja die ganze Welt mit heiliger Ehrfurcht erfüllet wird, haben in sich selbst Bewusstseyn edler Grösse genug, als dass Sie auf Schriftstellerlob zu achten Ursach hätten.

Und dennoch dies verdient die höchste Bewunderung! als grösseste, weiseste Monarchin, – für die meine Feder, mein Herz keinen Nahmen hat, der gross genug wäre! als Selbstschriftstellerin, die der Welt, die augenscheinlichsten Proben der höchsten Geistestalente dargelegt hat, selbst bey den überhäuftesten Regierungsgeschäften; als Selbsterzieherin und Bildnerin Ihrer Enkel – achten Sie auf Deutschlands Schriftsteller, und werfen die huldreichsten Blicke auf das Verdienst; würdigen Männer Ihrer hohen und höchsten Achtung.

Diese so seltene Eigenschaft, die die tiefste Verehrung und innigste Ehrfurcht einflösset, bewog mich, Höchstdenenselben in tiefster Unterwürfigkeit dies kleine Werkchen zu Füssen zu legen.

Der Gegenstand desselben ist edel, erhaben, ganz dem Geiste, dem Nachdenken der Monarchen, wie der geringsten Weltbürger würdig. Es ist erste Lehre des Menschen und als solche hatte sie auch oh ne diese Bearbeitung schon lange Eurer Majestät ganzen Beyfall.

Darf ich meine heiligsten Wünsche vor den Thron Eurer Majestät bringen; so sind es keine andere als die, dass der höchste Gott eine solche Regentin segnen und beglücken wolle, die schon so lange die Beglückerin Ihrer Unterthanen, die Beförderin der Künste und Wissenschaften war.

Mit der tiefsten Ehrfurcht nenne ich mich

Gnädigste und Huldreichste Monarchin!

Eurer Kayserlichen Majestät

Amelunxen

im Corveyischen, am 10. May

1794

allerunterthänigsten Verehrer,

Heinr. Theod. Lud. Schnorr.

Prediger.

Über die Unsterblichkeit der Seele. Nach M. Mendelssohn’s Phädon. von Heinr. Theod. Lud. Schnorr. Göttingen 1794.

Durch die Gaben dieser bewunderungswürdigen Prinzessin ist der Ruhm des russischen Reichs bis aufs höchste gestiegen. Sie hat ihren weitläuftigen Staat durch teutsche Ankömmlinge bevölkert, viele gelehrte Männer ins Reich berufen, die Erziehung der Jugend ungemein befördert, und die Liebe zu den Wissenschaften und Künsten vornemlich dadurch verbreitet, daß sie ganze Schaaren junger Russen auf eigene Kosten auf deutsche Universitäten, vornemlich aber nach Göttingen und Leipzig schickte.
Fröbing 1793, S. 433.

nach Moskau: Im Jahre 1712 ging unter Zar Peter dem Großen (1672–1725) das Privileg der Hauptstadt auf das neu gegründete Sankt Petersburg über, aber Moskau blieb das wirtschaftliche und geistig-kulturelle Zentrum des Landes.

 

Der Kremlin oder die Festung von Moscau. Kupferstich, Ende des 18. Jahrhunderts

Der Zug ging vor die Hand, wie folget;: Diese Liste folg der Ordnung des Einzugs der Herren Gesandten nach Moskau, die Adam Olearius in seiner Aussführliche(n) Beschreibung auflistet: Reyse Nach Muscow und Persien [...]. Schleßwig MDCLXXI, S. 27.

Kouuverts: Gedecke

genierte: eine Situation als unangenehm und peinlich empfinden und sich entsprechend gehemmt und verschämt zeigen

Werste: altes russisches Längenmaß (= 1,067 km)

Relais: franz. relais, Vorspann, Pferdewechsel

hintersten Wage: wage ist das an der deichsel angebrachte bewegliche holz, an dessen enden die ortscheide zur anspannung der zugthiere angebracht sind. (DWB)

Schlittenbäume: Schlittenkufe

meine Peitsche,: Schnorr variiert hier den Bericht über einen englischen Kutschers in Bürgers Zweitem See-Abenteuer einschließlich der graphischen Darstellung:

Ein Kutscher mit einem ungemein respektablen Barte, worein das englische Wappen sehr sauber geschnitten war, saß gravitätisch auf dem Bocke und klatschte mit seiner Peitsche ein ebenso deutliches als künstliches Georg rex.
Bürger 1788, S. 71.

die Cour zu machen: (aus dem Französischen) die Versammlungen bei Hof, die dazu dienten, seine Aufwartung zu machen

ihr könnt Mehr als Brot essen: Er kann mehr als Brot essen. – Redewendung in der Bedeutung er weiss es auch zu verdienen; dann aber auch in abergläubischem Munde, er hat geheime Kräfte, dir zu schaden; nimm dich vor ihm in Acht. Er ist ein Hexenmeister, Possenmacher.

