Caroline von Plechow      oder    Die Verfolgung von Wilhelmshaven nach Kopenhagen

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8 Nach Kopenhagen

 

Noch am Abend des 19. Juni lichtete die >Saint Michel< wieder die Anker und dampfte, ohne einen Lotsen in Anspruch zu nehmen, nach Norden.

Kapitän Ollive hatte die Führung des Schiffes wieder allein übernommen, denn die Fahrt von Kiel nach Kopenhagen bietet keinerlei Schwierigkeiten. Allerdings verlangt sie, und das nicht nur des Nachts, unausgesetzte Aufmerksamkeit, denn alles dänische Land erhebt sich nur wenig über den Meeresspiegel. Außerdem ist die Wassertiefe der Ostsee nur gering und das eigentliche Fahrwasser oft sehr schmal.

Herrlich sank der Abend herab; der ganze Himmel stand wie von einer Feuersbrunst in Flammen. Leuchtend rote Wolken begleiteten die untergehende Sonne, und das Meer rollte langsam wie eine Masse flüssigen Goldes dahin. Zu einer kleinen Wolke, die ganz allein schwarz am Himmel stand und einen merkwürdigen Kontrast zu ihren Nachbarn bildete, meinte Paul:

„Sie scheint wie zur Strafe ausgeschlossen von der allgemeinen Illumination.“

„Die Sonne will mit ihrem Glanz nur ungern das Himmelsgewölbe verlassen“, sagte Jules.

„Ja, Phöbus ist eifersüchtig auf seine Schwester Phöbe“, fügte Schwedenow hinzu.

Der Lichtgott mochte am Ende doch Mitleid mit den Poeten fühlen, denn er versank in den Fluten, die er aber noch lange mit seinen warmen Strahlen schmückte, und seine letzten Lichter blinkten lange Zeit in der kaum enden wollenden Dämmerung. Die Männer wurden sentimental und genossen das Schauspiel in stummer Gemeinschaft. Endlich hatte der Mond das freie Feld vor sich; langsam sahen sie Phöbes Silberscheibe emporsteigen, die sich immer plastischer vom schwarzen Himmel abhob und den geschulten Augen der Beobachter deutlich ihre Kugelgestalt offenbarte. Selbst der von der Sonne nicht beleuchtete Teil erhielt so viel Licht, dass die vollen Umrisse zu erkennen waren.

„Das macht der Widerschein der Sonne von der Erde“, sagte Jules.

„Prächtig!“ schwärmte May, und das war das einzige, was sie auf der Überfahrt von dem jetzt doch sehr schweigsamen Redakteur hörten.

 

Am folgenden Morgen früh um sieben Uhr, es war der 20. Juni, erreichte die >Saint Michel< den Eingang des Sundes. Ob sie in der Nacht das Linienfahrzeug überholt hatten, konnte man nicht sagen, es war aber bei der hohen Geschwindigkeit, mit der man gegen Norden gedampft war, anzunehmen.

 

 

Es herrschte vollkommene Windstille; kein Lufthauch wehte, und spiegelglatt lag die Oberfläche des Meeres. Lustig flatterten Hunderte von Möwen umher und strichen mit harten Schreien über das glänzende Wasser. Zahlreiche Segelschiffe lagen verankert und erwarteten das Aufspringen des Windes. Mehrere Dampfer, deren lange dunkle Rauchstreifen sich über den Horizont hinzogen, verrieten schon die Nähe eines großen Handelshafens.

Gegen zehn Uhr begann Kopenhagen aus einem feinen Nebelschleier aufzutauchen, und grüßend stiegen die Türme der Stadt, die umgebenen Wälder und endlich die Masten der im Hafen liegenden Schiffe empor. Die >Saint Michel< befand sich noch in einer Entfernung von zehn bis zwölf Seemeilen von ihrem Ziel.

