Caroline von Plechow      oder    Die Verfolgung von Wilhelmshaven nach Kopenhagen

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12 Nach Hause

 

Inzwischen war ein Trupp Soldaten eingetroffen, an ihrer Spitze Major Jenssen. Dieser energische Offizier ließ seine Leute die Kampfstätte absperren und veranlasste, dass der Graf sich mit seinen Freunden unverzüglich auf die >Saint Michel< begab, wo sie auf weitere Anweisungen warten sollten. Auch Schwedenow hielt es für das Beste, zum Schiff zurückzukehren, denn nun galt es, Bilanz zu ziehen und die nötigen Schritte bei den dänischen Regierungsbehörden zu unternehmen, damit ihnen eine baldige Abfahrt ermöglicht würde.

Bald waren alle Reisenden an Bord der Yacht versammelt; auch die Matrosen waren – bis auf ihren verwundeten Kameraden – vollzählig anwesend. Leutnant von Rochow kümmerte sich zunächst um Caroline, überließ ihr seine Kajüte und zog in die Burschenkammer am Heck der Yacht um, da Pötsch erklärte, ihm sei ein einfaches Logis in der Kombüse genug.

Der Graf organisierte das weitere Vorgehen. Er selbst wollte zur Deutschen Gesandtschaft gehen, um gemeinsam mit dem Geschäftsträger einen Bericht für das Ministerium des Auswärtigen in Berlin aufzusetzen; Paul begab sich ins Lazarett zu dem verletzten Matrosen, einerseits, um sich nach dessen Zustand zu erkundigen, andererseits um Vorsorge zu treffen, dass der Mann nach erfolgter Genesung in seine Heimat zurückkehren konnte.

 

 

Leutnant von Rochow wurde zum Hauptpostamt geschickt, um die Eltern Carolines über die geglückte Befreiung ihrer Tochter zu informieren; er gab folgendes Telegramm an den Kommandanten von Wilhelmshaven auf:

„Caroline gerettet und wohlauf. Rückkehr baldmöglichst. Leutnant von Rochow.“

Jules kümmerte sich gemeinsam mit Kapitän Ollive um die Vorbereitung zur Rückfahrt nach Deutschland. Auch wollte er die Gespräche mit dem Redakteur May zu einem Ergebnis bringen, woran ihn die aufregenden Ereignisse der letzten Tage gehindert hatten.

Paul Arago und Ernst Pötsch begaben sich auf Einkaufstour, um auf ihre Weise für den Rest der Reise gerüstet zu sein.

Während des ganzen Tages gab es auf der >Saint Michel< ein Kommen und Gehen, da auch der dänische Verbindungsoffizier mehrmals erschien, um Aussagen über die Ereignisse der vergangenen Nacht aufzunehmen.

Endlich – es war bereits Abend geworden – waren alle wieder auf dem Schiff versammelt, so dass nach einem schnellen Abendessen erneut eine Beratung in der Messe stattfinden konnte.

Zunächst berichtete Schwedenow, dass eine Reihe von Offizieren unter dem Verdacht verhaftete worden waren, mit dem Schmugglern gemeinsame Sache gemacht zu haben. Der Hafenkommandant allerdings konnte keinem irdischen Richter mehr vorgeführt werden, da er sich bereits in den frühen Morgenstunden eine Kugel aus seiner Dienstwaffe in den Kopf geschossen hatte. In den nächsten Wochen war mit einer harten Bestrafung aller Beteiligter zu rechnen.

Der Dänische Außenminister hatte dem Grafen persönlich für seine Unterstützung gedankt, ihn allerdings unmissverständlich aufgefordert, bereits am nächsten Morgen Kopenhagen zu verlassen, denn wegen seines eigenmächtigen Vorgehens war mit weiteren diplomatischen Komplikationen zu rechnen. Nach den Erfahrungen der letzten Tage lag diese Entscheidung im Interesse aller; insbesondere Caroline, deren nervlicher Zustand noch immer angegriffen war, sehnte sich so schnell als möglich zu ihren Eltern zurück.

Zur Person des Deutschen Geschäftsträgers bemerkte der Graf noch, dass es ihn nicht wundern würde, wenn man ihn in Berlin bereits in den nächsten Tagen abberufen würde.

Leider hatte Schwedenow auch erfahren, dass die Dänischer Regierung Landola und seine Leute abzuschieben beabsichtigte.