Relais: Station zum Auswechseln von Reit- oder Kutschpferden

Geometer: Landvermesser

Practica des Landmessens, Amsterdam 1616.

chapeaubas: franz. Hut ab

Pfiff: schlauer Plan

Novogrod: Novgorod ist eine Stadt etwa 160 km südsüdöstlich von Sankt Petersburg am Wolchow nördlich des Ilmensees. Adam Olearius schreibt „Weliki Novogord“. Weliki Nowgorod bedeutet wörtlich Großes Nowgorod („groß“ im Sinne von „bedeutend“). Frühere Namen waren deutsch Navgard, Naugard, Neugarten, Neugard und altnordisch Hólmgarðr.

 

Adam Olearii Aussführliche Beschreibung Der Kundbaren Reyse Nach Muscow und Persien, [...]. Schleßwig MDCLXXI, nach S. 120.

echappieren: entlaufen

spartelns: Stäuben

Adam Olearius berichtet von seiner Reise nach Russland und Persien auch davon, wie Wölfe und Bären Menschen angreifen.

Die Wölffe lauffen des Winters ungeschewet auff die Höfe, und wenn das Viehe eingesperret, graben sie unten durch die Wände, und ziehen die Schaffe hindurch; Nehmen zum offtern die Hunde vom Hofe hinweg. Machen auch an etlichen Orten die Strassen des Nachts sehr unsicher. Man hält aber davor, daß man sie schew machen und abhalten kan: Wenn man einen Prügel an einem langen Stricke hinter dem Schlitten herschleppen lässet.
Olearius 1671, S. 117.

 

Es hat sich vor wenigen Jahren zu getragen, daß eine fürnehme desselben Orts wol bekandte Frau, als sie gereiset, einen Bären agetroffen, welcher eine Leiche in Armen getragen, und das Leichentuch hinter sich her schleppent gehabt, als ihr Pferd von dem Schlitten diß Spectackel ansichtig worden, hat es geschnaubet und gewütet, ist mit dem Schlitten außgerissen, und die Frawnicht ohngefähr über Stock und Stein geführet.
Olearius 1671, S. 119.

Pope: orthodoxer Geistlicher

Nepumuk: Johannes (von) Nepomuk oder Johannes von Pomuk (lat.: Joannes de Pomuk, tschechisch: Jan Nepomucký oder Jan z Pomuku, um 1350-1393) war ein böhmischer Priester und Märtyrer. Er wurde 1729 von Papst Benedikt XIII. heiliggesprochen. Die Jesuiten erhoben ihn 1732 zu ihrem zweiten Ordenspatron. Nepomuk gilt als Brückenheiliger und Patron des Beichtgeheimnisses.

 

 

Wie manchem Menschen die Hoffnung zu Wasser wird, davon brauche ich gewiss nicht Viel zu sagen; Jeder glaubt es mir auf mein Wort und eigene Erfahrung. Aber dass ein Mensch kann|[70] zu Wasser werden, davon ist ihnen wohl ihr Lebtag kein Beispiel aufgestoßen; und doch hab ich es an mir selbst erlebt: so fabelhaft es scheint, so wahr ist es.