 

 

Kopenhagen ist Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Dänemark und zugleich die einzige Festung und der erste Waffenplatz des Landes. Die Stadt liegt in 13 Meter Seehöhe auf den Inseln Seeland und Amak am Sund (55° 41’ nördlicher Breite, 12° 35’ östlicher Länge) und hat einen Flächeninhalt von 69 Quadratkilometer. Durch den Kalvebodstrand, der die große Insel Seeland von der kleinen Insel Amak abtrennt und den vorzüglichen inneren Hafen der Stadt bildet, wird Kopenhagen in zwei Hauptteile geteilt, von denen der weitaus größere an der Ostküste von Seeland und der kleinere, Christianshavn, an der nordwestlichen Spitze von Amak liegt. Im Norden der Stadt und nur durch eine Esplanade davon getrennt, liegt die Festung Frederikshavn. Die Befestigung an der Landseite, die in ziemlicher Entfernung von der eigentlichen Stadt gebaut wurde, besteht aus teilweisen detachierten Forts und Batterien und aus einem Kanalsystem, das dazu bestimmt ist, im Ernstfall eine große Strecke Land unter Wasser zu setzen. Gegen die Seeseite besteht die Befestigung aus einigen Forts an der Küste, die zum Teil aus früheren Zeiten stammen. An der Ostseite des südlichen und ältesten Teils der Stadt nehmen der Slotsholm und der Gammelholm ein bedeutendes Areal ein. Die Verbindung der auf Seeland und Amak gelegenen Stadtteile geschieht hauptsächlich durch zwei Brücken, Knippelsbro und Langebro. Der Hafen, geteilt in einen inneren mit maximal 9 Meter Tiefe und einen äußeren, ist der beste und sicherste der ganzen Ostsee und des Kattegats; der innere Hafen wird zum Teil als Kriegshafen benutzt.

Die bedeutenden Denkmäler und Gebäude Kopenhagens können hier unmöglich aufgezählt werden, auch nicht die in der Hauptstadt des Königreichs ansässigen Institutionen. Dasselbe gilt für die Industrie dieser modernen Großstadt und für das enorme Handelsaufkommen. Nur so viel soll noch erwähnt werden, dass von den 251.000 Einwohnern eine nicht unbeträchtliche Anzahl die deutsche Sprache beherrscht, und dass die deutsche Kolonie zumindest bis zum Verlust des Herzogtums Schleswig an Preußen großen Einfluss auf die kulturellen und politischen Verhältnisse Dänemarks hatte. Heute ist das Verhältnis zu Deutschland leider noch sehr gespannt, da das Königreich Dänemark nach dem verlorenen Krieg vor nunmehr 16 Jahren fast ein Drittel seines Staatsgebietes an Deutschland abtreten musste. Der Handel mit dem deutschen Reich hat sich allerdings prächtig entwickelt, so dass die Menschen zu beiden Seiten der Grenze auf eine bessere gemeinsame Zukunft hoffen dürfen.

 

Mittlerweile hatte man sich dem Hafen auf ca. drei Seemeilen genähert, als ein Schiff auf die >Saint Michel< zusteuerte. Bald erkannten die Reisenden, dass es sich um ein dänisches Kriegsschiff handelte, da der Danebrog am Heck des Seglers vorn zwei Spitzen aufwies, hinter denen die hochrote mit weißem, sie rechtwinklig durchschneidenden Kreuz gezierte Flagge lustig flatterte. Die Korvette kam näher und Jules rief:

„Ein Willkommen, das wir kaum verdient haben!“

Plötzlich donnerte ein Schuss, und vor dem Bug der >Saint Michel< stieg eine Fontäne aus dem Wasser empor. Kapitän Ollive ließ sofort die Maschine stoppen. Alle Mann stürzten an Bord; niemand konnte sich den Grund für diese feindliche Aktion erklären.

„Das war ein Warnschuss mit scharfer Munition!“ rief der Kapitän.

„Die sind verrückt, die Dänen!“ ereiferte sich der kleine Sachse.

Die völlig verdutzten Männer sahen, wie das Kriegsschiff beidrehte und ein Boot zu Wasser ließ. Bald enterte ein schwer bewaffnetes Prisenkommando die >Saint Michel<. Ein dänischer Offizier kletterte als erster mit gezogener Waffe an Bord und fragte in holprigem Französisch:

„Die >Saint Michel< von Kiel nach Kopenhagen?“

Als Kapitän Ollive dies bejahte, fügte er hinzu: „Betrachten Sie sich als Gefangene, meine Herren!“

Die Soldaten besetzten in Windeseile die Yacht.

„Wer hat Ihnen den Befehl zu dieser Aktion gegeben?“ fragte Schwedenow den Offizier.

Dieser blickte abschätzig auf den Deutschen.

„Svindler, euch werden wir das schmutzige Handwerk schon legen. Durchsucht das Schiff!“ rief er seinen Männern zu.