„Dann wird das üble Geschäft mit dem Mädchenhandel fortgesetzt?“ fragte May empört.

„Davon müssen wir leider ausgehen“, antwortete der Graf; „wir haben der Hydra zwar zwei Köpfe abschlagen können, aber andere werden schnell nachwachsen.“

Die Aussicht, dass ein so gemeiner Verbrecher wie Kapitän Landola straffrei ausgehen könnte und sich mit seinen Leuten triumphierend nach den Vereinigten Staaten würde absetzen können, wurde mit allgemeinem Kopfschütteln kommentiert.

Paul konnte nach seinem Besuch im Krankenhaus berichten, dass es dem verletzten Matrosen den Umständen gemäß gut ging; seine Wiederherstellung würde allerdings einige Wochen dauern; er hatte den Mann mit genügend Geldmitteln ausgestattet, dass er sich sorgenfrei auskurieren und anschließend auf bequemem Wege nach Hause zurückkehren konnte.

 

Am nächsten Morgen erledigten Paul und Jules mit Schwedenows Unterstützung die notwendigen Formalitäten im Hafenamt. Caroline, die sich nach einer unruhigen Nacht noch schwach fühlte, hatte Pötsch zu sich gerufen. Da sie für eine längere Reise gar nicht ausgerüstet war und sich ihre Kleidungsstücke in bedauernswertem Zustand befanden, bat sie ihn, ihr einige unentbehrliche Accessoires zu besorgen. Der treue Pötsch erfüllte diese Aufgabe mit der erforderlichen Diskretion und konnte innerhalb einer knappen Stunde im nahe gelegenen Magazin du Nord, dem größten Kaufhaus Kopenhagens, alles Erforderliche einkaufen. Fräulein Caroline dankte ihm mit einem errötenden Lächeln.

Bereits kurz vor Mittag konnte man also Kapitän Ollive den Befehl zum Losdampfen geben. Die Vernes bedauerten allerdings, dass es mit der Reise nach Norwegen nun doch nichts würde. Man verließ den Hafen der dänischen Hauptstadt bei klarem Wetter und kräftigem Ostwind, und bald versanken die Häuser und Masten hinter dem Horizont.

Der Zustand Carolines besserte sich in den nächsten Tagen zusehends; ob dies durch die frische Meeresluft, das gute Essen der französisch-deutschen Kochgemeinschaft oder die sorgsame Betreuung durch den Leutnant von Rochow bewirkt wurde, vermochte niemand zu sagen. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, dass alle Faktoren gemeinsam sowie die Gewissheit einer baldigen Heimkehr eine beruhigende und stärkende Wirkung auf das arme Kind ausübten.

So erreichte die Gesellschaft bei ruhiger See am Nachmittag bereits die Kieler Förde und legte gegen 18 Uhr an der Kiellinie an.

Der Graf verließ die Jacht, um die deutschen Behörden über ihre Aktionen zu informieren, und kehrte nach zwei Stunden zum Schiff zurück.

Arago hatte vorgeschlagen, zur Feier des Sieges >Saumon braisé au Quincy< auf den Tisch zu bringen.

Dazu bereitete er zwei kapitale Ostsee-Lachse vor, die ausgenommen sowie von Kopf und Schwanz befreit mit gehackten Zwiebeln in Butter zunächst auf beiden Seiten goldbraun gebraten wurden. Nach dem Ablöschen mit einem Weißwein aus Quincy und der Zugabe von weiterer Butter und gehackter Kräuter, deckte Arago den gusseisernen Topf zu und schob die Fische für eine Dreiviertelstunde in den Ofen der kleinen Kombüse. Zehn Minuten vor dem Auftragen nahm er die Fische heraus; nun kam die Reihe an Pötsch, der die Haut abzuziehen hatte. Während dieser Prozedur ließ der Franzose die Flüssigkeit im Bräter bei starker Hitze einkochen, rührte Eigelb und frische Sahne unter die Sauce, die über den warmen Fisch gegossen wurde. Dazu gab es selbstgebackenes Weißbrot.

Die Herren leerten mehrere Flaschen eines weißen Vin noble de Quincy 1876, Caroline verdünnte ihren Wein mit einer Flasche Selters.