Einst waren unser eine ganze Menge auf der Jagd. Wir waren auch so glücklich, in den Wäldern am Ladogasee recht vieles Wildpret zu schießen. Unter andern schossen wir einen Hirschen, der 144 Enden hatte. Mein Tag hatte man solch ein Tier noch nicht gefunden. Ich komme einem 72endigen auf die Fährte, laufe ihm nach, und verliere mich wirklich ganz von meiner Gesellschaft. Ich ging, hörte weder das Geschrei der Hunde und Jäger, noch den Schall des Hifthorns – und ging immer Holz ein die Kreuz, die Quere, und war nicht lm Stande mehr, den Hirsch zu verfolgen, oder zu meinen Leuten zu kommen. Die Hitze war zu groß – Müde war ich auch. Was war also zu tun? – Ich setze mich hin, bin unwillig über den dummen Spaß, dass ich da allein bin – dass ich keinen Hund, keinen Jäger mitnahm – aß, weil ich hungrig war, meinen Jagdproviant rein auf, legte meinen Kopf auf meine Jägertasche, und schlief ermüdet und ermattet ein. Ich lag an einer kleinen Anhöhe. Nicht lange – und ich fange so|[71]gewaltig an zu schwitzen, dass ich völlig als im Wasser liege. Nicht lange, und es entsteht ein Bach – Nicht viel länger – und es wird mir, als ob ich förmlich auf einem Schiffe bin. Meine Jägertasche schwimmt so mit mir fort, bis mich auf einmal ein starkes Schütteln weckt, ich erwache, und mein Sultan kommt grade zur rechten Zeit, packt die Jägertasche, wo ich drauf liege, und reißt sie aus dem Strome, der eben mit mir in den Ladogasee gehen wollte. Welch ein Glück! Ich sprang auf, umarmte vor Freuden meinen Sultan, den ich in so langer Zeit nicht gesehen hatte, und nahm meinen Weg mit dem Sultan gradezu nach St. Petersburg, wo ich bei einer Flasche Wein Abends mit der Kaiserin Majestät mich wieder erholte, und ihr mein Abenteuer erzählte die denn, wie natürlich, recht ihren Spaß daran hatte.

 

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Bald darauf beurlaubte ich mich. Ihro Majestät schenkten mir ihr Portrait in einer Dose mit brillantener Einfassung, gaben mir noch ein ansehnliches Douceur für meint treue Dienste, und so reisete ich wohlgemut nach Liefland.

 

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Ladogasee: Der Ladogasee ist mit rund 18.000 km² der größte See Europas. Er liegt in Nordwestrussland zwischen der Oblast Leningrad und dem Süden der Republik Karelien, nahe der Grenze zu Finnland.

 

Karte des korelianischen Fürstentums, 1725

Mein Tag: hier in der Bedeutung von noch nie

Portrait in einer Dose: Die russischen Herrscher verschenkten Schmuckstücke und Dosen mit ihrem Portrait an Günstlinge.

 

Griff einer Silbernen Dose von Carl Peter Fabergé. St. Petersburg, zum Anbieten von Zigarren mit einer Medaille, die die russische Zarin Katharina II. (Katharina die Große) zeigt.

Douceur: Leckereien, Geschenke

Liefland: „Livland“ im engeren Sinne bezeichnet die Landschaft am östlichen Ufer des Rigaer Meerbusens nördlich von Riga bis zum Peipussee, was dem Territorium der lettischen Region Vidzeme und der Südhälfte Estlands entspricht und sich somit mit dem historischen Siedlungsgebiet der Liven (abzüglich eines kleinen Gebietes in Kurland am nördlichen Westufer des Rigaer Meerbusens) deckt.

Im Jahre 1721 fiel die Gegend durch Eroberungen Peters des Großen an Russland und bildete mit dem damaligen Estland (dem heutigen Nordteil der Republik Estland) und Kurland (seit 1795) eines der drei Ostseegouvernements, die vom deutsch-baltischen Adel jeweils autonom verwaltet wurden. Das von 1721 bis 1919 bestehende kaiserlich russische Gouvernement Livland mit der Hauptstadt Riga (die vorher unter wechselnden Oberherrschaften eine gewisse Autonomie genossen hatte) und der Universitätsstadt Dorpat (Tartu) umfasste in etwa das heutige Südestland (mit Dorpat) und das nordöstliche Lettland bis zur Düna.
Wikipedia

 

 

Atlas Selectus von allen Königreichen und Ländern der Welt zum bequemen Gebrauch in Schulen, auf Reisen und beij dem Lesen der Zeitungen in Leipzig by Johann Christoph and Johann Georg Schreiber. 1749

 

Narva war mein Hauptaufenthalt. Es gefiel mir hier besonders, weil es in dieser Gegend viele Wälder, und in denselben viele Füchse, Bären ⁊c. zu schießen gab. Hier war es, wo mich mein Glück und mein Unglück verfolgte. Mein. Glück und einige andere Begebenheiten will ich ihnen selbst sagen – mein Unglück mag ihnen mein Partisan am Schluss erzählen. Nur hüten sie sich vor den Wirtshäusern! Dies ist eine goldene Regel, die ich alle zu beherzigen bitte. Wenn sie die Erfahrung erst davon belehren – soll – dann gehts ihnen wie mir, und – dann ists zu spät.