„Wir kommen als Gäste; man wird uns nicht wie Feinde behandeln“, sagte Jules.

„Ich wüsste nicht, dass sich Frankreich mit Dänemark im Kriegszustand befindet“, erregte sich Paul.

Doch alles Reden nützte nichts, die Gesellschaft musste sich der Gewalt beugen und folgte dem dänischen Offizier auf die Korvette. Sie wurden unter Deck gebracht und in eine enge Kajüte gesperrt.

Die Korvette segelte nach Kopenhagen, und das Prisenkommando auf der >Saint Michel< nötigte Kapitän Ollive, dem Segler zu folgen.

Nachdem die Männer je nach ihren unterschiedlichen Temperamenten Wut und Empörung zum Ausdruck gebracht hatten, entstand eine Stille der Verzweifelung zwischen ihnen, die einige Zeit anhielt. Schließlich war es Schwedenow, der die Stille unterbrach:

„Mir ist und bleibt es völlig unverständlich, weshalb man uns einen derartigen Empfang bereitet hat. Das Verhältnis zwischen meinem Land und Dänemark ist zwar nicht ohne Probleme, doch kann ich mich nicht entsinnen, je von einer so unfreundlichen Aktion gehört zu haben.“

Jules, der sich angesprochen fühlte, meinte:

„Auch zwischen Frankreich und Dänemark gibt es keine politischen Miss-Stimmigkeiten; im Gegenteil. Seit der Gründung des Deutschen Reiches haben sich die Beziehungen zu den Ländern des Nordens immer besser entwickelt.“

„Dahinter steckt irgend eine Schurkerei“, brummte der Graf, schwieg dann aber, da es augenblicklich nichts zu besprechen gab.

 

Endlich merkten die Männer, dass ihr unfreiwilliges Gefängnis in den Hafen von Kopenhagen eingelaufen und dort festgemacht hatte. Man führte sie trotz energischer Proteste in eine Arrestzelle des Kommandanturgebäudes, und es dauerte weitere zwei Stunden, bis es ihnen endlich gelang, zum Kommandanten vorgelassen zu werden.

Der Hafenkommandant erwies sich als ein arroganter Offizier, der aus seiner Feindschaft gegenüber den Deutschen keinen Hehl machte. Er wollte von einer Verleumdung nichts wissen und war fest davon überzeugt, es mit den Anführern einer internationalen Schmugglerbande zu tun zu haben; das Zeugnis seines Offiziers schien im vollauf zu genügen. Über die Gründe seiner Überzeugung äußerste er nichts, auch nannte er keine Namen, aus denen Schwedenow hätte schließen können, wer sich den schurkischen Streich ausgedacht und sie denunziert hatte.

Schwedenow bewahrte selbst in dieser für alle demütigende Situation die Fassung und zeigte ein erstaunlich selbstsicheres Auftreten; er sprach für alle und erreichte schließlich nach mühseligen Erklärungen, dass sich der Kommandant beim Außenministerium seiner Regierung nach seiner Depesche aus Kiel erkundigte. Nach kurzer Zeit brachte ein Boten Informationen, die sichtlich zur Verunsicherung des Kommandanten beitrugen; als dann ein Legationsrat Vestrup des Ministeriums vorsprach, wendete sich das Blatt allerdings schlagartig zugunsten der Gefangenen.

Der hohe dänische Beamte kannte Graf Schwedenow aus Berlin, wo er für kurze Zeit das Amt eines Attachés bekleidet hatte, bevor er mit höheren Aufgaben im Außenministerium seiner Hauptstadt beauftragt wurde. Ihm erklärte der Graf ihre Situation, verwies auf die telegraphisch aus Berlin nach Kopenhagen erwirkte Depesche und erbat sich Aufklärung; bald konnte er völlig zufrieden sein, da der Beamte mit sichtlichem Ärger auf diese für seine Regierung peinliche Angelegenheit reagierte. Vestrup befragte den Kommandanten energisch, ja ungeduldig, schlug mehrfach auf die Dokumente, die er aus seinem Ministerium mitgebracht hatte und erklärte schließlich gegenüber dem Grafen, dass die >Saint Michel< Opfer einer Denunziation geworden war.