Als Pötsch schließlich eine große Schüssel auf den Tisch stellt, aus der es kräftig dampfte, wurden bereits Protestlaute hörbar, die er aber rundweg mit der Bemerkung abschnitt: „Hoppelpoppel!“

Paul förderte mit einem großen Löffel frische Erdbeeren unter der gelben Sauce hervor, die der Deutsche komponiert hatte, während die Fische im Ofen schmorten. Dazu hatte der zwei Liter süßen Rahm mit acht Eigelb verquirlt und mit einem halben Pfund Zucker aufgekocht. Zum Schluss gab er kräftig Arak dazu und goss die noch heiße Flüssigkeit über die Erdbeeren, die er ganz gelassen hatte. Was soll man dazu sagen? – Nur so viel, dass dies der größte persönliche Erfolg war, den Pötsch auf der gesamten Fahrt verzeichnen konnte.

 

An diesem Abend erst wurde die Reisegesellschaft sich der Tatsache bewusst, dass ihre Gemeinschaft nun zu Ende gehen würde und dass eine baldige Trennung bevorstehe.

„Wir haben“, bemerkte Paul zu Herrn May, „nun gar keine Gelegenheit gefunden, über geschäftliche Dinge im Detail zu sprechen.“

„Wir werden darüber miteinander korrespondieren müssen“, erwiderte der Sachse.

„Zumindest haben wir uns persönlich kennen gelernt. Ich versichere Ihnen meine Hochachtung, Monsieur May. Sie haben sich nicht bloß als zuverlässiger Reisegenosse vorgestellt, sondern auch als phantasiebegabter Redakteur. Ich glaube fest, dass Sie eines Tages mit Ihren Erzählungen ein ebenso großes Publikum zu fesseln vermögen, wie ich mit meinen Romanen.

„Ach, ich bitte Sie“, wehrte der kleine Sachse ab und errötete. „Mit Ihnen kann ich mich doch gar nicht vergleichen, Herr Verne. Aber es war großartig, Sie kennen gelernt zu haben.“

„Und Sie haben uns auch tüchtig bei der Verfolgung der Gauner geholfen“, ergänzte Paul das Lob seines Bruders.

„Ordentliche Arbeit hat er uns gemacht, der Herr Redakteur“, scherzte der Graf.

„Aber was wird mit dem Oberschurken Landola passieren?“ fragte May um von seiner Person abzulenken.

„Der wird gewiss sein schmutziges Handwerk drüben in den Staaten fortsetzen. So einer fällt immer auf die Füße!“

„Und niemand kann etwas dagegen unternehmen, Graf Schwedenow?“

„Ich fürchte: nein. Noch fehlen die internationalen Abkommen, mit deren Hilfe solche Verbrecher bekämpft werden könnten. Doch der Zeitpunkt liegt nicht mehr fern, und eine internationale Polizeiorganisation wird ins Leben gerufen, die schlagkräftig genug ist, um die Machenschaften dieser Herren erfolgreich zu bekämpfen.“

Man brachte einen Toast auf solche Zukunftshoffnungen aus.

„Man müsste wissen, was aus der >La Gaviota< und dem Schurken wird!“ sagte May mehr zu sich als zu den anderen.

„Reisen Sie durch die Staaten, reisen Sie nach dem chinesischen Meer, und folgen Sie den Spuren Landolas!“ lachte Schwedenow. „Dann wissen Sie mehr und können einen Roman darüber schreiben.“

Am nächsten Morgen verabschiedete man sich herzlich von Herrn May, der mit dem Zug von Kiel aus in seine sächsische Heimat zurückreisen wollte.

„Bleiben Sie bei der Wahrheit, Herr May, auch in ihren Erzählungen!“ rief ihm der Graf nach.

Kapitän Ollive hatte noch einmal Kohlen gebunkert, den Bugspriet einholen lassen und befohlen, den Kessel tüchtig einzuheizen. Gegen 8 Uhr dampfte die >Saint Michel< ostwärts, bis sie sie Mündung des Eiderkanals erreicht hatte. Die Kanaldurchfahrt ging problemlos vonstatten, und am Abend lag man wieder in Rendsburg vor Anker.

Hier verließ der Graf das Schiff, weil er über Hamburg, wo er noch etliches zu erledigen hatte, mit der Eisenbahn nach Berlin zurückfahren wollte.