(Hier ließ der Herr Baron einen tiefen Seufzer – und fuhr dann fort.)

Hier war es, wo ich von den Augen eines hübschen Mädchens bezaubert wurde. Ich säumte nicht lang, mich in den Besitz ihres schönen Herzens zu setzen. Ein Paar Bären waren erlegt – und ich hatte die Gunst der Eltern und – auch des Mädchen weg.

Am zweiten Tage meiner Bräutigamsschaft war es eben St. Annen Tag. Ich küsste meiner Braut gerade in den linken Backen ein großes Loch, welches kaum in 6 Wochen wieder heil wurde. Die Hochzeit wurde bloß um deswillen|[73] so lange ausgesetzt. Sie hat noch die Narbe davon als ein Wahrzeichen, wiewohl sie ziemlich ausgewachsen ist. Küssen sie, meine Herren! ihre Schönen nicht am St. Annen-Tage.

In den Gegenden bei Narva gab es viele Kiebitze, und, wie natürlich, auch viele Moore und seichte Stellen. Meine Braut aß für ihr Leben gern Kiebitzeier. Noch stehen mir die Haare zu Berge, wenn ich daran denke. Aber – was wagt man nicht, wenn man eine Braut hat? – Eines Tages verflieg ich mich also gewaltig ins Moor hinein, fand viele Nester mit Eiern, die ich dann ausleerte und in meine Jägertasche steckte. Auf einmal geriet ich in einen Sumpf, dass ich sogleich, ohne zu wissen, wie? bis an den Hals drin zu sitzen kam. Schon hatte ich mich sollen warnen lassen, als der ganze Erdboden unter meinen Füßen schwankte – aber der Gedanke an die Braut? – Und der unverzagte Münchhausen weiß sich in Fährlichkeit zu Wasser, in Fährlichkeit zu Lande, in Fährlichkeit unter Türken, in Fährlichkeit unter Mohren, in Fährlichkeit unter den Griechen, in Fährlichkeit auf dem Monde, in Fährlichkeit  auf dem Mars, in Fährlichkeit auf dem Jupiter – kurz in allen 99 Fährlichkeiten des menschlichen Lebens zu helfen. Hätte ich aber hier|[74] nicht meinen treuen Hund gehabt, es wäre diesmal ohne Fehl um Münchhausen geschehen gewesen.

Es war Abend, es wurde Nacht – die finsterste, die sich denken lässt. Mein Hund bellete nach Osten, nach Süden, nach Westen, nach Norden – verschiedene Male nach allen 4 Gegenden zugleich, um menschliche Seelen zu Hülfe zu rufen. Ich war 3 Meilen von Narva, 2 Meilen von allen lebendigen Seelen entfernt. Ich verzweifelte beinahe ganz: denn ich stak so fest, dass ich förmlich unvermögend war, meine Hände und Arme zu rühren. Mein Hund heulte, schrie, streifte seine Lunte schon lang um mein Gesicht herum. Die eine Hand hatte ich indessen losgearbeitet. Ich wusste nicht erst, was der Hund wollte – Ich merkte es endlich, packte ihn an den Schwanz, und im Hui war ich heraus. – Wo sollt’ ich aber nun hin? Auch hieraus gerettet, wäre ich ein Kind des Todes gewesen. Es war sehr kalt, bis auf den Faden war ich nass. Wäre ich eine Minute stehen geblieben, ich wäre zu einer Säule gefroren. Kam ich nicht zu Hanse; so ließ ich meine Braut und Schwiegereltern in tausend Angst. Keinen Fußbreit konnte ich vor Augen sehen, nirgends war ein Weg. Wo nun hin? Hier|[75] war guter Rat teuer. Mein Hund heulte wieder, und das war allemal ein sicheres Zeichen. Ich fasste seine Lunte – und so leitete er mich, wie einen Blinden, durch Nacht und Grausen im größten Galopp, damit ich mich nicht erkälten sollte, fort, und in 59 Minuten 59 Sekunden waren wir in Narva – und an meinem ganzen Kleide kein Faden nass. So hatte die Hitze meines Körpers von innen, von außen die Luft alles Wasser herausgezogen. Schon hatte meine Braut die bittersten Klaglieder ausgestoßen, die heißesten Tränen geweint, meine Waghalsigkeit gewittert. – Nun aber war Freude überall, und ein herrliches Mahl für mich und den Hund machten dem mühseligen Tage ein Ende.