Jemand hatte gegenüber dem dänischen Kriegsministerium behauptet, das Schiff führe illegalen Branntwein an Bord. Dort schenkte man der Sache Beachtung, da gerade eine bedeutende Aktion gegen das Schmuggelbandenunwesen zwischen Dänemark und dem Deutschen Reich durchgeführt wurde, bei dem sogar die Marine eingeschaltet werden musste.

„Der Schleichhandel“, so erfuhren die Männer von dem Legationsrat, „hat nämlich auf der Ostsee, die nicht in gleicher Weise wie eine Landgrenze bewacht werden kann, Ausmaße angenommen, die ein dringendes Handeln der betroffenen Regierungen unabdingbar macht.“

Und mit einigem Stolz fuhr Vestrup fort:

„So gestattete man trotz der immer noch gespannten Dänisch-Deutschen Beziehungen sogar Zollaufsehern beider Staaten wechselseitig bei der Verfolgung der Schmuggler mitzuwirken.“

Schwedenow erklärte ungeduldig, dass er noch gestern Abend in Kiel von dieser Deutsch-Dänischen Gemeinschaftsaktion unterrichtet worden war.

„Weiß man etwas über die Quelle, aus der diese Anzeige gegen die >Saint Michel< erfolgte?“ fragte er.

„Hierüber darf ich mich nicht äußern“, erklärte der Legationsrat; „so viel kann ich aber sagen, dass es sich um Hinweise von bedeutender diplomatischer Seite gehandelt hat.“

Der Graf klärte den Legationsrat in der gebotenen Kürze über den Anlass ihrer Reise auf und erwähnte auch den Namen Cortejo, was Vestrup zu einer Geste der Überraschung veranlasste.

„Ein neu angekommener Offizier wurde mir gestern auf einem Empfang der spanischen Botschaft vorgestellt“, sagte er zu Schwedenow, „der sich „Cortez“ nannte.

Schwedenow beschrieb Cortejo, Paul ergänzte die Beschreibung und der Däne rief aus: „Ich bin mir ganz sicher, meine Herren! Dieser Cortez ist der von Ihnen gesuchte Cortejo!“

Der Graf unterbrach das Gespräch an diesem Punkt, da man bereits wertvolle Stunden verloren hatte. Er versprach, bei nächster Gelegenheit im Außenministerium vorzusprechen, der dänische Beamte sicherte polizeiliche Unterstützung zu, doch nun galt es, die >Saint Michel< aus der Macht des Militärs auszulösen.

Ohne auf die halbherzig vorgebrachten Entschuldigungen des Kommandanten zu achten, eilten die Männer zu ihrem Schiff, das noch immer von Soldaten der Dänischen Marine besetzt war. Die gründliche Durchsuchung hatte natürlich nichts Verdächtiges ans Tageslicht gebracht, und die Soldaten wurden abgezogen. Mit Hilfe eines Schleppers wurde die >Saint Michel< aus dem Militärhafen am Arsenal hinaus bugsiert und ging im mittleren Teil des Christians-Havn in der Nähe des Vilders Plads vor Anker.

 

Es war später Nachmittag geworden; die Männer saßen um den Tisch im Speiseraum und stärkten sich zum ersten Mal an diesem Tage.

„Wenn Cortejo sich diesen Streich ausgedacht hat“, sagte Leutnant von Rochow ärgerlich, „muss er über gute Beziehungen zum dänischen Militär verfügen.“

„Wie hat er aber von unserer Absicht wissen können, nach Kopenhagen zu segeln?“ fragte Jules.

„Es war ganz und gar meine Dummheit!“ sagte Schwedenow ärgerlich. „Ich habe nicht bedacht, dass Dethmann von Kiel aus seinem Komplizen telegraphiert haben könnte.“

„Glauben Sie wirklich, dass sein Arm so weit reicht?“ fragte der kleine Sachse.

„Dethmann? Nein, aber Cortejo verfügt über Beziehungen bis in die höchsten Kreise von Militär und Politik; wenn er wirklich sein Hauptquartier in Kopenhagen aufgeschlagen hat, dann tritt er auch hier als Offizier in diplomatischem Dienst auf.“

„Aber wird man von Seiten des Militärs mit einem solchen Verbrecher zusammenarbeiten?“ zweifelte Paul.