Man schied in Achtung voneinander, ja Paul versicherte, dass eine aufrichtige Freundschaft entstanden sei, die gewiss bald zu einer nochmaligen Begegnung der so unterschiedlichen Teilnehmer dieser Kreuzfahrt führen müsste. Pötsch trennte nur ungern von Arago, obwohl sich die beiden noch immer mit Worten kaum verständigen konnten.

 

Ziel des nächsten Tages war Tönning, wo die Tätigkeit der Behörden andauerte, den ganzen Sumpf des Schmugglerunwesens auszutrocknen. Das deutsche Kanonenboot unter Kapitän von Tülff lag noch vor Anker; der energische Marineoffizier ließ es sich nicht nehmen, die Gesellschaft einzuladen und ihr zu Ehren ein festliches Bankett zu geben. Zu erzählen gab es auf beiden Seiten genug, so dass man erst zu später Stunde in die Kojen kam.

„Wie zu Hause bei alten Freuden“, sagte Paul zu seinem Bruder.

„Wenn sie nur nicht so militaristisch wären!“ antwortete dieser und schüttelte bedenklich den Kopf.

 

Am Morgen des 26., der Leutnant hatte ihre voraussichtliche Ankunft am Nachmittag von Tönning aus telegraphisch in Wilhelmshaven angekündigt, dampfte die >Saint Michel< aus dem kleinen Hafen an der Eidermündung und gewann schnell die offene Nordsee. Nun spürten alle die raue See, die besonders Caroline einige Unpässlichkeiten bereitete. Die Freude auf die Heimkehr war allerdings so groß, dass das tapfere Mädchen ihr Unwohlsein zunehmend bezwingen konnte. So erreichte man am frühen Nachmittag bereits den Jadebusen und lief bald in Wilhelmshaven ein.

Von den starken Hafenbatterien her wurde Salut geschossen, die ganze Besatzung der Garnison war angetreten und begrüßte die Ankömmlinge mit donnerndem „Hurra!“. Eine Militärkapelle spielte auf, und das Offizierskorps war unter Führung des Admirals vollständig angetreten.

Caroline fiel ihrer Mutter um den Hals, Tränen der Freude flossen reichlich, die Männer wurden ehrenvoll begrüßt und zum Hause des Admirals geleitet. Dieser bedauerte fortwährend, dass er weder dem Grafen noch dem Redakteur May für die Befreiung seiner Tochter persönlich danken konnte.

 

Am Abend wurde ein großes Fest gefeiert, zu dem nicht nur die Offiziere der Garnison sondern auch alle Besatzungsmitglieder der französischen Jacht geladen waren. Arago durfte diesmal nicht kochen, eine Einschränkung seiner künstlerischen Freiheit, die seine Stimmung sichtlich niederdrückte. So stahl er sich unbemerkt in die Küche und soll – so berichteten später die Matrosen – mit der dort regierenden Köchin fraternisiert haben.

Das Essen, zu dem guter deutscher Rheinwein getrunken wurde, zog sich durch die vielen Toasts, die man zu Ehren der französischen Gäste ausbrachte, bis in den späten Abend hin; danach musste von der abenteuerlichen Fahrt erzählt werden. Diese Aufgabe übernahm Jules mit Bravour, so dass auch die in Wilhelmshaven Zurückgebliebenen einen lebendigen Eindruck von den Ereignissen erhielten.

„Ein Roman, ein wirklicher Roman!“ sagte Admiral von Plechow, als der Bericht beendet war. „Schreiben Sie doch ein Buch über Ihre Erlebnisse, mein Bester.“

„Ich werde darüber nachdenken“, sagte Jules. „Und wenn der Roman gedruckt ist, kommen wir wieder hierher, um Fräulein Caroline ein Exemplar zu überbringen.“

„Oder Herr May wird vor ihnen da sein, wenn er seinen Roman schneller fertig hat!“ rief der Leutnant.

„Ob wir Ihre Tochter dann allerdings noch in ihrem Hause antreffen, mon Général, wage ich zu bezweifeln“, fügte Paul hinzu.

Diese wirklich unpassende Bemerkung – Frau von Plechow verzieh sie Paul nur, weil er ein Franzose und ihr außerordentlich sympathisch war – ließ Caroline tief erröten. Und nur Jules bemerkte, dass auch das Gesicht des jungen Leutnants dabei leicht an Farbe gewann.

 

 

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