Und doch hatte mich die Gefahr noch nicht klüger gemacht. Meiner Braut Kiebitzeier zu verschaffen, weil sie dies herrliche Gericht allen übrigen vorzog, ihr gefällig zu sein, der einstigen Hälfte meines Lebens, vertieft in Gedanken ehelicher Glückseligkeit, ging ich einst, ohne etwas zu sagen, fort, kam wieder auf das nämlige Moor; ging in einem fort, ohne mal Erschütterungen und Tiefen zu bemerken. Noch nie hatte ich so viel Eier, als diesen Tag. Einige hundert, so dass ich sie nicht zu lassen wuss|[76]te. Schon hatte ich ein Drittes angefangen. Ganz allein, ohne Hund, ohne Menschen sank ich wieder in eine Untiefe, die ich nicht vermutete, und saß so fest, dass ich mir nicht zu helfen wusste. Ein Glück noch, dass ich meinen Kopf bis zum Munde heraus hatte und doch noch frei Otem schöpfen konnte. Meine Mütze hatte der Wind schon weg und nun fing er an, mit meinem Haar sein Spiel zu treiben, so dass mein ganzes Wesen Ihro Hochwohlgeborn der Freiherr von Münchhausen mehr einem Rischstrauch, als einem Menschen ähnlich sah. Vielleicht, dacht ich bei mir selbst, ist dies deine einzige Rettung. Eine Viertelstunde, und ein Kiebitz kam mit seiner Sie, und bereiteten gleich ein Nest von meinem Haar, welches sich gar allerliebst dazu beugen ließ. Ich ließ dies gutwillig geschehen. Nicht lange – und die Sie legte ein Ei hinein. He! dacht ich, wenn doch nun ein Fuchs käme, oder ein Mensch, wie du, der Eier suchte. Gedacht – gesehen. Eine Reinecke schlich sich daher – und wollte eben das Ei haschen. Ich nicht faul, haschte ihm dafür beim Weggehen seinen Schwanz mit den Zähnen, und biss, so heftig ich konnte, hinein. Der Fuchs fing jämmerlich an zu schreien, wusste nicht, wie ihm geschah, und zog mich in der Angst mit aller Ge|[77]schwindigkeit aus dem Moor, wie man einen Schuss aus einer Flinte zieht. Da lag ich nun. Ich schüttelte meinen Kopf wieder zurecht, mein Wohltäter staunte, machte sich aber geschwind auf die Beine, als er Sinnen gesammelt hatte. Meine Mütze fand ich unterwegs auch wieder. Ich eilte so geschwind ich konnte, fort, und war mit dem Abend zu Hause – aber auch zugleich mit dem festen Entschlusse, wenigstens nie wieder in Gedanken auszugehen, Kiebitzeier zu suchen. Ich ließ sie mir indessen schmecken und dachte: der Genuss verlohnt sich noch immer der Mühe.

 

 

Einst fand ich auch auf der Jagd versteinerte Hirschlosung, so schön und so durchsichtig, dass ich fast kein Bedenken trug, sie schleifen, und davon meiner Braut einen prächtigen Schmuck verfertigen zu lassen. Weil sie aber nie eine Freundin von Juwelen war, so wusste ich keinen andern Weg einzuschlagen, um dadurch recht nützlich zu werden, als dem heiligen Vater ein Geschenk damit zu machen. Ich packte sie also zusammen und schickte sie hin. Nachher, erfuhr ich, hat sich der heilige Vater einen Rosenkranz daraus fertigen lassen, dem er den Vorzug vor allen gibt, und dem er gerade die beste Wirkung zuschreibt.