„Oh ja, Sie glauben nicht, welche Verbindungen zwischen den höchsten Kreisen sogar des Adels und diesem Halunken bereits geknüpft wurden. Der Schleichhandel macht vor keinem Stand Halt; selbst die besten Familien bringen nichtsnutzige Sprösslinge hervor, denen die Ehre ihres Namens nicht bedeutet, wenn sie nur ihre Gier nach Geld und noch mehr Geld befriedigen können.“

„Wer aber wird sich mit einem Mädchenhändler einlassen?“ zweifelte Paul.

„Auch für die Beteiligung an derartigen Verbrechen gibt es viele abstoßende Beispiele“, antwortete Schwedenow.

Hier meldete sich Leutnant von Rochow zu Wort, da ihm der Gedanke an das Schicksal von Caroline große Pein bereitete.

„Es ist höchste Zeit, etwas zu unternehmen!“ rief er aus.           

Schwedenow stimmte ihm zu: „Wir müssen Cortejo in seinem Rattennest aufstöbern.“

„Wie sollen wir aber das Mädchen hier finden?“ fragte der Leutnant voller Verzweiflung.

„Wir müssen systematisch vorgehen.“ sagte der Graf gelassen und legte dem aufgewühlten von Rochow die Hand beruhigend auf die Schulter,

„Zunächst teilen wir uns auf. Während ich zu Deutschen Gesandtschaft gehe, um die nötige diplomatische Unterstützung zu erbitten, können Sie sich beim Hafenamt nach der >La Gaviota< erkundigen. Seien Sie aber vorsichtig, damit Cortejo niemanden von uns entdeckt!“

 Von Rochow nickte knapp und wirkte wieder gefasst. Der Graf ließ sich in Begleitung von Paul über den breiten Inder-Havn zur Stadt hinüberrudern. Von dort waren es nur ein paar Straßen am Königlichen Theater und am Standbild Christian V. vorbei zur Deutsche Gesandtschaft in der Palaisgade 6. Schwedenow bat Paul, im Vorraum des Beamten auf ihn zu warten und ließ sich vom Sekretär melden.

Der deutsche Geschäftsträger hörte sich den knappen Bericht seines Besuchers an; Schwedenow konnte schon, während er erzählte, erkennen, dass die Situation in Kopenhagen bedeutend schwieriger sein würde, als er sich das unterwegs vorgestellt hatte, denn der Botschafter setze eine bedenkliche Mine auf.

„Ich kann Ihnen nur raten, lieber Schwedenow, mit äußerster Diskretion vorzugehen“, begann er mit Nachdruck.

„Ihre Vermutungen bezüglich des Mädchenhandels muss ich leider bestätigen. In der Tat habe ich Informationen, dass der traditionelle Schmuggel zwischen Deutschland und Dänemark über die offene Ostsee in letzter Zeit erheblich an Umfang zugenommen hat. Die regional operierenden Banden scheinen von zentraler Stelle koordiniert zu werden. Ganz in diesem Sinne haben wir immer wieder Informationen vom dänischen Handelsministerium erhalten. In diesem Zusammenhang war auch häufiger von verschwundenen Weibspersonen die Rede, und manches Indiz deutet auf Kopenhagen als den Hauptumschlagplatz für solcherlei Waren in der Skandinavischen Region hin.“

„Nach meinen Informationen sind in den Zwischenverstecken zehn, zwanzig ja bis zu hundert blutjunger Mädchen gefangen, die mit unverfänglichen Schiffsladungen in den Nahen Osten transportiert werden sollen“, erklärte Schwedenow.

„Wir haben einen Hinweis erhalten“, bestätigte der Geschäftsträger, „nach dem auch hier in Kopenhagen ein solches Versteck unterhalten wird. Nach meinen Informationen sind die Schleich- und Mädchenhändler in letzter Zeit sogar äußerst aktiv. Man munkelt, es werde eine größere Lieferung nach Kairo vorbereitet.“

„Was schlagen Sie vor, dass ich unternehme?“ fragte der Graf.

Der Botschafter schwieg eine Weile und sagte dann: „Ich weiß von Ihnen, dass Sie bei der Suche nach der Offizierstochter, die man in Bremerhaven entführt hat, persönliche Spuren verfolgen“, begann er zögernd. „Ich muss Sie aber – ganz im Vertrauen – auch warnen, voreilige Schritte zu tun.“

„Wie meinen Sie das?“ frage Schwedenow.