–––––|[78]

 

Sein Partisan hub nach Endigung dieses folgen des zu erzählen an:

Der Baron von Münchhausen kam einst noch in seinem ledigen Stande in eine Vorstadt von Riga. Um sich erst nach dem Innern der Stadt zu erkundigen und weil er keinen reichen Vetter daselbst hatte, blieb er in einem Wirtshause. Hier war eine hübsche Wirtin, von denen er nie ein Feind gewesen war, und darin hat er gewiss tausend Kompagnons – diese bezauberte ihn – er tut ihr eine Liebeserklärung über die andere. Zwei Feuer kamen hier zusammen; was geschieht? Es glimmt, es brennt. – Hüten Sie sich vor den Wirtshäusern, meine Herren! dies ist eine goldene Regel, die der Herr von Münchhausen allen Menschen gibt. Er hat es aus der leidigen betrübten Erfahrung, und ich füge noch hinzu: Hüten Sie sich noch mehr vor hübschen Wirtinnen. Hier konnte der Baron erst nicht wegkommen. Hier war es, wo Münchhausen leider seine Familium einbüßte. Seine Wirtin sog ihn so rein aus, dass sein Beutel leeren Hülsen glich. Dafür blieb ihm aber für die Zukunft nichts übrig, und daher kommts, dass der Baron keine Kinder hat. Dies hat er sich von seiner geliebten Hälf|[79]te zwar oft genug müssen vorhalten lassen: indessen suchte er sie zu besänftigen, so gut sichs tun ließ. Doch hat er manchen harten Strauß darüber aushalten müssen. Den Tag vor seiner Abreise von Neval hatte er noch einen besondern Casus. Der Baron ist in einer Kegelgesellschaft. Ein junger Mensch sucht durchaus Händel mit ihm. Münchhausen hatte von Natur und besonders in seiner Jugend ein bissiges Temperament. Der junge Mensch ist eben am Wurf, sieht aber, indem er die Kugel kriegen will, noch einmal nach Münchhausen bin, um ihm noch einige Sottisen zu sagen. In dem Augenblick zieht der Baron und haut ihn gerade so, dass der Kopf dem jungen Menschen in die Hand fällt, und er nicht anders glaubt, als wäre es die Boßel. Weil er nun eben im Wurf ist, so fliegt der Kopf zwischen die Kegel, und trifft – ein besonderer Umstand – alle neun. Aber nichts sah nun schnurriger aus als das: der Rumpf oben schlug in die Hände, und der Kopf unten zwischen den Regeln rief: Bravo. Der Baron musste aber auch nun machen, dass er aus Reval kam.

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Narva:  östlichste Stadt Estlands am Fluss Narva, der nördlich der Stadt in den Finnischen Meerbusen der Ostsee mündet.

 

Narva, kolorierterKupferstich um 1750

St. Annen-Tag: Der Annentag (auch Annatag oder Annenfest) ist der 26. Juli. An dem Tag gedenken Katholiken der heiligen Anna, der Mutter von Maria. Die heilige Anna ist u. a. die Schutzheilige der Ehefrauen, Bergleute, Schiffer und die Beschützerin der Armen und gegen die Gefahren von Gewittern. Annennovene heiß ein 1750 eingeführtes Fest, das die Gläubigen vom Lobetag Ende Juni bis zum Annentag jeden Dienstag an der Annenkapelle in Brakel mit einem Gottesdienst feiern.

1750: Aus Anlass der Entwendung des Mirakelbildes führte der Brakeler Bürgermeister Johannes Crux eine mit dem Kapital von 200 Talern fundierte Novene ein. Eine Novene ist ein Gebet welches zur Vorbereitung auf ein großes Fest an 9 Tagen stattfindet.Sie geht auf den Pfingstbericht der Apostelgeschichte zurück. An 9 Dienstagen vor Annentag wird auch heute noch an der Annenkapelle eine Messe unter großer Anteilnahme der Bevölkerung gefeiert. Das Mirakelbild wird in der Zeit in der Annenkapelle ausgestellt, es wird ansonsten in der Pfarrkirche aufbewahrt, da es „einst von einem auswärts wohnenden, recht einfältigen Eremiten entwendet wurde, da er auf diesem recht sonderbaren Wege seinem eigenen neu erbauten Kapellchen ein Mirakelbild verschaffen wollte“.

1755: Einführung der Annenkirmes. Kirmes bedeutet Kirchmess bzw. Kirchweih. Das wäre ja eigentlich für St. Michael am 29. September d.J. Diese größere Kirmes, ähnlich wie wir heute Annentag kennen, hängt mit der Aufhebung der 4 Märkte nach 1755 zusammen und Verlegung auf den Annentag. (Der Michaelismarkt ist davon vor

einigen Jahren wieder neu eingeführt worden). Zunächst aber stand sicher die Versorgung der auswärtigen Pilger im Vordergrund. Dabei entwickelte sich auch ein Krammarkt. Schaustellungen aller Art gesellten sich dazu. Es wurde darauf geachtet, dem Annenfeste in erster Linie einen religiösen Charakter zu erhalten. Feilbieten von Waren und dergleichen während der Prozession und der Andacht sei strengstens verboten. Welcher Händler sich dagegen verfehlen würde, dessen Sachen sollen beschlagnahmt und unter die zu Brakel wohnenden Armen verteilt werden.

Bis 1819 geltendes Privileg ist der Annenablass. Die Besucher der Annenkapelle konnten am Annentage unter gewöhnlichen Bedingungen, das heißt Generalbeichte und Kommunionempfang, einen vollkommenen Ablass gewinnen. Daher kam es, dass an der Annenkapelle mit Hilfe der Kapuziner immer viele Kommunionen ausgeteilt wurden. Das Ablassprivileg ist seitdem nicht mehr erneuert worden. In bestimmten Wallfahrtsorten gilt heute noch der Ablass, z.B. vor dem Papstsegen an Ostern und Weihnachten.
Alfons Jochmaring : Die Annenverehrung, Annentag in Brakel. Vortrag zur Annenverehrung – 31.07.2003.

Kiebitze: sind Bodenbrüter; ihre Eier galten früher als Delikatesse.

Fährlichkeiten: Gefährlichkeiten

packte ihn an den Schwanz: Schnorr variiert zweimal die Erzählung aus Des Freiherrn von Münchhausen Eigne Erzählung, wie Münchhausen sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf befreit.

Rischstrach: Binsengewächs

versteinerte Hirschlosung: Bernstein

 

Rosenkranz aus Bernstein, 18. Jahrhundert

Riga: Riga ist die Hauptstadt Lettlands und die größte Stadt des Baltikums. Im Laufe des Großen Nordischen Krieges wurden Riga und die Rigaer in mehrfacher Hinsicht hart getroffen: durch die von der Stadt und der Bürgerschaft zu entrichtenden Kontributionen und dadurch, dass Riga zum Kriegsschauplatz wurde. In der Schlacht an der Düna am 19. Juli 1701 wehrte König Karl XII. von Schweden den Angriff der sächsisch-russischen Truppen ab. Am 4. Juli 1710 ergab sich die Stadt nach längerer Belagerung den Truppen von General Boris Petrowitsch Scheremetew. Der Aufstieg Russlands zur Großmacht an der Ostsee wurde durch den Frieden von Nystad im Jahre 1721 besiegelt. Riga wurde darin dem Zarenreich zugeschlagen.

 

Rathaus im 17. Jahrhundert.

Nach dem Großen Nordischen Krieg wurde Riga als Teil des Gouvernements Livland  Sitz der Verwaltung und Hauptstadt des Gouvernements Livland. Dem Gouverneur unterstanden eine „russische Kanzlei“ für den Schriftverkehr in russischer Sprache mit den Militärbehörden und eine „deutsche Kanzlei“ für den Schriftverkehr in deutscher Sprache mit den Landesbehörden und mit dem Kollegium der liv- und estnischen Sachen der russischen Regierung in Sankt Petersburg. 1787 wurde eine neue Stadtverfassung eingeführt, die die Beschränkung der Macht auf die traditionellen drei „Stände“ (Magistrat, Große Gilde und Kleine Gilde) überwand und breiteren Kreisen der Bürgerschaft ein Mitspracherecht eröffnete. Dazu wurde die Bürgerschaft in sechs „Klassen“ eingeteilt.
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LIVONIAE NOVA DESCRIPTIO / Joanne Portantio auctore. Antwerpen, 1573-1598.  (Theatrum Orbis Terrarum / Abraham Ortelius; 100)

Familium: Ein Neologismus von Schnorr; gemeit ist das Geschlechtsteil des Freiherrn von Münchhausen.

Sottisen: Grobheiten

Boßel: Kugel; Boßeln ist eine Sportart, die in unterschiedlichen Formen in verschiedenen Teilen Europas gespielt wird. Ziel des Spiels ist es, eine Kugel mit möglichst wenigen Würfen über eine festgelegte Strecke zu werfen. Boßeln wird in unterschiedlichen Varianten auf freien Flächen (Feldern, Wiesen), öffentlichen Straßen und befestigten Wegen gespielt. Ursprünglich ist Boßeln eine Mannschaftssportart. Als Einzelsportart wird auf Weite geworfen.

 

 

 

 

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