„Nun, es kann durchaus Gründe geben, bei der Verfolgung der Mädchenhändler Vorsicht obwalten zu lassen.“

„Ich kann Sie nicht ganz verstehen.“ sagte der Graf mit ungeduldiger Missbilligung in seiner Stimme.

„Nun, Sie kennen die hiesigen Verhältnisse nicht, Graf. Aber es ist nicht ganz auszuschließen, dass ungeplante Aktivitäten von Ihnen gegen die Interessen des Deutschen Reiches gerichtet sein könnten.“

„Exzellenz! Was meinen Sie mit ‘Interessen’?“ fragte Schwedenow empört.

„Nun, es gibt – wie Sie bereits an eigenem Leib verspüren konnten, sehr weitgehende Interessen ...“

„Interessen an was?“ fuhr der Graf auf. Der Botschafter trommelte ungeduldig mit dem Zeigefinger auf seinem Schreibtisch.

„... Interessen an einem guten Verhältnis zwischen Deutschland und Dänemark!“

„Aber ich verstehe nicht, was das mit der Entführung von jungen Damen aus gutem Hause zu tun haben soll, Exzellenz!“

„Sehen Sie, Schwedenow, es gibt bestimmte Kreise hier in Kopenhagen, die durchaus ein Interesse daran haben, dass bestimmte Etablissements, sagen wir einmal ab und zu frisch beliefert werden.“

„Schwedenows Gesicht war blutrot angelaufen; eine mächtige Zornesader war über seinem linken Auge angeschwollen.

„Soll das heißen, Exzellenz, „brachte er langsam hervor und akzentuierte seine Worte sehr deutlich, „soll das etwa heißen, dass es im Interesse des deutschen Reiches sein soll, diese verbrecherischen Machenschaften nicht aufzuklären?“

„Sie wissen, Graf, dass unser Verhältnis zum Königreich Dänemark noch immer nicht das beste ist“, begann der Botschafter erneut, „wenn ich Ihnen nun – unter dem Siegel der strengsten Geheimhaltung – anvertraue, dass höchste Kreise der Admiralität kein Interesse daran haben, neben dem Schleichhandel, den wir ja gemeinsam bekämpfen, den Handel mit Frauen und jungen Mädchen ebenfalls zu unterbinden ...“

„Das kann doch nicht wahr sein!“ unterbrach ihn Schwedenow. „Wollen Sie sich zum Komplizen solchen Verbrecher machen, Exzellenz?“

„Mäßigen Sie Ihre Worte, Graf“ sagte der Botschafter mit Nachdruck und deutlichem Ärger in der Stimme.

„Hier geht es um diplomatische Differenzierung, hier stehen nationale Interessen auf dem Spiel, die es mit aller Behutsamkeit zu behandeln gilt!“

„Heißt das“, fragte Schwedenow, der sich bereits wieder in der Gewalt hatte, „dass Sie uns in der Angelegenheit Cortejo und der >La Gaviota< nicht unterstützen können?“

Der Botschafter schwieg.

„Dann werde ich auf eigene Rechnung handeln!“ sagte Schwedenow mit Bestimmtheit, grüßte knapp und wendete sich zu Gehen.

„Sein Sie vorsichtig und übereilen Sie nichts!“ hörte er den Geschäftsträger noch sagen, dann war er mit Paul schon außerhalb des Zimmers.

Im Hinauseilen informierte er den fassungslosen Franzosen, der an der Unterhaltung nicht hatte teilnehmen können, über das negative Ergebnis.

Paul äußerte sich vor allem verwundert über die Andeutungen des Botschafters, nach der höchste Militärkreise in die Angelegenheit verwickelt sein sollten.

„Man sollte doch meinen“, sagte der zu dem Grafen, „es gäbe Grenzen, die selbst derjenige zurückschrecken lassen, der sich ansonsten skrupellos über Gesetz und Recht zur eigenen Bereicherung hinwegsetzt.

„Darin haben wir beide wohl bisher in gleicher Weise geirrt“, versetzte der Graf.

„Meine Sie, dass der Hafenkommandant mit den Verbrechern gemeinsame Sache macht?“ fragte er den Grafen.

Schwedenow murmelte: „Diesen Menschen ist alles zuzutrauen. Ich ahne, wir sind hier eine der übelsten Teufeleien auf der Spur, die je das Tageslicht unseres Jahrhunderts geschaut hat.“

 

 

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